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Projekt «Orbis» der Swissmedic



Wie kam es für Swissmedic zur Beteiligung am Projekt ORBIS und was ist dabei das Ziel?

Initiiert wurde Orbis durch die FDA im Mai 2019. Das Ziel war es, die Zeit zwischen Einreichung bei der FDA und anderen, kleineren Behörden zu reduzieren und ein zeitgleiches Begutachten zwischen den Behörden zu ermöglichen. Dadurch soll Schweizer Ärzten und ihren Patienten ein rascherer Zugang zu neuen, innovativen Krebsmedikamenten ermöglicht werden.
Die Partnerbehörden von Swissmedic sind neben der FDA in den USA Health Canada, TGA Australien und HSA Singapur. Zusätzlich wird die Englische Zulassungsbehörde MHRA, die momentan als Beobachter teilnimmt, im Januar 2021 dazu stossen. Schon vor Orbis gab es einen sehr guten Austausch zwischen den Behörden. Bezüglich Orbis fragte dann die FDA im Oktober 2019 bei Swissmedic an, ob man als Partnerbehörde im Project Orbis mitwirken wolle. Nach interner Evaluation sagte Swissmedic bereits im November 2019 innerhalb weniger Tage zu, sich im Rahmen einer Pilotphase von etwa 12 Monaten am Project Orbis zu beteiligen. Diese Pilotphase wird bis Anfang 2021 andauern.
Insgesamt betrachte ich die rasche Entscheidung zur Teilnahme an Orbis als sehr gutes Beispiel für die Agilität und Flexibilität von Swissmedic, sich an internationalen Aktivitäten zu beteiligen und unsere Kompetenz einzubringen. Darüber hinaus ist die Teilnahme an solchen internationalen Aktivitäten eines unserer erklärten strategischen Ziele.

Kürzlich kommunizierte Swissmedic zum Pilotprojekt Orbis: «Das Zulassungsgesuch für Tucatinib wurde bei der US Food an Drug Administration (FDA) am 20. Dezember 2019 eingereicht. Wenig später, am 6. Januar 2020, ging das Zulassungsgesuch bei Swissmedic ein. Die FDA hat Tucatinib am 17. April 2020 zugelassen, Swissmedic genehmigte die Schweizer Zulassung am 7. Mai 2020.»
Herr Prof. Rohr, Sie sind hier direkt beteiligt als Vertreter der Swissmedic und können uns über ihre ersten Erfahrungen damit berichten. Diese Zulassung ist offenbar sehr schnell erfolgt. Wie konnte dies gelingen?

Dieses Gesuch, das bei Swissmedic im Januar 2020 eingereicht wurde, war das erste Gesuch, welches im Rahmen von Project Orbis bearbeitet wurde. Dabei war logistisch vieles neu, vor allem Ablaufprozesse wurden definiert und optimiert. Durch die Teilnahme der verschiedenen beteiligten Behörden aus Kanada, den USA, Singapur, Australien und der Schweiz kamen die Telefonkonferenzen zu unterschiedlichen Tag- und Nachtzeiten zustande.
Swissmedic hatte daher einen logistischen Mehraufwand, der aber vertretbar war. Man darf die Logistik dennoch nicht unterschätzen, es handelt sich nicht um eine einzelne Person, die ein Zulassungsgesuch beurteilt, sondern aus einem ganzen Swissmedic Team, welches die Evaluation durchführt. Dieses besteht aus verschiedensten Kollegen aus zwei Bereichen, der Marktüberwachung mit Fokus auf die Arzneimittelsicherheit und der Zulassung. Die Assessoren des Bereichs Zulassung setzen sich aus sechs Kollegen zusammen, die die Qualität und Herstellungsprozesse des Medikaments beurteilen, die Präklinik, die Klinik sowie die Pharmakologie und Statistik der Studien. Hinzu kommt eine Person aus dem Case Management, die alles koordiniert. Alle unsere Swissmedic Mitarbeitenden interagierten nun für ihre spezielle Fachdisziplin mit den entsprechenden Teams der anderen Behörden.
Trotz der komplexen Logistik war das Ergebnis für alle äusserst positiv. Es gelang eine um etwa 77% schnellere Zulassung des Medikamentes gegenüber den normalerweise vorgesehenen Fristen, die sich in Firmenfristen und Swissmedic Fristen aufgliedern, von insgesamt 540 Tagen auf 123 Tage. Dies war insbesondere deshalb möglich, weil die Fragen aller teilnehmenden Behörden an die Firma schon während der initialen Begutachtungsphase gesendet und beantwortet wurden. Da die Fragen unter den Behörden bekannt waren wurden Redundanzen zwischen den Behörden an die Firma vermieden. Durch dieses Vorgehen konnte auch die normalerweise in der Schweiz vorgesehene zweite Begutachtungsphase des formalen Antwortdokumentes der Firma auf die regulatorischen Fragen komplett entfallen. Nach positivem Vorbescheid gelang es durch ein spätes «Clarification Meeting», das Swissmedic initiiert hat, noch kritische Punkte mit der Firma zu klären. So wurden zeitintensive, schriftliche Textprüfungsrunden der Fachinformation zum Medikament vermieden.
Vergleicht man die Zulassungszeiten zwischen der FDA und Swissmedic von 120 und 123 Tagen so lag diese in etwa auf gleichem Niveau trotz der signifikant niedrigeren Personaldecke bei Swissmedic. Dennoch möchte ich hervorheben, dass es sich um intensive Begutachtungen für die Fachpersonen bei Swissmedic handelte, die kaum Spielraum für andere Gesuchtätigkeiten oder weitere Aufgaben liessen. Dies limitiert zum jetzigen Zeitpunkt die Anzahl der Gesuche, die im Rahmen von Orbis bedient werden können.

Besteht nicht die Gefahr, dass mit dem Tempo von Orbis eine überhastete Entscheidung erfolgen könnte?

Tatsächlich ist aus meiner Sicht das Gegenteil der Fall. Trotz der operativ speditiven Begutachtung war diese genauso gründlich und intensiv wie bei Swissmedic üblich. Zusätzlich jedoch trafen sich nun die fachlichen Experten der teilnehmenden, regulatorischen Behörden. Die von Swissmedic und den anderen Behörden identifizierten kritischen Punkte wurden in entsprechenden Meetings besprochen und diskutiert. In der Regel kam man zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Nur punktuell ergaben sich unterschiedliche Interpretationen, die sich in der Fachinformation des Medikamentes widerspiegeln. Wenn sie den Indikationswortlaut für Tucatinib zwischen den USA und der Schweiz vergleichen, werden sie hier auch Unterschiede feststellen können. Zusammenfassend kommt es also zu weiterhin zu einer äusserst gründlichen Beurteilung des Medikaments mit dem Vorteil eines möglichen Zeitgewinns bis zur Zulassung.

Ein Vorbehalt könnte auch sein, dass das grosse mächtige FDA hier dominiert und die anderen Behörden tendenziell übernehmen. Dies ist relevant, weil ja die FDA bisher beispielweise zulassungsfreudiger ist als die Swissmedic oder auch EMA.

Es ist richtig, dass die FDA die grösste von den am Projekt ORBIS teilnehmenden Behörden ist. Ich möchte aber klarstellen, dass es nicht Ziel von Orbis ist im Rahmen eines Kompromisses zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Jede Behörde ist und bleibt unabhängig und entscheidet somit auch eigenständig. Wenn es jedoch zu unterschiedlichen Ansichten kommt ist – durch die vorher stattgefundene Diskussion – jedem der beteiligten Behörden klar, warum es zu diesen Unterschieden kam.

Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Dossiers in diesen Prozess aufgenommen werden?

Zunächst äussert die Firma gegenüber der FDA den Wunsch an Orbis teilzunehmen. Die FDA prüft anhand ihrer «Priority Review» Kriterien, ob das Medikament hierfür qualifiziert. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn die neue Therapie gegenüber den bisher verfügbaren Therapien Vorteile in der Sicherheit und/oder Wirksamkeit bei der Behandlung von Krebserkrankungen zeigt, also ein hoher therapeutischer Nutzen gegeben ist. Anschliessend fragt die FDA hinsichtlich möglicher Teilnahme bei den Partnerbehörden an, die zustimmen oder ablehnen können. Bei Zustimmung informiert die teilnehmende Partnerbehörde die FDA sowie die Firma über ihre Teilnahme.

Wie viele solche Orbis Zulassungs-Prozesse laufen aktuell?

Trotz der Covid Pandemie und den entsprechenden Zulassungsgesuchen konnte Swissmedic bis Mitte Oktober 2020 zu insgesamt 17 Orbis Gesuchen zusagen, die entweder schon bearbeitet wurden, sich in Bearbeitung befinden oder noch eingereicht werden.

Ändert dieser Prozess etwas an den Kosten für dieses Verfahren einerseits für die anfragenden Firmen, andererseits für Swissmedic selber?

Gegenwärtig werden keine zusätzlichen Kosten für die Firmen berechnet, Orbis akzeptierte Gesuche folgen den entsprechenden publizierten Kostentabellen in Abhängigkeit vom Gesuchtyp. Intern wird Swissmedic nach Abschluss der einjährigen Pilotphase den Mehraufwand bzw. die Mehrkosten für die Fachbegutachtung untersuchen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, dies belastbar zu beurteilen.

Ist das Eingabe-Dossier für «Orbis» einheitlich oder erfolgt es nach den bisherigen Regeln der teilnehmenden Länder?

Die eingereichten Gesuche folgen den bisherigen Prozessen der teilnehmenden Länder in der üblichen modularen Form.

Warum ist die EMA hier nicht dabei?

Die FDA hatte dies diskutiert, es schien allerdings durch das in der EU bedingte zentrale Zulassungswesen mit zwei EU Länder, die bei jedem Gesuch differieren, operativ schwierig zu sein. Weiterhin wurde auch von der FDA bezweifelt, dass die EMA generell teilnehmen würde, da das primäre Ziel von Project Orbis ist die Länder zu unterstützen, die innovative Zulassungsgesuche durch die Firma erst später erhalten. Erwähnenswert in diesem Kontext ist, dass Grossbritannien, nach dem Austritt aus der EU, sich 2021 ebenfalls den Orbis assoziierten Partnerbehörden anschliessen wird.

Wann wird nach dieser Pilotphase entschieden, ob Orbis als Option für den Zulassungsprozess bei Swissmedic übernommen wird?

Dies wird im ersten Quartal 2021 sein. Dann werden wir alle Orbisgesuche, an denen Swissmedic teilgenommen hat, auf den zusätzlichen Zeitaufwand, der Zulassungszeit und einer möglichen Verkürzung des Einreichungszeitraums zwischen den USA und der Schweiz analysieren. «Project Orbis» ist für Swissmedic dann erfolgreich, wenn den behandelnden Hämato-Onkologen und den Schweizer Patientinnen und Patienten innovative Krebsmedikamente nach konstanter, qualitativ hochwertiger Begutachtung rascher zur Verfügung gestellt werden könnten.

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

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  • Vol. 10
  • Ausgabe 7
  • Dezember 2020