- Erste Erfahrungen der ersten reproduktions-endokrinologischen Direktorin der Schweiz
Brigitte, du bist seit einigen Monaten in deinen neuen Positionen. Welche Überraschungen musstest du in dieser Zeit meistern?
Glücklicherweise war das, was zu meistern war, eher erwartet und nicht überraschend. Da ich vor der Übernahme meiner neuen Aufgaben als Klinikdirektorin bereits viele Jahre am USZ und in der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie tätig war, kannte ich die Klinik sehr gut und konnte auf dieser Basis Pläne für die Zukunft entwickeln. Erfreulicherweise konnten wir bereits viele dieser Ideen umsetzen und sind äusserst zufrieden mit dem Ergebnis. So haben wir mit dem Wechsel die Räumlichkeiten für die Chefsprechstunden so gestalten können, dass Sie nun auch für Sprechstunden der Kaderärztinnen genutzt werden können. Ausserdem sind wir sehr erfolgreich am Circle gestartet, wo wir in modernem, architektonisch sehr interessantem Ambiente nun auch alle unsere Sprechstunden anbieten. Im Februar haben wir mit unserem klinik-internen Team den Empfang unserer Patientinnen in unsere Klinik integriert.
Weiter konnten wir zusätzliche hervorragende Mitarbeiterinnen sowohl für unser ärztliches Team als auch für das Labor und bei den MPAs gewinnen, so dass wir sehr gute Voraussetzungen haben, unseren Patientinnen und Kinderwunschpaaren fachlich und menschlich die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.
Wie fühlst du dich als Frau in deiner neuen, noch weitgehend von Männern dominierten Berufswelt?
Aus meiner Sicht zählt in dieser Position die Kompetenz, dem Team der Klinik die Rahmenbedingungen anzubieten, so dass alle ihren Aufgaben optimal nachkommen können. Dies ist weniger eine Frage des Geschlechts als des Führungskonzeptes sowie des Einsatzes und der Fähigkeit, dieses Konzept umzusetzen. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass Qualität überzeugt – und diese mache ich auch jetzt. Ich glaube, dass der Stil von Frauen etwas anders als der von Männern sein muss, um das gleiche Ziel zu erreichen, da die gleichen Eigenschaften bei Männern anders wahrgenommen werden als bei Frauen. Aber dies macht es ja so spannend …
Du bist für viele Bereiche in deiner Klinik verantwortlich: für klinische Dienstleistung, Lehre, Forschung, Betriebsor-ganisation und -wirtschaft, Personalmanagement und vieles mehr. Was hat dich in diesen ersten Monaten am meisten herausgefordert?
Da ich das Glück hatte, von dir, meinem Vorgänger, über eine lange Zeit vor dem tatsächlichen Wechsel in meine zukünftigen Aufgaben eingeführt zu werden und zunehmend mehr Verantwortung übernehmen durfte, konnte ich meine neue Funktion als Klinikdirektorin auf einer sehr gut etablierten Basis beginnen.
Zudem hatte ich das Glück, dass ich ein ärztliches Team übernehmen durfte, das sich nicht nur durch hohe Kompetenz, sondern auch durch grosse Einsatzbereitschaft auszeichnet. Mit PD Dr. Ruth Stiller als stellvertretender Leiterin des Kinderwunschzentrums und sehr engagierten kompetenten Oberärztinnen habe ich in der Klinik eine sehr gute Unterstützung. Das Team der MPAs wird durch Yllka Pacolli zu meiner vollsten Zufriedenheit geführt und wir freuen uns sehr, dass dieses Team wie auch das neue Team am Empfang und zur Planung der Erstkonsultationen stabil und hochmotiviert sind, unseren Patient*innen eine optimale Betreuung zukommen zu lassen. Dr. Min Xie sorgt mit ihrem Team und ihrem unglaublichen Einsatz im Kinderwunschlabor für exzellente Ergebnisse. Ausserdem konnten wir dank meiner hervorragenden und sehr engagierten Klinikmanagerin, Lisa Martin, die Strukturen der Klinik deutlich effizienter gestalten, wodurch wir Zeit für unsere PatientInnen gewonnen haben. Bei der Forschung habe ich sehr gute Projektleiter*innen, so dass wir, insbesondere wenn man die Anzahl hochkarätiger Forschungsprojekte betrachtet, sehr stolz auf die aktuelle Situation und hinsichtlich der kommenden Jahre sein dürfen.
Die Herausforderung für mich ist, die vielen guten Ideen in die richtige Reihenfolge zu bringen und dafür zu sorgen, dass wir in einem sinnvollen Tempo Schritt für Schritt die aktuellen Strukturen weiterentwickeln. Aktuell arbeite ich noch daran, das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Komponenten auszutarieren – aber da es immer wieder unerwartete Herausforderungen gibt und ich neben der Klinik, die mir sehr viel Freude bereitet, auch wissenschaftlich aktiv bleiben möchte, wird dies wohl auch eine Herausforderung bleiben. Ich mag Vielseitigkeit und Lebendigkeit und die Aufgaben einer Klinikdirektorin kommen diesem Profil sehr entgegen.
Du bist kurz nach deinem Amtsantritt direkt in die zweite COVID-Welle hineingeschlittert. Welche Auswirkungen hatte das auf deinen Berufsalltag und deine Klinik?
Natürlich ist der klinische Alltag immer noch sehr von Corona geprägt. Wir tragen den ganzen Tag Masken und der Kontakt untereinander sowie mit Patientinnen ist Covid-bedingt distanzierter. Aber wir hatten bisher das Glück, dass die Rahmenbedingungen und die sorgfältige Planung durch die COVID-19-Taskforce am USZ uns ermöglicht haben, unsere Eingriffe ohne Einschränkungen durchzuführen.
Corona-bedingt haben wir unseren Anteil an Telefonkonsultationen deutlich erhöht, was z.B. für Therapiebesprechungen sehr gut möglich ist und wir auch in Zukunft beibehalten werden, um Patient*innen den Weg in die Klinik zu ersparen.
Ausserdem ist durch Corona die Kompetenz im Umgang mit elektronischer Kommunikation z.B. für Fortbildungen und auch im Studentenunterricht deutlich gestiegen, was uns auch den Zusammenhalt des nun an zwei Standorten tätigen Teams erleichtert.
In dieser Zeit erfolgte zudem auch noch die Eröffnung des USZ-Flughafens am Circle. Wie häufig bist du persönlich am Flughafen? Hat die starke Reduktion des Flugverkehrs Auswirkungen auf die dortigen Aktivitäten deiner Klinik?
In den ersten Wochen war ich häufiger am Circle, nun gibt es feste Sprechstundenzeiten der Ober- und Assistenzärztinnen und ich übernehme punktuell Ferienabwesenheiten.
Der grösste Anteil unserer Patient*innen kommt aus dem Umfeld Zürich, so dass die Reduktion des Flugverkehrs kaum Auswirkungen zeigt. Da wir bisher ausschliesslich unter Corona-geprägten Bedingungen am Circle tätig sind, könnte ich mir jedoch vorstellen, dass eine Zunahme des Flugverkehrs und damit auch der am Flughafen arbeitenden Frauen zu einem höheren Bedarf an Konsultationen am Circle führt.
In welchen Forschungsgebieten bewegst du dich in den nächsten Jahren?
Erfreulicherweise hat die Universität Zürich unser Projekt «Human Reproduction Reloaded» als einen universitären Forschungsschwerpunkt für die kommenden 8 Jahre ausgewählt. Gemeinsam mit Gerald Schwank werde ich hier einen Forschungsschwerpunkt zum Thema CRISPR leiten. Ziel dieses Schwerpunktes ist zu prüfen, ob und unter welchen Bedingungen der Einsatz von CRISPR an menschlichen Keimzellen eventuell denkbar ist. Am Gesamtprojekt sind insgesamt sechs Fakultäten beteiligt und es werden rechtliche, soziale, ökonomische, psychische, theologische, historische, ethnologische und ethische Facetten der modernen Reproduktionsmedizin untersucht.
Ausserdem arbeiten wir seit Herbst 2021 an einer hoffentlich kurativen immunologischen Therapie der Endometriose.
Mit einer Start-up-Firma und einem internationalen Partner führen wir derzeit Big-data-Analysen mit Machine-learning-Ansätzen durch, um in einem ersten Schritt Paare auf ihren individuellen Voraussetzungen basierend zu beraten im Hinblick auf ihre Chance auf ein Kind. In weiteren Schritten sollen die Analysen für Optimierungen von Kinderwunschbehandlungen eingesetzt werden. Darüber hinaus beginnen wir in Kürze mit einer Real-life-Studie zum Einsatz eines elektronischen Wearable (Ava) zur Antikonzeption.
Welches sind deine Hobbys und hast du noch Zeit für sie?
Neben meinen wissenschaftlichen Aktivitäten – wo die Grenze zwischen Hobby und Arbeit oftmals fliessend ist, gehe ich sehr gerne Rudern – leider ist das Mannschaftsrudern Corona-bedingt aktuell schwierig. Ausserdem habe ich einen grossen Bio-Gemüsegarten, welcher sehr von den Corona-bedingten Reiseeinschränkungen profitiert. Und last but not least hat die Gestaltung von Ferien in der Schweiz auch dazu geführt, dass ich meine etwas eingestaubten Fähigkeiten am Klavier wieder reaktiviert habe. Ich habe den Eindruck, dass verschiedene erfüllende Tätigkeiten sich gegenseitig befruchten. Da ich auch meine Arbeit, ganz besonders seit meiner Tätigkeit als Klinikdirektorin, als sehr erfüllend erlebe, weiss ich manchmal nicht so ganz genau, was ich als Arbeit und was ich als Hobby sehen soll …
Was sind deine Lieblingsspeisen und Getränke?
Hm – das ist schwierig, ich habe sehr viele Dinge, die ich gerne esse und trinke – der jeweilige Favorit ist sehr tagesabhängig. Vielleicht in etwa so: Im Sommer die vegetarische Küche meiner Tochter, im Herbst das Taco-Schnitzel mit Guacamole meines Sohnes, im Winter das Osso bucco mit getrockneten Tomaten meines Mannes und im Frühling vielleicht die erste Ernte aus dem Garten … nur scharf darf es nicht sein.
Und zu den Getränken: Am Morgen Milchkaffee, am Mittag und Abend Tee und am Wochenende gelegentlich einen guten, schweren, trockenen Rotwein.
Welche Pläne hast du für die Zukunft?
Aktuell denke ich vor allem an die nähere Zukunft, d.h. daran, unsere Klinik zu einer Besonderheit in der universitären Landschaft zu machen, an der sich so viele Patientinnen/Kinderwunschpaare wie möglich rundum perfekt betreut fühlen und sich alle Mitarbeiter*innen so wohl fühlen, dass sie unbedingt weiter in unserem Team arbeiten möchten. Die Forschung, die wir an dieser Klinik durchführen, soll entscheidend zur Verbesserung der Behandlungserfolge z.B. von Infertilität und gynäkologisch-endokrinologischen Erkrankungen beitragen.
Bisher hatte ich das Glück, dass ein sehr hoher Anteil meiner Tätigkeiten sehr erfüllend war und es wäre perfekt, wenn dies auch in Zukunft so bleiben wird.
Besten Dank, Brigitte, für das Gespräch!
Prof. em Dr. med. Bruno Imthurn
Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich
bruno.imthurn@uzh.ch