Fortbildung AIM

Interdisziplinarität gefragt

Management von Hypophyseninzidentalomen

Durch vermehrten Einsatz von zerebralen Bildgebungsverfahren, nimmt die Inzidenz der Hypophyseninzidentalome zu. Die interdisziplinäre Evaluation durch eine/n erfahrene/n Neuroradiologin/-en, Neurchirurgin/-en, Endokrinologin/-en und ggf. Neuroophtalmologin/-en ist für jede Läsion notwendig und für das korrekte Management entscheidend.



Hypophysenzindentalome sind, wie der Name suggeriert zufällig (inzidentell) nachgewiesene Veränderungen im Bereich der Hypophyse. Die initiale Bildgebung wurde somit nicht aufgrund der Vermutung einer Läsion durchgeführt. In der westlichen Ländern werden die Bildgebungen häufig im Rahmen von Kopfschmerzabklärungen (40%), gefolgt von Schädel-Hirntraumata und cerebrovaskulären Ereignissen, Sinusitiden, Abklärungen von Beschwerden der Halswirbelsäule bzw. Schwindel und Synkopen durchgeführt (1). Die Prävalenz der Hypophyseninzidentalome unterscheidet sich in den Bildgebungsserien je nach Bildgebungsverfahren und liegt bei ca. 10% (zwischen 4-38%, häufiger in den MRI-Serien gegenüber CT-Serien). Anhand der Grösse der Läsion unterscheidet man Mikro- (<1cm) von Makroinzidentalomen (≥1cm), wobei die letzteren seltener vorkommen (2). Aufgrund der steigenden Verfügbarkeit und Tendenz Bildgebungen durchzuführen in den letzten Jahren, ist eine weiterhin steigende Inzidenz von inzidentellen Hypophysenläsionen zu erwarten, wodurch der Bedarf an Wissen und Kompetenz zur adäquaten Beurteilung und für ein adäquates Management notwendig ist. In der Abbildung 1 wird ein Fall aus der interdisziplinären Hypophysensprechstunde des Universitätsspitals Zürich dargestellt.

Was verbirgt sich hinter einem Hypophyseninzidentalom?

Die Ätiologie der Läsion ist vielfaltig (Tab. 1) (1, 3, 4). Nicht so selten handelt sich bei den Läsionen um bildtechnischen Artefakten ohne morphologischen Korrelat, sowie um anatomischen oder physiologischen (z.B. Zyklusabhängig bei Frauen) Varianten ohne pathologischer Bedeutung.

Die meisten Läsionen sind gutartig und werden selten für die Betroffenen krankheitsrelevant. Deswegen ist es wichtig maligne Läsionen, die häufigste davon sind Kraniopharyngeomen, rechtzeitig zu entdecken. Zudem ist es wichtig Raumforderung zu identifizieren, welche eine hypophysären Hormonfunktionsstörung, sowohl Überfunktion durch beispielweise hormonsezernierenden Adenome, sowie auch eine partielle Unterfunktion durch Mangel an Hormonsekretion des komprimierten hypophysären Gewebe, verursachen. Hinter einem Inzidentalom können sich auch subjektiv unbemerkte kompressionsbedingte neurologische Defizite verbergen, die häufigste davon betreffen die angrenzende Seebahnen, welche für den Patienten und Management relevant sind (1, 2).

Interdisziplinäre Evaluation

Jedes Hypophyseninzidentalom sollte interdisziplinär evaluiert werden.
Die Evaluation startet mit der korrekten Beurteilung und Interpretation der vorhandenen Bildgebung (1, 3). Anhand des Vorliegens bestimmter Merkmale, wie dem Verhalten der Läsion in unterschiedlichen MRI Gewichtungen oder nach Kontrastmittelgabe, bzw. das konkomittierende Vorliegen von Kalzifikationen, kann der beschriebene Befund einer, der in der Tabelle 1 aufgelisteten Entitäten zugeordnet werden. Häufig ist eine erneute oder ergänzende dezidierte Bildgebung mit spezifischen Protokollen für die Sellaregion hierfür notwendig. Eine histologische Evaluation des Befundes, mittels Biopsie-/Teilentfernung, ist nur in seltenen Fällen notwendig und wird im individuellen Fall interdisziplinär festgelegt. Ausserdem ist in der radiologischen Beurteilung von grosser Relevanz, dass in der Bildgebung die Affektion der umliegenden Strukturen, insbesondere der Hirnnerven, evaluiert und beschrieben wird.

Ein weiterer Bestandteil der initialen Evaluation ist die endokrinologische Aufarbeitung (Tab. 2) (2, 3, 5). Eine fachspezifische Anamnese, klinische Untersuchung sowie adäquate Laboranalyse, bei Bedarf mit dynamischer Testung (Funktionstests), sind notwendig um eine Übersekretion oder einen Mangel der hypophysären Hormone festzustellen bzw. auszuschliessen.
Während die vollständige Untersuchung nach Hormonhypersekretionen nur bei Adenom-verdächtigen Läsionen vorgenommen werden sollte, soll die Bestimmung des Prolaktins bei jeder Raumforderung erfolgen.

Eine Hyperprolaktinämie kann in diesen Fällen zwei verschiedenen Ursachen haben. Einerseits kann eine autonome Prolaktin Sekretion durch ein Hypohysenadenom (Prolaktinom) bedingt sein. Andererseits kann das durch eine kompressions-bedingte fehlende physiologische Hemmung der Prolaktinsekretion (die dopaminerge Innervation, welche für die Hemmung der Prolaktinsekretion notwendig ist, verläuft von Hypothalamus ausgehend durch den Hypophysenstiel zu den Prolaktin-sezernierenden Zellen der Hypophyse) zu einer sogenannten «Enthemmungs-Hyperprolaktinämie» kommen. Dies wird auch «Stiel-Effekt» genannt. Die Prävalenz der hormonaktiven Adenome liegt zwischen 0.04 bis 1 pro 1000 Patienten, wobei eine Enthemmungs-Hyperprolaktinämie in bis zu 15% bei Vorliegen von Makroinzidentalomen beschrieben wird (2).
Häufiger hingegen und in 10 bis 40% der Fälle beschrieben ist ein zumindest partielles Defizit der hypophysären Hormone. Am häufigsten betrifft dieses die Gonaden-Achse, gefolgt von der thyreotropen, corticotropen und somatotropen Achse (2).
Eine neuroophtalmologische Beurteilung, inklusive statischer und dynamischer Gesichtsfeldtestung, ist nur in solchen Fällen notwendig, bei der die Raumforderung Kontakt mit den Sehbahnen hat bzw. diese komprimiert.

Management: Chirurgie oder Follow-Up?

Das weitere Management richtet sich nach den interdisziplinär erhobenen Evaluationsbefunden (1-3, 5, 6). Deshalb ist die enge Zusammenarbeit der verschiedenen Spezialisten im Rahmen spezialisierter Sprechstunden («Hypophysensprechstunde») sowie auch interdisziplinärer Kolloquien («Hypophysenboard») für die weiteren Entscheidungen von Vorteil.

Bei radiologischem Verdacht auf ein Kraniopharyngeom oder eine maligne Erkrankung wird eine Chirurgie angestrebt. Die Chirurgie ist ebenfalls dann die Therapie der Wahl falls ganz unabhängig von der Ätiologie des Inzidentaloms eine Kompression der Sehbahnen mit nachweisbarem neuroophtalomologischem Defizit vorliegt. Dasselbe gilt auch für Adenome mit Hormonaktivität (z.B. Morbus Cushing), mit der Ausnahme von Prolaktinomen, welche primär medikamentös behandelt werden (3, 5). Die moderne Hypophysenchirurgie hat die komplette Entfernung der Raumforderung mit Erhaltung des gesunden Gewebes und der Hypophysenfunktion sowie der neurologischen Funktionen des Patienten zum Ziel (5). Hierzu werden primär minimal-invasive Verfahren über den transnasalen und transphenoidalen Zugang bevorzugt. Diese machen heute bei Hypophysenadenomen insgesamt über 95% aller Eingriffe aus. Die transkranielle Operation hingegen wird nur in Ausnahmefällen vorgenommen, in denen der Erfolg bzw. die Risiken gegenüber einem transnasalen transphenoidalen Zugang überlegen sind, beispielsweise aufgrund der Grösse und besonderen Tumorlage (meistens supra- und parasellär). Um den Resektionserfolg zu steigern und Risiken zu minimieren, setzten moderne Hypophysenzentren auf intraoperative Neuronavigation zur Referenzierung der präoperativ durchgeführten MRI-Bildgebung, sowie den Einsatz von intraoperativen hochauflösenden MR-Bildgebung, was eine Resektionskontrolle und bei Bedarf eine Nachresektion während des Eingriffs ermöglicht (5).

Komplikationen solcher Eingriffe sind relativ selten. Sie erfassen Liquorlecks (0-6%), intrazerebrale Blutungen (<1%), Meningitiden (< 1%) sowie endokrine Störungen wie eine Hypophysenvorderlappeninsuffizienz (2-14%) oder ein Diabetes insipidus centralis bei Verletzung des Hypophysenstiels (3-6%). Die operative Mortalität ist gering (< 0.6%) (5).
Hingegen werden radiologische nicht-suspekte Befunde, welche für ein hormon-inaktives Adenom oder eine zystische Läsion (z.B. eine Rathke-Tasche Zyste) sprechen, ohne Hormonaktivität und unauffälligem neuroophtalmologischem Befund, verlaufsbeobachtet. Eine radiologische sowie auch endokrinologische Verlaufsbeurteilung («Follow Up») ist allerdings in jedem Falle indiziert, da Auffälligkeiten auch erst im Verlauf neu auftreten können (7-10).

In den wenigen uns zur Verfügung stehenden Studienergebnissen wird eine Grössenzunahme der Läsionen in ca. 5-15% der Fälle beschrieben, wobei der Zeitpunkt der Grössenzunahme in Median zwischen 3.4 – 4.3 Jahren liegt. Als möglicher Risikofaktor wird die initiale Grösse der Läsion beschrieben. Momentan liegen keine weiteren prognostischen Merkmale vor, sodass das Intervall der Verlaufskontrollen in Abhängigkeit von Grösse, Lokalisation der Läsion mit insbesondere Beachtung der Nähe zu umliegenden Strukturen (z.B. Seebahnen), die vermutete Ätiologie und die Gesamtsituation des Patienten und dessen Komorbiditäten individuell nach interdisziplinärer Besprechung festgelegt wird. Schnell wachsende Tumoren bzw. das Auftreten von neuen kompressions-bedingten neurologischen Defiziten stellen die Indikation für eine Chirurgie da.
Das endokrinologische Follow-up dient vor allem der Erkennung von Mangeln hypophysärer Hormone. In einer Fallserie wurden in einer Verlaufsbeobachtungszeit von 10 Jahren in bis zu 25% der Fälle neu aufgetretene partielle Defizite beschrieben (8). Da die Evidenzlage auch hier spärlich ist, sind auch hier neue Register- und Beobachtungsstudien in der Zukunft notwendig.

Unabhängig davon, ob eine Chirurgie oder ein Follow-Up angestrebt wird ist die Hormonsubstitution bei nachgewiesenem Defizit immer indiziert. Ebenso kann sich ggf. die Indikation für eine medikamentöse Behandlung einer Enthemmungs-Hyperprolaktinämie in Spezialfällen (z.B. Fertilitätsbehandlung) ergeben.

PD Dr. med. Zoran Erlic

Klinik für Endokrinologie, Diabetologie
und Klinische Ernährung
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

zoran.erlic@usz.ch

PD Dr. med. Carlo Serra

Klinik für Neurochirurgie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 10
8091 Zürich

carlo.serra@usz.ch

Es liegt kein Interessenkonflikt vor in Verbindung mit dem vorgelegten Manuskript.

◆ Jedes Hypophyseninzidentalom soll interdisziplinär evaluiert werden und ein individuelles Management festgelegt werden. Auch grundsätzlich benigne Läsionen können durch ihr Wachstum und eine Kompression der umliegenden Strukturen (Hirnnerven, gesunde Hypophyse) sowie Hormonfunktionsstörungen krankheitsrelevant werden und somit zur Morbidität des Patienten beitragen.

1. Vasilev, V., et al., MANAGEMENT OF ENDOCRINE DISEASE: Pituitary ‘incidentaloma’: neuroradiological assessment and differential diagnosis. Eur J Endocrinol, 2016. 175(4): p. R171-84.
2. Freda, P.U., et al., Pituitary incidentaloma: an endocrine society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab, 2011. 96(4): p. 894-904.
3. Erlic, Z. and S. Fischli, (CME: Pituitary Incidentaloma in Adults: Key Knowledge for the General Practice). Praxis (Bern 1994), 2020. 109(11): p. 879-887.
4. Freda, P.U. and K.D. Post, Differential diagnosis of sellar masses. Endocrinol Metab Clin North Am, 1999. 28(1): p. 81-117, vi.
5. Maldaner, N., et al., (Modern Management of Pituitary Adenomas – Current State of Diagnosis, Treatment and Follow-Up). Praxis (Bern 1994), 2018. 107(15): p. 825-835.
6. Scangas, G.A. and E.R. Laws, Jr., Pituitary incidentalomas. Pituitary, 2014. 17(5): p. 486-91.
7. Sanno, N., et al., A survey of pituitary incidentaloma in Japan. European Journal of Endocrinology, 2003. 149(2): p. 123-127.
8. Vaninetti, N.M., et al., A comparative, population-based analysis of pituitary incidentalomas vs clinically manifesting sellar masses. Endocrine Connections, 2018. 7(5): p. 768-776.
9. Imran, S.A., et al., Analysis and natural history of pituitary incidentalomas. European Journal of Endocrinology, 2016. 175(1): p. 1-9.
10. Tresoldi, A.S., et al., Clinically Nonfunctioning Pituitary Incidentalomas: Characteristics and Natural History. Neuroendocrinology, 2020. 110(7-8): p. 595-603.