- Deutlich variierende PQ-Zeiten
Auch in früheren, im Fliegerärztlichen Institut in Dübendorf vorgenommenen EKG’s waren die PQ-Intervalle normal gewesen. Der Militarist wurde zur kardiologischen Evaluation überwiesen. Er ist sportlich bestens trainiert und hatte nie kardiale Probleme, so auch nie Phasen mit Palpitationen oder Schwindelattacken. Das EKG war normal, es fand sich eine PQ-Zeit 0.22 sec bei einer Frequenz von 44/min (Abb. 2).
Es fanden sich auch weder in einem 5 Minuten-EKG-Rhythmusstreifen noch während des Belastungstests ein AV-Block I bzw. eine verlängerte PQ-Zeit. Die Echokardiographie war normal. Ein 24 h-EKG konnte aus administrativen Gründen erst später vorgenommen werden. Dabei fanden sich nun abrupte Wechsel von zwei Arten von PQ-Intervallen, normalen und deutlich verlängerten. Der Wechsel von einer kurzen PQ-Zeit zu einer langen PQ-Zeit wurde entweder durch eine ventrikuläre Extrasystole (VES) oder durch eine Verlangsamung des Rhythmus induziert. Und umgekehrt war oft auch eine VES der Auslöser für den Übergang von der langen PQ-Zeit in diejenige mit kurzer PQ-Zeit (Abb. 3). Die Diagnose war nun bestätigt, die man im Prinzip bereits vor der Durchführung dieses Langzeit-EKG’s vermutet hatte.
Diagnose und deren Bedeutung:
Es muss sich um eine duale AV-Knoten-Physiologie handeln, d. h. im AV-Knoten existiert neben einer normal leitenden noch eine zweite, langsam leitende Bahn im Sinne einer dualen AV Knoten Physiologie. Wenn der Stromimpuls den Weg über den slow pathway nimmt, wird die PQ-Zeit verlängert. Offensichtlich leitet diese Bahn im vorliegenden Fall aber sehr langsam, deshalb kommt es zu dieser extrem langen PQ-Zeit von 0.50 sec.
Das Vorliegen einer Dualität im AV Knoten ist die Basis für AV-Knoten-Reentry-Tachykardien (AVNRT) (1, 2) und auch für die Möglichkeit, mit zwei deutlich unterschiedlich langen PR-Intervallen überzuleiten. Der fast pathway wird bei der Überleitung über den slow pathway jeweils retrograd penetriert («concealed conduction»), was ihn mit jeder Überleitung für die folgende wieder refraktär macht. Der Wechsel vom fast auf den slow pathway erfolgt oft durch Extraschläge oder rasche Veränderungen des autonomen Tonus. Der Rhythmus mit Leitung über den slow pathway wird nicht selten mit einem junktionalen Rhythmus verwechselt, da die P-Wellen sich auf der T-Welle oder im QRS-Komplex verstecken können. Die AV-Dyssynchronie verursacht in 2/3 der Fälle milde bis mässige Symptome im Sinne eines Schrittmachersyndroms, was mit einer Ablation des slow pathways behoben werden kann (3). Es hängt von den Leiteigenschaften der Bahnen ab, ob es ebenfalls zu AVNRT kommt und falls ja, bestimmen die Leiteigenschaften, wie hoch die entsprechende Herzfrequenz bei Vorliegen der AVNRT ist. Eine duale AV-Knoten-Physiologie kommt recht häufig vor, es wird eine Prävalenz von 10 bis 35% beschrieben (4). Sie ist aber im Oberflächen-EKG meist nicht sichtbar und hat häufig keine Konsequenzen, d. h. sie geht oft ohne tachykarde Rhythmusstörungen einher. Eine EKG-Manifestation, wie wir sie in unserem Fall vorgefunden haben, findet sich selten. Meist wird die duale AV-Knoten-Physiologie erst in der elektrophysiologischen Abklärung bei der Abklärung von paroxysmalen Tachykardien entdeckt (1, 3, 5, 6, 7).
Beurteilung des Patienten bezüglich seiner Tauglichkeit als professioneller Militarist für Sondereinsätze:
Der Kardiologe schrieb an das FAI/AeMC folgendes: «Rein theoretisch können bei diesem Patienten tachykarde Rhythmusstörungen durch einen Reentry-Mechanismus ausgelöst werden. Der Patient hat bisher keine Phasen von Palpitationen bzw. nie ein Herzrasen gehabt. Im Prinzip könnte bei ihm eine solche Rhythmusstörung in Zukunft auftreten. Diese würde aber nicht sehr tachykard sein, denn die erwähnte lange Überleitungszeit im slow pathway verhindert eine sehr hohe Frequenz. Dies bedeutet wiederum, dass der Patient höchstens oligosymptomatisch sein würde, falls er eine solche Rhythmusstörung haben sollte, und dass diese keineswegs beispielsweise zum gefährlichen Zustand einer «Sudden incapacitation» führen würde. Und dies bedeutet auch, dass der Patient aktuell keine elektrophysiologische Abklärung benötigt, und dass er in seiner militärischen beruflichen Tätigkeit als uneingeschränkt tauglich deklariert werden kann.»
Dr. med. René Maire
Kardiologische Praxis
Bahnhofstrasse 20, 8708 Männedorf
<maire@hin.ch>
Dr. med. Yannic Mathieu
Dr. med. Denis Bron
Fliegerärztliches Institut FAI/AeMC
Bettlistrasse 16, 8600 Dübendorf
PD Dr. med. Christian Binggeli
HerzGefässZentrum Zürich
Kappelistrasse 7, 8002 Zürich
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Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
◆ Ein Holter EKG mit zwei verschieden langen P-R Intervallen (intermittierender AV Block I) mit plötzlichem Wechsel ist sehr verdächtig für das Vorliegen einer dualen AV-Knoten Physiologie. Milde bis mässige Symptome wie intermittierend auftretender Schwindel, Leistungsintoleranz oder thorakaler Druck sind dabei oft mit der Leitung über den slow pathway assoziiert und können therapiert werden (Ablation).
1. Brugada J, Katritsis D G, Arbelo E et al. 2019 ESC Guidelines for the management of patients with supraventricular tachycardia. Eur Heart J 2020;41:655-720
2. Carrizo A G, Ballantyne B, Baranchuk A. Atrioventricular node reentrant tachycardia. Book: Reference Module in Biomedical Sciences 2017/12/31
3. Badhwar N, Scheiman M M. Duality of AV nodal conduction. J Am Coll Cardiol EP 2016;2:375-6
4. Mani B C, Pavri B B. Dual atrioventricular nodal pathways physiology: A review of relevant anatomy, electrophysiology, and electrocardiographic manifestations. Indian Pacing and Electrophysiology Journal 2014;14:12-25
5. Kanjwal K. A rare evidence of a dual atrioventricular nodal physiology in a patient with narrow complex tachycardia. J Innov Cardiac Rhythm Manage 2018;9:3425-6
6. Park J S, Hwang H J, Young B et al. Clinical and electrophysiologic characteristics before and after radiofrequency ablation of sustained slow atrioventricular nodal pathway conduction. J Am Coll Cardiol EP 2016;2:367-74
7. Hartmann J, Jungen C, Stec S et al. Outcomes in patients with dual antegrad conduction in the atrioventricular node: Insights from a multicentre observational study. Clinical Research in Cardiology 2020;109:1025-34
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- Vol. 11
- Ausgabe 5
- September 2021