- Lebensqualität von Hypothyreose-Patienten, die mit Levothyroxin behandelt werden – ein kritischer Überblick
Lebensqualität von Hypothyreose-Patienten, die mit Levothyroxin behandelt werden – ein kritischer Überblick
Die Schilddrüsenhormonersatztherapie (THRT), in der Regel auf der Basis von oralem Levothyroxin (LT4), ist ein sicheres und wirksames Mittel zur Behandlung von Hypothyreose (1-5). Das klinische Ziel besteht darin, die Symptome zu lindern und anschliessend den Schilddrüsenhormonspiegel zu normalisieren. TSH gilt als der empfindlichste und spezifischste Marker für den Schilddrüsenstatus (6). Bei den meisten mit LT4 behandelten Patienten treten bei einem TSH-Serumspiegel zwischen 0,4 und 4,0 mU/L weniger Symptome einer Hypothyreose auf. Dennoch klagt ein kleiner Teil der mit LT4 behandelten Patienten (je nach Studie etwa 5 bis 10%) über anhaltende Symptome einer Schilddrüsenunterfunktion, Stimmungsstörungen und eine schlechte gesundheitsbezogene Lebensqualität, selbst wenn die Schilddrüsenfunktion biochemisch normal ist (7-9).
Wohlbefinden und Lebensqualität sind nicht einfach gleichzusetzen mit einem angemessenen materiellen Lebensstandard oder dem Fehlen von Krankheiten. Die Lebensqualität ist definiert als die Art und Weise, wie das Wohlbefinden einer Person im Laufe der Zeit durch eine Krankheit, Behinderung oder Störung beeinträchtigt wird (7-9), kann aber auch als die Differenz zwischen den Hoffnungen einer Person und ihrem tatsächlichen Zustand betrachtet werden (10). Daher ist die Lebensqualität eine subjektive Variable, die affektive, kognitive und verhaltensbezogene Bereiche umfasst (11-12). Diese Subjektivität bedeutet, dass Vergleiche der Lebensqualität zwischen Individuen und Gruppen (z.B. zwischen aktiv behandelten und mit Placebo behandelten Patienten oder bezüglich Stichproben in der Allgemeinbevölkerung) problematisch sind (13). Forscher haben versucht, die Lebensqualität mit psychometrisch gültigen generischen oder krankheitsspezifischen Instrumenten zu kodifizieren. Die Tatsache, dass eine grosse Anzahl von Instrumenten zur Erfassung der Lebensqualität entwickelt wurde, spiegelt die Komplexität dieser Variable und die Unterschiede in ihrer Definition wider.
Die Ziele dieser kritischen, narrativen Literaturübersicht waren (i) die Identifizierung von Studien zur Lebensqualität bei Erwachsenen und Kindern mit Hypothyreose (einschliesslich subklinische Hypothyreose), die mit LT4 behandelt wurden, (ii) die Untersuchung der Instrumente, die zur Messung der Lebensqualität in den identifizierten Studien verwendet wurden, (iii) die Bestimmung, ob die normale Lebensqualität durch die THRT wiederhergestellt wird, und (iv) die Identifizierung physiologischer, genetischer, demografischer und verhaltensbezogener Faktoren, die mit der Lebensqualität bei Patienten mit Hypothyreose in Verbindung stehen. Zu diesem Zweck suchten die Autoren in der Literatur nach quantitativen Berichten über die Lebensqualität von Patienten, die sich einer Langzeittherapie mit LT4 allein oder in Kombination mit anderen Schilddrüsenhormonen unterzogen und sie konzentrierten sich auf die Ergebnisse randomisierter klinischer Studien, schlossen nicht-randomisierte Studien jedoch nicht aus.
Resultate
Die PubMed-Datenbank wurde vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2020 durchsucht. Insgesamt wurden 809 Veröffentlichungen gesichtet, 129 Volltextartikel wurden gefunden und 58 wurden analysiert. In den Studien zur offenen Hypothyreose wurde eine Verbesserung des psychologischen und emotionalen Wohlbefindens nach einer drei- bis sechsmonatigen Therapie mit LT4 festgestellt, während bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose widersprüchliche
Ergebnisse gefunden wurden.
Eine Kombinationsbehandlung mit LT4 + LT3 scheint nicht zu einer Verbesserung der Lebensqualität zu führen. Es wurden nur sehr wenige prognostische Faktoren für die Lebensqualität identifiziert, die Gewichtszunahme, körperliche Aktivität, Autoimmunität und Ernährung umfassen, aber nicht unbedingt mit dem endokrinen Status der Schilddrüse zusammenhängen. Die Faktoren, die die Lebensqualität bei Hypothyreose beeinflussen, insbesondere die «behandlungsresistente» schlechte Lebensqualität, die bei symptomatischer Schilddrüsenunterfunktion beobachtet wird, müssen jedoch weiter charakterisiert werden. Zu den Perspektiven für die weitere Erforschung der Lebensqualität bei Hypothyreose gehören (i) gleichzeitige Bewertungen mit einem schilddrüsenspezifischen Fragebogen und einem allgemeinen HR-QoL-Fragebogen, (ii) Studien zur Lebensqualität in nicht-älteren Bevölkerungsgruppen mit subklinischer Hypothyreose, (iii) die Auswahl von Kontrollpatientengruppen als Anhaltspunkt für die «normale» Lebensqualität, (iv) Untersuchungen darüber, warum sich die Werte für die Teilbereiche der Lebensqualität manchmal in entgegengesetzte Richtungen verändern (z.B. eine Verbesserung der körperlichen LQ und eine Verschlechterung der psychischen LQ) und (v) die Untersuchung der Beziehungen zwischen LQ-Fragebögen, Symptomen und anderen von den Patienten berichteten Ergebnissen (z.B. die offensichtliche Präferenz der
Patienten für eine LT4 + LT3-Kombinationstherapie (14).
Schlussfolgerungen
Die THRT bringt die Lebensqualität oft innerhalb von 3 bis 6 Monaten auf ein nahezu normales Niveau zurück. Vor allem bei Patienten mit subklinischer Hypothyreose wurden allerdings widersprüchliche Ergebnisse gefunden. Dies gilt für die Behandlung mit T4 und mit T3, die zu keiner Verbesserung der Lebensqualität zu führen scheint. Es wurden aber nur sehr wenige prognostische Faktoren für die Lebensqualität identifiziert, die Gewichtszunahme, körperliche Aktivität, Autoimmunität und Ernährung einschliessen und nicht unbedingt mit dem Schilddrüsenstatus zusammenhängen. Die Faktoren, die die Lebensqualität bei Hypothyreosen beeinflussen – insbesondere die «behandlungsresistente» schlechte Lebensqualität, die bei symptomatischer Schilddrüsenunterfunktion beobachtet wird – müssen weiter charakterisiert werden, so die Autoren.
Quelle: Borson-Chazot F et al. What Is the Quality of Life in Patients Treated with Levothyroxine for Hypothyroidism and How Are We Measuring It? A Critical, Narrative Review. J Clin Med. 2021; 10: 1386. Published online 2021 Mar 30. doi: 10.3390/jcm10071386
riesen@medinfo-verlag.ch
1. Hennessey JV Endocrine. 2017;55:6–18
2. Jonklaas J et al. Thyroid. 2014;24:1670–1751
3. Mateo RCI, Hennessey J.V. Endocrine. 2019;66:10–17
4. Biondi B, Cooper D.S. Endocrine. 2019;66:18–26
5. Villar HC et al. Cochrane Database Syst. Rev. 2007:CD003419
6. Sheehan M.T. Clin. Med. Res. 2016;14:83–92
7. Winther KH et al. PLoS ONE. 2016;11:e0156925
8. Bianchi GP et al. GQual. Life Res. 2004;13:45–54
9. Wiersinga WM et al. Eur. Thyroid J. 2012;1:55–71
10. Calman K.C. J. Med. Ethics. 1984;10:124–127
11. Diener E., Oishi S., Lucas R.E. Annu. Rev. Psychol. 2003;54:403–425
12. Campbell A. Am. Psychol. 1976;31:117–124
13. Leplege A., Hunt S.. JAMA. 1997;278:47–50
14. Appelhof B.C et al. J. Clin. Endocrinol. Metab. 2005;90:2666–2674
der informierte @rzt
- Vol. 12
- Ausgabe 4
- April 2022