- SpƤtdumping nach Bariatrischem Eingriff
Das SpƤtdumping ist eine hƤufige Komplikation im Langzeitverlauf nach Magenoperationen, speziell nach bariatrischem Eingriff wie beim Roux-Y-Bypass oder bei der Sleeve-Gastrektomie. Die (neuroglykƤmischen) SympĀtome fallen unterschiedlich aus und kƶnnen missinterpretiert werden. Die Diagnostik dazu ist entscheidend. Die Therapie basiert heute auf diƤtetischen Massnahmen, der Pharmakotherapie und in seltenen FƤllen der chirurgischen oder endoskopischen Reintervention. Trotz dem multimodalen therapeutischen Ansatz stellt die SpƤtdumpingproblematik in der haus ā oder spezialƤrztlichen Praxis eine
Herausforderung dar.
Dumping syndrome is a common and frequent complication after gastric surgery, especially after bariatric surgery as Roux-Y-Gastric Bypass or Sleeve-Resection. The (neuroglycemic) symptoms in dumping are multiple and so different and should be suspected so physician awareness is important. Diagnostic tests afford time and may be repeated. Treatment should be primary a diet approach, followed by medication therapy and when this option fails then surgical reintervention can be considered. In spite of different therapeutical options dumping syndrome remains a challenging problem in the follow up after bariatric procedures.
Key Words: Bariatrische Chirurgie, Proximaler Magenbypass, Dumpings Syndrom, postprandiale HypoglykƤmie, Neuroglykopenie, Somatostatine,
GLP-1 Analoga, Magenbanding
Fallvignette
AnlƤsslich der 2-Jahres-Kontrolle an unserem Adipositaszentrum nach Magenbypassanlage bei III-Adipositas (BMI prƤoperativ von 46 kg/m2, aktueller BMI 28 kg/m2), klagt eine 34-jƤhrige Patientin, Nichtdiabetikerin, seit etwas mehr als einem halben Jahr über Ćbelkeit, Zittern, Schwitzen und Ā«schwacheĀ» Beine. Dies tritt typischerweise wie sie angibt etwa 2 Stunden postprandial auf,
ca.ā1āmal die Woche, und unabhƤngig was sie einnimmt. Sie isst dabei recht schnell, hat beruflichen Stress und wenig Zeit über Mittag. Sie muss sich oft nach dem Essen ein paar Minuten hinlegen. Sie nimmt dann unterwegs Traubenzucker oder KnƤckers mit und kann so die Situation bei der Arbeit im Verkauf besser überbrücken. Gelegentlich muss sie wegen Erschƶpfung nach Hause und macht sich berechtigterweise auch Sorgen um ihre Arbeitsstelle. Zudem stellt sie wieder eine Gewichtszunahme von 8 kg fest was sie irritiert. Die repetitiven Bestimmungen des Blutzuckers zeigen teils normale Werte, teils Werte aber unter 3.5 mmol/l. Ein halbes Jahr postinterventionell als sie damals wieder Ā«normalĀ» essen konnte gab sie klassische Frühdumpingprobleme mit Ćbelkeit und Schwindel und hypotonen Blutdruckwerten an, die aber unter Anleitung unserer ErnƤhrungsberatung und erfolgreicher Ćnderung des Ess- und Trinkverhaltens deutlich besserten. Mit der Diagnose eines sog. SpƤtdumpings wird sie nun wiederum engmaschig durch unsere ErnƤhrungsberatung betreut und die Kohlenhydratzufuhr optimiert. Flüssige KH-Zufuhr wie SüssgetrƤnke, Red Bull oder alkoholische GetrƤnke werden verneint, eher schon Süssspeisen und Snacks. Bei geringer Wirkung dieser Massnahmen erfolgt eine medikamentƶse Unterstützung, doch wegen fehlender Medikamenten Compliance haben wir uns schliesslich entschieden, laparoskopisch ein Minimizer-Band im Bereich der Anastomose zu implantieren. In der Zwischenzeit, 6 Monate postoperativ, haben die Beschwerden deutlich gebessert, treten auch nicht mehr regelmƤssig auf und ihr Gewicht konnte sie ebenso stabilisieren. Der Langzeitverlauf auch nach operativer Korrektur bleibt aber abzuwarten.
Einleitung
Trotz den auf dem Markt angepriesenen GLP1-Analoga ist die bariatrische Chirurgie heute noch immer die wirksamste Therapie für eine nachhaltige Reduktion des Gewichtes bei morbider Adipositas. Wie eine grosse noch nicht publizierte retrospektive Kohortenstudie mit über 25’000 analysierten Patienten aus einem nationalen Register (BAG) vom Zeitraum 2012 -2018 zeigt, wird in der Schweiz zu fast 80ā% als Eingriffsmethode der proximale Magenbypass (PMB) favorisiert, zu knapp 20ā% noch die Magen-Sleeve-Resektion (1).
Mit der weltweiten Zunahme bariatrischer Eingriffe beobachten wir analog zur medikamentƶsen Therapie auch bedeutende Nebenwirkungen und Komplikationen sowohl im Früh- wie im Langzeitverlauf. Ein relevantes Problem ist die postprandiale HypoglykƤmie mit unterschiedlichen Symptomen was allgemein als Dumping Syndrom (DS) bezeichnet wird (2). Wir kennen aber auch postprandiale HypoglykƤmien bei Bypasspatienten die symptomfrei bleiben wie auch bei Nichtoperierten (Abb.ā1). Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Dumping, ein Früh- und ein SpƤtdumping. Wegen der Magenverkleinerung und dem direkten Anschluss des proximalen Jejunums mit u.a. Ausschluss der duodenalen Passage kommt es zur raschen Entleerung relevanter Nahrungsportionen v.a. Kohlenhydrate in den Dünndarm. Beim Frühdumping kommt es dadurch 30-60 Minuten nach dem Essen zu einem Shift von FlüssigkeitsĀvolumen in das Darmlumen sowie dem Auslƶsen gastrointestinaler Hormone was zu lƤstigen vasomotorischen und gastro-intestinalen Symptomen führt. Das SpƤtdumping erfolgt dagegen 2-3 Stunden spƤter postprandial, vorwiegend nach Einnahme niedrigwertiger Kohlenhydrate und folgender meist inkretingesteuerter HypoglykƤmie. In der Literatur ist der Begriff SpƤtdumping oft ungleich definiert, aber man ist sich einig, dass es den gleichen pathophysiologischen Hintergrund hat wie das Nichtinsulinoma Pankreatogene HypoglykƤmische Syndrom (NIPHS) und die Neisidioblastose. Als pathologischer Wert wird ein BZ von<2.8mol/l definiert.
Früh- wie SpƤtdumping kann nach allen Formen einer Ćsophagus- oder Magenresektion auftreten, speziell nach totaler Ćsophagektomie und nach Roux-Y-Magenbypass. Wegen der hohen Anzahl operierter Adipositaspatienten nimmt der PMB mit seinen Komplikationen eine grosse Bedeutung in der hausƤrztlichen und AdipositasĀsprechstunde ein, zumal oft fehl- oder unterdiagnostiziert, werden die Folgen davon trotz hohem Leidensdruck gelegentlich unterschƤtzt.
Diese Ćbersichtsarbeit zeigt die Problematik auf unter Analyse der aktuellen Datenlage aber auch aus der eigenen Erfahrung heraus nach über 25 Jahren bariatrischer Chirurgie.
Ursache
GemƤss neuester Literatur sind diese Insulin/Inkretin-Dysregulationen oft multifaktoriell und nicht eindeutig pathophysiologisch geklƤrt. Unklar auch weshalb die HypoglykƤmie nach MagenĀbypass meistens mehr als ein Jahr postoperativ auftreten kann. Man schƤtzt die HƤufigkeit bei 10-15ā% oder mehr, zumal die Dunkelziffer hƶher liegt (3). Nur knapp 0,34ā% der operierten Bypasspatienten in der Schweiz müssen gemƤss der zitierten Kohortenstudie aus dem KS Aarau deswegen hospitalisiert werden (1).
Die HypoglykƤmie ist meist charakterisiert durch eine unproportionale Insulinantwort nach Nahrungsaufnahme bei Magenoperierten, eine Art InsulinübersensitivitƤt v.a nach starker Gewichtsreduktion sowie eine Inselzelldysfunktion nach Bypassanlage. Durch die Passage der Nahrung direkt vom Magenpouch in den proximalen Dünndarm unter Umgehung des Duodenums (Abb.ā2) bewirkt der Bypass einen starken glykƤmischen Effekt mit der Folge überschiessender Inkretin-Sekretion, z.B. bis 10-fach erhƶhter GLP-Sekretion. Zudem scheint, dass nach Bypassanlage die B-Zell-Suppression trotz HyperinsulinƤmie reduziert ist (4).
Diagnostik
Eine akkurate Anamnese ist essentiell zumal differentialdiagnostisch immer auch andere Formen der HypoglykƤmie in Frage kommen. Wie war die Mahlzeit vor Auftreten der Symptome, wie schnell wurde gegessen, was dabei getrunken? In welchem zeitlichen Abstand zur Mahlzeit traten die Symptome auf? Welche Medikamente werden regelmƤssig eingenommen?
Aber: viele Patienten nach Magenbypass klagen über Herzklopfen, Schwächegefühl, Schwindel. Dabei kann es sich wohl um Dumping-Symptome handeln allerdings ohne nachweisbare Hypoglykämie.
Treten die Beschwerden bei schwerer körperlicher Tätigkeit auf, in nüchternem Zustand (Fastentest!) oder nachts muss zwingend nach anderen Ursachen der Hypoglykämie gesucht werden, z.B. Nichtinselzelltumore, Insulinome, eine schwere Malnutrition etc.
Die Whipple-Kriterien für ein DS (Neuroglykopenische Symptome, messbarer tiefer BZ, Symptombesserung nach Kohlenhydrateinnahme) sind von zentraler Bedeutung (5). Die Symptome können mild oder eben sehr schwer sein und sind daher gefährlich: Kopfweh, Schwitzen, Schwäche, Verwirrung, Palpitationen, Sprachstörungen, Angstzustände, Tremor bis zum Bewusstseinsverlust.
Ein kontinuierliches Glukose-Monitoring kann hilfreich sein, wird aber bei uns nicht routinemässig und nur bei komplexen Fällen durchgeführt. Es gibt auch Fehlwerte, z.B. nachts, wenn der Patient auf dem Sensor liegt. Eine kapilläre BZ-Messung zum Zeitpunkt des Symptombeginns und entsprechend instruierten Patienten genügt in den meisten Fällen.
Ein verlängerter Mahlzeitentest mit Bestimmung von Glucose, Insulin und C-Peptid kann hilfreich sein; in speziellen Fällen bestimmen wir auch das Proinsulin, das GLP-1 und das Glucagon. Ein oraler Glukosebelastungstest ist problematisch bei Magenoperierten und sollte wegen den zu erwartenden schweren Nebenwirkungen nicht mehr durchgeführt werden.
Therapie
Als erste Massnahme nach Diagnose einer postprandialen HypoglykƤmie bedarf es einer exakten Ess- und Trinkanalyse durch den Hausarzt oder die ErnƤhrungsberaterinnen des Adipositaszentrums. Mittels Esstagebuch soll Portionengrƶsse, Nahrungszusammensetzung und Art und Zeitpunkt der aufgetretenen hypoglykƤmischen Symptome erfasst werden. Als DiƤtempfehlung macht dabei ein Verzicht auf Kohlenhydrate wenig Sinn. Vielmehr sollen einfache KH durch komplexe, hochwertige oder Fructose ersetzt werden; diese in kleineren Portionen eingenommen und am besten in Kombination mit Proteinen und essentiellem Fett (6).
Langsames und gutes Kauen der Nahrung, Trinken und Essen dabei strikt trennen gehƶrt ebenso zu den Eckpfeilern der Essumstellung. Eine engmaschige Begleitung durch die ErnƤhrungsberatung in dieser Phase ist selbstverstƤndlich. Zeitgleich muss auch die Supplementation der Vitamine und anderer NƤhrstoffe monitorisiert werden, um eine Mikro- oder Makromalnutrition auszuschliessen.
Koffein und Alkohol sollte wenn mƶglich vermieden werden da es den hepatisch induzierten Glukoseabbau hemmen kann.
Wichtig ist der Einbezug von Angehƶrigen und Arbeitskollegen/Arbeitsgeber, damit alle die Alarmsymptome kennen um mƶglichst vor Eintreten gefƤhrdender Symptome und Folgen entsprechend prƤventive Massnahmen zu ergreifen, z.B. Fahrverbot als Lastwagenchaffeur.
Eine weitere Behandlungsmƶglichkeit parallel zur DiƤtumstellung ergibt sich durch Medikamente. Acarbose, durch Hemmung der intestinalen Alpha-Glucosidase, bewirkt eine verlangsamte Resorption der Glucose. Um Nebenwirkungen wie abdominale KrƤmpfe und Gasretention so niedrig wie mƶglich zu halten soll dieses eintitriert werden, beginnend z.B. mit einer Dosierung von 25 mg p.os. Somatostatinanaloga wie Octreotid, subcutan verabreicht, hemmen die Insulin- und GLP1-Sekretion. Die initiale Dosis betrƤgt hier etwa 50 Microgramm s.c. vor dem Essen (7), spƤter Steigerung bis 100 Microgramm gefolgt von einem Langzeitsomatostatin i.m. verabreicht. Nebst den hohen Kosten haben Somatostatine als Nebenwirkung Durchfall, QT-IntervallverlƤngerung und Risiko einer Cholecystolithiasis.
Neuerdings werden vermehrt auch GLP1-Agonisten eingesetzt, meist Liraglutide, dies wurde bereits in einer Studie von 2013 empfohlen, evidenzbasierte Daten sind aber noch Inhalt laufender Studien (8).
Chirurgische Eingriffe gelten auch heute als letzte Option bei refraktärer medikamentöser Therapie oder bei Malcompliance. Bezüglich Rückwandlungen des Bypasses in die ursprüngliche Form zurück sind Einzelfälle beschrieben ebenso wie das aggressivere Vorgehen der distalen, sog. Linkspankreatektomie zur vermeintlichen Kontrolle der Hyperinsulinämie. Wegen der hohen Komplikationsrate wie auch der Rezidivrate (trotz ausgedehnter Parenchymresektion) können solche Eingriffe nicht empfohlen werden.
In unserem Adipositaszentrum favorisieren wir dagegen seit 7 Jahren eine sog. Magenoutletrestriktion, d.h. der Ćbergang vom kleinen Magenpouch in den Dünndarm wird durch ein laparoskopisch platziertes einfaches Magenband (Abb.ā3) vorsichtig eingeengt (9). Im Gegensatz zur transoralen endoskopischen Anastomosenraffung mit der Gefahr der erneuten Dilatation bleibt das Band stabil an Weite. SƤmtliche Verfahren ob endoskopisch oder laparoskopisch haben aber ihre Risiken wie Magenperforation, zu enge Naht mit Dysphagie, Refluxbeschwerden, Magenbandmigration und das Dumpingrezidiv.
Chefarzt Viszeralchirurgie LUKS Sursee
Co-Leiter Adipositaszentrum Zentralschweiz Standort Sursee
Spitalstrasse 38
6210 Sursee
Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
ā Nach proximalem Magenbypass kann auch Jahre nach der Operation durch eine überschiessende Insulin/Inkretin-Sekretion als Reaktion auf die hohe Glucosezufuhr im proximalen Darm eine schwere HypoglyĀkƤmie resultieren mit neuroglykƤmischen Symptomen und so Kompromittierung der LebensqualitƤt trotz zufriedenstellender GewichtsĀĀabnahme. Diese Symptome müssen ernst genommen werden, benƶtigen eine umfƤngliche AbklƤrung und Therapie. Letztere besteht aus drei SƤulen: ErnƤhrungsberatung mit Ćnderung der Essgewohnheit, Vorstellung am Adipositaszentrum/Endokrinologen und Evaluation einer medikamentƶsen Therapie, bei Persistenz der Symptome ErwƤgung einer restriktiven Chirurgie mit Anastomoseneinengung (gastric outlet restriction).
Literatur:
1. Wildisen A., Schütz P., Rate of cardiovascular events and safety outcomes seven years following gastric bypass versus sleeve gastrectomy, Division of Endocrinology, Diabetes and Metabolism; University Department of Med-icine, KantonsĀspital Aarau, Aarau, Switzerland, publication in evaluation
3. Malik S.Recognition and Management of hyperinsulinemic hypoglycemia after bariatric surgery.Obes Res Clin Pract 2016;10(1):1-14
2. Banerjee A. The role of dumping syndrome in weight loss after gastric bypass surgery.Surg Endosc 2013;27:1573-1578
4. Dirkson C. No islet cell hyperfunction but altered gut-islet regulationand postĀprandial hypoglycemia in glucose tolerant patients 3 years after gastric Bypass surgery. Obes Surg 2016;26(9):2263-2267
5. Salehi M. Hypoglycemia after Gastric Bypass Surgery Current Concepts and Controversies. J Clin Endocrinol Metab 2018; 103(8):2815-2826
6. Stano S. Effect of mealsize and texture on gastric pouchemptying and
glucagonlike peptide 1 after gastric bypass surgery. Surg Obes Relat Dis
2017 ;13(12):1975-1983
7. Myint KS.Prolonged successful therapy for hyperinsulinaemic hypoglycemia
after gastric bypass: the pathophysiological role of GLP-+ and its response to
a somatostatine analogue. Eur J Endocrinol. 2012; 166(5):951-955
8. Abrahamsson N. GLP-1-analogs as treatment of postprandial hypoglycemia
following gastric bypass surgery: a potential new indication?. Eur J Endocrinol 2013; 169(6):885-889
9. Zāgraggen K. Severe recurrent hypoglycemia after gastric bypass surgery 2008;18(8):981-988
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- Vol. 12
- Ausgabe 9
- September 2022