- Tremor – neue Erfahrungen mit fokussiertem Ultraschall
Die Behandlung mit MR-gestütztem fokussiertem Ultraschall (MRgHiFUS) ist ein relativ neues Verfahren zur chirurgischen Behandlung von Tremor-Erkrankungen. Ihre Wirksamkeit und die Behandlungsrisiken konnten in randomisiert kontrollierten Studien erfolgreich geprüft werden, und die Behandlungskosten in der Schweiz werden von den Krankenversicherungen übernommen. Die Methode stellt damit eine weitere mögliche Eskalationstherapie neben der Tiefen Hirnstimulation (THS) dar, über die Patienten informiert werden sollten. Aufgrund der jeweiligen Vor- und Nachteile beider Therapieoptionen kann für Patienten in den meisten Fällen eine klare Behandlungsempfehlung abgegeben werden.
Treatment with MR-guided focused ultrasound (MRgHiFUS) is a relatively new procedure for the surgical treatment of tremor disorders. Its efficacy and treatment risks have been successfully tested in randomized controlled trials, and treatment costs in Switzerland are covered by health insurance. The method thus represents another possible escalation therapy besides deep brain stimulation (DBS), about which patients should be informed. Based on the respective advantages and disadvantages of both therapy options, a clear treatment recommendation can be made for patients in most cases.
Key Words: Focused ultrasound, FUS,Tremor, Essential tremor, Movement disorders
Was für Formen von Tremor gibt es?
Bei Tremor denken Patienten oft als Erstes an Parkinson. Damit liegen sie nicht ganz falsch, doch es gibt daneben zahlreiche andere mögliche Ursachen für Tremor. Dazu zählen beispielsweise ein physiologisches Anstrengungszittern oder ein normales Alterszittern. Krankheiten des Kleinhirns gehen mit einem zerebellaren Tremor einher. Unwillkürliche Muskelanstrengungen bei einer Dystonie können zu einem dystonen Tremor führen, der dann oft als Symptom lange vor dem eigentlichen Problem wahrgenommen wird. Ganze Familien sind oft vom Essentiellen Tremor betroffen und neben weiteren möglichen Ursachen gibt es dann, wie bereits erwähnt, auch den Tremor beim Morbus Parkinson. Entscheidend für die Behandlung des Zitterns ist zunächst die Identifikation des zugrundeliegenden Problems und das Stellen der richtigen Diagnose. Dazu kommen heute oft technische Hilfsmittel zum Einsatz. So kann eine Akzelerometrie beispielsweise viel besser als das menschliche Auge die Frequenz des Zitterns messen und erkennen, ob es sich um ein rhythmisches Zittern handelt, wie beim Essentiellen Tremor oder beim Morbus Parkinson, oder um ein arrhythmisches Zittern wie beim dystonen Tremor. Das Zittern beim Essentiellen Tremor ist durch einen Halte-, Aktions- und insbesondere Intentionstremor charakterisiert, mit Verschwinden des Zitterns in Ruhe und starkem Zittern beispielsweise beim Führen des Löffels oder eines Glases zum Mund. Gerade dies führt bei Patienten typischerweise zum sozialen Rückzug und zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität. Beim Parkinson tritt das Zittern, ganz entgegengesetzt, in Ruhe auf mit Verschwinden des Tremors in Aktion und dann einem für Parkinson absolut typischen Re-Emerging-Phänomen. Natürlich ist eine genaue Differenzierung nicht bei allen Patienten möglich und es gibt Overlap-Syndrome, die Charakteristika unterschiedlicher Tremor-Formen in sich vereinen.
Wann sollte ein Tremor behandelt werden?
Tremor an sich ist nur ein Symptom und viele der oben aufgeführten Erkrankungen sind ohnehin nur einer symptomatischen Behandlung zugänglich. Ein leichtes Zittern ist daher an sich nicht behandlungsbedürftig und oft genügt es, Patienten durch sorgfältige Aufklärung und Information die Angst zu nehmen, wenn sie ein «normales» Alterszittern als erstes Parkinson-Symptom interpretieren. Den Zeitpunkt für eine Therapie legt der Patient fest. Dafür ist sein individuelles Empfinden entscheidend, sowie seine Kompensationsmöglichkeiten. So mag mancher Mensch mit einem Zittern sehr gut und zufrieden leben können. Für den Uhrmacher oder den Hobby-Bastler dagegen kann schon ein leichter Tremor sehr belastend sein. Ein Lehrer mag das Vertrauen in seine Kompetenz gefährdet sehen, wenn Schüler und Eltern ihn aus Unkenntnis des Alkoholkonsums verdächtigen, und auch ein Arzt gewinnt das Vertrauen seiner Patienten nur schwer, wenn er bei der Blutentnahme zittert. Dabei gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Tremor und Alkoholkonsum: Viele Tremor-Formen bessern sich ganz eindrücklich nach Einnahme von Alkohol, was den Patienten oft ganz von allein auffällt und zu einer ungesunden Selbstmedikation führen kann. Solche Situationen müssen in der Betreuung der Patienten erkannt, angesprochen und in die therapeutischen Überlegungen einbezogen werden.
Wie lässt sich Tremor behandeln?
Therapie der Grunderkrankung
Geht der Tremor tatsächlich auf einen Morbus Parkinson zurück, ist die Behandlung der Grunderkrankung das Mittel der ersten Wahl, und höchstwahrscheinlich wird sich neben Rigor und Akinese auch der Tremor nach Dopamineinnahme bessern. Die Behandlung einer Dystonie beispielsweise durch Botulinumtoxin-Injektionen kann auch den sekundär durch die Muskelanspannung auftretenden Erschöpfungstremor behandeln.
Medikamentöse Behandlung
Viele Tremor-Formen sprechen gut auf beruhigende Medikamente wie Betablocker an. Diese sind daher auch das Mittel der Wahl bei den meisten Behandlungsformen, bei denen nicht eine Grunderkrankung direkt behandelt werden kann. Eine typische Therapie wäre beispielsweise Propanolol (Inderal) 240 mg/Tag, wobei das Medikament schrittweise aufdosiert wird und Nebenwirkungen, insbesondere auf Blutdruck und Kreislauf, berücksichtigt werden müssen. Kontraindikationen sind daher Herzinsuffizienz, AV-Block und Asthma bronchiale. Alternativ sollte Primidon (Mysoline) versucht werden, ein Antiepileptikum, welches ebenfalls langsam aufdosiert wird und als Nebenwirkungen zu Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit führen kann.
Eskalationstherapien
Ist der Behandlungswunsch des Patienten gross und ist die medikamentöse Behandlung entweder nicht ausreichend wirksam oder führt sie zu nicht tolerierbaren Nebenwirkungen, ist eine Eskalationstherapie zu erwägen. Dazu stehen in erster Linie die Tiefe Hirnstimulation oder eine Ablation im Bereich des Thalamus als Methoden zur Verfügung.
Die Behandlung von Tremor mit fokussiertem Ultraschall
Die chirurgische Behandlung von Bewegungsstörungen existierte lange vor den medikamentösen Behandlungsoptionen, und gezielte punktgenaue Ablationen von Hirngewebe wurden bereits in den 1940’er Jahren mit Hilfe des von Spiegel und Wycis entwickelten Stereotaktischen Apparates regelmässig durchgeführt (1). Die Entwicklung von Levodopa für die Behandlung des M. Parkinson führte dann beinahe zu einer vollständigen Verdrängung dieser Methoden und der dabei gewonnenen Erfahrung. Seit den 1990’er Jahren setzte sich dann, eingeleitet von der wegweisenden Publikation von Benabid und Pollak (2) die tiefe Hirnstimulation (THS) als neues Verfahren durch. Damit war die Chirurgie bei Bewegungsstörungen zwar wiederbelebt, jedoch in einer anderen Form als ursprünglich. Die tiefe Hirnstimulation erfordert die dauerhafte Implantation von Elektroden in das Hirngewebe und die chronische Stimulation über einen ebenfalls implantierten Neurostimulator. Die Frage ist, warum nach dieser Innovation wieder ein ablatives Verfahren wie der fokussierte Ultraschall eingeführt werden sollte.
Die Antwort dafür findet sich ebenfalls in der jüngeren Medizingeschichte, denn die Situation heute ist keineswegs mit jener vergleichbar, als die etablierten ablativen Verfahren verlassen wurden. So wurden seit dem oben erwähnten «Niedergang» der ablativen stereotaktischen Chirurgie nicht nur Elektroden und Neurostimulatoren entwickelt, sondern auch hochauflösende bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT, um 1972) und Magnetresonanztomographie (MRT, ab 1977). Zusammen mit einem besseren Verständnis des Zusammenspiels der Basalganglien und der Entstehung von Bewegungsstörungen liegt heute eine komplett andere Ausgangssituation vor als in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Zuletzt wurde im frühen 21. Jahrhundert mit dem MRT-überwachten Hochfrequenz-Fokussierten Ultraschall (MRgHiFUS) eine neue Technologie eingeführt, die es erlaubt, Ablationen im Zentrum des Gehirns mit hoher Präzision, Überwachung des Behandlungsfortschritts in Echtzeit und ohne Öffnung des Schädels durchzuführen. Eine Behandlung dauert ungefähr 2 Stunden und wird im Wachzustand durchgeführt. Zuvor werden die Kopfhaare des Patienten komplett abrasiert. Für die Immobilisierung des Kopfes des Patienten wird dieser in einen klassischen Stereotaxierahmen eingespannt und der Patient in Rückenlage auf einem MRT Untersuchungstisch positioniert. Ein Behandlungsgerät («Transducer») wird innerhalb des MRT Scanners über den Kopf des Patienten in Stellung gebracht, und der Raum zwischen Kopfhaut und dem Transducer wird mit Wasser aufgefüllt, welches gleichzeitig der Schalleitung und der Kühlung von Kopfhaut und Schädel dient. Die Energie aus bis zu 1024 Schallquellen wird dann auf einen 3-5 mm grossen Punkt im Zentrum des Gehirns fokussiert, welcher so erwärmt wird. Die Behandlung wird durch kontinuierliche MRT-Thermometrie in Echtzeit überwacht und gesteuert. Eine Erwärmung des Zielbereiches auf 50°C erlaubt die Abschätzung, ob Wirkung und auftretende Nebenwirkungen der Erwartung entsprechen, ohne dass bereits eine permanente Ablation resultieren würde. Für den andauernden Effekt wird das Zielgebiet dann auf 55-60°C erwärmt, wodurch Nervenzellen unverzüglich zerstört werden und der therapeutische Effekt eintritt (Abb. 1).
Um die Chancen und Gefahren dieses neuen Verfahrens einschätzen zu können und um eine hohe Qualität in der Patientenbehandlung in der Schweiz sicher zu stellen, haben sich Experten für die Behandlung von Bewegungsstörungen aus allen grossen Zentren des Landes auf Einladung der Schweizer Gesellschaft für Bewegungsstörungen (Swiss Movement Disorders Society, SMDS) in den Jahren 2020 und 2021 zu dem Thema ausgetauscht und den weltweit ersten nationalen Konsens zur Behandlung mit MRgHiFUS veröffentlicht (3). Bezüglich der Behandlung von Tremor kamen die Experten zu dem Schluss, dass auf Basis von ausreichender Erfahrung und qualitativ hochwertigen Studien die Behandlung mit MRgHiFUS bei Tremor wirksam und sicher ist und als alternatives Verfahren zur DBS angeboten werden sollte.
Wann Fokussierter Ultraschall und wann Tiefe Hirnstimulation?
Meine eigene klinische Erfahrung ist, dass ich bei nur wenigen Patienten nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss komme, dass beide alternativen Behandlungen gleich gut geeignet wären und der Patient es sich allein nach seinen Vorlieben aussuchen kann. Vorteile der Behandlung mit MRgHiFUS sind, dass nur eine kurze Hospitalisation, eine kurze Behandlung in Lokalanästhesie und keine Folgeoperationen (wie Impulsgeneratorwechsel) erforderlich sind. Ausserdem wird kein Implantat verwendet. Somit ist dieses Verfahren besonders gut für Patienten geeignet, die insbesondere unter dem Zittern einer Körperseite (meist der dominanten Seite beim Schreiben, Essen, Trinken) leiden, nicht eng an ein spezialisiertes Zentrum angebunden werden können oder bereits älter sind. Nachteile des MRgHiFUS Verfahrens sind, dass Patienten für die Behandlung im MRT keine nicht MRT-tauglichen Implantate (wie ältere Herzschrittmacher) tragen dürfen, und dass die Haare vollständig abrasiert werden müssen. Die wichtigste mögliche Nebenwirkung einer Ablation im so genannten Nucleus ventrointermedius thalami (Vim) ist eine neu auftretende oder verstärkte Gangunsicherheit. Das Verfahren eignet sich also nicht für Patienten mit einer vorbestehenden Ataxie oder einer ausgeprägten Polyneuropathie. Ausserdem wird aus diesem Grund die Behandlung immer nur auf einer Körperseite durchgeführt, da dem Patienten auf diese Weise Kompensationsmöglichkeiten innerhalb des Cerebello-thalamo-frontalen Netzwerks erhalten bleiben und auftretende Nebenwirkungen in der Regel nur vorübergehend sind. Für die THS ist in der Regel keine Kopfrasur notwendig und aufgrund der Möglichkeit, den Effekt später durch Veränderung von Stimulationsort und -amplitude anzupassen, ist auch eine direkte beidseitige Therapie in nur einer Operation kein Problem. Patienten mit starkem beidseitigem Tremor oder Tremor in der Körperachse (zum Beispiel Kopftremor) wären daher eher Kandidaten für eine THS. In der Tabelle 1 werden die Eigenschaften beider Verfahren einander gegenübergestellt.
Neue Entwicklungen und Trends
Die Behandlung mit MRgHiFUS ist in immer mehr Ländern verfügbar. In der Schweiz ist die Situation besonders günstig, weil neben einer langjährigen Erfahrung mit diesem Therapieverfahren auch ein problemloser Zugang dazu für alle Patienten gewährleistet ist. Die Behandlung wird heute an drei Standorten, darunter den Universitätskliniken Zürich und Genf angeboten und die volle Kostenübernahme durch die Versicherungen ist ebenfalls gesichert. Dadurch konnte wertvolle Erfahrung mit der Behandlung gesammelt werden und zahlreiche Studien zu neuen Einsatzgebieten wurden begonnen oder bereits abgeschlossen (4, 5). In zwei Studien (6, 7) konnte gezeigt werden, dass auch eine bilaterale Behandlung mit zeitlichem Abstand von ca. 6 Monaten wirksam und sicher ist. Auch eine unilaterale Subthalamotomie beim Morbus Parkinson wird erforscht und scheint sich für ein ausgewähltes Patientengut zu eignen (8).
Die ablative Behandlung mit MRgHiFUS erobert sich mit zunehmendem Tempo einen festen Platz unter den Eskalationstherapien bei Bewegungsstörungen und insbesondere bei der Tremorbehandlung. Die Behandlung kann und soll die THS nicht ersetzen, bietet aber eine zusätzliche Chance zur Behandlung dieser wichtigen und an Häufigkeit zunehmenden Gruppe von Erkrankungen.
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Stv. Klinikdirektor Neurochirurgie und
Leiter stereotaktische und funktionelle Neurochirurgie
Universitätsspital Zürich
Frauenklinikstrasse 10
8091 Zürich
Lennart.Stieglitz@usz.ch
PD Dr. Stieglitz ist Mitglied des European Scientific Advisory Boards von Insightec.
◆ Die Behandlung von Tremor mit fokussiertem Ultraschall ist eine
etablierte Alternative zur tiefen Hirnstimulation
◆ Die Wirksamkeit der Behandlung von Tremor und die geringen Risiken des Verfahrens mit fokussiertem Ultraschall konnte in randomisierten kontrollierten Studien bewiesen werden
◆ Die Kostenübernahme für die Behandlung mit Fokussiertem Ultraschall durch die Krankenversicherungen ist in der Schweiz gesichert
1. Gardner J. A history of deep brain stimulation: Technological innovation and the role of clinical assessment tools. Soc Stud Sci. 2013 Oct;43(5):707–28.
2. Benabid AL, Pollak P, Louveau A, Henry S, de Rougemont J. Combined
(thalamotomy and stimulation) stereotactic surgery of the VIM thalamic nucleus for bilateral Parkinson disease. Appl Neurophysiol. 1987;50(1–6):344–6.
3. Stieglitz LH, Oertel MF, Accolla EA, Bally J, Bauer R, Baumann CR, et al.
Consensus Statement on High-Intensity Focused Ultrasound for Functional
Neurosurgery in Switzerland. Front Neurol. 2021;12:722762.
4. Elias WJ, Lipsman N, Ondo WG, Ghanouni P, Kim YG, Lee W, et al. A Randomized Trial of Focused Ultrasound Thalamotomy for Essential Tremor. N Engl
J Med. 2016 Aug 25;375(8):730–9.
5. Bond AE, Shah BB, Huss DS, Dallapiazza RF, Warren A, Harrison MB, et al. Safety and Efficacy of Focused Ultrasound Thalamotomy for Patients With
Medication-Refractory, Tremor-Dominant Parkinson Disease: A Randomized
Clinical Trial. JAMA Neurol. 2017 01;74(12):1412–8.
6. Martínez-Fernández R, Mahendran S, Pineda-Pardo JA, Imbach LL, Máñez-Miró JU, Büchele F, et al. Bilateral staged magnetic resonance-guided focused
ultrasound thalamotomy for the treatment of essential tremor: a case series study. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2021 Sep;92(9):927–31.
7. Iorio-Morin C, Yamamoto K, Sarica C, Zemmar A, Levesque M, Brisebois S, et al. Bilateral Focused Ultrasound Thalamotomy for Essential Tremor (BEST-FUS Phase 2 Trial). Mov Disord Off J Mov Disord Soc. 2021 Jul 20;
8. Martínez-Fernández R, Máñez-Miró JU, Rodríguez-Rojas R, Del Álamo M, Shah
BB, Hernández-Fernández F, et al. Randomized Trial of Focused Ultrasound
Subthalamotomy for Parkinson’s Disease. N Engl J Med. 2020 Dec 24;383(26):2501–13.
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- Vol. 12
- Ausgabe 10
- Oktober 2022