Editorial

Das onkologische Angebot optimieren



Bereits vor zwei Jahren hatte Prof. Roger von Moos in einem Editorial in dieser Zeitschrift über «Smarter Oncology» berichtet. Das eigentliche Thema umfasst Diagnostik, Therapie und Verlaufskon­trollen von Tumorerkrankungen. Erfreulicherweise konnten in der Zwischenzeit weitere Studien und Erkenntnisse hinzugefügt werden, die uns im Alltag bei der Beratung der Patienten unterstützen. Eine schöne Arbeit der Kollegen des Luzerner Kantonsspital zeigt unter dem Titel «Less is more bei medikamentösen Tumortherapien» anhand der wichtigsten Tumorentitäten Möglichkeiten auf, Onkologika ohne Wirkungsverlust zu reduzieren. Die nützliche Zusammenstellung lässt sich nachlesen auf:
https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2023.09307

Wie steht es um die molekulare Diagnostik, die zunehmend in der täglichen Praxis verordnet wird und die, bei entsprechenden genomischen Veränderungen, zum Einsatz einer zielgerichteten Therapie führen könnte? Die ESMO Precision Medicine Working Group hat sich der Herausforderung gestellt und evidenzbasiert Empfehlungen für verschiedene solide Tumoren herausgegeben. 2021 wurde in die beiden ESMO-Guidelines für GIST und fortgeschrittenen Brustkrebs, die neu entwickelte ESMO Scale for Clinical Actionability of Molecular Targets (ESCAT) integriert. Anhand der Scores können genomische Veränderungen und dazu passende Medikamente klassifiziert werden. ESCAT evidence tier I bedeutet «ready for routine use», ein ESCAT evidence tier II wird als “investigational” eingestuft, ESCAT III und IV stehen für ein klinisches resp. präklinisches “hypothetical target”, ESCAT tier V für “combination development”, schlussendlich gehört zu ESCAT tier X wohl der Grossteil an genomischen Veränderungen und steht für “lack of evidence”. Ab 2022 folgten ESCAT-Scores für Schilddrüsen-, Magen- und Speiseröhrenkrebs, metastasierten Dickdarmkrebs, Speicheldrüsen-, Gallengangs- und Pankreaskrebs, Prostatakrebs, Onkogen abhängiges metastasiertes NSCLC und für Gliome. Von einer Therapie ausserhalb Evidenz Level I-II sind Vorteile für Patienten als gering zu beurteilen. Allerdings kann ein Target im Laufe der Zeit einen höheren Evidenzlevel erreichen, d.h. ESCAT ist nicht statisch. ESCAT ermöglicht eine Harmonisierung der therapeutischen Verwendung von genomischen Alterationen in Tumoren, die in den Diskussions- und Entscheidungsprozessen der institutionellen molekularen Tumorboards integriert werden und als Kriterium für eine Kostenerstattung dienen kann: www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0923753419341791.

Ein ebenso hilfreiches Instrument zur Entscheidungsfindung bei onkologischen Therapien ist die 2015 entwickelte und frei zugängliche ESMO Magnitude of Clinical Benefit Scale (ESMO-MBCS) (https://www.esmo.org/guidelines/esmo-mcbs). Dieses Instrument soll den Wert einer onkologischen Therapie durch eine kritische Prüfung der vorhandenen Evidenz einordnen und damit für die Gesundheitsbehörden und Versicherer die Entscheidung über die Verfügbarkeit ermöglichen. Das Modell unterscheidet kurative von nicht-kurativen Tumorsituationen, wobei Kategorie A und B bei kurativen und Kategorie 4 und 5 bei nicht-kurativen Situationen einer beschleunigten Kosten-Nutzenanalyse zugeführt werden sollen. ESMO-MCBS berücksichtigt Krebsmedikamente, die von der European Medicines Agency (EMA) und der US Food and Drug Administration (FDA) zugelassen sind.

Sowohl ESMO-MCBS als auch ESCAT sind dynamische ­Instrumente im Sinne von Up- und Downgrades, je nach aktuellem Stand der Evidenz und Rückmeldungen von Klinikern, Patienten, Repräsentanten der Pharmaindustrie und ESMO internen Peer Reviews.
Die ESMO Clinical Practice Guidelines berücksichtigen und integrieren sowohl ESMO-MCBS als auch ESCAT. Einige Länder verwenden die Empfehlungen bereits für ihre Kosten-Wirksamkeits-Bewertungen von medizinischen Leistungen (Health Technology Assessment, HAT).

Insgesamt gehen diese Entwicklungen in die erwünschte Richtung, sie können durch unsere Berücksichtigung im Alltag gefördert
werden.

Dr. med. Silvia Hofer

Dr. med. Silvia Hofer

Universitätsspital Zürich
Institut für Pathologie und Molekularpathologie
Schmelzbergstrasse 12
8091 Zürich

silvia.hofer@usz.ch

info@onco-suisse

  • Vol. 13
  • Ausgabe 4
  • Juli 2023