Editorial

Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz: Eine Herausforderung für die Effizienz und Innovation

  • Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz: Eine Herausforderung für die Effizienz und Innovation


Das Gesundheitswesen in der Schweiz gilt als eines der besten, wenn auch nicht effizientesten der Welt, doch es steht auch vor der Herausforderung der Überregulierung. Diese wirkt sich negativ auf die Effizienz, die Innovationskraft und letztlich auch auf die Qualität der Patientenversorgung aus.

Ein zentrales Problem ist die Vielzahl an Vorschriften und Gesetzen, die sowohl für Leistungserbringer als auch für Patienten oft schwer verständlich sind. Die daraus entstehende Komplexität führt zu einem hohen administrativen Aufwand und kann Entscheidungen verzögern. Ärzte und Pflegekräfte verbringen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie, statt sich um die direkte Patientenversorgung zu kümmern. Viele Ärztinnen und Ärzte beginnen ihre Laufbahn gar nicht erst in der Patientenarbeit – schätzungsweise rund 25 % – oder steigen rasch wieder aus. Unattraktive Anstellungsbedingungen und überbordende Administration werden als Hauptgründe genannt. Auch im Pflegebereich zeigt sich ein ähnliches Bild.

Ein weiterer Aspekt ist die Innovationsbremse, die durch übermässige Regulierungen entstehen kann. In einem sich schnell entwickelnden Bereich wie der Medizintechnik und der digitalen Gesundheit ist es entscheidend, dass neue Technologien und Behandlungsmethoden schnell und effizient in die Praxis umgesetzt werden können. Überregulierung kann jedoch dazu führen, dass vielversprechende Innovationen unnötig lange auf Genehmigungen warten müssen, was letztlich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Gesundheitswirtschaft gefährdet.

Besonders problematisch ist auch, dass Überregulierung Innovationen ausbremst. Doch langwierige Genehmigungsverfahren gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitsstandorts Schweiz. Kleine Praxen und Start-ups, denen Ressourcen fehlen, haben Mühe, die komplexen Anforderungen zu erfüllen, und geraten gegenüber grösseren Institutionen ins Hintertreffen. Die Schweiz rühmt sich ihrer Innovationskraft, verliert aber an Attraktivität für klinische Forschung und industrielle Umsetzung. Viele Start-ups weichen in Länder wie die USA aus, wo bessere Bedingungen und mehr Risikokapital locken.

Neben der Flut an Vorschriften erschwert auch Mikromanagement den Alltag im Gesundheitswesen. So sollte etwa das Herausschneiden einzelner Tabletten aus einer Folie als Medikamentenzubereitung gelten – mitsamt Bewilligung, Schulungspflicht und Zertifikat. Nach Kritik wurde die Teilabgabe zwar geregelt, doch die Vielzahl an beteiligten Behörden – Swissmedic, BAG, BWL (nein, nicht die Betriebswirtschaftslehre, sondern das Bundesamt für Wirtschaftliche Landesversorgung), Kantone – führte zu uneinheitlichen Lösungen. In manchen Kantonen war es teilweise erlaubt, in anderen nur für Apotheken, nicht aber für Ärzte. Dass Letztere operieren dürfen, aber keine Tablette aus der Blisterfolie schneiden, ist ein weiteres Beispiel für die Abwesenheit gesunden Menschenverstands – man denkt unweigerlich an den Vorschlag einer ehemaligen Bundesrätin, eine Bewilligung fürs Grosi einzuführen, wenn es am Mittwochnachmittag die Enkel betreuen will.

Um die Herausforderungen der Überregulierung zu bewältigen, braucht es einen konstruktiven Dialog im Gesundheitswesen. Eine gezielte Vereinfachung der Vorschriften könnte helfen, Effizienz und Qualität der Versorgung besser in Einklang zu bringen. Es braucht ein neues Gleichgewicht zwischen notwendiger Kontrolle und Raum für Innovation.

Insgesamt ist die Überregulierung im Gesundheitswesen der Schweiz ein Thema, das dringend angegangen werden muss, um die Stärken des Systems zu bewahren und gleichzeitig Raum für Fortschritt und Verbesserung zu schaffen. Wer in der Politik hat den Mut das anzupacken?

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

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  • Vol. 15
  • Ausgabe 2-3
  • Mai 2025