- Impfmanagement und Kommunikation zu Impfungen in der Hausarztpraxis
Im Rahmen des diesjährigen Herbstkongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), präsentierte Dr. med. Thomas Steffen, Facharzt für Prävention und Public Health, am Moderna-Symposium aktuelle Daten zur Impfbereitschaft bei Erwachsenen und zeigte auf, warum Prävention im Alltag oft an einfachen Hürden scheitert.
Abstand zwischen Empfehlung und Realität
Trotz klarer Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF) bleibt die Impfquote bei Schweizer Erwachsenen tief. Besonders gefährdet sind ältere und multimorbide Personen. Nur ein kleiner Teil der über 65-Jährigen ist gegen Influenza, COVID-19 oder RSV geschützt, obwohl diese Infekte die häufigsten Ursachen schwerer Atemwegserkrankungen darstellen. Dr. Steffen stellte die zentrale Frage: Warum gelingt es uns trotz des Wissens um die Wirksamkeit von Impfungen nicht, einfache Präventionsmassnahmen konsequent umzusetzen? Der Workshop richtete den Blick auf diese Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten und fragte nach den Gründen.
Krankheitslast: Atemwegsinfekte bleiben dominierend
Anhand von Surveillance-Daten des BAG und der Sentinella-Ärzte zeigte Steffen, dass Influenza und COVID-19 auch 2024/25 die Hauptursachen viraler Atemwegsinfekte bleiben. Hinzu kommt das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV), das bei Erwachsenen lange unterschätzt wurde. In der Altersgruppe über 60 Jahre führen RSV-Infektionen jährlich zu über 5000 Hospitalisationen, mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von zwölf Tagen. COVID-19 und Influenza verursachen in dieser Gruppe zehntausende Spitalaufenthalte und mehrere Tausend Todesfälle. Die im Vortrag gezeigten Zeitreihen veranschaulichten, dass alle drei Viren – Influenza, COVID-19 und RSV – saisonal eng überlappen und jedes Jahr substanzielle Morbidität verursachen. Gerade RSV wurde in der Vergangenheit systematisch unterschätzt; die Präsentation zeigte jedoch, dass die tatsächliche Hospitalisationszahl aufgrund unzureichender Diagnostik vermutlich viermal höher liegt als in den offiziellen ICD-Daten erfasst. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Surveillance-Strukturen in der Schweiz (CH-SUR, Sentinella, Abwasseranalysen) zwar wertvoll, aber fragmentiert sind, was die Einschätzung der Krankheitslast zusätzlich erschwert.
Neue Impfstoffe – ungenutzte Chancen
Im Vortrag wurden die aktuellen Impfempfehlungen vorgestellt:
• RSV-Impfung: empfohlen für alle ab 75 Jahren sowie für 60- bis 74-Jährige mit chronischen Erkrankungen oder Pflegebedürftigkeit.
• COVID-19-Impfung: jährlich für über 65-Jährige und Risikopatienten.
• Influenza-Impfung: jährlich für dieselben Gruppen, idealerweise zwischen Mitte Oktober und Beginn der Grippewelle.
Der Referent hob besonders hervor, dass diese saisonalen Impfungen zeitlich gut koordinierbar sind. Die Möglichkeit der Co-Administration, etwa COVID-19, Influenza und RSV in derselben Konsultation zu verabreichen, wurde im Vortrag als grosse Chance für Hausärztinnen und Hausärzte präsentiert. Damit können Praxisabläufe optimiert und mehrere Präventionslücken gleichzeitig geschlossen werden. Trotz dieser Synergien bleibt die Impfquote in der Schweiz hinter internationalen Vergleichswerten zurück: Länder wie Dänemark oder Spanien erreichen bei Influenza-Impfraten deutlich höhere Werte (um 70 %), während die Schweiz bei unter 40 % liegt. (Das WHO-Ziel für die Influenzadurchimpfung in der Altersgruppe 65+ und Risikogruppen < 65 liegt bei 75 %).
Impfwirksamkeit: Mehr als Infektionsschutz
Der Referent betonte den Zusatznutzen von Impfungen über die reine Infektprävention hinaus. Studien zeigen, dass die Influenza-Impfung nicht nur Hospitalisationen reduziert, sondern auch kardiovaskuläre Ereignisse senkt. Auch die COVID-19-Impfung mindert Todesfälle und Long-COVID-Risiken. Im Vortrag wurden zusätzliche Real-World-Daten präsentiert, die zeigen, dass respiratorische Impfstoffe in der Altersgruppe 60+ eine Wirksamkeit zwischen 30 % und 80 % im Schutz vor schweren Verläufen erreichen. Ergebnisse aus Phase-3-Studien zur RSV-Impfung bestätigen die Wirksamkeit gegen schwere RSV-Erkrankungen von über 80 %. In der Kommunikation mit Patienten sollte auch auf den Zusatznutzen, etwa die Reduktion von Herzinfarkten nach einer Influenza-Impfung, hingewiesen werden. Denn diese indirekten Effekte werden von vielen Patienten unterschätzt.
Warum impfen sich so wenige?
Es wurden mehrere Gründe genannt, u.a.:
• 42 % der Befragten gaben an, den Impftermin einfach vergessen zu haben.
• 33 % hielten sich nicht für gefährdet.
• 29 % fürchteten Nebenwirkungen.
• 21 % glaubten nicht, dass eine Impfung vor der Krankheit schützt.
• 20 % war es zu zeitaufwendig, deswegen zum Arzt zu gehen.
• 15 % lehnen Impfungen generell ab.
Eine im Vortrag gezeigte Schweizer Umfrage (Q4/2024, n=601) belegte zusätzlich, dass 62 % der über 65-Jährigen nicht wissen, dass ihnen eine jährliche COVID-19-Impfung empfohlen wird, und 43 % die Empfehlung für die Grippeimpfung nicht kennen. Nur ein Fünftel plant, sich in der kommenden Saison impfen zu lassen. Besonders problematisch ist, dass viele Menschen ihr persönliches Risiko systematisch unterschätzen und eine vermeintlich «natürliche Immunität» überschätzen, ein Befund, den sowohl eine Pfizer-Umfrage (2025) als auch BAG-Daten bestätigen.
Kommunikation statt Konfrontation
Im letzten Teil stellte der Referent praxisnahe Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte vor. Der Schlüssel liege in Vertrauen, Empathie und klarer Kommunikation.
Seine fünf Punkte gegen Impfskepsis:
1. Vertrauen aufbauen, zuhören, Ängste ernst nehmen.
2. Wissen vermitteln, Nutzen und Risiken verständlich erklären.
3. Impfung als Normalfall darstellen, klare, verbindliche Sprache ohne Druck.
4. Vorbild sein, proaktive Impfkultur im Team.
5. Rahmenbedingungen optimieren, einfache Abläufe, Informationsmaterial bereitstellen.
Hausärztinnen und Hausärzte bleiben laut Steffen die wichtigsten Multiplikatoren. Ihre Empfehlung ist der stärkste Antrieb zur Impfung.
Fazit
Ärztliche Empfehlung bleibt der entscheidendste Faktor: Die Bereitschaft zur Impfung steigt signifikant, wenn sie aktiv und persönlich empfohlen wird. Die hausärztliche Rolle ist damit zentral für höhere Impfquoten. Ebenso sind regelmässige Impfchecks, einfache Abläufe und klare Informationsmaterialien notwendig, damit Impfungen selbstverständlich in den Praxisalltag integriert werden.
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