Die invasive Listeriose – eine seltene und oft schwer verlaufende Infektionskrankheit

Fallbericht

Anamnese

Ein 81-jähriger Patient wird mit Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, Obstipation sowie seit einigen Tagen bestehendem Schwindel und Nausea notfallmässig vom Hausarzt auf die Innere Medizin zugewiesen.
Auf der Notfallstation berichtet der 81-jährige Patient über gastrointestinale Beschwerden mit Nausea, gastroösophagealem Reflux seit wenigen Tagen sowie von einmaligem Erbrechen am Vortag. Im Laufe der letzten 3 Monate ist es zu einem massiven ungewollten Gewichtsverlust von ungefähr 28 kg gekommen. Der letzte Stuhl wurde vor ungefähr 1 Woche abgesetzt. Dieser war von normaler Konsistenz, ohne Blutbeimischung. Kopfschmerzen, Husten, Bauchschmerzen oder Dysurie wurden allesamt verneint.

Vorgeschichte

Der bis anhin rüstige Physiker lebt seit seiner Pensionierung vorwiegend in einer ländlichen Region in Südfrankreich. Er erzählt, dass er dort einheimische Bauern unterstützt, indem er deren Produkte wie Honig, Milch- und Fleischprodukte (Abb. 1) kauft und konsumiert.
Vor 3 Monaten wurde die Neudiagnose eines ossär metastasierten high-grade Urothelkarzinoms des Pyelons links gestellt (Abb. 2). Die Behandlung dieser Erkrankung erfolgt in der Schweiz. Eine palliative Systemtherapie mit Carboplatin/Gemcitabine wurde eingeleitet.

Zudem erfolgte eine palliative Radiotherapie der ossären Metastasen in der LWS und im Beckenbereich. Unter dieser tumorspezifischen Therapie entwickelte der Patient eine schwere ­Hämatotoxizität mit nachgewiesener Panzytopenie. Im Rahmen dieser vorübergehenden Immunsuppression kam es trotz vierfacher Impfung gegen SARS-CoV-2 und einmalig stattgehabter SARS-CoV-2-Infektion drei Wochen vor der aktuellen Hospitalisation zu einer Reinfektion. Klinisch zeigte sich ein milder Verlauf, trotzdem wurde in Anbetracht der Tumorerkrankung eine fünftägige Behandlung mit Paxlovid eingeleitet. Danach kam es zu einer raschen Erholung, sodass wir nicht davon ausgehen, dass es sich damals bereits um eine Listerien-Infektion gehandelt hat. Weiter zeigte sich bei bereits bekannter Refluxösophagitis in einer Kontrollgastroskopie ein CMV-positives Magenulkus, welches adäquat mit Valganciclovir behandelt wurde. Nach vollständiger Erholung und laboranalytischer Regredienz der Neutropenie konnte die Chemotherapie 1 Woche vor Eintritt wiederaufgenommen werden.

Status

Bei Eintritt war der Patient in reduziertem Allgemeinzustand, subfebril mit einer Körpertemperatur von 37.9° C und hypoton (Blutdruck 85/52 mmHg) sowie tachykard (110 Schläge pro Minute). Die periphere Sauerstoffsättigung lag bei 97 % unter Raumluft. Der Patient wirkte dehydriert mit trockenen Schleimhäuten. Es fanden sich im Status keine wegweisenden Auffälligkeiten, insbesondere keine neurologischen Defizite und kein Meningismus.

Befunde

Laboranalytisch zeigte sich ein panzytopenes Blutbild mit einer Leukozytopenie (3.1 x 103/µl), einer schweren Lymphopenie (0.06 x 103/µl), Thrombozytopenie (30 x 103/µl), schwerer Anämie (Hämoglobin 69 g/l) und gleichzeitig erhöhten Entzündungswerten (CRP 115 mg/l). In der Abdomensonographie war kein eindeutiger Infektfokus eruierbar. Ein Harnstau bei tumorbedingt einliegendem Doppel-J-Katheter war nicht ersichtlich.

Differenzialdiagnostik und Therapie

Nach Abnahme von Blut- und Urinkulturen erfolgte entsprechend der prädisponierenden Faktoren eine empirische antibiotische Therapie mit Ceftriaxon intravenös bei Verdacht auf einen unklaren Infekt, wahrscheinlich urogenitalen Ursprungs. Bei einem Hämoglobin von < 70 g/l und bestehender Anstrengungsdyspnoe wurde ein Ery­throzytenkonzentrat transfundiert.

Der Patient wurde aufgrund der fortgeschrittenen Tumorerkrankung und des deutlich reduzierten Allgemeinzustandes auf der Palliativstation hospitalisiert. Ein neuerlicher nasopharyngealer Abstrich zeigte keinen Nachweis von SARS-CoV-2. Nach 24 Stunden konnte sowohl in den aeroben als auch in den anaeroben Blutkulturen ein Wachstum von grampositiven Stäbchen dokumentiert werden. Die weitere Differenzierung identifizierte dabei Listeria monocytogenes. Die antibiotische Therapie wurde anschliessend resistenzgerecht auf Amoxicillin intravenös umgestellt. Trotz adäquater Behandlung zeigte sich klinisch eine zunehmende Vigilanzminderung und Apathie. Am 6. Tag des stationären Aufenthaltes wurde ein generalisierter epileptischer Krampfanfall beobachtet, welcher nach wenigen Minuten mittels Midazolam-Nasenspray durchbrochen werden konnte. Die Lethargie und der epileptische Anfall liessen eine meningeale Beteiligung im Sinne einer Listerien-Meningoenzephalitis vermuten. Gemeinsam mit der Ehefrau wurde in Anbetracht des bekannten metastasierten Tumorleidens auf eine weiter gehende Abklärung mit zerebraler Bildgebung und Liquordiagnostik bewusst verzichtet. Die antibiotische Therapie wurde hingegen unverändert weitergeführt.

Im weiteren Verlauf wurde der Patient zunehmend wacher und zeigte sich in einem gebesserten Allgemeinzustand, sodass die antibiotische Therapie nach drei Wochen gestoppt werden konnte. Schlussendlich bestand die Diagnose einer Listerien-Bakteriämie mit wahrscheinlicher Meningoenzephalitis und eine erneute Panzytopenie im Rahmen der stattgehabten Chemotherapie. Der Patient erholte sich von der Infektion, konnte sich zuletzt wieder selbständig versorgen und daher anschliessend nach Hause entlassen werden.

Hintergrund

Die Listeriose ist eine seltene Infektionskrankheit, welche durch fakultativ anaerobe, grampositive Stäbchen Listeria monocytogenes verursacht wird (1). In der Schweiz gehört die Listeriose zu den meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Die jährliche Inzidenz in der Schweiz liegt bei ca. 40–100 Fällen (2). Risikofaktoren sind eine Immunsuppression, Leberzirrhose, Alkoholüberkonsum, der Gebrauch von Protonenpumpenhemmern und ein Alter von über 50 Jahren. Das mediane Alter von Patienten mit einer invasiven Listeriose liegt gemäss USA-FoodNet bei Nicht-schwangeren bei 72 Jahren, rund 30 % der Infizierten sind aber jünger als 65 Jahre alt. Aus diesem Grund werden in den Guidelines der empirischen Meningitistherapie schon ab 50 Jahren Listerien mit eingeschlossen (3.) Weitere prädisponierende Faktoren sind Neugeborene oder eine Schwangerschaft (4). Als häufigste Kontaminationswege für die ubiquitär vorhandenen Bakterien gilt der Verzehr von kontaminierten Nahrungsmitteln wie Milchprodukten, rohem Gemüse oder Fleisch (1).

Verlauf

Eine Listerien-Infektion erfolgt meist über die orale Aufnahme von kontaminierten Lebensmitteln (5). Patienten ohne Risikofaktoren zeigen in der Regel einen asymptomatischen bis selten milden Verlauf in Form einer afebrilen oder febrilen Gastroenteritis. Ebenso wird häufig über eine unspezifische Symptomatik wie Gliederschmerzen und Kopfschmerzen berichtet (6). Die Inkubationszeit beträgt im Mittel 24 Stunden (7). Die Sensitivität für den Nachweis von Listeria monocytogenes im Stuhl ist sehr gering und wird deshalb nicht empfohlen. Jedoch sollen bei entsprechender Prädisposition Stuhlkulturen zum Ausschluss anderer Infektionen wie Clostridium difficile abgenommen werden (1). Unter rein symptomorientierter Therapie klingen die Symptome in der Regel nach weniger als 2 Tagen ab, und die Patienten erholen sich vollständig (7). Bei Vorliegen von Risikofaktoren können hingegen auch schwere Verläufe beobachtet werden.

Die invasive Listeriose

Zur invasiven Listeriose zählt die Listerien-Bakteriämie, die Neurolisteriose sowie die neonatale Infektion. Sehr selten sind auch fokale Listerien-Infektionen wie eine kutane Listeriose möglich (8). Wie in unserer Fallvignette kann die Symptomatik der invasiven Listeriose mit einer milden, febrilen Gastroenteritis beginnen und anschliessend schwere Verläufe annehmen. Patienten mit einer Bakteriämie berichten über Fieber und allgemeine Schwäche sowie teil­weise gastrointestinale Symptome wie Diarrhoe. Die häufigste Manifestation eine Neurolisteriose ist eine generalisierte Meningoenzephalitis (6). Zu der klassischen Symptomtrias der Meningoenzephalitis gehören Meningismus, Fieber und Bewusstseinsstörungen. In einer prospektiven Kohortenstudie aus Frankreich hatten 17 % der 252 Pa- tienten mit einer Neurolisteriose eine Hirnnervenbeteiligung (9). Bei Hirnnervenparesen wird zusätzlich von einer Rhombenzephalitis gesprochen. Ein epileptischer Anfall wurde in 46 der 252 Patienten beschrieben (18 %) (9). Bei klinischem Verdacht auf eine Neurolisteriose soll eine entsprechende Bildgebung mittels MRI und eine Liquordia­gnostik erfolgen.

Therapeutisch wird Amoxicillin eingesetzt, zudem wird häufig aufgrund synergistischer Wirkung Gentamicin hinzugegeben. Eine Alternative zu den Penicillin-Antibiotika ist Sulfamethoxazol/Trimethoprim, wenn möglich auch in Kombination mit Gentamicin. Der Einsatz von Kombinationstherapien beruht vor allem auf Beobachtungsstudien, welche eine Reduktion der Mortalität bei invasiven Infektionen zeigten. Wenn weder Amoxicillin oder Penicillin noch Sulfamethoxazol/Trimethoprim eingesetzt werden können, ist Meropenem eine gute Alternative, nach Möglichkeit auch zusammen mit Gentamicin. In einer retro­spektiven Studie war die Therapie der invasiven Listeriose mit Meropenem aber mit einer höheren Mortalität assoziiert als bei der Behandlung mit Penicillin (10). Linezolid ist ebenfalls aktiv gegen Listerien, die klinische Erfahrung ist aber limitiert auf Fallberichte, und dessen längerer Einsatz ist mit verschiedenen, unter anderem hämatotoxischen Nebenwirkungen assoziiert. Cephalosporine sind unwirksam.

Bei der invasiven Listeriose wird mindestens eine 3- bis 4-wöchige intravenöse Therapie empfohlen (1). Gentamicin sollte aufgrund seiner Oto- und Nephrotoxizität nicht während der ganzen Therapiedauer eingesetzt werden, sondern nur bis zur klinischen Besserung (1).
Die 3-Monats-Mortalität einer Listerien-Bakteriämie ist sehr hoch und liegt bei 46 %, im Falle einer Neurolisteriose bei 30 % (9).

Diskussion

Bei unserem Patienten konnte in den Blutkulturen Listeria monocytogenes nachgewiesen werden. Auch ohne eine entsprechende Diagnostik musste aufgrund des klinischen Verlaufes von einer Listerien-Bakteriämie mit Meningoenzephalitis ausgegangen werden. Unser Patient war erst kürzlich von seinem Hauptwohnsitz in Südfrankreich zurückgekehrt, wo er seine Vorliebe zu Käse und insbesondere Frischkäse auslebte. Dieser zeitliche Zusammenhang sowie die bestehende Immunsuppression im Rahmen der onkologischen Behandlung legen diesen Kontaminationsweg sehr nahe. Aufgrund der gegebenen Umstände konnten im Ausland keine weiteren lokalen Abklärungen erfolgen.

Das vorbekannte CMV-positive Magenulkus kann als mögliche Eintrittspforte angesehen werden. Obwohl dieses adäquat behandelt wurde, muss davon ausgegangen werden, dass die Schleimhautbarriere nicht vollständig intakt war und als Eintrittspforte für die Listerien gedient haben könnte. Dies lässt sich abschliessend nicht zweifelsfrei klären, könnte jedoch einen Infizierungsweg und weiteren Risikofaktor darstellen. Als weiterer Risikofaktor zeigte sich die regelmässige Einnahme von Protonenpumpenhemmern. Zusammenfassend veranschaulicht dieser Fall den seltenen, jedoch potenziell letalen Verlauf der invasiven Listeriose bei immunsupprimierten und älteren Patienten.

Dipl. med. Lucas Tschalèr

Palliative Care,
Kantonsspital Graubünden, Chur

Dr. med. Felix Fleisch

Infektiologie,
Kantonsspital Graubünden,
Chur

Dr. med. MSc Cristian Camartin

Leiter Palliative Care
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170 Chur
7000 Chur

cristian.camartin@ksgr.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Die Listeriose ist eine seltene Infektionskrankheit. Bei Immunsupprimierten ist sie gefährlich und kann einen letalen Ausgang haben.
2. Die antibiotische Behandlung der invasiven Listeriose besteht aus einer intravenösen Therapie mit Amoxicillin, wenn möglich in Kombination mit Gentamicin. Als Alternative kommt Sulfamethoxazol/Trimethoprim infrage.
3. In der Schweiz besteht beim Nachweis von Listerien eine Meldepflicht.

1. https://www.uptodate.com/contents/clinical-manifestations-and-diagnosis-of-listeria-monocytogenes-infection.
2. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten.exturl.html/aHR0cHM6Ly9tZWxkZXN5c3RlbWUuYmFnYXBwcy5jaC9pbmZyZX/BvcnRpbmcvZGF0ZW5kZXRhaWxzL2QvbGlzdGVyaWEuaHRtbD93/ZWJncmFiPWlnbm9yZQ==.html.
3. van de Beek D, Cabellos C, Dzupova O, Esposito S, Klein M, Kloek AT, Leib SL, Mourvillier B, Ostergaard C, Pagliano P, Pfister HW, Read RC, Sipahi OR, Brouwer MC; ESCMID Study Group for Infections of the Brain (ESGIB). ESCMID guideline: diagnosis awnd treatment of acute bacterial meningitis. Clin Microbiol Infect. 2016 May;22 Suppl 3:S37-62. doi: 10.1016/j.cmi.2016.01.007. Epub 2016 Apr 7. PMID: 27062097.
4. Craig AM, Dotters-Katz S, Kuller JA, Thompson JL. Listeriosis in Pregnancy: A Review. Obstet Gynecol Surv. 2019 Jun;74(6):362-368. doi: 10.1097/OGX.0000000000000683. PMID: 31216045.
5. Koopmans MM, Brouwer MC, Vázquez-Boland JA, van de Beek D. Human Listeriosis. Clin Microbiol Rev. 2023 Mar 23;36(1):e0006019. doi: 10.1128/cmr.00060-19. Epub 2022 Dec 8. PMID: 36475874; PMCID: PMC10035648.
6. Percuoco V, Kemp O, Bolognese M, von Hessling A, Scholte JBJ, Schneider UC. A Case of Fulminant Listeria Rhombencephalitis with Brainstem Abscesses in a 37-Year-Old Immunocompetent Patient: From Vestibular Neuritis to Ondine‘s Curse. J Neurol Surg A Cent Eur Neurosurg. 2023 May 1. doi: 10.1055/a-1994-9207. Epub ahead of print. PMID: 36481996.
7. Ooi ST, Lorber B. Gastroenteritis due to Listeria monocytogenes. Clin Infect Dis. 2005 May 1;40(9):1327-32. doi: 10.1086/429324. Epub 2005 Mar 31. PMID: 15825036.
8. Godshall CE, Suh G, Lorber B. Cutaneous listeriosis. J Clin Microbiol. 2013 Nov;51(11):3591-6. doi: 10.1128/JCM.01974-13. Epub 2013 Aug 21. PMID: 23966491; PMCID: PMC3889738.
9. Charlier C, Perrodeau É, Leclercq A, Cazenave B, Pilmis B, Henry B, Lopes A, Maury MM, Moura A, Goffinet F, Dieye HB, Thouvenot P, Ungeheuer MN, Tourdjman M, Goulet V, de Valk H, Lortholary O, Ravaud P, Lecuit M; MONALISA study group. Clinical features and prognostic factors of listeriosis: the MONALISA national prospective cohort study. Lancet Infect Dis. 2017 May;17(5):510-519. doi: 10.1016/S1473-3099(16)30521-7. Epub 2017 Jan 28. Erratum in: Lancet Infect Dis. 2017 Sep;17(9):897. PMID: 28139432.
10. Thønnings S, Knudsen JD, Schønheyder HC, Søgaard M, Arpi M, Gradel KO, Østergaard C; Danish Collaborative Bacteraemia Network (DACOBAN). Antibiotic treatment and mortality in patients with Listeria monocytogenes meningitis or bacteraemia. Clin Microbiol Infect. 2016 Aug;22(8):725-30. doi: 10.1016/j.cmi.2016.06.006. Epub 2016 Jun 23. PMID: 27345176.

Syndrome von Willebrand acquis: case report et revue de littérature

Presentation du cas

Contexte

Il s’  agit d’  un patient de 59 ans, récemment diagnostiqué d’  une maladie de Waldenström. Il est référé dans un centre universitaire pour gestion d’  une diathèse hémorragique et suspicion d’  un syndrome d’  hyperviscosité avec indication à une plasmaphérèse. Les éléments en faveur d’  un syndrome d’  hyperviscosité comprenaient l’  hyperparaprotéinémie, l’  épistaxis et l’  engorgement des veines rétiniennes au fonds d’  œil. Concernant le traitement de la maladie de Waldenström le patient suit un schéma incluant le bortezomib (Velcade®) et dexaméthasone.

Anamnese

A l’  anamnèse, le patient ne reporte pas de symptômes en lien avec un syndrome d’  hyperviscosité, notamment pas de troubles visuels, signes neurologiques ou dyspnée. En revanche, il décrit l’  apparition d’  une épistaxis récidivant depuis environ 2–3 mois ainsi que des ecchymoses d’  apparition spontanée. Il n’  y a pas d’  autres signes d’  une diathèse hémorragique, notamment pas de méléna, hématurie ou saignement prolongé. A noter que le patient a eu une colectomie post-diverticulite en 2019, sans complication hémorragique dans les suites chirurgicales. Il n’  y a pas de pathologie hématologique connue dans la famille.

Status

Au niveau du status, on objective des hématomes aux niveaux des membres, d’  âges différents. Il n’  y a pas de pétéchies ni de purpura. L’  examen ORL ne retrouve pas de saignement. Le status cardiopulmonaire est sans particularité.

Examens Complémentaires

La fonction rénale est conservée, et aucun trouble électrolytique n’  est objectivé. L’  hémogramme retrouve une hémoglobine stable à 74 g/l, avec un hématocrite à 0.23 l/l, des réticulocytes à 17.8 G/l, et des thrombocytes à 126 G/l. Il n’  y a pas d’  éléments en faveur d’  un syndrome de lyse. L’  électrophorèse des protéines met en évidence des protéines totales à 99 g/l avec un pic d’  IgM à 70 g/l. Les tests de la crase démontrent une hémostase altérée avec TP 70 %, INR 1.2, aPTT 51 sec et temps de thrombine 15 sec. Le fibrinogène et les D-dimères sont dans la norme. Le dosage des facteurs de la coagulation retrouve une diminution de l’  activité du facteur VIII (FVIII) coagulant (29 %) et chromogénique, et du facteur von Willebrand (FVW) activé (17 %) et antigénique (20 %).

Diagnostic

Les analyses de coagulation mettent ainsi en évidence un déficit en FVIII et FVW. Le diagnostic différentiel se pose entre une maladie von Willebrand héréditaire et acquise. Au vu de l’  absence d’  antécédent de diathèse hémorragique, et du contexte hémato-oncologique, le diagnostic d’  un déficit acquis secondaire à la paraprotéinémie est suspecté. Le syndrome de l’  hyperviscosité est évoqué au vu d’  une IgM à 70 g/l, d’  une atteinte rétinienne et de l’  épistaxis.

Traitement

L’  indication à la plasmaphérèse, à but d’ épurer la paraprotéine IgM, est double: pour possible syndrome d’ hyperviscosité (niveau d’ évidence 1B) (1) et syndrome de von Willebrand acquise paranéoplasique. La mise en place de l’ accès vasculaire par cathéter de dialyse fémoral est encadrée par un traitement substitutif (Wilate® 3000 UI: FVW et FVIII avec un rapport 1 : 1). Il bénéficie de deux séances de plasmaphérèses avec anticoagulation loco-régionale par citrate et volume plasmatique échangé de 3900 ml par séance composé de 2 culots de plasma frais congelé et 3000 ml d’ albumine 5 % et 500 ml de NaCl 0.9 %.

Chronologie des événements

Après la première plasmaphérèse les protéines totales diminuent de 99 g/l à 79 g/l, puis à 56 g/l après la seconde plasmaphérèse. Les deux séances de plasmaphérèse conduisent également à une rapide réduction des IgM (de 70 g/l à 15 g/l) en raison de la distribution majoritairement intravasculaire des IgM (80 % intravasculaire) avec peu de phénomène de rebond après les traitements. Les tests de la crase objectivent une augmentation du FVIII et FVW (Fig. 1). Le patient peut ainsi regagner son domicile, avec poursuite du traitement hémato-oncologique en ambulatoire.

Revue de la litterature

Facteur von Willebrand (VWF)

Le facteur Von Willebrand (FVW) est une grande glycoprotéine multimérique qui joue un rôle crucial dans le système de coagulation du sang. Il doit son nom au médecin finlandais Erik von Willebrand (1870–1949), qui a été le premier à identifier la pathologie liée à son déficit en 1926, en la différenciant de l’ hémophilie (2, 3).

Le FVW est une protéine complexe dont la structure comprend plusieurs domaines fonctionnels. Il existe dans le sang sous différentes tailles (multimères), allant de formes plus petites à des formes plus grandes, de plus en plus adhésives. La synthèse du FVW a lieu dans les cellules endothéliales et les mégacaryocytes. Il est ensuite libéré dans la circulation sanguine, où il circule jusqu’ à ce qu’ il soit nécessaire à l’ hémostase (4, 5).
L’ une des deux fonctions du FVW est de faciliter l’ adhésion des plaquettes au site de la lésion vasculaire (Fig. 2). Lorsque les vaisseaux sanguins sont endommagés, exposant le collagène sous-jacent, le FVW se lie au collagène et forme un pont entre la paroi du vaisseau endommagé et les plaquettes. Il joue ainsi un rôle clé dans la formation du clou plaquettaire initial sur le site d’ une lésion vasculaire, favorisant l’ adhésion et l’ agrégation des plaquettes. L’ adhésivité du FVW est directement proportionnelle à la longueur des multimères. Le FVW sert aussi de protéine porteuse pour le facteur VIII, un facteur de coagulation important dans l’ hémostase secondaire. Lorsque le FVW se lie au facteur VIII, il le protège d’ une dégradation rapide, prolongeant ainsi sa présence dans la circulation sanguine et renforçant son activité de coagulation. Le FVW, en enrichissant le FVIII au site de lésion vasculaire, contribue également à la production de la fibrine, le tissu protéique qui renforce le bouchon plaquettaire et forme un caillot sanguin plus durable (6). Un déficit en FVW va donc perturber l’ hémostase primaire et secondaire.
Le déficit héréditaire en facteur von Willebrand entraîne un trouble de la coagulation connu sous le nom de maladie de von Willebrand (MVW). La clinique est souvent peu bruyante. On observe des saignements des muqueuses (gencives et épistaxis), des ecchymoses spontanées, des saignement prolongés ou des saignements menstruels abondants. Il existe différents types de MVW congénitale liée à des anomalies quantitatives (dites de type 1 si le déficit est partiel; type 3 si total) ou qualitatives (types 2) du FWV. La forme acquise, nommée syndrome de von Willebrand, est secondaire à plusieurs pathologies sous-jacentes. Dans cette revue de littérature, nous nous focaliserons sur la forme acquise (2, 7).
Dans le syndrome de von Willebrand acquis (SWa), les niveaux ou la fonction du FVW sont compromis en raison d’ une autre affection médicale. Par exemple, des maladies comme les maladies auto-immunes ou certaines tumeurs malignes peuvent entraîner la production d’ anticorps qui ciblent et détruisent le FVW, contribuant ainsi aux tendances hémorragiques.

Déficit acquis en FVW

a. Rappel épidémiologique
Décrit pour la première fois en 1968 dans le contexte d’ un lupus systémique, le SWa est une pathologie rare, dont la prévalence est certainement sous-estimée en raison du fait que ce diagnostic n’ est que peu souvent évoqué, probablement à cause de la grande variabilité des présentations cliniques. Contrairement à la maladie de von Willebrand congénitale, le SWa se manifeste à un âge plus avancé. Typiquement, on ne retrouve pas d’ antécédents familiaux de diathèse hémorragique. La répartition entre hommes et femmes est égale (8, 9).

b. Physiopathologie
Le syndrome de von Willebrand acquis (SWa) est un trouble rare de la coagulation caractérisé par une déficit acquis quantitatif partiel (type 1) ou qualitatif (type 2) du FVW, secondaire à une pathologie sous-jacente. Le SWa est donc une manifestation d’ une autre affection médicale.
L’ étiologie la plus fréquente est la production par le système immunitaire d’ auto-anticorps qui ciblent le FVW. Ces anticorps entraînent une élimination rapide du FVW de la circulation sanguine, réduisant ainsi son taux et altérant sa fonction. Les anticorps peuvent aussi interférer avec la liaison du FVW aux plaquettes ou faciliter sa dégradation, contribuant ainsi à un déficit en FVW fonctionnel.
Dans le contexte de la macroglobulinémie de Waldenström, les anticorps IgM produits par des lymphocytes anormaux peuvent former des complexes immuns avec le FVW. Ces complexes immuns contribuent à la clairance et à la dégradation du FVW, ce qui entraîne une réduction des niveaux et une déficience fonctionnelle.
D’ autres pathologies peuvent entraîner une protéolyse ou une dégradation accrue du FVW. Des enzymes ou des facteurs activés dans le contexte de certaines maladies peuvent cliver les molécules de FVW, les rendant non fonctionnelles.
Dans certains cas, le SWa peut résulter d’ une diminution de la synthèse du FVW par les cellules endothéliales ou les mégacaryocytes, soit dans le cadre de maladies inflammatoires chroniques qui entraînent un stress oxydatif sur les cellules endothéliales, soit par toxicité de certains médicaments. Dans des autres situations, le FVW est absorbé sur la surface de cellules tumorales.
Les conditions cardiaques qui provoquent une augmentation du stress mécanique ou des turbulences dans les vaisseaux sanguins peuvent contribuer au dépliage et à la dégradation des multimères du FVW par la protéine ADAMTS-13. Ce dépliage réduit l’ activité fonctionnelle du VWF, compromettant sa capacité à participer à la formation de caillots sanguins (10, 11).

c. Étiologies (Tab. 1)
Le SWa est associé principalement aux maladies myéloprolifératives (thrombocytémie essentielle, polycythemia vera) et lymphoprolifératives (myélome multiple, macroglobulinémie de Waldenström), aux maladies auto-immunes (lupus, connectivites), et aux maladies cardiovasculaires (sténose aortique, valve mécanique). Certains médicaments ont été associés au développement du SWa, comme par exemple, l’ acide valproïque et la ciprofloxacine. Enfin d’ autres causes plus rares comme l’ hypothyroïdie, ou des infections (virales et parasitaires) ont également été décrites comme étiologies (8, 10–13). La gammapathie monoclonale de signification indéterminée (MUGS) et le myélome multiple sont les étiologies les plus fréquemment retrouvées (14).


Le SWa peut se manifester sous forme d’ un défaut quantitatif (type 1) ou qualitatif (type 2), en fonction du mécanisme sous-jacent (diminution de la production, augmentation de la clairance, augmentation de la protéolyse, augmentation de l’ absorption). Par exemple, dans le cas de l’ hypothyroïdie, le SWa est généralement de type 1, suggérant une production réduite de FVW. En revanche, les patients présentant des auto-anticorps, une sténose aortique, ou une protéolyse accrue du FVW peuvent présenter un trouble de type 2 (15).
Dans un registre de la Société internationale de thrombose et d’ hémostase (ISTH) (9) qui a rassemblé les données de 211 cas de SWa, les troubles lymphoprolifératifs (y compris les MGUS et le myélome multiple) étaient la maladie sous-jacente la plus fréquente dans 48 % des cas, tandis que les néoplasies myéloprolifératives et les tumeurs solides représentaient 15 % et 5 % des cas, respectivement. Ainsi, 2/3 des cas de SWa sont liés aux maladies hémato-oncologiques.
Dans deux études de 2015, Mital et al. (16, 17) ont objectivés que sur 312 patients atteints de thrombocytémie essentielle (n=170) ou de polycythemia vera (n=142) la prévalence respective du SWa était de 20 % et 12 %.
À noter que le SWa dans les maladies cardiovasculaires n’ a été étudié que très récemment, et que leur proportion est très probablement sous-estimée (18).

d. Manifestations cliniques
La sévérité de la présentation clinique du SWa peut varier considérablement. Certains cas sont asymptomatiques. Les manifestations cliniques typiques sont des saignements cutanéo-muqueux, des pétéchies, des ecchymoses, des saignements gingivaux, des épistaxis, des saignements menstruels abondants et des saignements gastro-intestinaux. La gravité des symptômes peut varier, et les saignements peuvent être spontanés ou excessifs à la suite d’ interventions chirurgicales ou de blessures. La présentation clinique est ainsi très variable, et peut passer inaperçue pendant de nombreuses années (19).

e. Diagnostic
Le diagnostic du SWa se base sur différents tests de laboratoire. Pour identifier un défaut de l’ hémostase primaire, on peut réaliser un test PFA® (Platelet Function Analyzer) qui a une sensibilité de plus de 90 % pour diagnostiquer un déficit en FVW (20). À ce propos, il faut noter que l’ analyse PFA dépend aussi du taux plaquettaire et de l’ hématocrite et que, malgré sa dénomination, il ne permet pas un screening fiable des fonctions plaquettaires. Pour tester l’ hémostase secondaire, on réalise un aPTT qui peut être prolongé car le facteur VIII est lié au FWV.
Plusieurs tests spécifiques évaluent à la fois le niveau et la fonction du FVW pour déceler une diminution du FVW et/ou de son activité fonctionnelle. Les tests clés traditionnels incluent l’ antigène du FVW (VWF:Ag) et la liaison du FVW à son récepteur plaquettaire (glycoprotéine Ib, GPIb), classiquement mesuré à l’ aide du test du cofacteur de la ristocétine (VWF:RCo) et nouvellement à l’ aide de billes couplées avec un récepteur GPIb hyperfonctionnel (VWF:Ac). Il est également essentiel d’ évaluer l’ activité coagulante du facteur VIII (FVIII:C). D’ autres tests fonctionnels, tels que la liaison du FVW au collagène (VWF:CB), doivent également être pris en compte dans des situations complexes. En général, l’ antigène du FVW (VWF:Ag) sera normal ou légèrement diminué, alors que son activité sera-t-elle nettement diminuée (VWF:Ac). Ainsi le ratio VWF:Ac/VWF:Ag est souvent diminué (< 0.7) (21). Il est nécessaire également de réaliser une électrophorèse pour démontrer le déficit des plus grands multimères de FVW. Enfin, il est également possible de mesurer le propeptide du FVW qui permet de distinguer un défaut de production d’ une clearance augmentée (22).
Il existe ainsi plusieurs tests de laboratoire différents dont aucun n’ est très spécifique. Il faut ainsi analyser les multiples tests réalisés, étudier la chronologie des symptômes (notamment l’ âge auquel les premiers symptômes sont apparus), et mener une anamnèse familiale précise afin de préciser au mieux le diagnostic. Il est important de différencier une maladie de von Willebrand congénitale, d’ une forme acquise, car le traitement varie considérablement. Cette différentiation est facilitée par l’ observation de la cinétique de recirculation (estimation de la demi-vie) du FVW transfusé.

f. Traitement (Fig. 3)
Il existe deux types d’ approche thérapeutique dans le SWa. La première approche consiste à s’ attaquer à la pathologie sous-jacente. Le traitement de la cause associée au SWa conduit à l’ amélioration ou à la résolution du syndrome.
La seconde approche consiste à un traitement symptomatique, soit en prévention d’ une situation à risque (chirurgie, grossesse, colonoscopie de dépistage), soit dans le traitement d’ une situation aiguë (hémorragie). La desmopressine (DDAVP), en stimulant le relargage de FVW des cellules endothéliales, et augmentant le taux plasmatique de FVIII, peut permettre de diminuer le risque hémorragique. Le registre de l’ ISTH a rapporté un taux de réussite global avec le DDAVP d’ environ 30 %. La réponse au traitement est toutefois de brève durée et très variée en fonction de l’ étiologie sous-jacente au SWa: 10 % dans les maladies cardiovasculaires, 21 % dans les néoplasies myéloprolifératives, 33% dans les maladies auto-immunes et 44 % dans les troubles lymphoprolifératifs (8, 12, 13, 23, 24).
La substitution plasmatique en FVW et FVIII a également été étudiée avec des résultats favorables. Environ 40 % des patients souffrant de SWa présentent une bonne réponse. La substitution nécessite toutefois un monitoring biologique continu car les réponses sont très variables en termes de durée (8, 12, 13, 25). Les traitements fibrinolytiques, tel l’ acide tranexamique (Cyklokapron®), peuvent également jouer en rôle dans les situations d’ urgence (26).
Les immunoglobulines intraveineuses (IVIG) ont démontré un bon effet dans certains cas, notamment les SWa associés aux tumeurs solides, ainsi que dans les processus auto-immuns et lymphoprolifératifs à IgG (MGUS, myélome multiple) (12, 13, 25). Enfin la plasmaphérèse, qui va éliminer les auto-anticorps et les paraprotéines, est utilisée principalement dans les maladies à IgM.

Maladie de Waldenström

La macroglobulinémie de Waldenström (MW) est un type rare de lymphome non hodgkinien caractérisé par la prolifération de globules blancs anormaux (lymphocytes B) dans la moelle osseuse et la surproduction d’ un anticorps spécifique IgM. L’  âge de survenue moyen est de 71 ans. L’  incidence est faible: 0.3 cas par 100 000 habitants par année. Les symptômes courants sont la faiblesse, la fatigue, l’  anémie, l’  hypertrophie des ganglions lymphatiques, les atteintes neurologiques (23 % de polyneuropathies au diagnostic), et, dans certains cas, le syndrome d’  hyperviscosité dû à des taux élevés d’  IgM dans le sang. Le risque hémorragique est également augmenté, en lien avec plusieurs complications possibles de la MW: SWa, amyloïdose, cryoglubulinémie, hématopoïèse inefficace. Le diagnostic se pose par immunofixation et biopsie de moelle osseuse (27–29).
Dans le contexte de la macroglobulinémie de Waldenström, les anticorps IgM produits par des lymphocytes anormaux peuvent former des complexes immuns avec le FVW. Ces complexes immuns contribuent à la clairance et à la dégradation du FVW, ce qui entraîne une diminution de son taux et une déficience fonctionnelle. Le SWa survient chez 6% des patients atteints de MW, et son incidence augmente proportionnellement au taux d’  IgM. Plus le taux d’  IgM est élevé, plus le risque d’  un SWa est important (30).
Le traitement se base ainsi sur l’  élimination des IgM, pour en diminuer le taux dans des valeurs en dessous de 30 à 60 g/L. La plasmaphérèse est le traitement de choix, mais implique la pose de voies veineuses de gros calibre, avec un risque hémorragique important. Un traitement adjuvant par desmopressine et concentrés de FVW/FVIII est par conséquent utilisé (28, 30, 31). La diminution du taux d’  IgM permet en général de traitement du syndrome von Willebrand acquis.

Conclusion

Le SWa est une pathologie rare, complexe et variée. Sa prévalence est fortement sous-estimée. De nombreuses conditions médicales sont liées à ce syndrome, notamment les hémopathies malignes, les pathologies auto-immunes et certaines pathologies cardiovasculaires. Le diagnostic est posé sur la base d’  une clinique évocatrice, de l’  absence d’  anamnèse familiale pour une diathèse hémorragique, et de divers tests de laboratoire. Le défi réside ensuite dans l’  identification de la pathologie sous-jacente. Son identification est primordiale car elle va guider le traitement causal. Des traitements de support, comme les concentrés plasmatiques en FVW et FVIII, ainsi que les antifibrinolytiques sont utilisés notamment dans les situations d’  urgence, et en prévention de complications dans des situations à risque, comme les chirurgies.

Vincent Jendly

Service de médecine interne
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Rue du Bugnon 46,
CH-1011 Lausanne, Suisse

vincent.jendly@chuv.ch

Dr. med. Nora Schwotzer

Service de néphrologie,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) and Université de Lausanne (UNIL),
Lausanne

Dr. med. Jérôme Voegeli

FMH médecine interne et hématologie FMH/FAMH,
Centre d’ hématologie CMCV,
La Chaux de Fonds

Francisco J. Gomez

FMH médecine interne et hématologie FMH/FAMH,
Centre d’ hématologie CMCV,
La Chaux de Fonds

Dr. med. Sébastien Kissling

Service de néphrologie,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) and Université de Lausanne (UNIL),
Lausanne

Lorenzo Lorenzo

Service et Laboratoire central d’ hématologie,
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) and Université de Lausanne (UNIL),
Lausanne

Les auteurs n’ ont pas déclaré de conflit d’ intérêts en rapport avec cet article

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Palliative Care – eine Herausforderung auch für die medizinische Grundversorgung

Weltweit zeigt sich eine Tendenz, dass in der Grundversorgung tätige Ärzt/-innen sich entscheiden, Menschen in Palliativsituationen nicht bis zum Lebensende zu behandeln, sondern von palliativmedizinisch ausgebildeten Spezialärzt/-innen betreuen zu lassen (1, 2).

Auch in der Schweiz konnte gezeigt werden, dass sich eher jüngere Ärzt/-innen, die vergleichsweise wenige Patient/-innen sehen und sich im Bereich der Palliative Care unsicher fühlen, die von ihnen betreuten ernst erkrankten Menschen am Lebensende in andere Hände übergeben (3). Als Gründe hierfür werden primär Zeitmangel sowie die Unvereinbarkeit mit anderen Verpflichtungen vor allem im familiären Rahmen angegeben; aber auch die Tatsache, dass keine Hausbesuche durchgeführt werden können, die Honorierung mit dem aktuell gültigen TARMED-Tarif unbefriedigend ist und nicht zuletzt, dass besser ausgebildete Spezialist/-innen zur Verfügung stehen, welche die palliative Betreuung am Lebensende zu übernehmen bereit sind. Gemäss einer aktuellen Bedarfsschätzung zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sind aktuell jährlich ca. 50’000 Menschen in der Schweiz auf Palliative Care angewiesen; diese Zahl wird aufgrund der demographischen Entwicklung bis im Jahr 2050 auf 60’000 – 66’000 Menschen ansteigen (4).

Allerdings basieren diese populationsbasierten Bedarfsschätzungen auf Daten der Todesfallstatistik und orientieren sich an der Häufigkeit der Todesfälle aufgrund von unheilbaren und/oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Damit wird der Bedarf an Palliative Care auf den Zeitpunkt des Lebensendes und auf die Todesursache reduziert. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass Palliative Care – wie dies übrigens auch im Rahmenkonzept Palliative Care Schweiz festgehalten ist – nicht nur am Lebensende angezeigt ist und weit über die Symptomkontrolle hinausgeht sowie einem multidimensionalen Konzept entspricht und neben medizinischen Behandlungen auch pflegerische Interventionen, sowie psychologische, soziale und spirituelle Unterstützung beinhaltet, dürften diese Zahlen weit höher liegen (5).

Die Autorinnen des Berichts zuhanden des BAG gehen in ihrer strukturspezifischen Schätzung davon aus, dass der jährliche Bedarf an der Versorgung in verschiedenen Strukturen zwischen 104’000 – 715’000 Menschen liegt (4). 80 % dieser Personen können ausschliesslich durch Fachpersonen der allgemeinen Palliative Care versorgt werden und nur 20 % sind zeitweise auf die Versorgungsstrukturen der spezialisierten Palliative Care angewiesen. Dies bedeutet aber auch, dass ärztliche und nichtärztliche Fachpersonen in ambulanten Praxen, Spitälern, Alters- und Pflegeheimen sowie Spitex-Organisationen zwingend einen Auftrag im Bereich der ­allgemeinen Palliative Care wahrnehmen müssen. Palliative Care gehört zu den Grundkompetenzen von Ärzt/-innen im ambulanten und stationären Bereich und kann schon allein vor dem Hintergrund der grossen Zahl an Menschen, die auf Palliative Care angewiesen sind, nicht generell an Kolleg/-innen mit dem entsprechenden interdisziplinären Schwerpunkttitel Palliativmedizin delegiert werden.

Das vorliegende Themenheft mit dem Titel «Palliative Care in der Grundversorgung» möchte einen Beitrag leisten zur Fortbildung von Ärzt/-innen, die in der Grundversorgung tätig sind und sich im Bereich Palliative Care engagieren. Die Fachgesellschaft palliative.ch nimmt übrigens ihre Verantwortung für die Fortbildung in der Grundversorgung sehr ernst. Ein Beispiel hierfür ist der im Spätherbst 2024 zum dritten Mal angebotene Kurs mit dem Titel «Das Einmaleins der Pflegeheim-Medizin», wobei der Fokus auf Geriatrie und Palliativmedizin gesetzt wird: https://www.palliative.ch/de/was-wir-tun/bildung-und-weiterbildung/das-einmaleins-der-pflegeheim-medizin-fuer-haus-und-heimaerztinnen-und-haus-und-heimaerzte.

Fortbildung ist allerdings nur ein Element, das zur Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung von Menschen in der Schweiz beiträgt; ebenso dringend ist es angezeigt, dass in die Aus- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Palliative Care investiert wird und nicht zuletzt, dass ein ärztliches Engagement im Bereich der Palliative Care entsprechend honoriert wird. Der aktuell gültige Tarif TARMED ist dringend durch eine neue sachgerechte Tarifstruktur abzulösen, die es Ärzt/-innen erlauben muss, aufwändige Haus- und Heimbesuche, Koordinationsleistungen, interprofessionelle Rundtischdiskussionen und vorausschauende Gespräche im Sinn der Gesundheitlichen Vorausplanung abzurechnen.

PD em Dr. med. Klaus Bally

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH
Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, uniham-bb
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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3. Giezendanner S, Jung C, Banderet HR, Otte IC, Gudat H, Haller DM et al. General Practitioners’ Attitudes towards Essential Competencies in End-of-Life Care: A Cross-Sectional Survey. PLoS One. 2017 Feb 1;12(2)

4. Ziegler, Sarah; Laubereau, Birgit; Rickenbacher, Julia (2023): Bedarfsschätzung Palliative Care. Bericht zuhanden des Bundesamts für Gesundheit

5. Bundesamt für Gesundheit (BAchweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), palliative ch (2014): Rahmenkonzept Palliative Care Schweiz. Eine definitorische Grundlage für die Umsetzung der «Nationalen Strategie Palliative Care», Bern.

Besonderheiten der Palliative Care beim älteren Menschen

Einleitung

Palliative Care entwickelte sich primär in der Behandlung und Begleitung von Krebspatienten und fokussierte auf die letzte Krankheitsphase, in der keine onkologischen, krankheitsbeeinflussenden Massnahmen mehr möglich sind. In diesem Verständnis sind die Hauptziele der palliativen Behandlung die Linderung der Symptome am Lebensende, die Begleitung und Unterstützung des Patienten und der Angehörigen im Abschiedsprozess und die Organisation des Betreuungsnetzes, meistens mit Unterstützung durch spezialisierte Palliativdienste (stationär und ambulant).

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Palliative Care erweitert. Die Erkenntnis beginnt sich in verschiedenen Fachrichtungen durchzusetzen, dass Patienten und Angehörige von einem frühen Einbezug palliativer Ansätze profitieren, begleitend zu krankheitsmodifizierenden und partiell kurativen Therapien. Dieses Konzept wird in der Literatur als Early Palliative Care (1) beschrieben und bezieht sich nicht nur auf onkologische Diagnosen, sondern zunehmend auch auf neurologische oder internistische wie beispielsweise die Herzinsuffizienz, die COPD und ganz besonders auch auf die Multimorbidität alter Menschen.

Demografie und Medizin

Das Sterben und damit auch die letzte Lebensphase hat sich für den Grossteil der Menschen ins hohe Alter verschoben, wir leben immer länger und sterben später (2). Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist der medizinische Fortschritt. Früher tödliche Krankheiten können heute erfolgreich so behandelt werden, dass wir noch viele Jahre mit ihnen leben können. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die steigende Multimorbidität: Patienten überleben heute eine erste akute oder chronische Krankheit und erleben früher oder später eine zweite, überleben auch die zweite und erleben und überleben damit eine dritte und so fort (3).

Das fortgeschrittene Alter zusammen mit der Multimorbidität führen zu einer zunehmenden Gebrechlichkeit (frailty) und Pflegebedürftigkeit, weshalb über die Hälfte der über 65-Jährigen in der Schweiz das Lebensende in einem Pflegeheim erlebt und auch dort verstirbt. Und weil die Prävalenz der Demenzerkrankungen mit steigendem Alter zunimmt, sind rund ein Drittel der alten und meist multimorbiden Menschen in der letzten Lebensphase zusätzlich von einer Demenz betroffen.

Die Behandlung, Betreuung und Begleitung dieser geria­trischen Patienten erfordern ein adaptiertes und erweitertes Verständnis von Palliative Care. Sie wird nicht in einem spezialisierten Milieu geleistet, sondern liegt vor allem in den Händen der Hausärzte, zusammen mit den ambulanten Pflegediensten und dem Personal der Pflegeheime. Wie dieses Verständnis aussieht, wo und wie es sich vom ursprünglichen Konzept in der Onkologie unterscheidet und was bei alten Menschen in der Behandlung besonders zu beachten ist, wird in den folgenden Abschnitten ausgeführt.

Wann beginnt Palliative Care bei ­geriatrischen Patienten?

In den nationalen Leitlinien Palliative Care steht: «Palliative Care umfasst die Betreuung und die Behandlung von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen und/oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Sie wird vorausschauend miteinbezogen, ihr Schwerpunkt liegt aber in der Zeit, in der die Kuration der Krankheit als nicht mehr möglich erachtet wird und kein primäres Ziel mehr darstellt (4).»

Gemäss dieser Definition wären alle multimorbiden Patienten Palliativpatienten. Diese Auffassung greift aber zu kurz. Alte Menschen mit Einschränkungen durch eine oder meist mehrere chronische, fortschreitende Krankheiten benötigen ein Miteinander von geriatrischen und palliativen Ansätzen. Der Geriater James Pacala hat dies auf den Punkt gebracht unter dem Titel «Is palliative care the ‹new› geriatrics? Wrong question – we are better together»(5). Er plädiert darin im Sinne der Early Palliative Care für einen frühen, integrativen Einsatz von palliativen Prinzipien statt dem verbreiteten sequenziellen Vorgehen mit kurativen Bemühungen so lange wie möglich und erst anschliessendem Wechsel auf ein palliatives Konzept. Im deutschsprachigen Raum ist für dieses integrative Konzept der Begriff der «Palliativen Geriatrie» entstanden. Die Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie FGPG umschreibt den Ansatz folgendermassen:

«Palliative Geriatrie ist ein umfassender, multiprofessioneller Betreuungsansatz für hochbetagte Menschen in ihrer oft langen letzten Lebensphase. Ziel ist es, den Betroffenen bis zu ihrem Tod ein gutes, ihren körperlichen und psychischen Bedürfnissen entsprechendes Leben zu ermöglichen und die An- und Zugehörigen in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Dies gelingt durch das Zusammenführen der Prinzi­pien der Geriatrie mit jenen von Palliative Care. Es kommen sowohl kurative als auch rehabilitative und palliative Massnahmen zum Einsatz. Je näher das Lebensende rückt, desto deutlicher verschiebt sich das Angebot zugunsten hospizlich-palliativer Massnahmen. Palliative Geriatrie soll in allen Versorgungssettings verwirklicht werden, beispielsweise zu Hause, in der Wohngemeinschaft, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz (6).»

Die amerikanischen Kardiologen sprechen von einem «Tandem», das ab Beginn einer chronischen Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen soll (7): Mit der Diagnosestellung einer chronischen, unheilbaren Krankheit sind bereits palliative Ansätze mitzudenken. Dieses Bild können wir auch für den multimorbiden Menschen übernehmen (Abb. 1).

Individueller Strategiewechsel

Das Konzept von Palliative Care ist von den behandelnden Ärzten früh im Krankheitsverlauf mitzudenken und individuell zu integrieren. Leitend in der Behandlungsplanung wird es, wenn «die Kuration kein primäres Ziel mehr darstellt». Diese Formulierung in den nationalen Leitlinien (4) fordert: Das gemeinsame Behandlungsziel muss im Verlauf immer wieder reevaluiert werden im Gespräch mit dem Patienten (und meistens auch mit seinen Angehörigen) im Sinne des shared decision making. Der Zeitpunkt des Shifts zu einem vorwiegend palliativen Prozedere wird somit primär vom Patienten bestimmt. Bei Urteilsunfähigkeit im Rahmen einer Demenzerkrankung können wir uns idealerweise auf ein Dokument der gesundheitlichen Vorausplanung beziehen, sonst liegt die Entscheidung in der Hand der Vertretungspersonen gemäss Erwachsenenschutzrecht.

Den Entscheidungen vorausgehen muss immer eine offene Kommunikation mit dem Patienten und/oder seinen Angehörigen: «Eine verständliche und wiederholte, stufenweise Aufklärung versetzt den Patienten in die Lage, realistische Erwartungen zu entwickeln, und ermöglicht eine eigenständige Willensbildung und Entscheidung. Grundvoraussetzungen dazu sind Empathie und Wahrhaftigkeit gegenüber dem Patienten und die Bereitschaft, Möglichkeiten und Grenzen der kurativen wie der palliativen Behandlung offenzulegen (8).»

Letztlich entscheidet der autonome Patient, wie lange er gegen die Krankheiten ankämpfen will, auch wenn die Belastung durch die Therapien möglicherweise hoch und die Aussichten auf Erfolg klein sind. Wichtig ist, dass wir stets ehrlich über die Behandlungschancen und die begleitenden Belastungen informieren. Das beinhaltet auch, nur für diese Patientengruppe sinnvolle, indizierte Massnahmen vorzuschlagen; es ist ethisch nicht zu rechtfertigen, medizinisch aussichtslose Behandlungen (Futility) vorzuschlagen oder durchzuführen. Auf die Situation bei urteilsunfähigen Patienten wird weiter unten eingegangen.

Im Gegensatz zur Situation von onkologischen Patienten, wo die Krebserkrankung die prognosebestimmende Dia­gnose ist und ihr Überschreiten der Heilbarkeitsgrenze den Wechsel zur palliativen Phase markiert, ist es bei Multimorbidität und chronischem Organversagen ein kontinuierlicher Prozess, der mit jeder Krise einen Schritt mehr in ein palliatives Behandlungskonzept führt (Abb. 2). Nach jeder überstandenen Krise ist eine Standortbestimmung sinnvoll, um gemeinsam die aktuellen Behandlungsziele zu evaluieren, die Prognose zu thematisieren und die Behandlung allenfalls anzupassen.

Lebens- und Behandlungsziele

Das übergeordnete Behandlungsziel

Zielführender, als nur über einzelne Behandlungsoptionen zu diskutieren, ist das Gespräch über die aktuellen Lebensziele der Person. Was erhofft sich der alte Mensch noch vom Leben, was ist ihm wichtig ist für die verbleibende Lebenszeit? Das kann für den einen bedeuten, noch möglichst lange zu leben, auch unter Inkaufnahme von zunehmender Abhängigkeit. Für den anderen ist die Erhaltung von Fähigkeiten zu bestimmten Aktivitäten prioritär, zum Beispiel spazieren gehen zu können, selbständig zu bleiben bei der Körperpflege; beim Verlust dieser Funktionen möchte er lieber keine weiteren Interventionen zur Lebensverlängerung. Die Frage der Motivation einer Patientengruppe mit medianem Alter von 84 zu einem geplanten Aortenklappenersatz (TAVI) ergab folgende Ziele: Die Erhaltung der ability to do a specific activity war der Hauptgrund mit 48%, maintaining independence stand mit 30% an zweiter Stelle und staying alive war für nur 7% im Vordergrund (9). Für die meisten hochbetagten Menschen stehen ihre individuelle Lebensqualität im Vordergrund und der Erhalt der für sie persönlich wichtigen Funktionen. Ihre Lebensqualität hängt weniger von den verbleibenden oder nachlassenden Kräften ab (intrinsic capacity) als von der Erhaltung der Möglichkeiten (functional abilities), das sein und tun zu können, was ihnen wichtig ist (10).

Die Prioritäten der Patienten sind dem Hausarzt nicht in jedem Fall klar, wie eine Studie mit Schweizer Hausärzten gezeigt hat. In 55% der Fälle sahen die Hausärzte zwar das wichtigste oder zweitwichtigste Problem der Patienten im Vordergrund, aber bei 45% kannte der Hausarzt die für den Patienten prioritären Probleme nicht (11)! Die Versicherung, dass Arzt und Patient das gleiche Ziel verfolgen, muss im Behandlungsverlauf zwingend immer wieder Thema sein.

Aspekte der Zielklärung

Es ist grundsätzlich sinnvoll, mit älteren Menschen über ihre Lebensziele zu sprechen und davon abgeleitet über konkrete aktuelle und zukünftige Behandlungsziele und -grenzen. Je mehr wir über ihre Werte, Hoffnungen und Befürchtungen wissen, umso besser können wir konkrete Behandlungsvorschläge formulieren und mit den Betroffenen diskutieren. Dieser Prozess des Advance Care Planning (ACP) und die Festlegung der gewünschten Massnahmen bei einer akuten Gesundheitsstörung in einer ärztlichen Notfallanordnung (ÄNO), die verbindlich die erwünschten und unerwünschten Notfallmassnahmen regelt, werden im Beitrag von Klaus Bally in dieser Ausgabe ausgeführt.

Beim Eintritt in ein Pflegeheim ist es wichtig, gemeinsam mit Patient, Angehörigen und Pflegepersonal in einem Standortgespräch die Gesamtsituation zu besprechen und die aktuellen Ziele und Erwartungen, aber auch die Grenzen zu klären. Pflegeinstitutionen betreuen heute pflegebedürftige Menschen mit sehr unterschiedlichen Zielen. Eine wachsende Zahl der Eintritte erfolgt zur weiteren Rehabilitation nach Hospitalisation mit dem Ziel, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Für andere Bewohner steht im Fokus, im Pflegeheim einen neuen Lebensabschnitt in guter Lebensqualität verbringen zu dürfen. Sie erwarten, dass gesundheitliche Probleme adäquat behandelt werden und ihre Funktionen soweit möglich erhalten bleiben. Die dritte Gruppe bilden Menschen mit einer fortgeschrittenen Krankheit, die unter belastenden Symptomen leiden und wissen, dass ihre Lebenserwartung begrenzt ist. Sie hoffen, dass sie gute Palliative Care erhalten, Lebensverlängerung ist kein prioritäres Ziel mehr. Die letzte Gruppe, die aufgrund der verkürzten Spitalaufenthalte deutlich gewachsen ist, sind Menschen, die zum Sterben ins Pflegeheim verlegt werden und oft nur noch wenige Tage oder Wochen leben. Sie benötigen eine gute end of life care.

Im Standortgespräch wird die medizinische Situation zusammengefasst, die Prognose erörtert und das prioritäre Ziel gemeinsam definiert, damit alle Beteiligten am gleichen Strick ziehen und Missverständnisse und Spannungen vermieden werden (Abb. 3).

Umgang mit Futility

Alte Menschen dürfen auch unrealistische Ziele haben. Die Hoffnung spielt dabei eine wesentliche Rolle, und sie kann durchaus auch palliative Wirkung entfalten. Ärztliche Aufgabe ist es, empathisch die unrealistischen Hoffnungen zu akzeptieren, aber nicht zu bekräftigen und sich nicht verleiten zu lassen, eine Übertherapie bzw. eine aussichtslose Behandlung anzubieten (12). Ist von einer höchstwahrscheinlichen Wirkungs- oder Aussichtslosigkeit einer Behandlung (quantitative Futility) auszugehen, entfällt die medizinische Indikation für deren Einsatz. Qualitative Futility ist eine individuelle Beurteilung: Eine Behandlung kann potenziell wirksam sein, aber ohne Aussicht darauf, das übergeordnete Therapieziel (z.B. Heilung, Weiterleben mit akzeptabler Lebensqualität) zu erreichen. Dann belastet sie den Patienten nur unnötig(13).
Fachpersonen können sich manchmal genötigt fühlen, Behandlungen durchzuführen, obwohl diese aus ihrer Sicht nicht dem Patientenwohl dienen. Dazu gehört eine explizite Erwartungshaltung respektive der Druck von Patient und Angehörigen (14). In diesen Situationen ist eine empathische Kommunikation gefragt, die kulturelle und religiöse Überzeugungen, Vorstellungen und Wissensstand der betroffenen Personen berücksichtigt und ihre Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen soweit möglich einbezieht. Der Arzt orientiert sich dabei stets am Behandlungsziel und an der Chance, das Ziel zu erreichen unter Berücksichtigung der begleitenden Belastungen.

Umsetzung im Alltag

Jede laufende oder geplante medizinische Massnahme für einen multimorbiden alten Menschen muss daran gemessen werden, ob sie dem besprochenen Behandlungsziel dient oder nur den aktuellsten medizinischen Guidelines folgt. Das betrifft medikamentöse Behandlungen (auch präventive wie Statine), aber auch Abklärungen, Kontrollen, Interventionen, Überweisungen zu Spezialisten oder ins Spital. Ein regelmässiger Medikamentencheck mit der Frage, ob für jedes Medikament noch eine Indikation in Bezug auf das übergeordnete Behandlungsziel besteht und ob die belastendsten Probleme des Patienten adäquat behandelt werden, ist zu empfehlen (Abb. 4).

Bei Patienten im Pflegeheim ist es zusätzlich wichtig, im Gespräch mit den Pflegenden und Therapeuten regelmässig zu evaluieren, ob die pflegerischen und therapeutischen Massnahmen (noch) dem Behandlungsziel dienen. Wie lange ist es sinnvoll, die Mobilisation und das Selbsthilfetraining zu forcieren, wie häufig machen Blutzuckermessungen Sinn, was steht bei der Ernährung im Vordergrund (Protein­ergänzungsnahrung oder einfach essen, was Freude macht), ist die Trinkmenge noch relevant? Es braucht immer wieder eine kritische Überprüfung: Welches und wessen Behandlungsziel verfolgen wir? Leitet uns das Behandlungsziel des Patienten oder eher das der Angehörigen, der Therapeuten, der Pflege oder des Organspezialisten?

Herausforderungen im Entscheidungsprozess

Prognose

Multimorbide alte Menschen befinden sich meistens in einem sehr labilen Gleichgewicht, das infolge einer neuen gesundheitlichen Störung, eines Sturzes mit Verletzungsfolgen oder einer plötzlichen Verschlechterung sehr schnell kippen kann. Diese unsichere Prognose erschwert es den alten Menschen, ihre persönlichen Zielsetzungen zu finden: Kann ich noch Pläne machen, oder soll ich mich mehr mit dem Ende auseinandersetzen? Sie ist aber auch eine Herausforderung für die Angehörigen oder das Pflegepersonal. Wo soll der Schwerpunkt in der Betreuung gesetzt werden? Förderung der Selbsthilfe und Selbständigkeit (im Blick auf eine noch längere Zukunft) oder einfach gute Symptomlinderung und Verzicht auf funktionelle Förderung – die vom Patienten oft gar nicht so geschätzt wird – im Blick auf das bevorstehende Ende? In gemeinsamen Gesprächen über die Konsequenzen ist mit dem Patienten zu evaluieren, was ihm wichtiger ist.

Auch für medizinische Entscheidungen ist die Prognose zentral. Wie aggressiv soll abgeklärt werden bei neuen Problemen? Wie lange braucht es, bis der Patient von einer möglichen Intervention profitieren kann (time to benefit)? Wie gross ist die Chance, dass der Patient die Intervention mit einem Nutzen übersteht? Die Prognoseeinschätzung bei multimorbiden Patienten ist eine Herausforderung, und wir Ärzte tendieren dazu, die Prognose eher zu optimistisch einzuschätzen. Eine wichtige Hilfestellung ist die Einschätzung des Frailty-Grades, am besten mit der Clinical Frailty Scale (15). Bei einem Frailty-Grad eins bis drei kann von einer nur minimen Vulnerabilität ausgegangen werden mit hoher Chance auf ein gutes Outcome, bei Grad vier bis sechs sind die potenziellen Risiken bereits wesentlich grösser, und eine schlechtere Erholung ist zu erwarten. Diagnostizieren wir einen Frailty-Grad von sieben bis neun, ist eine hohe Vulnerabilität gegeben mit entsprechendem Risiko. Interventionen sind am ehesten noch zur Symptomlinderung beim Versagen anderer weniger invasiver Massnahmen in Betracht zu ziehen.

Hilfreich kann auch ein Prognoserechner sein, der entweder die Prognose des Arztes unterstützt oder ihn durch eine andere Berechnung auffordert, seine Einschätzung nochmals zu überdenken. Ein praxisorientierter Rechner, der online ausgefüllt werden kann, ist der eprognosis calculator (16), der auch mitberücksichtigt, ob der Patient zu Hause oder im Pflegeheim lebt.

Ambivalenz

Das Verhältnis der meisten Menschen zum Tod ist zwiespältig. Sterben und Tod sind eine nicht lernbare Grenzerfahrung. Sich vor ihnen zu fürchten, ist natürlich, denn sie stellen die wohl grösste Verunsicherung im Leben eines Menschen dar. Angesichts des drohenden Endes kommt es immer wieder vor, dass Menschen den Tod zwar akzeptieren im Sinne von «Schon, aber nicht gerade jetzt», das heisst, im Moment des möglicherweise kurz bevorstehenden Todes möchten sie ihn doch noch etwas hinauszögern. Der Medizinethiker Daniel Callahan schrieb dazu: «Anstatt zu denken […], dass dieser Tod jetzt besser sein kann als ein anderer späterer Tod, ist es die moderne Art, immer den späteren, anderen Tod zu bevorzugen» (17). Solche Ambivalenzen sind normal, auch bei Menschen, denen wir die Fähigkeit zu autonomem Leben und Handeln keineswegs absprechen würden. Sie stellen eine Herausforderung für selbstbestimmte Entscheidungen am Lebensende dar, weil sie nicht einfach aufzulösen sind, sondern vorerst einmal ausgehalten und besprochen werden müssen (18). Solange der Patient urteilsfähig ist, gilt sein aktueller Wunsch, auch wenn dieser früher festgehaltenen Willensäusserungen widerspricht.

Balance of Burden and Benefit

Entscheidungen für und mit alten, oft gebrechlichen Menschen sind komplex; sie nur auf medizinischen Guidelines zu basieren, ist zu eindimensional. Neben den persönlichen Zielen der Betroffenen und den Möglichkeiten der Medizin sind weitere Blickwinkel einzubeziehen. Was bringt die erwogene Massnahme an potenziellem Nutzen, aber auch an Belastungen und Risiken für diesen alten Menschen? Im gemeinsamen Entscheidungsgespräch mit Patient und Angehörigen können die persönlichen Sichtweisen aufgenommen und Vor- und Nachteile abgewogen werden (Abb. 5). Ärztliche Aufgabe ist es dabei, offen und ehrlich zu informieren, die eigene Meinung aber soweit möglich zurückzuhalten.

Bei den Entscheidungen zum weiteren Vorgehen geht es immer um die Frage, wie kurativ oder wie palliativ behandelt und wie lange das mögliche Sterben verhindert werden soll. Callahan bringt es auf den Punkt: «Bei jeder schweren Erkrankung – ganz besonders bei alten Menschen – sollte die Frage gestellt und die Möglichkeit geprüft werden: Kann diese Erkrankung die tödliche sein, oder – weil irgendeine Krankheit die tödliche sein muss – sollte man ihr bald erlauben, tödlich zu sein? Wenn ja, sollte ihr gegenüber umgehend eine andere Strategie ins Spiel kommen, das Bemühen um einen friedlichen Tod sollte wichtiger werden als der Kampf um eine Heilung»(17).

Sterbewünsche

Hochaltrige Menschen äussern häufig Gedanken zum Sterben. Diese Gedanken reichen vom Standpunkt «Es ist noch zu früh, ich will noch leben» bis zum konkreten Plan, das Leben zu beenden durch einen assistierten Suizid. Ralf Jox hat die unterschiedlichen Haltungen zum Ende folgendermassen kategorisiert (19):
– Ich bin nicht bereit für den Tod und akzeptiere ihn nicht.
– Ich bin nicht bereit für den Tod, aber akzeptiere ihn.
– Ich bin bereit für den Tod und akzeptiere ihn.
– Ich bin bereit für den Tod, akzeptiere ihn und wünsche mir, der Tod würde kommen.
– Ich denke darüber nach, meinen Tod zu beschleunigen, habe aber keinen bestimmten Plan.
– Ich denke darüber nach, meinen Tod zu beschleunigen und habe einen bestimmten Plan.

Für die Betroffenen sind Möglichkeiten, über ihr Sterben, ihre Ängste und mögliche Sterbewünsche zu sprechen, wichtig. Oft reden sie nicht von sich aus darüber, sie möchten ihren Arzt, die Pflegenden oder die Angehörigen nicht enttäuschen. Deshalb kann die Frage, ob sie manchmal ans Sterben denken, eine Türe öffnen, die Gespräche über den Lebenssinn und den Grad und den Grund von Sterbewünschen ermöglichen. Häufig sind es nicht so sehr Schmerzen oder körperliche Symptome, die zum Sterbewunsch führen, sondern Vereinsamung oder das Vermeiden eines Heimeintrittes und immer häufiger die Angst vor dem Verlust von Selbständigkeit und Würde. Der Wunsch nach ultimativer Autonomie kann auch die Kontrolle des Sterbezeitpunktes und der Todesumstände umfassen, was dann in die Planung eines assistierten Suizides münden kann.

Sterbewünsche sind auch Hilfeschreie und ein Wunsch nach einfühlsamer Kommunikation. Aktives Zuhören, gegenseitiges Verstehen und das Etablieren einer von Vertrauen getragenen Beziehung ermöglichen das richtige Deuten der Signale und bilden Ausgangspunkt und Vorbedingung für hilfreiche Angebote und Entscheidungen (20). Ergebnis der Gespräche kann sein, dass die Medikamente überprüft werden und alle lebenserhaltenden Massnahmen abgesetzt werden, dass man gemeinsam das Warten aushält und Leiden lindert oder dass der Patient doch den Entscheid für einen assistierten Suizid fällt. In diesem Falle ist es die persönliche Entscheidung des Arztes, ob und wie weit er sich an den vorbereitenden Schritten beteiligen will (21).

Symptomlinderung

Eine optimale Symptomkontrolle ist ein Grundanliegen von Palliative Care und erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Pflegenden bzw. zu Hause mit den Angehörigen. Die wichtigsten Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder Angst sind subjektive Empfindungen, die wir nicht messen oder objektivieren können, es zählt allein, was die Betroffenen darüber berichten. Ist die Kommunikation mit dem Patienten nicht mehr möglich, werden die Beobachtungen im Alltag durch die Angehörigen und die Pflegenden zur wichtigen Grundlage für die Planung palliativer Behandlungsschritte.

Worunter leiden alte Menschen?

Multimorbide alte Menschen leiden nicht nur unter den genannten Symptomen, sondern ebenso unter Funktionseinschränkungen, die ihre Lebensqualität vermindern können. Um das Leiden dieser Patienten zu erfassen und zu verstehen, braucht es offene Fragen wie «Was macht Ihnen aktuell am meisten Sorgen?» oder «Worunter leiden Sie in der aktuellen Situation am meisten?». Wird für das Assessment ein etabliertes Tool wie ESAS verwendet, ist es zu erweitern mit den funktionellen Beschwerden, die subjektiv als belastend empfunden werden (Abb. 6). Manchmal leiden betagte Menschen mehr darunter, dass sie inkontinent sind oder sich nicht mehr selbständig auf dem WC versorgen können wegen Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit als unter ihren Schmerzen oder der Atemnot.

Ziel des Assessments mit Quantifizierung des subjektiven Leidensdruckes ist es, die Prioritäten dort zu setzen, wo am meisten Leiden entsteht, weil wir nie alle Symptome und Probleme beheben können. Entsprechend werden dann Medikamente zur Symptomlinderung eingesetzt, ergänzt durch funktionelle Hilfsmittel, Physiotherapie oder das Erlernen von kompensatorischen alternativen Abläufen.

Die Symptome und deren Behandlungsmöglichkeiten bei alten Menschen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Standards der Palliativmedizin für jüngere Patienten. In anderen Beiträgen in dieser Ausgabe wird darauf eingegangen. Wegen der häufig vorliegenden Organinsuffizienzen sind jedoch Dosierungsanpassungen oder Kontraindikationen zu beachten.

Schmerztherapie

Chronische Schmerzen sind das häufigste Symptom alter Menschen, das sie auch in der Alltagsgestaltung einschränkt und oft täglich stark beeinträchtigt. Selten lassen sie sich vollständig beseitigen, wichtig für das Behandlungskonzept ist die Klärung eines realistischen Zieles: Schmerzfreiheit in Ruhe oder erträgliches Schmerzlevel bei Bewegung, Verhinderung von akuten Schmerzattacken. Die häufigsten Schmerzursachen liegen im Bewegungsapparat, nächtliche neuropathische Schmerzen werden gerne übersehen und als Schlafstörung behandelt. Primär ist eine kausale, gezielte Behandlung anzustreben wie Gelenksinfiltrationen oder -ersatz, in den meisten Fällen werden aber Analgetika notwendig werden. Welche Analgetika in welcher Dosierung bei geriatrischen Patienten eingesetzt werden können und was zu beachten ist, wird in (Tab. 1) zusammengefasst.

Total Pain

Chronische Schmerzen sind selten nur somatischen Ursprungs, sehr oft spielen Komponenten eines «Total Pain» mit. Dies gilt nicht nur für Schmerzen, sondern ebenso für andere Symptome. Im fortgeschrittenen Alter gibt es viele Facetten, die hinter chronischen Beschwerden stehen:
Seelischer Schmerz: Das hohe Alter ist gekennzeichnet durch die Zunahme von schmerzlichen Abschieden, z.B. von der Gesundheit, von der Lebenskraft, von der Mobilität, von geliebten Menschen und geliebten Umwelten, für viele auch vom eigenen Zuhause, vom sozialen Status und von der Unabhängigkeit. Biografische Erfahrungen können hochkommen und im hohen Alter Einfluss haben, wie körperliche Schmerzen erlebt und geäussert werden. Alte, verdrängte und nie aufgearbeitete Traumata können aus der Tiefe auftauchen und wiedererlebt werden.

Sozialer Schmerz: Viele Menschen sind im hohen Alter einsam, fühlen sich nutzlos in der Gesellschaft, haben Aufgaben und alle Freunde verloren. Diese Einsamkeit wird noch verstärkt durch einschränkende Massnahmen, wie sie während der Covid-19-Pandemie verordnet wurden. Und das Pflegeheim ist kein Prestigeort, sondern für viele ein schambesetzter Lebensort, an den sie nie hinwollten.

Spiritueller Schmerz: Gerade im hohen Alter stellt sich die Sinnfrage oft mit grosser Dringlichkeit. Einerseits sehen viele keinen Sinn mehr in ihrem Leben, wenn sie ins Heim umziehen müssen, andererseits wirft das absehbare Lebensende seine Schatten voraus und führt zu Gedanken der Lebensbilanz: «Was habe ich alles verpasst in meinem Leben, was habe ich falsch gemacht? Warum bin ich abhängig und andere in meinem Alter sind noch selbständig?»
Zu- und Hinhören, den Raum öffnen für persönliche Verletzungen und Ängste und das vorsichtige Erklären der Zusammenhänge können Ansätze sein, den Total Pain aufzulösen.

Palliative Care bei Demenz

Bis zu einem Drittel der Menschen über 80 Jahren leiden unter kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer Demenzerkrankung. Dieser Umstand stellt besondere Herausforderungen an das Behandlungs- und Betreuungsteam bei der Vorausplanung, bei Entscheidungen und beim Symptommanagement. Deshalb ist es wichtig, eine kognitive Verschlechterung frühzeitig zu erkennen, um entsprechend zu planen und das Behandlungskonzept anzupassen. Für ein Screening auf kognitive Probleme eigenen sich folgende Tools: Uhrentest, MoCa-Test, DemTect-Test und bei schon etwas fortgeschrittener Demenz der MMS. Alle diese Tests findet man im Internet zum Herunterladen, sie sind lediglich Screenings und reichen nicht für die Diagnosestellung.

Vorausplanung

Bei einer unheilbaren somatischen Erkrankung machen sich die meisten Menschen Gedanken zum weiteren Verlauf und zu ihrem Ende und lassen sich auf eine Vorausplanung ein. Bei der Diagnose einer Demenzerkrankung beschäftigen sich die Betroffenen primär mit der unmittelbaren Zukunft («Wie lange darf ich noch Auto fahren?»), der Gedanke ans Lebensende ist noch weit weg. Wegen der im Verlauf zunehmenden Urteilsunfähigkeit ist es sehr wichtig, frühzeitig über die Wünsche und Behandlungsgrenzen in fortgeschrittenem Krankheitsstadium zu sprechen und sie schriftlich festzuhalten. Dies erfordert eine einfühlsame Kommunikation über die Prognose, die Erwartungen und mögliche Komplikationen im Krankheitsverlauf. Der Einbezug der Angehörigen ist dabei wichtig, damit auch sie die Gedanken und Wünsche des Patienten kennen und bei späteren schwierigen Entscheidungen darauf Bezug genommen werden kann.

Symptommanagement

Die häufigen Symptome können als individuelles subjektives Erleben nur im Gespräch mit dem Patienten erfahren werden. Wenn die Kommunikationsfähigkeit im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung beeinträchtigt ist, werden Symptome oft nicht erkannt und bleiben unterbehandelt. Die Beobachtung der Patienten durch die ­Betreuenden wird zur wichtigen Quelle von Hinweisen auf Symptome. Verhaltensänderungen und -auffälligkeiten können Ausdruck von unbehandelten Symptomen sein, in erster Linie von Schmerzen. Pflegende und Angehörige sind aufzufordern, Verhaltensänderungen zu dokumentieren. Entsprechende Tools wie ECPA oder BESD sind in Pflegeheimen heute etabliert. Sie bilden die Grundlage für das interprofessionelle Gespräch zur Analyse, welche Probleme hinter dem Verhalten stehen könnten und wie sie angegangen werden können. Oft bringt erst die Einleitung einer probatorischen Analgetikatherapie und anschliessenden Beobachtung des Patienten die Antwort, ob ein Schmerzproblem hinter dem veränderten Verhalten steht. Opiate können vorsichtig dosiert auch bei einer Demenz eingesetzt werden. Langzeitanwendungen von Opiaten sind aber kritisch zu hinterfragen, und eine Dosisreduktion sollte regelmässig versucht werden.

Demenzkranke Menschen leiden nicht nur unter somatischen, sondern phasenweise auch unter neuropsychiatrischen Symptomen oder Verhaltensänderungen (BPSD) wie Angst, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Agitiertheit oder Aggressionen. Darunter leiden vor allem auch die Betreuenden. Psychopharmaka sind als palliative Massnahmen indiziert, wenn trotz Validation und Milieuanpassung keine Entspannung und Linderung erreicht werden können und körperliche Ursachen wie Harnverhalt, Obstipation, Schmerzen, Atemnot oder Delir ausgeschlossen sind. In (Tab. 2) wird eine Auswahl von bewährten Psychopharmaka aufgelistet.

Entscheidungsfindung

Mit fortschreitender Demenz wird das Behandlungsziel der Erhaltung von Lebensqualität zunehmend wichtiger als das Ziel der Lebensverlängerung. Ein regelmässiger Medikamentencheck hilft, die Indikation von einzelnen Medikamenten, wie z.B. Statine oder die Ziele der Blutdrucksenkung, zu hinterfragen. Eine optimale Einstellung des Blutzuckers mit regelmässigen Kontrollen und Nachspritzschema wird zunehmend unwichtiger, kann aber für den Patienten viel Stress bedeuten.

Bei Komplikationen stellt sich die Frage, wie aggressiv abgeklärt und behandelt werden soll. Für die Entscheidungsfindung ist es hilfreich, die Balance of Burden and Benefit gemeinsam mit den Angehörigen zu prüfen auf der Grundlage der vom Patienten früher geäusserten Wertvorstellungen, Ziele und Grenzen. Für die Familie ist es wichtig, sich der Progredienz der Krankheit bewusst zu sein und zu verstehen, dass die Demenz eine lebensbeendigende Krankheit sein kann. Entscheidungen haben immer auf dem mutmasslichen Willen des Patienten zu beruhen und nicht auf unrealistischen Hoffnungen oder Ängsten der Angehörigen, die ihren geliebten Patienten nicht verlieren möchten.

Sterbephase

Den Beginn der Sterbephase bei fortgeschrittener Demenz zu definieren, ist schwierig. Bei vielen Patienten beginnt sie mit verminderter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und entsprechendem Gewichtsverlust. Behandelbare Ursachen sind in einem ersten Schritt auszuschliessen. Den Angehörigen muss verständlich gemacht werden, dass der Patient weniger isst, weil sich die Krankheit dem Ende nähert und nicht, dass es ihm schlechter geht, weil er nicht mehr isst. Forcierte Nahrungszufuhr kann das Sterben nicht hinauszögern, eine Sondenernährung verlängert die Lebenserwartung nicht und verhindert auch keine Aspirationspneumonien (22), und beides dient nicht dem Wohlbefinden. Die Lieblingsnahrung zu riechen und zu schmecken, bietet mehr Lebensqualität als eine optimierte Kalorienzufuhr und ermöglicht den Angehörigen, Zuwendung zu schenken. Mundpflege mit dem Lieblingsgetränk lindert ein allfälliges Durstgefühl.

Die Ablehnung einer Medikamenteneinnahme ist als Willensäusserung zu respektieren, einzig symptomlindernde Medikamente (v.a. Opiate) sind als TTS oder als regelmässige subcutane Applikation weiterzuführen, entsprechende Reserveverordnungen sind frühzeitig zu hinterlegen.

Dr. med. Roland Kunz

Facharzt Innere Medizin FMH
Schwerpunkte Geriatrie und Palliativmedizin
Leitender Arzt Geriatrie, Departement Innere Medizin
Spital Herisau
Spitalstrasse 6
9100 Herisau

roland.kunz@svar.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Angst und Furcht am Lebensende

Einleitung

Der vorliegende Artikel befasst sich mit Ängsten und Befürchtungen von Menschen am Lebensende.1 Zunächst werden die Begriffe Angst und Furcht definiert und ihre Prävalenz am Lebensende dargestellt. Anschliessend werden die wichtigsten Angststörungen besprochen, und es wird auf die klinische Diagnostik von Angst und Furcht eingegangen. Wichtige Differenzialdiagnosen werden zusammenfassend dargestellt. Schliesslich werden pharmakologische, psychotherapeutische und andere nicht pharmakologische Behandlungen von Angst und Furcht am Lebensende besprochen.

Wenn sie unbehandelt bleiben, können Ängste und Befürchtungen zu erheblichen Beeinträchtigungen der körperlichen und psychosozialen Funktionen sowie zu einer verminderten Lebensqualität führen (3). Angststörungen korrelieren zudem beispielsweise mit erhöhtem Alkoholkonsum, Beziehungsproblemen, arbeitsbezogenen Problemen und Suizid (4–5).

Definition von Angst und Furcht

Angst und Furcht sind gleichzeitig sehr ähnliche, aber unterschiedliche Zustände (6). Furcht ist eine unangenehme emotionale Reaktion, die durch die Erwartung einer Gefahr ausgelöst wird (6) und Personen dazu motiviert, eine Bedrohung zu vermeiden. Im Gegensatz dazu wird Angst durch verallgemeinerte, unspezifische Bedrohungen des «Selbst» ausgelöst und geht mit Hypervigilanz einher (6). Anders formuliert ist Angst eine verallgemeinerte Reaktion auf eine unbekannte Bedrohung oder einen inneren Konflikt, während Furcht sich auf eine bekannte äussere Gefahr bezieht (7). Die evolutionäre Funktion sowohl von Angst als auch von Furcht bestand darin, vor einer Gefahr zu warnen oder auf die Notwendigkeit der Bewältigung eines Stressors hinzuweisen (8).

In der Palliative Care reicht das Spektrum von der Furcht vor dem Sterbeprozess im Zusammenhang mit einer fortschreitenden und/oder lebensbedrohlichen Erkrankung (z.B. Angst vor unaushaltbaren Schmerzen) bis hin zur Todesangst in Bezug auf das Unvorhersehbare. Der Tod wird in existenziellen Ansätzen der Psychotherapie auch als eines der «vier letzten Dinge» respektive der vier ultimativen Grundprobleme der menschlichen Existenz (engl. ultimate concerns – neben Freiheit, Isolation und Sinnlosigkeit) beschrieben (9), die man nicht einfach wegreden, wegerklären oder wegtherapieren kann, sondern gefühlt, durchlebt und ausgehalten werden müssen (10).

Pathologische Angst ist eine übermässige Reaktion auf externe Stressoren und/oder eine Reaktion auf nicht identifizierte interne Stressoren, die oft nicht vorübergehend, sondern dauerhaft ist und zu beeinträchtigter Bewältigung wie Vermeidung oder Rückzug führt (z.B. (11)). Die Symptome pathologischer Angst sind körperlicher (z.B. Tachykardie, Tachypnoe, Schwitzen, Durchfall, Schwindel), emotionaler (z.B. Nervosität, Angstgefühl, Gefühl des drohenden Untergangs), verhaltensbezogener (Vermeidung, Zwänge, psychomotorische Unruhe) und kognitiver Natur (z.B. Sorgen, Befürchtungen, Unsicherheit).

Prävalenz von Angststörungen

Angststörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung, wobei je nach Studie zwischen 30 und 40 % aller Menschen irgendwann in ­ihrem Leben an einer Angststörung leiden (12). Die Prävalenz von Angstzuständen am Lebensende ist hoch: 70 % der Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium berichten über mässige bis schwere Angstzustände und bis zu 25 % der Patienten erfüllen die Kriterien für eine Angststörung (13–14). Oft gibt es jedoch keine Vorgeschichte einer dia­gnostizierten Angststörung, und es scheint so zu sein, dass nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen vor einer Krebsdiagnose oder -behandlung Angstsymptome hat (15). Die spezifischen Angststörungen am Lebensende sind vielfältig, wobei häufige Störungen und Risikofaktoren in Tabelle 1 aufgeführt sind.

Arten von Angststörungen

Es existieren unterschiedliche Arten von Angststörungen. Zu den häufigsten Angststörungen, die am Lebensende auftreten, gehören Anpassungsstörungen mit Angst, Panikstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und generalisierte Angststörungen.
Nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (19) ist eine generalisierte Angststörung ein Zustand übermässiger Angst und Sorge (ängstliche Erwartung), der an mehr als sechs Tagen über mindestens sechs Monate hinweg auftritt und sich auf eine Reihe von Ereignissen oder Aktivitäten bezieht (z.B. Arbeits- oder Schulleistungen).

Eine Panikattacke ist das plötzliche Auftreten intensiver Angst, Besorgnis, Furcht, Schrecken oder eines Gefühls des drohenden Unheils, das in der Regel mit Symptomen wie Kurzatmigkeit, Herzklopfen, Brustschmerzen, einem Gefühl des Erstickens und der Angst, «verrückt zu werden» oder die Kontrolle zu verlieren, einhergeht, oft unerwartet «aus heiterem Himmel» und ohne erkennbaren Auslöser oder Hinweis (19). Panikattacken sind zeitlich begrenzt und dauern in der Regel 15 bis 20 Minuten. Eine Panikstörung wird diagnostiziert, wenn mehrere Panikattacken auftreten oder die Angst vor einer weiteren Attacke das psychosoziale Funktionieren erheblich einschränkt (19).

Eine Anpassungsstörung ist charakterisiert durch eine psychische Reaktion auf einen identifizierbaren Stressor, die zur Entwicklung klinisch signifikanter emotionaler Verhaltenssymptome führt, die jedoch für die Diagnose einer Angststörung nicht ausreicht (19). Viele Personen mit schweren medizinischen Erkrankungen können Schwierigkeiten haben, sich mental auf ihre Diagnose, Prognose oder auf Behandlungsmethoden einzustellen, was zu Angstsymptomen führt, die nicht das Niveau einer diagnostizierbaren Angststörung erreichen, aber dennoch Aufmerksamkeit durch Fachpersonen und möglicherweise eine Intervention erfordern.

Einige Menschen können im Zusammenhang mit ihrer Diagnose oder Behandlung eine Übererregung (engl. hyper­arousal) entwickeln und Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aufweisen oder sogar die Kriterien für die Diagnose erfüllen, d.h., sie erleben ein traumatisches Ereignis erneut mit Symptomen wie Übererregung, Albträumen, intrusiven Gedächtnisinhalten, Wiedererleben von Ereignissen, Hypervigilanz und Vermeidung von Erinnerungen an das traumatische Ereignis (19).

Angststörungen haben erhebliche Auswirkungen auf kranke Menschen am Lebensende, sowohl in Bezug auf das Erleben von Symptomen als auch auf ihre medizinische Versorgung. Angstpatienten berichten beispielsweise oft über ein geringeres Vertrauen in medizinische Fachpersonen, beeinträchtigte Interaktionen mit Fachpersonen, mehr Zweifel an Behandlungen und eine schlechtere körperliche Leistungsfähigkeit (18). Oft ist es schwierig, Angstzustände von anderen psychischen Störungen wie Depressionen oder medizinischen Symptomen der Grunderkrankung oder deren Behandlung zu unterscheiden. Gängige Symptome einer Depression wie Appetitlosigkeit, verminderte Libido, Reizbarkeit, Isolation und Schlaflosigkeit können auch Teil von Angstzuständen sein (20). Weitere körperliche Symptome, die mit Krankheiten in Verbindung stehen, sind bei Angstzuständen zudem häufig anzutreffen, darunter Herzklopfen, Dyspnoe und Hyperventilation, Magen-Darm-Beschwerden, Schwitzen, Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, Benommenheit oder Schwindel und Müdigkeit (13, 21).

Angst und Furcht erkennen

Angstzustände werden oft immer noch entweder gar nicht oder nur unzureichend diagnostiziert. Das Erkennen von Angstzuständen kann schwierig sein, da Patientinnen und Patienten oft eine komplexe Mischung aus körperlichen und psychischen Symptomen präsentieren (20). Bei Patienten mit einer fortgeschrittenen, lebensbedrohlichen Krankheit und Angstsymptomen kann die Verunsicherung mit körperlichen, psychischen, sozialen, existenziellen, das Lebensende oder den Verlust bezogenen Problemen zusammenhängen (20). Darüber hinaus geht die Angst vor unkontrollierbaren Symptomen oder zunehmender Abhängigkeit manchmal einher mit einem verstärkten Wunsch nach einem frühzeitigen Tod (engl. hastened death) (22). Bei diesen Menschen stehen die somatischen Symptome der Angst oftmals im Vordergrund, sodass die Angststörung nicht primär als solche erkannt wird. Psychiatrische Fachpersonen können Palliative-Care-Teams dabei unterstützen, solche Symptome und deren Ursachen zu verstehen, oder helfen, eine allfällig zugrunde liegende Angststörung zu diagnostizieren und zu behandeln.

Angst und Furcht diagnostizieren

Interdisziplinäre Teams können dazu beitragen, die Beurteilung zu erleichtern. Eine ausführliche Anamnese und gezielte körperliche Untersuchung plus Laboruntersuchung bilden den Goldstandard bei der Diagnostik. Nicht nur die Informationen der Betroffenen, sondern auch Angaben ihrer Verwandten und Freunde können von unschätzbarem Wert sein. Eine solche Informationssammlung braucht Zeit, weshalb es bedeutsam ist, dass man wichtige Fragen stellt. Einige Ärztinnen und Ärzte verwenden Screening-Instrumente, wie zum Beispiel die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS), das am häufigsten untersuchte und auch in deutscher Sprache validierte Instrument (23–24); (deutsche Version siehe (25)), obwohl sich die meisten Fachpersonen auf gezielte Interviewfragen und erfahrene interdisziplinäre Teammitglieder verlassen, um wichtige Patienteninformationen zu erhalten.

Tabelle 2 enthält Fragen, die – in einem ruhigen Setting gestellt – als Unterstützung für Gespräche dienen und Fachpersonen bei der Beurteilung von Ängsten und Befürchtungen sowie anderen damit verbundenen Themen unterstützen können.


Bei Betroffenen mit positivem Angstscreening müssen normale Ängste und Sorgen von pathologischen Ängsten unterschieden werden (13). Es sollte ein ausführliches Gespräch folgen, bei dem die Diagnosekriterien für Angststörungen und andere psychische Störungen geprüft werden und eine Überweisung an eine psychiatrische Fachperson erfolgt, falls diagnostische Klarheit erforderlich ist. Wichtig ist, dass eine Angststörung erst dann diagnostiziert werden sollte, wenn somatische Ursachen der Angst ausgeschlossen sind (Tab. 1).

Nach Schlüsselwörtern suchen

Obwohl Menschen mit schweren Erkrankungen häufig Angst und Furcht empfinden (13, 28), äussern viele Betroffene ihre Symptome gegenüber Fachpersonen nicht direkt und artikulieren ihre Erfahrungen nicht in Form leicht identifizierbarer Diagnosekriterien. Daher sollten Kliniker auf Schlüsselwörter achten, die oft auf zugrunde liegende Ängste und Befürchtungen hinweisen. Anderson und Kollegen (29) haben 415 Gespräche zwischen Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium und Onkologen aufgezeichnet und festgestellt, dass Angst und Furcht die am häufigsten geäusserten Gefühle in diesen Gesprächen waren. Die Erkrankten benutzten dabei am häufigsten die Wörter «besorgt», «verängstigt», «betroffen» und «nervös», um ihre Erfahrung von Angst oder Furcht auszudrücken. Sich dieser Schlüsselwörter bewusst zu sein und darauf zu achten, ob sie in Gesprächen mit kranken Menschen vorkommen, kann dem Arzt helfen, das Vorhandensein von Ängsten zu erkennen.

Es ist zudem wichtig, die zwischenmenschlichen Verhaltensmuster von Menschen zu beachten, die wegen einer schweren Krankheit behandelt werden. Betroffene mit Angstzuständen können teilweise verwirrt und unfähig erscheinen, Informationen zu verarbeiten. Diese Menschen stellen möglicherweise immer wieder dieselben Fragen, haben Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisprobleme oder zeigen Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung, was bei ihnen selbst, ihren Angehörigen und beim Behandlungsteam zu Frustrationen führen kann. Menschen mit Angstzuständen können auch widersprüchliche Aussagen machen oder sogar misstrauisch erscheinen (26). Wie Betroffene auf das Behandlungsteam wirken und welche Reaktionen sie bei den sie betreuenden Fachpersonen auslösen, kann hinweisend sein für die zugrunde liegende Störung. Natürlich müssen bei den oben beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten auch andere Differenzialdiagnosen, wie z.B. ein Delirium, erwogen werden.

Risikofaktoren und Ursachen von Angstzuständen

Angstsymptome können entweder im Rahmen somatischer Erkrankungen oder primärer Angststörungen oder auch anderer psychischer Störungen auftreten (13, 16–18), was die Unterscheidung noch schwieriger macht. Es lohnt sich, somatische Ursachen sorgfältig auszuschliessen, wenn keine persönliche oder familiäre Vorgeschichte von Angststörungen vorliegt und/oder wenn die Person auf frühere anxiolytische Behandlungen nicht angesprochen hat. Häufige Risikofaktoren und Ursachen von Angstzuständen am Lebensende finden sich in Tabelle 1.

Bei ernster Erkrankung können körperliche Beschwerden (oder somatische Symptome) Angst und Furcht auslösen. Zum Beispiel können Krebserkrankungen mit Veränderungen des Körperbildes einhergehen, die zu Angstsymptomen oder -störungen führen können. Bei Betroffenen mit Erkrankungen mit einem gewissen Rezidivrisiko werden ebenfalls oft Ängste ausgelöst, da diese Menschen sich immer wieder fragen, wann der «Krebs zurückkehren wird» oder ob der «Krebs wieder da ist» (30).

Das Symptom der Dyspnoe verdient besondere Aufmerksamkeit, da Atemnot Unbehagen, Angst und Beklemmung auslösen kann (31). Die Erfahrung von Atemnot löst nachweislich Angst und Furcht aus, selbst bei gesunden Probanden, die sich vollkommen bewusst sind, dass sie sich nicht in unmittelbarer Gefahr befinden (32). Das Symptom der Atemnot ist für Betroffene äusserst belastend. Daher ist es unabdingbar, die Auswirkungen der Atemnot auf die erkrankten Menschen regelmässig zu prüfen und entsprechende Massnahmen einzuleiten (31).

Behandlung von Angstzuständen bei Menschen am Lebensende

Wenn sie gezielt behandelt wird, bessert sich Angst oder Furcht bei den meisten Erkrankten; nur bei wenigen Menschen gelingt es jedoch, die Symptome vollständig zum Verschwinden zu bringen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit fortschreitenden, lebenslimitierenden Erkrankungen, was die Bedeutung einer kontinuierlichen Evaluation und Anpassung der Therapie unterstreicht (33). Fachpersonen können mit nicht pharmakologischen oder pharmakologischen Massnahmen arbeiten, wobei häufig eine Kombination am wirksamsten ist (26–27).

Auf die Grundhaltung kommt es an

Bei der Behandlung von schwer kranken ängstlichen Menschen kann die Bedeutung der Grundhaltung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Zugang zu den Betroffenen mit Empathie und Respekt ist die Grundlage einer wirksamen Behandlung und Betreuung (34). Die Grundhaltung der Arztpersonen stärkt auch das Selbstwertgefühl und die Resilienz der Patientinnen und Patienten und mildert so deren Angstzustände. In einer Studie wurden die spezifischen Auswirkungen eines empathischen, patientenzentrierten Behandlungsansatzes bei Erkrankten mit fortgeschrittenem Dickdarmkrebs untersucht (35): Die patientenzentrierte Behandlung beinhaltete häufige Treffen mit der Arztperson, die Möglichkeit für die Betroffenen, an Behandlungsentscheidungen mitzuwirken (Shared Decision Making), umfassende Informationen über Diagnose und Prognose sowie nach Bedarf psychologische Unterstützung für die Erkrankten und deren Angehörige. Es wurde festgestellt, dass diese Art von engagiertem und personalisiertem Ansatz nicht nur die Lebensqualität verbessert, sondern auch Ängste verringert.

Psychotherapie und andere nicht ­pharmakologische Interventionen

Da es nur wenige spezifische Daten zur Wirksamkeit einer spezifischen Pharmakotherapie für Angst und Furcht am Lebensende gibt, werden Psychotherapie und psychosoziale Interventionen gegen Angst oft bevorzugt (36). Eine Psychotherapie kann für Personen mit leichten bis mittelschweren Angstsymp­tomen besonders hilfreich sein, wenn diese zuvor schon erfolgreich psychotherapeutisch behandelt wurden, unzureichend auf eine Pharmakotherapie ansprechen oder eine Abneigung gegen Medikamente haben sowie keine kognitiven Beeinträchtigungen aufweisen (17).

Eine Psychotherapie kann unter anderem das Gefühl der Selbstwirksamkeit und die Bewältigungsmöglichkeiten von Betroffenen verbessern und bietet gleichzeitig den Vorteil, dass eine Polypharmazie vermieden wird. Infrage kommen Einzel- oder Gruppenpsychotherapien, wobei es insbesondere auch um Beratung bezüglich Ernährung, Bewegung und Schlaf geht. Zu den evidenzbasierten Psychotherapien, die zur Behandlung von Angst und Furcht eingesetzt werden, gehören supportive Psychotherapie, kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Therapie (26, 37); allerdings muss die Wirksamkeit dieser Behandlungen bei Menschen mit schweren Erkrankungen am Lebensende noch besser untersucht werden.

Für die Behandlung schwer kranker Menschen am Lebensende wurden spezifische Psychotherapieansätze entwickelt (38). Dazu gehören Managing Cancer and Living Meaningfully (CALM) (39), Dignity Therapy (40–41), Meaning-Centered Therapy (42) und Mindfulness-Based Supportive Therapy (MBST) (43). Der Vorteil dieser Behandlungen liegt in der gezielten Anwendbarkeit für schwer kranke Patientinnen und Patienten. CALM hat sich als vorteilhaft bei Todesangst erwiesen (39); in der Meaning-Centered Group Therapy zeigten die Erkrankten einen signifikanten Rückgang von Angst und dem Wunsch nach einem beschleunigten Tod (44); die Dignity Therapy führte zu einem signifikanten und nachhaltigen Rückgang der Angstsymptome (45).

Je näher der Zeitpunkt des Sterbens rückt, desto enger werden die Ziele der Psychotherapie und desto eher wird auch dabei ein palliativer Ansatz verfolgt (38), um das psychische und physische Wohlbefinden zu maximieren, indem Patientinnen und Patienten sowie ihre Familien im Rahmen der emotionalen und praktischen Vorbereitung auf den Tod unterstützt werden (17). Die Abbruchquoten von Psychotherapie am Lebensende sind hoch, weshalb die Häufigkeit und Dauer der geplanten Therapie sorgfältig abgewogen werden sollten (46).

Neben Psychotherapie können zahlreiche weitere nicht pharmakologische Interventionen eingesetzt werden, um Angst und Furcht von Menschen mit schweren Erkrankungen zu verringern. Zu den möglichen ergänzenden Therapien gehören Musiktherapie (47), Entspannungstraining (31), Achtsamkeitsmeditation (48) oder Kunsttherapie (49). Musiktherapie scheint vielversprechend zu sein, wenn es darum geht, Ängste abzubauen und die Lebensqualität von Patienten in der Palliative Care zu verbessern (47). Entspannungstraining ist weitverbreitet, zumal es oft relativ kostengünstig angeboten werden kann und langfristige Auswirkungen hat, wenn das Training über einen längeren Zeitraum hinweg konsequent praktiziert wird (31).

Auch körperliche Betätigung kann sich als nützlich erweisen, selbst bei Schwerkranken. Bewegung kann Sorgen und Ängste verringern und gleichzeitig das allgemeine Befinden verbessern. Bewegung kann auch dazu dienen, ein Gefühl von Autonomie, Selbstwirksamkeit, Kontrolle oder Erfolg zu vermitteln. Bettlägerige Erkrankte können ebenso von Bewegungen profitieren, selbst wenn es sich dabei oftmals nur um passive Bewegungsabläufe handelt.

Es lohnt sich auch, sich gemeinsam mit den Betroffenen anzuschauen, ob eine Reduktion des Konsums von Kaffee und Alkohol einen Einfluss auf das Symptom der Angst hat. Dies kann dazu beitragen festzustellen, ob eine ­Verringerung des Konsums dieser Substanzen die begleitenden Ängste verringern könnte.
Ein Schlafhygieneprotokoll kann hilfreich sein, um Schlafstörungen zu erfassen, die wiederum Auswirkungen auf die Angstsymptomatik haben können. Schliesslich kann eine Psychoedukation über den allgemeinen Verlauf einer schweren Krankheit und darüber, was in den einzelnen Stadien zu erwarten ist, das Ausmass der Angst und Sorge der Patientinnen und Patienten weiter verringern (27).

Pharmakologische Interventionen

Die Behandlung von Angstzuständen ist in der Regel am wirksamsten, wenn psychotherapeutische und pharmakologische Ansätze kombiniert werden. Einen Überblick über die medikamentöse Behandlung von Angstzuständen am Lebensende einschliesslich differenzierter Indikationen und Risiken gibt Tabelle 3. Die Dosierung und die Verabreichungswege einiger der gängigsten Medikamente für Menschen mit schweren Erkrankungen und Angstzuständen sind in Tabelle 4 aufgeführt.

Wie in allen Bereichen der Palliative Care müssen die Funktionseinschränkungen der Betroffenen, ihre Lebenserwartung und die im Vordergrund stehenden Symptome berücksichtigt werden, um die optimale Behandlung der Angstzustände zu ermitteln.

Bisher gibt es keine sorgfältig durchgeführten und aussagekräftigen Studien, die es erlauben würden, bestimmte Pharmaka spezifisch bei Angstzuständen in der Palliative Care zu empfehlen (36). Daher basieren aktuelle Empfehlungen auf Studien, in denen die Behandlung von Angstzuständen bei anderen Erkrankungen (z.B. bei Tumorerkrankungen) untersucht wurde, allerdings nicht in palliativen Situationen (13, 16, 18). Begrenzt veröffentlichte Literatur und Expertenmeinungen positionieren Benzodiazepine und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) als Erstlinienbehandlung von Angstsymptomen bei progressiven und/oder lebensbedrohlichen Erkrankungen sowie Krebs (2, 24, 36).

Selektive Serotonin-Wiederaufnahme- hemmer (SSRI)

Wie bei depressiven Störungen gibt es für SSRI auch eine Evidenzbasis für Angstzustände im Allgemeinen. Zudem sind sie generell gut verträglich. Daher gelten sie heute als Mittel der Wahl bei der Behandlung chronischer Angstzustände. Allerdings ist der Nutzen von Antidepressiva einschliesslich SSRI zur Behandlung von Angstzuständen bei Menschen am Lebensende oft ­begrenzt, da es in der Regel 4–6 Wochen dauert, bis sie ihre maximale Wirkung entfalten (56). Bei diesen Erkrankten müssen Ärztinnen und Ärzte abwägen zwischen der Notwendigkeit, die Symptome kurzfristig zu lindern, und der Wahl einer Medikamentenklasse, die erst nach mehreren Wochen ihre Wirkung entfaltet. Bei schweren Angstzuständen können SSRI und Benzodiazepine zusammen gestartet werden, wobei die Benzodiazepine ausgeschlichen werden, sobald die SSRI ihre therapeutische Wirkung entfaltet haben.

Paroxetin (10–50 mg täglich) wird im Vergleich zu einigen anderen SSRI häufig zur Behandlung chronischer Angstzustände eingesetzt, da es eher sedierend und beruhigend wirkt. Andere SSRI, die in dieser Gruppe häufig eingesetzt werden, sind Citalopram (10–60 mg täglich) und Escitalopram (5–20 mg täglich). Eine weitere Möglichkeit sind selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wie Venlafaxin (35–300 mg täglich). Sedierende Antidepressiva wie Trazodon oder Mirtazapin können Menschen mit anhaltenden Angstzuständen und Schlaflosigkeit helfen.

Benzodiazepine

Benzodiazepine haben viele Indikationen in der Onkologie und Palliative Care. Sie zeigen einen raschen Wirkungseintritt und Wirksamkeit bei generalisierten Angstzuständen, Panik und Schlaflosigkeit sowie einen potenziellen Nutzen bei Übelkeit und Dyspnoe (2, 24). Während das Risiko einer Abhängigkeit am Lebensende keine grosse Rolle spielt, sollte das Risiko für kognitive und motorische Nebenwirkungen ernst genommen werden, z.B. Sedierung, Stürze, Verwirrung und Aufmerksamkeitsdefizite (2, 20). Wie bei Medikamenten mit anticholinerger Wirkung besteht zudem das Risiko, dass Benzodiazepine ein Delirium auslösen respektive Symptome eines bestehenden Deliriums oder einer Demenz verschlimmern (23). Weitere Risiken von Benzodiazepinen bestehen darin, dass andere Medikamente mit dämpfender Wirkung auf das zentrale Nervensystem diese Wirkung von Benzodiazepinen verstärken können. Zudem können einige Benzodiazepine bei Erkrankten mit Leberfunktionsstörungen akkumulieren (z.B. Diazepam).

In den meisten Fällen werden Benzodiazepine auf der Grundlage der Halbwertszeit ausgewählt. Je länger die Halbwertszeit, desto nachhaltiger ist die Wirkung des Medikaments (z.B. Clonazepam (t1/2 = 30–40 Stunden; 0.5–2 mg p.o. täglich bis 2x täglich nach Bedarf). Medikamente mit einer Halbwertszeit von mehr als ein oder zwei Tagen wie Clonazepam oder Diazepam können akku

mulieren, was zu zunehmenden Nebenwirkungen und Toxizität führt; sie gehen jedoch weniger oft mit Entzugssymptomen einher.
Kürzer wirkende Benzodiazepine (z.B. Lorazepam, t1/2 = 12 Stunden; 0.25–2 mg p.o., s.l. 6x täglich nach Bedarf; Alprazolam t1/2 = 11.2 Stunden) können öfter verabreicht werden und sind nicht nur bei Angst- und Panikattacken nützlich, sondern können auch antizipatorisch Übelkeit lindern. Benzodiazepine mit sehr kurzen Halbwertszeiten (z.B. Oxazepam t1/2 = 2.8–8.6 Stunden; Midazolam t1/2 = 0.8–1 Stunde) sind für die Behandlung der meisten Angstzustände am Lebensende nicht geeignet, da sie nur für kurze Zeit wirken und mit einem höheren Risiko von Rebound-Angst- und Entzugssymptomen einhergehen.

Betroffene mit eingeschränkter Leberfunktion sollen mit Lorazepam, Oxazepam oder Temazepam behandelt werden, da diese Medikamente durch Konjugation metabolisiert werden und keine aktiven Metaboliten haben.

Manchmal können Angstsymptome auch durch andere ­Prozesse ausgelöst werden, etwa durch ein Delirium oder Dyspnoe. In diesen Fällen kann die Angst durch spezifische Behandlungen angegangen werden, z.B. durch die Behebung der Ursache eines Deliriums, die Behandlung der Symptome eines Deliriums mit einem Antipsychotikum oder durch den Einsatz von Opioiden zur Behandlung von Dyspnoe.

Andere Medikamente

Häufig bergen Standard-Anxiolytika entweder ein erhebliches Risiko für unerwünschte Wirkungen bei Menschen mit fortgeschrittener, lebensbedrohlicher Krankheit oder wirken nicht schnell genug. Gabapentin (100 mg, 1x stündlich nach Bedarf bis zu einer Tageshöchstdosis von 3600 mg täglich) und Trazodon (25 mg, 1x täglich vor dem Schlafengehen nach Bedarf bei Angst oder Unruhe, und 25–100 mg vor dem Schlafengehen bei Schlaflosigkeit) sind oft wirksame Alternativen und bergen ein geringeres Risiko für unerwünschte Wirkungen.

Trotz des nach wie vor relativen Mangels an evidenzbasierten Medikamenten zur Behandlung von Angstzuständen in der Palliative Care zeigten einige Substanzen wie Ketamin, Psilocybin und medizinisches THC/CBD ermutigende Ergebnisse in einigen kleineren Studien zur Behandlung von Angstzuständen am Lebensende (2, 52–53, 55).

PD Dr. med. Dr. phil. Manuel Trachsel

Leiter Abteilung Klinische Ethik
Spitalstrasse 22
4031 Basel
Schweiz

manuel.trachsel@usb.ch

Prof., MD, PhDScott A. Irwin

Cedars-Sinai Cancer and Department of Psychiatry and Behavioral Neurosciences,
Cedars-Sinai Health System,
Los Angeles,
USA

Prof., MD, PhD, FRCPC Harvey Max Chochinov

Department of Psychiatry
University of Manitoba
CancerCare Manitoba
Winnipeg
Canada

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Schmerztherapie in der Palliative Care

Einleitung

Palliative Care setzt sich zum Ziel, die Lebensqualität von chronisch erkrankten Personen mit einer reduzierten Lebenserwartung zu verbessern (1). Schmerz ist ein Symptom, unter dem Patienten im Verlauf einer Erkrankung unterschiedlich stark leiden, eine Reevaluation der Therapie sowie eine Adaption der Massnahmen im Krankheitsverlauf sind wichtig (2). Schmerz ist unabhängig von der Grunderkrankung eines der belastendsten und häufigsten Symptome am Lebensende (3). So leiden ca. 66 % der Betroffenen mit fortgeschrittener oder terminaler Krebserkrankung unter Schmerzen. Dies führt zu Beeinträchtigung der Lebensqualität, der Funktionalität und zu psychischer Belastung. Bestimmte Krebstypen wie Pankreas- oder ORL-Tumoren sind besonders häufig mit Schmerzen assoziiert (4).

Die meisten Empfehlungen und Leitlinien gründen auf Therapien bei Patienten mit malignen Erkrankungen. Die AWMF-Leitlinie für Palliativmedizin/S3-Leitlinie bezieht sich explizit auf die Therapie bei onkologischen Erkrankungen. In der Einleitung ist folgender Hinweis zu lesen: «… inwiefern die Empfehlungen auf Patienten mit nicht onkologischen Erkrankungen angewendet werden können, muss im Einzelfall geprüft werden» (5). In der Medizin und auf den Notfallstationen überwiegt jedoch die Anzahl älterer, multimorbider Patienten mit nicht onkologischen, akuten oder chronisch-progredienten lebenslimitierenden Erkrankungen. Zu letzteren gehören u. a. Herzinsuffi­zienz, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), fortgeschrittene Niereninsuffizienz oder neurologische Erkrankungen, wie z.B. die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und der M. Parkinson (6). Zu Beginn einer Parkinson-Erkrankung beispielsweise leiden 20 % der Betroffenen unter Schmerzen, im Verlauf der Erkrankung bis zu 80 % (7). Für Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen ischämischen Herzerkrankungen gehören Schmerzen oft zum Alltag (8).

Trotz der langjährigen Verfügbarkeit von Leitlinien, wie z. B. der WHO-Stufenleiter, ist die Behandlung bei einem Drittel der Betroffenen nach wie vor unzureichend (9). Schmerz in der Palliative Care ist ein komplexes Symptom, welches im Rahmen des bio-psycho-sozialen und spirituellen Konzeptes eingeordnet und behandelt werden muss.

Definitionen

Schmerz ist ein subjektives «unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis» (10). Die Definition der IASP (International Association for the Study of Pain) schliesst die emotionalen Anteile des Schmerzes mit ein, unabhängig von der Ursache und dem Ort der Entstehung der Schmerzen. Subjektiv bedeutet, dass die Beurteilung, ob ein Schmerz stark oder schwach ist, ob adäquat erscheinend, immer nur vom Patienten selbst beurteilt werden kann und durch die persönliche Erfahrung geprägt ist.
Je nach Ursache des Schmerzreizes spricht man von nozizeptivem und neuropathischem Schmerz (Tab. 1). Nozizeptoren sind rezeptive Strukturen auf der Oberfläche freier Nervenendigungen, welche die Stärke und den zeitlichen Verlauf u.a. von mechanischen und thermischen Reizen messen, welche kortikal als Schmerz wahrgenommen werden (11). Nozizeptoren kommen nahezu in allen Organen vor, mit grösster Dichte in der Haut, nicht aber im Gehirn und in der Leber. Die Nozizeptoren der inneren Organe vermitteln einen oft dumpfen, schlecht lokalisierbaren Schmerz, der auf Hautareale übertragen werden kann, die von demselben Rückenmarkssegment innerviert werden wie das schmerzende Organ. Diese Hautzonen werden als Head-Zonen bezeichnet (12).

Bei den neuropathischen Schmerzen kommt es zu einer Schädigung im Nervensystem, die unter anderem zu salvenartigen Impulsbildungen im Versorgungsgebiet führen und von den Patienten als blitzartig und einschiessend bezeichnet werden (11). Mögliche Ursachen sind neben mechanischen Verletzungen und einwachsenden Metastasen bspw. auch Stoffwechselstörungen und systemische Noxen (u.a. Diabetes mellitus oder ­Chemotherapeutika) mit daraus folgender Polyneuropathie. Diese Einteilung ist wichtig für die Therapieplanung.

Der Begriff Durchbruchschmerz beschreibt eine vorübergehende Schmerzexazerbation, die bei Patienten mit relativ konstanten und angemessen kontrollierten Dauerschmerzen auftritt (13).

Palliative Care beugt Leiden und Komplikationen vor. Sie umfasst medizinische Behandlungen, pflegerische Interventionen sowie psychologische, soziale und spirituelle Unterstützung (14). Die spirituelle Komponente ergänzt das bio-psycho-soziale Schmerzmodell nach Engel (15). Palliative Patienten sprechen nicht nur von Schmerzen und anderen Symptomen, sondern äussern zusammen mit diesen Beschwerden auch seelische, soziale und spirituelle Not (16). Schenkt man diesen Einflussfaktoren keine oder zu wenig Beachtung, bringt die medikamentöse Behandlung womöglich nicht den gewünschten Effekt. Cicely Saunders, Pionierin der modernen Hospizbewegung und Begründerin unseres heutigen Verständnisses von Palliative Care, hat in diesem Zusammenhang in den 1960er- Jahren den Begriff des Total Pain (Abb. 1) geprägt.

In der Palliativmedizin wird Schmerz mehrdimensional gesehen. Schmerz entsteht durch physische, psychische, soziale und spirituelle Stressoren (17). Das Konzept Total Pain bezieht sich auf einen refraktären Schmerz, ein Leiden, das über die physische Dimension hinausgeht (18, 19, 20).

Belastungen in den vier Dimensionen des Total-Pain-Konzeptes können somatisch bedingte Schmerzen verstärken. Dank des multiprofessionellen Ansatzes in der Palliative Care kann lindernd auf Total Pain eingewirkt werden.

Erfassung

Für die Erfassung der Schmerzstärke gibt es verschiedene Messmodelle (21). Am häufigsten wird die Numeric Rating Scale (NRS) mit einer 10-Punkte-Skala von 0 bis 10 verwendet. Die Erfassung sollte routinemässig und in festen Zeitabständen erfolgen, immer auch nach Gabe eines Schmerzmittels, damit dessen Effektivität beurteilt werden kann. Bei älteren Menschen, Patientinnen und Patienten mit eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit und/oder kognitiver Beeinträchtigung ist die Selbsteinschätzung mittels NRS oft nicht zuverlässig anwendbar. Hier greift man auf Fremdbeobachtungsskalen zurück, welche insbesondere drei Verhaltenskategorien berücksichtigen. Diese sind Mimik, Lautäusserungen und Körperbewegungen bzw. -haltung. Ein Fragebogen, der diese Elemente aufnimmt, ist z.B. der Doloplus-2, welcher auch in vielen Sprachen verfügbar ist (22).

Für die Schmerzanamnese ist das Akronym SOCRATES hilfreich:
– Site (Ort)
– Onset (Beginn)
– Character (Schmerzcharakter)
– Radiation (Ausstrahlung)
– Associated Factors (assoziierte Faktoren)
– Timing (Zeitpunkt)
– Exacerbating and Relieving Factors (verschlimmernde und lindernde Faktoren)
– Severity (Ausprägung/Schweregrad) (23, 24)

Parallel soll bei der Anamnese die Schmerzart eingeschätzt werden: nozizeptiv oder neuropathisch. Eine Kombination von nozizeptivem und neuropathischem Schmerzcharakter ist möglich und häufig. Auch sollte eingeordnet werden, ob der Schmerz in Zusammenhang mit der Grunderkrankung steht, also z.B. als Tumorschmerz, oder einer anderen Erkrankung zugeordnet werden kann, wie z.B. einer Post-Zoster-Neuralgie oder durch die Rigidität bei Morbus Parkinson.
Zusätzlich zur klinischen Untersuchung soll eine umfassende Anamnese im Sinne des Konzeptes von Total Pain mit dem Erkrankten und den Angehörigen erfolgen: Körperliche und kognitive Ressourcen, kommunikative Fähigkeiten, kultureller Hintergrund, Religionszugehörigkeit und Krankheitssicht beeinflussen den Umgang mit Schmerzen. Die Erwartungen von Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen sollten erfasst und, sofern unrealistische Erwartungen bestehen, in einem Gespräch die Ursachen, Therapiemöglichkeiten und Therapieziele gemeinsam besprochen werden.

Essenziell ist, dass die Schmerzerfassung repetitiv erfolgt, damit auf Veränderungen, wie sie z. B. mit Fortschreiten der Grunderkrankung erfolgen, reagiert werden kann (4).

Therapie

Verschiedene Schmerzzustände erfordern verschiedene Massnahmen. Patientinnen und Patienten der Palliative Care benötigen einen individuellen Therapieansatz. Ein multidisziplinäres und multimodales Vorgehen ist häufig erforderlich. Es ist wichtig, Etappenziele in der Schmerzbehandlung zu definieren, wie beispielsweise:

1. Verbesserung des Schlafs
2. Verbesserung der Schmerzkontrolle in Ruhe
3. Verbesserung bei körperlicher Aktivität

Die Verbesserung bei körperlicher Aktivität kann leider nicht immer komplett erreicht werden (24, 20). Wenn passend, gewünscht und möglich, sollte die Behandlung der Grunderkrankung, wie z.B. in der Onkologie die Therapie des Gewebeschadens durch die Neoplasie mit Radiotherapie, Chemotherapie, Biologicals und/oder Chirurgie, erfolgen. Diese Massnahmen haben dann oft Schmerzlinderung zur Folge. In der Neurologie kann die Anpassung der Parkinson-Therapie eine solche schmerztherapeutische Intervention darstellen.

Nicht pharmakologische Massnahmen

In einem kürzlich erschienenen Review beschreibt van Veen als schmerzlindernde, nicht pharmakologische Massnahmen den Einsatz von Massage und Virtual Reality. Wohingegen für Kunsttherapie keine hinreichende Evidenz nachgewiesen werden konnte, ebenso im Hinblick auf mindful breathing interventions. Vielversprechende Resultate zeigten Hypnose, Progressive Muskelrelaxation, cognitive-behavioral audiotapes, warmes Fussbad mit Wickel, Reflexzonenmassage und Musiktherapie.

Musiktherapie und Körperanwendungen/Massage werden häufig angewendet, aber auch Akupunktur, Physiotherapie und Aromatherapie. Wenngleich nicht immer wissenschaftlich bewiesen, soll man sich bei nicht medikamentösen harmlosen Massnahmen individuell durch das Wohlbefinden des kranken Menschen leiten lassen.
Die Anwendung von Transcutaneous Electric Nerve Stimulation (TENS) kann bei neuropathischen Schmerzen sehr erfolgreich sein (26, 27).

Pharmakologische Massnahmen

Die sechs wichtigsten Schritte, welche bei der Verwendung von Analgetika bei palliativen Patientinnen und Patienten mit Krebs oder anderen fortgeschrittenen Krankheiten angewendet werden sollten, entsprechen den WHO-Leitlinien (28, 29, 30, 31):
1. By the clock: Die Einnahme sollte in fixen Intervallen entsprechend der Wirkdauer des Medikaments erfolgen. Bis das Wohlbefinden erreicht ist, sollte die Dosis schrittweise gesteigert werden.
2. By the mouth: Wenn immer möglich sollte das Arzneimittel oral verabreicht werden.
3. For the individual: Die Einordnung des Schmerzes nach: a) Schmerzcharakter (nozizeptiv versus neuropathisch versus gemischt); b) Ursprungsort des Schmerzbildes. Die Dosis soll nach individuellem Bedarf auftitriert werden, bis das persönlich akzeptable Schmerzniveau erreicht ist.
4. As Required: Es sollten immer Reservemedikamente verordnet werden.
5. Effektivität messen und dokumentieren, wie bereits im Abschnitt «Erfassung» beschrieben.
6. Attention to detail: Berücksichtigung der Tagesstruktur bei Festlegung des Einnahmezeitpunkts der Analgetika. Erstellung eines Medikamentenplans mit Basis- und Reservemedikation. Nebenwirkungen sollten besprochen, erfasst und wenn möglich behandelt werden.

Für die Einteilung der Analgetika hat sich die WHO-Stufenleiter bewährt (Abb. 2). Diese wurde 1986 erstmals als Hilfsmittel bei Tumorschmerzen empfohlen und seither stetig weiterentwickelt. Der Einsatz hat sich auch ausserhalb des Bereichs der Tumorschmerzen etabliert. Hierbei entspricht Stufe 1 Non-Opioiden, Stufe 2 und 3 den schwachen bzw. starken Opioiden. Zu den drei genannten Stufen wurde eine vierte hinzugefügt, welche interventionelle analgetische Verfahren beinhaltet, wie bsp. die intra­thekale Schmerztherapie. Zudem wurde die Medikamentengruppe der Co-Analgetika hinzugefügt. Von einem initial unidirektionalen Einsatz ist man zu ­einem bidirektionalen Einsatz übergangen (32).

WHO-Stufe 1: Non-Opioide (Tab. 2)

Paracetamol, ein schwacher Hemmer der Cyclooxygenase COX-2 und/oder COX-3, wirkt analgetisch und antipyretisch (33). Paracetamol verfügt über eine eher schwache analgetische Potenz, lässt sich aber gut mit Opioiden kombinieren (34). Bei 4 x täglicher Einnahme kommt es allerdings zu einer erheblichen Tablettenlast. Die langfristige Anwendung sollte somit auf die Patientinnen und Patienten beschränkt werden, die innert eines kurzen Zeitfensters einen klaren Nutzen zeigen (35). Bei älteren, untergewichtigen oder kachektischen Menschen oder bei Leberinsuffizienz resp. Äthylabusus soll die Dosis reduziert und die intravenöse Verabreichung vermieden werden. Die maximale Tagesdosis von 3 bis 4 g/d soll nicht überschritten werden. Paracetamol ist immer noch eine wichtige Ursache von akutem Leberversagen.

Metamizol (Dipyrone) ist bereits seit 1992 auf dem Markt (23). Der genaue Wirkmechanismus ist nach wie vor unklar. Es wirkt analgetisch, antipyretisch und schwach antiphlogistisch. Zudem hat es auch eine spasmolytische Wirkung, weswegen es oft bei viszeralen (kolikartigen) Schmerzen eingesetzt wird. Der Einsatz erfolgt in Monotherapie oder in Kombination mit Opioiden. Die Wirksamkeit auch in niedrigeren Dosen ist belegt. Die Kombination von Morphin und Metamizol kann eine verbesserte Schmerzlinderung erzielen. Obwohl es mit der seltenen, aber gravierenden Nebenwirkung der Agranulozytose assoziiert ist, gilt Metamizol bezüglich gastrointestinaler und nephrologischer Nebenwirkungen viel sicherer als die NSAR (30, 36, 37, 38, 39).

NSAR, Inhibitoren der COX-2 und COX-1, wie bspw. Ibuprofen oder Diclofenac, werden wegen ihrer potenziellen nephrologischen und gastrointestinalen Toxizität weniger häufig angewendet (38, 39). Ein gezielter Einsatz kann wegen der starken antientzündlichen Wirkung sinnvoll sein bei z.B. Knochenmetastasen, Weichteiltumoren oder Metastasen mit einer inflammatorischen Komponente. Für die Indikation Tumorschmerz ist kein NSAR dem anderen überlegen (40). NSAR haben zu der analgetischen auch eine gute antipyretische Wirkung (24, 29). Die selektiven Inhibitoren der COX-2 werden in der Palliativmedizin nur selten angewendet.

WHO-Stufe 2 und 3: Opioide

Opium ist ein Extrakt aus Mohn (Papaver somniferum), das Morphin und andere verwandte Alkaloide enthält. Es wird schon seit Tausenden von Jahren benützt zur Verbesserung des Schlafs, zum Auslösen von Euphorie, zur Analgesie und Behandlung von Diarrhoe. Die Struktur von Morphin wurde 1902 entdeckt, und seither wurden viele synthetische Opioide entwickelt (33). Opioide interagieren mit den Opioidrezeptoren. Es gibt vier verschiedene Opioidrezeptoren: µ, κ, δ und Opioid-like 1 (OPRL-1). Alle klinisch relevanten opioidhaltigen Analgetika sind Agonisten des µ-Rezeptors. Die Affinität für die übrigen Rezeptoren ist von Molekül zu Molekül unterschiedlich. Buprenorphin ist ein «mixed Agonist-Antagonist»-Analgetikum: Agonist am OPRL-1 und am µ-Rezeptor, Antagonist am κ- und δ-Rezeptor (29, 33, 43).

Auch die Nebenwirkungen, hauptsächlich gastrointestinal und zerebral, werden durch Interaktion mit den zentralen und peripheren µ-Rezeptoren verursacht und sind bei allen Molekülen ähnlich (33, 43). Insbesondere zu nennen sind die Nausea, vor allem zu Beginn der Therapie, und die Obstipation, welche unter der Behandlung bestehen bleibt. Zentrale Nebenwirkungen wie Sedation, Delir und Atemdepression oder auch Myoklonien weisen auf Erreichen des toxischen Bereichs hin. Sie bedingen eine Dosisreduktion oder allenfalls eine Antagonisierung mit Naloxon. Bei sorgfältiger Titration in das analgetisch therapeutische Fenster ist das Risiko einer Atemdepression gering (44).

Nach Twycross 2021 (44) steht bei Patientinnen und Patienten mit einer kurzen Überlebensprognose von Wochen bis Monaten die Schmerzlinderung im Vordergrund.
Zu den schwachen Opioiden der WHO-Stufe 2 zählen Codein, Tramadol und Tapentadol. Diese Stufe spielt in der Palliativmedizin nur eine untergeordnete Rolle (begrenzter Effekt, Maximaldosis, zahlreiche Nebenwirkungen, Interaktionen und Unmöglichkeit der Kombination mit Stufe 3). Deshalb ist der Einsatz von niedrig dosierten Stufe-3-Präparaten oft grösser und führt schneller zum Ziel. Aufgrund fehlender Verfügbarkeit von Stufe-3-Präparaten in vielen Ländern wurde die zweite Stufe jedoch belassen (29, 30, 31, 35, 45).

Die starken Opioide der WHO-Stufe 3 sind die Eckpfeiler der palliativmedizinischen Schmerztherapie. Als reine µ-Rezeptoragonisten stehen Morphin, Oxycodon +/– Naloxon, Hydromorphon, Fentanyl und Methadon zur Verfügung. Keines der genannten Präparate zeigte in systematischen Übersichtsarbeiten eine Überlegenheit gegenüber dem anderen (46). Es gibt grundsätzlich keine Kontraindikationen für starke Opioide, falls man mit der richtigen Dosis startet. Alle starken Opioide haben eine ähnliche Wirkung und Verträglichkeit. Bei der Wahl des Moleküls soll man die Verfügbarkeit und patienteneigenen Faktoren berücksichtigen. Morphin, Hydromorphon und Oxycodon sind die Moleküle der ersten Wahl (45). Ohne Kontraindikationen startet man meistens mit Morphin (47). Zu beachten sind die unterschiedlichen Potenzen. Fentanyl ist als potentestes der genannten Opioide zu werten, gefolgt von Hydromorphon, Oxycodon und Morphin. Dieses spiegelt sich in den Äquipotenzen wider, so entsprechen z.B. 4 mg Hydromorphon oral ca. 30 mg Morphin oral.

Ein paar Faustregeln sind bei Therapiebeginn insbesondere bei opioidnaiven Patientinnen und Patienten zu beachten (29):
01) Perorale Gabe von Morphin, wenn möglich
02) Start low – go slow: Mit tiefer Dosis starten, eintitrieren, bis das therapeutische Fenster (gute Analgesie mit minimalen Nebenwirkungen) erreicht ist (Tab. 3)
03) Kombination eines langwirksamen Präparats mit einem kurzwirksamen als Reserve (Bolus).
04) Dosis der Reserve = 1/10 bis 1/6 der Tagesdosis (z.B. bei einer Tagesdosis von 2 x 15 mg retardiertem Morphin ist die Dosis der Reserve 3 bis 5 mg kurzwirksames Morphin, 5 mg eher bei starken Durchbruchschmerzen, z.B. NRS ≥5). Diese Reserveboli können jede Stunde verabreicht werden. Die Wirksamkeit des Reservebolus soll dokumentiert werden, idealerweise 30 bis 45 Minuten nach der Verabreichung.
05) Die benötigte Gesamtdosis der Reserveboli pro 24 Stunden kann am nächsten Tag zur fixen Tagesdosis dazugerechnet werden. Bsp.: Wenn ein Patient mit 2 x 15 mg retardiertem Morphin die letzten 24 Stunden 3 Reserveboli à 3 mg Morphin benötigte, kann die Tagesdosis auf 2 x 20 mg des retardierten Morphins erhöht und die Reservedosis auf 4 mg kurzwirksames Morphin angepasst werden. Die Tagesdosis soll maximal um 50 % erhöht werden.
06) Bei Umstellung von peroral (p.o.) nach intravenös (i.v.) oder subkutan (s.c.) liegt der Umstellungsfaktor zwischen 1:2 und 1:3. Im Alltag hat es sich bewährt, wie folgt umzurechnen (BOX 1):
– p.o. nach s.c.1:2
– p.o. nach i.v. 1:3
07) Starke Opioide (Stufe 3) mit Analgetika der Stufe 1 kombinieren
08) Keine Kombination von Stufe-2- und -3-Analgetika
09) Mit einer laxativen Therapie starten zur Vorbeugung von Obstipation
10) Die Nierenfunktion kontrollieren: bei Niereninsuffizienz wenn möglich Hydromorphon oder Fentanyl (transdermal) einsetzen
11) Zu Beginn der Opioidtherapie entwickeln Patientinnen und Patienten oft vorübergehend Nausea. Man kann während den ersten Tagen Antiemetika wie Domperidon oder Metoclopramid dazugeben, alternativ eine tiefe Dosis Haloperidol oder ein Kortikoid erwägen.

Im Folgenden soll noch auf zwei der starken Opioide gesondert eingegangen werden. Methadon ist wegen seiner stark variablen Halbwertszeit, seiner komplexen Dosierung, seiner unter anderem kardialen Nebenwirkungen und möglicher Stigmatisierung (Einsatz bei Opioid-Agonisten-Therapie) ein Molekül, das nur von Ärztinnen und Ärzten mit entsprechender Erfahrung angewendet werden soll (29). Buprenorphin als gemischter Agonist-Antagonist wird zur Analgesie in der Palliativmedizin sehr selten angewendet.

Falls bei ausgebauter Opioidtherapie eine suboptimale Schmerzkontrolle besteht und/oder unerträgliche Nebenwirkungen auftreten, kann eine Opioidrotation durchgeführt werden: Man rotiert das Molekül oder die Applikationsform. Bei Wechsel des Moleküls erfolgt eine Reduktion der Dosis um 20–30 %. Es gibt auch Karten mit Umrechnungstabellen oder gute Onlineapplikationen wie die des Universitätsspitals Zürich (48).

Liegen Organinsuffizienzen vor, soll vorsichtig und in reduzierter Dosis eintitriert werden. Bei schwerer Leberinsuffizienz gilt es, den Einsatz schwacher Opioide (Stufe 2) zu vermeiden. Generell findet sich eine höhere systemische Exposition der meisten Opioide, sodass eine Dosisreduktion um 50–75 % empfohlen wird. Beim Einsatz eines Oxycodon-Naloxon-Kombinationspräparats muss beachtet werden, dass bei mässiger bis schwerer Leberinsuffizienz Naloxon in der Leber weniger eliminiert wird und somit systemische Wirkung entfalten könnte, was die Wirkung des Oxycodons mindert. Hier sollte das Monopräparat Oxycodon genutzt werden.

Bei Niereninsuffizienz kumulieren Hydromorphon, Oxycodon und Fentanyl weniger bzw. gar nicht. Beachtet werden sollte der Einsatz geringerer Initialdosen, vorsichtige Titration und ein längeres Dosisintervall. Beim Einsatz von Morphin hingegen kommt es zur Kumulation von Metaboliten. Wenn ein Einsatz unumgänglich ist, kann eine sehr vorsichtige Titration (1.25–2.5 mg p.o./s.c. bei Bedarf) mit Wechsel auf ein Fentanyl TTS nach Erreichen der Schmerzkontrolle erwogen werden (35). In der Sterbephase ist der Einsatz von Morphin oft sinnvoll, da einfach verfügbar, i.v. und s.c. applizierbar.

Co-Analgetika in verschiedenen Indikationen

Die Behandlung neuropathischer Schmerzen kann he­rausfordernd sein. Als Erstlinientherapie gelten die selektiven Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI) Duloxetin und Venlafaxin, die trizyklischen Antidepressiva (TZA), von denen einige auch in Tropfenform gegeben werden können, sowie die Antiepileptika Gabapentin und Pregabalin. Als Zweitlinientherapie werden die topischen Therapeutika Capsacin und Lidocain empfohlen. Zudem wird der Einsatz von Tramadol vorgeschlagen. Allerdings zeigt letztgenanntes oft nicht eine ausreichende analgetische Wirkung trotz der zusätzlichen Serotonin-Reuptake-Hemmung. Somit sind die starken Opioide als dritte Linie eine bessere Option. Kombinationen zwischen den Sub­stanzklassen sind sinnvoll (49).

Die Anwendung in dieser Indikation ist meistens «practice-based» und off-label, obwohl es mittlerweile viele randomisierte Studien zu verschiedenen Indikationen gibt, wie z.B. bei Taxan-induzierten neuropathischen Schmerzen (50). Neben Depression und Angststörung sind auch die diabetische und Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie Indikationen für den Einsatz von Duloxetin (51, 62). Wegen der Metabolisierung via CYP2D6 gibt es für Amitryptilin, Venlafaxin und Duloxetin viele Interaktionen und je nach Enzymaktivität verschiedene Phänotypen (slow, rapid intermediate Metabolizer), die beachtet werden müssen (52, 53).

Pregabalin und Gabapentin blockieren zentrale Calciumkanäle und hemmen so die Freisetzung von Neurotransmittern wie Glutamat und Noradrenalin. Obwohl als Antiepileptika entwickelt, werden sie aktuell hauptsächlich für die registrierten Indikationen bei neuropathischem Schmerz eingesetzt. Diese Substanzen werden wenig metabolisiert; daher sind Interaktionen seltener. Bei Niereninsuffizienz muss die Dosis reduziert werden, Gabapentin bietet in diesem Fall mehr Möglichkeiten (54, 55).

Bei Leberkapselschmerz, Kopfschmerzen wegen Hirnmetastasen, Obstruktion oder anderen Schmerzen als Folge von Überdruck und Ödem sind Kortikoide (Dexamethason oder Methylprednisolon) sehr hilfreich (24). Beim Einsatz von Dexamethason hat sich eine Dosis zwischen 4 und 16 mg/d bewährt.
Trotz manchmal euphorischer medialer Berichterstattungen gibt es bis jetzt keine Evidenz für Cannabis in der Schmerztherapie (56, 57).

Applikationsformen

Die orale Applikation ist vorzuziehen. Gewisse Arzneimittel können als Schmelztabletten (auf die Zunge, z.B. Lorazepam oder Domperidon) oder sublingual (unter die Zunge, z.B. Buprenorphin oder Nitroglycerin) verabreicht werden. Wenn Erkrankte schwächer werden, verwirrt sind, unter Nausea/Erbrechen oder an einer intestinalen Ob­struktion leiden, muss eine alternative Applikationsform gewählt werden. In der Palliativmedizin, vor allem zu Hause, ist dabei oft Kreativität gefragt. Siehe auch Fallbeispiel (BOX 2).

Die transdermale Verabreichung (Transdermale Therapeutische Systeme, TTS) ist für z.B. Buprenorphin und Fentanyl eine elegante und effiziente Lösung, wobei letztgenanntes häufiger genutzt wird. Wichtig ist, dass man genau weiss, welche Dosis notwendig ist, da das Eintitrieren wegen der langen Latenzzeit anspruchsvoll ist. Sie sind nicht für eine unkontrollierte Akutschmerzsituation als erstes Opioid geeignet. Für die Resorption muss ein ausreichendes subkutanes Fettpolster vorhanden sein. Für terminal erkrankte Menschen wird diese Anwendung nicht empfohlen.

Der subkutane Applikationsweg hingegen wird in der Palliativmedizin sehr häufig angewendet. Die Vorteile sind der einfache Zugang und die geringe benötigte Flüssigkeitsmenge. Mittels einer s.c.-Pumpe kann das Arzneimittel kontinuierlich verabreicht werden, die Reserven können als Boli s.c. gespritzt werden. Dieser Zugangsweg ist für sehr viele Moleküle geeignet, wenn auch meistens «off-label». Es besteht jedoch eine jahrelange Erfahrung in der Anwendung (58, 59, 60, 61). Als analgetische Substanzen werden Morphin und Hydromorphon verwendet. Für letzteres muss im ambulanten Einsatz eine Kostengutsprache gestellt werden. Nur bei Erkrankten mit ausgeprägten Ödemen, peripheren Durchblutungsverhältnissen (Resorptionsproblemen) oder Gerinnungsstörungen (Hämatomrisiko) wird die subkutane Verabreichung nicht empfohlen. Bis zu einer Thrombozytenzahl von 10 000/μl ist die s.c.-Gabe problemlos möglich (Erfahrungswert). Die intravenöse Verabreichung ist eine Alternative bei hohen Dosen mit zu grosser Flüssigkeitsmenge für die s.c.-Gabe. Für Notfallsituationen ist die in­travenöse Applikation vorzuziehen.

Kopfschmerzen aufgrund von primären Hirntumoren oder Metastasen sprechen häufig sehr gut auf Stufe-1-Analgetika an (Paracetamol/Ibuprofen/Novalgin). Können Betroffene nicht mehr schlucken, ist die rektale Gabe in Erwägung zu ziehen. Fixe Gaben können mit der Körperpflege oder dem Frischmachen nach Wasserlösen oder Stuhlgang verbunden werden.

WHO Stufe 4: Interventionelle Verfahren

Die intrathekale Schmerztherapie mit Opioiden über ein implantiertes Kathetersystem wird der WHO-Stufe 4 zugeordnet. Diese soll als Beispiel für interventionelle Therapien herangezogen werden. Sie kann eine Option bei komplexen Tumorschmerzen sein. Als mögliche Indikationen gelten:
– Therapierefraktäre Schmerzen mit nicht tolerierbarer Schmerzintensität und Beeinträchtigung der Lebensqualität
– Ungenügende Schmerzlinderung oder deutliche Nebenwirkungen durch konservative Opioidtherapie und Co-Analgetika
– Prognose einer kontinuierlichen/fortschreitenden Schmerzproblematik aufgrund des Tumorwachstums oder postinterventioneller Therapiefolgen

Vor einer Implantation müssen psychiatrische Erkrankungen ausgeschlossen bzw. stabilisiert sein, ebenso sollte eine Total-Pain-Komponente beachtet werden. Für eine Implantation ist immer ein stationärer Aufenthalt mit Abstimmung der involvierten Disziplinen notwendig. Auch muss die weitere ambulante Betreuung durch spezialisierte Pflegedienste und ein schmerztherapeutisch anästhesiologisches Team gewährleistet sein (BOX 3) (4).

Dr. med.Mirjam Buschor-Bichsel

Zentrumsleiterin
Palliativzentrum
Leitende Ärztin
Schmerzzentrum
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

mirjam.buschor-bichsel@kssg.ch

Dr. med. MScAndrea Berendes

Leitende Ärztin Palliativzentrum
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Prof. Dr. med. Katelijne De Nys

Leitende Ärztin, Stv. Zentrumsleiterin
Palliativzentrum
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1) Schmerzen sind in der Palliative Care bei unterschiedlichen Grunderkrankungen häufig und sollen unter dem bio-psycho-sozialen-spirituellen Aspekt erfasst und beurteilt werden.
2) Für die Schmerzanamnese kann das Akronym SOCRATES ­genutzt werden.
3) Die Klassifikation des vorliegenden Schmerzmechanismus ­(nozizeptiv, neuropathisch, gemischt) ist wichtig für die Wahl der Medikamente. Hierbei ist die WHO-Stufenleiter nach wie vor ein Hilfsmittel.
4) Die Erstellung eines Schmerzmanagementplans mit medikamentösen und nicht medikamentösen Massnahmen und
die Besprechung desselben mit den Betroffenen und ihren ­Angehörigen ist ein wichtiger Teil der Schmerztherapie.
5) Eine umfassende Schmerztherapie beinhaltet, wenn immer möglich und sinnvoll, eine Behandlung der Grunderkrankung (z.B. Bestrahlung von Metastasen, Parkinson-spezifische ­Therapie).
6) Zur Schmerzlinderung sollte ein schrittweises Vorgehen ­angestrebt werden, z.B. als erster Schritt eine Verbesserung der Beschwerden in der Nacht.
7) Bei unzureichender Beschwerdelinderung oder herausfordernden Situationen sollte eine spezialisierte schmerztherapeutische ­Expertise beigezogen werden. «Never say: There’s nothing more I can do for you» (44).

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