Management der Venenthrombose

Oberflächliche Venenthrombose (OVT)

Man unterscheidet OVT in primär gesunden Venen (Thrombophlebitis) und varikös-veränderten Venen (Varikothrombose). Zu 90 % sind die unteren Extremitäten betroffen, meist auf Grundlage einer Varikosis. Bei OVT einer nicht varikösen Vene muss ursächlich an Systemerkrankungen (z.B. Thromboangiitis obliterans, M. Behçet, Autoimmunerkrankungen) und Tumoren gedacht werden, sofern kein Trigger für einen Endothelschaden ersichtlich ist (Trauma, I.v.-Zugänge etc.).

Da die tatsächliche Ausdehnung des Prozesses oft langstreckiger ist als klinisch oder durch Blickdiagnose erfasst und gemäss POST-Studie (7) in bis zu 30 % gleichzeitig eine asymptomatische TVT und bis 4 % eine LE vorliegen, soll bei V.a. einer OVT der unteren Extremität die Diagnose sonografisch gesichert und eine begleitende TVT ausgeschlossen werden (1, 2). Das Therapieregime richtet sich nach dem Durchmesser der betroffenen Vene, der Gesamtlänge des Thrombus (Schwellenwert 5 cm) sowie dem Abstand zur Mündung ins tiefe Venensystem (mündungsnah definiert als < 3 cm) (1):
– Bei jeder OVT soll eine Kompressionsbehandlung bis zum Abklingen der Symptome erfolgen.
– Bei OVT kleiner Astvarizen sowie OVT < 5 cm Länge mündungsferner Stammvenen (V. saphena magna und parva) steht die Lokaltherapie im Vordergrund mit Kühlung, Kompression, NSAR und Heparinsalbe. Wichtig ist eine fortgesetzte Mobilisation zur Thromboseprophylaxe. Operative Verfahren wie eine Stichinzision oder Venenligatur bei akuter OVT haben keinen Stellenwert mehr und werden auch in gefässchirurgischen Leitlinien nicht mehr empfohlen (3).
– Eine OVT ≥ 5cm Länge grosskalibriger Astvarizen oder in mündungsfernen Stammvenen soll bevorzugt mit Fondaparinux in der Prophylaxedosis von 1 × 2.5 mg/d s.c. behandelt werden. Wichtig ist eine ausreichend lange Therapie über 4–6 Wochen, eine kürzere Dauer (oftmals 1–2 Wochen im klinischen Alltag) hat keine nachhaltige Wirkung und zeigt nach Absetzen thromboembolische Komplikationen gleicher Grös­senordnung wie unter Placebo (8). Auf Daten der SURPRISE-Studie (9) basierend kann alternativ eine Behandlung mit Rivaroxaban 1 × 10 mg/d über 45 d Tage erfolgen, das dem Fondaparinux in der VTE-Prävention nicht unterlegen war, jedoch mehr klinisch-relevante, nicht schwere Blutungen zeigte (HR 6.1; 95 %–KI 0.7–50). Für die Indikation OVT besteht für DOAK bislang keine Zulassung, der Patient ist über den Off-Label-Use aufzuklären.
– Eine mündungsnahe OVT wird volltherapeutisch wie eine TVT antikoaguliert.
– Im Fall einer OVT bei Varikosis kann eine endovenöse oder operative Sanierung erwogen werden, um das Risiko für Rezidive und VTEs zu senken. Der Eingriff sollte erst nach Abklingen der Symptome, frühestens
3 Monate nach akuter OVT erfolgen (10).

Schulter-Armvenenthrombose (SAVT)

Die SAVT ist mit 5–7 % nach der TBVT die zweithäufigste Manifestation tiefer Thrombosen. Meistens handelt es sich um sekundäre Thrombosen, die assoziiert mit Risikofaktoren auftreten wie Katheter, Elektroden von Schrittmachern/ICDs, aktiver Tumorerkrankung, Trauma oder einer Überbeanspruchung der Schultermuskulatur (Paget-von-Schroetter-Syndrom, Thrombose par effort). In ca. 20–25 % kommt es zu primären Thrombosen ohne erkennbaren Anlass. Hier muss als anatomisch für eine TVT prädisponierend an ein Thoracic-outlet-Syndrom (TOS) gedacht werden, Ursachen hierfür können eine kostoklavikuläre Enge, Halsrippe, Kallusbildung nach Klavikulafraktur oder Exostosen der 1. Rippe sein.
Als evidenzbasiertes, effizientes Vorgehen wird folgender Diagnosealgorithmus empfohlen (Abb. 1) (1, 5):
– In Analogie zur Abklärung einer TBVT kann zunächst die klinische Wahrscheinlichkeit (KW) für eine SAVT anhand des hierfür validierten Constans-Scores (11) abgeschätzt werden und in Kombination mit einer D-Dimer-Testung helfen, die Notwendigkeit einer weiteren Bildgebung zu klären. Bei einem Score ≤1 liegt eine geringe KW vor (Prävalenz ≤ 10 % in Validierungskohorten). Ergänzt mit dem D-Dimer-Test, schliesst ein negatives Resultat eine TVT aus, bei positivem Test wird sonografisch weiter abgeklärt. Bei einem Score ≥ 2 besteht eine hohe KW (Prävalenz ≥ 40 %), und es sollte direkt eine Sonografie erfolgen.

Dieses Procedere mit Verzicht auf eine Bildgebung bei niedriger KW und normwertigen D-Dimeren zeigte sich nur sicher für nicht hospitalisierte Patienten vor dem 75. Lj., die keine aktive Tumorerkrankung hatten und bei denen der V.a. eine SAVT nicht in zeitlichem Zusammenhang mit venösen Zugangswegen oder in­travenösen Sonden auftrat (12). Trifft eines dieser Kriterien zu, wird der Patient ebenfalls einer Hochrisikopopulation zugerechnet und sollte direkt einer Bildgebung zugeführt werden.

– Erschwert wird die Diagnostik durch den Umstand, dass das Thrombosegeschehen am häufigsten die V. subclavia und zentralvenöse Abschnitte betrifft. Durch Kombination des klassischen KUS (distal der V. axillaris) mit einem Farbduplex (beurteilt wird die vollständige Farbcodierung der Venen sowie der atem- und herzzyklusmodulierte Fluss in der V. subclavia im Seitenvergleich) wird eine Sensitivität von 91 % und eine Spezifität von 93 % erreicht. Bei nicht eindeutigem Befund kann man die Untersuchung innert 4–7 Tagen wiederholen oder direkt eine Schnittbildgebung (d.h. CT-, MR-Venografie) durchführen, insbesondere bei ausgeprägter Symptomatik, hoher KW, V.a. ein zen­tralvenöses Abstromhindernis und/oder bekannter Tumorerkrankung.

– Bei primärer SAVT sollte auf ein (neuro-)vaskuläres Kompressionssyndrom hin abgeklärt werden. Da im Fall eines TOS auch die begleitende Arterie betroffen ist, kann ein positives Adson-Manöver (Verschwinden des Radialispulses bei Armabduktion und Elevation) erste Hinweise geben, der Test hat aber eine geringe Sensitivität und Spezifität. Die Diagnostik auf ein venöses TOS ist erst nach Wiedereröffnung der Venen sinnvoll. Geprüft wird der venöse Abstrom in Funktionsstellung (Hyperabduktion) des Arms mittels Duplexsonografie. Vor einer chirurgischen Massnahme sollte die Dia­gnose durch ein weiteres bildgebendes Verfahren (z.B. konventionelle Phlebografie, CT- oder MR-Venografie) bestätigt werden.

Therapie

Insgesamt werden geringere Komplikationsraten nach SAVT beobachtet als nach TBVT. Das LE-Risiko infolge einer SAVT beträgt 10–15 %, das Rezidivrisiko 5–10 % (unter Malignom 2-bis 3-mal häufiger). Da RCTs fehlen, erfolgen die Therapieempfehlungen in Analogie zur TBVT und basieren auf Beobachtungsstudien. Bei einer ersten SAVT sollte über mind. 3 Monate antikoaguliert werden.

Bei Malignom- und Katheter-assoziierter SAVT wird auch länger antikoaguliert, solange der Tumor aktiv ist bzw. das intravenöse Fremdmaterial verbleibt. Es ist etabliert, dass ein nicht infizierter, nicht dislozierter und funktionsfähiger Katheter belassen werden kann, sofern er für die Fortführung der Therapie erforderlich ist. Eine Katheterokklusion allein ist ebenfalls kein Grund, den Katheter zu entfernen. Durch Instillation eines Fibrinolytikums (z. B. 2 mg rt-PA/2 ml NaCl–0.9 %) kann in über 90 % der Fälle die Durchgängigkeit wiederhergestellt werden.

Ob eine Kompressionstherapie bei SAVT von Nutzen ist, ist nicht belegt und wird bei der im Vergleich zur TBVT niedrigen Inzidenz eines PTS von 5–10 % nicht routinemässig empfohlen. Eine Kompressionstherapie mit Kurzzugbinden oder Kompressionsärmel kann aber in der Akutphase zur Linderung der Beschwerden erwogen werden, wenn eine ausgeprägte Stauungssymptomatik vorliegt.
Nach primärer SAVT und gesichertem venösen TOS kann eine chirurgische Dekompressionstherapie (z.B. transaxilläre Resektion der 1. Rippe) erwogen werden.

Hormon- und Schwangerschafts-­assoziierte TVT

Stellenwert der Hormontherapie (Pille, HRT) als Risikofaktor

Das Risiko für eine VTE ist bei Frauen im gebärfähigen Alter insgesamt niedrig, altersabhängig liegt es bei 15–35-Jährigen bei 1–2, im Alter von 35–44 Jahren bei 3–5 pro 10 000 Frauenjahren.
Kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK, Pille) können das Thromboserisiko erhöhen, dabei ist neben der Östrogendosis insbesondere die Art des Gestagenanteils entscheidend (Tab. 1) (13). Das VTE-Risiko ist vor allem bei Erstanwenderinnen und im ersten Anwendungsjahr ­erhöht, was die Bedeutung der Prädisposition zeigt. Vor Kontrazeptiva-neuverordnung bedarf es einem Screening auf das individuelle Basisrisiko. Risikoindikatoren sind (14):
– Alter > 35 J.
– BMI > 30 kg/m2 *
– Rauchen (> 15 Zig./Tag) *
– positive Familienanamnese für VTE bei erstgradig Verwandten vor dem 45. Lj. ohne Auslöser oder bekannte Thrombophilie in der Familie
– Eigenanamnese für VTE (insbesondere Hormon-assoziierte und spontane Ereignisse ohne identifizierbare Risikofaktoren*)

Das Alter per se ist keine Kontraindikation für KOK, bei den mit Stern* gekennzeichneten Risikofaktoren soll möglichst auf KOK verzichtet und eine andere Form der Kontrazeption gewählt werden. Bei Eigen- oder Familienanamnese für ungetriggerte VTE in jungem Alter ist eine Thrombophilietestung zu erwägen, ansonsten ist sie zur individuellen Risikoabschätzung wenig hilfreich und soll nicht routinemässig vor Verschreibung von Kontrazeptiva durchgeführt werden. Beispielsweise läge die «Number needed to test», um eine VTE zu vermeiden, für die Faktor-V-Leiden-Mutation bei 666 (15).

Die ersten «Pillen» in den 1960er-Jahren hatten einen Ös­trogengehalt von weit mehr als 50 µg Ethinylestradiol (EE), mit Entwicklung der Mikropille (≤ 35 µg EE) konnte das VTE-Risiko gesenkt werden. Heutige in der Schweiz zugelassene KOK enthalten EE, für eine ausreichende kon­trazeptive Sicherheit und Blutungsstabilität, in einer Dosis von 20–30 µg oder 1–3 mg Estradiol. Die Gestagene Levonorgestrel (Pille der 2. Generation) sowie in der KOK-Gruppe der «neueren Pillen» enthaltenes Nomegestrol und Dienogest (in Kombination mit Estradiol) haben ein vergleichsweise niedriges VTE-Risiko mit einer ca. 2- bis 3-fachen Risikoerhöhung für ein Initialereignis gegenüber Nichtanwenderinnen. Die Pillen der 3. Generation mit Desogestrel und Gestoden sowie der neueren Pillen mit Chlormadinon und Drospirenon haben ein hohes VTE-Risiko mit 4- bis 6-facher Risikoerhöhung.

Gestagenmonopräparate, mit Ausnahme von Depot-Medoxyprogesteronacetat/DMPA («3-Monatsspritze»), sind nicht mit einem erhöhten VTE-Risiko assoziiert. Als reine Gestagenpräparate mit Ovulationshemmdosis stehen in der Schweiz z.B. die Minipille mit Desogestrel, die Hormonspirale mit Levonorgestrel oder das Implantat mit Etonogestrel zur Verfügung.

Bei einer akuten VTE empfiehlt die Internationale Gesellschaft für Thrombose- und Hämostase (ISTH) eine Weiterführung der hormonellen Kontrazeption unter der Antikoagulation (16), da der Nutzen das Risiko übersteigt. Aktuell gibt es keine prospektive Evidenz, dass das Risiko thromboembolischer Komplikationen damit erhöht wird. Eine Post-hoc-Analyse der EINSTEIN-DVT/PE-Studien (17) zeigte keine Risikoerhöhung unter Antikoagulation mit Rivaroxaban respektive VKA und Hormonexposition gegenüber Patientinnen ohne hormonelle Kontrazeption. Es fanden sich auch keine Unterschiede in der VTE-Rezidivrate östrogenhaltiger Kontrazeptiva und Gestagenmonopräparaten. Demgegenüber steht das Risiko einer ungeplanten Schwangerschaft bei Umstellung bzw. Absetzen einer Kontrazeption und schwerer vaginaler Blutungen unter Hormonentzug und Antikoagulation. Während einer oralen Antikoagulation ist auch im Hinblick auf deren potenzielles Embryotoxizitätsrisiko eine sichere Empfängnisverhütung erforderlich. Vor Beenden der Antikoagulation soll dann eine östrogenhaltige auf eine östrogenfreie Kontrazeption (reines Gestagen – mit Ausnahme von DMPA- oder hormonfreie Spirale) umgestellt werden (13).

In der peri- und postmenopausalen Hormonersatztherapie (HRT) variiert das VTE-Risiko dosis- und substanzabhängig sowie mit der Applikationsform. Das Thromboserisiko steigt mit der oral zugeführten Östrogendosis, nach Metaanalysen (18) ist es in den ersten 6–12 Monaten am höchsten mit einer etwa 4- bis 6-fachen Risikoerhöhung und fällt danach auf das 2-fache in den Folgejahren. Bei frühem Beginn nach der Menopause (i.e. innerhalb der ersten 10 Jahre nach der Menopause resp. vor dem 60. Lj.) kann eine individualisierte HRT in mittlerer und niedriger Dosierung (Tab. 2) bei gesunden Frauen ohne erhöhtes Basisrisiko als sicher eingestuft werden (19).

Die transdermale Estradiolgabe scheint gerinnungsphysiologisch neutral zu sein, vermutlich aufgrund der Vermeidung des First-pass-Effekts und Metabolismus in der Leber und dadurch ausbleibender Stimulation der Gerinnungsfaktorsynthese. So zeigten englische Registerdaten von mehr als 950 000 postmenopausalen Frauen für transdermal applizierte Östrogene im Vergleich zu unbehandelten Kontrollen kein erhöhtes Thromboserisiko, unabhängig der Dosis, mit und ohne oralem Gestagen (20), was sich in weiteren Studien bestätigte (21).

Die in den vorgenannten Untersuchungen (20, 21) vergleichbare Risikoerhöhung einer Östrogenmonotherapie (nur geeignet für Frauen nach Hysterektomie) und einer kombinierten Therapie mit Gestagen (indiziert bei intaktem Uterus zum Schutz des Endometriums) implizieren, dass die Auswahl des Gestagens möglicherweise von untergeordneter Bedeutung ist. Die Daten diesbezüglich sind jedoch inkonsistent, während mikronisiertes Progesteron und 17-Hydroxyprogesteronderivate sich nicht zusätzlich zum Östrogeneffekt auswirken, gibt es auch Hinweise, dass synthetische Gestagene (wie Medroxyprogesteronacetat) ein erhöhtes VTE-Risiko haben (22, 23).

Thrombosen in Schwangerschaft und Wochenbett (1, 24)

Das VTE-Risiko von Schwangeren ist durchschnittlich 6-fach höher als das von nicht schwangeren Frauen und liegt bei ca. 1–2/1000 Schwangerschaften. Im Verlauf der Schwangerschaft steigt es an zu einer etwa 10- bis 20-fachen Risikoerhöhung um den Geburtszeitpunkt und den ersten Wochen postpartal, danach sinkt es wieder ab und ist 6–12 Wochen post partum nur noch geringfügig erhöht (25).
Zur Diagnostik des Thromboseverdachts bei Schwangeren gibt es bisher keinen anerkannten Algorithmus, das sonst übliche Vorgehen einer der Bilddiagnostik vorgeschalteten Stratifizierung über die klinische Wahrscheinlichkeit (KW) mittels Score und D-Dimeren ist nicht für die Schwangerschaft validiert.

– Die KW wird mit dem Wells-Score nur ungenügend erfasst. Isolierte Beckenvenenthrombosen, die durch fötusbedingte Kompression der Iliakalvenen mit 15–20 % d.F. in der Schwangerschaft gehäuft vorkommen, äussern sich klinisch oft atypisch ohne Beinschwellung, nur mit Schmerzen im Gesäss, in der Leiste oder im Bauchraum.
– Die D-Dimere, die einen hohen Stellenwert in der Diagnostik bei nicht schwangeren Patientinnen haben, steigen im Verlauf der Schwangerschaft physiologisch an. Im 1. Trimenon haben etwa 50–85 % der Frauen noch normale D-Dimer-Werte, der Anteil mit normalen D-Dimeren sinkt im 2. Trimenon auf 23–33 % und im 3. Trimenon auf 0–4 % (25). Prospektive Managementstudien für Schwangerschafts-adaptierte Cutoff-Werte fehlen, es ist aber davon auszugehen, dass innerhalb der etablierten Referenzbereiche normale D-Dimere eine klinisch relevante VTE bei Schwangeren genauso sicher ausschliessen wie bei Nichtschwangeren.
– Aufgrund der genannten Limitationen soll bei jedem Verdacht initial eine Bildgebung erfolgen. Methode der Wahl ist ein Ultraschall mit Kompressionssonografie der Beinvenen inklusiv Darstellung der Iliakalvenen.
– Bei nicht eindeutigem Befund wird eine Wiederholungssonografie innert von 7 Tagen, eine D-Dimer-Bestimmung und/oder – bei Verdacht auf eine isolierte Beckenvenenthrombose – eine native MR-Venografie (ohne Gadolinium-Kontrast) empfohlen.
Zur Therapie sind NMH die Antikoagulantien 1. Wahl in der Schwangerschaft und Stillzeit, sie sind nicht plazentagängig und werden nicht in nennenswerten Mengen in die Muttermilch sezerniert. VKA sind aufgrund embryotoxischer Nebenwirkung in der Schwangerschaft kontraindiziert, für die Stillzeit sind sie zugelassen. DOAK sind in der Schwangerschaft aufgrund mangelnder Sicherheitsdaten kontraindiziert. Danaparoid und Fondaparinux können in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden, da jedoch nur begrenzte Erfahrungen zu deren Anwendung in der Schwangerschaft vorliegen, sollen sie lediglich als Reservemedikamente bei Kontra-­
i­ndikationen von Heparinen (z.B. HIT oder kutane Heparinallergie) verordnet werden.
– Die Antikoagulation soll für mindestens 3 Monate erfolgen und in jedem Fall bis 6 Wochen post partum fortgeführt werden (1, 2, 26).
– Man beginnt mit NMH in gewichtsadaptierter, volltherapeutischer Dosis. Nach 4 Wochen kann bei erhöhtem Blutungsrisiko eine Reduktion auf eine intermediäre NMH-Dosis (50–75 % der Ausgangsdosis) erwogen werden. Dies bleibt bei wenig Studiendaten zu diesem Dosisregime eine Einzelfallentscheidung.
– Postpartal kann auf einen VKA umgestellt werden (Ziel-INR von 2–3). Die kurz wirksamen VKA Acenocoumarol und Warfarin werden nicht, das lipophilere Phenprocoumon in geringem Mass in die Muttermilch sezerniert. Bei letzterem sollte daher das Neugeborene eine Vitamin-K-Substitution erhalten (1 ×/Wo 2 mg Konakion®MM paediatric p.o.)

Rezidivrisiko und -prophylaxe nach Hormon- und Schwangerschafts-assoziierter TVT

Die ISTH klassifiziert in ihrem Guidance-Dokument (27) KOK, HRT und Schwangerschaft als schwache, aber wichtige transiente Risikofaktoren. Das Rezidivrisiko halbiert sich, sobald der hormonelle Einfluss als potenzieller Trigger wegfällt, und ist nur halb so hoch wie bei spontanen VTE-Ereignissen ohne identifizierbaren Risikofaktor.
– Wegen des niedrigen Rezidivrisikos nach Beendigung des hormonellen Triggers wird in den nationalen (13, 28) und internationalen Guidelines (1–3) nur eine reguläre, keine verlängerte, d.h. in der Regel 3-monatige (in der Schwangerschaft in jedem Fall aber bis 6 Wochen postpartale), Antikoagulation empfohlen.
– Nach einer Schwangerschafts-assoziierten VTE ist das Rezidivrisiko für ein erneutes Ereignis in der Folgeschwangerschaft höher (29) als bei Frauen, die eine nicht Schwangerschafts-assoziierte VTE hatten. Diesen Frauen und auch Patientinnen nach einer Hormon-assoziierten VTE wird bei künftiger Schwangerschaft von Beginn an bis 6 Wochen postpartal zu einer prophylaktischen Antikoagulation geraten (30).

Carcinom-assoziierte Thrombose (CAT)

Bei CAT wird eine Antikoagulation über 3–6 Monate empfohlen (IA), anschliessend sollte eine prolongierte Sekundärprophylaxe erfolgen (IIaA), solange die Tumorerkrankung aktiv ist. Eine aktive Tumorerkrankung ist definiert als lokal fortgeschrittenes, metastasiertes oder rezidivierendes bzw. in den letzten 6 Monaten diagnostiziertes oder behandeltes Malignom.

Lange galten NMH als Standardtherapie bei Tumor-assoziierter VTE. Internationale Guidelines (2, 31, 32) empfehlen nun auf neuen Daten basierend direkte Faktor-Xa-Inhibitoren (DXI) als präferierte Behandlung (IA), sofern keine Kontraindikationen vorliegen. In Vergleichsstudien und nachfolgenden Metaanalysen zeigte sich eine Nichtunterlegenheit für DXI und unter Berücksichtigung der besseren Therapietreue eine signifikante Abnahme der VTE-Rezidive im Vergleich zu NMH, allerdings mit Hinweis auf vermehrte Blutungsraten (33–37). Für den Thrombininhibitor Dabigatran liegen keine Daten zur Wirksamkeit für die Behandlung Tumor-assoziierter VTE im Vergleich zu NMH vor.
Bei der Substanzwahl «DXI vs. NMH» sind individuell neben Blutungsrisiken und Aspekten der Tumorerkrankung (Tumorentität, Antitumortherapie) auch die klinische Situation und Praktikabilität einer oralen vs. parenteralen Therapie und die Patientenpräferenz zu berücksichtigen sowie im Verlauf in regelmässigen Intervallen zu überprüfen (Abb. 2). Speziell ist zu beachten:

– Bei nicht operierten oder verbleibenden gastrointesti­nalen und urogenitalen Tumoren sind NMH weiterhin die Therapie der Wahl aufgrund des unter DOAK im Vergleich erhöhten Blutungsrisikos.
– Für Apixaban besteht zudem eine Einschränkung bei primären oder metastatischen Hirntumoren und akuter Leukämie, weil diese Tumorentitäten in der relevanten Caravaggio-Studie (33) nicht eingeschlossen waren.
– Bei DXI muss im Gegensatz zu den NMH das Interaktionspotenzial mit einer laufenden oder geplanten Anti- tumortherapie berücksichtigt werden (Prüfmöglichkeit unter www.drugs.com).
– Bei erhöhtem Blutungsrisiko können NMH nach 6 Wochen gemäss CLOT-Studie (38) auf eine intermediäre 75 %-Dosis reduziert werden. Die DXI-Studien zu CAT wurden alle in der Therapiephase nach akuter VTE in volltherapeutischer Dosierung durchgeführt, prospektive Studien mit Vergleich unterschiedlicher Intensitäten der Antikoagulation fehlen. In Anlehnung an die Daten bei Nichttumorpatienten kann im Einzelfall nach Nutzen-Risiko-Abwägung eine Dosisreduktion von Apixaban (2 × 2.5 mg/d) oder Rivaroxaban (1 × 10 mg/d) zur prolongierten Prophylaxe erwogen werden (1).
– Besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko aufgrund einer Thrombozytopenie, die Malignom-bedingt oder aufgrund der spezifischen Therapie bei Tumorpatienten häufig vorkommt, sind DXI bei einer Thrombozytenzahl < 50 000/µl kontraindiziert. NMH sollen ab diesem Schwellenwert auf die halbe Dosis reduziert und unter 25 000/µl pausiert werden (1, 32).
– Bei Thromboserezidiv unter therapeutischer Dosis mit NMH wird eine Fortsetzung der Therapie mit erhöhter Dosis um 20–25 % oder ein Wechsel auf DXI empfohlen (39). Bei Rezidiv unter DXI gibt es keine auf höhergradiger Evidenz basierenden Empfehlungen. Bei Therapie-adhärenz und Ausschluss ursächlicher Medikamenteninteraktionen kann mit der erhöhten Initialdosis der VTE-Therapie von Apixaban oder Rivaroxaban behandelt oder auf NMH (ggf. mit erhöhter Dosis) umgestellt werden(1). Im Einzelfall können auch Plasmaspiegelkontrollen sinnvoll sein.

Abkürzungen
AK Antikoagulation
APS Antiphospholipid-Syndrom
APA Antiphospholipid-Antikörper
CAT Carcinom-assoziierte Thrombose
CVST Cerebrale Venen- und Sinusthrombosen
CT Computertomografie
CTPA CT-Pulmonalisangiografie
DOAK Direkte orale Antikoagulanzien
DXI Direkter Faktor-Xa-Inhibitor
GFR Glomeruläre Filtrationsrate
HIT Heparin-induzierte Thrombozytopenie
HRT Peri-/postmenopausale Hormonersatztherapie
LE Lungenembolie
KKL Kompressionsklasse
KOK Kombinierte orale Kontrazeptiva
KUS Kompressionsultraschall
KW Klinische Wahrscheinlichkeit
MR Magnetresonanz
NMH Niedermolekulares Heparin
NSAR Nichtsteroidale Antirheumatika
OAK Orale Antikoagulation
OVT Oberflächliche Venenthrombose
PNH Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
POCT Point-of-Care-Test
PTS Postthrombotisches Syndrom
SAVT Schulter-Armvenenthrombose
TBVT Tiefe Bein-/Beckenvenenthrombose
TOS Thoracic-outlet-Syndrom
TVT Tiefe Venenthrombose
UFH Unfraktioniertes Heparin
VKA Vitamin-K-Antagonisten
VTE Venöse Thromboembolie

Historie
Manuskript eingereicht: 03.06.2024
Manuskript angenommen: 02.07.2024

Anhang
Informationen zur Methodik der Guidelineerstellung des IHAMZ mit den angewandten FMH- und IOM
(Institute of medicine)-Qualitätskriterien (Evidenz-Niveaus, Empfehlungsgrade etc.) finden sich auf der Homepage
www.hausarztmedizin.uzh.ch unter dem Themenblock
Guidelines im Positionspapier.

Dr. med. Andrea Rosemann

Institut für Hausarztmedizin Universitätsspital Zürich (IHAMZ)
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

andrea.rosemann@usz.ch

Prof. Dr. med. Isabell Witzel

Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich (USZ)

isabell.witzel@usz.ch

Prof. Dr. med. MPHStefan Neuner-Jehle

Institut für Hausarztmedizin
Universität und UniversitätsSpital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

Dr. Sc. ETHGuiseppe Pichierri

Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich (IHAMZ), Zürich

Prof. Dr. Dr. med.Thomas Rosemann

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

thomas.rosemann@usz.ch

Prof. Dr. med. MPHOliver Senn

Institut für Hausarztmedizin
Universität und UniversitätsSpital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

oliver.senn@usz.ch

PD Dr. med. Matthias R. Meyer

Klinik für Kardiologie,
Kantonsspital Graubünden,
Chur

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Sterben, kann man das lernen?

Therefore, because death stirs people to seek answers to important spiritual questions, it becomes the greatest ­servant of humanity, rather than its most feared enemy (Lord Krishna to Arjuna, Bhagavad Gita) (1).

Einleitung

Das Thema Tod und Sterben begleitet uns in der Betreuung und Begleitung schwer kranker Patient/-innen und bewegt uns – bewusst oder unbewusst. Dennoch spricht man im klinischen Kontext kaum darüber. Für viele Patient/-innen ist es schwierig, über das eigene Ableben nachzudenken, mit Patient/-innen wird die Thematisierung des Lebensendes wenn möglich vermieden. Auch für Angehörige ist es schwierig, mit ihren Liebsten über den Tod zu sprechen. Mit Berufskolleg/-innen wird selten über die Bedeutung des Sterbens und des Todes für Patient/-innen und deren Angehörige sowie für die eigene berufliche Tätigkeit reflektiert. Lieber versucht man, über weitere Therapieoptionen nachzudenken aus Sorge, die Konfrontation mit dem Lebensende könnte die therapeutische Beziehung zu stark belasten (2). In den zeitlich eng getakteten Tagesabläufen tendiert man, dieses Thema aus Sorge vor Reaktionen und möglichen emotionalen Ausbrüchen der Patient/-innen zu meiden. Eine mangelnde Schulung und Erfahrung in der Gesprächsführung kann es ebenfalls erschweren, sich gegenüber dem Sterben und dem Tod im Gespräch mit Patient/-innen zu öffnen (3). Letztlich dient die Vermeidung von Endlichkeit, Sterben und Tod dem Selbstschutz vor starken Gefühlen und dem schmerzhaften Abschiednehmen von unseren Patient/-innen (4).

Die Auseinandersetzung mit dem Lebensende ist für schwer kranke Menschen in existenzieller Hinsicht schwierig. Viele scheuen sich, das nahende Lebensende und Ängste in Zusammenhang mit dem Sterben und dem Tod offen mit ihrem Arzt/Ärztin anzusprechen aus Furcht vor einem Abbruch der medizinischen Behandlung oder therapeutischen Beziehung (5). Viele kranke Menschen entwickeln aufgrund des Verschweigens des sich aufdrängenden und unausweichlichen Lebensendes diffuse Ängste, existenziellen Distress sowie Verleugnung (Denial) (6). Diese Angstbewältigung kann zu zwei diametral verschiedenen Phänomenen führen: einerseits zum Wunsch nach einem raschen Versterben, andererseits zur Entscheidung für aggressive und belastende Therapien am Lebensende, welche in der Folge mit hoher Symptomlast und eingeschränkter Lebensqualität einhergeht (7, 8). Beide Verhaltensweisen sind Ausdruck eines verzweifelten (dysfunktionalen) Bewältigungsversuchs. Auch pflegende Angehörige finden sich häufig in einem Zwiespalt zwischen Fürsorge und Sorge um die kranke Person und der Überforderung mit eigenen Gefühlen wieder. Sie sprechen kaum über ihr Erleben, ihre Sorgen und Ängste in Bezug auf das nahende Lebensende der geliebten Person (3). Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Tod und Sterben im Verlaufe einer komplexen medizinischen Behandlung kann dazu führen, dass auch Angehörige auf die Fortführung aggressiver Therapien am Lebensende drängen und das Gespräch über das nahende Lebensende erschwert wird (9).

Obwohl das Sterben Kernbestandteil des menschlichen Lebens ist, macht es uns Angst. Die Angst vor dem Tod ist universell und beschäftigt jede Person mit seiner latenten Präsenz und Bedrohung auf unterschiedliche Weise (10). Unterschiedliche wissenschaftliche Gebiete, darunter die Medizin, die Theologie, die Philosophie, die Rechts-, Natur- und Sozialwissenschaften, aber auch die Literatur, die Kunst und die Musik haben versucht, den Tod verständlich zu machen (11). Die Arbeit mit unseren Patient/-innen zeigt uns allerdings auf, dass es häufig nicht der Tod, sondern das Sterben ist, wovor sich die Menschen fürchten.

In diesem Artikel gehen wir unter Beleuchtung unterschiedlicher Perspektiven der Frage nach, warum wir uns vor dem Sterben und dem Tod fürchten, ob und wie man das Sterben lernen kann und wie eine Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens gelingen kann. Wir verfolgen die These, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit einerseits unser Gesundheitsbewusstsein stärkt und die Verantwortung gegenüber dem Leben und die Fürsorge für sich selbst wie auch für andere fördert. Zudem kann die Anerkennung der eigenen Vulnerabilität sowie die Offenheit für die Unbeständigkeit des Lebens die Empathie gegenüber unseren Patient/-innen entscheidend vertiefen, wodurch sich die Beziehungsqualität, die Patientenzufriedenheit sowie die Lebensqualität verbessern. Dieser Artikel soll unsere Berufskolleg/-innen zur Selbstreflexion anregen und ermutigen, sich Gedanken über die eigene Endlichkeit und Vergänglichkeit zu machen, in der Hoffnung, sich in der Arbeit mit Patient/-innen und auch im privaten Leben gegenüber der Unbeständigkeit des Lebens zu öffnen und dadurch den Blick verstärkt auf das Wesentliche im Leben richten zu können.

Krankheit, Sterben und Tod

Krankheit, Sterben und Tod sind integrale Bestandteile des Lebens und betreffen nicht nur das hohe Alter, sondern auch Eltern mit kleinen Kindern, junge Erwachsene, Jugendliche oder Kinder. Das Erleben einer schweren Krankheit ist geprägt von Ängsten, Kontrollverlust, Verlust der körperlichen und psychischen Integrität, Schmerzen, Abhängigkeit, Autonomieverlust, Phasen der Zustandsverschlechterung, Krisenbewältigung, Fragen nach Sinn und Sinnlosigkeit des Daseins, Wunsch nach Weiterleben oder Resignation und kann einen tiefen Leidensdruck auslösen (12). Das Sterben hingegen beschreibt das Erlöschen der körperlichen Lebensvorgänge, den Prozess, den ein Organismus bis zum Eintreten des Todes durchläuft. Der Tod dagegen ist ein Zustand, das finale Ereignis, welches jedem Organismus ein unwiderrufliches Ende setzt (13).

Obwohl wir alle ein gewisses Grundverständnis von Tod und Sterben haben, bleibt unser Verständnis für die psychischen, spirituellen und transzendenten Erfahrungen während des Sterbeprozesses und nach dem Tod oft begrenzt. Sterben und Tod bleiben trotz allen Wissens über organische Zerfallsprozesse ein unbegreifliches Rätsel. Das Einzige, was man mit Bestimmtheit wissen kann, ist die Tatsache, dass der Tod irgendwann eintreten wird (14, S. 47). In einem evolutionsbiologischen Sinne hat der Tod zwei polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Funktionen, die sich nicht konfligieren, sondern ergänzen: Werden und Vergehen, Leid und Segen stehen sich gegenüber. Und wird der Tod gefürchtet, so kann er dennoch als erlösend erlebt oder sehnsüchtig erwartet werden (15).
Subjektiv betrachtet gibt es den Tod des anderen und den Tod, der uns betrifft. Der Tod des anderen wird häufig als schmerzhaft und bedrohlich wahrgenommen, denn er nimmt, was geschätzt oder geliebt wird (16). Wie bereits Mascha Kaléko bemerkte, muss es einem nicht bangen vor dem eigenen Tod, sondern nur vor dem Tod derer, die einem nahe sind (17). Was in der Umkehr bedeutet, dass viele sterbende Personen in Sorge um ihre Angehörigen sind. Im Gegensatz dazu bleibt der eigene Tod unvorstellbar und lehrt uns, vielleicht gerade deswegen, das Fürchten vor dem Nichts (18). Gleichzeitig widerspiegelt die Erfahrung des Todes anderer Menschen und die damit verbundene (oft unbewusste) Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit eine existenzielle Grenzerfahrung (19). Gedanken an den Tod erzeugen in uns Bilder, Vorstellungen und Gefühle, die von persönlichen und kulturellen Lebenserfahrungen geprägt sind. Ob wir ihn fürchten, uns gegen ihn auflehnen, ihn erwarten oder gar herbeisehnen, ob wir ihn als Gegner oder Begleiter des Lebens betrachten – die Wahrnehmungen über den Tod und das Sterben sind vielfältig (20, S. 248 –255).

Auch in der modernen Welt spielt die Frage der menschlichen Existenz und der zeitlichen Dimensionen des Lebens eine wichtige Rolle (11, S. 45). Geburt, Fortpflanzung, Reproduktionsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Hightechmedizin, Krankheit, Alter, Tod und Sterben konfrontieren uns dabei immer wieder mit den Grenzen des Lebens und der Frage, wie man die begrenzte Lebenszeit erfüllend und sinnvoll nutzen kann und wo die Grenzen sind (21). Die kontrovers verlaufende Diskussion über medizinische Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung und Erfüllung der Lebenszeit, aber auch die Versöhnung von existenziell unerfüllten Lebenswünschen am Lebensende, also dem «ungelebten Leben», widerspiegelt im Wesentlichen die Frage, was eigentlich einen Menschen, ein sinnvolles Leben und damit zusammenhängend ein würdevolles Sterben ausmacht (21).

Leben und Tod im 21. Jahrhundert – der verdrängte Tod

Die Lebenswelt und Lebensgestaltung von Menschen der (post-)modernen westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist durch die Idee der Selbstverwirklichung und ein unersättliches Streben nach Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung gekennzeichnet. Das Bestreben nach Selbstoptimierung sowie der Wunsch, gesünder, schöner, stärker, resilienter und vor allem länger zu leben (engl. longevity), beeinflussen unser Selbstverständnis von Körper und Geist sowie die Art und Weise, wie wir unsere sozialen Beziehungen pflegen (22). Körper und Psyche werden zum Instrument der Selbstoptimierung, welches die Funktion hat, die Angst vor der eigenen Endlichkeit zu verdrängen und den Glauben an die eigene Unsterblichkeit zu stärken (16, S. 9). Seit Kurzem wissen wir, wie man den Alterungsprozess partiell verlangsamen kann (23). Tatsächlich ist es Forschern gelungen, durch die Veränderung eines einzelnen Genes in Labormäusen die Lebensdauer um 20 % zu verlängern (24). Es stellt sich nun die Frage, was dies für den Menschen bedeutet und welche sozialen Konsequenzen daraus folgen, wenn wir in der Lage sind, die Lebensdauer von Menschen durch genetische Veränderungen zu manipulieren. Interessanterweise stellt Selbstoptimierung kein Phänomen des 21. Jahrhunderts dar. Der stetige Drang nach Wissen und Selbstverwirklichung sowie der Traum vom ewigen Leben lassen sich seit jeher in der Menschheitsgeschichte beobachten (25, S. 26).

Die hoch entwickelte moderne Medizin erschwert mit ihrem Heilungsversprechen, dass wir uns eigenverantwortlich nicht nur mit Fragen von Krankheit und Gesundheit, sondern auch mit denen des Todes und Sterbens auseinandersetzen. Obwohl wir alle bewusst oder unbewusst um die Unausweichlichkeit des Todes wissen, tendieren wir dazu, den Tod auszublenden und diesen aus unserem Leben zu verdrängen. In der modernen Welt wünscht sich der Mensch ein grösstmögliches Mass an Autonomie und Selbstbestimmung sowohl über sein Leben als auch über seinen Tod und die Art und Weise, wie er stirbt (26). Diese zentralen Anliegen prägen unser Verständnis, wie das Lebensende verlaufen sollte – mit maximaler Selbstbestimmung und bestmöglicher Lebensqualität bis zum Tod. Die Gründung von Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz hat sich als ein wichtiges Instrument zur Förderung dieser zentralen Anliegen erwiesen, ebenso wie das Recht, den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen zu dürfen (27, S. 16 ff.).
Obwohl Fortschritte in der Medizin sowie die Institutionalisierung und Medikalisierung des Lebensendes das Sterben einfacher und kontrollierbarer gemacht haben, ist uns durch diese Entwicklung der tiefere Sinn für das Sterben abhandengekommen. Das Lebensende wird vorwiegend als medizinisches Problem betrachtet, als ein Versagen der Hightechmedizin. Gleichzeitig entfernen wir uns zunehmend von traditionellen gesellschaftlichen und/oder religiösen Grundwerten, wodurch das Verständnis darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein, in Vergessenheit gerät (28).

Der Übergang von Leben zu Tod findet oft im Krankenhaus oder in Pflegeeinrichtungen statt und ist weitgehend aus der unmittelbaren Verantwortung von Familien sowie der dörflichen oder kirchlichen Gemeinschaften gelöst und dem verwaltenden Staat und spezialisierten Berufen wie der Palliative Care übertragen worden (29). Noch nie starben Menschen so hygienisch wie heute, jedoch auch noch nie unter sozialen Bedingungen, welche die emotionale Einsamkeit der Sterbenden und ihrer Angehörigen in so hohem Masse fördern (16, S. 85). Rituale, Traditionen und auch die Sprache sind uns im Umgang mit Sterben, Tod, Verlust und Trauer teilweise verloren gegangen (16, S. 10, S. 29 ff.). Die Fähigkeit, die richtigen Worte mit Sterbenden und später mit den Angehörigen und Hinterbliebenen zu finden, wird nicht ausreichend geschult. Die Sterbebegleitung und die nachfolgende Trauerphase der Angehörigen finden zu grossen Teilen im Verborgenen statt. Das schweizerische Arbeitsrecht gewährt Personen nach dem Tod eines engen Familienangehörigen drei Tage Trauerzeit.1 Danach wird erwartet, dass die trauernde Person wieder arbeitsfähig ist . Dies verdeutlicht das Fehlen einer angemessenen Anerkennung der Belastung durch einen schweren Verlust sowie das Fehlen einer Trauerkultur.

Auch Arbeitgeber sind im Umgang mit schwerer Krankheit, Tod und Sterben sowie der Trauer von Angestellten häufig überfordert und wissen nicht, wie sie Angestellte in solchen Situation angemessen unterstützen können (30, 31). Die Förderung der Trauerkultur ist wichtig. Sie gibt praktische Handlungsanweisungen im Umgang mit Verstorbenen (Leichenpflege, Bestattung), für die soziale Ausgestaltung des krisenhaften Ereignisses (Unterstützung und Schutz durch die Gesellschaft) sowie bei der Bewältigung der psychischen Auswirkungen des Verlusts (Trauerarbeit) (32).

Fragen zur Förderung der Selbst­‑reflexion und Kultur der Endlichkeit und Vergänglichkeit

Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit in der Arbeit mit Patient/-innen ist sehr anspruchsvoll. Sie erfordert neben einer hohen sozialen Kompetenz eine vertiefte Selbstreflexion, Kenntnisse von Kommunikationstechniken sowie eine fundierte Schulung und Sensibilisierung bezüglich Fragen hinsichtlich Leben, Sterben, Tod, Verlust und Trauer. Diese Kenntnisse können erlernt werden, werden aber in der medizinischen und pflegerischen Aus-, Weiter- und Fortbildung nach wie vor zu wenig berücksichtigt.

Im Folgenden legen wir verschiedene Fragen vor, die zur Selbstreflexion anregen sollen und dazu beitragen können, eine Kultur der freundlichen Offenheit gegenüber der menschlichen Endlichkeit im klinischen Alltag als auch in der persönlichen Lebensgestaltung zu entwickeln. Diese Fragen dienen nicht nur als Leitfaden für die Kommunikationspraxis im medizinisch begleiteten Sterbeprozess, sondern sollen auch dazu anregen, dass jede/-r Einzelne sowie die Gesellschaft im Allgemeinen sich gegenüber Themen der Endlichkeit öffnen können.

Wie gelingt eine tiefgründige Auseinander­setzung mit der eigenen Endlichkeit?

Die Reflexion eigener Ängste vor dem Tod und dem Sterben sowie die Anerkennung der eigenen Vulnerabilität sind wichtige Voraussetzungen, um empathisch auf die Ängste, Gefühle, Verunsicherungen und Bedürfnisse der Patient/-innen einzugehen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit eigenen Krankheits- oder Verlusterfahrungen sowie das Verständnis dafür, wie diese Erfahrungen die eigene psychische Gesundheit beeinflussen können. Die Anerkennung, dass das Leben nicht selbstverständlich und die Kontrolle über das Leben sehr beschränkt ist, richtet unsere Aufmerksamkeit auf das, was im Leben von Bedeutung ist. Sich immer wieder einmal die Zeit nehmen, innezuhalten, sich zu besinnen, auf das eigene Innenleben zu schauen und zu spüren, was jetzt gerade wichtig ist, ist eine wichtige Fähigkeit zur Unterstützung der Regeneration und Stärkung der Resilienz (33). Im Umgang mit schwerer Erkrankung empfiehlt es sich ebenfalls, immer wieder einmal die Frage zu stellen, was der Tod uns über das Leben lehrt. In Tabelle 1 sind Zitate aus der Lebens- und Praxiserfahrung von Palliativmediziner/-innen aus der Schweiz aufgeführt, welche die Selbstreflexion im Umgang mit der eigenen Endlichkeit anregen sollen.

Auch die von Harvey Chochinov entwickelte Dignity Therapy kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und Selbstreflexion fördern. Die Dignity Therapy wurde ursprünglich für Patient/-innen mit einer schweren fortgeschrittenen Erkrankung zur Linderung von existenziellem Leiden entwickelt. Durch Erzählen von Erinnerungen und bedeutungsvollen Momenten soll die Wertschätzung für das eigene Leben erhöht, die Sinnfindung unterstützt und die Bedeutung der eigenen Lebensgeschichte erkannt werden (34). Die Dignity Therapy kann aber in jeder Lebensphase ein wertvolles Instrument zur Förderung der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit darstellen, indem man sich besinnt, was man erreicht hat, auf was man besonders stolz ist, wann man sich am Lebendigsten fühlt und was man gern weitergeben möchte.

Vulnerabilität + Solidarität = Social Care
(Fürsorge gegenüber Patient/-innen wie sich selbst)

In der Behandlung und Begleitung von schwer kranken Menschen und ihren Angehörigen sind Gesundheitsfachpersonen stets angehalten, sich empathisch gegenüber den Ängsten, Nöten und Sorgen der Patient/-innen zu öffnen, wodurch sich das Risiko für die Entwicklung von stressbezogenen Krankheiten wie moralischen Distress, Burn-out oder Depression erhöht (35). Die Anerkennung der eigenen Grenzen sowie die Realisation, dass das Leben gegen gewisse Schicksalsschläge nicht abzuschirmen ist und ausserberufliche Ereignisse wie die Geburt eines Kindes, eine schwere Erkrankung, die Pflege eines kranken Angehörigen oder der plötzliche Verlust einer nahestehenden Person auch das eigene Leben betreffen und die Arbeits- und Beziehungsfähigkeit beeinflussen und/oder beeinträchtigen können, zeigt auf, wie wichtig die Aufrechterhaltung der eigenen Selbstfürsorge in der Arbeit mit kranken Menschen ist.

Die narrative Medizin ist ein wichtiges Instrument der Selbstfürsorge und ermöglicht Ärzten/Ärztinnen und Pflegefachkräften, in der komplexen Bedeutung ihrer Tätigkeit sowohl sich selbst als auch andere wiederzufinden und zu verorten. Sie stellt weniger die Krankheit als biologischen Prozess, sondern vielmehr die Krankheitserfahrung in den Vordergrund. Dabei wird der Tatsache Sorge getragen, dass wichtige Lebensereignisse, Übergänge von Gesundheit zu Krankheit, der Wechsel von Leben, Sterben und Tod oder die Erfahrung von Verlust und Trauer Rituale notwendig machen, um die entstandenen Lebenszäsuren zu verarbeiten und ihnen Sinn und Bedeutung zu geben. Die narrative Medizin versucht, das individuelle Erleben und die Gefühle von Gesundheitsfachpersonen zu erfassen, indem sie über Erzählungen, Essays, Bilder, Gedichte oder Geschichten die Selbstreflexion anregt und einen Zugang zum eigenen Erleben schafft. Sie öffnet einen Kanal, in dem man sich in der kompletten menschlichen Verwundbarkeit und der Ehrlichkeit unseres Seins in einem geschützten Rahmen begegnen kann. Die Selbstreflexion wirkt entschleunigend, stressreduzierend und schafft neue Einblicke und Erkenntnisse. Durch die narrative Medizin wird die Selbstfürsorge gefördert, die Resilienz gestärkt und die Fürsorge gegenüber unseren Patient/-innen vertieft (36, 37).

In der Behandlung von Menschen mit schweren Erkrankungen ist es wichtig, auf die eigene Gesundheit zu achten und sich immer wieder einmal zu fragen: «Wie geht es mir? Wie müde oder erschöpft bin ich? Achte ich auf meine Bedürfnisse, nehme ich mir regelmässig Auszeiten, und trete ich in einen fachlichen Austausch?» Die Teilnahme an Balint-Gruppen, Super- oder Intervision sind weitere wichtige Gefässe zur Förderung der Selbstreflexion und zur Stärkung der Resilienz.

Wie können philosophische Betrachtungen den Umgang mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit fördern?

Die Existenzphilosophie untersuchte die Gründe, weshalb wir uns vor dem Tod fürchten, was genau am Tod beängstigend ist und welche Bedeutung es für das Leben hat, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, wobei diese Diskussionen kontrovers verliefen (14, 38). Philosophische Reflexionen können die Entwicklung eines sinnvollen Verhältnisses zu verschiedenen Aspekten des Lebens unterstützen, darunter das Verständnis von Zeit und Zeitlichkeit, Freiheit, Individualität, Selbstverwirklichung, Verantwortung und Selbstfürsorge sowie die Art und Weise, wie wir unsere sozialen Beziehungen pflegen (14, 15). Heidegger betont die Wichtigkeit der Selbstverwirklichung und die Herausforderung, dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben (39, S. 141). Er unterstreicht auch die Bedeutung, den Tod bewusst in die Lebensgestaltung zu integrieren, da er dem Leben einen Horizont gibt und ein Zeit- und Grenzbewusstsein vermittelt (14, S. 86). Tugendhat sieht in der Todesangst eher eine Furcht vor dem Sterben. Er war überzeugt, dass es die Nähe zum Tod ist, welche uns auf die Bedeutung des Lebens aufmerksam macht. Die Todesfurcht sei Ausdruck der Erkenntnis, eine Chance verpasst zu haben, dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben und den Tod als guten Abschied zu verstehen (15, S. 44 ff.). Sartre hingegen betrachtet die Vorstellung des eigenen Todes als absurd und behindernd für die eigene Selbstverwirklichung (40, S. 23). Rosenzweig betont die Bedeutung der Liebe und der Beziehungen, um die Angst vor dem Tod zu überwinden, und verdeutlicht, dass Selbstverwirklichung nicht ohne Beziehung zu anderen Menschen erreicht werden kann (41). Kierkegaard wiederum sieht die unbeschränkten Möglichkeiten des Lebens als Ursache für menschliche Verzweiflung, da sie die Suche nach dem Sinn erschweren (18, S. 144 ff.). Tatsächlich ist das Leben nicht immer nur gut, wie von den Existenzphilosophen postuliert (38), sondern kann leidvoll erlebt werden. Manchmal ist es so unerträglich und der Leidensdruck so hoch, dass man sich den Tod herbeisehnt (15). Hamlets berühmte Frage «To be or not to be» stellt die existenzielle Ambivalenz des Lebens dar, in dem sowohl Freude als auch Leid existieren.
Die frühzeitige Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit kann helfen, dem Leben einen tieferen Sinn und Bedeutung zu verleihen, indem der Blick auf das gerichtet werden kann, was wirklich von Bedeutung ist. Erst die bewusste Integration des Todes ins Leben ermöglicht ein gelingendes Leben. Die Beschäftigung mit dem Tod und die Anerkennung, dass Sterben und Tod Kernbestandteile des menschlichen Lebens sind, macht uns für das Lebend offener, lebendiger und kreativer (42).

Was bedeutet es, ein erfülltes Leben zu führen?

Die Auseinandersetzung und Bewältigung der Todesangst sind eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die uns von der Kindheit an begleitet, in der Adoleszenz eintritt, uns später in der Lebensmitte erneut einholt und schliesslich im hohen Alter wieder begegnet (43, 44). Die Angst vor dem Tod in einer milden Ausprägung ist universell und gehört zur menschlichen Existenz. Sie widerspiegelt unser Bewusstsein für unsere Vulnerabilität, unsere soziale Angewiesenheit und das Wissen um unsere existenzielle Begrenztheit (45). Die Realisation, dass die Lebenszeit begrenzt ist, bewegt uns dazu, über unsere Entwicklungsaufgaben, den Lebenszyklus und unsere Lebensziele nachzudenken sowie darüber, was für das Leben von Sinn und Bedeutung ist. Das Stufenmodell von Erikson gliedert die psychosoziale Entwicklung in acht Stufen. Jede Stufe stellt eine Krise oder einen Konflikt dar, die oder den jeder Mensch für sich lösen muss, um eine gefestigte Persönlichkeit entwickeln zu können (46). Auch wenn dieses Stufenmodell immer wieder kritisiert wurde, zeigt es, dass wir uns im Verlaufe unseres Lebens unter Berücksichtigung der begrenzt verfügbaren Lebenszeit immer wieder mit Ängsten (Krisen) auseinandersetzen müssen.

Wenn es uns gelingt, diese zu überwinden, entstehen persönliche Reife und Weiterentwicklung (44). Eriksons Modell veranschaulicht ebenfalls, dass wir unser Verhalten unserem Alter und insbesondere unseren Entwicklungsaufgaben hingehend auszurichten haben. Sind wir uns des Lebenszyklus und der damit einhergehenden Aufgaben, Verantwortungen und Herausforderungen, aber auch Grenzen und Einschränkungen bewusst, lässt sich vermutlich auch ein besserer Umgang mit dem Tod und dem Sterben finden. Häufig reagiert der Mensch jedoch mit Abwehr und Verleugnung auf die Begrenztheit der eigenen Existenz. Im Schutze der Illusion, etwas Besonderes zu sein, fühlen sich viele Menschen unverletzbar und glauben, Krankheit und Leid blieben ihnen erspart (42). Diese neurotische Abwehr der Todesangst, die im Grunde genommen eine Lebensangst zum Ausdruck bringt (43, S. 117), kann in einem Teufelskreis enden und nicht nur die persönliche Entwicklung blockieren, sondern auch die Autonomie und Selbstverantwortung sowie die Beziehungs-, Liebes- und Genussfähigkeit einschränken (10). Um diesen existenziellen Ängsten zu begegnen, verwendet Irvin D. Yalom eine Art Gleichung. Er postuliert, je mehr ungelebtes Leben in uns steckt und je mehr wir bedauern, was wir nicht gelebt haben, desto mehr fürchten wir den Tod.

Die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Begrenztheit des Lebens soll diesen Konflikt lösen und letzten Endes dazu beitragen, ein erfüllteres Leben zu führen. In der existenziellen Psychotherapie geht es nun darum, einen kreativen Umgang mit der Todesangst zu finden und dem Tod einen Platz im psychischen Raum zu geben, damit der Mensch trotz des Wissens um die Sterblichkeit ein persönlich erfülltes und sinnvolles Leben gestalten kann. Ein tägliches Bewusstsein dafür, dass das Leben kurz ist, soll helfen, authentisch und reflektiert zu leben und nichts anzuhäufen, was man am Lebensende bereuen würde (42, 47). Die Überwindung der Ängste vor dem Sterben kann als treibende Kraft zur persönlichen Entwicklung und sinnvollen Lebensgestaltung genutzt werden (43, S. 133).
Irvin D. Yalom ist zudem der Überzeugung, dass die verbleibende Lebenszeit sehr wichtig ist. Das Erlebte kann zwar nicht ungeschehen gemacht werden, die verbleibende Lebenszeit dagegen wird umso wichtiger und kann von jedem neu gestaltet werden. Der Blick darauf, was uns am Lebensende glücklich macht, soll als Massstab dafür dienen, die verbleibende Lebenszeit sinnvoll zu gestalten (42, 47).

Wie kann man Menschen (am Lebensende) helfen, Sinnfragen zu begegnen und ein ­würdevolles Sterben zu erreichen?

Spirituelle oder religiöse Rituale sowie transzendente Erfahrungen können am Lebensende wichtige Ressourcen im Umgang mit Sinnfragen, Ängsten oder existenziellen Nöten sein und auf das Lebensende und den Abschied vorbereiten, indem sie Trost vermitteln und die Verbundenheit zu Angehörigen stärken (48). Mit «spirituell» sind sinnstiftende Erfahrungen, Einstellungen und Rituale gemeint, die eine Person mit der Bedeutung des eigenen Lebens verbindet und können religiöser und nicht religiöser Natur sein (49). Religion und Spiritualität haben kulturübergreifend eine wichtige Aufgabe: Sie sollten die Angst vor dem Sterben und dem Tod lindern. Denn wenn der Tod nicht das Ende, sondern den Anfang markiert, gibt es keinen Grund, ihn zu fürchten. Schwindet jedoch dieser Glaube, nimmt die Angst zu (50).

Während die Ars moriendi im Mittelalter die Menschen aus Sorge um das Schicksal der Seele im Jenseits zu moralisch gutem Handeln anhielt (51), widerspiegeln moderne Interpretationen dieser Sterbekunst eine Lebensethik, die uns unter Einbezug der menschlichen Endlichkeit und Vergänglichkeit zur existenziellen Auseinandersetzung im Hier und Jetzt und zur persönlichen Entwicklung und Selbstverwirklichung ermutigt (52, S. 4–6). Es geht also weniger um die Vorbereitung der Seele auf einen heilsamen Tod als vielmehr darum, in der letzten Lebensphase nicht allein zu sein. Carlo Leget betont in seiner These zu einem erfüllten Leben und guten Sterben die Wichtigkeit, sich frühzeitig über die Dimensionen eines erfüllten Lebens und die damit zusammenhängenden Entscheidungen am Lebensende Gedanken zu machen. Dabei verweist er auf fünf existenzielle Themen, die einen individuellen Reflexionsprozess anregen und den Umgang mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit fördern sollen. Er ermutigt jeden Menschen, sich mit Fragen hinsichtlich eigener Autonomie, Position zu Leid und Schmerz, Abschied, unerledigter Dinge und Chance auf Erfüllung im Hier und Jetzt sowie innerer Wert- und Glaubensvorstellungen auseinanderzusetzen, damit dem Lebensende mit persönlicher Reife und mit innerem Frieden und Versöhnung entgegengeblickt werden kann (53). Die Offenheit gegenüber medizinischen, philosophischen und spirituellen Perspektiven ermöglicht diesen existenziellen Themen nicht nur am Lebensende, sondern im Leben generell mit Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu begegnen (54).

Durch die weltanschauliche Diversifizierung unserer Gesellschaft sind die Haltungen gegenüber dem Sterben und Tod beziehungsweise die damit verbundenen Überzeugungen in einem komplexen Wandel. In säkular geprägten Gesellschaften sind viele Menschen weniger um ihre Existenz nach dem Tod in Sorge, sondern vielmehr um den Weg zum Lebensende. Was bedeutet nun Lebensende, Sterben, Tod und Trauer, wenn der Glaube an ein Weiterleben im Jenseits schwindet? Religion und Spiritualität sind in schweren Lebenssituationen für etwa die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nach wie vor bedeutsam (55). Gesundheitsfachpersonen sollten in der Lage sein, offen, wertschätzend und empathisch auf existenzielle, spirituelle und transzendente Bedürfnisse und Erfahrungen einzugehen (56).

Besonders angesichts einer unheilbaren Erkrankung, infausten Prognose, terminalen Situation oder eines Krankheitsprogresses können Spiritualität oder Glaube wieder an Bedeutung gewinnen und die Entscheidungsfindung hinsichtlich lebenserhaltender Therapien beeinflussen. Kestenbaum et al. empfehlen Patient/-innen, nach spirituellen Bedürfnissen und Belastungen zu fragen sowie zu eruieren, welche spirituellen oder religiösen Überzeugungen wichtig sind, um Patient/-innen in der Entscheidungsfindung unterstützen zu können (57). Hierzu eignen sich die revidierte Version der Edmonton Symptom Assessment Scale (ESAS) («Erleben Sie spirituelles Leid oder Schmerzen?») (58) oder das FICA Spiritual Assessment Tool (59). Spirituelle und transzendente Erfahrungen, wie sie nicht selten in Todesnähe auftreten, können ferner einen wichtigen Faktor in der Auseinandersetzung mit Sinnfragen angesichts der eigenen Endlichkeit darstellen (48). Ein nützliches Instrument zur Erfassung von spirituellen Ressourcen und Belastungen am Lebensende ist der von Peng-Keller entwickelte «Spiritual Distress and Resources Questionnaire (SDRQ) (49). Der Leitfaden kann Gesundheitsfachpersonen helfen, spirituelle Aspekte oder Themen in Bezug auf die verbleibende Lebenszeit und bedeutsame Beziehungen anzusprechen.

Wie können Patient/-innen und ihre ­Ange­hörigen auf den Tod vorbereitet werden?

Gespräche über das Lebensende, Sterben und Tod in der Begleitung von Patient/-innen mit einer schweren unheilbaren Erkrankung und ihren Angehörigen sind eine zentrale Aufgabe der Palliative Care und helfen, die Patient/-innen und ihre Angehörigen auf das Lebensende und den Tod vorzubereiten. Dabei ist eine vertrauensvolle, verlässliche Beziehung zum/-r fallführenden Arzt/Ärztin sowie regelmässig stattfindende Gespräche für die Aufrechterhaltung der Kontinuität massgeblich. Der Einbezug der Palliative Care ist besonders in der letzten Lebensphase von Bedeutung, soll jedoch bereits im Verlauf einer chronischen oder schweren unheilbaren Erkrankung und parallel zu kurativen Behandlungsmassnahmen eingesetzt werden (13). Die Palliative Care hat zum Ziel, eine Kultur des Sterbens in unserer Gesellschaft zu etablieren und das Sterben auf eine selbstbestimmte und menschenwürdige Weise zu gestalten.

Cicely Saunders, Mitbegründerin der Palliative Care und Hospizbewegung, beschrieb in ihrem Model «Total Pain», dass das menschliche Leiden eine körperliche, eine psychische/emotionale, eine soziale, eine spirituelle und existenzielle Ebene hat, die sich gegenseitig überschneiden und beeinflussen (60). Aufgabe der Palliative Care ist es nun, dem menschlichen Leiden auf diesen Ebenen unter Einbezug von multiprofessionellen Diensten zu begegnen, um es zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehört neben der Krankheitsverarbeitung auch die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und bei ethisch-rechtlichen Fragestellungen sowie die Organisation und der Aufbau eines Betreuungsnetzes mit spezialisierten Diensten für zu Hause (z.B. palliative Spitex, Mahlzeitendienst, psychiatrisches Home Care Treatment etc.). Offene Fragen wie «Was haben Sie von Ihrer Krankheit verstanden? Gibt es etwas, das Sie wissen möchten? Was bereitet Ihnen Sorgen, wenn Sie an die nahe Zukunft denken? Was ist Ihnen besonders wichtig, wenn sich Ihr Gesundheitszustand verschlechtern würde? Gibt es etwas, was ich wissen muss, um Sie bestmöglich zu begleiten? Wie kann man Ihre Angehörigen unterstützen?» sind entscheidend, um Patient/-innen mit einer schweren fortgeschrittenen Erkrankung entsprechend ihren Wünschen, Bedürfnissen und Behandlungspräferenzen zu begleiten und zu unterstützen (61). Letztlich gibt es Menschen, die bis zum Lebensende nicht bereit sind, über Sterben und Tod zu sprechen. Auch das gilt es, zu akzeptieren und Wege zu finden, diese Personen wie auch ihre Angehörigen dennoch empathisch und würdevoll begleiten zu können (62).

Wie gelingt es mir, die Resilienz von schwer kranken Menschen zu stärken?

Die Erfahrung einer schweren unheilbaren Erkrankung sowie die Konfrontation mit dem nahenden Lebensende und die damit zusammenhängende Ungewissheit und eingeschränkten Zukunftsperspektiven können Ängste, dramatische Sinnkrisen und den Wunsch nach einem raschen Versterben auslösen (8). In der Auseinandersetzung mit dem Lebensende spielt Hoffnung eine bedeutende Rolle und wirkt als wichtiger Schutzfaktor zur Stärkung der Resilienz im Umgang mit vielfältigen Einschränkungen (63). Hoffnung steht als Gegenbegriff zu Verzweiflung und kann Lebenskraft mobilisieren. Sie verkörpert einen starken Handlungsantrieb, richtet Menschen in ihrem Leid und Verzweiflung auf, stärkt ihre Willenskraft und ihr Selbstwertgefühl. Im Hoffen wirkt immer ein Wunschgedanke. Über die Hoffnung erschliessen sich Menschen neue Existenz- und Handlungsmöglichkeiten, die über den Tod hinaus wirken können, und bewahren dadurch die Handlungsfähigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung (64). Was bedeutet es für uns Menschen zu hoffen? Wie hoffen Menschen, wenn sie sich ihrem Lebensende nähern? Was bedeutet Hoffnung für Angehörige? Wie können Gesundheitsfachpersonen mit der Hoffnung von Patient/-innen oder der Hoffnung der Angehörigen interagieren, um ihre Würde, Identität, Autonomie und Selbstbestimmung zu stärken und aufrechtzuerhalten? Die Erzählung (narrative Konstruktion) als komplexer Prozess der Sinnbildung hat eine wichtige Bewältigungsfunktion und spielt in der Aufrechterhaltung der Hoffnung und Resilienz eine wichtige Rolle. Die Selbsterzählung ermöglicht die Verarbeitung der schweren Erkrankung und kann helfen, die lebensgeschichtliche Ruptur langsam in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren und eine neue stabilisierende Identität zu formen. Dabei kann besonders die Konzentration der positiven, bestärkenden Erfahrungen in der Biografie helfen, dem Funktions-, Kontroll- und Sinnverlust zu begegnen und dadurch die verletzte Würde wiederherzustellen (65). Die Aufrechterhaltung der Hoffnung und die Stärkung der Sinn- und Bedeutungsfindung am Lebensende durch palliative Fürsorge und stützende Gespräche können dazu beitragen, die Resilienz von schwer kranken Patient/-innen und ihren Angehörigen zu stärken. Ein besonderes Merkmal der Hoffnung ist, dass sie auch dann weiter bestehen kann, wenn sich Erwartungen und Wünsche nicht erfüllt haben, z.B. die Symptomlast nicht gebessert oder die Schwere der Erkrankung nicht gemildert werden kann. Das Wissen um die begrenzte Lebenszeit und andererseits die Hoffnung auf viele gute Tage oder auch ein Wunder stellen keinen Widerspruch dar. Diese Dualität im Denken (engl. double awareness) – auf das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereitet sein – widerspiegelt einen wichtigen Grundsatz der Palliative Care. Auch wenn die Hoffnung auf Heilung schwindet, kann Hoffnung weiter bestehen bleiben und als wichtige Ressource zur Stärkung der Resilienz angesichts des nahenden Lebensendes verwendet werden. Fragen wie «Was gibt Ihnen in schwierigen Zeiten Kraft weiterzumachen? Woraus schöpfen Sie Hoffnung, Kraft und Trost?» oder «Was hoffen Sie angesichts der verbleibenden Lebenszeit noch erleben zu dürfen?» können helfen, die Hoffnung auf eine resilienzstärkende Ressource auszurichten (66). Dies gelingt durch eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, welche sich durch Empathie, Vertrauen, beidseitige Offenheit und die Bereitschaft über den Tod und das Sterben zu sprechen, auszeichnet (62). Die Aufgabe der Palliative Care besteht folglich nicht nur in der Symptomlinderung, sondern auch in der Förderung der Kommunikation mit Angehörigen, der Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie der Unterstützung des persönlichen und spirituellen Wachstums, das aus dem Erleben von existenziellem Leiden und Konfrontation mit dem Lebensende entstehen kann.

Wie unterstütze ich trauernde Menschen, ­trauernde Angehörige?

Die Trauer ist eine häufige und natürliche Reaktion auf antizipierte oder erlebte Verlusterfahrungen und hat in der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit eine wichtige psychische Aufgabe. Sie fördert die Akzeptanz von unwiederbringlichen Veränderungen, von unerfüllten Lebensträumen und/oder Verlusten von wichtigen Bindungen und trägt nach erfolgter Trauerarbeit zur psychischen Entwicklung bei. Scheitern wir an dieser psychischen Arbeit, bleiben wir an innere Objekte aus der Vergangenheit gebunden, die frustriert erlebt werden. Das Resultat ist anhaltende Trauer, depressive Verstimmung, Ängste sowie ein fehlendes Gefühl von Sinn und Bedeutung im Leben (67). Sinnzentrierte Interventionen (z.B. Dignity Therapy (34)) können die Thematisierung von Lebensendthemen unterstützen und Patient/-innen und ihren Angehörigen helfen, Verluste zu akzeptieren und Sinn- und Bedeutungsfindung sowie die Aufrechterhaltung der Würde zu stärken. Auch wenn die Klärung von komplexen medizinischen Situationen und Therapiemöglichkeiten am Lebensende und das Auffangen der emotionalen Reaktionen von Patient/-innen und ihren Angehörigen Zeit und Energie kostet, können diese Gespräche sehr wertvoll sein, eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung aufzubauen und pathologische Formen der Trauer abzuwehren. Dieses Fundament hilft später, Gespräche sehr gezielt und fokussiert auf die wichtigsten Punkte zu lenken (68). Nach dem Tod einer nahestehenden Person können psychotherapeutische Gespräche helfen, Schmerzen zum Ausdruck zu bringen, den Verlust zu verarbeiten und die Trauer zu bewältigen. Die alleinige Anwesenheit eines wachsam zuhörenden, akzeptierenden und nicht wertenden Gegenübers kann dabei tröstend wirken. Auch Abschiedsgespräche mit dem fallführenden Arzt/Ärztin können trauernden Angehörigen helfen, die Trauerarbeit zu initiieren und bieten gleichzeitig Beistand, Orientierung und Halt. Dauert die Trauer nach einem schweren Verlust mehr als sechs Monate an, sollte eine anhaltende Trauerstörung evaluiert und eine Gesprächspsychotherapie gegebenenfalls kombiniert mit einer Psychopharmakotherapie aufgegleist werden (69).

Diskussion

Selbstreflexion und Selbstfürsorge

Ob man das Sterben lernen kann, ist besser in der Umkehr der Frage zu beantworten, nämlich was lehrt uns der Tod über das Leben oder was lehrt uns das Leben generell? Denn der Tod wie die Geburt ist integraler Bestandteil des Lebens. Kliniker/-innen oder Gesundheitsfachpersonen verfügen über ein Bewusstsein der Sterblichkeit und die Erfahrung, andere Menschen sterben zu sehen. Man hat gewisse Kenntnisse über das menschliche Leiden bei schwerer Erkrankung und weiss von der Belastung durch existenzielle Ängste, Einsamkeit, Versagen, Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Trauer am Lebensende von sterbenden Personen sowie ihren Angehörigen und kennt die klinischen Vorboten des Todes. Gleichzeitig hat der Tod der Patient/-innen einen bedeutenden Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln von Gesundheitsfachpersonen. Die Erfahrung des Todes ist unweigerlich eine Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit, die Unbehagen auslösen kann. Jede Person entscheidet für sich, wie viel Nähe zum eigenen Tod ausgehalten und welche kreativen Lösungen gefunden werden können, um mit dieser Urangst umzugehen.

Das Thema Sterben und Tod aus einer gesundheitswissenschaftlichen Perspektive zu thematisieren, ist insofern relevant, weil durch die Akzeptanz der Endlichkeit nicht nur das Leben, sondern das «Er-Leben» des Lebens und damit auch das, was das Leben formt, nämlich die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, Gesundheit und Krankheit sowie Selbstachtung und die Fürsorge und Beziehung zueinander, in unser Blickfeld rückt. Jede/-r ist also zu einem sorgfältigen Umgang mit seiner begrenzten Lebenszeit angehalten sowohl in Bezug auf die Verwirklichung eigener Lebensprojekte als auch im Umgang mit ihren/seinen Beziehungen (14, S. 287). Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit kann zu einer verstärkten Eigenverantwortung gegenüber dem eigenen wie auch dem Leben der anderen führen und dazu anhalten, das Leben auf möglichst befriedigende, selbstbestimmte und gesundheitsbewusste Weise zu leben und zu gestalten (11, S. 13–17). Aus den Reflexionen und Zitaten von Palliativmediziner/-innen wird verständlich, dass es gerade der Tod ist, der uns herausfordert, Sinn überhaupt erst zu suchen und in unserem Tun zu verwirklichen.

Umgang mit kranken Menschen und ihren ­Angehörigen

Die Perspektive ändert sich, wenn man sich plötzlich mit dem Lebensende konfrontiert sieht. Die Konfrontation mit dem Lebensende und der Verlust der körperlichen und ­seelischen Integrität, der Verlust von Sinn- und Bedeutung im Leben, der Verlust der eigenen Autonomie und Selbstständigkeit sowie die zunehmende Abhängigkeit können einen hohen Leidensdruck verursachen und den Wunsch nach einem raschen Versterben verstärken (34). Pflegende Angehörige dagegen haben häufig noch nie das Sterben eines nahen Menschen erlebt und haben oftmals unrealistische Vorstellungen bezüglich des Sterbeprozesses (13). Gerade im letzten Lebensabschnitt sowie im Hinblick auf die Trauerphase bedürfen schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen einer fürsorglichen Begleitung und Unterstützung durch Fachdienste wie der Palliative Care, der Ethikberatung, der Psychoonkologie und der Seelsorge.

Wie ändert sich nun das Erleben von Zeit und Zeitlichkeit des Lebens, wenn der Tod akzeptiert und nicht verdrängt wird? Die klinische Erfahrung mit unseren Patient/-innen lehrt uns, dass die Konfrontation mit einer schweren unheilbaren Erkrankung und der eigenen Endlichkeit das Bewusstsein für die verbleibende, plötzlich wertvoll erscheinende Lebenszeit entscheidend beeinflussen kann (14, S. 49 ff.). Auf wundersame Weise kann die Nähe zum Tod durch eine schwere Erkrankung, eine Nahtoderfahrung oder der Verlust eines nahestehenden Menschen zu tiefgreifenden Veränderungen führen (10, 43). Erst das Erleben des mit dem Sterben verbundenen Leidens ermöglicht das Erleben unserer Urängste: die Angst vor der Einsamkeit, die Angst vor dem Leid und vor dem völligen Kontrollverlust (26). Durch Erfahrung unserer Vulnerabilität, existenziellen Begrenztheit und sozialer Angewiesenheit lässt sich unser Blick auf das richten, was uns wirklich wichtig ist im Leben. Dadurch lässt sich auch eine andere Perspektive auf das Sterben finden, was das Erleben von Transzendenz fördern kann (70). Durch die Erfahrung von schwerer Krankheit, Sterben, Tod, Verlust und Trauer werden Gespräche über den Sinn und die Bedeutung des vorangegangenen Lebens, der Erkrankung und des nahenden Lebensendes möglich. Die Erfahrung der Begrenztheit unseres Daseins bildet einen zentralen Bezugspunkt, wobei die Auseinandersetzung damit zu einer besseren Verortung des Selbst und zu einem tieferen Verständnis der eigenen Identität führt (21).

Fazit

Über den Tod sprechen ist wichtig. Nur so werden wir uns unserer Unvollkommenheit und beschränkten Möglichkeiten bewusst. Die Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod und dem Sterben ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe. Sie erfordert unter Berücksichtigung der begrenzt verfügbaren Lebenszeit eine fortwährende Bewältigung im Verlaufe unseres Lebens, damit diese nicht blockiert, sondern als treibende Kraft zur persönlichen Entwicklung und sinnvollen Lebensgestaltung genutzt werden kann. Die Öffnung gegenüber der eigenen Endlichkeit führt zu einer verstärkten Eigenverantwortung für das eigene Leben und das der anderen und zu einer selbstbestimmten, gesundheitsbewussten und zufriedenen Lebensgestaltung. Die Offenheit gegenüber unserer eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit befähigt uns, mit unseren Patient/-innen über den Tod zu sprechen und sie und ihre Angehörigen empathisch und verlässlich bis zum Lebensende hin zu begleiten. Dadurch gelingt es auch schwer kranken Patient/-innen und ihren Angehörigen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Therapieentscheidungen zu treffen, die ihr Leiden lindern und die Lebensqualität verbessern.

Danksagung

Die Autorinnen und Autoren danken Professor Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox für seine Reflexionen über Leben, Sterben und Tod.

Historie
Manuskript eingereicht: 08.04.2024
Angenommen nach Revision: 01.07.2024

PD Dr. phil. Annina Seiler

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care,
Universitätsspital Zürich

annina.seiler@usz.ch

PD Dr. med. Caroline Hertler

Klinik für Radio-Onkologie
Kompetenzzentrum Palliative Care
Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Sophia Rose Evstigneev

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Markus Schettle

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Prof. Dr. med. Steffen Eychmüller

Chefarzt
Universitäres Zentrum für Palliative Care
Inselspital Bern, SWAN Haus
Freiburgstrasse 38
3010 Bern

Prof. Dr. Jan Gärtner

Palliativzentrum, Universität Basel, Schweiz

Dr. med. Sandra Eckstein

Abteilung für Palliative Care, Departement Theragnostik, Universitätsspital Basel, Basel

PD Dr. med. Tanja Fusi-Schmidhauser

Clinica di Cure Palliative e di Supporto, Ente Ospedaliero Cantonale, Lugano e Bellinzona

Dr. med. Christa Hauswirth Siegenthaler

Zentrum für Palliative Care, Kantonsspital Winterthur

Prof. Dr. Brigitte Booth

Gemeinschaftspraxis Psychotherapie Bellevue, Zürich

Prof. Dr. Simon Peng-Keller

Professur für Spiritual Care, Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät, Universität Zürich

Prof. Dr. med. David Blum

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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28-jähriger Patient mit in den Kiefer ausstrahlenden ­Kopfschmerzen temporal links

Anamnese

Jetziges Leiden

Notfallmässige Selbstzuweisung des Patienten aufgrund starker Schmerzen an der linken Schläfe. Der Patient berichtet über linksseitige temporale Kopfschmerzen, welche bis in den Kiefer ausstrahlen und durch Berührung und Kauen verstärkt würden. Zudem verspürt er einen Druckschmerz hinter dem linken Auge. Diese Symptome bestehen seit zwei Wochen mit einer Schmerzstärke von acht von zehn auf der Visual Analogskala (VAS 8/10). In der Nacht kommt es zu einer Verstärkung der Schmerzsymptomatik, sodass er nicht mehr schlafen kann. Er habe zuvor noch nie eine ähnliche Schmerzsymptomatik gehabt. Zusätzlich berichtet der Patient über starke Übelkeit mit täglichem Nüchternerbrechen, was bereits seit sechs Monaten bestehe. Beim Patienten sind weder Migräne noch Cluster- oder andere spezifische Kopfschmerzformen bekannt. Es liegen keine relevanten Vorerkrankungen vor.

Systemanamnese

Der Patient verneint Fieber oder Nachtschweiss sowie nächtliches Zähneknirschen. Dyspnoe, Thoraxschmerzen und Husten, Gelenk- oder Muskelbeschwerden sowie Hautausschläge werden ebenfalls verneint. Miktions- und Stuhlanamnese ist unauffällig. Der Patient gibt Schwindel und Übelkeit mit Nüchternerbrechen an (14, 15).

Befunde

Status

28-jähriger Patient. Glasgow Coma Score (GCS) 15, allseits orientiert (Person, Ort, Zeit, Situation). Blutdruck 137/78 mm Hg, Puls 102/min, Temperatur 37° C, Sauerstoffsättigung unter Raumluft 90 %, Atemfrequenz 15/min, Grösse 180 cm, Gewicht 95 kg, Body-Mass-Index (BMI) 29.32 kg/m2. Enoral: Mundschleimhaut, Zunge, Rachen, Tonsillen reizlos. Der Zahnstatus und Okklusion sind unauffällig, ebenso die Palpation der Kiefergelenke über den äusseren Eingang des Gehörganges. Integument: altersentsprechend unauffällig, leichte Schwellung über der linken A. temporalis mit Druckdolenz.
Cor: reine Herztöne, Karotiden ohne Strömungsgeräusch, Halsvenen nicht gestaut, hepatojugulärer Reflux negativ, keine peripheren Ödeme. A. radialis +/+, A. tibialis posterior +/+, A. dorsalis pedis +/+. Rekapillarisationszeit normal.
Pulmonal: symmetrisch sonore Perkussion, vesikuläres Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, keine Nebengeräusche.
Abdomen: normale Darmgeräusche in allen Quadranten, weiches Abdomen ohne Druckdolenzen, Nierenlogen: klopfindolent. Keine Hepato- oder Splenomegalie.
Wirbelsäule: klopf- und druckindolent. Kein axialer Stauchungsschmerz.
Neurologie: kein Meningismus, Pupillen isokor und beidseits prompt lichtreagibel, Visus und Gesichtsfeld in der Fingerperimetrie unauffällig, Hirnnerven III–XII unauffällig, Sensomotorik an allen Extremitäten unauffällig. BSR –/–, TSR +/+, PSR +/+, ASR +/+, Lasègue beidseits negativ, kein Absinken im Arm- und Beinvorhalteversuch, unauffällige Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuche, Gangbild normal.

Labordiagnostik

Basis klein: Differenzialblutbild, Kreatinin, Quick/International Normalized Ratio (INR), Glukose, Kalium, Natrium, Alanin-Aminotransferase, C-reaktives Protein zeigen sich normwertig.
Blutsenkungsgeschwindigkeit: 2 mm/h (< 15 mm/h), Calcium: 2.3 mmol/L (2.09–2.54 mmol/l).

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Leitsymptome sind anhaltende, in den Kiefer ausstrahlende, temporale Kopfschmerzen mit lokaler Hyperästhesie und Kiefer-Claudicatio (differenzialdiagnostische Tab. 1).

a. Kiefergelenkarthrose
b. Trigeminusneuralgie
c. Arteriitis temporalis
d. Sinusvenenthrombose
e. Langerhans-Zell-Histiozytose

Weitere Abklärungsschritte,
Therapie und Verlauf

Computertomographie (CT) Neurokranium mit Kontrastmittel:

Es findet sich eine 14 x 11 x 11 mm grosse Osteolyse des Os temporale links ohne Randsklerose und ohne Orbitabeteiligung. Fokal randständig grenzt eine kontrastmittelaufnehmende Weichteilläsion von ca. 2 cm Durchmesser mit bikonvexer Vorwölbung der Weichteile an. Nach i. v.-Kontrastmittelgabe sonst kein pathologisches intraaxiales Enhancement des Hirnparenchyms. Keine intrakranielle Blutung. Normal kontrastierte intrakranielle grosse venöse Blutleiter (Abb. 1 A).

Magnetresonanztomographie (MRI) Neuro­kranium nativ und mit Kontrastmittel

Es zeigt sich eine kragenknopfartige Weichteilformation links-temporal mit Destruktion der lokoregionären Schädelkalotte, die breitbasig den meningealen Strukturen aufsitzt, eine zentrale Nekrose aufweist und den linken M. temporalis diffus infiltriert. Als mögliche bildmorphologische Differenzialdiagnosen werden ein Hämangioperizytom, ein hochgradiges Meningeom, eine Solitärmetastase bei unklarem Primarius oder ein eosinophiles Granulom diskutiert. Die übrige Schädelkalotte, Weichteile, zerebrale sowie intrakranielle Strukturen sind ohne pathologischen Befund (Abb. 1 B und C).

Weiteres diagnostisches Vorgehen und Therapie

Zur Diagnosesicherung ist eine histologische Aufarbeitung unumgänglich. Aufgrund des umschriebenen und chirurgisch gut zugänglichen Befundes wird der Entscheid zur mikrochirurgischen Komplettresektion der Läsion mit Rekonstruktion der Schädelkalotte gestellt. Der Eingriff kann komplikationslos durchgeführt und das Resektat der neuropathologischen Aufarbeitung zugeführt werden (Abb. 2 A).

Diagnose

Histologisch finden sich histiozytäre Zellen mit entzündlichen Infiltraten, sowie einzelnen mehrkernigen Riesenzellen. Immunhistochemisch sind die Langerhans-Zellen durch die Expression des CD1a-Antigens und Langerin (CD207) charakterisiert. Zudem können in den Langerhans-Zellen S100-Proteine nachgewiesen werden. Damit ist die Diagnose einer umschriebenen Langerhans-Zell-Histiozytose gestellt. Immunhistochemisch zeigte sich zusätzlich eine BRAFV600E-Mutation (Abb. 3 A–G). Während der endokrinologischen Untersuchungen wurden laborchemisch erniedrigtes Prolaktin, Testosteron sowie SHBG gemessen, jedoch ohne Substitutionsbedarf. Im MRI des Schädels zeigte sich kein hypophysäres Korrelat als Ursache des Hormonmangels. Der erniedrigte SHBG-Wert ist durch die Adipositas erklärbar. Internistisch zeigten sich keine pulmonalen sowie dermatologischen Auffälligkeiten.
Charakteristika der Langerhans-Zell-Histiozytose sind die akute und disseminierte Infiltration verschiedenster Organe wie Lunge, Knochenmark, Haut, Leber, Milz oder Lymphknoten. Generell kann die Erkrankung jedes Organ oder jede Körperregion befallen. Unbehandelt hat sie eine hohe Letalität. Am häufigsten beteiligte Organe sind das Skelettsystem (80 %), die Haut (33 %) und die Hypophyse (25 %). Tumoröse ZNS-Läsionen sind selten und nur in 6 % der Fälle vorhanden (9).

Weiterer Verlauf

Es zeigt sich ein perioperativer komplikationsloser Verlauf ohne fokal-neurologische Defizite. In der postoperativen MRI zeigt sich eine Komplettresektion, und der Patient ist beschwerdefrei (Abb. 1 D und E). Eine vier Monate nach der Operation durchgeführte F-18-Fluorethyltyrosin, Radionuklid (FET) Positronen-Emissions-Tomographie (PET) CT gibt keine Hinweise auf weitere Läsionen (Abb. 2 B)

pract. med. Sena Özkaratufan

GZO Spital Wetzikon
Spitalstrasse 66
8620 Wetzikon

sena.oezkaratufan@gzo.ch

PD Dr. med. Julia Velz

Oberärztin an der Klinik für Neurochirurgie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

julia.velz@usz.ch

Prof. Dr. med. Luca Regli

Klinikdirektor. Klinik für Neurochirurgie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

luca.regli@usz.ch

Ph.D. Dr. med. Daniel Kirschenbaum

Oberarzt, Institut für Neuropathologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

daniel.kirschenbaum@usz.ch

Dr. med. Diane Möller-Goede

Kaderärztin Endokrinologie
GZO AG Spital Wetzikon
Spitalstrasse 66
8620 Wetzikon

Prof. Dr. med. Urs Eriksson

Leitender Arzt Kardiologie
Chefarzt Medizin
Departementsvorsteher Medizin
GZO AG Spital Wetzikon
Spitalstrasse 66, 8620 Wetzikon

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. (Olesen) Die Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage – ICHD-3 https://ichd-3.org/de/
2. Werner Hacke: Neurologie. 14. Auflage Springer 2016, ISBN: 978-3-662-46891-3
3. Göbel: Die Kopfschmerzen. 3. Auflage Springer 2012, ISBN: 978-3-642-20694-8.
4. Brandt et al.: Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. 6. Auflage Kohlhammer 2012, ISBN: 3-170-21674-0
5. Herold et al.: Innere Medizin 2020. Herold 2020, ISBN: 978-3-981-46609-6
6. Schirmer et al.: S2k-Leitlinie: Management der Großgefäßvaskulitiden, Zeitschrift für Rheumatologie, Band: 79, Nummer: S3, 2020
7. Hellmich: Management der Polymyalgia rheumatica und der Großgefäßvaskulitiden, Der Internist, Band: 57, Nummer: 11, 2016
8. Einhäupl et al.: EFNS guideline on the treatment of cerebral venous and sinus thrombosis in adult patients, European Journal of Neurology, Band: 17, Nummer: 10
9. Velz et al.: Isolated intracerebral Langerhans cell histiocytosis with multifocal lesions, 2017
10. Dapprich J: Interdisziplinäre Funktionstherapie, Kiefergelenk und Wirbelsäule 2. Auflage 2018 Deutscher Ärzteverlag Köln
11. AMBOSS GmbH; Kapitel: Trigeminusneuralgie, [https://next.amboss.com/de/article/ii0Jrf?q=trigeminusneuralgie#Z728498cdd6c4f42bfbf97316943e12c0; Kapitel zuletzt aktualisiert am: 17.07.2023; Kapitel zitiert am: 05.10.2023]
12. AMBOSS GmbH; Kapitel: Riesenzellarteriitis, [https://next.amboss.com/de/article/1T02p2?q=arteriitis%20temporalis#Z9c9425c966e9c3d2f1c3e2571fe7c779; Kapitel zuletzt aktualisiert am: 26.07.2023; Kapitel zitiert am: 05.10.2023]
13. AMBOSS GmbH; Kapitel: Zerebrale Sinus- und Venenthrombose, [https://next.amboss.com/de/article/SR0ymf?q=sinusvenenthrombose%20-%20kodierung%20nach%20icd#Zbfde1da893cadee909c0ad94adb71e32; Kapitel zuletzt aktualisiert am: 16.05.2023; Kapitel zitiert am: 05.10.2023]
14. Datenbank Universitätsspital Zürich, Neurochirurgie, Neuropathologie
15. Krankenakte, Universitätsspital Zürich Neurochirurgie, GZO Spital Wetzikon Innere Medizin

Schlangenbiss im Glarnerland – ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis?

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