Vorstellung unseres Mitherausgebers Prof. Bernard Waeber

Liebe Leserinnen und Leser,

Seit der letzten Ausgabe stellen wir in jeder Ausgabe eines der Mitglieder unseres Redaktionsteams vor.
In dieser Ausgabe darf ich unser langjähriges Mitglied der Redaktion und Mitherausgeber Prof. Bernard Waeber vorstellen.
Bernard Waeber ist bereits im Ruhestand, aber wir haben das Privileg und die Ehre, dass er seit vielen Jahren Mitherausgeber der «PRAXIS» ist. Wir dürfen in der Redaktion sehr von seiner enormen Erfahrung
als Internist und Hypertonie-Spezialist, als ehemaliger Vizedekan an der Universität Lausanne und als
2014 ernannter Honorarprofessor der Universität Lausanne auf vielen Ebenen profitieren. Sein Engagement widerspiegelt sich v.a. in den französischsprachigen Publikationen.

Die Resultate des Artikels zum CARE (CArdiovasculaR prEvention) Score – ein Instrument zur Erfassung der Versorgungsqualität von kardiovaskulären Risikopatient/-innen in der Hausarztpraxis – von Prof. Thomas Rosenmann und Team lassen aufhorchen.
Das aktuelle Heft beinhaltet wiederum eine breite Palette an Originalartikeln und drei spannende
Praxis­fälle. Wussten Sie, dass eine Fischvergiftung zu Thoraxschmerzen führen kann? Im entsprechenden Praxisfall von Giulio Brignoli und Team wird das Kounis-Syndrom vorgestellt.

Der Kostendruck im Gesundheitswesen ist allgegenwärtig und zunehmend. Aktuell zum Thema war das Ziel von Wyss et al, das Kostenbewusstsein von Medizinstudent/-innen, Assistenzärzt/-innen und Ärzt/-innen in der Schweiz in Bezug auf kardiologische Tests und Verfahren zu analysieren und Trends in der Kostenwahrnehmung bei den Gesundheitsausgaben zu diskutieren. Ergebnis war, dass das Kostenwissen über kardiologische Tests und Verfahren in dieser Kohorte leider bescheiden ist. Im Allgemeinen wurden die Kosten überschätzt. Eine Überschätzung der Kosten ist potenziell problematisch: Entweder in Systemen mit einem staatlich festgelegten Globalbudget oder in Systemen mit beträchtlichen Out-of-Pocket-Kosten für die Patient/-innen führen überschätzte Kosten zu einer restriktiveren Auftragsvergabe, als es für den einzelnen Patienten angemessen und bezahlbar wäre.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre unseres aktuellen Heftes PRAXIS!

 

Prof. Dr. med. Dagmar Keller Lang

Chefärztin, Leiterin Notfall
Klinik Gut
7500 St. Moritz

d.keller@klinik-gut.ch

Erhöhen Antidepressiva (SSRIs) das Blutungsrisiko bei antikoagulierten Patienten?

Frage

Führt die Einnahme von SSRIs bei Patienten mit oralen Antikoagulantien bei Vorhofflimmern (VHF) zu mehr Blutungen?

Hintergrund

Die weltweite Verordnung von Antidepressiva steigt kontinuierlich. In den USA geben 19 % der über 60-Jährigen an, in den letzten 30 Tagen ein Antidepressivum genommen zu haben. Unter den Antidepressiva dominieren die selektiven Serotonin-Reuptake-Hemmer oder SSRI. Daten aus Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass es unter SSRIs zu vermehrten Blutungen kommt, verantwortlich dafür wird eine Thrombozytenaggregationshemmung der SSRIs gemacht.

Einschlusskriterien

Alle erwachsenen Personen (> 18 Jahren) mit Vorhofflimmern, diagnostiziert zwischen 1998 und 2021, die neu ein orales Antikoagulanz, OAK, in Form eines Vitamin-K-Antagonisten oder eines direkten oralen Antikoagulans, DOAK, erhielten.

Studiendesign und Methodik

Populationsbasierte Fallkontrollstudie (nested case-control study), auf der Basis der UK Clinical Practice Research Datalink, einer grossen Primary Care Datenbank, vergleichbar FIRE, die die Daten (Verschreibungen, Überweisungen etc.) von fast 60 Millionen Patienten aus 2000 Hausarztpraxen umfasst. Als SSRI-exponiert wurden alle Patienten definiert, die Citalopram, Escitalopram, Fluoxetine, Fluvoxamine, Paroxetine oder Sertraline einnahmen. Die Ergebnisse wurden für zahlreiche Faktoren korrigiert, unter anderem Rauchen, Alkoholkonsum, BMI, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Leber- und Nierenerkrankungen, Anämie und weiteren. Korrigiert wurde auch für zahlreiche Medikamente, insbesondere solche, die das Blutungsrisiko beeinflussen können (Thrombozytenaggregationshemmer etc.).

Outcome/Endpunkt

Als Endpunkt «Blutung» wurde eine Hospitalisation auf der Basis einer schweren Blutung (Hospitalisationsanlass) oder der Tod durch «major bleeding» gewertet. Antikoagulierte Patienten mit SSRI-Einnahme wurden dann mit antikoagulierten Patienten ohne SSRI-Einnahme verglichen.

Resultate

Insgesamt traten relevante Blutungsereignisse («major bleedings») bei 42 190 Patienten auf (mittleres Alter 74.2, SD [9.3] Jahre, 59.8 % Männer), die zu 1 156 641 Kontrollen gematched wurden. Die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und OAKs führte zu einem 33 % höheren Blutungsrisiko als unter OAK alleine (Inzidenzverhältnis, inzidence rate ratio, IRR, 1.33; 95 % CI, 1.24–1.42). Die Risikoerhöhung im Vergleich zu den Kontrollen war mit 74 % zu Beginn der Therapie am höchsten (IRR, 1.74; 95 % CI, 1.37–2.22 für die ersten 30 Tage) und blieb für 6 Monate erhöht. Die Risikoerhöhung war unbeeinflusst durch Alter, Geschlecht, Blutungsanamnese, chronische Nierenerkrankung oder Potenz der SSRIs. Bei Vitamin-K-Antagonisten war die Risikoerhöhung (IRR, 1.36; 95 % CI, 1.25–1.47) ausgeprägter als bei DOAKs (IRR, 1.25; 95 % CI, 1.12–1.40).

Kommentar
• Diese sehr grosse populationsbasierte Studie bestätigt frühere kleinere Studien, die bereits zeigten, dass die gleichzeitige Einnahme von SSRIs und oralen Antikoagulantien zu einem erhöhten Blutungsrisiko führt.
• Das Risiko scheint insbesondere initial, nach Beginn einer Therapie mit oralen Antikoagulantien, erhöht.
• Patienten sollten für diese Risikoerhöhung sensibilisiert werden und ein engmaschiges Monitoring verfolgen.
• Die Studie belegt auch den hohen Nutzen von real-life- Daten aus hausärztlichen Datenbanken, wie sie mit FIRE auch in der Schweiz zur Verfügung steht.

Prof. Dr. Dr. med.Thomas Rosemann

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

thomas.rosemann@usz.ch

Rahman AA, Platt RW, Beradid S, Boivin J, Rej S, Renoux C. Concomitant Use of Selective Serotonin Reuptake Inhibitors With Oral Anticoagulants and Risk of Major Bleeding. JAMA Netw Open. 2024;7(3):e243208. doi:10.1001/jamanetworkopen.2024.3208

CARE-(CArdiovasculaR prEvention) Score – ein Instrument zur Erfassung der Versorgungsqualität von kardiovaskulären Risikopatient/-innen in der Hausarztpraxis

Einleitung

Ungeachtet enormer Fortschritte in der Prävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten sind kardiovaskuläre Erkrankungen in Europa gemäss Angaben der World Health Organization (WHO) und der Krankheitsstatistik der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardiology, ESC) mit bis zu 3.9 Millionen Todesfällen für circa 45 % aller Todesfälle verantwortlich (1, 2).

In der Schweiz liegt der relative Anteil kardiovaskulärer Erkrankungen an allen Todesfällen etwas tiefer, so sind gemäss dem schweizerischen Gesundheitsobservatorium (OBSAN) 20.463 entsprechende Todesfälle im Jahre 2022 oder 27.5 % aller Todesursachen kardiovaskulärer Natur (3). Damit sind auch in der Schweiz kardiovaskuläre Erkrankungen die häufigste Todesursache. Eine Gesellschaft wie die unsere mit einem höheren Anteil älterer Menschen geht naturgemäss mit einer höheren Prävalenz an kardiovaskulären Erkrankungen einher, da das Lebensalter ein wesentlicher Risikofaktor für deren Entwicklung darstellt. Dennoch gibt es zahlreiche Studien, die zeigen, dass das Potenzial in der Primär- und vor allem auch der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen nur unzureichend ausgeschöpft wird.

Dabei ist die den therapeutischen Interventionsmöglichkeiten zugrunde legende Evidenz überwältigend, so ist klar belegt, dass es einen linearen Zusammenhang zwischen dem LDL-Cholesterinspiegel im Blut und dem Risiko, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden, gibt, wie Mendelsche Randomisierungsstudien durch die Simulation einer lebenslangen Exposition eindrucksvoll belegen (4). Andererseits zeigte eine Schweizer Studie, die 4.349 Patienten und Patientinnen nach einem erlittenen Myokardinfarkt verfolgte, dass gerade einmal 6.9 % der Patientinnen die in den Leitlinien empfohlenen drei wichtigsten sekundärpräventiven Medikamente nach einem Jahr erhielten. Allein die Statintherapie ging in der Studie mit einer Risikoreduktion von fast 50 % (OR: 0.59 (0.45–0.77, 95 % CI)) für Mortalität und 0.54 (0.43–0.68) für MACE (major cardiovascular events) einher und zeigte damit den stärksten sekundärpräventiven Effekt aller Medikamente, noch vor der dualen Plättchenhemmung (5).

Analoges gilt für den Blutdruck: Eine aktuelle Analyse, die Blutdruckwerte aus dem National Health and Nutrition Examination Survey über einen Zeitraum von 19 Jahren (1999–2018) anhand von 53.289 Menschen analysierte, zeigte erneut den J-förmigen Zusammenhang zwischen Blutdruck und kardiovaskulärer Mortalität und belegte erneut eindrucksvoll, dass das niedrigste Risiko bei einem Druck von unter 120 mmHg systolisch respektive 80 mmHg diastolisch vorliegt (6). Im hausärztlichen Alltag erscheint es oft schwierig, Patienten und Patientinnen, die jahrzehntelang an – wenn auch oft nur leicht – hypertensive Werte gewöhnt sind, auf diese Blutdruckwerte einzustellen. Die Evidenz zeigt aber klar, dass auch eine grenzwertige Hypertonie frühzeitig behandelt werden sollte, wie dies den Blutdruckzielwerten der ESC und insbesondere den noch strengeren Zielwerten der American Heart Association/American College of Cardiology entspricht. Dennoch zeigen Studien, dass nur ein geringer Teil der Patient/-innen diese Zielwerte erreicht. Positiv zu vermerken ist, dass sich in den letzten 10 Jahren in der Schweiz die Blutdruckkontrolle verbessert hat, so wiesen gemäss der europäischen EURIKA-Studie 2010 nur 37.4 % der Patient/-innen einen Blutdruck im empfohlenen Zielbereich auf, während in einer aktuellen Arbeit mit Daten von 80.759 Patient/-innen 44.9 % Blutdruckwerte im Zielbereich der ESC-Guidelines aufwiesen (7). Allerdings bedeuten die aktuellen Ergebnisse immer noch, dass über 50 % die Zielwerte nicht erreichen.

Analog zur Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren zeigte vor Jahren eine Studie mit Daten des Krankenversicherers Helsana eine unzureichende Umsetzung von Leitlinienempfehlungen bei Diabetikern (8). Diese Ergebnisse veranlasste die Schweizer Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie, evidenzbasierte Kriterien einer Diabetikerversorgung im sogenannten «SGED Score» zusammenzufassen (9). Der Begriff «Score» bezieht sich dabei nicht – wie sonst im medizinischen Kontext meist üblich – auf ein Risiko, sondern der Score-Wert reflektiert das Ausmass der Umsetzung der Leitlinienempfehlungen; er stellt somit einen Adherence-Score dar. Der SGED-Score beträgt im Maximum 100 Punkte, wobei als Zielwert im Sinne einer Guideline-adhärenten Versorgung mindestens 70 Punkte vorgegeben werden.

Kardiovaskuläre Erkrankungen zeigen eine weit höhere Prävalenz als der Diabetes, ein analoges Instrument, dass die Versorgungsqualität bei kardiovaskulären Erkrankungen widerspiegelt, existiert bisher aber noch nicht. Im Dezember 2022 hat sich eine interdisziplinäre Gruppe aus Hausärzt/-innen und Kardiolog/-innen zusammengefunden und in Anlehnung an den SGED-Score ein analoges Evidence-Adherence Instrument zur Quantifizierung der Qualität der Versorgung kardiovaskulärer Risikopatient/-innen, den Take-CARE-Score (CArdiovasculaR prEvention score), entwickelt.

Methodik

Beginnend im Dezember 2022 wurde eine interdisziplinäre Projektgruppe aus Allgemeininternist/-innen und Kardiolog/-innen formiert, die neben den Autoren weitere Stakeholder, insbesondere auch aus dem Bereich der Krankenversicherer, dem Forum Managed Care und hausärztlicher Netzwerke umfasste. Das Ziel war es, einen evidenzbasierten Summenscore zu entwickeln, der die Qualität der Versorgung kardiovaskulärer Risikopatient/-innen, im Hinblick auf ihre Zielwerterreichung, quantifiziert. Grundlage für die Zielwerte waren die Leitlinien der ESC respektive deren adaptierte Leitlinien für das Schweizer Grundversorgersetting aus dem Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich.

Der Score sollte aus den üblichen hausärztlichen Routinedaten errechenbar sein, die im Rahmen der Betreuung von kardiovaskulären Risikopatient/-innen gemäss Leitlinien zu dokumentieren sind. Ziel des Scores ist es, dem einzelnen Arzt oder der Ärztin einen einfachen und pragmatischen Überblick über die «Performance» und Guideline-Adhe­rence der eigenen Versorgung zu bieten. Natürlich können diese Daten auch in Qualitätszirkeln oder in Netzwerken zu Qualitätsmassnahmen genutzt werden. Eine Stärke des SGED-Score ist es, nicht nur Prozesse abzubilden, sondern auch klinische Outcomes, wie das HbA1c oder den Blutdruck, abzubilden, dies sollte analog auch im CARE-Score erfolgen. Diese kontinuierlichen, klinischen Variablen werden je nach Zielwerterreichung in beiden Scores mit einem Score-Wert verknüpft.

Für den CARE-Score wurden die nachfolgenden Varia­blen, basierend auf den Empfehlungen der ESC, identifiziert (10), (Tabelle 1).

Die Leitlinien machen grösstenteils keine Empfehlung, wie häufig die jeweiligen Werte zu kontrollieren sind, die Vorgabe für den CARE-Score ist eine mindestens einmalige jährliche Messung respektive Kontrolle der Parameter 1–6. Die KDIGO-Leitlinie und die Empfehlung der Schweizer Gesellschaft für Nephrologie sehen ein Screening bei Patient/-innen mit arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen mittels eGFR und Albuminausscheidung im Urin mindestens einmal jährlich vor. Für jeden Test, eGFR und Albumin, werden im CARE-Score je 5 Prozesspunkte vergeben (11, 12).

Zielwerte

Auf der Basis der in der Schweiz vorhandenen Zielwerterreichungsgrade erschien es der Projektgruppe sinnvoll, 40 % Zielerreichung als untersten Wert zu definieren, ab dem es einen CARE-Score-Punkt gibt. Wenn bei mindestens 60 % aller Patient/-innen die entsprechenden Parameter gemessen werden, wird bereits der maximale CARE-Score-Wert von 10 vergeben. Für die Erfassung von Raucherstatus oder Endorganschäden respektive einer vorhanden ASCVD werden bei erfolgter Dokumentation 5 CARE-Score-Punkte vergeben.

Um den Outcomes mehr Bedeutung beizumessen als dem reinen Messen und somit den Prozessparametern, sind die Zielwerterreichungen im LDL-Cholesterin respektive dem Blutdruck höhere Score-Punkte zugeordnet. Beginnend wiederum bei 40 % als Minimum wird hier pro Prozentpunkt höherer Zielwerterreichung ein Score-Punkt mehr vergeben, bis der maximale Score-Punktewert bei 65 % erreicht ist. Rational für den unteren Schwellenwert von 40 % Patient/-innen, die mindestens den Zielwert erreichen sollten, um einen CARE-Score-Punkt zu erhalten, ist die verfügbare Literatur, die zeigt, dass in der Schweizer Grundversorgung dieser Wert beim Hypertonus im Median leicht überschritten wird, beim LDL-Cholesterin in Abhängigkeit von der ESC-Risikokategorie unterschritten oder knapp erreicht wird (4, 8). Im Bereich von 40–65 % Patient/-innen auf Zielwert gibt es pro 2 % höherem Patientenanteil, der dies erreicht, je 1 CARE-Score-Punkt, bis zum Maximum von 25 bei 65 %. Bereits bei 65 %, wenn also knapp zwei Drittel aller Patientinnen und Patienten im Zielbereich sind, gibt es somit die volle Punktzahl.

Somit können bis zu 35 % der Patient/-innen aufgrund mangelnder Adherence, Alter und Multimorbidität aus der Betrachtung der Performance ausgeklammert werden. Dieser Wert liegt weit über den Werten, die von General Practicioners im englischen Pay-for-Performance-Programm im Rahmen des Quality and Outcomes-Framework des National Health Service (NHS) durch sie tatsächlich ausgeschlossen werden (13). In der Summe resultieren daraus 100 Punkte, wobei 50 Punkte auf Prozessparameter entfallen und 50 Punkte auf Outcomevariablen. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass der CARE-Score und der SGED-Score komplementär sind, das heisst, bei Diabetikern kommen beide zum Einsatz. Grundsätzlich sollte der CARE-Score bei allen Patient/-innen über 40 Jahren und mit einem Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis im ESC-Score von grösser einem Prozent erfasst werden und alle drei Jahre überprüft werden, dies reflektieren die EVIPREV-Empfehlungen für die Schweiz (https://eviprev.ch/).

Ergebnisse – Proof of concept

Um die Machbarkeit und die Resultate des CARE-Scores in real-life zu testen, führten wir eine Kalkulation innerhalb des FIRE-Forschungsnetzwerkes des Instituts durch. Eingeschlossen wurden hierbei 463 Hausärzte mit einem Schwerpunkt in der Deutschschweiz (die räumliche Verteilung der Praxen ist unter https://www.fireproject.ch einzusehen, 68.203 Patient/-innen). Das mittlere Alter der Patient/-innen betrug 67.9 Jahre (SD 12.8), 46.3 % davon waren Frauen.

Abbildung 1 zeigt deutlich, dass vor allem die Prozessparameter häufig umgesetzt werden und daraus entsprechende CARE-Score-Punkte resultieren, bei den Blutdruckzielwerten zeigt sich, dass es sowohl zahlreiche Hausärztinnen und Hausärzte gibt, die nicht mindestens 40 % ihrer Patient/-innen auf Zielwert haben, dass es aber auch eine grosse Anzahl an Hausärztinnen und Hausärzten gibt, die die volle CARE-Score-Punktzahl erreichen, also mehr als 65 % der Patient/-innen im Blutdruckzielbereich haben.
Beim LDL-Zielwert zeigte sich, dass nur ganz wenige Ärzte den Schwellenwert von mindestens 40 % erreichten, um mindestens 1 CARE-Score-Wert zu erreichen. Die grundsätzliche Erreichbarkeit wurde allerdings dadurch belegt, dass es 5 Ärzte gab, die 65 % oder mehr aus LDL-Zielwerten hatten. Abbildung 2 liefert ein differenziertes Bild der LDL-Zielwerterreichung. Hier zeigt sich, dass der Grossteil der Patient/-innen den Schwellenwert im LDL-Zielwert von mindestens 40 %, die auf LDL-Zielwert sind, nicht erreichen. Die meisten Hausärzt/-innen erreichen den LDL-Zielwert nur bei 10–20 % ihrer Patient/-innen.

Diskussion

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die führende Todesursache in der Schweiz, und es gibt eine überwältigende medizinische Evidenz, dass die heute zur Verfügung stehenden medikamentösen Interventionsmöglichkeiten zu einer signifikanten Reduktion von Morbidität und Mortalität führen. Zahlreiche Studien belegen jedoch ebenso, dass diese Massnahmen nur bei einem geringen Teil umgesetzt werden, obgleich auch in der Schweiz die notwendige Evidenz durch hausärztliche Guidelines zur Verfügung steht (14, 15). Strukturierte Tools, die Versorgungsqualität valide abbilden, können Ärztinnen und Ärzte hierbei unterstützen und machen zudem die Leistung transparent und vergleichbar.
Im Bestreben, medizinische Behandlungsqualität erfassbar zu machen, wurden in den letzten Jahren Qualitätsindikatoren, insbesondere im stationären Setting, in grosser Zahl entwickelt und untersucht. Häufig handelt es sich hierbei allerdings um Prozessindikatoren, die kein wirklich valides Bild liefern. Insbesondere im Kontext von Eingriffen wären die Indikations- und Ergebnisqualität weitaus bessere Indikatoren, insbesondere die Indikationsqualität ist aber sehr schwer zu erfassen. Qualitätsindikatoren oder entsprechende Qualitätsscores können daher häufig auch eine Scheinqualität vortäuschen, und ihre Aussagekraft ist oft allein schon aufgrund der unterschiedlichen Patientenpopulationen limitiert (16, 17).

International sind viele Anstrengungen unternommen worden, den evidence-performance-gap zu minimieren, gerade auch im kardiovaskulären Bereich (18, 19). Das Chronic Care Model wurde als Vorlage zur Versorgung chronisch kranker Patient/-innen entwickelt (20–22), aber auch heute noch scheitert eine wirksame Umsetzung bereits an den verfügbaren elektronischen Krankengeschichten (KGs), mit welchen sich diese Parameter weder adäquat aufbereiten noch ausreichend informativ für den Nutzer zur Verfügung stellen lassen. Fehlende Standards verhindern zudem eine digitale Vernetzung zwischen den Ärzten (23).

Der SGED-Score hat sich in der Schweiz als Score zur Erfassung der Versorgungsqualität bei Diabetikern fest etabliert (9). Mittlerweile hat der SGED-Score sogar Eingang in Managed-Care-Verträge zahlreicher Versicherer mit Ärztenetzwerken gefunden. Mit dem CARE-Score wurde der Versuch unternommen, ein ähnliches Instrument für die noch weitaus grössere Gruppe von Patient/-innen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko zu entwickeln. Der CARE-Score nutzt wie der SGED-Score die vorhandene medizinische Evidenz aus international akzeptierten und teilweise lokal adaptierten medizinischen Guidelines, die den Kriterien des Instituts of Medicine entsprechen respektive von der FMH akkreditiert sind (10, 14).

Anhand einer Berechnung des CARE-Scores auf Basis der im FIRE-Netzwerk verfügbaren Daten konnte hier gezeigt werden, dass der CARE-Score aus hausärztlichen Routinedaten ohne jeden Mehraufwand für die beteiligten Ärzt/-innen errechnet werden kann. Einzig die Dokumentation von Raucherstatus und Endorganschäden und ASCVD sind nicht in allen elektronischen KGs in Form von strukturierten Feldern möglich. Hier wurden aber für den FIRE-Datensatz Ansätze mit künstlicher Intelligenz entwickelt, die die Extraktion dieser Angaben zumindest zum Teil auch dann ermöglicht, wenn sie nicht in einem von der elKG vorgegebenen Feld dokumentiert wurden.

Die Simulation des CARE-Scores am FIRE-Datensatz hat – wie zuvor nationale und internationale Studien – gezeigt, dass es noch Verbesserungspotenzial in der Umsetzung der Leitlinienempfehlung gibt, insbesondere in den klinischen Outcomes. Der evidence-performance-gap, also die Lücke aus theoretischer Evidenz und täglicher Praxis, ist noch erheblich (24). Der Einwand von Kritikern, die Zielvorgaben im CARE-Score seien zu ambitioniert respektive aufgrund von Multimorbidität und mangelnder Adherence von Patientinnen und Patienten nicht erreichbar, wird widerlegt durch die Hausärztinnen und Hausärzte im FIRE-Netzwerk, die dies durchaus erreicht haben. Zudem scheinen die Zielvorgaben – mit einem Maximalwert bereits bei 65 %, also noch nicht einmal zwei Drittel aller Patient/-innen auf Zielwert – durch die Literatur gut abgestützt. Zudem muss man sich vor Augen führen, dass im staatlichen Gesundheitssystem Englands, dem NHS beispielsweise, der Erreichungsgrad beispielsweise beim Blutdruckzielwert (140/90 mmHg) im Jahre 2023 bei weit über 70 %, in vielen Praxen bei fast 80 % lag (25). Im englischen Pay-for-Performance-Programm ist es den General Practitioners erlaubt, Patient/-innen aufgrund mangelnder Adhärenz und anderen Gründen wie Alter oder Multimorbidität, die eine vollständige Umsetzung der Leitlinien verhindern, auszuschliessen. Eine Analyse von 8.105 englischen Hausarztpraxen zeigte jedoch, dass im Median nur 5.3 % aller Patient/-innen aus diesen Gründen ausgeschlossen wurden (13). Mit einem maximal avisierten Zielerreichungsgrad von 65 % im CARE-Score wird somit Alter, Multimorbidität und vor allem Non-Adherence der Patientinnen und Patienten mehr als Rechnung getragen.

Limitationen

FIRE ermöglicht eine routinemässige Kalkulation von Qualitätsindikatoren respektive dem CARE-Score, dennoch sind bei der Betrachtung der Ergebnisse einige Limitationen zu beachten: Im Gegensatz zur Situation in UK, wo die Hausärztinnen und Hausärzte sich bewusst mit den Zielerreichungsgraden auseinandersetzen, erfolgte die Dokumentation in den elektronischen Krankenakten in der Schweiz wesentlich individueller, und Werte werden beispielsweise nicht in den von der elKG vorgegebenen strukturierten Feldern erfasst. Dies kann zu einer Verschlechterung der Resultate führen. Diesem Umstand wurde in den jüngsten FIRE-Datenexporten und mithilfe künstlicher Intelligenz, die strukturelle «Fehleingaben» korrigieren kann, Rechnung getragen, gilt aber noch nicht für länger zurückliegende Behandlungsperioden und ältere Werte, die hier teilweise in die Berechnung mit eingeflossen sind. Eine weitere Limitation, die zu (scheinbar) schlechteren Ergebnissen führt, ist die Tatsache, dass in UK die Qualitätsindikatoren incentiviert sind, was für den CARE-Score nicht gilt. Incentivierungen haben aber naturgemäss einen erheblichen Einfluss auf die Dokumentation und Outcomes (26, 27). Daher sind die in diesem Artikel errechneten Werte nicht als absolut zu werten, sondern einzig als «Proof-of-concept», dass der CARE-Score automatisiert aus Routinedaten zu errechnen ist. Eine Analyse aus einem Ärztenetzwerk, das den SGED-Score als Behandlungsmassstab bereits implementiert hat, zeigte zudem deutlich bessere Ergebnisse. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass bei einer Implementierung des CARE-Scores die Awareness unter den Ärzten derart erhöht wird, dass sich rasch deutliche Verbesserungen abbilden, allein schon durch eine bessere Dokumentation.

Schlussfolgerung

Der Erfassung von medizinischer Behandlungsqualität kommt auch in der ambulanten Praxis in der Schweiz eine zunehmend grössere Bedeutung bei. Scores wie der eta­blierte SGED-Score zur Versorgung von Diabetikern oder der hier vorgestellte CARE-Score für kardiovaskuläre Risikopatient/-innen zeichnen aufgrund der Erfassung von Prozess- wie auch Ergebnisqualität ein zuverlässiges Bild der Guideline-Adhärenz und der Versorgungsqualität. Sie können auf der Basis hausärztlicher Routinedaten aus elektronischen KGs ohne Mehraufwand errechnet werden und eignen sich für Massnahmen zur Qualitätsdokumentation und vor allem Qualitätssteigerung, indem sie beispielsweise die Grundlage eines entsprechenden Austausches in Ärztenetzwerken und Qualitätszirkeln bilden. Durch die Anpassung der Zielwerterreichungsgrade sind sie an unterschiedliche Versorgungskontexte und Populationen flexibel anpassbar, die im aktuellen CARE-Score reflektierten Werte tragen mangelnder Patienten-Adherence ebenso Rechnung wie hohem Patientenalter und Multimobidität.
Der CARE-Score stellt somit ein einfaches und pragmatisches Instrument dar, den evidence-perfomance-gap wirksam zu verkleinern.

Historie:
Manuskript eingereicht: 08.04.2024
Angenommen nach Revision 30.04.2024

Prof. Dr. Dr. med.Thomas Rosemann

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

thomas.rosemann@usz.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

 

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Aktuelle Diagnostik und Therapie der chronischen Rhinosinusitis

Einleitung und Pathophysiologie

Ziel dieses Reviews ist, Grundversorger über die aktuell gültigen Guidelines zur chronischen Rhinosinusitis (CRS) zu informieren. Der hier vorgelegte Überblick basiert auf dem European Position Paper on Rhinosinusitis and Polyps, abgekürzt EPOS2020 und beschreibt die Anwendung von Biologika bei chronischer Rhinosinusitis in der Schweiz. Die Krankheit betrifft 5–12 % der Gesamtbevölkerung und tritt meist in der fünften Lebensdekade auf. Während bisher anhand des Phänotyps differenziert wurde zwischen einer CRS mit oder ohne Nasenpolypen, steht heute der diagnostisch und therapeutisch wichtige Endotyp im Vordergrund. Es werden drei Endotypen von molekularen Entzündungsmustern unterschieden. Endotyp 1 ist eine durch Interferon Gamma (IFN-γ) geprägte Entzündungsreaktion gegen intrazelluläre Pathogene, etwa Viren. Endotyp 2 ist dagegen ursprünglich gegen Parasiten gerichtet und durch IL-4, IL-5 und IL-13 vermittelt.Dies ist der vorherrschende Endotyp bei CRS und Polypen in westlichen Populationen. Endotyp 3 wehrt unter Sekretion von IL-17 und IL-22 extrazelluläre Bakterien ab. Eine traditionelle Unterteilung der CRS in eine Form mit und ohne Polypen (CRSwNP/CRSsNP) wird in der neueren Literatur zunehmend verlassen zugunsten der Endotypen. Für den klinischen Alltag hat sich eine vereinfachende Unterteilung in Typ-2- und Non-Typ-2-Entzündung durchgesetzt. Aus den Endotypen werden die Phänotypen hergeleitet, ein Endotyp kann zu verschiedenen Phänotypen führen (1).

EPOS2020 Definitionen

Eine CRS wird in der EPOS2020 als eine mindestens zwölf Wochen persistierende Entzündung der sinunasalen Schleimhaut definiert. Sie geht definitionsgemäss mit folgenden Symptomen einher:

• Nasenobstruktion/-blockierung und/oder anteriore oder posteriore Rhinorrhoe, wobei mindestens eines davon obligat vorhanden sein muss
• sowie optional Druckgefühl/Gesichtsschmerzen oder Riechminderung, sollten nicht beide erstgenannten Symptome erfüllt sein

Die klinische Definition kann im Verlauf durch eine Nasenendoskopie und ein natives CT der Nasennebenhöhlen (NNH) ergänzt werden. Dabei ist der endoskopische Nachweis von Polypen, purulentem Sekret oder entzündeter, ödematöser Schleimhaut im mittleren Nasengang notwendig. CT-graphisch ist eine Mukosaschwellung der Sinus oder in der osteomeatalen Einheit erforderlich, also dem gemeinsamen Drainageweg von Kiefer-, Stirn- und vorderer Siebbeinhöhlen (2). Die EPOS2020 unterscheidet zwischen primärer und sekundärer CRS. Sekundäre Formen entstehen auf dem Boden einer Grunderkrankung, wie z.B. einer zystischen Fibrose oder einer Vaskulitis.

Die Phänotypen

Die primäre CRS, welche in dieser Übersichtsarbeit thematisiert wird, ist nach anatomischer Beteiligung in einseitig oder beidseitig unterteilt (Abb. 1). Die weitere Unterteilung erfolgt nach dem Endotyp. Folgende klinischen Befunde, also Phänotypen, ergeben sich aus einer bilateralen primären CRS vom Endotyp 2:

• Die chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen: Diese tritt meistens in der fünften Lebensdekade auf, Männer sind eher betroffen. Bei dieser Form findet sich eine Prävalenz von bis zu 31 % für Allergien auf Inhalationsantigene, ein Zusammenhang mit Asthma wird in 45 % der Fälle angegeben (1).
• Die eosinophile Form (eCRS) benötigt den histologischen und laborchemischen Nachweis von Eosinophilen (1).
• Seltenere Phänotypen sind die allergische Pilz-Rhinosinusitis und die central compartment atopic disease (CCAD), zu Deutsch atopische Krankheit der zentraleKompartimente. Die allergische Pilz-Rhinosinusitis ist eine nicht invasive Mykose der Nasennebenhöhlen, die durch eine Typ I allergische Reaktion gegen Pilzhyphen geprägt ist. Sie kommt gehäuft in feuchteren und wärmeren Gegenden vor und wird oft von einem allergischen Asthma begleitet (1).

Die bilaterale primäre CRS vom Non-Typ 2 Endotyp hat als einzigen Phänotyp die non eosinophile CRS (Non-eCRS). Entsprechend weist sie histologisch < 10 Eosinophile/Gesichtsfeld im Sinusepithel, laborchemisch eher niedrige IgE-Spiegel und normwertige Eosinophile-Anzahl auf (1). Diese Patienten leiden oft an eitriger Rhinorrhoe, manchmal begleitet von Gesichtsschmerzen, und häufigen akuten Infekten.
Eine einseitige CRS ist immer verdächtig auf eine sekundäre Form der CRS, z.B. in Form eines invertierten Papillomes, eines Malignoms oder einer dentogenen Ursache. EPOS2020 empfiehlt bei einseitiger CRS die direkte Zuweisung an einen HNO-Spezialisten und eine Bildgebung. Hervorzuheben ist zudem, dass eine isolierte Verschattung im Sinus maxillaris zwar am häufigsten bei einer dentogenen Infektion auftritt, jedoch auch ein Malignom als Ursache haben kann (1).

Diagnostik und Therapie in der ­haus­ärztlichen Sprechstunde

Der Hausarzt kann eine CRS anhand der Symptome, wie von den EPOS 2020 vorgeschlagen, postulieren und behandeln (Abb. 2). Zu beachten sind Warnsymtome und unilaterale Symptome, welche eine zeitnahe Überweisung notwendig machen (Abb. 2). Daneben sollen in der hausärztlichen Praxis einerseits die Komorbiditäten im Zusammenhang mit der CRS diagnostiziert und therapiert werden, andererseits wird die Basistherapie mit nasalen Steroidsprays und Nasenspülungen begonnen. Rauchen führt zu einem oxidativen Stress der Mukosa. Das metabolische Syndrom scheint ein unabhängiger Risikofaktor für die CRS zu sein. Es wird postuliert, dass das vermehrte Fettgewebe pro-inflammatorisch wirkt. Ein weiterer unabhängiger Risikofaktor für eine CRS ist das Obstruktive Schlafapnoesyndrom (OSAS), wobei hier die pathophysiologischen Zusammenhänge unklar sind. Daneben scheint ein gastroösophagealer Reflux eine CRS zu begünstigen, der Nachweis einer Besserung der CRS-Symptomatik durch die Gabe von Säureblockern steht jedoch aus. Die Exposition gegenüber Papier-, Metall-, Textilienstaub, Reinigungsmittel, Schimmel, Feuchtigkeit und toxischen Gasen begünstigt die CRS (1).

Die Aspirin Exacerbated Respiratory Disease (AERD, auch Widal-Trias genannt) ist eine chronische, eosinophile Entzündung des respiratorischen Epithels mit einer Verschlimmerung von Atembeschwerden durch die Einnahme von Aspirin und anderen NSAR. Die Betroffenen leiden unter einem Asthma und einer CRS Typ 2, in der Regel mit dem Phänotyp von Nasenpolypen. Ursache ist eine vermehrte Leukotrienbildung wegen einer Störung der Eicosanoid-Synthese. AERD-Patienten sind jünger als andere CRS-Patienten und leiden häufiger an Rezidivpolypen trotz adäquater Therapie. Empfohlen wird eine strikte Auslöserkarenz. Während früher in ausgewählten Fällen eine Aspirindesensibilisierung versucht wurde, wird man heute eine Therapie mit einem Biologikum bevorzugen.

Ein starker Zusammenhang besteht zwischen CRS und Asthma. Die Prävalenz eines Asthma bronchiale liegt je nach Endotyp der CRS zwischen 21–45 % und sogar 73 % bei AFRS. Eine gute Evidenz für oder gegen eine allergische Prädisposition und CRS gibt es nicht, hingegen sind Unterformen wie CCAD und AFRS mit Allergien vergesellschaftet. Sowohl für CRS als auch für eine allergische Rhinitis besteht die Therapie in der Anwendung von topischen Steroiden, aktuell kann bei Non-Allergikern mit CRS keine zusätzliche Antihistamintherapie empfohlen werden. Die meisten COPD- und Bronchiektasie-Patienten weisen CT-graphische Hinweise für eine CRS auf, ursächlich dafür dürfte eine Ziliendysfunktion sein (1).

Die genaue Instruktion der Basistherapie mit Nasenspülungen und nasalen Steroidsprays ist für den Therapieeffekt und die Compliance essenziell. Für die Nasenspülung wird isotonisches Salzwasser empfohlen. Vor der topischen Steroidanwendung soll die Nase zuerst gespült und dann geschnäuzt werden. Der Spray soll vor dem Gebrauch gut geschüttelt werden, da das Kortison meist in einer Suspension vorliegt. Dann wird der Behälter mit aufrechtem Oberkörper in einer Hand gehalten und gekreuzt in das gegenseitige Nasenloch eingesprüht. Die Basistherapie wird täglich für sechs bis zwölf Wochen durchgeführt, eine Besserung ist erst nach zwei bis drei Wochen zu erwarten. Bei gutem Ansprechen auf die Basistherapie bei einer bilateralen CRS kann diese bei Bedarf über Jahre hinweg fortgeführt werden.

Bei Beschwerdepersistenz sollte eine Überweisung für eine rhinologische Abklärung bei einem HNO-Arzt erfolgen (Abb. 2). Differenzialdiagnostisch ist auch an eine sekundäre CRS zu denken, wobei hier bei Kindern vor allem eine primär ziliäre Dyskinesie oder zystische Fibrose und bei Erwachsenen eine Vaskulitis wie eine Granulomatose mit Polyangiitis infrage kommen.

Die weitere Diagnostik und Therapie beim HNO-Facharzt

Initial werden die Diagnose und Differentialdiagnose einer CRS reevaluiert. In der ergänzenden Anamneseerhebung beim HNO-Arzt wird nochmals die korrekte Spül- und Spraytechnik überprüft. Die Einschränkung der Lebensqualität bei CRS-Patienten wird mit dem SNOT-22 Formular (Sinonasal Outcome Test) festgehalten. Mittels Riechtest wird nach einer Hyposmie gesucht. Es erfolgt die Nasenendoskopie mit Beurteilung der Schleimhaut, Anatomie, Dokumentation von allfälligem pathologischen Sekret oder Polypen sowie Ausschluss einer Raumforderung. Ein Prick-Test kann bei möglichem Vorliegen einer Allergie ergänzend durchgeführt werden. Laborchemisch werden die Eosinophilen im Blutbild und das Gesamt-IgE als Hinweise für eine Typ-2-Inflammation bestimmt. Bildgebend wird nach adäquater Vorbehandlung ein CT-NNH nativ durchgeführt, einerseits um das Ausmass der Verschattung der Sinus zu bestimmen, andererseits zur Planung einer möglichen endoskopischen NNH-Operation. Therapeutisch wird bei einer CRS Typ 2 die Basistherapie mit kurzdauernden systemischen Steroidstössen (maximal ein-/zweimal pro Jahr) ergänzt. Eine funktionelle NNH-Operation, im Sinne einer endoskopischen Eröffnung der betroffenen Sinus, ist indiziert, wenn trotz Basistherapie für mindestens acht Wochen und trotz systemischen Steroiden bei CRS Typ 2 oder Antibiotika bei CRS Non-Typ 2 keine Besserung der Beschwerden eintritt. Der Patient muss sich bewusst sein, dass durch die Operation keine Heilung eintritt, sondern die weiterhin notwendige Basistherapie besser zu dem eröffneten Sinus gelangt. Bei Beschwerdepersistenz trotz stufengerechter medikamentöser und operativer Therapie sollte die Diagnose einer primären Form der CRS hinterfragt, eine sekundäre CRS in Betracht gezogen oder eine Revisionsoperation angedacht werden. Eine Option für eine therapierefraktäre, stark symptomatische CRS Typ 2 trotz adäquater medikamentöser und operativer Therapie sind Biologika (Abb. 3). Bei Vorliegen von Rezidivpolypen nach erfolgter endoskopischer NNH-Operation sollten für die Indikation zur Therapie mit einem Biologikum gemäss EPOS2020 mindestens drei der aufgeführten Kriterien erfüllt sein (1):

• Hinweise für eine Typ-2-Inflammation:
. histologisch Gewebseosinophilie ≥10 Eosinophile/Gesichtsfeld oder
. Bluteosinophilie ≥250 u/L oder
. Gesamt-IgE im Blut >100 IU/ml
• Notwendigkeit von zwei oder mehr systemischen Steroidtherapien pro Jahr oder Kontraindikation für Steroide
• SNOT-22 ≥40
• Nachweis einer Anosmie im Riechtest
• Asthmadiagnose mit Notwendigkeit von inhalativen Steroiden

Da es sich in der Regel um Patienten mit fachübergreifenden chronischen Atemwegserkrankungen handelt, sollte die Indikation zur Therapie einer CRS Typ 2 mit einem Biologikum an einem interdisziplinären Fachboard mit HNO-Ärzten, Pneumologen, Immunologen/Allergologen, Hämatologen gestellt werden (3).

In der Schweiz sind zur Zeit drei Biologika für die Behandlung der chronischen Rhinosinusitis mit Nasenpolypen (Typ-2-Inflammation) von Swissmedic zugelassen.
Omalizumab ist ein selektiver monoklonaler Antikörper, welcher IgE bindet und das Andocken von IgE an Mastzellen oder Basophilen und somit die Aktivierung der Entzündungskaskade verhindert. Omalizumab wird seit 2003 zur Behandlung von Asthma und seit 2014 bei chronischer Urtikaria eingesetzt (4). Die gewichtsadaptierte Dosis wird durch den prätherapeutischen Gesamt-IgE-Spiegel beeinflusst und alle vier Wochen subkutan verabreicht. Während der Behandlung kann der Gesamt-IgE-Spiegel steigen, da nun die IgEs an Omalizumab gebunden sind und nicht mehr an den Zellrezeptoren (5). In einer Phase-III-Studie bei CRSwNP verbesserte sich der SNOT-22 um etwa 20 Punkte nach 24 Wochen Anwendung, endoskopisch kam es zu einer Polypenreduktion (6).
Mepolizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen IL-5 und wird neben der CRSwNP seit 2015 bei Asthma sowie bei eosinophiler Granulomatose mit Polyangiitis und ­Hypereosinophilie-Syndrom angewendet (7). Bei CRSwNP ist das IL-5 im sinunasalen Epithel hochreguliert und wird von verschiedenen Entzündungszellen produziert, Eosinophile werden dadurch aktiviert und überlebensfähig gemacht (8). Mepolizumab wird alle 4 Wochen subkutan injiziert. Nach 52 Wochen Therapie fand sich in der Phase-III-Studie bei CRSwNP eine SNOT-22-Reduktion von fast 30 Punkten, ebenso wurden die Polypen kleiner (9).

Dupilumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen IL-4 und IL-13 (10). Beide Interleukine können die Interzellularverbindungen zwischen den Epithelzellen schwächen. IL-13 kann in den B-Zellen einen IgE-Klassenwechsel herbeiführen, womit lokal mehr IgE gebildet wird, zudem kann das Zytokin Proteine bilden lassen, welche den Übertritt von Entzündungszellen vom Blut ins Gewebe erleichtern (9). Dupilumab wird alle 2 Wochen subkutan angewendet, nach 52 Wochen Therapie zeigte sich in einer Phase-III-Studie bei CRSwNP eine Verbesserung des SNOT-22 um 20 Punkte, und die Polypen wurden kleiner (10). Weitere Indikationen für Dupilumab sind Asthma, atopische Dermatitis, Prurigo nodularis und die eosinophile Ösophagitis.

Gemeinsame Nebenwirkungen von allen drei Biologika können in seltenen Fällen eine anaphylaktische Reaktion sein, die Bildung von Antikörper gegen die verabreichten monoklonalen Antikörper und eine mögliche Abschwächung der Immunantwort gegen Helminthen sein (5, 11, 12). Welches der drei Biologika das Effektivste ist, bleibt ungeklärt. Bisherige Reviews zeigen eine leichte Überlegenheit von Dupilumab, was den Geruchssinn angeht, jedoch bei eingeschränkter Vergleichbarkeit (13). Da die Kosteneffektivität von Biologika in der primären Behandlung der CRSwNP gegenüber den Standardtherapien schlecht abschneidet (14), sollte ihr Einsatz ausschliesslich schweren, therapierefraktären Formen vorbehalten bleiben. Bei fehlendem Ansprechen innerhalb von 16 Wochen sollte das Biologikum abgesetzt werden.

Abkürzungen:
AFRS Allergic Fungal Rhinosinusitis
CCAD Central Compartment Atopic Disease
COPD Chronic Obstructive Pulmonary Disease
CRS Chronische Rhinosinusitis
CRSsNP Chronic Rhinosinusitis sine Nasal Polyps
CRSwNP Chronic Rhinosinusitis with Nasal Polyps
CT Computer Tomographie
eCRS eosinophilic Chronic Rhinosinusitis
EPOS European Position Paper on Rhinosinusitis and Polyps
HNO Hals-Nasen-Ohren
IgE Immunoglobulin E
IL Interleukin
IFN Interferon
AERD Aspirin Exacerbated Respiratory Disease
NNH Nasennebenhöhlen
Non-eCR Non eosinophilic Chronic Rhinosinusitis
NSAR Nichtsteroidale Antirheumatika
SNOT Sinonasal Outcome Test

Historie:
Manuskript eingereicht: 07.03.2024
Nach Revision angenommen: 02.05.2024

Dipl. med. Letizia Meier

Klinik für Hals-, Nasen-, Ohren- und Gesichtschirurgie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern

letizia.meier@luks.ch

Es bestehen keine Interessenkonflikte.

• Eine chronische Rhinosinusitis kann symptombezogen in der Hausarztpraxis postuliert werden. Wenn die bilaterale Krankheit durch eine Behandlung mit topischen Stero­iden und Nasenspülungen erfolgreich therapiert wird, sind keine weiteren Schritte erforderlich.
• Die CRS stellt häufig eine fachübergreifende Atemwegserkrankung dar. Komorbiditäten und Risikofaktoren wie Tabakrauch, Asthma, Allergien und AERD sollen mitberücksichtigt werden. Einseitige Symptome oder nasale Warnsymptome erfordern die zeitnahe Überweisung an einen HNO-Facharzt und eine Bildgebung.
• Die CRS kann in den meisten Fällen symptombezogen und stufengerecht mit einer Basistherapie bestehend aus Salzwassernasenspülungen und topischen Steroidsprays, maximal 1–2 kurzdauernden oralen Steroidbehandlungen oder einer NNH-Operation erfolgreich behandelt werden.
• In ausgewählten Fällen kann die Therapie mit einem Biologikum bei therapierefraktärer CRSwNP sinnvoll sein. Die Indikation dazu sollte an einem interdisziplinären Fachboard getroffen werden.

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2. Bandyopadhyay R, Biswas R, Bhattacherjee S, Pandit N, Ghosh S. Osteomeatal Complex: A Study of Its Anatomical Variation Among Patients Attending North Bengal Medical College and Hospital. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg. 2015;67:281-6.
3. Stellungnahme der AG Rhinologie der Schweiz. ORL-Gesellschaft zur monoklonalaen Antikörpertherapie bei chronischer Rhinosinusitis 2019 (; letzter Zugriff 10.02.2024)
4. Drugsite Trust, Dallas TX, USA; 2024. www.drugs.com/history/xolair.html letzter Zugriff 14.04.2024
5. HCl Solutions AG. Bern; Compendium 2024. www.compendium.ch/product/1471129-xolair-inj-los-75-mg-0-5ml-fertigspritze/mpro#Mpro7550; letzter Zugriff: 26.01.2024.
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Cost Perception of Cardiological Procedures Among ­Medical Students and Doctors in Switzerland

Introduction

Healthcare is increasingly expensive. Switzerland has one of the highest health care expenditures per capita in the world and devotes about 11 % of the gross national product (GNP) to health care(1). As a large percentage of health care expenditures are the results of doctors‘ decisions, a majority of Swiss doctors in a cross-sectional study agreed that trying to contain costs was their responsibility and that they should worry about the costs of tests and procedures they order (2).

Decisions and choices in health care inescapably involve value judgments. Intrinsic to any value judgment is the consideration of what you get for your money and hence all costs are weighed against the expected benefits and related to alternative, less or more expensive choices (3). Unfortunately, physicians rarely know the charges of the services, tests, and procedures they order or perform (4, 5). Enhancing cost knowledge and cost awareness is potentially cost-saving: A recent systematic review of charge transparency interventions (6) found, that having real-time access to charges changed ordering and prescribing behavior in the majority of studies. Of the clinically based interventions looking at laboratory and radiology ordering, seven of the nine studies reported statistically significant cost reduction when charges were displayed.
The aim of the present study was to describe the level of cost knowledge of cardiological tests and procedures among medical students, residents and doctors in Switzerland and discuss trends in cost perception in health expenditures.

Methods

Study Setting

Health insurance is compulsory in Switzerland (under constitutional law since 1994). Around 60 authorized non-profit insurers offer compulsory health insurance (basic insurance) and optional daily allowance insurance. Compulsory health insurance provides cover for illness, maternity and accidents and offers the same range of services and benefits to all insured people. Compulsory health insurance is financed by policyholders’ contributions (premiums) and co-payments (deductible, retention fee, contribution to the costs of a hospital stay) and federal and cantonal funding (premium subsidies).

Ambulatory care is provided by doctors in private practice or institutional (e.g. hospital-based outpatient clinic, community practice/ambulatory health care center). The service providers are reimbursed mostly “fee-for-service” (in contrast to case-based payments in inpatient setting) based on a nation-wide uniform tariff catalogue (in the present study period: TARMED 01.09.00_BR_KVG).

Data set

We compiled a set of 13 common cardiological services, tests and procedures and calculated the costs applying a tax point value of 0.89 (cantonal reference Zurich) to the corresponding codes of the TARMED-tariff catalogue. Costs of implanted materials were excluded, since they are very variable and not part of a fixed tariff code. Detailed codes are listed in Appendix 1.
The study was reviewed and approved by the ethics committee of the Canton of Zurich, Switzerland (BASEC-Nr. Req-20147-00296).

Data acquisition

Participants were randomly recruited by mailing lists, messaging app or via direct contact. A mailing list has been used in particular regarding the physicians group. A systematic email has been sent by the national professional association of cardiologists (Swiss Society of Cardiology, SSC) to all members (including cardiologists from different region and with different cardiologic background/work field in Switzerland).
Also, known general practitioners and internists working in different regional hospitals in Switzerland/Zurich were encouraged either via email or via direct contact to send the link containing the questionnaire to their fellow physicians.

Medical students were recruited via WhatsApp Messenger App, containing a link to get to the questionnaire. As there exist group chats including almost all of the students of equal academic year and in the same region, sending there has been considered the most reasonable option for recruiting. Most students were recruited from the German-speaking part of Switzerland, including Zurich, Basel and Bern.
Primary data relevant to the subsequent statistical analysis was acquired by means of an online questionnaire tool. Participation was voluntary. In order to enhance the response rate, a lottery drawing for participants was initiated.

In the questionnaire, personal data for each participant was recorded (age, gender, professional setting). Subsequently, participants had to estimate the costs of the 13 predefined services, tests and procedures in Swiss Francs (CHF). The three general services included consultation fees (15 minutes) for a cardiologist and a family doctor, respectively; and a medical report of 1 page. The seven diagnostic tests listed were an electrocardiogram (ECG), a bicycle stress test (exercise test), a 24 hours Holter ECG monitoring, three different types of heart ultrasound tests (transthoracic echocardiography (TTE), transesophageal echocardiography (TEE) as well as pharmacological stress echo) and a pacemaker (PM) control of a 2 lead device. The three interventions consisted of a dual chamber PM implantation, a coronary angiogram as well as a simple percutaneous coronary intervention (PCI) using 1 stent.

Short technical descriptions of the procedures and tests were provided. Accurate cost perception was defined as an estimate within a ±25 %-range of the effective reimbursement amount.

Statistics / Data interpretation

Continuous data are expressed as medians and interquartile ranges (IQR) or as mean ± standard deviation (SD) as appropriate, and categorical data as number and percentage (%).
A p value of < 0.05 was considered statistically significant. Statistical analyses were performed on R Studio (V 1.1.463).
To interpret the data, we used a behavioral economics approach proposed by nobel prize winners Kahnemann and Smith on human judgment and decision-making: Humans are unreliable decision makers, their judgments are strongly influenced by several factors. “Noise” describes the chance variability of judgments, whereas “bias” states if estimates are generally either too high or too low (7).
The accuracy of an individual’s (i) estimation was represented by a percentage over or under estimation of every position (c).

An individual’s bias is given by the average of all accuracies across the 13 positions.

An individual’s noise is represented by the standard deviation across the 13 positions.

Two regression models (M1 & M2) were used to test the impact of independent variables on the dependent variables as follows (students aren´t included, as they´re mutually exclusive with the other independent variables):

M1: Bias β0+ β1 × Noise + β2 × Age + β3 × Gender + β4 × Practitioner + β5 × Resident + β6 × Hospital.Physician + ε

M2: Noise = β0 + β1 × Age + β2 × Gender + β3 × Practitioner + β4 × Resident + β5 × Hospital.Physician + ε

Results

Study population

A total of 939 participants, who completed personal data entry and estimated at least one test or procedure, were enrolled (172 physicians and 767 medical students).
Medical students had a mean age of 22.7 years (SD ±2.4 years) and 70 % were women. They were recruited from universities all over Switzerland. All academic years were represented. (see Table 1), with a medical degree obtainable after six years of study. (Table 1)
Physicians had a mean age of 43.3 years (SD ±10.3 years) and 31 % were women. They were grouped in residents, hospital-based physicians (of different hierarchic levels / functions) and practitioners (physicians in private practice). (see Table 2). The majority of included physicians were specialized in internal medicine and/or cardiology.

Accuracy of cost estimation

Accurate cost perception was defined as an estimate within a ±25 %-range of the effective reimbursement amount. Figure 1 shows the percentage of accurate cost estimates ordered by subgroups (students, residents, hospital-based physicians and practitioners) and gestures.

Furthermore, we calculated the overall proportion of medical gestures estimated within ±25 % of the reimbursement rate (see Figure 2) and found substantial differences between the subgroups: Whereas in the student group, only 19.3 % (SD ±8.7 %) of estimates were within the defined range, practitioners indicated the costs accurately in 55.4 % (SD ±23.5 %) overall (ranging from 14.7 % in pacemaker-implantation to 82.3 % in stressechocardiography). Residents (26.2 %, SD ±9.2 %) and hospital-based physicians (38.0 %, SD ±14.4 %) performed intermediately.

Invasive (and costly) procedures (PCI, PM-implantation, coronary angiogram) seem to be most difficult to estimate for all subgroups (e.g. for PM-implantation: 17.0 % correct estimates, SD ±5.9 %) (see Figure 3) by procedures.

Trends in cost perception

To assess over- or underestimations, we calculated the mean differences between effective reimbursement and estimated costs per procedure and groups (see Table 3). Table 4 shows the accuracy of an individual’s estimation, represented by a percentage over or under estimation of every position.

The previously described lack of accuracy is well reflected by the considerable high standard deviations (noise): They were highest in students, intermediate in residents/hospital-based physicians and lowest in practitioners. Indeed, in the regression model (M2) the only statistically significant predictor of variability (noise) was age (less variability with advanced age, p<0.05). Interestingly, variability (noise) was gender-independent (p=ns). Overall, M2 was statistically significant (p<0.001) with an R2 of 0.025. (see Appendix 2)
In general, overestimation was the most prevalent perception bias. Nevertheless, practitioners tended to underestimate several procedures (namely consultation, report, 24h-ECG, TTE and PM-implantation). In the regression model (M1), bias was mainly influenced by variability/noise (Effect size 0.61). The more uncertainty was present, the more biased were the estimates. Interestingly, bias was gender-dependent: Women tended to be more overestimating than men (effect size 0.13, p<0.05). Overall, M1 was statistically significant (p<0.001) with an R2 of 0.82 (see Appendix 3).

Discussion

Patients in the Swiss health care system incur substantial out-of-pocket costs: one third of health care spending comes from copayments and other private payments (1). Unlike countries with a long tradition of a national health service or comprehensive social insurance, Switzerland faces no historically based societal expectation that the state or taxpayers will systematically cover all health care expenses (9). In such a setting, shared decision-making in choosing diagnostic or therapeutic procedures should also elucidate economic cost considerations.

The level of cost knowledge of cardiological tests and procedures among medical students, residents and doctors in Switzerland is modest: The overall proportion of medi-
cal gestures estimated correctly within ±25 % of the reimbursement rate ranged from 10 % (students) to 55 % in practitioners. Similar previously published analyses from other medical subspecialties were comparable: Swedish emergency department physicians had a mean deviation to the real cost of 52 % with a correct estimation of an average of 28 % (10). In members of surgical teams, only 18.6 % of estimates were considered correct (11). Postgraduate physician trainees across all disciplines demonstrate limited awareness of the costs of commonly ordered imaging examinations, only 5.7 % of responses were within the correct ±25 % range (12). Another study showed that family doctors underestimated costs of expensive drugs and laboratory investigations and overestimated costs of inexpensive drugs (13).

In the present study, accuracy showed substantial differences between the subgroups and type of gesture. Lack of accuracy is reflected by the variability (statistical noise) of estimates. The only statistically significant predictor of variability was age (less variability with advanced age). Increasing (professional or general) experience seems to sharpen the accuracy of cost estimation. This effect was gender-independent.

In general, overestimation was the most prevalent cost perception bias. Interestingly, this bias was gender-dependent: Women tended to be more overestimating than men. Nevertheless, bias was mainly influenced by variability (statistical noise) – the more uncertainty was present, the more biased were the estimates. This is an interesting finding, as Kahneman suggested Bias and Noise to be independent (8). Either in a system of legally limited health expenditures (governmental defined global budget, actually discussed in Switzerland) or systems with substantial out-of-pocket costs for patients, overestimating cost perception by the health care provider is problematic: Overestimation will result in more restrictive ordering than it would be appropriate and affordable for the individual patient.

More profound and proactive education of physicians about costs, reimbursement, and charges associated with the care they deliver, would improve decision making applying proper value judgments in economic consideration of cost related to the differential benefits to be derived from alternative (less or more expensive) choices.

Limitations

Despite an overall representative population sample size, several potentially influencing factors could not be analyzed because of small subgroups (e.g. hierarchic position within the hospital, regional differences). Since the participation was voluntary, we cannot exclude a certain population selection bias. Additionally, the methodological standard of assessing accuracy within a ±25 %-range is questionable, larger absolute estimation ranges (e.g. for more expensive gestures) have been suggested (14).

Conclusion

The level of cost knowledge of cardiological tests and procedures among medical students, residents and doctors in Switzerland is modest, correctly estimated costs ranged from 10 % in students to 55 % in practitioners. In general, the costs were overestimated. Increasing experience seems to sharpen the accuracy of cost estimation. Either in systems of governmental defined global budget or systems with substantial out-of-pocket costs for patients, overestimated costs will potentially result in more restrictive ordering than it would be appropriate and affordable for the individual patient.

History
Manuscript submitted: 19.02.2024
Accepted after revision: 23.04.2024

Acknowledgments
We would like to thank Verena Reichl for assistance for data management and administration.

Author contributions
AM and CW contributed to the conception of the work and to the acquisition of data. AM, CW and RM contributed to the analysis and interpretation of data for the work and drafted the manuscript. PB and LO critically revised the manuscript. All gave final approval and agree to be accountable for all aspects of work ensuring integrity and accuracy.

 

Prof. Dr. med. Christophe Alain Wyss

– HerzKlinik Hirslanden,
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
– Universität Zürich
Rämistrasse 71
8006 Zürich

christophe.wyss@hirslanden.ch

The authors have no conflicts of interest to declare.

• The level of cost knowledge of cardiological tests and procedures among medical students, residents and doctors in Switzerland is modest, correctly estimated costs ranged from 10 % in students to 55 % in practitioners.
• In general, the costs were overestimated. Increasing experience seems to sharpen the accuracy of cost estimation.
• Either in systems of governmental defined global budget or systems with substantial out-of-pocket costs for patients, overestimated costs will potentially result in more restrictive ordering than it would be appropriate and affordable for the individual patient.

1. OECD, (2022) Hsidde-eAo, 2022) F.
2. Bovier PA, Martin DP, Perneger TV. Cost-consciousness among Swiss doctors: a cross-sectional survey. BMC Health Serv Res. 2005;5:72.
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4. Graham JD, Potyk D, Raimi E. Hospitalists‘ awareness of patient charges associated with inpatient care. J Hosp Med. 2010;5(5):295–7.
5. Allan GM, Lexchin J. Physician awareness of diagnostic and nondrug therapeutic costs: a systematic review. Int J Technol Assess Health Care. 2008;24(2):158–65.
6. Goetz C, Rotman SR, Hartoularos G, Bishop TF. The effect of charge display on cost of care and physician practice behaviors: a systematic review. J Gen Intern Med. 2015;30(6):835–42.
7. Kahneman D, Rosenfield A, Gandhi L, Blaser T. Noise. Harvard Bus Rev. 2016:38–46.
8. Kahneman DSOSCR. Noise : a flaw in human judgment. London: William Collins; 2021.
9. Biller-Andorno N, Zeltner T. Individual Responsibility and Community Solidarity-The Swiss Health Care System. N Engl J Med. 2015;373(23):2193–7.
10. Schilling UM. Cost awareness among Swedish physicians working at the emergency department. Eur J Emerg Med. 2009;16(3):131–4.
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13. Allan GM, Innes GD. Do family physicians know the costs of medical care? Survey in British Columbia. Can Fam Physician. 2004;50:263–70.
14. Schutte T, Tichelaar J, Nanayakkara P, Richir M, van Agtmael M. Students and Doctors are Unaware of the Cost of Drugs they Frequently Prescribe. Basic Clin Pharmacol Toxicol. 2017;120(3):278–83.

Eine Fischintoxikation als seltene Ätiologie des Thoraxschmerzes

Fallbericht

Anamnese und Befunde

Eine 58-jährige Patientin stellte sich notfallmässig mit Schwindel und Nausea sowie einem Ganzkörpererythem und pektanginösen Beschwerden nach dem Verzehr eines Thunfischsteaks in einem Restaurant vor. Bis auf eine Kälteurtikaria waren keine Vorerkrankungen bekannt. Initial bemerkte die Patientin direkt nach Einnahme einen metallisch-scharfen Geschmack auf der Zunge. Die Symptome entwickelten sich in voller Ausprägung, nachdem die Patientin zu Hause ankam, sodass sie drei Stunden nach dem Verzehr des Thunfischs die Ambulanz verständigte. Die Sanitäter vermuteten zuerst eine allergische Reaktion und verabreichten Flüssigkeit, intramuskuläres Adrenalin sowie Steroide und Clemastin.

Kurze Anamnese mit Betonung des jetzigen Leidens

Im Spital zeigte sich die Patientin initial hypotensiv (91/47 mmHg), sodass die intravenöse Flüssigkeitszufuhr fortgesetzt wurde. In der körperlichen Untersuchung ergab sich ein diffuses Erythem am ganzen Körper, aber ein vesikuläres Atemgeräusch ohne Stridor. Die kardiale Untersuchung erbrachte keinen pathologischen Befund. Auf der Notfallstation beschrieb die Patientin keine respiratorischen Symp­tome und benötigte keinen Sauerstoff.

Laborchemisch konnte eine mässige Leukozytose sowie ein erhöhtes Kreatinin nachgewiesen werden. Troponin- T-Analyse und Blutalkoholspiegel ergaben Normalbefunde. Die Tryptase-Werte bei der Aufnahme waren normal. Nach einer zweiten intramuskulären Adrenalingabe zeigte die Patientin normotone Blutdruckwerte, und das Erythem war vollständig regredient. Im initialen Elektrokardiogramm (EKG) zeigten sich diffuse minimale ST-Senkungen (Abb. 1), welche in der Verlaufskontrolle nach einer Stunde viel deutlicher wurden und sich in einem Hauptstamm-EKG-Muster präsentierten (Abb. 2).

Die Patientin wurde zur weiteren Überwachung auf unsere Intermediate Care Station aufgenommen. In den folgenden Laborkontrollen stieg das kardiale Tro­ponin T deutlich an, was uns veranlasste, unser kardiologisches Team hinzuziehen, da wir ein akutes Koronarsyndrom befürchteten. Die Echokardiographie ergab eine normale Ejektionsfraktion und keinen Hinweis auf Wandbewegungsstörungen. In der Koronarangiographie imponierten die Koronargefässe mit lediglich einer moderaten Koronarsklerose ohne Stenosierung (Abb. 3). In Verbindung mit dem Hauptstamm-EKG wurde ein Koronarspasmus durch die Adrenalingaben postuliert, es zeigten sich in der Koronarangiographie jedoch keine Hinweise für eine höhere Spasmusneigung. Während des Krankenhausaufenthalts zeigten die Folge-EKGs eine Verbesserung der ST-Streckenveränderungen und schliesslich eine Normalisierung.

Der Troponin-T-Wert erreichte einen Spitzenwert
von 192 ng/ml (0–26 ng/ml) mit anschliessender Normalisierung. Die Tryptase zeigte sich auch in der wiederholten Kontrolle am zweiten Tag des Spitalaufenthalts
normwertig.
Alle Symptome klangen innerhalb von 12 Stunden nach der notfallmässigen Vorstellung ab, und die Patientin konnte nach Hause entlassen werden.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Die systemische anaphylaktoide Reaktion mit Beginn Stunden nach der Einnahme des kontaminierten Fisches ist sehr suggestiv für eine Histaminintoxikation. Das ­negative Ergebnis der Tryptase-Analyse passt auch zu einer Histaminintoxikation.
In dem hier beschriebenen Fall wurde ein Typ 1 Kounis-Syndrom vermutet, da die Symptome nach Behandlung der anaphylaktoiden Reaktion verschwanden und in der angiographischen Untersuchung keine kritische Koronarerkrankung gefunden wurde. Als Differenzialdia­gnosen der systemischen anaphylaktoiden Reaktion mit Beginn Stunden nach der Einnahme des Fisches kamen eine klassische Anaphylaxie mit dem pathogenetischen Mechanismus der Mastzelldegranulation oder eine direkte Histaminintoxikation durch die Einnahme des möglicherweise kontaminierten Fisches infrage. Das repetitiv negative Ergebnis der Tryptase-Analyse passte zu einer Histaminintoxikation.

Bei gleichzeitigem Vorhandensein eines akuten Koronarsyndroms ohne Nachweis einer kritischen Stenose in der Koronarangiographie war ein Typ 1 Kounis-Syndrom möglich, wobei das Kounis-Syndrom bislang nur im Rahmen von klassischen Anaphylaxien mit Mastzelldegranulation und weniger im Rahmen von Histaminintoxikationen beschrieben wurde.
Da in der Schweiz jedoch vermehrt Fisch konsumiert wird, wird die Inzidenz des Kounis-Syndroms im Rahmen von Histaminintoxikationen zunehmen.
Ein wie von den Kardiologen vermuteter, durch Adrenalin verursachter Vasospasmus wurde differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen. Dieser würde jedoch die Persistenz der pektanginösen Beschwerden und das Fehlen einer Spasmusneigung in der Koronarangiographie nicht erklären.

Weitere Abklärungsschritte

Eine allergologische Abklärung wurde empfohlen. Hier fand sich keine Sensibilisierung auf Fisch oder Soja. Da sich die Patientin gegen Ende der Konsultation auch nicht sicher war, ob allenfalls Baumnüsse im Gericht waren, wurde auch eine serologische Bestimmung diesbezüglich durchgeführt, jedoch konnten wir auch keine Sensibilisierung auf Walnuss feststellen.

Diagnose

Scombroid-Vergiftung mit Typ 1 Kounis-Syndrom durch die Histaminintoxikation

Kommentar

Scombroid-Vergiftungen können nach dem Verzehr von nicht fachgerecht gelagertem Fisch vorkommen. Fischfleisch enthält Histidin. Wenn der Fisch durch gramnegative Bakterien kontaminiert ist, spaltet das bakterielle Enzym Histidin-Decarboxylase das Histidin zu Histamin. Das exogene eingenommene Histamin führt zu einer allergieähnlichen Reaktion, wie es ebenfalls bei einer Allergie-induzierten Histaminantwort durch die Degranulation von Mastzellen kommen kann (4).

Diese Reaktionen sind jedoch nicht IgE- oder gar Allergen-vermittelt, sondern werden direkt durch das im Fisch enthaltene Histamin ausgelöst.
Tox Info Suisse registriert jedes Jahr circa 10 bestätigte Fälle dieser Art von Lebensmittelvergiftung. Die Symptome einer Scombroid-Vergiftung sind sehr ähnlich wie die einer klassischen Anaphylaxie und können leicht verwechselt werden. Am häufigsten treten Scombroid-Vergiftungen nach Fischkonsum auf. Die betroffenen Fische sind Makrelen (Scombroide), Thunfische (Thunis spp.), Bonitos (Sarda spp.), Makrelenhechte (Scombroidecidea), Stachelmakrelen (Caragidae), Heringe und Sardinen (Clupeidae), Anchovis und Sardellen (Engraulidae) sowie Blaufische (Pomatoidae). Insbesondere Makrelen gehören zu einer Gruppe von Fischen mit hohem Histamingehalt.

Das Kounis-Syndrom wird klinisch als Kombination eines akuten Koronarsyndroms mit einer Histamin-induzierten anaphylaktischen oder anaphylaktoiden Reaktion definiert, wobei es über eine Mastzelldegranulation zu einer Histaminliberation gekommen ist (6). Die Diagnose des Kounis-Syndroms ist nicht trivial und erfordert viel Erfahrung. Die klinischen Symptome einer allergischen oder anaphylak­toiden Reaktion sowie die laborchemischen und elektrokardiographischen Befunde einer akuten kardialen Ischämie sollten den Verdacht auf ein Kounis-Syndrom lenken.

Es sind drei Formen des Kounis-Syndroms bekannt (3):
– Typ 1 tritt bei Patienten auf, die keinen Hinweis auf eine koronare Herzerkrankung haben. Hierbei ist pathophysiologisch die endotheliale Dysfunktion mit konsekutivem Vasospasmus Grund für die Symptomatik.
– Typ 2 tritt bei Patienten mit nicht kritischen arteriosklerotischen Veränderungen auf. Die Symptomatik ist dabei durch Koronarspasmen mit Einreissen von atherosklerotischen Plaques und konsekutiver Thrombosierung der Wandverletzungen zu erklären.
– Typ 3 bezieht sich auf allergische Reaktionen gegen Komponenten der koronaren Herzerkrankung mit konsekutiver in-Stent-Thrombose.

Sekundäre, durch allergische Reaktionen verursachte, akute Koronarsyndrome sind mit einer signifikant erhöhten Morbidität und Mortalität verbunden und benötigen daher eine intensivmedizinische Überwachung (3). Das klinische Management des Kounis-Syndroms ist eine Herausforderung, da die kardialen sowie die allergischen oder (wie in diesem Fall) anaphylaktoiden Symptome gleichzeitig behandelt werden müssen. Bei Patienten mit einer Typ-1-Variante kann allein die Therapie der allergischen oder anaphylaktoiden Reaktion die Symptome beseitigen.

Adrenalin ist die Standardbehandlung der Anaphylaxie, kann jedoch eine myokardiale Ischämie aggravieren und einen Koronarspasmus verschlechtern. Es sollte daher unter überwachten Bedingungen verabreicht werden. Unproblematisch sind intravenöse Steroide sowie H1- und H2-wirksame Antihistaminika. Die Behandlung ischämischer Schmerzen beim Kounis-Syndrom weicht ebenfalls von den Standardbehandlungsprotokollen ab, da sich Opio­ide wie Morphin auf die Mastzelldegranulation auswirken und somit die allergische Reaktion aggravieren können. Fentanyl als Opioid mit der geringsten Auswirkung auf die Mastzelldegranulation ist daher die empfohlene Wahl der Therapie bei diesen Patienten (3).

Die Messung der Serumtryptase als Marker der Mastzellaktivierung ist nicht immer diagnostisch zuverlässig. Da sie nur eine sehr kurze Halbwertszeit von circa 90 Minuten hat, sollte die erste Probe eine halbe Stunde nach Beginn der initialen Symptome entnommen werden und weitere Proben nach 30 Minuten respektive nach 2 Stunden. Ähnlich kurzwirksam ist Histamin mit einer Halbwertszeit von ca. 8 Minuten, was die laborchemische Bestimmung ebenfalls massiv erschwert. Zudem ist sie stark beeinflusst von Analgetika-Einnahmen, insbesondere Morphin (3).

Anamnestisch berichtete die Patientin bei Eintritt, bis auf eine Kälteurtikaria ohne Dauertherapie keine Krankheiten zu haben. In der Vergangenheit wurde sie allerdings bei wiederholt aufgetretenen, unklaren Thoraxschmerzen kardiologisch abgeklärt, was keine richtungsweisenden Befunde ergab. In der erweiterten Anamnese auf der Abteilung gab die Patientin an, dass die thorakalen Beschwerden bei Kälte und zum Beginn körperlicher Belastung (zum Beispiel Jogging) stärker seien, im Verlauf einer Trainingseinheit aber vollständig verschwänden.

Eine mögliche Assoziation zwischen der Histaminfreisetzung im Rahmen einer Kälteurtikaria und dem Koronarspasmus beim Typ 1 Kounis-Syndroms wurde schon in einzelnen seltenen Fällen in der Literatur beschrieben (5).
Unserer Meinung nach ist in unserem Fall eine Spasmusneigung der Koronararterien gegen Histamin möglich und kann durch einen Provokationstest in der Koronarangiographie nicht ausgeschlossen werden, da dieser unter einer vollen Antihistaminikatherapie erfolgte.
Auch wenn eine allergologische Abklärung im Rahmen des Work-up einer Scombroid-Vergiftung normalerweise nicht indiziert ist, haben wir in diesem Fall diese Möglichkeit mit der Patientin diskutiert und daher eine immuno-allergologische Standortbestimmung durchgeführt, welche keine Hinweise auf Fischsensibilisierung zeigte.

Streng genommen beschreiben wir hier eine neue Entität des Kounis-Syndroms Typ 1, wobei das Koronarspasmus-induzierende Histamin nicht von einer Mastzelldegranulation stammte, sondern direkt von exogen zugeführt wurde. Der Zusammenhang zwischen Scombroid-Intoxikationen und dem Auftreten eines solchen Kounis-Syndroms ist in der Literatur bereits dokumentiert, vor allem durch Fälle aus Mittelmeerländern (2).
Mit den veränderten Essgewohnheiten der Schweizer Bevölkerung (mehr Verzehr von Fisch) werden solche Fälle in Zukunft zunehmen.

Historie:
Manuskript eingereicht: 28.11.2023
Angenommen nach Revision: 30.04.2024

Dr. med. Michael Studhalter

Ärztlicher Leiter
Intensivstation und Intermediate Care Station
Kantonsspital Olten
Baslerstr 150
4600 Olten

michael.studhalter@spital.so.ch

Es bestehen keine Interessenkonflikte.

• Das durch exogen zugeführte Histamin vermittelte Scombroid-Syndrom kann leicht mit einer anaphylaktischen Reaktion verwechselt werden.
• Bei jedem Patienten mit einer systemischen allergieähnlichen Reaktion und einem neuen Auftreten von kardialen Symptomen sollte ein Kounis-Syndrom vermutet werden.
• Im Rahmen eines histamininduzierten Koronarsyndroms sollten allergieähnliche Symptome nicht primär mit Adrenalin behandelt werden, da dies die Symptome verschlechtern kann.

1. www.toxinfo.ch
2. Cesare de Gregorio, Giuseppe Ferrazzo, Ioanna Koniari & Nicholas G. Kounis (2022) Acute coronary syndrome from scombroid poisoning: a narrative review of case reports, Clinical Toxicology, 60:1, 1–9.
3. Kounis, Nicholas G. “Kounis syndrome: an update on epidemiology, pathogenesis, diagnosis and therapeutic management” Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM), vol. 54, no. 10, 2016, pp. 1545–1559.
4. Ridolo E, Martignago I, Senna G, Ricci G. Scombroid syndrome: it seems to be fish allergy but… it isn’t. Curr Opin Allergy Clin Immunol. 2016 Oct;16(5):516–21.
5. Mazarakis A, Bardousis K, Almpanis G, Mazaraki I, Markou S, Kounis NG. Kounis syndrome following cold urticaria: the swimmer‘s death. Int J Cardiol. 2014 Sep 20;176(2):e52-3.
6. Khan K, Szalai G, Anjum H, Dimtri F, Yamamura D, Surani S.: Bee Attack or Heart Attack: Kounis Syndrome. Cureus. 2021; 13(4): e 14740. Epub 2021 Apr 28.