Nicht obstruktive Koronarerkrankungen im Fokus: ­Definition, Diagnostik und Ursachen von ANOCA, INOCA und MINOCA

Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen in Europa neben der Hauptursache für Tod und vorzeitige Sterblichkeit auch zunehmend eine signifikante Belastung der öffentlichen Gesundheit, Produktivität und Gesundheitsressourcen dar. Dabei stellt die koronare Herzerkrankung (KHK) mit 34 % den grössten Anteil dieses Spektrums dar (1). Die KHK mit dem traditionellen Verständnis, das sich fast ausschliesslich auf epikardiale atherosklerotische Stenosen konzentrierte, gilt heutzutage als überholt. Obwohl der nicht obstruktiven KHK zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind die Mechanismen weitgehend unbekannt, und die Diagnose wird im praktischen Alltag möglicherweise unterschätzt. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die nicht obstruktive KHK zu erkennen, um geeignete Behandlungsstrategien zu entwickeln. Ziel dieses Reviews ist es, einen Überblick zu den gängigen Definitionen, Ursachen und Diagnostik der nicht obstruktiven koronaren Herzerkrankung zu geben.

Schlüsselwörter: INOCA, MINOCA, ANOCA, Ischämie

Einleitung

Im klinischen Alltag kann sich die ischämische Herzerkrankung als akutes Koronarsyndrom (ACS) (z. B. instabile Angina pectoris oder akuter Myokardinfarkt) oder als chronisches Koronarsyndrom (CCS) mit Angina pectoris (AP), Belastungsdyspnoe oder als Leistungsknick präsentieren.

Die Daten zeigen dabei, dass bis zu 40–70 % der Patienten mit Angina pectoris und/oder dokumentierter Myokardischämie sowie bei 10–14 % der Patienten mit ACS kein angiographischer Hinweis auf eine signifikante koronare Herzerkrankung (KHK) (≥ 50 % Stenose des epikardialen Gefässdurchmessers) vorliegt. Dieses Phänomen lässt sich allgemein bei Frauen häufiger betrachten als bei Männern (2–5).

Das Koronarsystem kann grob in drei Widerstandskomponenten unterteilt werden: die leitenden epikardialen Arterien, die Arteriolen, welche die Widerstandsgefässe bilden, und das kapillar-venöse Kompartiment, welches vor allem durch den Blutfluss durch die Arteriolen reguliert wird und zusammen mit diesem die Mikrozirkulation ausmacht (6).
Die komplexe Beziehung der koronaren Autoregulation zwischen epikardialen Gefässen und der mikrovaskulären Versorgung unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen stellt dabei eine Herausforderung in der Diagnosestellung und zielgerichteten Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung dar (Abb. 1).

Definition und Pathophysiologie

Der Überbegriff der ischämischen Herzerkrankung ist breit gefächert und umfasst mehrere epikardiale und mikrovaskuläre Pathologien wie atherosklerotische Erkrankungen, spontane Koronardissektion und Koronarspasmen sowie mikrovaskuläre Anomalien wie mikrovaskuläre Spasmen, gestörte mikrovaskuläre Vasodilatation und erhöhten mikrovaskulären Widerstand. Strukturelle oder funktionelle Anomalien der koronaren Mikrozirkulation, die zu einer beeinträchtigten Vasodilatation führen, können dabei pektanginöse Beschwerden oder ein AP-Äquivalent mit oder ohne Ischämie auslösen.

Die verbreiteten und definierten Überbegriffe lassen sich in ANOCA (Angina with Non-Obstructive Coronary Artery Disease), INOCA (Ischemia with Non-Obstructive Coronary Artery Disease) und MINOCA (Myocardial Infarction with Non-Obstructive Coronary Artery Disease) zusammenfassen.
Ihr klinisches Bild unterscheidet sich meist nicht wesentlich von dem der Patienten mit obstruktiver KHK. Die Annahme, dass sie im Vergleich zu Patienten mit typischer KHK mehr atypische Symptome aufweisen, konnte in grossen Kohortenstudien nicht bestätigt werden (7).

ANOCA und INOCA sind vor allem durch chronische pathophysiologische Mechanismen gekennzeichnet, während MINOCA akute Ereignisse beschreibt.
Zugrunde liegend können atherosklerotische Ursachen wie die Plaqueerosion und -ruptur sowie nicht atherosklerotische Ursachen wie epikardialer koronarer Vasospasmus, koronare mikrovaskuläre Dysfunktion (CMD), koronare Embolien und spontane Koronararteriendissektion (SCAD) sein (8).

In jüngster Zeit wurde der Begriff ANOCA geprägt, um alle klinischen Zustände zu erfassen, die durch anginöse Symptome ohne Nachweis einer signifikanten KHK in der Koronarangiographie und Ischämie bestimmt werden. Die pathophysiologischen Ursachen sind dabei unterschiedlich und können neben einer CMD, welche etwa bei zwei-Drittel der Patienten mit ANOCA auftritt, auch durch eine koronare endotheliale Dysfunktion im makrovaskulären epikardialen Gefäss mit Vasospasmus bedingt sein (9).

Wenn anginöse Symptome mit einer dokumentierten Myokardischämie ohne obstruktive KHK einhergehen, wird der Begriff INOCA verwendet. INOCA hat zum Teil ähnliche pathophysiologische Mechanismen wie MINOCA, zu den häufigsten Mechanismen der INOCA zählen die CMD und epikardialer Koronararterienspasmus (8, 10). Die einheitliche Definition der INOCA beschreibt anhaltende (mehrere Wochen oder länger) Symptome, die auf eine ischämische Herzerkrankung hindeuten, ein objektiver Nachweis einer Myokardischämie durch EKG oder nicht invasive kardiale Ischämietestung (z. B. Echokardiographie (TTE), kardialem MRT (cMRT) oder nu­kleare Bildgebung sowie das Fehlen einer flusslimitierenden Obstruktion in der Koronarangiographie, definiert durch eine epikardiale Koronararterienstenose ≥ 50 % oder eine fraktionelle Flussreserve (FFR) < 0.8 (5).

MINOCA bezeichnet als Syndrom das Vorliegen eines nach den gängigen, universellen Kriterien definierten Myokardinfarkts (MI) mit signifikantem Anstieg des kardialen Troponins (> 99. Perzentile), mit ischämietypischen Symptomen und Ischämienachweis ohne angiographischen Nachweis einer signifikanten epikardialen Koronarstenose. Patienten mit MINOCA zeigen im akuten Setting zudem auch eine schlechte Prognose mit hohen Raten an CV-Ereignissen und Tod auf. Die Langzeitsterblichkeit nach einem Myokardinfarkt ohne nachweisbare obstruktive Koronarerkrankung (MINOCA) ist niedriger als bei Patienten, die einen Myokardinfarkt aufgrund einer ob­struktiven Koronarstenose erlitten haben (11). Nach aktuellsten Daten macht MINOCA ca. 2–11 % aller akuten ACS aus (8, 5) (Tab. 1).

Diagnostik

ANOCA/INOCA

Im klinischen Alltag zeigen sich nicht selten diskrepante Befunde bei Patienten mit AP-Beschwerden, unabhängig davon, ob diagnostische Hinweise auf eine zugrunde liegende myokardiale Ischämie vorliegen oder nicht.
Besteht eine persistierende, auf eine myokardiale Minderperfusion hinweisende Symptomatik, sollte neben EKG und Laboranalyse je nach Risikoprofil eine nicht invasive oder invasive Bildgebung evaluiert werden. Bei objektivierbaren Hinweisen einer myokardialen Ischämie sollte mittels invasiver Abklärung eine signifikante KHK (≥ 50 % Stenose des epikardialen Gefässdurchmessers) ausgeschlossen werden (6). Die invasive Funktionstestung der Koronargefässe mittels hämodynamischer Quantifizierung von Stenosen mittleren Grades (40–90 %) hat sich als etablierte Methode zur Differenzierung der Signifikanz der Läsion mit oder ohne Nachweis einer Ischämie etabliert (12, 13). Damit lassen sich aber auch zugrunde liegende pathophysiologische Mechanismen bei nicht obstruktiver KHK identifizieren.

Neben der FFR-Messung, welche das Verhältnis zwischen dem mittleren distalen intrakoronaren Druck und dem mittleren Aortendruck unter maximaler Hyperämie mit typischerweise Adenosin darstellt und Stenosen funktionell quantifizieren kann, bestehen auch Methoden (z. B. iFR), welche unter Ruhebedingungen ohne Stimulation durch Adenosin gleichwertige Resultate liefern.
Die Auflösung zur qualitativen Beurteilung des Koronargefässes reicht mit der Koronarangiographie bis 0.2 mm, moderne ultrahochauflösende Koronar-CT (UHR-CT) schaffen ein räumliches Auflösungsvermögen von bis zu 0.15 mm. Die Arteriolen, welche als Endstromgebiete die Widerstandsgefässe bilden und damit direkt durch Autoregulation die Myokardperfusion auf mikrovaskulärer Ebene steuern, haben eine Grösse von < 0.1 mm und lassen sich daher mit der herkömmlichen Bildgebung nicht darstellen (14, 15).
Zur invasiven Beurteilung der Mikrozirkulation und von Vasospasmen sollten die Quantifizierung der koronaren Flussreserve (CFR) und der Index des mikrovaskulären Widerstands (IMR) unter Hyperämie-Induktion mittels Adenosin erfolgen. Im weiteren Schritt lässt sich zwischen einer endothelunabhängigen bzw. endothelabhängigen Funktion unterteilen, wobei die endothelunabhängige Funktion mittels Adenosin untersucht wird. Die endothelabhängige Funktion erfolgt mittels intrakoronarem Provokationstest mit Acetylcholin und ermöglicht die Erkennung von Koronarspasmen (16).

Die nicht invasive Diagnose der CMD kann mittels PET-CT und cMRT erfolgen, wobei aktuell das PET-CT die genauere und besser validierte Methode ist. Zu den weniger verbreiteten, nicht invasiven Verfahren zur Diagnose einer CMD gehört das TTE und CT (17).

MINOCA

Zeigen sich neben erhöhtem, dynamischem kardialem Troponin auch klinische Hinweise für einen Infarkt (EKG, bildgeberische Hinweise auf Viabilitätsverlust des Myokards), sollten neben Ausschluss einer obstruktiven Koro- narläsion andere Differenzialdiagnosen ausgeschlossen werden (Takotsubo-Syndrom, Myokarditis, Sepsis etc.) (18).
Besteht in der Koronarangiographie keine relevante Stenosierung, empfiehlt sich bereits während der Indexprozedur eine intrakoronare Bildgebung mittels intravaskulären Ultraschalls (IVUS) oder optischer Kohärenztomographie (OCT), um Dissektionen, Thromben, Plaqueerosionen sowie -rupturen identifizieren zu können (10) (Abb. 2).

In den letzten Jahren haben zahlreiche Studien die Nützlichkeit des cMRT zur Diagnose- und Ursachenfindung von Patienten mit MINOCA unterstrichen. Dieses stellt in den neuesten Guidelines der ESC eine 1b-Empfehlung für MINOCA dar (19, 20).
Das cMRT lässt dabei detaillierte Informationen über die Struktur, Funktion des Herzens mittels Visualisierung des transmuralen Myokardflusses sowie der Gewebecharakterisierung, aber auch indirekt die Beurteilung der mi­kro- vaskulären Funktion zu. Mittels LGE (late gadolinium enhancement) lassen sich insbesondere Myokardnarben visualisieren, was in der Diagnosefindung bei MINOCA eine zentrale Rolle spielt. Zudem lassen sich nicht ischämische Ursachen, wie z. B. Myokarditis oder Takotsubo-Syndrom, ausschliessen (19, 21).
Das cMRT kann bei bis zu 87 % der Patienten mit der Arbeitsdiagnose MINOCA die zugrunde liegende Ursache identifizieren und sollte bei diesen Patienten so bald wie möglich nach der Vorstellung durchgeführt werden (20). Die höchste diagnostische Aussagekraft erreicht das cMRT innerhalb der ersten 2 Wochen nach Ereignis mit erhöhtem Troponin (22). Trotz optimaler diagnostischer Schritte bleibt die Ursache von MINOCA jedoch bei 8–25 % der Patienten unklar (18).

Ursachen

Atherosklerotische Plaques

Bei etwa 38–40 % der Patienten mit MINOCA konnten unter intravaskulärer Bildgebung (IVUS oder OCT) eine Störung der atheromatösen Plaque mit Plaqueerosion, Plaqueruptur oder verkalktem Nodulus nachgewiesen werden (8, 20). Diese können zu Thrombusbildung und Embolisation von atherosklerotischen Fragmenten und Gerinnsel in das distale Koronargefäss führen. In der Koronarangiographie lässt sich aufgrund des endogenen fibrinolytischen Systems sowie eines lokalen, transienten Vasospasmus auf einer instabilen Plaque zumeist keine direkte obstruktive Läsion nachweisen. Das angiographische Erscheinungsbild kann jedoch auf eine Plaquestörung hindeuten, z. B. durch eine Trübung oder einen Füllungsdefekt (8, 23).

Spontane Koronararteriendissektion

Die SCAD, welche im klinischen Alltag häufig übersehen wird und/oder schwer differenzierbar ist, beschreibt eine Dissektion der Intima durch eine darunterliegende intramurale Blutung oder direkten Intimariss mit Obstruktion des koronaren Blutflusses (24).
Diese tritt vor allem bei Frauen zwischen dem 45. und 53. Lebensjahr auf und macht dabei bis zu 35 % der Myokardinfarkte bei Frauen < 50. Lebensjahr aus (25). Es bestehen auch Zusammenhänge zu bekannten Bindegewebs- oder systemischen Erkrankungen. Zudem lassen sich keine direkten Zusammenhänge mit den traditionellen CV-Risikofaktoren erkennen (26–28). Tortuöse Koronargefässe stellen eine Prädisposition dar; der Hauptstamm und RIVA (Ramus interventricularis anterior) und die mittleren und distalen Segmente sind am häufigsten betroffen (25, 26, 29).

Die Diagnose einer SCAD ist in der Regel allein mit der Koronarangiographie möglich, eine intravaskuläre Bildgebung (OCT/IVUS) kann bei der Differenzierung komplexer Läsionen helfen.
Das Koronar-CT eignet sich primär nur zum Ausschluss proximaler SCAD, aufgrund von eingeschränkter räumlicher Auflösung und Artefakten ist die Beurteilung medialer und distaler Läsionen (< 2.5 mm) mit den aktuellen Methoden noch nicht ausreichend (30).
Bei erhaltenem Fluss im Gefäss ist zumeist ein konservatives Procedere ohne Intervention mit einem besseren Outcome verbunden (31).

Vasospasmus

Patienten mit vasospastischer Angina (VSA) haben typischerweise wiederkehrende AP-Episoden ohne eindeutigen Zusammenhang zu körperlicher Belastung und metabolischem Bedarf und treten bei Patienten mit und ohne nachgewiesener KHK auf. Typischerweise treten AP-Episoden von VSA häufiger in Ruhe, in der Nacht und frühmorgens auf, lassen sich durch Hyperventilation provozieren und sind auf Nitroglycerin reversibel. Zudem ist Rauchen ein wichtiger prädisponierender Risikofaktor für VSA (16). Zugrunde liegend sind ein gestörter Gefässtonus und koronare Vasomotorik, welche entscheidend vom Endothel reguliert werden. Vasoaktive Stimuli, wie z. B. Acetylcholin, Serotonin und Histamin, bewirken durch vasoaktive Freisetzung von Stickstoffmonoxid eine physiologische Vasodilatation, können aber bei endothelialer Dysfunktion und durch direkte Interaktion mit den glatten Muskelzellen eine Hyperreaktivität und paradoxe Vasokonstriktion auslösen. Dieser Vasospasmus kann auf epikardialer und mikrovaskulärer Ebene auftreten und bei prolongiertem Spasmus eine myokardiale Ischämie bzw. einen Infarkt auslösen. Eine reproduzierbare vasospastische Angina auf epikardialer und vor allem mikrovaskulärer Ebene tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern (32).

Die Diagnose der VSA wird häufig verpasst, da die Episoden meist selbstlimitierend sind und in der Koronarangiographie oft nicht mehr nachweisbar. Mittels Provokationstest unter intrakoronarer Applikation von Acetylcholin kann bei > 90 % Vasokonstriktion mit gleichzeitigen ischämietypischen EKG-Veränderungen und Reproduzierbarkeit der Symptome eine VSA bestätigt werden. Der Vasospasmus tritt typischerweise in einem Segment des Koronargefässes auf, kann aber auch multifokal in mehreren Segmenten auftreten. Sind mittels Provokationstest neben EKG-Veränderungen und Symptomen keine epikardialen Koronarspasmen (> 90 % des koronaren Gefässdurchmessers) nachweisbar, kann ein mikrovaskulärer Spasmus diagnostiziert werden.

Wichtig ist dabei eine vorangehende Beurteilung der mikrovaskulären Funktion und der endothelunabhängigen CFR mittels Adenosin, um diese differenzieren zu können (16).

Embolus

Die Prävalenz eines ACS mit ursächlichem Koronarembolus ohne Koronarsklerose liegt bei 4–13 %, die Ursache der Embolie ist in der Akutsituation oft schwer differenzierbar (33). Dieser kann direkt aus dem linken Vorhofsohr, linken Ventrikel oder von den linksseitigen Herzklappen als Thrombus, Klappenmaterial oder Neoplasie abgehen. Am häufigsten treten diese Embolien im Rahmen eines Vorhofflimmerns auf (73 %) (34). Weitere Ursachen sind eine paradoxe Embolie mit Übertritt des Embolus vom venösen in den systemischen Kreislauf durch einen Rechts-Links-Shunt, welcher zumeist im Bereich des Vorhofseptums liegt (z. B. PFO, ASD). In den meisten Fällen geht dieser von einer tiefen Venenthrombose aus. Zu den weiteren Ursachen zählen vererbte oder erworbene Koagulopathien, wie z. B. Faktor-V-Leiden, Protein-C- und -S-Mangel oder das Antiphospholipid-Syndrom, die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), hormonelle oder maligne Ursachen (8).

Wichtig zu erwähnen ist, dass die Herzinsuffizienz als eigener Risikofaktor für prothrombotische oder hyperkoagulable
Zustände gilt (35). Intravaskuläre Bildgebung mittels IVUS oder OCT kann helfen, einen koronaren Embolus zu diagnostizieren bzw. andere Ätiologien, wie z. B. Plaqueruptur, auszuschliessen. Bei der Diagnosestellung ist TTE oder TEE unter Verwendung von «Bubble-Kontrast» unverzichtbar.

Koronare mikrovaskuläre Dysfunktion

Die CMD beschreibt eine strukturelle Veränderung und/oder funktionelle Dysregulation der mikrovaskulären Zirkulation, welche etwa 70 % des koronaren Gefässwider­stands ausmacht (36). Vor allem bei ANOCA und INOCA spielt die mikrovaskuläre Dysfunktion eine tragende Rolle, aber auch bei MINOCA. Die CMD tritt bei Frauen häufiger auf als bei Männern (5). Bis zu zwei Drittel der Patienten mit ANOCA und etwa 25 % bei INOCA lässt sich eine CMD nachweisen (37, 38). Zudem begünstigen Mechanismen der CMD das Entstehen von MINOCA (36). Soweit aktuell bekannt, sind verschiedene Faktoren ursächlich für eine CMD: strukturelle Mechanismen mit mikrovaskulärem Gefässumbau, Kapillarverdünnung und Lumenob­struktion sowie funktionelle Mechanismen wie endotheliale Dysfunktion und Hyperaktivität der glatten Muskelzellen.

Bei der strukturellen CMD kommt es zu Veränderungen und Remodeling der kleinen Arteriolen mit einer Abnahme des koronaren Flusses und beeinträchtigter Sauerstoffversorgung im mikrovaskulären Endstromgebiet. Die funktionelle CMD stellt im Gegensatz dazu eine gestörte Vasodilatation dar, welche in endothelabhängig (Dysbalance der vasoreaktiven Mediatoren) oder endothelunabhängig (gestörter Myozytentonus) unterteilt werden kann. Die gestörte Vasomotorik begünstigt zudem koronare Vasospasmen. Es besteht dabei ein Zusammenhang zwischen strukturellen und funktionellen Mechanismen, was zu einem unzureichenden myokardialen Blutfluss und Myokardschaden führt (39–41).

Eine Beeinträchtigung dieser Mechanismen birgt ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie ACS, Herzinsuffizienz und Stroke (42). Die CMD, die zu einer Schädigung der Kardiomyozyten und Myokardsteifigkeit mit negativem Remodeling des linken Ventrikels führen kann, ist mit einem deutlich erhöhten Risiko für HFpEF-Ereignisse (heart failure with preserved ejection fraction) und Hospitalisationen aufgrund Herzinsuffizienz verbunden (43, 44).

Die CMD ist Teil der systemischen mikrovaskulären Erkrankungen, die mehrere Organsysteme wie das Gehirn, die Retina und Niere betreffen können. Zudem besteht ein direkter Zusammenhang zu den traditionellen Risikofaktoren wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Dyslipid­ämie, Nikotinabusus sowie chronische Nierenerkrankungen (18, 45).

Die Diagnose der CMD basiert auf der invasiven und nicht invasiven Beurteilung der myokardialen Perfusion und des mikrovaskulären Widerstands, die Surrogatmarker für die mikrovaskuläre Funktion sind. Nach Ausschluss einer relevanten Koronarstenose kann mittels invasiver Messung der koronaren Flussreserve (CFR) und Bestimmung des Index des mikrovaskulären Widerstands (IMR) eine CMD bestätigt werden (16). Nicht invasive diagnostische Methoden umfassen das PET-CT und cMRT. Das cMRT zeigt dabei vielversprechende Ergebnisse zur Differenzierung zwischen epikardialen und mikrovaskulären Störungen im Vergleich zur invasiven Diagnostik (46).

Ausblick

Das traditionelle Konzept der koronaren Herzerkrankung mit obstruktiver Stenose ist nicht mehr zeitgemäss. ANOCA, INOCA und MINOCA sind Überbegriffe für verschiedene, teils konfluierende pathophysiologische Mechanismen, welche in einer heterogenen Bevölkerung häufiger auftreten als gedacht und oft unterdiagnostiziert und unterbehandelt bleiben. Zur Diagnose dieser klinischen Entitäten ist neben Risikostratifikation auch das individuelle diagnostische Work-up und eine zielgerichtete Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung wichtig.

Es bestehen nach wie vor Wissenslücken zur Pathophysiologie, Prognostik und Therapie, welche in künftigen Studien untersucht werden müssen. Dennoch ist es wichtig, symptomatische Patienten ohne epikardiale Stenose mit oder ohne Ischämienachweis abzuklären und zu behandeln.

Bei allen Formen müssen in jedem Fall neben dem Ausschluss einer koronar-ischämischen Ursache differenzialdiagnostische kardiale Ursachen wie Kardiomyopathien, Takotsubo-Syndrom, Myokarditis, valvuläre und infiltrative Erkrankungen sowie entzündliche und autoimmune Prozesse und extrakardiale Ursachen wie eine Sepsis, Lungenembolie oder Aortendissektion abgeklärt werden (5, 13).

Abkürzungen
ACS Akutes Koronarsyndrom
ANOCA Angina mit nicht obstruktiven Koronararterien / Angina with non-obstructive coronary artery disease
AP Angina pectoris
ASD Atriumseptumdefekt
CCS Chronisches Koronarsyndrom
CFR Koronare Flussreserve
cMRT Kardiales MRT
CMD Koronare mikrovaskuläre Dysfunktion
EKG Elektrokardiogramm
ESC European Society of Cardiology
FFR Fraktionelle Flussreserve
HFpEF Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion
HIT Heparin-induzierte Thrombozytopenie
iFR Instantaneous Wave-Free Ratio
IMR Index des mikrovaskulären Widerstands
INOCA Ischämie mit nicht obstruktiven Arterien / Ischemia with non-obstructive coronary artery disease
IVUS Intravaskulärer Ultraschall
KHK Koronare Herzerkrankung
RIVA Ramus interventricularis anterior
MINOCA Myokardinfarkt mit nicht obstruktiven Arterien / Myocardial infarction with non-obstructive coronary artery disease
OCT Optische Kohärenztomographie
PFO Persistierendes Foramen ovale
PET-CT Positronen-Emissions-Tomographie-CT
SCAD Spontane Koronararteriendissektion
TEE Transösophageale Echokardiographie
TTE Transthorakale Echokardiographie
UHR-CT Ultrahochauflösende Koronar-Computertomographie
VSA Vasospastische Angina

Dr. med. univ. Hasan Hadzalic

Herzklinik Hirslanden
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

Dr. med. Selma Hasific 

Odense University Hospital
Odense

Prof. Dr. med. Christophe Alain Wyss

– HerzKlinik Hirslanden,
Witellikerstrasse 40
8032 Zürich
– Universität Zürich
Rämistrasse 71
8006 Zürich

christophe.wyss@hirslanden.ch

Die Autorin und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Pathophysiologische Mechanismen, welche ANOCA, INOCA und MINOCA zugrunde liegen, sind atherosklerotische Ursachen wie die Plaqueruptur sowie nicht atherosklerotische Ursachen wie epikardialer koronarer Vasospasmus, koronare mikrovaskuläre Dysfunktion (CMD), koronare Embolien und spontane Koronararteriendissektion. In jedem Fall sind eine differenzialdiagnostische Betrachtung und diagnostischer Work-up essenziell.

1. Luengo-Fernandez R, Walli-Attaei M, Gray A, Torbica A, Maggioni AP, Huculeci R, Bairami F, Aboyans V, Timmis AD, Vardas P, Leal J. Economic burden of cardiovascular diseases in the European Union: a population-based cost study. Eur Heart J. 2023 Dec 1;44(45):4752-4767. doi: 10.1093/eurheartj/ehad583. PMID: 37632363; PMCID: PMC10691195.
2. Patel MR, Peterson ED, Dai D, et al. Low diagnostic yield of elective coronary angiography. N Engl J Med. 2010;362:886-895.
3. Vancheri F, Longo G, Vancheri S, Henein M. Coronary Microvascular Dysfunction. J Clin Med. 2020 Sep 6;9(9):2880. doi: 10.3390/jcm9092880. PMID: 32899944; PMCID: PMC7563453.
4. Pasupathy S, Air T, Dreyer RP, Tavella R, Beltrame JF. Systematic review of patients presenting with suspected myocardial infarction and nonobstructive coronary arteries. Circulation. 2015;131(10):861–70.
5. Kunadian V, Chieffo A, Camici PG, Berry C, Escaned J, Maas A, et al. An EAPCI expert consensus document on ischaemia with non-obstructive coronary arteries in collaboration with European society of cardiology working group on coronary pathophysiology and microcirculation endorsed by coronary vasomotor disorders international study group. Eur Heart J. (2020) 41:3504–20. doi: 10.1093/eurheartj/ehaa503
6. Bairey Merz CN, Pepine CJ, Walsh MN, Fleg JL. Ischemia and no obstructive coronary artery disease (INOCA): developing evidence-based therapies and research agenda for the next decade. Circulation. (2017) 135:1075–92. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.116.024534
7. Taha YK, Dungan JR, Weaver MT, Xu K, Handberg EM, Pepine CJ, Bairey Merz CN. Symptom Presentation among Women with Suspected Ischemia and No Obstructive Coronary Artery Disease (INOCA). J Clin Med. 2023 Sep 8;12(18):5836. doi: 10.3390/jcm12185836. PMID: 37762777; PMCID: PMC10531826.
8. Herling de Oliveira LL, Correia VM, Nicz PFG, Soares PR, Scudeler TL. MINOCA: One Size Fits All? Probably Not-A Review of Etiology, Investigation, and Treatment. J Clin Med. 2022 Sep 20;11(19):5497. doi: 10.3390/jcm11195497. PMID: 36233366; PMCID: PMC9571924.
9. Perera D, Berry C, Hoole SP UK Coronary Microvascular Dysfunction Working Group, et al. Invasive coronary physiology in patients with angina and non-obstructive coronary artery disease: a consensus document from the coronary microvascular dysfunction workstream of the British Heart Foundation/National Institute for Health Research Partnershi. Heart 2023;109:88-95.
10. Tamis-Holland JE, Jneid H, Reynolds HR, Agewall S, Brilakis ES, et al. Contemporary diagnosis and management of patients with myocardial infarction in the absence of obstructive coronary artery disease: a scientific statement from the American Heart Association. Circulation. (2019) 139:e891–908. doi: 10.1161/CIR.0000000000000670
11. Pelliccia F, Pasceri V, Niccoli G, Tanzilli G, Speciale G, Gaudio C, Crea F, Camici PG. Predictors of Mortality in Myocardial Infarction and Nonobstructed Coronary Arteries: A Systematic Review and Meta-Regression. Am J Med. 2020 Jan;133(1):73-83.e4. doi: 10.1016/j.amjmed.2019.05.048. Epub 2019 Jun 29. PMID: 31260664.
12. Knuuti J, Wijns W, Saraste A, Capodanno D, Barbato E, Funck-Brentano C, et al. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. (2020) 41:407–77. doi: 10.1093/eurheartj/ehz425

Harninkontinenz der Frau – Diagnostik und Therapie

Harninkontinenz ist ein häufiges Krankheitsbild sowohl in der hausärztlichen wie auch spezialärztlichen Sprechstunde. Eine genaue Basisdiagnostik mit strukturierter Anamnese und Blasentagebuch, Urinanalyse, gynäkologischer Untersuchung, welche auch die Beckenbodenevaluation mit einschliesst, sowie ein Hustentest bei gefüllter Harnblase können durch die Sonografie, Zystoskopie und urodynamische Untersuchung erweitert werden. Dies erlaubt die Unterscheidung in die verschiedenen Formen der Harninkontinenz wie Dranginkontinenz, Belastungsinkontinenz und Überlaufinkontinenz. Die Therapie sollte je nach Art der Harninkontinenz erfolgen. Die konservativen Therapieoptionen wie Beckenbodenphysiotherapie und Pessare können durch Elektrostimulation bei OAB und Überlaufinkontinenz und verschiedene Operationen wie TVT oder Bulking Agent bei Belastungsinkontinenz, sakrale Neurostimulation bei OAB und Überlaufinkontinenz ergänzt werden.

Schlüsselwörter: Harninkontinenz, Therapieoptionen, Diagnostik, Lebensqualität, Beckenbodentraining

Einführung

Die Harninkontinenz bei der Frau gehört mit einer Prävalenz von 25 bis 45 % zu den häufigen Krankheitsbildern (1). Sie geht mit einem hohen Leidensdruck und einer deutlichen Abnahme der Lebensqualität einher. Dennoch wird sie oft erst auf gezieltes Nachfragen erwähnt, da sie nach wie vor eine stigmatisierte Krankheit ist (2).

Jeder unwillkürliche Abgang von Urin ist gemäss ICS als Harninkontinenz definiert. Sie umfasst verschiedene Krankheiten mit unterschiedlichen Therapien. Inkontinenz kann bei internistischen oder neurologischen Erkrankung oder schleichend im Verlauf des Lebens oder nach einer Geburt vorkommen. Sie kann unbemerkt, bei körperlicher Belastung, zusammen mit Harndrang, tagsüber oder auch nachts auftreten. Wie oft Harninkontinenz auftritt, ist wichtig zu erfassen, obwohl die Beeinträchtigung der Lebensqualität nicht zwingend damit korreliert.

Anhand der Hauptinkontinenzformen zeigen wir die diagnostischen Schritte und Therapieoptionen auf. Zur vertieften Lektüre verweisen wir auf die zwei internationalen Guidelines der SGGG/AWMF «Harninkontinenz der Frau» und EAU «Management of Non-Neurogenic Female Lower Urinary Tract Symptoms (LUTS)» (3, 2).

Belastungsinkontinenz

Eine Schwäche des urethralen Sphinktermechanismus und /oder eine hypermobile Urethra führt zum Urinverlust bei körperlicher Belastung. Wichtiger als eine Gradeinteilung ist der subjektive Leidensdruck, die Menge und die Häufigkeit des Urinverlustes.

Überaktive Blase (nass/trocken)

Definitionsgemäss handelt es sich um gehäuften Harndrang und erhöhte Miktionsfrequenz. Zusammen mit Urininkontinenz wird von Dranginkontinenz, englisch over active bladder (OAB) wet, gesprochen. Ohne Urininkontinenz wird sie OAB dry oder Reizblase genannt. Eine Detrusorüberaktivität kann vorkommen. Harnwegsinfekte, Überlaufinkontinenz, aber auch Bladder-pain-Syndrom oder interstitielle Zystitis sind abzugrenzen.

Mischharninkontinenz

Der grosse Teil der Patientinnen präsentiert sich mit einer Mischharninkontinenz. Bei dieser sind sowohl Beschwerden der Belastungsinkontinenz als auch der überaktiven Blase vorhanden.

Inkontinenz bei chronischer Harnretention (Überlaufinkontinenz)

Eine Detrusorunteraktivität und/oder eine Blasenausgangsobstruktion führt zu erhöhtem Restharn (3). Dieser wird zu mehreren Zeitpunkten gemessen und beträgt > 300ml.

Weitere Formen der Harninkontinenz
Weitere Formen der Harninkontinenz wie neurogene Detrusorüberaktivität, seien es zentrale Ursachen wie bei M. Parkinson, MS oder demenziellen Erkrankungen oder periphere wie bei Paraplegien, Diabetes mellitus, und extraurethrale Inkontinenzen, wie bei vesikovaginale Fisteln, sind zu unterscheiden.

Diagnostik

Die international empfohlene Basis- und erweiterte Dia­gnostik ist in Tabelle 1 aufgeführt.

Basisdiagnostik

Ein gezieltes Nachfragen mit einer detaillierten Anamnese ist wichtig. In über 80 % ist sie diagnoseweisend.
Validierte Fragebögen, welche PROMs erfassen, beinhalten Art, Auslöser, Zeit, Leidensdruck und Ausmass der Urininkontinenz. Die Relationen zwischen Blasentagebuch und urodynamischer Messung sind belegt (4).
Weitere Miktionsprobleme wie Harnwegsinfekte, aber auch Defäkationsprobleme, geburtshilfliche Vorgeschichte, Voroperationen und eine Medikamentenanamnese vervollständigen die Anamnese. In Tabelle 2 sind Medikamente aufgelistet, welche eine Urininkontinenz verschlimmern können.
Beschwerden sollten immer nach Auschluss oder Behandlung eines Infektes evaluiert werden.

Erweiterte Diagnostik

Sonografie
Abdominalsonografie, Introitussonografie, Perinealsonografie und Transvaginalsonografie kommen je nach Indikation zum Einsatz.
Nach wie vor gibt es keine Standardwerte für einen pathologischen Restharnwert. Die Relation zum gelösten Miktionsvolumen ist wichtig. 95 % der Frauen ohne Miktionsschwierigkeiten und ohne Descensus genitalis haben einen Restharn von < 100ml (3).

Urodynamik
In komplexen Situationen wie Versagen der Basistherapie oder nach Beckenoperationen hilft die Urodynamik, neben einer Quantifizierung und Objektivierung der Blasenspeicher- und entleerungsphasen, die Symptome einer Pathophysiologie zuzuordnen. Die Reproduzierbarkeit und die Korrelation zwischen Symptomen und urodynamischen Befunden ist nicht zwingend gegeben. Die urodynamischen Ergebnisse sind daher auf ihre Plausibilität zu prüfen.
Der Expertenbrief Nr. 84 der SGGG führt die Indikationen und die Anforderungen an eine korrekt durchgeführte Urodynamik aus (5).

Therapie

Die Therapie sollte stufenweise, bei den konservativen Methoden beginnend, erfolgen (Abb. 1).
Bei der Mischinkontinenz wird primär die störendere Harninkontinenzkomponente, im Verlauf oft auch die zweite Komponente, behandelt. Es ist wichtig, mit der Patientin die möglichen Therapieziele festzulegen.

Konservative Basistherapie

Die Anpassung von Inkontinenzprodukten und die Behandlung von aggravierenden Nebenerkrankungen sollen gleichzeitig mit Einleitung der urogynäkologischen Basistherapien erfolgen. Inkontinenzmaterial kann gemäss MiGel-Liste ab einer mittleren Inkotinenz mit einer Verordnung von der Krankenkasse rückvergütet werden.
Adipositas und Übergewicht sind Beispiele für Risikofaktoren für Harninkontinenz. Bei peradipösen Frauen sollte eine bariatrische Therapie vor der Inkontinenzoperation erwogen werden, da eine Gewichtsreduktion zu einer Verbesserung der Inkontinenz führt (6, 7, 8).
Koffein scheint in mehreren Studien einen ungünstigen Einfluss auf eine OAB zu haben. Die Reduktion des Koffeingenusses, aber auch Kohlensäure oder Alkohol, verringern den Harndrang (9).

Blasentraining
Ein Blasentraining ohne oder mit einer gezielten Beckenbodenphysiotherapie hat eine ähnliche Effektgrösse wie Medikamente (10). Wichtig ist die Ausdauer und das Beibehalten neuer «guter» Gewohnheiten.

Timed voiding
Im Kollektiv der kognitiv beeinträchtigten, geriatrischen Patientinnen kann eine Aufforderung zur Miktion alle 2–3 Stunden die Inkontinenzepisoden verringern (11).

Beckenbodentraining/Beckenbodenphysiotherapie
Mit Beckenbodentraining wird die Funktion des Beckenbodens gestärkt, die Harnröhrenstabilität erhöht und damit Inkontinenzepisoden vermindert (Belastungskomponente) sowie eine Blasenkontraktion unterdrückt (OAB-Komponente) (12).
Die Beckenbodenphysiotherapie kommt z.B. postpartal, prä- und postoperativ oder als Primärbehandlung zum Zug. Sie kann durch Biofeedback oder Elektrostimulation erweitert werden. Unter www.pelvisuisse.ch finden sich geschulte Physiotherapeut/-innen für Beckenbodentherapie. Eine individuelle Therapie scheint einer Gruppentherapie überlegen. Die Intensität und Übungsfrequenz spielen vermutlich eine Rolle (13). Die Therapieadhärenz ist häufig der limitierende Faktor.

Pessartherapie
Bei Belastungsinkontinenz stabilisieren Pessare die Ure­thra und erhöhen ihren Widerstand. Eine Anpassung sowie eine gute Instruktion sind für eine längerfristige Compliance wichtig. Bei postmenopausalen Frauen sollte zuvor eine lokale Östrogenisierung erfolgen.

Intermittierende Selbstkatheterisierung (ISK)
Die regelmässige Selbstkatheterisierung ist eine symptomorientierte Therapie bei Überlaufinkontinenz. Sie beugt Folgen wie rezidivierende und aufsteigende Harnwegsinfektionen, Rückstauung in die Ureteren und Nierenbeckenkelchsysteme vor. Eine gute Instruktion, z. B. durch eine Urotherapeutin, und regelmässige Kontrollen sind unerlässlich. Ursachen wie eine infravesikale Obstruktion sollen behoben werden, z. B. durch eine Prolapsoperation.

Medikamentöse Therapien

Abgesehen von der lokalen Östrogenisierung haben Medikamente bei der OAB ihren Stellenwert.

Vaginale Östrogene
Bei Harninkontinenz ist die vaginale Anwendung von Östriol der systemischen Anwendung von Östradiol überlegen. OAB-Symptomatik und Harnwegsinfektionen werden wirksam reduziert, bei der Belastungsinkontinenz ist der Nutzen kleiner (14).

Phytotherapie
Trotz der zahlreichen erhältlichen Produkte ist die Datenlage zur Wirkung von Phytotherapeutika schwach.
Die Detrusor-relaxierende Wirkung von Bryophyllum pinatum (3 x 2 Tb/d) ist nachgewiesen. Es gibt einen Trend zu einer Verbesserung der OAB-Symptomatik (15, 16). Bei störender Nykturie zeigte eine Gabe von 2 Tabletten abends und zur Nacht gute Erfolge (17).

Medikamente
Antimuskarinergika und das neuere Beta3-Mimetikum sind gleich wirksam (3, 2). Eine Kombination beider ist möglich (Tab. 3).
Eine multinationale Studie hat eine Unbedenklichkeit der Betamimetika und der Anticholinergika bezüglich kardialer Ereignisse gezeigt (20). Bei den Antimuskarinergika stellt das Engwinkelglaukom eine Kontraindikation dar. Bei polymorbiden Patientinnen ist ein Medikamenteninteraktionscheck empfohlen und der «anticholinerge Load», insbesondere auf die kognitive Funktion, sollte berücksichtigt werden (18, 19). Bei geriatrischen Patientinnen gibt es gemäss FORTA-Liste nur für Fesoterodin ausreichend Daten für eine Empfehlung. Die selektiven Antimuskarinergika und Mirabegron scheinen aber auch effektiv und nebenwirkungsarm zu sein (20).

Minimalinvasive Therapien

Akupunktur
Bei der OAB-Symptomatik gibt es Daten, welche eine vergleichbare Rate an Verbesserung der Urininkontinenz zeigt wie die Einnahme von Oxybutinin (21).

Elektrostimulation: pTNS und TENS
Bei idiopathischer OAB und Überlaufinkontinenz sind transkutane und perkutane Stimulationen wirksam. Mittels Elektrostimulation des N. tibialis posterior wird die Organfunktion der Blase moduliert. Sie können ergänzend zu anderen Therapien angewandt werden (22).

Laser
Bei leichter und mittelschwerer Belastungsinkontinenz nach Ausschöpfen der Basistherapie gibt es eine Indikation für den ambulanten vaginalen CO2- oder Erbium:YAG- Laser. Die intravaginal applizierten Laserstrahlen führen zu einer Neokollagenese und damit zu einer Stärkung der vorderen Vaginalwand. Dies führt zu einer besseren Unterstützung der Blase und Urethra und zur verbesserten Kontinenz. Bei korrekter Anwendung kommen vor allem kurzfristige, vaginale Reizungen als Nebenwirkungen vor. Gerade bei jüngeren Frauen, z. B. zwischen den Geburten, könnte die Therapie eine Option sein. Es werden 3–4 Sitzungen im Abstand von 4–6 Wochen empfohlen, eine Auffrischbehandlung nach 12–24 Monaten ist möglich (23).
Es handelt sich um eine Nichtpflichtleistung der Krankenkasse, und die Evidenz muss in Langzeitstudien geklärt werden.

Injektion von Botulinumtoxin A in die Blasenwand
Die Inkontinenz- und Drangepisoden werden durch die zystoskopisch-kontrollierte Injektion von 100 E Botuli­numtoxin A in die Blasenwand verringert. Nach 14 Tagen sollte in regelmässigen Abständen eine Restharnkontrolle erfolgen, um erhöhten Restharn oder gar eine Dekompensation der Entleerungsphase rechtzeitig zu erkennen. Die Wirkungsdauer hält ca. 6 Monate an. 30 % der Frauen werden komplett kontinent, 30 % brauchen eine Reinjektion 30 % (24). Bei OAB wird sie nach ausgeschöpften konservativen Therapien von den Krankenkassen übernommen.

Bulking Agent
Es gibt zwei Arten von Bulking Agent: die partikulären Gele und die homogenen Gele, wie z. B. Bulkamid®. Letztere werden in der Schweiz vorwiegend verwendet. Sie bleiben nach der suburothelialen Injektion in Grösse und Form stabil und erzeugen eine umliegende Gewebereaktion. Dies führt idealerweise zu einer Stabilisierung der Urethra mit Erhöhung des maximalen Verschlussdruckes (25).
Das minimalinvasive Verfahren kann unter Antikoagulation, in Lokalanästhesie oder Analgosedation durchgeführt werden. Es eignet sich auch bei polymorbiden Patientinnen. Die Erfolgsrate mit Verbesserung der Kontinenz liegt bei 80 %. Reinjektionen sind möglich (26). Die häufigsten Komplikationen sind Harnverhalt (0–20 %), Harnwegsinfektionen (1.6–40 %) und De-novo-Dranginkontinenz (0–15 %). Eine Kombination mit Botoxinjektionen ist möglich und sicher (27, 28).

Operationen

Spannungsfreie suburethrale Schlingen
Im deutschsprachigen Raum sind die Schlingen die Standardmethode zur Therapie der Belastungsinkontinenz. Transobturatorische und retrosymphysäre Bänder weisen dabei im Langzeitvergleich ähnlich gute Outcomes auf. Die Bänder sind sowohl für adipöse wie auch betagte Patientinnen erprobt.
Die neueren Minischlingen (Single Incision Band) und adjustierbaren Bänder konnten bis anhin ihre Gleichwertigkeit nicht nachweisen (3).

Kolposuspension (offen oder laparoskopisch)
Bei Belastungsinkontinenz zeigt dieses älteste Verfahren vergleichbare Resultate wie die suburethralen Schlingen. Der Eingriff und die Rekonvaleszenz dauern etwas länger, insbesondere beim offenen Zugang. Bei abgesenktem Blasenhals mit Rotation der Urethra, Trichterbildung des zystourethralen Überganges oder Lateraldefekt kann die Kolposuspension den Blasenhals elevieren und stabilisieren (3).
Im Langzeitverlauf kommt es zu einer höheren Rate an Descensus im hinteren Kompartiment und Restharnbildung, mitunter verursacht durch die Immobilität der Urethra im vorderen Kompartiment (3, 29).

Suburethrale Faszienschlingen
Autologe Schlingen, meist aus Rectus-abdominis-Faszie, sind vor allem im angelsächsischen Raum aufgrund des dortigen Schlingen- und Netzverbotes auf dem Vormarsch. Abgesehen von der längeren OP-Zeit und einer leicht erhöhten Komplikationsrate im Vergleich mit den synthetischen Schlingen zeigen sie vergleichbare Outcomes bezüglich Kontinenz wie letztere (30).
Indikationen sind hypotone Urethra, hohes Risiko einer Banderosion oder Versagen einer suburethralen Schlinge.

Sakrale Neuromodulation
Wie die Elektrostimulationen zielt die SNM auf eine Modulation der Blaseninnervation. Indikation sind unter anderem die therapierefraktäre OAB und Überlaufinkontinenz. Der Implantation des Impulsgenerators geht eine Testphase voraus. Ein Batteriewechsel ist aktuell ca. nach 15 Jahren notwendig. Ein relevantes Therapieansprechen wird bei 70–80 % beobachtet, eine Normalisierung der Symptomatik bei etwa 39 % (31).
Die SNM darf in der Schweiz nur von Neurourologen und Viszeralchirurgen mit der entsprechenden Weiterbildung implantiert werden.

Suprapubische Harnableitung
Bei Überlaufinkontinenz, frustran behandelten Patientinnen, insbesondere in komplexen Situation wie Zustand nach Beckenbestrahlung, multiplen Operationen im kleinen Becken oder polymorbiden Patientinnen, kann diese Ableitung angeboten werden. Bei Belastungsinkontinenz ist der Effekt jedoch oft ungenügend, da trotzdem Urin urethral abgeht. Die suprapubische Ableitung kann in der urogynäkologischen Sprechstunde in Lokalanästhesie oder bei kleinem Blasenvolumen in Analgosedation erfolgen. Ein regelmässiger Wechsel ist alle 4–6 Wochen ambulant notwendig.

Ausblick

Die Harninkontinenz wird uns mit der steigenden Lebenserwartung und vor allem dem steigenden Anspruch an erhaltene Lebensqualität zunehmend beschäftigen.
Die Therapie der kardial beeinflussten und neurogen bedingten Inkontinenzformen sind im interdisziplinären Behandlungsteam am Erfolg versprechendsten anzugehen.
Forschungsthemen sind die autologe Stammzelltherapie zur Behandlung der Belastungsinkontinenz (32), wozu eine Rekrutierung für eine Phase-II-Studie am Universitätsspital Zürich läuft (33). Neuere Betamimetika mit geringerem Cytochrom-Interaktionsprofil sind in der Pipeline. Auch Phosphodiesterasehemmer, Kaliumkanalöffner, Rho-Kinase-Hemmer und Kalziumkanalblocker sind in Testung zur OAB-Therapie (34).
In der Behandlung der OAB laufen mehrere Studien, welche das urogenitale Mikrobiom analysieren und versuchen, positiv zu modulieren.
Alternative und minimalinvasive Therapien wie die Lasertherapie gewinnen an Attraktivität in der Bevölkerung. Ihre Wirkung muss noch fundierter nachgewiesen werden.
Die Therapieoptionen, besonders die der Rezidivsituation im geriatrischen Kollektiv, sind herausfordernd. Aufgrund der demografischen Veränderungen werden diese an Bedeutung gewinnen.

Key Messages
• Die Harninkontinenz und ihre spezifischen Formen ist ein häufiges, aber oft verschwiegenes urogynäkologisches Problem.
• Die strukturierte Anamnese und Basisdiagnostik können in der niedergelassenen Sprechstunde durchgeführt werden. Die Spezialabklärungen gehören in die urogynäkologische Spezialsprechstunde.
• Die Therapie richtet sich nach dem subjektiv führenden Problem und ist gezielt ausgerichtet auf die einzelnen Formen der Harninkontinenz.

Abkürzungen
AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
EAU European Association of Urology
FORTA Fit fOR The Aged
ICS international continence society
ISK intermittierende Selbstkatheterisierung
MiGel-Liste Mittel- und Gegenständeliste des Bundes
MS Multiple Sklerose
OAB over active bladder
PROMS patient reported outcomes
pTNS perkutane tibiale Nervenstimulation
SGGG Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
SNM sakrale Neuromodulation
TENS transkutane elektrische Nervenstimulation
TVT tension free vaginal tape

Author Contributions
Konzept: alle Autorinnen und Autoren; Methodologie, Software, formale Analyse, Visualisierung, Schreiben, Überprüfen,
Editieren: R. R. Zachariah, C. Betschart; Supervision: C. Betschart
Alle Autorinnen und Autoren haben das eingereichte Manuskript gelesen und sind für alle Aspekte des Werkes mitverantwortlich.

Dr. med. Rebecca R. Zachariah

Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

rebecca.zachariah@usz.ch

Dr. med. Sören Lange

Oberarzt Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Dr. med. Nicole Keller 

Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich

Spitalregion Rheintal
Werdenberg
Sarganserland, Rebstein

PD Dr. med. David Scheiner 

Klinik für Gynäkologie
Universitätsspital Zürich

Blasenzentrum, Zürich

PD Dr. med. Cornelia Betschart Meier

Stellvertretende Klinikdirektorin
Klinik für Gynäkologie, USZ
Frauenklinikstrasse 10
8006 Zürich

cornelia.betschart@usz.ch

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Die Harninkontinenz und ihre spezifischen Formen ist ein häufiges, aber oft verschwiegenes urogynäkologisches Problem.
  • Die strukturierte Anamnese und Basisdiagnostik können in der niedergelassenen Sprechstunde durchgeführt werden. Die Spezialabklärungen gehören in die urogynäkologische Spezialsprechstunde.
  • Die Therapie richtet sich nach dem subjektiv führenden Problem und ist gezielt ausgerichtet auf die einzelnen Formen der Harninkontinenz.

1. Linda Cardozo, Eric Rovner, Adrian Wagg, Alan Wein, Paul Abrams, editor. Incontinence, 7th edition 2023.
2. Uroweb – European Association of Urology [Internet]. [cited 2024 Apr 10]. EAU Guidelines on Non-neurogenic Female LUTS – INTRODUCTION – Uroweb. Available from: https://uroweb.org/guidelines/non-neurogenic-female-luts
3. Female urinary incontinence. Guideline of the DGGG, OEGGG, SGGG (S2k-Level, AWMF-Registry No 015-091, December 2021). Available from: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-091.html
4. Ertberg P, Møller LA, Lose G. A comparison of three methods to evaluate maximum bladder capacity: cystometry, uroflowmetry and a 24-h voiding diary in women with urinary incontinence. Acta Obstet Gynecol Scand. 2003 Apr;82(4):374–7.
5. David Scheiner; Cornelia Betschart; Chahin Achtari; Daniel Passweg; Daniele Perucchini; Verena Geissbühler; Volker Viereck; Anette Kuhn. Expertenbrief No 84: Urodynamische Untersuchung: Indikation, Voraussetzungen und Durchführung [Internet]. SGGG; 2023. Available from: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe
6. Persu C, Cartas RN, Ciofu I, Mastalier B, Cauni VM. Is Surgical Treatment for Obesity Able to Cure Urinary Incontinence in Women?-A Prospective Single-Center Study. Life Basel Switz. 2023 Sep 11;13(9):1897.
7. Ebbesen MH, Hunskaar S, Rortveit G, Hannestad YS. Prevalence, incidence and remission of urinary incontinence in women: longitudinal data from the Norwegian HUNT study (EPINCONT). BMC Urol. 2013 May 30;13:27.
8. Subak LL, Wing R, West DS, Franklin F, Vittinghoff E, Creasman JM, et al. Weight Loss to Treat Urinary Incontinence in Overweight and Obese Women. N Engl J Med. 2009 Jan 29;360(5):481–90.
9. Le Berre M, Presse N, Morin M, Larouche M, Campeau L, Hu YX, et al. What do we really know about the role of caffeine on urinary tract symptoms? A scoping review on caffeine consumption and lower urinary tract symptoms in adults. Neurourol Urodyn. 2020 Jun;39(5):1217–33.
10. Funada S, Yoshioka T, Luo Y, Sato A, Akamatsu S, Watanabe N. Bladder training for treating overactive bladder in adults. Cochrane Database Syst Rev [Internet]. 2023 [cited 2024 May 16];(10). Available from: https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD013571.pub2/full?highlightAbstract=over %7Cactive %7Cactiv %7Cbladder
11. Flanagan L, Roe B, Jack B, Barrett J, Chung A, Shaw C, et al. Systematic review of care intervention studies for the management of incontinence and promotion of continence in older people in care homes with urinary incontinence as the primary focus (1966-2010). Geriatr Gerontol Int. 2012 Oct;12(4):600–11.
12. Berghmans B, van Waalwijk van Doorn E, Nieman F, de Bie R, van den Brandt P, Van Kerrebroeck P. Efficacy of physical therapeutic modalities in women with proven bladder overactivity. Eur Urol. 2002 Jun;41(6):581–7.
13. Todhunter-Brown A, Hazelton C, Campbell P, Elders A, Hagen S, McClurg D. Conservative interventions for treating urinary incontinence in women: an Overview of Cochrane systematic reviews. Cochrane Database Syst Rev [Internet]. 2022 [cited 2024 May 16];(9). Available from: https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012337.pub2/full?highlightAbstract=muscl %7Cmuscle %7Cpelvic %7Ctraining %7Cfloor %7Ctrain
14. Rahn DD, Ward RM, Sanses TV, Carberry C, Mamik MM, Meriwether KV, et al. Vaginal estrogen use in postmenopausal women with pelvic floor disorders: systematic review and practice guidelines. Int Urogynecology J. 2015 Jan;26(1):3–13.
15. Betschart C, von Mandach U, Seifert B, Scheiner D, Perucchini D, Fink D, et al. Randomized, double-blind placebo-controlled trial with Bryophyllum pinnatum versus placebo for the treatment of overactive bladder in postmenopausal women. Phytomedicine Int J Phytother Phytopharm. 2013 Feb 15;20(3–4):351–8.
16. Schuler V, Suter K, Fürer K, Eberli D, Horst M, Betschart C, et al. Bryophyllum pinnatum inhibits detrusor contractility in porcine bladder strips–a pharmacological study towards a new treatment option of overactive bladder. Phytomedicine Int J Phytother Phytopharm. 2012 Jul 15;19(10):947–51.
17. Mirzayeva N, Forst S, Passweg D, Geissbühler V, Simões-Wüst AP, Betschart C. Bryophyllum pinnatum and Improvement of Nocturia and Sleep Quality in Women: A Multicentre, Nonrandomised Prospective Trial. Evid-Based Complement Altern Med ECAM. 2023;2023:2115335.
18. Cai X, Campbell N, Khan B, Callahan C, Boustani M. Long-term anticholinergic use and the aging brain. Alzheimers Dement J Alzheimers Assoc. 2013 Jul;9(4):377–85.
19. Campbell N, Boustani M, Limbil T, Ott C, Fox C, Maidment I, et al. The cognitive impact of anticholinergics: a clinical review. Clin Interv Aging. 2009;4:225–33.
20. Gibson W, MacDiarmid S, Huang M, Siddiqui E, Stölzel M, Choudhury N, et al. Treating Overactive Bladder in Older Patients with a Combination of Mirabegron and Solifenacin: A Prespecified Analysis from the BESIDE Study. Eur Urol Focus. 2017 Dec;3(6):629–38.
21. Paik SH, Han SR, Kwon OJ, Ahn YM, Lee BC, Ahn SY. Acupuncture for the treatment of urinary incontinence: A review of randomized controlled trials. Exp Ther Med. 2013 Sep;6(3):773–80.
22. Goudelocke C, Sobol J, Poulos D, Enemchukwu E, Zaslau S, Dhir R. A Multicenter Study Evaluating the FREquency of Use and Efficacy of a Novel Closed-Loop Wearable Tibial Neuromodulation System for Overactive Bladder and Urgency Urinary Incontinence (FREEOAB). Urology. 2024 Jan;183:63–9.
23. V Viereck, C Betschart, A Kuhn, V Geissbühler, P Stute, B Frey Tirri. Expertenbrief No 69: Anwendungen, Anforderungen und Evidenz der vulvovaginalen / urogynäkologischen Lasertherapie in der Gynäkologie – eine neue konservative Therapie [Internet]. Available from: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe
24. Scheiner David, Schurch Brigitte, Schmid M, Schär Gabriel, Kuhn Annette. Expertenbrief No 53: Botulinumtoxin Typ A bei idiopathischer OAB [Internet]. Available from: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe
25. Kuhn A, Stadlmayr W, Lengsfeld D, Mueller MD. Where should bulking agents for female urodynamic stress incontinence be injected? Int Urogynecol J Pelvic Floor Dysfunct. 2008 Jun;19(6):817–21.
26. Serati M, Braga A, Salvatore S, Torella M, Di Dedda MC, Scancarello C, et al. Up-to-Date Procedures in Female Stress Urinary Incontinence Surgery: A Concise Review on Bulking Agents Procedures. Medicina (Mex). 2022 Jun 8;58(6):775.
27. Viereck V, Gamper M, Walser C, Fesslmeier D, Münst J, Zivanovic I. Combination therapy with botulinum toxin and bulking agent-An efficient, sustainable, and safe method to treat elderly women with mixed urinary incontinence. Neurourol Urodyn. 2021 Sep;40(7):1820–8.
28. V. Viereck, S. Mohr, S. Brandner, I. Zivanovic, C. Betschart. Expertenbrief No 85: Therapie der Belastungsinkontinenz – transurethrale Injektion von Bulking-Agents [Internet]. Available from: https://www.sggg.ch/fachthemen/expertenbriefe
29. Karmakar D, Dwyer PL, Murray C, Schierlitz L, Dykes N, Zilberlicht A. Long-term effectiveness and safety of open Burch colposuspension vs retropubic midurethral sling for stress urinary incontinence-results from a large comparative study. Am J Obstet Gynecol. 2021 Jun;224(6):593.e1-593.e8.
30. Fusco F, Abdel-Fattah M, Chapple CR, Creta M, La Falce S, Waltregny D, et al. Updated Systematic Review and Meta-analysis of the Comparative Data on Colposuspensions, Pubovaginal Slings, and Midurethral Tapes in the Surgical Treatment of Female Stress Urinary Incontinence. Eur Urol. 2017 Oct;72(4):567–91.
31. Peeters K, Sahai A, De Ridder D, Van Der Aa F. Long-term follow-up of sacral neuromodulation for lower urinary tract dysfunction. BJU Int. 2014 May;113(5):789–94.
32. Schmid FA, Prange JA, Kozomara M, Betschart C, Sousa RA, Steinke N, et al. Transurethral injection of autologous muscle precursor cells for treatment of female stress urinary incontinence: a prospective phase I clinical trial. Int Urogynecology J. 2023 Sep;34(9):2197–206.
33. Autologe Stammzellinjektion [Internet]. Available from: https://www.muvon-therapeutics.com/
34. Joseph S, Maria SA, Peedicayil J. Drugs Currently Undergoing Preclinical or Clinical Trials for the Treatment of Overactive Bladder: A Review. Curr Ther Res Clin Exp. 2022;96:100669.

Fieber bei Erwachsenen

Fieber ist ein wichtiges und häufiges Symptom. Die Wissenschaft über Fieber ist so alt wie die Menschheit selbst. Fieber wird – von Patient/-innen und vom Gesundheitspersonal – oft automatisch mit der Notwendigkeit von Antipyretika und Antibiotika assoziiert und kann Unsicherheiten und Ängste auslösen. Fieber ist aber per se nicht gefährlich und muss meistens nicht gesenkt werden. Bei der Ursachensuche lohnt sich ein schrittweises Vorgehen.

Schlüsselwörter: Fieber, Körpertemperatur, Fieber unklarer Ursache, periodisches Fieber, Antipyretika

Einleitung

Fieber ist häufig und eine natürliche Reaktion des Körpers auf viele Ursachen. Die detaillierte Anamnese und Untersuchung liefern meist klare Hinweise auf mögliche Ursachen. Fieber kann Sorgen auslösen, welchen wir mit guter Kommunikation begegnen können (Box 1). Hier berichten wir zu Fieber bei Erwachsenen und bearbeiten Situationen, wo keine klare infektiöse Ursache wie Atemwegs- oder Harnwegsinfekt vorliegt.

Was ist eine normale Körpertemperatur?

Dies ist von Mensch zu Mensch verschieden (1, 2). Wichtig: Nicht wenige gesunde Leute ohne Krankheitsgefühl haben eine Temperatur >37°C (1, 3-5). Verschiedene Autoren werten Temperaturen zwischen 35.3°C bis 37.7°C als normal (1), andere von 35.6°C sogar bis 38.2°C (2, 6, 7).

Wieso messen wir Fieber?

Wir interpretieren Fieber stark als Ausdruck von Krankheit (8, 9). Das Fiebermessen zuhause, in der Praxis und im Spital begann vor ca. 150 Jahren (8-10). Das ist aber nicht überall so, beispielsweise werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) primär das Pulstasten und die Zungenbetrachtung zur Diagnostik verwendet (11).

Wo soll ich die Temperatur messen?

Der Messort bestimmt die gemessene Temperatur (1). Die Messung im Ohr korreliert gut mit der sogenannten Körperkerntemperatur (10, 12, 13). Die Messung rektal gilt als zuverlässig, stösst aber auf geringe Akzeptanz (10, 14, 15). Im Ohr gemessen ist die Temperatur minim (ca. 0.06°C) tiefer als oral (1) und bis ca. 0.5°C tiefer als rektal (12, 13, 16). Allfällige Hörgeräte müssen entfernt werden, bei einseitiger Otitis im gesunden Ohr messen und man darf nicht «zu oberflächlich» messen. Im Mund (Temperatur ca. 0.3-0.6°C tiefer als rektal) wird heute kaum mehr gemessen (ungenau, ist z.B. zu tief bei Mundatmung bei verstopfter Nase) und aus hygienischen Gründen (7, 12, 15). Von einer axillären Messung wird abgeraten (unzuverlässig) (12).

Sind kontaktlose Infrarotthermometer ­zuverlässig?

Sie sind etwas schneller, hygienischer und für Patient/-innen nicht störend (Temperatur kann diskret auch im Schlaf gemessen werden). Sie sind zunehmend verbreitet, z.B. an Flughäfen während der Pandemie. Sie sind fehleranfälliger (z.B. Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Hautbeschaffenheit, Messwinkel), werden aber zunehmend genauer und werden zum Teil schon in Praxis und Spital eingesetzt (17-19).

Welche Faktoren beeinflussen die Körper­temperatur?

Es gibt etablierte Faktoren, aber ihr Effekt ist beschränkt: Ältere Personen haben eine minim tiefere Temperatur als jüngere (-0.02°C pro Dekade), Frauen eine ca. 0.2°C höhere als Männer (1, 3, 20-24), und im Winter ist die Temperatur etwa 0.2°C tiefer als im Sommer (24, 25). Kurz nach dem Eisprung (und in der Schwangerschaft) ist die Temperatur ebenfalls nur leicht (ca. 0.2-0.6°C) höher (2, 20, 24, 26-28) – eine anspruchsvolle Verhütungsmethode (29-33).

Ist die Temperatur am Abend 1°C höher?

Viele Leute glauben das, konkret: Fieber könne nur ausgeschlossen werden, wenn auch abends kein Fieber besteht. Tatsächlich ist die Temperaturschwankung im Tagesverlauf begrenzt: bei Gesunden am Abend nicht mehr als 0.1-0.5°C höher als am frühen Morgen (1, 2, 20, 25).

Was ist der Unterschied zwischen Fieber und Hyperthermie?

Bei Fieber handelt es sich um eine im «Thermostat» des Hypothalamus physiologisch erzeugte und regulierte Erhöhung der Körper-Solltemperatur, die meist nicht schädlich ist (34-37). Bei der Hyperthermie kommt die Temperaturerhöhung durch äussere Faktoren zustande, ohne Erhöhung der Solltemperatur im Hypothalamus, also durch Überhitzung (v.a. wenn das Wetter heiss und feucht ist) oder auch medikamentös. Beim Sport kann die Körpertemperatur um mehrere Grade ansteigen, teils bis 40°C (5, 38-42), z.B. nach einer einstündigen Wanderung im Sommer ca. 1°C (43, 44).

Wie ist Fieber definiert?

Alle sagen etwas anderes. Lehrbücher, Behörden und Organisationen (WHO, CDC usw.) definieren Fieber als Werte zwischen 37.8°C und 38.5°C im Ohr (10, 45-50). In den USA werden oft >38.3°C verwendet, am ehesten, weil dies 101° Fahrenheit entspricht (7, 51).

Was ist mit «subfebrilen» Temperaturen?

Als subfebril gelten Temperaturen von ca. 37.5°C-38.0°C (7, 46). Daten, dass das «subfebrile» Konzept etwas bringen soll, sind uns nicht bekannt.

Gibt es Patient/-innen mit einer schweren ­Infektion aber ohne Fieber?

Ja. Vorsicht bei Immunsuppression, chronischer Niereninsuffizienz, bei älteren Personen und unter Steroiden und Antiphlogistika (2, 52). Selbst bei gesunden Erwachsenen kann Fieber bei häufigen Infektionen (Influenza, Pneumonie usw.) zum Teil fehlen. Diese Patienten berichten oft, dass sie seit dem Jugendalter auch bei erheblichen Infekten nie erhöhte Temperatur hatten.

Was ist der diagnostische Wert von ­Schüttelfrost?

Echter Schüttelfrost beinhaltet unwillkürliches, unkontrollierbares Muskelzittern – die Zähne müssen klappern und das ganze Bett schütteln (53-55); hielte man ein Glas Wasser in der Hand, würde das Wasser hinausspritzen (53). Schüttelfrost erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Bakteriämie, daher: bei beobachtetem Schüttelfrost und abnormalen Vitalparametern Blutkulturen abnehmen (53, 55, 56).

Fieberursachen, Abklärung

Meine Patientin hat seit einer Woche Fieber und die ­Ursache ist unklar – wie vorgehen?

Es gibt keinen einheitlichen Algorithmus. Der wichtigste erste Schritt ist eine detaillierte Anamnese und Untersuchung (57-60) (Box 2). Ein paar Faustregeln: bei banalem respiratorischem Infekt fehlt Fieber oder dauert nur wenige Tage. Bei mehr als 4 Tagen Fieber: an Pneumonie denken, röntgen (61). Bei Influenza dauert das Fieber durchschnittlich 3 Tage, kann aber bis 8 Tage dauern (62). In speziellen Situationen (Box 3) empfehlen wir niederschwellige Rücksprache.

Fever patterns – haben sie eine Bedeutung?

Das Thema der Fiebermuster (Temperaturverlauf über mehrere Tage) wurde bisher vermutlich überbewertet (63). Fiebermuster geben selten klare Hinweise auf die Fieberursache, weil sie nicht erregerspezifisch sind, gar nicht entstehen oder durch Antipyretika oder Antibiotika unterdrückt werden (63, 65, 66). Bei Malaria sollen die historischen Ausdrücke «tertiana» und «quartana» vermieden werden, weil unzuverlässig – besser den Parasiten klar benennen (Falciparum malaria usw.) (63, 64).

Helfen Laborresultate, die Fieberursache zu finden?

Routinelaborwerte können Hinweise liefern, aber sind selten diagnostisch. Leukozyten, CRP, Procalcitonin (PCT) und Blutsenkung sind Entzündungsparameter, keine Infektparameter (58, 67-70); sie können eine Infektion weder sicher bestätigen noch ausschliessen (58, 67-71). Das CRP unterscheidet nicht sicher zwischen bakterieller und viraler Infektion – die Überlappung ist zu stark (58, 67, 68), dies gilt auch für das PCT (68, 70-73). CRP und Senkung können auch bei Autoimmunerkrankungen und Malignomen erhöht sein (58, 67-71). Wir raten ab, zur Fieberursachensuche viele Serologien abzunehmen – eher Rücksprache mit der Spezialistin.

Was heisst «Fieber unklarer Ursache»?

Fieber wird dann als «Fever of unknown origin» (FUO) definiert, wenn es zumindest intermittierend ≥38.3°C für ≥3 Wochen und ohne erkennbare Ursache besteht, trotz intensiver Abklärungen (7, 57, 58, 60, 74-78). Bei FUO kommen über 200 Ursachen in Frage (57, 58, 77). In den letzten 50 Jahren wurden einst exotische Tests wie Thorax- und Abdomen (8)-CT immer mehr in die FUO-Routineabklärung hineingenommen, und seither sind FUO-Ursachen wie okkulte abdominelle Abszesse oder Hämatome viel seltener geworden. Sowieso sind infektiöse FUO-Ursachen seltener geworden, weil einst häufige Krankheiten wie Tuberkulose oder Typhus abdominalis heute selten sind. Infektionen, neoplastische und entzündliche Ursachen sind bei FUO heute ähnlich häufig (Box 2) (7, 58).

Und wenn bei FUO keine Ursache gefunden wird?

Das ist nicht so selten (bei bis zu 50 % der FUO-Patienten). Die Prognose ist meist günstig (oft Spontanremission) (57-60, 76).

Hat prolongiertes Fieber häufig eine infektiöse oder neoplastische Ursache?

Nein, siehe Box 2.

Und wenn das Fieber rezidivierend (periodisch, episodisch) ist?

Auch das spricht gegen Infektion oder Malignom als Ursache (79-81). Gelegentlich liegt ein sogenanntes autoinflammatorisches Syndrom vor (und nicht eine Autoimmunkrankheit). Die Charakteristika sind:

  • während der Fieberepisode: variable Symptome (82, 83)
  • zwischen den Episoden sind Patienten min. 1 Woche (meist Wochen bis Monate) fieberfrei und der Allgemeinzustand ist meist gut (arbeits- und leistungsfähig) (79-81, 83, 84)
  • Leukozyten und CRP/BSR können während der Fieberepisoden stark erhöht sein, im fieberfreien Intervall sind sie meist normal (81, 82)
  • Blutkulturen sind negativ

Wir empfehlen die Zuweisung zu einer erfahrenen Rheumatologin (81, 82, 85).

Kann eine venöse Thromboembolie (VTE; ­Lungenembolie oder tiefe Venenthrombose) Fieber verursachen?

Ja, bis 25 % der Patienten mit VTE haben Fieber (86-90) und Fieber «ohne Fokus» kann gelegentlich durch eine VTE verursacht sein (86, 90, 91). Bei VTE und Fieber sollen trotzdem andere Ursachen (Infektionen) evaluiert werden (86, 92). Fieber ist mit einem schlechteren VTE-Verlauf verbunden (Intensivstation, Mortalität); die Überwachung soll darum engmaschig sein (86, 89, 93). Bei Infekt mit persistierendem Fieber oder fehlendem Ansprechen auf Antibiotika: an VTE denken (86).

Kann ein Hämatom Fieber verursachen?

Ja (94-97). Je grösser das Hämatom, desto eher tritt Fieber auf (96). Auch eine intrazerebrale Blutung kann Fieber verursachen. «Zentrales» Fieber ist bei Patienten mit Hirnverletzungen häufig und prognostisch eher ungünstig (98, 99).

Soll ich bei Fieber Blutkulturen abnehmen?

Ein komplexes Thema. Bakteriämien treten in der Praxis selten auf (100). Vor allem sind «nur» 6-10 % aller Blutkulturen positiv und 40-50 % davon werden am Schluss als Kontaminanten interpretiert (101). Wir empfehlen Blutkulturen bei Immunsuppression, bei v.a. Endokarditis, intravaskulärem Fremdmaterial (z. B. künstliche Herzklappe), unklarem Fieber von >7 Tagen Dauer und – nun wird es subjektiv – bei schlechtem Allgemeinzustand oder wenn die Hausärztin eine Hospitalisation plant (101). Blutkulturen immer vor Antibiotika entnehmen, an unterschiedlichen Entnahmestellen und nach guter Desinfektion. Meist reichen 2×2 Blutkulturen (101, 102). Schon nach einer einzigen Antibiotikadosis nimmt die Sensitivität von Blut-, Sputum- und Urinkulturen sehr deutlich ab (101).

Wie oft ist ein Medikament die Fieberursache?

Medikamente sind eine wenig bekannte, unterdiagnostizierte, wichtige Differentialdiagnose (Box 4) (65, 77, 94, 103). Bis zu 10 % der hospitalisierten Patient/-innen entwickeln ein medikamenteninduziertes Fieber (7, 94, 104), teils schon nach einmaliger Einnahme (103).

Selbstinduziertes Fieber – gibt es das ­überhaupt?

Die Datenlage ist spärlich. In Studien kommt es relativ häufig vor: bis zu 3-9 % der Patient/-innen mit FUO (105-108) (Box 5). Weil man oft nicht daran denkt, ist die Diagnose eine Herausforderung; das Motiv der Patient/-innen bleibt meist unbekannt (106, 109).

Therapeutische Aspekte

Soll ich Fieber senken?

Es wurde nie eindeutig gezeigt, dass die Vorteile der Fiebersenkung deren Nachteile überwiegen (2, 110, 111). Daher: mit der Patientin reden. Wenn sie sich durch das Fieber nicht gestört fühlt, nicht reflexartig «die Zahl» (die erhöhte Temperatur per se) behandeln (6, 20, 112-114), sondern Antipyretika gezielt einsetzen: allfällige Myalgien lindern und so den Schlaf ermöglichen und das Wohlbefinden steigern – aber nicht zur früheren Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit (115). Zudem Antipyretika nur kurzfristig planen (tägliche Reevaluation) und massvoll dosieren, also nicht sofort 1g Paracetamol, sondern Beginn mit 500mg (116). Fiebersenkung über mehr als wenige Tage ist heikel: wichtiger ist die Ursachenfindung (117, 118).

Gibt es Hinweise, dass Fiebersenkung schädlich sein kann?

Fieber spielt eine wichtige Rolle in der Infektabwehr und ist eine physiologische Reaktion
(2, 7, 20, 21, 113, 118-123). Fieberhafte Infektionen könnten das Immunsystem in die günstigere T-Helfer-1 Richtung lenken, die ungünstigere T-Helfer-2 Konstellation senken, und so die Entstehung von gewissen chronischen Krankheiten reduzieren (124-126).
Klare Daten, dass Fiebersenkung schädlich ist, fehlen (2, 110, 111). Immerhin gibt es Hinweise, dass unter Antipyretika die Verkrustung von Hautläsionen bei Varizellen länger dauert (117), die Antikörperbildung bei viralem Schnupfen reduziert ausfällt (117, 127), und Malariaparasiten im Blut ca. 1 Tag länger nachweisbar sind (117, 128, 129).

Reduzieren Antipyretika die Impfantwort?

Manche Impfungen (z.B. Covid-19, Shingrix) verursachen in den ersten 24-48h relativ häufig systemische Nebenwirkungen (Fieber, Abgeschlagenheit). Die einen nehmen prophylaktisch Ibuprofen, andere raten abzuwarten, ob und bis Fieber auftritt. Antipyretika können die Immunantwort nach Impfungen tatsächlich etwas reduzieren (130), aber der Effekt (Antikörper-Titer mit/ohne Antipyretikum) scheint beschränkt (131-133).

Falls Fiebersenkung, ist ein bestimmtes ­Antipyretikum vorzuziehen?

Ibuprofen erlaubt möglicherweise leicht schnellere, längere und stärkere Fiebersenkung als Paracetamol. Das Nebenwirkungsprofil (Niereninsuffizienz, gastrointestinale Ulzera und Blutungen) spricht aber meist für Paracetamol als erste Wahl (20, 112, 117). Metamizol wird an Schweizer Spitälern unterschiedlich gehandhabt. Die einen verschreiben es niederschwellig, andere insistieren: Metamizol ist (wegen der seltenen Agranulozytose-Gefahr von ca. < 1: 10 000 (134)) nur indiziert als Reservemedikament (20, 134, 135). Lokal kühlende Massnahmen (Wadenwickel, Cold packs (auch auf das Abdomen)) können wir den Patientinnen anbieten, die sie angenehm finden (20, 117). Zusätzlich existieren in der Begleitung von Fieber verschiedene Möglichkeiten der Komplementärmedizin (136, 137).

Und bei Fieber auf der Intensivstation (Box 6)?

Ein komplexes Thema: Fieber könnte aufgrund des erhöhten Stoffwechsels eine Belastung darstellen, andererseits auf Sepsis hindeuten, zu rascher Antibiotikatherapie motivieren und so allenfalls die Mortalität senken (119). Fiebersenkung (Paracetamol 1g 4x täglich) hatte in einer grossen randomisierten Studie (700 Patienten) keine erkennbaren negativen Auswirkungen (110).

Worauf sollten Patient/-innen bei Fieber ­achten?

Auf körperliche Schonung (138, 139) und genügend Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr, v.a. bei Erbrechen oder Durchfall (140, 141). Wer sich stark geschwächt fühlt, darf und soll im Bett bleiben. Bettruhe kann allerdings, v.a. bei älteren Personen (138, 139, 142-144) und über mehrere Tage zu Rückenschmerzen, Muskelabbau, venösen Thromboembolien, Decubiti und orthostatischer Dysregulation und so zu Stürzen führen (138, 139, 142-144). Daher: Mobilisation so früh es geht, leichte Bewegung ist auch bei Fieberpersistenz nicht verboten: was guttut, ist OK, aber nicht überanstrengen (138, 139).

Soll ich bei Fieber empirisch Antibiotika ­geben? ­

Grundsätzlich nein und dies müssen wir unseren beunruhigten Patient/-innen gut kommunizieren (Box 1). Wichtiger ist die Ursachensuche. Wir entscheiden für oder gegen Antibiotika nicht aufgrund von Entzündungswerten, sondern aufgrund der klinischen Gesamtbeurteilung (67, 69-71, 73). Nur in speziellen Situationen ist eine rasche Antibiotikatherapie wichtig (6, 145-147): Fieber und Neutropenie, sehr schlechter Allgemeinzustand, Hypotonie und andere Zeichen einer Sepsis. Die Argumente gegen empirische Antibiotika sind gut bekannt (6, 146-148): Fieber wird oft durch Viren verursacht, wo Antibiotika nichts nützen; zunehmende Resistenzen; mögliche Nebenwirkungen (z.B. Diarrhoe, Clostridienkolitis, Schädigung des Mikrobioms) (146-148).

Und eine probatorische, kurzzeitige ­Steroidtherapie?

Dies kann bei Verdacht auf Polymyalgia Rheumatica erwogen werden. Wichtig: Neben Antibiotika können auch Steroide durch Fieber- und Beschwerdereduktion zu einer Verzögerung der Diagnose führen (57, 58, 60).

Das Wichtigste für die Praxis
• Fieber ist meist nicht gefährlich
• Fieber hat vielerlei Ursachen, viele davon sind nicht infektionsbedingt
• Fieber per se muss nicht gesenkt werden
• Fieber per se muss nicht antibiotisch behandelt werden
• Eine empirische antibiotische Therapie bei Fieber wird nur bei einem vorhandenen Fokus, in Neutropenie, bei schlechtem Allgemeinzustand und bei Sepsis empfohlen

BS Noemi R. Simon

Universitäres Zentrum für Innere Medizin und Infektiologie/Spitalhygiene
Kantonsspital Baselland
Bruderholz
Universität Basel

Dipl. Ärztin Yaël Hofmann

Universitäres Zentrum für Innere Medizin und Infektiologie/Spitalhygiene
Kantonsspital Baselland
Bruderholz
Universität Basel

Dr. med. Katia Boggian

Stv. Chefärztin
Leitung Konsiliardienst
Klinik für Infektiologie
Kantonsspital St.Gallen
Rorschacher Strasse 95
CH-9007 St.Gallen

katia.boggian@kssg.ch

Dr. med. Delphine Glinz

Allgemeine Innere Medizin FMH
4132 Muttenz BL

Dr. med. Caesar Gallmann

Allgemeine Innere Medizin FMH
CH-8804 Au / ZH

Dr. med. Gisela Etter

Allgemeine Innere Medizin FMH
FA Homöopathie (SVHA)
Richterswil ZH

Dr. med. Benedikt M. Huber

Zentrum für Integrative Pädiatrie
Klinik für Pädiatrie
HFR Fribourg – Kantonsspital, Fribourg

Prof. Dr. med. Philip Tarr

Universitäres Zentrum für Innere Medizin
Kantonsspital Baselland
4101 Bruderholz

philip.tarr@unibas.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Das Wichtigste für die Praxis
• Fieber ist meist nicht gefährlich
• Fieber hat vielerlei Ursachen, viele davon sind nicht infektionsbedingt
• Fieber per se muss nicht gesenkt werden
• Fieber per se muss nicht antibiotisch behandelt werden
• Eine empirische antibiotische Therapie bei Fieber wird nur bei einem vorhandenen Fokus, in Neutropenie, bei schlechtem Allgemeinzustand und bei Sepsis empfohlen

1. Obermeyer Z, Samra JK, Mullainathan S. Individual differences in normal body temperature: longitudinal big data analysis of patient records. Bmj 2017; 359: j5468. doi: 10.1136/bmj.j5468
2. UpToDate. Pathophysiology and treatment of fever in adults. Available at: https://www.uptodate.com/contents/pathophysiology-and-treatment-of-fever-in-adults?search=fever&source=search_result&selectedTitle=5~150&usage_type=default&display_rank=5. Accessed 20.04.2023.
3. Mackowiak PA, Wasserman SS, Levine MM. A critical appraisal of 98.6 degrees F, the upper limit of the normal body temperature, and other legacies of Carl Reinhold August Wunderlich. Jama 1992; 268(12): 1578-80. doi: 10.1001/jama.1992.03490120092034
4. Mackowiak PA, Bartlett JG, Borden EC, Goldblum SE, Hasday JD, Munford RS, Nasraway SA, Stolley PD, Woodward TE. Concepts of fever: recent advances and lingering dogma. Clin Infect Dis 1997; 25(1): 119-38. doi: 10.1086/514520
5. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Wie wird die Körpertemperatur geregelt und was ist Fieber? Available at: https://www.gesundheitsinformation.de/wie-wird-die-koerpertemperatur-geregelt-und-was-ist-fieber.html#:~:text=Die%20Temperatur%20im%20K%C3%B6rperinneren%20wird,W%C3%A4rme%20bildet%20und%20diese%20h%C3%A4lt. Accessed 20.04.2023.
6. Barone JE. Fever: Fact and fiction. J Trauma 2009; 67(2): 406-9. doi: 10.1097/TA.0b013e3181a5f335
7. Kochanek M, Piepereit A, Böll B, Shimabukuro-Vornhagen A, Hallek M. Diagnostisches Management von Fieber. (Diagnostic management of fever). Internist (Berl) 2018; 59(3): 218-26. doi: 10.1007/s00108-018-0383-8
8. Hess V. Der wohltemperierte Mensch: Wissenschaft und Alltag des Fiebermessens (1850-1900). 11-18. Campus Verlag, 2000.
9. Wunderlich CA. Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten III-V (Vorwort). O. Wigand, 1870.
10. Bramkamp M, Schneemann M. 38,4°C – wann ist Fieber? Chemotherapie Journal Vol. 16, 2007:163.
11. Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin e. V. Diagnsotik & Therapien. Chinesische Medizin hilft. Available at: https://www.tcm.edu/chinesische-medizin/therapieverfahren#:~:text=Die%20Diagnostik%20der%20Chinesischen%20Medizin,und%20k%C3%B6rperlicher%20St%C3%B6rungen%20des%20Menschen. Accessed 21.05.2024.
12. Sund-Levander M, Grodzinsky E. Time for a change to assess and evaluate body temperature in clinical practice. Int J Nurs Pract 2009; 15(4): 241-9. doi: 10.1111/j.1440-172X.2009.01756.x
13. Singler K, Bertsch T, Heppner HJ, Kob R, Hammer K, Biber R, Sieber CC, Christ M. Diagnostic accuracy of three different methods of temperature measurement in acutely ill geriatric patients. Age Ageing 2013; 42(6): 740-6. doi: 10.1093/ageing/aft121
14. Kohl KS, Marcy SM, Blum M, Connell Jones M, Dagan R, Hansen J, Nalin D, Rothstein E. Fever after immunization: current concepts and improved future scientific understanding. Clin Infect Dis 2004; 39(3): 389-94. doi: 10.1086/422454
15. Wunderlich CA. Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten 78-80. O. Wigand, 1870.
16. Bijur PE, Shah PD, Esses D. Temperature measurement in the adult emergency department: oral, tympanic membrane and temporal artery temperatures versus rectal temperature. Emerg Med J 2016; 33(12): 843-7. doi: 10.1136/emermed-2015-205122
17. Zhao Y, Bergmann JHM. Non-Contact Infrared Thermometers and Thermal Scanners for Human Body Temperature Monitoring: A Systematic Review. Sensors (Basel) 2023; 23(17). doi: 10.3390/s23177439
18. Foster J, Lloyd AB, Havenith G. Non-contact infrared assessment of human body temperature: The journal Temperature toolbox. Temperature (Austin) 2021; 8(4): 306-19. doi: 10.1080/23328940.2021.1899546
19. Chen Z, Wang H, Wang Y, Lin H, Zhu X, Wang Y. Use of non-contact infrared thermometers in rehabilitation patients: a randomized controlled study. J Int Med Res 2021; 49(1): 300060520984617. doi: 10.1177/0300060520984617
20. Kunitz O, Deller D. Fieber. In: Wilhelm W. Praxis der Intensivmedizin: konkret, kompakt, interdisziplinär. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2013:319-24.
21. Mackowiak PA. Concepts of fever. Arch Intern Med 1998; 158(17): 1870-81. doi: 10.1001/archinte.158.17.1870
22. Sund-Levander M, Forsberg C, Wahren LK. Normal oral, rectal, tympanic and axillary body temperature in adult men and women: a systematic literature review. Scand J Caring Sci 2002; 16(2): 122-8. doi: 10.1046/j.1471-6712.2002.00069.x
23. Levander MS, Grodzinsky E. Variation in Normal Ear Temperature. Am J Med Sci 2017; 354(4): 370-8. doi: 10.1016/j.amjms.2017.05.013
24. Kelly G. Body temperature variability (Part 1): a review of the history of body temperature and its variability due to site selection, biological rhythms, fitness, and aging. Altern Med Rev 2006; 11(4): 278-93. doi: PMID: 17176167
25. Harding C, Pompei F, Bordonaro SF, McGillicuddy DC, Burmistrov D, Sanchez LD. The daily, weekly, and seasonal cycles of body temperature analyzed at large scale. Chronobiol Int 2019; 36(12): 1646-57. doi: 10.1080/07420528.2019.1663863
26. Baker FC, Waner JI, Vieira EF, Taylor SR, Driver HS, Mitchell D. Sleep and 24 hour body temperatures: a comparison in young men, naturally cycling women and women taking hormonal contraceptives. J Physiol 2001; 530(Pt 3): 565-74. doi: 10.1111/j.1469-7793.2001.0565k.x
27. MSD Manual. Menstruationszyklus. Available at: https://www.msdmanuals.com/de/heim/gesundheitsprobleme-von-frauen/das-weibliche-fortpflanzungssystem/menstruationszyklus. Accessed 08.08.2023.
28. Hartgill TW, Bergersen TK, Pirhonen J. Core body temperature and the thermoneutral zone: a longitudinal study of normal human pregnancy. Acta Physiol (Oxf) 2011; 201(4): 467-74. doi: 10.1111/j.1748-1716.2010.02228.x
29. Planned Parenthood. What’s the temperature method of FAMs? Available at: https://www.plannedparenthood.org/learn/birth-control/fertility-awareness/whats-temperature-method-fams. Accessed 25.03.2024.
30. Mayo Clinic. Basal body temperature for natural family planning. Available at: https://www.mayoclinic.org/tests-procedures/basal-body-temperature/about/pac-20393026. Accessed 25.03.2024.
31. National Health Service. NHS. Natural family planning. Available at: https://www.nhs.uk/contraception/methods-of-contraception/natural-family-planning/. Accessed 25.03.2024.
32. Matta S, Arroyo A. Wie sicher ist die Verhütung mit Smartphone und Thermometer? SRF. 2019. Available at: https://www.srf.ch/news/panorama/pille-ade-wie-sicher-ist-die-verhuetung-mit-smartphone-und-thermometer.
33. Sexuelle Gesundheit Schweiz. SEX and FACTS. Die natürlichen Methoden der Geburtenregelung. Available at: https://sexandfacts.ch/de/schwangerschaftsverhuetung/die-natuerlichen-methoden. Accessed 25.03.2024.
34. Bouchama A, Knochel JP. Heat stroke. N Engl J Med 2002; 346(25): 1978-88. doi: 10.1056/NEJMra011089
35. Runge C. Leitsymptom: Fieber. Available at: https://www.springermedizin.de/emedpedia/detail/dgim-innere-medizin/leitsymptom-fieber?epediaDoi=10.1007%2F978-3-642-54676-1_271. Accessed 15.02.2024.
36. Balli S, Shumway KR, Sharan S. Physiology, Fever. StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing. Copyright © 2024, StatPearls Publishing LLC., 2024.
37. Cleveland Clinic. Hyperthermia. Available at: https://my.clevelandclinic.org/health/diseases/22111-hyperthermia. Accessed 25.02.2024.
38. Gleeson M. Temperature regulation during exercise. Int J Sports Med 1998; 19 Suppl 2: S96-9. doi: 10.1055/s-2007-971967
39. Laursen PB, Suriano R, Quod MJ, Lee H, Abbiss CR, Nosaka K, Martin DT, Bishop D. Core temperature and hydration status during an Ironman triathlon. Br J Sports Med 2006; 40(4): 320-5; discussion 5. doi: 10.1136/bjsm.2005.022426
40. Taylor L, Thornton HR, Lumley N, Stevens CJ. Alterations in core temperature during World Rugby Sevens Series tournaments in temperate and warm environments (†). Eur J Sport Sci 2019; 19(4): 432-41. doi: 10.1080/17461391.2018.1527949
41. González-Alonso J, Teller C, Andersen SL, Jensen FB, Hyldig T, Nielsen B. Influence of body temperature on the development of fatigue during prolonged exercise in the heat. J Appl Physiol (1985) 1999; 86(3): 1032-9. doi: 10.1152/jappl.1999.86.3.1032
42. Duffield R, Coutts AJ, Quinn J. Core temperature responses and match running performance during intermittent-sprint exercise competition in warm conditions. J Strength Cond Res 2009; 23(4): 1238-44. doi: 10.1519/JSC.0b013e318194e0b1
43. Linsell JD, Pelham EC, Hondula DM, Wardenaar FC. Hiking Time Trial Performance in the Heat with Real-Time Observation of Heat Strain, Hydration Status and Fluid Intake Behavior. Int J Environ Res Public Health 2020; 17(11). doi: 10.3390/ijerph17114086
44. Parker SM, Erin JR, Pryor RR, Khorana P, Suyama J, Guyette FX, Reis SE, Hostler D. The effect of prolonged light intensity exercise in the heat on executive function. Wilderness Environ Med 2013; 24(3): 203-10. doi: 10.1016/j.wem.2013.01.010
45. Mackowiak PA, Chervenak FA, Grünebaum A. Defining Fever. Open Forum Infect Dis 2021; 8(6): ofab161. doi: 10.1093/ofid/ofab161
46. Herold G. Innere Medizin. XII. 911. 50737 Köln: Dr. med. Gerd Herold, 2017.
47. CDC. Centers for Disease Control. Definitions of Symptoms for Reportable Illnesses. Available at: https://www.cdc.gov/quarantine/air/reporting-deaths-illness/definitions-symptoms-reportable-illnesses.html. Accessed 29.12.2023.
48. National Health Service Scotland. NHS inform. Fever in adults. Available at: https://www.nhsinform.scot/illnesses-and-conditions/infections-and-poisoning/fever-in-adults/. Accessed 29.12.2023.
49. World Health Organization. Fever measured temperature. Available at: https://www.who.int/data/gho/indicator-metadata-registry/imr-details/180. Accessed 29.12.2023.
50. Wunderlich CA. Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten. 198. O. Wigand, 1870.
51. Kiekkas P, Velissaris D, Karanikolas M, Aretha D, Samios A, Skartsani C, Baltopoulos GI, Filos KS. Peak body temperature predicts mortality in critically ill patients without cerebral damage. Heart Lung 2010; 39(3): 208-16. doi: 10.1016/j.hrtlng.2009.06.019
52. DeWitt S, Chavez SA, Perkins J, Long B, Koyfman A. Evaluation of fever in the emergency department. Am J Emerg Med 2017; 35(11): 1755-8. doi: 10.1016/j.ajem.2017.08.030
53. Holmqvist M, Inghammar M, Påhlman LI, Boyd J, Åkesson P, Linder A, Kahn F. Risk of bacteremia in patients presenting with shaking chills and vomiting – a prospective cohort study. Epidemiol Infect 2020; 148: e86. doi: 10.1017/s0950268820000746
54. Hermann S. Füessl MM. Duale Reihe: Anamnese und Klinische Untersuchung. 67-68. 70469 Stuttgart: Thieme, 2014.
55. Taniguchi T, Tsuha S, Shiiki S, Narita M. High positivity of blood cultures obtained within two hours after shaking chills. Int J Infect Dis 2018; 76: 23-8. doi: 10.1016/j.ijid.2018.07.020
56. Tokuda Y, Miyasato H, Stein GH, Kishaba T. The degree of chills for risk of bacteremia in acute febrile illness. Am J Med 2005; 118(12): 1417. doi: 10.1016/j.amjmed.2005.06.043
57. Brown I, Finnigan NA. Fever of Unknown Origin. StatPearls. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing. Copyright © 2023, StatPearls Publishing LLC., 2023.
58. Hersch EC, Oh RC. Prolonged febrile illness and fever of unknown origin in adults. Am Fam Physician 2014; 90(2): 91-6. doi: PMID: 25077578
59. medstandards.ch. Fever of unknown origin (FUO). Available at: http://medstandards.ch/. Accessed 12.10.2023.
60. UpToDate. Approach to the adult with fever of unknown origins. Available at: https://www.uptodate.com/contents/approach-to-the-adult-with-fever-of-unknown-origin?search=fever&source=search_result&selectedTitle=2~150&usage_type=default&display_rank=2. Accessed 23.04.2023.
61. von Braun A, Sommerstein R, Weber R, Fehr J. Pneumonie beim Erwachsenen. Teil 1: Die ambulant erworbene Pneumonie. Swiss Medical Forum 2014; 14(31-32): 560-5. doi: 10.5167/uzh-106645
62. Paules C, Subbarao K. Influenza. Lancet 2017; 390(10095): 697-708. doi: 10.1016/s0140-6736(17)30129-0
63. Ogoina D. Fever, fever patterns and diseases called ‚fever‘–a review. J Infect Public Health 2011; 4(3): 108-24. doi: 10.1016/j.jiph.2011.05.002
64. Cunha CB, Cunha BA. Brief history of the clinical diagnosis of malaria: from Hippocrates to Osler. J Vector Borne Dis 2008; 45(3): 194-9. doi:
65. Patel RA, Gallagher JC. Drug fever. Pharmacotherapy 2010; 30(1): 57-69. doi: 10.1592/phco.30.1.57
66. Mackowiak PA, LeMaistre CF. Drug fever: a critical appraisal of conventional concepts. An analysis of 51 episodes in two Dallas hospitals and 97 episodes reported in the English literature. Ann Intern Med 1987; 106(5): 728-33. doi: 10.7326/0003-4819-106-5-728
67. Bray C, Bell LN, Liang H, Haykal R, Kaiksow F, Mazza JJ, Yale SH. Erythrocyte Sedimentation Rate and C-reactive Protein Measurements and Their Relevance in Clinical Medicine. Wmj 2016; 115(6): 317-21. doi: PMID: 29094869
68. Furger P. Labor-SURF. 47, 57, 135-140, 166-167. Editions D&F, 2020.
69. Limper M, de Kruif MD, Duits AJ, Brandjes DP, van Gorp EC. The diagnostic role of procalcitonin and other biomarkers in discriminating infectious from non-infectious fever. J Infect 2010; 60(6): 409-16. doi: 10.1016/j.jinf.2010.03.016
70. Ehler J, Busjahn C, Schürholz T. Welche Biomarker zu Diagnosestellung und Steuerung der antiinfektiven Therapie bei Sepsis?. (Which biomarkers for diagnosis and guidance of anti-infection treatment in sepsis?). Anaesthesist 2022; 71(1): 3-11. doi: 10.1007/s00101-021-01067-7
71. Holtkamp C, Rahmel T. Laborchemische Parameter zur infektiologischen Diagnostik und Therapiesteuerung auf der Intensivstation. Anaesthesiologie & Intensivmedizin 2021; 62(11). doi: 10.19224/ai2021.501
72. Schuetz P, Müller B, Christ-Crain M, Stolz D, Tamm M, Bouadma L, Luyt CE, Wolff M, Chastre J, Tubach F, Kristoffersen KB, Burkhardt O, Welte T, Schroeder S, Nobre V, Wei L, Bhatnagar N, Bucher HC, Briel M. Procalcitonin to initiate or discontinue antibiotics in acute respiratory tract infections. Evid Based Child Health 2013; 8(4): 1297-371. doi: 10.1002/ebch.1927
73. Hamade B, Huang DT. Procalcitonin: Where Are We Now? Crit Care Clin 2020; 36(1): 23-40. doi: 10.1016/j.ccc.2019.08.003
74. Horowitz HW. Fever of unknown origin or fever of too many origins? N Engl J Med 2013; 368(3): 197-9. doi: 10.1056/NEJMp1212725
75. Vanderschueren S, Knockaert D, Adriaenssens T, Demey W, Durnez A, Blockmans D, Bobbaers H. From prolonged febrile illness to fever of unknown origin: the challenge continues. Arch Intern Med 2003; 163(9): 1033-41. doi: 10.1001/archinte.163.9.1033
76. Bleeker-Rovers CP, Vos FJ, de Kleijn E, Mudde AH, Dofferhoff TSM, Richter C, Smilde TJ, Krabbe PFM, Oyen WJG, van der Meer JWM. A prospective multicenter study on fever of unknown origin: the yield of a structured diagnostic protocol. Medicine (Baltimore) 2007; 86(1): 26-38. doi: 10.1097/MD.0b013e31802fe858
77. Hirschmann JV. Fever of unknown origin in adults. Clin Infect Dis 1997; 24(3): 291-300; quiz 1-2. doi: 10.1093/clinids/24.3.291
78. Kazanjian PH. Fever of unknown origin: review of 86 patients treated in community hospitals. Clin Infect Dis 1992; 15(6): 968-73. doi: 10.1093/clind/15.6.968
79. Lachmann HJ. Periodic fever syndromes. Best Pract Res Clin Rheumatol 2017; 31(4): 596-609. doi: 10.1016/j.berh.2017.12.001
80. Gaggiano C, Rigante D, Sota J, Grosso S, Cantarini L. Treatment options for periodic fever, aphthous stomatitis, pharyngitis, and cervical adenitis (PFAPA) syndrome in children and adults: a narrative review. Clin Rheumatol 2019; 38(1): 11-7. doi: 10.1007/s10067-018-4361-2
81. Sag E, Bilginer Y, Ozen S. Autoinflammatory Diseases with Periodic Fevers. Curr Rheumatol Rep 2017; 19(7): 41. doi: 10.1007/s11926-017-0670-8
82. Hoffman HM, Simon A. Recurrent febrile syndromes: what a rheumatologist needs to know. Nat Rev Rheumatol 2009; 5(5): 249-56. doi: 10.1038/nrrheum.2009.40
83. Schedel J, Bach B, Kümmerle-Deschner JB, Kötter I. Autoinflammatorische Syndrome/Fiebersyndrome. (Autoinflammatory syndromes/fever syndromes). Hautarzt 2011; 62(5): 389-401; quiz 2. doi: 10.1007/s00105-010-2124-3
84. Berger H, Hofmann Y, Wingeier B, Huber B, Boggian K, Hug-Batschelet H, Rosamilia C, Mosimann P, Bielicki J, Horvath L, Hotz M, Dettwiler A, Fluri S, Diana A, von Schön-Angerer T, Peters N, Merz A, Hetzel P, Simma L, Guggenheim R, Stöckli S, Cao Van H, Pandolfi F, Etter G, Gallmann C, Christinet V, Avoledo P, Rowedder A, Hasse B, Posfay-Barbe K, Senn L, Tarr P. Behandlung der Streptokokkenangina ohne Antibiotika. In: Primary and Hospital Care, 2021:360-7.
85. Turkish FMF Study Group. Familial Mediterranean fever (FMF) in Turkey: results of a nationwide multicenter study. Medicine (Baltimore) 2005; 84(1): 1-11. doi: 10.1097/01.md.0000152370.84628.0c
86. Pfister T, Nisslé S, Maurer C, Egli R, Rowedder A, Priard D, Staub D, Tsakiris D, Aujesky D, Tarr P. Infektion und Thrombose. Teil 1: Hintergrund. Primary and Hospital Care: Allgemeine Innere Medizin 2021. doi: 10.4414/phc-d.2021.10309
87. Stein PD, Afzal A, Henry JW, Villareal CG. Fever in acute pulmonary embolism. Chest 2000; 117(1): 39-42. doi: 10.1378/chest.117.1.39
88. Stein PD, Terrin ML, Hales CA, Palevsky HI, Saltzman HA, Thompson BT, Weg JG. Clinical, laboratory, roentgenographic, and electrocardiographic findings in patients with acute pulmonary embolism and no pre-existing cardiac or pulmonary disease. Chest 1991; 100(3): 598-603. doi: 10.1378/chest.100.3.598
89. Saad M, Shaikh DH, Mantri N, Alemam A, Zhang A, Adrish M. Fever is associated with higher morbidity and clot burden in patients with acute pulmonary embolism. BMJ Open Respir Res 2018; 5(1): e000327. doi: 10.1136/bmjresp-2018-000327
90. Calvo-Romero JM, Lima-Rodríguez EM, Pérez-Miranda M, Bureo-Dacal P. Low-grade and high-grade fever at presentation of acute pulmonary embolism. Blood Coagul Fibrinolysis 2004; 15(4): 331-3. doi: 10.1097/00001721-200406000-00007
91. Aburahma AF, Saiedy S. Deep vein thrombosis as probable cause of fever of unknown origin. W V Med J 1997; 93(1): 368-70. doi: PMID: 9123940
92. Miniati M, Bottai M, Monti S, Salvadori M, Serasini L, Passera M. Simple and accurate prediction of the clinical probability of pulmonary embolism. Am J Respir Crit Care Med 2008; 178(3): 290-4. doi: 10.1164/rccm.200802-207OC
93. Barba R, Di Micco P, Blanco-Molina A, Delgado C, Cisneros E, Villalta J, Morales MV, Bura-Riviere A, Debourdeau P, Monreal M. Fever and deep venous thrombosis. Findings from the RIETE registry. J Thromb Thrombolysis 2011; 32(3): 288-92. doi: 10.1007/s11239-011-0604-7
94. Labbus K, Junkmann JK, Perka C, Trampuz A, Renz N. Antibiotic-induced fever in orthopaedic patients-a diagnostic challenge. Int Orthop 2018; 42(8): 1775-81. doi: 10.1007/s00264-018-3909-8
95. Chmel H, Palmer JA, Eikman EA. Soft tissue hematoma as a cause of fever in the adult. Diagn Microbiol Infect Dis 1988; 11(4): 215-9. doi: 10.1016/0732-8893(88)90007-7
96. Hu T, Liu Q, Xu Q, Liu H, Feng Y, Qiu W, Huang F, Lv Y. Absorption fever characteristics due to percutaneous renal biopsy-related hematoma. Medicine (Baltimore) 2016; 95(37): e4754. doi: 10.1097/md.0000000000004754
97. Martin Egger DG. Fieber und Entzündungszeichen beim operierten Patienten. Swiss Med Forum 11(40): 701-6. doi: 10.4414/smf.2011.07637
98. Rincon F, Lyden P, Mayer SA. Relationship between temperature, hematoma growth, and functional outcome after intracerebral hemorrhage. Neurocrit Care 2013; 18(1): 45-53. doi: 10.1007/s12028-012-9779-9
99. Gillow SJ, Ouyang B, Lee VH, John S. Factors Associated with Fever in Intracerebral Hemorrhage. J Stroke Cerebrovasc Dis 2017; 26(6): 1204-8. doi: 10.1016/j.jstrokecerebrovasdis.2017.01.007
100. Laupland KB, Church DL. Population-based epidemiology and microbiology of community-onset bloodstream infections. Clin Microbiol Rev 2014; 27(4): 647-64. doi: 10.1128/cmr.00002-14
101. Osthoff M, Khanna N, Goldenberger D, Wüscher V, Flückiger U. Positive Blutkulturen: Interpretation und initiales Management. In: Swiss Medical Forum: EMH Media, 2016:59-67.
102. Weinstein MP. Current blood culture methods and systems: clinical concepts, technology, and interpretation of results. Clin Infect Dis 1996; 23(1): 40-6. doi: 10.1093/clinids/23.1.40
103. Eidenbenz D, Hirschel T, Schürmann G, Genné D. Fièvre médicamenteuse en médecine de premier recours liée aux médicaments les plus vendus en Suisse. (Drug fever among Swiss‘ most sold drugs in primary care). Rev Med Suisse 2019; 15(660): 1516-20. doi: PMID: 31496177
104. Johnson DH, Cunha BA. Drug fever. Infect Dis Clin North Am 1996; 10(1): 85-91. doi: 10.1016/s0891-5520(05)70287-7
105. Aduan RP, Fauci AS, Dale DC, Herzberg JH, Wolff SM. Factitious fever and self-induced infection: a report of 32 cases and review of the literature. Ann Intern Med 1979; 90(2): 230-42. doi: 10.7326/0003-4819-90-2-230
106. Petersdorf RG, Beeson PB. Fever of unexplained origin: report on 100 cases. Medicine (Baltimore) 1961; 40: 1-30. doi: 10.1097/00005792-196102000-00001
107. Fliege H, Scholler G, Rose M, Willenberg H, Klapp BF. Factitious disorders and pathological self-harm in a hospital population: an interdisciplinary challenge. Gen Hosp Psychiatry 2002; 24(3): 164-71. doi: 10.1016/s0163-8343(02)00171-8
108. Zenone T. Fever of unknown origin in adults: evaluation of 144 cases in a non-university hospital. Scand J Infect Dis 2006; 38(8): 632-8. doi: 10.1080/00365540600606564
109. Tatu L, Aybek S, Bogousslavsky J. Munchausen Syndrome and the Wide Spectrum of Factitious Disorders. Front Neurol Neurosci 2018; 42: 81-6. doi: 10.1159/000475682
110. Young P, Saxena M, Bellomo R, Freebairn R, Hammond N, van Haren F, Holliday M, Henderson S, Mackle D, McArthur C, McGuinness S, Myburgh J, Weatherall M, Webb S, Beasley R. Acetaminophen for Fever in Critically Ill Patients with Suspected Infection. N Engl J Med 2015; 373(23): 2215-24. doi: 10.1056/NEJMoa1508375
111. Holgersson J, Ceric A, Sethi N, Nielsen N, Jakobsen JC. Fever therapy in febrile adults: systematic review with meta-analyses and trial sequential analyses. Bmj 2022; 378: e069620. doi: 10.1136/bmj-2021-069620
112. Greisman LA, Mackowiak PA. Fever: beneficial and detrimental effects of antipyretics. Curr Opin Infect Dis 2002; 15(3): 241-5. doi: 10.1097/00001432-200206000-00005
113. Mackowiak PA. Physiological rationale for suppression of fever. Clin Infect Dis 2000; 31 Suppl 5: S185-9. doi: 10.1086/317511
114. Blumenthal I. Fever–concepts old and new. J R Soc Med 1997; 90(7): 391-4. doi: 10.1177/014107689709000708
115. Earn DJ, Andrews PW, Bolker BM. Population-level effects of suppressing fever. Proc Biol Sci 2014; 281(1778): 20132570. doi: 10.1098/rspb.2013.2570
116. UNION Schweizerischer komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen. «Die körpereigene Immunabwehr ist bei Fieber grundsätzlich aktiver. Die wahrscheinlich wichtigste Massnahme ist darum der Verzicht auf unnötige Antipyretika, welche die Immunreaktionen nachweislich unterdrücken können.». Available at: https://www.oegvh.at/wp-content/uploads/2020/04/Fieber.pdf. Accessed 21.04.2023.
117. Plaisance KI, Mackowiak PA. Antipyretic therapy: physiologic rationale, diagnostic implications, and clinical consequences. Arch Intern Med 2000; 160(4): 449-56. doi: 10.1001/archinte.160.4.449
118. von Schön-Angerer T, Tierny E, Wildhaber J, Tarr P, Huber B. Strategies to reduce antibiotic use with the help of complementary and integrative medicine. Revue Medicale Suisse 2020; 16(716): 2301-5. doi: PMID: 33237651
119. Young PJ, Saxena M, Beasley R, Bellomo R, Bailey M, Pilcher D, Finfer S, Harrison D, Myburgh J, Rowan K. Early peak temperature and mortality in critically ill patients with or without infection. Intensive Care Med 2012. doi: 10.1007/s00134-012-2478-3
120. Tschudin S, Orasch C, Flückiger U. Fieber gefährlich oder auch nützlich? In: Swiss Medical Forum: EMH Media, 2009:207-11.
121. Walter EJ, Hanna-Jumma S, Carraretto M, Forni L. The pathophysiological basis and consequences of fever. Crit Care 2016; 20(1): 200. doi: 10.1186/s13054-016-1375-5
122. Harden LM, Kent S, Pittman QJ, Roth J. Fever and sickness behavior: Friend or foe? Brain Behav Immun 2015; 50: 322-33. doi: 10.1016/j.bbi.2015.07.012
123. Evans SS, Repasky EA, Fisher DT. Fever and the thermal regulation of immunity: the immune system feels the heat. Nat Rev Immunol 2015; 15(6): 335-49. doi: 10.1038/nri3843
124. Martin DD. Fever: Views in Anthroposophic Medicine and Their Scientific Validity. Evid Based Complement Alternat Med 2016; 2016: 3642659. doi: 10.1155/2016/3642659
125. Mahesh S, van der Werf E, Mallappa M, Vithoulkas G, Lai NM. Long-term health effects of antipyretic drug use in the ageing population: protocol for a systematic review. F1000Res 2020; 9: 1288. doi: 10.12688/f1000research.27145.1
126. Vithoulkas G, Carlino S. The „continuum“ of a unified theory of diseases. Med Sci Monit 2010; 16(2): Sr7-15. doi: PMID: 20110932
127. Graham NM, Burrell CJ, Douglas RM, Debelle P, Davies L. Adverse effects of aspirin, acetaminophen, and ibuprofen on immune function, viral shedding, and clinical status in rhinovirus-infected volunteers. J Infect Dis 1990; 162(6): 1277-82. doi: 10.1093/infdis/162.6.1277
128. Brandts CH, Ndjavé M, Graninger W, Kremsner PG. Effect of paracetamol on parasite clearance time in Plasmodium falciparum malaria. Lancet 1997; 350(9079): 704-9. doi: 10.1016/s0140-6736(97)02255-1
129. Krudsood S, Tangpukdee N, Wilairatana P, Pothipak N, Duangdee C, Warrell DA, Looareesuwan S. Intravenous ibuprofen (IV-ibuprofen) controls fever effectively in adults with acute uncomplicated Plasmodium falciparum malaria but prolongs parasitemia. Am J Trop Med Hyg 2010; 83(1): 51-5. doi: 10.4269/ajtmh.2010.09-0621
130. Sylvester JE, Buchanan BK, Silva TW. Infectious Mononucleosis: Rapid Evidence Review. Am Fam Physician 2023; 107(1): 71-8. doi: PMID: 36689975
131. Brown C, Daly S. Do prophylactic antipyretics reduce the efficacy of vaccinations in children? Evidence-Based Practice 2020; 23(2): 44-6. doi: 10.1097/EBP.0000000000000629
132. Das RR, Panigrahi I, Naik SS. The effect of prophylactic antipyretic administration on post-vaccination adverse reactions and antibody response in children: a systematic review. PLoS One 2014; 9(9): e106629. doi: 10.1371/journal.pone.0106629
133. Sil A, Ravi MD, Patnaik BN, Dhingra MS, Dupuy M, Gandhi DJ, Dhaded SM, Dubey AP, Kundu R, Lalwani SK, Chhatwal J, Mathew LG, Gupta M, Sharma SD, Bavdekar SB, Rout SP, Jayanth MV, D‘Cor NA, Mangarule SA, Ravinuthala S, Reddy EJ. Effect of prophylactic or therapeutic administration of paracetamol on immune response to DTwP-HepB-Hib combination vaccine in Indian infants. Vaccine 2017; 35(22): 2999-3006. doi: 10.1016/j.vaccine.2017.03.009
134. compendium.ch. Metamizol Spirig HC® Tropfen zum Einnehmen. Available at: https://compendium.ch/product/1363114-metamizol-spirig-hc-tropfen-500-mg-ml/mpro. Accessed 30.08.2023.
135. Liechti ME. Metamizol: Nutzen und Risiken im Vergleich zu Paracetamol und NSAR. Swiss Med Forum 2017; 17(48): 1067-73. doi: 10.4414/smf.2017.03098
136. Thinesse-Mallwitz M, Maydannik V, Keller T, Klement P. A Homeopathic Combination Preparation in the Treatment of Feverish Upper Respiratory Tract Infections: An International Randomized Controlled Trial. Forsch Komplementmed 2015; 22(3): 163-70. doi: 10.1159/000430762
137. Falch B, Simmen L. Phytotherapie – eine unterschätzte Therapieoption. KinderärzteSchweiz 2020; 01: 24-5. doi:
138. Friman G, Wesslén L. Special feature for the Olympics: effects of exercise on the immune system: infections and exercise in high-performance athletes. Immunol Cell Biol 2000; 78(5): 510-22. doi: 10.1111/j.1440-1711.2000.t01-12-.x
139. Dick NA, Diehl JJ. Febrile illness in the athlete. Sports Health 2014; 6(3): 225-31. doi: 10.1177/1941738113508373
140. Mayo Clinic. Dehydration. Available at: https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/dehydration/symptoms-causes/syc-20354086. Accessed 18.06.2023.
141. Cheshire WP, Jr. Thermoregulatory disorders and illness related to heat and cold stress. Auton Neurosci 2016; 196: 91-104. doi: 10.1016/j.autneu.2016.01.001
142. Bisset I. The Effect of Bed Rest on Older People. 2017. doi: 10.13140/RG.2.2.18534.22083
143. Mulavara AP, Peters BT, Miller CA, Kofman IS, Reschke MF, Taylor LC, Lawrence EL, Wood SJ, Laurie SS, Lee SMC, Buxton RE, May-Phillips TR, Stenger MB, Ploutz-Snyder LL, Ryder JW, Feiveson AH, Bloomberg JJ. Physiological and Functional Alterations after Spaceflight and Bed Rest. Med Sci Sports Exerc 2018; 50(9): 1961-80. doi: 10.1249/mss.0000000000001615
144. Winkelman C. Bed rest in health and critical illness: a body systems approach. AACN Adv Crit Care 2009; 20(3): 254-66. doi: 10.1097/NCI.0b013e3181ac838d
145. Evans L, Rhodes A, Alhazzani W, Antonelli M, Coopersmith CM, French C, Machado FR, McIntyre L, Ostermann M, Prescott HC, Schorr C, Simpson S, Wiersinga WJ, Alshamsi F, Angus DC, Arabi Y, Azevedo L, Beale R, Beilman G, Belley-Cote E, Burry L, Cecconi M, Centofanti J, Coz Yataco A, De Waele J, Dellinger RP, Doi K, Du B, Estenssoro E, Ferrer R, Gomersall C, Hodgson C, Hylander Møller M, Iwashyna T, Jacob S, Kleinpell R, Klompas M, Koh Y, Kumar A, Kwizera A, Lobo S, Masur H, McGloughlin S, Mehta S, Mehta Y, Mer M, Nunnally M, Oczkowski S, Osborn T, Papathanassoglou E, Perner A, Puskarich M, Roberts J, Schweickert W, Seckel M, Sevransky J, Sprung CL, Welte T, Zimmerman J, Levy M. Surviving Sepsis Campaign: International Guidelines for Management of Sepsis and Septic Shock 2021. Crit Care Med 2021; 49(11): e1063-e143. doi: 10.1097/ccm.0000000000005337
146. Krüger K, Töpfner N, Berner R, Windfuhr J, Oltrogge JH. Clinical Practice Guideline: Sore Throat. Dtsch Arztebl Int 2021; 118(11): 188-94. doi: 10.3238/arztebl.m2021.0121
147. Harrison RF, Ouyang H. Fever and the rational use of antimicrobials in the emergency department. Emerg Med Clin North Am 2013; 31(4): 945-68. doi: 10.1016/j.emc.2013.07.007
148. Hofmann Y, Berger H, Wingeier B, Huber B, Boggian K, Hug-Batschelet H, Rosamilia C, Mosimann P, Bielicki J, Horvath L, Hotz M, Dettwiler A, Avoledo P, Rowedder A, Hasse B, Posfay-Barbe K, Senn L, Tarr P. Behandlung der Streptokokken-Angina. 2019. doi: 10.4414/smf.2019.08092
149. van Zanten AR, Dixon JM, Nipshagen MD, de Bree R, Girbes AR, Polderman KH. Hospital-acquired sinusitis is a common cause of fever of unknown origin in orotracheally intubated critically ill patients. Crit Care 2005; 9(5): R583-90. doi: 10.1186/cc3805
150. AbuRahma AF, Saiedy S, Robinson PA, Boland JP, Cottrell DJt, Stuart C. Role of venous duplex imaging of the lower extremities in patients with fever of unknown origin. Surgery 1997; 121(4): 366-71. doi: 10.1016/s0039-6060(97)90305-6
151. Vodovar D, Le Beller C, Lillo-Le-Louet A, Hanslik T, Megarbane B. Fièvre médicamenteuse : un diagnostic à ne pas oublier. (Drug-induced fever: a diagnosis to remember). Rev Med Interne 2014; 35(3): 183-8. doi: 10.1016/j.revmed.2013.02.023
152. Kapfhammer HP. Artifizielle Störungen. (Factitious disorders). Nervenarzt 2017; 88(5): 549-70. doi: 10.1007/s00115-017-0337-8
153. Rigante D, Rossodivita A, Cantarini L. Unmasking an obstinate fever. Isr Med Assoc J 2014; 16(5): 326-8. doi:
154. O‘Grady NP, Alexander E, Alhazzani W, Alshamsi F, Cuellar-Rodriguez J, Jefferson BK, Kalil AC, Pastores SM, Patel R, van Duin D, Weber DJ, Deresinski S. Society of Critical Care Medicine and the Infectious Diseases Society of America Guidelines for Evaluating New Fever in Adult Patients in the ICU. Crit Care Med 2023; 51(11): 1570-86. doi: 10.1097/ccm.0000000000006022

Der assistierte Suizid in der Schweiz (Teil 2)

Im 5-Jahres-Zeitraum 2018–2022 kam es nach Angaben des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik (BFS) in der Schweiz zu 6608 assistierten Suiziden; von diesen erfolgte in 4766 Fällen (72%) die Suizidbegleitung durch Mitarbeiter der grössten Sterbehilfeorganisation EXIT. Nach den Daten von EXIT bildet die altersbedingte Multimorbidität mit 27 % aller Fälle nach den Krebserkrankungen die zweithäufigste Krankheitsgruppe beim assistierten Suizid. Aus formalen Gründen kann dieser symptomorientierte assistierte Alterssuizid in der ICD-basierten Todesursachenstatistik des BFS nicht adäquat erfasst werden. Diese «Statistikschwachstelle» führt dazu, dass die Schweiz zu dem medizinethisch und gesellschaftspolitisch kontrovers diskutierten Phänomen des assistierten Alterssuizids keine zuverlässigen Daten vorlegen kann. Es wäre daher angezeigt, ein nationales Register einzurichten, welches alle Fälle des assistierten Suizids präzise dokumentiert und kritisch begleitet.

Schlüsselwörter: Assistierter Suizid, Alterssuizid, Sterbehilfeorganisation, nationale Gesundheitsregister

Einleitung

Im zweiten Teil unserer Abhandlung zur Langzeitentwicklung der Fälle von assistierten Suiziden in der Schweiz wenden wir uns dem assistierten Alterssuizid zu. Diese Fälle sind nicht zu vernachlässigen, bilden sie doch seit vielen Jahren die nach Krebserkrankungen zweitgrösste Krankheitsgruppe unter den Fällen von assistiertem Suizid. Diese Fälle sind den symptomorientierten assistierten Suiziden zuzuordnen, d.h., zum Zeitpunkt des Todes lag keine Erkrankung vor, die in absehbarer Zeit auch zum natürlichen Tod geführt hätte. Da der assistierte Alterssuizid bisher weder national noch international mit der geltenden ICD-Klassifikation codiert werden kann, werden diese Fälle auch nicht adäquat in der vom Schweizerischen Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichten Todesursachenstatistik abgebildet. In der Schweiz liegen damit zu dem medizinethisch und gesellschaftspolitisch brisanten Thema «assistierter Alterssuizid» keine «offiziellen» Daten vor.

Der assistierte Suizid in der Schweizer Todesursachenstatistik

Die vom BFS jährlich veröffentlichte Todesursachenstatistik ist eine obligatorische Vollerhebung und basiert auf den Angaben der Zivilstandsämter und der die Todesfälle meldenden Ärzte (Todesfallbescheinigung) (1). Die Daten liefern einen Überblick über das Sterbegeschehen und dokumentieren die Ursachen der Sterblichkeit in der Schweiz. Sie lassen Veränderungen im Zeitverlauf erkennen und geben Hinweise, durch welche präventiven oder medizinisch-kurativen Massnahmen sich die Lebenserwartung der Bevölkerung verbessert hat bzw. diese in der Zukunft weiter erhöht werden könnte. Erfasst werden dabei alle verstorbenen Personen der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz. Die Erhebung umfasst neben Angaben zu Alter, Geschlecht, Zivilstand, Beruf, Wohngemeinde und Staatsangehörigkeit des Verstorbenen auch die Todesursachen; letztere werden nach der derzeit gültigen durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD; bis anhin Version ICD-10) erfasst (2). Da es bis heute in der ICD-Klassifikation keinen eigenen Code für den assistierten Suizid gibt, hat das BFS diese Fälle anfangs als Selbstmord durch Vergiftung eingestuft. Seit 2009 wurden die Fälle mit assistiertem Suizid dann durchgehend mit dem Code X61.8 als Begleitumstand des Todesfalls erfasst. Dabei handelte es sich um eine durch das BFS vorgenommene, das heisst auch nur in der Schweiz so praktizierte Erweiterung des bestehenden ICD-10-Codes X61 («Vorsätzliche Selbstvergiftung durch und Exposition gegenüber Antiepileptika, Hypnotika, Antiparkinsonmittel[n] und psychotrope[n] Substanzen») (3–8).

Die Daten zur Todesursache, welche in die Statistiken des BFS eingehen, stammen aus den Angaben der Sterbeurkunden. In diesem Dokument werden die Todesursachen von den Ärzten/Ärztinnen aus der Rechtsmedizin bzw. vom amtsärztlichen Dienst, welche die Todesfälle untersuchen, hinterlegt. Dazu liegt ihnen in fast allen Fällen ein von den Sterbehilfeorganisationen zusammengestelltes Dossier vor, welches auch die ärztlichen Berichte derjenigen, die den Sterbewilligen das tödliche Medikament rezeptiert haben, enthält. In diesen Berichten werden relevante Inhalte der Konsultationen und Beratungsgespräche festgehalten. Dokumentiert ist neben der dem Sterbewunsch zugrunde liegenden Erkrankung bzw. Situation auch eine Einschätzung über die vorhandene Urteilsfähigkeit desjenigen, der um die Sterbehilfe ersucht, sowie die Feststellung, dass der Wunsch zu sterben wohlerwogen, dauerhaft und ohne äusseren Druck entstanden ist. Bei bestimmten Indikationen, z.B. bei assistierten Suiziden wegen psychiatrischen Erkrankungen, liegen zudem in der Regel fachpsychiatrische Gutachten vor (7).

Das ICD-Regelwerk der WHO definiert diejenige Krankheit als Todesursache, welche am Anfang des zum Tode führenden Verlaufs steht. In diesem Sinne ist der assistierte Suizid in der Regel die Ultima Ratio am Ende eines schweren Krankheitsverlaufs (9). Wenn als Hauptkriterium zur Gewährung der Sterbehilfe das terminal illness requirement erfüllt ist, erlaubt diese Klassifikationspraxis in den meisten Fällen auch eine eindeutige Erfassung des Falles. Als Beispiel dazu können die Fälle angeführt werden, bei denen der assistierte Suizid im Spätstadium einer fortgeschrittenen Krebserkrankung erfolgt. Mit einer eher symp­tomorientierten Ausweitung der Einschlusskriterien, die auch einen Zustand «unerträglichen Leidens» als Rechtfertigung zum assistierten Suizid akzeptiert, stösst die ICD-Klassifikation aber an ihre Grenzen. Schon bei chronischen Schmerzsyndromen (z.B. schwere rheumatische Erkrankungen, Polyneuropathie) oder Erkrankungen, die sich mit neurologisch bedingten schweren Einschränkungen der Mobilität bis hin zu Lähmungen manifestieren (z.B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Zustand nach Schlaganfall, Unfallfolgen mit Tetraplegie), ist die ICD-Klassifikation kaum in der Lage, den Hintergrund des assistierten Suizids bzw. die Motivation des Sterbewilligen ausreichend darzustellen (7, 8). Die genannten Erkrankungen stellen in der Regel schwere, invalidisierende chronische Erkrankungen dar. Diese bedeuten für die betroffenen Patienten einen hohen Leidensdruck, meistens ohne Hoffnung auf eine Besserung ihrer Situation. Direkte Todesursachen im Sinne der Todesursachenstatistik sind sie aber nicht.

Der assistierte Alterssuizid, eine «unsichtbare» Entität in der Todesursachenstatistik

EXIT, die grösste Schweizer Sterbehilfeorganisation, unterstützt seit Jahren den «Altersfreitod» für Menschen in Fällen, «wenn die Summe ihrer Schmerzen und Gebrechen als unerträglicher Leidenszustand» empfunden wird (10, 11). Beim assistierten Alterssuizid scheitert das ICD-basierte Klassifikationssystem aber nun vollends. Hier liegen dem Sterbewunsch eine Vielzahl von Einflussfaktoren zugrunde: körperlich bedingte wie eine eingeschränkte Mobilität und ein vermindertes Seh- und Hörvermögen, aber auch soziale Faktoren wie eine Heimunterbringung oder die Einsamkeit nach Verlust des Ehepartners oder von Freunden (12–18). In manchen Fällen mögen auch finanzielle Aspekte, z.B. die Kosten eines langjährigen Aufenthalts in einer Pflegeeinrichtung, und generell das Gefühl, den Angehörigen nur noch «eine Last» zu sein (19), bei der Entscheidung, sterben zu wollen, eine Rolle spielen.

Wie sollte ein medizinisches Diagnosesystem wie das ICD gar das Gefühl eines Hochbetagten abbilden, der sein Leben gelebt hat und, jetzt «lebenssatt», aus dem Leben scheiden möchte? Welcher Code drückt eine Lebenssituation aus, in der die Aussicht auf die Zukunft bedeutet, dass die bereits jetzt vorhandenen Beschwerden, Einschränkungen und Abhängigkeiten sich nie wieder bessern, sondern sich im Gegenteil sogar verschlimmern werden?

Die ICD-Klassifikation kann bereits das natürliche Sterben eines hochbetagten, gebrechlichen und multimorbiden Menschen ohne assistierten Alterssuizid kaum adäquat abbilden. Der «Tod an Altersschwäche» ist in der ICD-10-Klassifikation gar nicht als eigenständiger Code für eine Todesursache vorgesehen, und die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, 20) wird bei Todesfällen nicht festgehalten. Dementsprechend kann für den assistierten Alterssuizid die für den Sterbewunsch zugrunde liegende «Kumulation von Altersbeschwerden» in der Todesursachenstatistik auch nicht erfasst werden. Wenn man derzeit die Fälle des assistierten Alterssuizids in einer ICD-basierten Todesfallstatistik erfassen will, muss in Ermangelung einer Codierungsmöglichkeit irgendeine der bei dem jeweiligen Patienten vorliegenden Erkrankungen als zugrunde liegend erfasst werden (7, 8). Hier ist es bei hochbetagten, multimorbiden Patienten auch meist pro­blemlos möglich, je nach klinischer Gewichtung, eine der bestehenden Erkrankungen praktisch als Stellvertreter für die «Kumulation von Altersbeschwerden» anzugeben. Eine Analyse der vom BFS erfassten nicht krebsbedingten Fälle mit assistiertem Suizid der Jahre 2018–2022 – diese machen etwa 60 % der Fälle aus – zeigt, dass die Mehrheit dieser Menschen zum Zeitpunkt ihres Todes im 9. Lebensjahrzehnt standen (medianes Alter: 84 Jahre). So betrug zum Beispiel in den Kategorien «Herz-Kreislauf-Erkrankungen» (11.7 % aller assistierten Suizide), «Muskuloskelettale Erkrankungen» (10 % aller assistierten Suizide) und «Andere Erkrankungen» (12.7 % aller assistierten Suizide) das mediane Alter zum Zeitpunkt des Todes jeweils 86 Jahre. Zweifellos muss eine beträchtliche Zahl dieser Fälle dem Alterssuizid zugeordnet werden.

Der hohe Anteil des Alterssuizids in der Schweiz kann auch noch über eine Analyse der Geschlechterverteilung der Sterbehilfefälle rückgeschlossen werden. In der Schweiz besteht seit mehr als 20 Jahren bei den assistierten Suiziden ein «Frauenüberhang». Der Anteil von Frauen an Sterbehilfefällen liegt konstant bei 57–58 % (4, 21). Ein Vergleich mit anderen Ländern, die ebenfalls eine lange Sterbehilfetradition bzw. einen ähnlich hohen Prozentsatz von Sterbehilfefällen an der Gesamtzahl aller Todesfälle haben, zeigt, dass diese über die Jahre hinweg konstant eine nahezu ausgeglichene Geschlechterverteilung, sogar mit einer leichten Mehrheit an Männern, aufweisen (entsprechende Daten des Jahres 2022 für Männer in den Niederlanden: 50.6 % aller Sterbehilfefälle, in Belgien: 50.4 %, in Kanada: 51.4 %; in den US-Staaten Kalifornien: 51.6 %, Washington: 53 %, Oregon: 49.6 %) (22–27). Gleichzeitig liegt der Anteil krebsbedingter Fälle bezogen auf die Gesamtzahl aller Sterbehilfefälle in diesen Ländern bzw. US-Bundesstaaten mit 55–65 % deutlich höher als der entsprechende Schweizer Vergleichswert von 40 %. Schweizer Daten der Jahre 2018–2022 machen den Einfluss des Anteils krebsbedingter assistierter Suizide auf die Geschlechterverteilung bei der Suizidhilfe deutlich (28):

  • Männer sterben häufiger an Krebs als Frauen (im oben genannten 5-Jahres-Zeitraum: männlich: n = 46 666 vs. weiblich: n = 38 916); die Rate der krebsbedingten Todesfälle in Bezug zur Gesamtzahl aller Todesfälle lag bei Männern bei 27 %, bei Frauen lag diese Rate bei 21 %.
  • Innerhalb der assistierten Suizide betrug der Anteil krebsbedingter Sterbehilfefälle bei Männern 46 %, der der Frauen lediglich 35 %.

Der hohe Anteil männlich dominierter krebsbedingter Fälle führt zu einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung innerhalb der Sterbehilfefälle. Anders als im internationalen Vergleich gilt dann für die Schweiz: je höher der Anteil nicht krebsbedingter Suizidhilfefälle, desto höher der Anteil an Frauen. Dass eine niedrige Rate krebsbedingter Fälle als Surrogatmarker für eine hohe Rate an assistiertem Alterssuizid herangezogen werden kann, macht ein Vergleich der BFS-Daten der Jahre 2018–2022 mit denen von EXIT deutlich. In diesem 5-Jahres-Zeitraum erfolgten in der Schweiz 6608 assistierte Suizide; von diesen erfolgte in 4766 Fällen (72 %) die Suizidbegleitung durch Mitarbeiter von EXIT. Der Verein EXIT publiziert seit 1987 die Anzahl der jährlich von ihm betreuten Sterbehilfefälle; seit 2010 berichtet der Verein auch die den assistierten Suiziden zugrunde liegenden Krankheiten bzw. Situationen (21). Anders als die rein ICD-basierte Todesursachenstatistik des BFS präsentiert EXIT diese Daten aber in einer Mischung aus krankheitsspezifischen und symptomorientierten Kategorien. Die »klassische» krankheitsspezifische und damit auch ICD-kompatible Kategorie betrifft die Krebserkrankungen. Nicht überraschend zeigen sich trotz unterschiedlicher Klassifikationspraxen hier weitgehend übereinstimmende Zahlen (BFS: 39 % aller assistierten Suizide; EXIT: 36 % aller von ihnen geleisteten Freitodbegleitungen, Abb. 1). Wenn der Sterbewunsch aber nicht auf fassbaren, in absehbarer Zeit zum natürlichen Tod führenden Erkrankungen beruhte, sondern eher auf symptomorientierten Beschwerden, so wurden diese Fälle in den EXIT-Statistiken in eigenen Kategorien zusammengefasst. Eine klar symptomorientierte Kategorie, das «chronische Schmerzsyndrom», stellt mit 10 % der Fälle die vierthäufigste Kategorie in der EXIT-Statistik dar. Die «Polymorbidität» machte sogar mehr als ein Viertel der Suizidhilfefälle aus; das mit 89 Jahren hohe mediane Alter der Menschen, deren assistierter Suizid in dieser Kategorie zusammengefasst wurde, verdeutlicht, dass hier im Wesentlichen das Phänomen des assistierten Alterssuizids abgebildet ist.

(Abb. 1) Die Gegenüberstellung beider Klassifikationssysteme zeigt, dass eine reine ICD-basierte Todesursachenstatistik keine klar nachvollziehbare und allen Fällen gerecht werdende Codierung leisten kann; die Klassifikation in «Stellvertreter»-Kategorien führt dann eher zu einer den wahren Sachverhalt verschleiernden Chiffrierung. Dieses könnte man verschmerzen, wenn diese Fehldokumentationen nur wenige Einzelfälle beträfen. Es betrifft aber etwa die Hälfte aller Fälle mit Suizidhilfe in der Schweiz (7, 8). Die Klassifikationsproblematik stellt also keine vernachlässigbare theoretisch-akademische «Statistikschwachstelle» dar. Sie führt dazu, dass die Schweiz in einer wichtigen gesellschaftlichen und essenziellen medizinethischen Kontroverse, nämlich der Frage, wie Fälle von Patienten behandelt werden sollen, die nicht an einer in naher Zukunft zum Tode führenden Erkrankung leiden, aber dennoch aufgrund ihrer für sie als unerträglich empfundenen Leidenssituation Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchten, über keine genügenden Daten verfügt (7, 8).

Notwendigkeit eines zentralen Registers für assistierte Suizide

Insbesondere das in ICD-basierten, d.h. krankheitsorientierten Statistiken «unsichtbare» Phänomen des assistierten Alterssuizids verdient es aber, in den nächsten Jahren zuverlässiger erfasst zu werden. Die ICD-basierte offizielle schweizerische Todesursachenstatistik des BFS kann dieses Phänomen noch nicht adäquat abbilden, und die von EXIT publizierten Daten umfassen lediglich etwa drei Viertel aller in der Schweiz erfolgten Sterbehilfefälle. Die anderen in der Schweiz aktiven Sterbehilfeorganisationen publizieren keine detaillierten Daten hinsichtlich der von ihnen begleiteten Suizide. Diese Schwachstelle macht deutlich, dass die Schweiz ein nationales Register einrichten sollte, in dem die derzeit noch ausschliesslich bei den Amtsärzten bzw. in den rechtsmedizinischen Instituten archivierten Unterlagen zu den jeweiligen Sterbehilfefällen gesammelt und zentral nach einheitlichen Kriterien ausgewertet werden. Die Organisation eines solchen Registers läge dann wohl eher nicht beim BFS, sondern beim Bundesamt für Gesundheit. Die Jahresberichte aus Kanada und den Niederlanden zeigen exem­plarisch, wie ausführlich und auf welch hohem Niveau dort die Zahlen zur Sterbehilfe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (23, 24). Offenbar besteht in diesen Ländern, anders als in der Schweiz, die Auffassung, dass der Staat und seine Organe mit der Legalisierung der Sterbehilfe auch eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen muss, dieses Phänomen sorgfältig zu dokumentieren, kritisch zu begleiten und, wenn nötig, auch zu steuern.
Tab. 1 zeigt einen Vorschlag, die Fälle des assistierten Suizids in sieben Kategorien, krankheits- und symptomorientiert, systematisch in einem Register zu erfassen. Auch mit diesem System kann es in Einzelfällen schwierig sein, eine eindeutige Zuordnung in eine der Kategorien vorzunehmen. Es gibt Erkrankungen und Zustände, deren komplexe Symptomatik Überschneidungen der Kategorien beinhalten. So besteht zum Beispiel ein gewisser Interpretationsspielraum, ob Fälle von Patienten, bei denen der assistierte Suizid im Rahmen einer Polyneuropathie oder schweren immobilisierenden rheumatischen Erkrankungen der Kategorie 3 (assistierter Suizid bei schweren neurologisch bedingten Symptomen) oder der Kategorie 5 (Chronische Schmerzzustände) zuzuordnen sind. Grundsätzlich bildet dieses System in Kombination mit krankheitsspezifischen ICD-Codes aber ein einfach anzuwendendes Instrument, das es erlaubt, das Phänomen des assistierten Suizids weit umfangreicher und aussagekräftiger abzubilden, als es mit der derzeit gültigen ICD-Klassifikation allein möglich ist.

Key Messages
• In der Schweiz erfolgen 25–30 % der assistierten Suizide wegen altersbedingter Multimorbidität.
• Aus formalen Gründen können diese symptomorientierten Sterbehilfefälle in der ICD-basierten Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik aber nicht adäquat erfasst werden.
• Diese «Statistikschwachstelle» führt dazu, dass die Schweiz keine zuverlässigen Daten zu dem medizinethisch und gesellschaftspolitisch kontrovers diskutierten Phänomen des assistierten Alterssuizids hat.
• Es wäre daher angezeigt, ein nationales Register einzurichten, welche alle assistierten Suizide sorgfältig dokumentiert; damit könnten dann auch die Fälle des assistierten Alterssuizids monitorisiert und, wenn nötig, auch kritisch begleitet werden.

Abkürzungen
BFS Schweizerisches Bundesamt für Statistik
WHO World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
ICD International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems

Danksagung
Die Autoren danken dem Schweizerischen Bundesamt für Statistik für die Zurverfügungstellung der Daten der Todesursachenstatistik mit besonderer Berücksichtigung des Assistierten Suizids (AS). Besonderer Dank für jahrelange engagierte Unterstützung gebührt Christoph Junker, Epidemiologie und langjähriger Leiter der Vitalstatistik beim BwFS.
Ebenso danken wir EXIT für die Bereitstellung ausgewählter Daten bezüglich der Fälle des Assistierten Suizids, die von ihren Mitarbeitern begleitet wurden (jährliche Zahl der AS-Fälle, für jeden Fall: Alter zum Zeitpunkt des AS und zugrundeliegende Erkrankung/Situation).
Der Erstautor (U.G.) dankt Shaun McMillan für ihre enthusiastische Unterstützung im Rahmen des Gesamtpublikationsprojektes «Assisted suicide in Switzerland», insbesondere bei dem stilistischen Lektorat der englischsprachigen Originaltexte.
Dank gebührt Franziska Maduz für ihren wertvollen Beitrag bei der grafischen Darstellung der Daten.

Prof. Dr. med. Uwe Güth

Universität Basel
Medizinische Fakultät
Klingelbergstrasse 61
4056 Basel

uwe.gueth@unibas.ch

Prof. Dr. med. FACP Edouard Battegay

Facharzt Allgemeine Innere Medizin, ESH Specialist in Hypertension, Fellow SSPH+
Leiter International Center for Multimorbidity and Complexity in Medicine (ICMC)
Universität Zürich, Universitätsspital Basel (Klinik für Psychosomatik), Merian Iselin Klinik Basel

edouard.battegay@uzh.ch

Prof. Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox

– Unité d’éthique clinique,
Institut des Humanités en Médecine, CHUV-UNIL

– Chaire de soins palliatifs gériatriques,
Service de soins palliatifs et de support CHUV-UNIL,

Dr. Karim Abawi

Schweizerisches Bundesamt für Statistik
Sektion Gesundheit der Bevölkerung
Neuchâtel
Schweiz

PD Dr. Rolf Weitkunat

Schweizerisches Bundesamt für Statistik
Sektion Gesundheit der Bevölkerung
Neuchâtel, Schweiz

PD Dr. med. Andres R. Schneeberger

Department for Psychiatry
University of California
San Diego, USA

Die Autoren bestätigen, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Keiner der Autoren ist Mitglied in einer der Schweizer Sterbe­hilfeorganisationen.

• In der Schweiz erfolgen 25–30 % der assistierten Suizide wegen altersbedingter Multimorbidität.
• Aus formalen Gründen können diese symptomorientierten Sterbehilfefälle in der ICD-basierten Todesursachenstatistik des Bundesamtes für Statistik aber nicht adäquat erfasst werden.
• Diese «Statistikschwachstelle» führt dazu, dass die Schweiz keine zuverlässigen Daten zu dem medizinethisch und gesellschaftspolitisch kontrovers diskutierten Phänomen des assistierten Alterssuizids hat.
• Es wäre daher angezeigt, ein nationales Register einzurichten, welche alle assistierten Suizide sorgfältig dokumentiert; damit könnten dann auch die Fälle des assistierten Alterssuizids monitorisiert und, wenn nötig, auch kritisch begleitet werden.

1. Schweizerische Eidgenossenschaft. Bundesamt für Statistik. Statistik der Todesursachen und Totgeburten (eCOD). (23.05.2023). https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/erhebungen/ecod.assetdetail.25565053.html; letzter Zugriff: 17.06.2024.
2. World Health Organization (WHO). International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD). https://www.who.int/standards/classifications/classification-of-diseases; letzter Zugriff: 17.06.2024.
3. Montagna G, Junker C, Elfgen C, Schneeberger AR, Güth U. Assisted suicide in patients with cancer. ESMO Open 2022; 7: 100349.
4. Montagna G, Junker C, Elfgen C, Schneeberger AR, Güth U. Long-term development of assisted suicide in Switzerland: analysis of a 20-year experience (1999-2018). Swiss Med Wkly 2023; 153: 40010.
5. Güth U, Junker C, Elger BS, Elfgen C, Montagna G, Schneeberger AR. Conventional and assisted suicide in Switzerland: Insights into a divergent development based on cancer-associated self-initiated deaths. Cancer Med 2023; 12: 17296-17307.
6. Güth U, Junker C, Elfgen C, Schneeberger AR. Long-term experience on assisted suicide in Switzerland: dementia, mental disorders, age-related polymorbidity and the slippery slope argument. Public Health 2023; 223: 249-256.
7. Güth U, Junker C, Schafroth M, McMillan S, Schneeberger AR, Elfgen C, Battegay E, Weitkunat R. ICD-based cause of death statistics fail to provide reliable data for Medical Aid in Dying. Int J Public Health 2023; 68: 1606260.
8. Güth U, Weitkunat R, McMillan S, Schneeberger AR, Battegay E. When the cause of death does not exist: Time for the WHO to close the ICD classification gap for Medical Aid in Dying. eClinical Medicine 2023; 65: 102301.
9. World Health Organization (WHO). International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. Tenth Revision, Volume 2. 4. Rules and Guidelines for Mortality and Morbidity Coding; 4.1.2 Underlying Cause of Death (2004). https://apps.who.int_handle_9241546530_eng; letzter Zugriff: 17.06.2024.
10. EXIT-Deutsche Schweiz. Der Altersfreitod ist mehrheitsfähig. (25.09.2024). https://exit.ch/artikel/der-altersfreitod-ist-mehrheitsfaehig; letzter Zugriff: 17.06.2024.
11. EXIT-Deutsche Schweiz. Wie engagiert sich EXIT für den erleichterten Altersfreitod? https://www.exit.ch/freitodbegleitung/altersfreitod/; letzter Zugriff: 17.06.2024
12. Hartog ID, Zomers ML, van Thiel G, Leget C, Sachs APE, Uiterwaal C, et al. Prevalence and characteristics of older adults with a persistent death wish without severe illness: a large cross-sectional survey. BMC Geriatr 2020;20:342.
13. Rurup ML, Onwuteaka-Philipsen BD, Jansen-van der Weide MC, van der Wal G. When being ‚tired of living‘ plays an important role in a request for euthanasia or physician-assisted suicide: patient characteristics and the physician‘s decision. Health Policy 2005;74:157-66.
14. van den Berg V, van Thiel G, Zomers M, Hartog I, Leget C, Sachs A, et al. Euthanasia and Physician-Assisted Suicide in Patients With Multiple Geriatric Syndromes. JAMA Intern Med 2021;181(2):245-50.
15. van den Berg VE, Zomers ML, van Thiel GJ, Leget CJ, van Delden JJ, van Wijngaarden EJ. Requests for euthanasia or assisted suicide of people without (severe) illness. Health Policy 2022;126:824-30.
16. van Wijngaarden E, Merzel M, van den Berg V, Zomers M, Hartog I, Leget C. Still ready to give up on life? A longitudinal phenomenological study into wishes to die among older adults. Soc Sci Med 2021;284:114180.
17. Bolt EE, Snijdewind MC, Willems DL, van der Heide A, Onwuteaka-Philipsen BD. Can physicians conceive of performing euthanasia in case of psychiatric disease, dementia or being tired of living? J Med Ethics 2015;41:592-8.
18. Evenblij K, Pasman HRW, van der Heide A, Hoekstra T, Onwuteaka-Philipsen BD. Factors associated with requesting and receiving euthanasia: a nationwide mortality follow-back study with a focus on patients with psychiatric disorders, dementia, or an accumulation of health problems related to old age. BMC Med 2019;17:39.
19. Kious B. Burdening Others. Hastings Cent Rep 2022;52:15-23.
20. World Health Organization (WHO). International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). https://www.who.int/standards/classifications/classification-of-diseases; letzter Zugriff: 17.06.2024.
21. Güth U, Jox RJ, Abawi K, Weitkunat R, Schneeberger AR. Der Assistierte Suizid in der Schweiz, ein Modell in der internationalen Diskussion zum Thema «Assisted dying»: Rahmenbedingungen und Langzeitentwicklung eines neuen gesellschaftlichen und medizinethischen Phänomens. Dtsch Med Wochenschr 2024; 2024; 149: 1227-36
22. Federale Controle en Evaluatiecommissie Euthanasie – FCEE. Persbericht: Euthanasie-Cijfers van 2022. (Februar 2023). overlegorganen.gezondheid.belgie.be/nl/documenten/euthanasie-cijfers-van-2022; letzter Zugriff: 17.06.2024.
23. Regionale Toetsingscommissies Euthanasie. Jaarverslag 2022. (April 2023): www.euthanasiecommissie.nl; letzter Zugriff: 17.06.2024.
24. Health Canada. Fourth Annual Report on Medical Assistance in Dying. (Oktober 2023). www.canada.ca/en/health-canada/services/publications/health-system-services/annual-report-medical-assistance-dying-2022.html; letzter Zugriff: 17.06.2024.
25. Oregon Health Authority. Public Health Division, Center for Health Statistics. Oregon Death with Dignity Act. 2022 Summary. (März 2023). www.oregon.gov/oha/ph/providerpartnerresources/evaluationresearch/deathwithdignityact/Documents/year25.pdf; letzter Zugriff: 17.06.2024.
26. California Department of Public Health. California End of Life Option Act. 2022 Data Report. (Juli 2023). www.cdph.ca.gov/Programs/CHSI/pages/end-of-life-option-act-.aspx; letzter Zugriff: 17.06.2024.
27. Washington State Department of Health. Disease Control and Health Statistics Center for Health Statistics. Death with Dignity Annual Report 2022. (Juni 2023). doh.wa.gov/data-and-statistical-reports/health-statistics/death-dignity-act/death-dignity-data; letzter Zugriff: 17.06.2024.
28. Güth U, Abawi K, Weitkunat R, Jox RJ, Schneeberger AR. Langzeitentwicklung von assistiertem und konventionellem Suizid bei Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen in der Schweiz. Schweizer Zeitschrift für Onkologie 2024; 2024; (3): 25-32.
29. EXIT-Deutsche Schweiz. Jahresberichte 2015-2023. https://www.exit.ch/; letzter Zugriff: 17.06.2024.
30. Mroz S, Dierickx S, Deliens L, Cohen J, Chambaere K. Assisted dying around the world: a status quaestionis. Ann Palliat Med 2021; 10: 3540-53.
31. Wikpedia. Sterbehilfe. de.wikipedia.org/wiki/Sterbehilfe; letzter Zugriff: 17.06.2024.
32. Güth U, McMillan S, Battegay E. Medical aid in dying: Europe’s urgent medico-ethical challenge. Int J Public Health 2023; 68: 1606538.

Das Anti-Hu-Syndrom – eine aussergewöhnliche Schwindelursache

Wir beschreiben den Fall eines Patienten mit einem kleinzelligen Bronchuskarzinom, welcher seit sechs Jahren, jedoch verstärkt seit sechs Monaten zunehmend unter ausgeprägtem Schwindel mit Koordinationsstörungen litt. Nach diversen Abklärungen konnte als Ursache dafür ein paraneoplastisches neurologisches Syndrom (PNS) mit Hu-Antikörpern eruiert werden. PNS sind verschiedene neurologische Störungen, welche häufig in bestimmten Mustern auftreten. Die Ursache ist dabei immunvermittelt durch einen Tumor, weshalb die Therapie der PNS auch die Behandlung des zugrunde liegenden Tumors umfasst.

Schlüsselwörter: Paraneoplastisches Syndrom, Schwindel, Hu-Antikörper

Fallbeschreibung

Hintergrund

Paraneoplastische neurologische Syndrome (PNS) sind definiert als neurologische Störungen, welche jeden Teil des Nervensystems betreffen können und häufig in einem stereotypen Muster auftreten (1). Sie sind mit einem Tumor assoziiert und haben eine immunvermittelte Pathogenese. Es handelt sich um ein seltenes Krankheitsbild, das bei weniger als 1 % der Patienten mit einem Malignom beobachtet werden kann. Deshalb muss auch davon ausgegangen werden, dass die Diagnose regelmässig verpasst wird. Häufig treten die neurologischen Zeichen Monate bis Jahre vor der Diagnosestellung eines Tumors auf, werden jedoch zu diesem Zeitpunkt fehlgedeutet (2).

Anamnese

Der 65-jährige Patient leidet seit sechs Jahren an einer Schwindelsymptomatik mit Hörverlust des linken Ohres und einem Tinnitus auf der gleichen Seite. Diese Beschwerden wurden mehrfach als Morbus Menière bewertet.

In den letzten sechs Monaten wurde der Patient wiederholt wegen des Schwindels vorstellig. Neben der subjektiv klar verstärkten Schwindelsymptomatik kam es in den letzten Wochen zusätzlich zu einer begleitenden Gangunsicherheit. Es wurde ein MRI des Neurokraniums durchgeführt, welches regelrechte Strukturen darstellte. Durch die Kollegen der HNO wurde keine periphere Genese des Schwindels gefunden.

Ungefähr vier Monate nach Beginn des verstärkten Schwindels wurde im Rahmen einer ausgedehnten internistischen Abklärung die Diagnose eines metastasierten pulmonalen Tumorleidens mit lymphogenen und ossären Metastasen gestellt. Histologisch zeigte sich das Bild eines kleinzelligen Bronchuskarzinoms. Initial wurde eine tumorspezifische Kombinationstherapie mit Carboplatin, Etoposid und Durvalumab eingeleitet. Nach kurzer Therapiedauer kam es zu einer raschen Verschlechterung des Allgemeinzustandes, aufgrund dessen von einer weiteren tumorspezifischen Therapie abgesehen wurde.

Status

Die Zuweisung auf die Palliativstation erfolgte zur symp­tomorientierten Therapie aufgrund des zunehmenden Schwindels mit Nausea und Emesis. Klinisch zeigte sich bei Eintritt eine progrediente Gangstörung mit gleichzeitigen sensiblen Defiziten des linken Unterschenkels, eine ausgeprägte Ataxie der Extremitäten und eine Dysarthrie. Weiter bestand ein dysmetrischer Finger-Nase-Versuch links sowie ein Absinken des linken Armes im Armvorhalteversuch, ein feinschlägiger Tremor und eine verminderte Kraft des linken Beines mit Standunsicherheit und linksseitigen Ausfallschritten.

Verlauf

Wir leiteten eine stufenweise ausgebaute Therapie der Nausea mit Domperidon, Haloperidol, Cinnarizin, Betahistin und Dexamethason ein, welche jedoch keine zufriedenstellende Besserung der Symptomatik brachte. Durch die konsiliarisch hinzugezogenen Neurologen wurde die Diagnose einer sensibel betonten axonal-demyelinisierenden Polyneuropathie gestellt, wobei die axonale Komponente massgeblich mit der cisplatinhaltigen Chemotherapie assoziiert war. Die Gangstörung erschien diesbezüglich jedoch zu ausgeprägt.
Die weiter gehenden Abklärungen zeigten positive Antikörper gegen das Zentralnervensystem, welche sich in der Differenzierung als Anti-Hu-Antikörper mit einer Intensität von 147 (Norm < 15) erwiesen. Sämtliche weiter bestimmte Antikörper waren negativ. Somit konnten wir die Diagnose eines paraneoplastischen Anti-Hu-Syndroms stellen, mit welchem die Beschwerden gut erklärt werden konnten, siehe Tabelle 1.

Therapie

Die Behandlung eines paraneoplastischen neurologischen Syndroms (PNS) liegt in der Behandlung des auslösenden Tumors. Eine immunsuppressive Therapie bringt, im Gegensatz zu anderen antikörpervermittelten Erkrankungen, jedoch keinen Benefit. In unserem Fall war wegen des stark reduzierten Zustandes keine kausale Therapie mehr möglich.
Bei zunehmender Symptomatik mit vollständiger Gangunfähigkeit, starker Dysarthrie und zunehmender Vergesslichkeit versuchten wir, ohne wesentlichen Erfolg, eine Steroidstosstherapie mit 1.g Methylprednisolon über drei Tage. Bei massiver Progredienz der Erkrankung war schlussendlich nur noch eine rein symptomatische Behandlung möglich, und es kam zu einem Versterben des Patienten drei Monate nach Diagnosestellung des kleinzelligen Bronchuskarzinoms.

Diskussion

Ein Expertengremium hat im Jahr 2021 eine neue Einteilung der paraneoplastischen neurologischen Syndrome (PNS) vorgeschlagen, wobei die Symptomkonstellationen in «Phänotypen mit intermediärem Risiko» und «Hochrisiko-Phänotypen» eingeteilt wurden (1). Das Risiko bezieht sich hierbei auf die Wahrscheinlichkeit, dass die Ätiologie der Symptome auf ein PNS zurückzuführen ist. Das Gremium hat dabei eine dreistufige Klassifizierung in definitiv, wahrscheinlich und möglich vorgenommen. Jede Stufe kann mithilfe des PNS-Care-Scores (Tab. 2) eingeschätzt werden. Dabei werden klinischer Phänotyp, Antikörpertyp, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Malignoms und die Beobachtungszeit erfasst. Die eindeutige Diagnosestellung eines PNS erfordert das Vorhandensein von Antikörpern mit hohem oder mittlerem Risiko mit Ausnahme beim Opsoklonus-Myoklonus.

Zu den Hochrisiko-Phänotypen (früher: klassische PNS) gehören:
Die Enzephalomyelitis, die limbische Enzephalitis, das rapidly progressive zerebelläre Syndrom, der Opsoklonus-Myoklonus, die gastrointestinale Pseudoobstruktion (enterische Neuropathie), das Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom sowie die sensorische Neuronopathie (1). Auf die einzelnen Krankheitsbilder gehen wir hier nicht ein.

Bei den «Phänotypen mit intermediärem Risiko» sollte vor allem an ein paraneoplastisches Geschehen gedacht werden, wenn keine plausiblen alternativen Diagnosen gefunden werden können und ein rascher Progress (weniger als drei Monate) sichtbar wird. Dies gilt auch dann, wenn Entzündungszeichen im Liquor oder MRI des Neurokraniums/Rückenmarks gefunden werden. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise eine Enzephalitis, welche nicht die Präsentation einer klassischen limbischen Enzephalitis aufweist, oder auch eine isolierte Myelopathie. Weiter gehört auch das Stiff-Person-Syndrom dazu, wobei es hier zu schmerzhaften Muskelspasmen kommt, welche spontan auftreten oder durch Bewegung oder äussere Reize getriggert werden können.
Für diese einzelnen paraneoplastischen neurologischen Syndrome können diverse Autoantikörper bestimmt werden. Hierbei unterscheidet man Antikörper mit hoher (> 70 %; früher onkoneurale Antikörper genannt), mittlerer (30–70 %), tiefer (< 30 %) oder fehlender Assoziation zu einem zugrunde liegenden Tumor.

Es ist wichtig, dass eine gezielte Testung vorgenommen wird, denn ein unüberlegtes Testen erhöht die Wahrscheinlichkeit für falsch positive und falsch negative Resultate. Serum und Liquor sollen auf Antikörper getestet werden, wobei insbesondere die IgG-Antikörper eine diagnostische Aussagekraft haben.
Anti-Hu- (ANNA-1)-Antikörper zeigen sich insbesondere beim Phänotyp einer sensorischen Neuropathie, einer Enzephalomyelitis oder auch einer gastrointestinalen Pseudoobstruktion. Die häufigsten Tumorarten sind das kleinzellige Lungenkarzinom und deutlich weniger häufig andere nicht kleinzellige Lungenkarzinome oder neuroendokrine Tumore (3, 4). Seltener können auch bei Patienten ohne ein Malignom Anti-Hu-Antikörper nachgewiesen werden (5).

In unserem Fall begannen die Beschwerden mit Schwindel, was in der Palliativmedizin ein häufiges Problem darstellt und oftmals schwierig zu behandeln und für die Betroffenen sehr beeinträchtigend ist. Vielfach kann die genaue Ätiologie nicht eruiert werden. Differenzialdiagnostisch vermuteten wir initial mögliche, bisher noch nicht sichtbare Hirnmetastasen und versuchten bei fehlenden kausalen Therapieoptionen, eine medikamentöse Behandlung des Schwindels einzuleiten. Eine zerebrale Bildgebung zeigte keine Hinweise für einen zerebralen Befall durch das bekannte kleinzellige Bronchuskarzinom. Im Rahmen der weiteren Abklärung konnten wir dann die Diagnose des Anti-Hu-Syndroms stellen, siehe Tabelle 2. Dies erbrachte mehr Klarheit und Verständnis für den Patienten und seine Angehörigen. Damit war jedoch auch klar, dass die Symptomatik und Koordinationsschwierigkeiten nur sehr schwer behandelbar sind.

Rückblickend lässt sich nicht genau klären, ob es sich bei der Schwindelsymptomatik vor sechs Jahren bereits um erste Anzeichen der Tumorerkrankung gehandelt hatte. Aufgrund der theoretischen Grundlagen der PNS wäre es möglich, jedoch war die klinische Präsentation unterschiedlich, weshalb es wahrscheinlich eine andere Ätiologie war. Eine so lange Latenzzeit von Erstsymptomatik bis zur Erstdiagnose erscheint zudem bei einem kleinzelligen Bronchuskarzinom sehr unwahrscheinlich.

Die Schwindelsymptomatik vier Monate vor klinischer Manifestation eines kleinzelligen Bronchuskarzinoms war, retrospektiv gesehen, mit hoher Wahrscheinlichkeit der Beginn des PNS. Ataxie, Stand- und Gangunsicherheit würden zu einer Kleinhirndegeneration passen, wobei das MRI, wie in unserem Fall, in einer Frühphase häufig normal ausfällt. Veränderungen in der Bildgebung, wie beispielsweise eine Kleinhirndegeneration, sind teilweise im späteren Verlauf zu sehen. Die Symptome können von Patienten und nicht spezialisierten Untersuchern als unspezifischer Schwindel gesehen werden und erlangen somit nicht die richtige Beachtung. Eine präzise Anamnese zur genauen Erfassung der Symptomatik ist von äusserster Wichtigkeit und kann bei der Diagnosestellung weiterhelfen.
Die diagnostizierte periphere Polyneuropathie, welche initial im Rahmen der cisplatinhaltigen Chemotherapie interpretiert wurde, könnte retrospektiv ebenfalls mit dem Anti-Hu-Syndrom assoziiert gewesen sein.

Für die Praxis

Paraneoplastische Syndrome sind selten und schwierig zu diagnostizieren.
Im Falle einer unklaren, länger dauernden Symptomatik des Schwindels sollen eine weiter gehende Abklärung und genaue Anamnese erfolgen.
Nach Ausschluss der üblichen Ursachen des Schwindels kann eine paraneoplastische Ursache mit Bestimmung der entsprechenden Antikörper evaluiert werden.
Die Behandlung richtet sich einerseits nach der Ursache, andererseits kann auch eine rein symptomatische Behandlung in Anbetracht der Tumorsituation gewählt werden.
Ein paraneoplastisches neurologisches Syndrom kann auch bei nicht bekanntem Malignom vorliegen.

Iris Neto

Palliative Care
Kantonsspital Graubünden
CH-7000 Chur

Dr. med. MSc Cristian Camartin

Leiter Palliative Care
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170 Chur
7000 Chur

cristian.camartin@ksgr.ch

Die Autorin und der Autor haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Graus F, Vogrig A, Muñiz-Castrillo S, Antoine JG, Desestret V et al. Updated Diagnostic Criteria for Paraneoplastic Neurologic Syndromes. Neurol Neuroimmunol Neuroinflamm. 2021 May 18;8(4):e1014.
2. Darnell RB, Posner JB. Paraneoplastic syndromes involving the nervous system. N Engl J Med. 2003 Oct 16;349(16):1543-54.
3. Graus F. Anti-Hu-associated paraneoplastic encephalomyelitis: analysis of 200 patients. Brain. 2001;124(pt 6):1138-1148.
4. Yu Z, Kryzer TJ, Griesmann GE, Kim K, Benarroch EE, Lennon VA. CRMP-5 neuronal autoantibody: marker of lung cancer and thymoma-related autoimmunity. Ann Neurol. 2001;49(2):146-154.
5. Honnorat J, Didelot A, Karantoni E, et al. Autoimmune limbic encephalopathy and anti-Hu antibodies in children without cancer. Neurology. 2013;80(24): 2226-2232.

Zystische Pankreasläsionen – wie abklären und überwachen?

Während Pankreasraumforderungen sonographisch schwierig zu detektieren sind, hilft die Schichtbildgebung enorm, fördert aber mit zunehmender Verfügbarkeit der Magnetresonanztomographie (MRI) zunehmend Inzidentalome zutage. Die Anamnese und Krankengeschichte ist nur bei zwei Entitäten charakteristisch. Eine bekannte akute/chronische Pankreatitis spricht für eine benigne Pseudozyste, eine vorhandene B-Symptomatik für einen malignen Tumor. Herausfordernder ist die Zuordnung asymptomatischer Zysten, welche ausgiebige Diagnostik und in fortgeschrittenen Stadien auch Pankreasresektionen nach sich ziehen können. Kommt es zur Überdiagnostik und – therapie, spricht man auch von VOMIT: victims of modern imaging technology (1). Auf der anderen Seite gilt es, diejenigen Präkanzerosen ohne Symptome zu identifizieren, welche einer Überwachung zugeführt werden sollen, mit dem Ziel, die Progression in Richtung eines invasiven Karzinoms rechtzeitig zu erkennen.www
Ziel dieser Übersicht ist, auf inzidentell nachgewiesene Pankreaszysten zu fokussieren mit Darstellung der Abklärungen sowie der weiteren Überwachung; nicht im Vordergrund stehen Pankreaskarzinom und Pseudozysten. Letztere werden im Sinne der Differenzialdiagnosen mit besprochen, da Pseudozysten im klinischen Alltag gelegentlich ebenfalls zufällig nachgewiesen werden, jedoch nicht überwacht werden sollten.

Schlüsselwörter: Pankreaszyste, IPMN, seröses Zystadenom, muzinöses Zystadenom

Einführung

Bei einer 70-jährigen, bis auf eine arterielle Hypertonie sowie Übergewicht (BMI 27 kg/m2), gesunden Patientin wird aufgrund eines Fahrradunfalls eine Computertomographie (CT) durchgeführt, wo sich als Zufallsbefund eine 28 mm grosse zystische Pankreasläsion bei ansonsten normalem Pankreasparenchym nachweisen lässt. Die Patientin stellt sich in der Folge zur Besprechung des weiteren Vorgehens in der Sprechstunde vor.

Aus klinischer Sicht stellt sich zunächst die Frage, wie hoch das maligne Potenzial der inzidentell nachgewiesenen zystischen Pankreasläsion zu beziffern ist. Während nicht neoplastische Entitäten wie Pseudozysten oder dysontogene Zysten keinerlei malignes Potenzial aufweisen, handelt es sich bei der Mehrheit der zufällig nachgewiesenen zystischen Pankreasläsionen um neoplastische Zysten respektive Präkanzerosen (Tab. 1). Dementsprechend steht in unserem Beispiel differenzialdiagnostisch eine neoplastische Zyste im Vordergrund, weshalb als nächster Schritt ein MRI durchgeführt wird (Abb. 1a/b), welches eine Verbindung der Läsion zum Gangsystem nachweist. Infolgedessen besteht der dringende Verdacht auf eine Seitenast-IPMN. Aufgrund der Grösse des Befundes entscheidet man sich ferner zur Durchführung einer oberen Endosonographie inkl. Kon­trastmittelgabe, wo Noduli definitiv ausgeschlossen werden können (Abb. 1b). Die Analyse der endosonographisch gesteuerten punktierten Zystenflüssigkeit (hohes CEA, hohe Amylase, tiefe Glucose) lässt die Diagnose einer Seitenast-IPMN definitiv stellen. Aufgrund des erhöhten Risikos für die Entwicklung eines Pankreaskarzinoms wird die Aufnahme in ein Surveillance-Programm empfohlen.

Bei der Seitenast-IPMN handelt es sich mit ca. 80 % aller zufällig nachgewiesener zystischer Pankreasneoplasien um die häufigste Entität (2). Das maligne Potenzial hängt von verschiedenen Parametern ab. Wichtigste Kriterien diesbezüglich stellen die Grösse der Läsion, Dilatation des Hauptganges sowie Noduli dar. Hierauf basierend erfolgt eine Risikostratifikation, welche für die weitere Beratung der Patientinnen und Patienten essenziell ist. Diesbezüglich stellt die Arbeit von Mukewar et al. (3) die Verhältnisse sehr anschaulich dar. Während das Risiko eines Pankreaskarzinoms bei einer IPMN mit Hauptgangbeteiligung oder Nodulus als hoch zu bezeichnen ist (ca. 25 %/10 Jahre), ist das Risiko für Patienten mit Seitenast-IPMNs ohne weiterer radiologischer oder klinischer Risikofaktoren deutlich kleiner, relativ zur Normalbevölkerung jedoch immer noch deutlich erhöht (ca. 8 %/ 10 Jahre) (4), wobei das Risiko über die Jahre kontinuierlich ansteigt. Aufgrund der daraus abzuleitenden Indikation zur langfristigen Überwachung ist eine zweifelsfreie Diagnose essenziell. Insbesondere gutartige seröse Zystadenome (Abb. 1c/d) oder inzidentell nachgewiesene Pseudozysten müssen bildgeberisch oder ggf. auch mithilfe einer endosonographisch gesteuerten Punktion ausgeschlossen werden, damit unnötige, repetitive Verlaufskontrollen verhindert werden.

Diagnostik zystischer Pankreasläsionen: Stellenwert der Radiologie

Die primäre Aufgabe der Radiologie ist es, zystische Pankreasläsionen einerseits zu detektieren und andererseits wenn möglich zu charakterisieren. Wie oben erwähnt, werden zystische Pankreasläsionen häufig zufällig entdeckt. Der Nachweis von zystischen Pankreasläsionen in populations-basierten Studien hängt von der Art der Bildgebung ab und liegt bei der Kernspintomographie (MRI) bei bis zu 49 % der untersuchten Personen (5). Die Prävalenz der zystischen Läsionen und somit die Detektionsrate steigt mit dem Alter und liegt bei 61 % bei > 70 Jahren (6).

Wichtigste bildgebende Modalität zur Abklärung von zystischen Pankreasläsionen ist das MRI mittels umfassendem multiparametrischem Pankreasprotokoll. In diesem Zusammenhang hat sich die Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP) als Standard etabliert, welche eine stark T2-gewichtete Sequenz verwendet. Strukturen mit hohem Wassergehalt stellen sich im Gegensatz zu den umgebenden Weichteilstrukturen hyperintens, d. h. hell, dar, während die umgebenden Weichteilstrukturen dunkel bleiben. Dies führt zum gewollten Aspekt der hellen Darstellung des Pankreasganges, der Gallengänge und auch der zystischen Pankreasläsionen auf dunklem Hintergrund (Abb. 1a).

Das MRI mit MRCP ist sowohl bei der Detektion als auch bei der Charakterisierung von zystischen Pankreasläsionen sowohl der Computertomographie (CT) als auch der transabdominalen Sonographie überlegen (7, 8). Auch die fehlende Applikation ionisierender Strahlung ist bei der Notwendigkeit von teilweise langjährigen Verlaufskontrollen ein wichtiger Faktor.

Radiologische Differenzialdiagnose

Im Folgenden sollen die typischen bildgebenden Eigenschaften der häufigsten zystischen Pankreasneoplasien (Tab. 1) beschrieben werden. Die bereits oben erwähnte intraduktale papilläre muzinöse Neoplasie (IPMN) kann sich in drei verschiedenen Formen manifestieren, als Seitengang-, als Hauptgang-IPMN oder als gemischte Form. Sie stellt sich als zystische (T2-hyperintense) Dilatation der besagten Gänge dar, d. h. bei Befall der Seitengänge als uni- oder mulitlokuläre, lobulierte, traubenartige Läsion, bei Befall des Hauptgangs in Form als segmentale oder diffuse Dilatation des Pankreashauptganges ≥ 5mm. Ein spezifisches bildgebendes Kriterium, das die IPMN von den anderen zystischen Neoplasien unterscheidet, ist die nachweisliche Verbindung zum Gangsystem (Abb. 1a). Eine typische Eigenschaft der Seitengang-IPMN ist ausserdem die Multiplizität.

Die muzinös-zystische Neoplasie (MCN) tritt fast ausschliesslich bei Frauen auf, mit höchster Inzidenz in der 5. Dekade. Klinisch ist das Erkennen dieser Entität wichtig, da diese Läsionen ein mit der Hauptast-IPMN vergleichbares Malignitätsrisiko aufweisen (9, 10). Die Lokalisation ist häufig im Pankreascorpus oder -cauda. Eine Kommunikation zum Ductus pancreaticus besteht, im Gegensatz zu den IPMN, nicht. Bildmorphologisch besteht meistens eine uni- oder multilokuläre Makrozyste (> 2cm) mit oder ohne Septierungen, teils mit «Zyste-in-Zyste»-Aspekt. Die äussere Begrenzung ist meistens rund, im Gegensatz zur eher lobulierten Seitengang-IPMN. In 25 % finden sich murale Verkalkungen.

Die serös-zystische Neoplasie (SCN) (Abb. 1c/d) kann sich in Form verschiedener Phänotypen manifestieren. Der typische Aspekt ist allerdings der mikrozystische (Zysten < 2 cm) oder Honigwaben-Aspekt. Die Zysten sind oft so klein, dass in der CT der Eindruck einer soliden Läsion entsteht. Ausserdem typisch ist eine zentrale, manchmal verkalkte Narbe, welche sich computertomographisch bestätigen lässt. Erschwerend kommen in ca. 10 % auch atypische, rein makrozystische Formen der SCN vor, welche bildgebend nicht von einer muzinösen Läsion mit Malignitätspotenzial unterschieden werden können.

Die solid-pseudopapilläre Neoplasie (SPN) ist eine seltene Läsion und kommt fast nur bei jungen Frauen in der 2.–3. Dekade vor. Es handelt sich hier um eine gemischt solid-zystische Neoplasie mit Nekrosen und hämorrhagischen Anteilen, typischerweise in der Cauda lokalisiert. Sie sind meist asymptomatisch und werden als Zufallsbefund in der Schnittbildgebung entdeckt.
Bei Pseudozysten handelt es sich typischerweise um hypodense zystische Läsionen mit flächigem Kontakt zum Pankreas. Die Wand der Pseudozyste ist in der Regel zart. Im MRI lässt sich im Gegensatz zur Seitengang-IPMN keine Verbindung zum Gangsystem nachweisen. Nebst der Anamnese mit St. n. Pankreatitis ist das Aspirat des Zysteninhalts charakteristisch, in dem die Amylase bei gleichzeitig tiefem CEA stark erhöht ist (Tab. 1).

Nebst der Charakterisierung einer zystischen Pankreasläsion ist es auch Aufgabe der Radiologie, nach bildgebenden Zeichen zu suchen, welche auf ein erhöhtes Malignitätsrisiko weisen. Diese bildgebenden Zeichen werden in verschiedenen Leitlinien meist in einem zwei- oder mehrstufigen System abgebildet. In den European evidence-based guidelines on pancreatic cystic neoplasms (11) werden bei radiologisch vermuteter IPMN folgende bildgebende Zeichen als «relative Indikation für Chirurgie» bezeichnet (Abb. 2): Wachstumsrate der zystischen Läsion von ≥ 5 mm/Jahr, eine Dilatation des Pankreashauptganges von 5–9.9 mm, Zystendurchmesser von ≥ 4 cm und kontrastmittelaufnehmende murale Knoten von < 5 mm.

Rolle der gastroenterologischen ­Abklärungen mit Endoskopie/Endosonographie

Der Stellenwert der Endosonographie (EUS) besteht ergänzend zur MRI-Untersuchung und beantwortet bei Unklarheiten bezüglich Entität diese mithilfe mitunter einer Feinnadelpunktion.
Fokussiert zur Differenzierung der benignen Zysten SCA, MCA und IPMN kann die Punktion mit Bestimmung CEA, Amylase und Glucose nebst der Zytologie relevant sein. Hohe Amylasewerte im Punktat beweisen den Anschluss an den Pankreasgang bei der IPMN oder sprechen bei gleichzeitig normalen CEA-Werten für eine Pseudozyste. Hohe CEA-Werte bei normwertiger Amylase hingegen deuten auf ein MCA. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass eine tiefe Glucose (< 2.8 mmol/l) prädiktiv für das Vorliegen einer muzinösen Neoplasie ist (12). In naher Zukunft dürfte sich ferner die «Next Generation Sequencing» aus dem Aspirat als Standardmethode etablieren, mit welcher molekulargenetisch die Läsion zweifelsfrei charakterisiert werden kann.

Bei Knoten in Zysten können diese im Gegensatz zum MRI mit Kontrast-EUS von verklumptem Mukus unterschieden werden. Die EUS-gesteuerte Punktion erlaubt zudem gelegentlich den Nachweis dysplastischer oder malignen Zellen.
Die Indikation für eine EUS besteht somit bei Unklarheit betreffend Dignität, Entität oder aber bei Grössenwachstum und im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Zeichen mit erhöhtem Malignitätsirisiko.
Die Duodenoskopie mit echter Seitblickoptik beurteilt die Papille. Eine sogenannte Fischmaulpapille (Abb. 3) ist pathognomonisch für eine Hauptast-IPMN und führt direkt zur Diskussion der chirurgischen Resektion.

Leitlinien und Überwachung

In den letzten Jahren wurden verschiedene Leitlinien zur Surveillance von Pankreaszysten, im speziellen IPMN, publiziert. Zuletzt wurde im Dezember 2023 eine weitere revidierte Version der «Fukuoka»-Leitlinien veröffentlicht (13), in welcher die Rolle der EUS noch etwas stärker gewichtet und ein adaptierter Abklärungsalgorithmus vorgeschlagen wird. Im Zentrum dieser Publikationen stehen radiologische Merkmale, welche auf ein klinisch signifikantes Malignitätsrisiko weisen. Da Pankreasresektionen im Allgemeinen mit einer verhältnismässig hohen Morbidität vergesellschaftet sind, sollten die Leitlinien gleichzeitig unnötige Resektionen verhindern. Anhand von klinischen Zeichen (u. a. Ikterus, Pankreatitis), radiologischen Befunden (z. B. Zystengrösse, Weite D. pancreaticus, Noduli), Tumormarker (CA19-9) und in selektiven Fällen zytologischen oder histologischen Untersuchungen wird versucht, eine Risikostratifikation vorzunehmen.
Dabei bestehen insbesondere bezüglich der Indikationsstellung zur Resektion resp. Durchführung der Surveillance bezüglich Modalität, dem Intervall und der absoluten Dauer der Nachsorge deutliche Unterschiede.
Die meistverwendeten Guidelines sind die

  • Revised International Consensus Guidelines (Fukuoka/Kyoto-Guidelines) (13, 14)
  • European evidence-based guidelines on pancreatic cystic neoplasms (11)
  • American Gastroenterology Association Guidelines (15)

Die Guidelines haben gemeinsam, dass sie zur Entdeckung High-grade-Dysplasien oder invasiver Karzinome eine relativ hohe Sensitivität besitzen, leider aber eine geringe Spezifität aufweisen. Dies führt tendenziell zu einer Überbehandlung der Patienten (17). Ein weiteres Pro­blem in der Behandlung der Pankreaszysten ist die ungenügende Adhärenz zu den Guidelines. Daten aus der Literatur zeigen, dass nur ca. 2/3 aller der Patienten mit bekannten Pankreaszysten einen adäquaten Follow-up erhalten (18). Einen sehr lesenswerten Überblick über die verschiedenen Leitlinien resp. deren Unterschiede bietet die Arbeit von Aziz et al. (19).

Um ein strukturiertes Follow-up zu gewährleisten, aber auch da es sich um potenzielle Krebserkrankungen handelt, sehen wir eine interdisziplinäre Diskussion im Rahmen eines «Pankreaszystenboard» als empfehlenswert. Diese Diskussion soll einerseits unnötige Resektionen verhindern und andererseits eine adäquate und verhältnismässige Surveillance sicherstellen.

Ausblick

Die Häufigkeit zystischer Pankreasläsionen gerade bei älteren Patienten stellt eine klinische Herausforderung dar. Dem Risiko einer meist tödlich verlaufenden Karzinomerkrankung steht die Gefahr der «Überdiagnostik» mit damit assoziierter psychischer Belastung Betroffener und unnötigen Pankreasresektionen gegenüber. Dazuzurechnen sind Belastungen für das Gesundheitswesen finanzieller und logistischer Art in einem Gesamtsystem, in welchem in Zukunft die Ressourcen knapp werden dürften.
Die interdisziplinäre Diskussion der radiologischen resp. endosonographischen Befunde unter Berücksichtigung der Europäischen Leitlinien bietet Rahmenbedingungen, welche eine angemessene Überwachung oder chirurgische Therapie ermöglichen.
Unter welchen Umständen diese Überwachung bei einem gesunden Patienten beendet werden darf, ist ebenfalls noch umstritten. Erste Studien empfehlen jedoch, bei einem stabilen Verlauf über 5 Jahre und einer maximalen Zystengrösse von 30 mm bei über 75-Jährigen bzw. 15 mm bei über 65-Jährigen die Überwachung einzustellen (20).

Key Messages
• Symptomatische Pankreaszysten sind oft Pseudozysten.
• Asymptomatische Zysten sind in der Regel echte Neoplasien, am häufigsten IPMN vom Seitenast-Typ (BD-IPMN), welche zumeist ein niedriges Entartungsrisiko aufweisen.
• Eine Hauptast-IPMN (MD-IPMN) > 10 mm, anreichernde murale Knoten (≥ 5 mm) oder eine positive Zytologie stellen eine Indikation zur chirurgischen Resektion dar.
• Vor Abklärung oder Surveillance muss geklärt sein, ob eine chirurgische Therapie infrage käme. Im negativen Fall soll der Fall abgeschlossen werden.
• Die Nachsorge wird mittels MRCP seriell über Jahre vollzogen, wobei sich die Intervalle anhand der Risikostratifikation bemessen.
• Die obere Endosonographie hilft beim Nachweis von Zystencharakteristika, welche für eine Operation sprechen.
• Bei absoluter und insbesondere auch bei relativer Operationsindikation sollte der Patient an ein HSM-Zentrum zur weiteren Evaluation zugewiesen werden.

Dr. med. Bernhard Morell

Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Stadtspital Zürich
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

bernhardkaspar.morell@stadtspital.ch

Dr. med. Stephan Ullrich 

Leitender Arzt
Institut für Radiologie und Nuklearmedizin
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Dr. med. Stefan Gutknecht

Leitender Arzt
Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefässchirurgie
Stadtspital Zürich Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Dr. med. Pascal Weibel

Facharzt für Chirurgie
Klinik für Viszeral- Thorax- und Gefässchirurgie
Stadtspital Zürich

Dr. med. Jörg Wydler

Leitender Arzt, Klinik Viszeral-, Thorax- und Gefässchirurgie
Chefarzt Klinik für Belegärzte
Stadtspital Zürich Triemli
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Prof. Dr. med. Christoph Gubler

Gastroenterologie & Hepatologie
Stadtspital Zürich
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Symptomatische Pankreaszysten sind oft Pseudozysten.
• Asymptomatische Zysten sind in der Regel echte Neoplasien, am häufigsten IPMN vom Seitenast-Typ (BD-IPMN), welche zumeist ein niedriges Entartungsrisiko aufweisen.
• Eine Hauptast-IPMN (MD-IPMN) > 10 mm, anreichernde murale Knoten (≥ 5 mm) oder eine positive Zytologie stellen eine Indikation zur chirurgischen Resektion dar.
• Vor Abklärung oder Surveillance muss geklärt sein, ob eine chirurgische Therapie infrage käme. Im negativen Fall soll der Fall abgeschlossen werden.
• Die Nachsorge wird mittels MRCP seriell über Jahre vollzogen, wobei sich die Intervalle anhand der Risikostratifikation bemessen.
• Die obere Endosonographie hilft beim Nachweis von Zystencharakteristika, welche für eine Operation sprechen.
• Bei absoluter und insbesondere auch bei relativer Operationsindikation sollte der Patient an ein HSM-Zentrum zur weiteren Evaluation zugewiesen werden.

1. Shaikh U, Lewis-Jones H: Commercial CT scans: VOMIT victim of medical investigative technology. BMJ 2008, 336(7634):8.
2. Chang YR, Park JK, Jang JY, Kwon W, Yoon JH, Kim SW: Incidental pancreatic cystic neoplasms in an asymptomatic healthy population of 21,745 individuals: Large-scale, single-center cohort study. Medicine (Baltimore) 2016, 95(51):e5535.
3. Mukewar S, de Pretis N, Aryal-Khanal A, Ahmed N, Sah R, Enders F, Larson JJ, Levy MJ, Takahashi N, Topazian M et al: Fukuoka criteria accurately predict risk for adverse outcomes during follow-up of pancreatic cysts presumed to be intraductal papillary mucinous neoplasms. Gut 2017, 66(10):1811-1817.
4. Choi SH, Park SH, Kim KW, Lee JY, Lee SS: Progression of Unresected Intraductal Papillary Mucinous Neoplasms of the Pancreas to Cancer: A Systematic Review and Meta-analysis. Clin Gastroenterol Hepatol 2017, 15(10):1509-1520 e1504.
5. Kromrey ML, Bulow R, Hubner J, Paperlein C, Lerch MM, Ittermann T, Volzke H, Mayerle J, Kuhn JP: Prospective study on the incidence, prevalence and 5-year pancreatic-related mortality of pancreatic cysts in a population-based study. Gut 2018, 67(1):138-145.
6. Moris M, Bridges MD, Pooley RA, Raimondo M, Woodward TA, Stauffer JA, Asbun HJ, Wallace MB: Association Between Advances in High-Resolution Cross-Section Imaging Technologies and Increase in Prevalence of Pancreatic Cysts From 2005 to 2014. Clin Gastroenterol Hepatol 2016, 14(4):585-593 e583.
7. Waters JA, Schmidt CM, Pinchot JW, White PB, Cummings OW, Pitt HA, Sandrasegaran K, Akisik F, Howard TJ, Nakeeb A et al: CT vs MRCP: optimal classification of IPMN type and extent. J Gastrointest Surg 2008, 12(1):101-109.
8. Sainani NI, Saokar A, Deshpande V, Fernandez-del Castillo C, Hahn P, Sahani DV: Comparative performance of MDCT and MRI with MR cholangiopancreatography in characterizing small pancreatic cysts. AJR Am J Roentgenol 2009, 193(3):722-731.
9. Zamboni G, Scarpa A, Bogina G, Iacono C, Bassi C, Talamini G, Sessa F, Capella C, Solcia E, Rickaert F et al: Mucinous cystic tumors of the pancreas: clinicopathological features, prognosis, and relationship to other mucinous cystic tumors. Am J Surg Pathol 1999, 23(4):410-422.
10. Reddy RP, Smyrk TC, Zapiach M, Levy MJ, Pearson RK, Clain JE, Farnell MB, Sarr MG, Chari ST: Pancreatic mucinous cystic neoplasm defined by ovarian stroma: demographics, clinical features, and prevalence of cancer. Clin Gastroenterol Hepatol 2004, 2(11):1026-1031.
11. European Study Group on Cystic Tumours of the P: European evidence-based guidelines on pancreatic cystic neoplasms. Gut 2018, 67(5):789-804.
12. McCarty TR, Garg R, Rustagi T: Pancreatic cyst fluid glucose in differentiating mucinous from nonmucinous pancreatic cysts: a systematic review and meta-analysis. Gastrointest Endosc 2021, 94(4):698-712 e696.
13. Tanaka M, Fernandez-Del Castillo C, Kamisawa T, Jang JY, Levy P, Ohtsuka T, Salvia R, Shimizu Y, Tada M, Wolfgang CL: Revisions of international consensus Fukuoka guidelines for the management of IPMN of the pancreas. Pancreatology 2017, 17(5):738-753.
14. Ohtsuka T, Fernandez-Del Castillo C, Furukawa T, Hijioka S, Jang JY, Lennon AM, Miyasaka Y, Ohno E, Salvia R, Wolfgang CL, Wood LD: International evidence-based Kyoto guidelines for the management of intraductal papillary mucinous neoplasm of the pancreas. Pancreatology 2024, 24(2):255-270.
15. Scheiman JM, Hwang JH, Moayyedi P: American gastroenterological association technical review on the diagnosis and management of asymptomatic neoplastic pancreatic cysts. Gastroenterology 2015, 148(4):824-848 e822.
16. Hasan A, Visrodia K, Farrell JJ, Gonda TA: Overview and comparison of guidelines for management of pancreatic cystic neoplasms. World J Gastroenterol 2019, 25(31):4405-4413.
17. Canakis A, Maoz A, Tkacz JN, Huang C: Factors affecting the rates of adherence to surveillance recommendations for incidental pancreatic cystic lesions in a large urban safety net hospital. BMJ Open Gastroenterol 2020, 7(1).
18. Aziz H, Acher AW, Krishna SG, Cloyd JM, Pawlik TM: Comparison of Society Guidelines for the Management and Surveillance of Pancreatic Cysts: A Review. JAMA Surg 2022, 157(8):723-730.
19. Marchegiani G, Pollini T, Burelli A, Han Y, Jung HS, Kwon W, Rocha Castellanos DM, Crippa S, Belfiori G, Arcidiacono PG et al: Surveillance for Presumed BD-IPMN of the Pancreas: Stability, Size, and Age Identify Targets for Discontinuation. Gastroenterology 2023, 165(4):1016-1024 e1015.