Eine etwas andere Ursache einer Blutungsquelle im oberen Ösophagus

Wir berichten über einen 89-jährigen Patienten, der sich aufgrund von Meläna und Leistungsminderung auf der Notfallstation vorstellte. Ursächlich für die Symptomatik war eine obere gastrointestinale Blutung aus einer Metastase eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms, welches im Initialstadium im Jahr 1996 bereits operativ mittels Thyreoidektomie angegangen wurde.

Schlüsselwörter: Gastrointestinale Blutung, Endoskopie, ösophageale Metastase, follikuläres Schilddrüsenkarzinom

Anamnese und initiale Befunde

Es erfolgte die abendliche notfallmässige Vorstellung eines 89-jährigen Patienten auf unserer Notfallstation aufgrund von Meläna in den letzten Tagen und einer begleitenden leichten Leistungsminderung. Der Patient war in einem guten Allgemeinzustand, wirkte biologisch deutlich jünger, und seine fixe Medikation bestand lediglich aus Eltroxin und Metoprolol. Gemäss seiner Aussage hatte er vor ca. 30 Jahren eine Schilddrüsenentfernung wegen eines Tumors sowie eine radikale Prostatektomie wegen eines Prostatakarzinoms vor 15 Jahren und einen Bluthochdruck. In der klinischen Untersuchung fanden sich bei leicht hypertensiven Blutdruckwerten keine anderweitigen pathologischen Befunde. Insbesondere die digital rektale Untersuchung war unauffällig und zeigte kein Blut am Fingerling. Im Labor fand sich eine hyporegenerative, normochrome, normozytäre Anämie mit einem Hämoglobin von 109 g/l (Normwert 140 bis 180 g/l). Es waren keine unmittelbaren Vorwerte vorhanden, sodass die Dynamik einer allfälligen Blutung offenblieb. Differenzialdiagnostisch schien ein eher chronischer gastrointestinaler Blutverlust mit Meläna vorzuliegen. Der Patient wurde stationär aufgenommen und eine endoskopische Untersuchung des oberen Gastrointestinaltraktes für den Folgemorgen vereinbart.

Abklärungsschritte

In der Gastroskopie am Folgetag fand sich, bei stabilem Hämoglobin über Nacht, der endoskopisch in Abb. 1 ersichtliche Befund im proximalen Ösophagus, wobei die restliche Untersuchung des oberen Gastrointestinaltraktes bis auf wenig Hämatinspuren im Magen unauffällig war.

Es handelte sich um einen das Lumen einengenden Befund im proximalen Ösophagus ungefähr 20 cm ab Zahnreihe mit makroskopisch scheinbar äusserst guter Durchblutung. Der Befund wurde aufgrund von diffusen Sickerblutungen bei kleinster Berührung mit dem Endoskop und der Biopsiezange vorerst nur mittels einem NaCl 0.9 % und 1:10 000 verdünnten Adrenalingemisch umspritzt. Die Endoskopie wurde beendet und der Patient für eine Computertomografie (CT)-Untersuchung des Halses, Thorax und Abdomens angemeldet, mit Frage nach Durchblutung und Ätiologie der Läsion.
CT-grafisch wurde die Raumforderung dann als ungefähr 3 x 3 x 5 cm grosse Läsion im Bereich des proximalen Ösophagus mit deutlicher Kontrastmittelaufnahme beschrieben (Abb. 2). Die Ätiologie der Raumforderung blieb vorerst aber unklar. Differenzialdiagnostisch wurde von den Kollegen der Radiologie ein neuroendokriner Tumor, ein gastrointestinaler Stromatumor, ein Leiomyom oder ein ektopes, hyperproliferiertes Schilddrüsengewebe postuliert. Der Patient wurde auf der Station weiter klinisch überwacht, mittels hochdosierter Protonenpumpeninhibitoren (PPI) behandelt, und das Hämoglobin wurde engmaschig kontrolliert und eine erneute endoskopische Abklärung in Endosonografie-Bereitschaft geplant. In der erneuten gastroskopischen Untersuchung konnte der Befund nochmalig dargestellt werden, und es gelang die Entnahme einiger Proben zur histologischen Untersuchung. Auf eine obere Endosonografie wurde bei deutlicher Lumeneinengung durch den Befund vorerst verzichtet.

Diagnose

In der histologischen Aufarbeitung fanden sich Zellen eines Adenokarzinoms, morphologisch und immunhistochemisch vereinbar mit Metastasen eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms (Abb. 3 links).

Verlauf

In der inzwischen natürlich erfolgten Durchsicht der Akten wurde der Patient im Jahr 1996, also vor fast 30 Jahren, aufgrund eines gut differenzierten follikulären Schilddrüsenkarzinoms komplett thyreoidektomiert.

Bis ins Jahr 2007 erfolgten insgesamt 3 Radiojodtherapien bei jeweils leichtem Anstieg des Thyreoglobulins. Posttherapeutisch erfolgte zuletzt im Jahr 2007 eine Jod-131-Ganzkörperszintigrafie ohne Mehranreicherung bei bereits damals leicht erhöhtem Thyreoglobulin (2.5 µg/l [Norm 1.6 bis 61.3µg/l]). Eine kleine Mehranreicherung paraösophageal links wurde im PET-CT im Jahr 2008 erstmalig beschrieben, und die Läsion in diesem Bereich war dann in einem PET-CT in 2015 grössenprogredient mit damals 1 x 1 cm. Endoskopisch und endosonografisch wurde diese Läsion damals abgeklärt und als mögliches Gefässkonvolut interpretiert. Weitere Abklärungen und Kontrollen diesbezüglich erfolgten nicht.

Der nun deutliche Anstieg des Thyreoglobulins auf 2782 µg/l (Norm 1.6 bis 61.3µg/l) mit zuletzt vorhandenem Wert von 9.5 µg/l im April 2008 und die immunhistochemisch bestätigte Expression von Thyreoglobulin in den Tumorzellen (Abb. 3 rechts) bestätigte nun eine Metastase des Schilddrüsenkarzinoms. Aktuell war die Läsion deutlich grösser (3.2 x 3.3 x 5.3 cm) als noch im Jahr 2015 (1 x 1 cm).
Die ösophageale Metastase bestand somit vermutlich seit mindestens 15 Jahren, war nun deutlich grössenprogredient und hatte aktuell zu einer Sickerblutung im Bereich der Läsion geführt. Eine Radiojodtherapie zum jetzigen Zeitpunkt war aufgrund der Grösse der Metastase, der bereits dreimal durchgeführten Radiojodtherapie und der fehlenden Jodaufnahme in der letzten posttherapeutischen Jod-131-Ganzkörperszintigrafie 2007 bei bereits damals erhöhtem Thyreoglobulin und nachgewiesener Pathologie im Bereich des Ösophagus nicht mehr möglich.
Aufgrund des Alters des Patienten sowie der Lokalisation der Metastase kam auch eine chirurgische Sanierung eher nicht infrage. Wir empfahlen dem Patienten darum eine Radiotherapie, mit welcher auch der Patient einverstanden war. Inzwischen wurde der Patient auch erfolgreich mit 25 x 2 Gy palliativ bestrahlt. Komplikationen des lokalen Befundes sind keine mehr aufgetreten. Die Bestrahlung wurde gut toleriert bis auf eine passagere Odynophagie.

Kommentar

Die Wichtigkeit der Anamnese und die Informationen betreffend der Vordiagnosen sind auch in diesem Fall eindrücklich. Die Anamnese mit Verdacht auf einen gastrointestinalen Blutverlust liessen uns rasch in die Richtung der Endoskopie als diagnostisches Mittel der Wahl denken. Endoskopisch fand sich dann eine Raumforderung im proximalen Ösophagus als Ursache. Die Diagnose des metastasierten Schilddrüsenkarzinoms liess sich histologisch, immunhistochemisch und bildgebend sichern.

In der Literatur finden sich sehr wenige Fallberichte mit ösophageal metastasierten follikulären Schilddrüsenkarzinomen. Lee et al. (1) berichteten über den zum damaligen Zeitpunkt (2008) offenbar erstmalig beschriebenen Fall einer ösophagealen Metastase eines follikulären Schilddrüsenkarzinoms, welche zwei Jahre nach operativer Schilddrüsenentfernung als mukosale, polypoide Metastase im Ösophagus auftrat. Die Metastase bei diesem Patienten wurde damals endoskopisch entfernt und der Patient laborchemisch nachkontrolliert.
Das follikuläre Schilddrüsenkarzinom metastasiert in der Regel eher in die Lungen, die Knochen und das Gehirn (1). Das Gesamtüberleben von kurativ behandelten, mittelalten Patienten mit Schilddrüsenkarzinomen ist ungefähr 80–95 % (2).

Einen ebenfalls ähnlichen Fall beschreiben die Kollegen Akyildiz et al. 2005 (3). Hier wird über ein Hürthle-Zell-Karzinom im Ösophagus berichtet, welches acht Jahre nach subtotaler Thyreoidektomie wegen multipler Knoten in der Schilddrüse auftrat. In diesem Fall wuchs der Tumor jedoch per continuitatem in den Ösophagus hinein. Auch in dieser Arbeit wurde der initiale Befund submukosal im Ösophagus als Hämangiom interpretiert, wie auch in unserem Fall, wo vor neun Jahren die Endosonografie den Verdacht auf ein Gefässkonvolut ergab.

In einem schönen Review aus dem Jahr 2001 berichten E. J. Simchuk, D. E. Low et al. (4) über sechs Fälle von Metastasen im Ösophagus, ausgehend von extraösophagealen Tumoren. Das mittlere Alter der Patienten in der Arbeit lag bei 72 Jahren (Range 68 ± 74). Zwei der primären Tumoren waren Lungentumore, vier waren Brustkrebs. Das durchschnittliche Intervall der Diagnose der Metastase zur Diagnose des Primarius lag bei sieben Jahren bei Patienten mit Brustkrebs, und bei fünf Monaten bei Patienten mit Lungenkrebs. Drei der Patienten wurden aufgrund des stenosierenden Verlaufs der Metastasierung mittels Stenting versorgt, und drei der Patienten starben aufgrund von gastrointestinalen Blutungen.

Autopsiestudien vermuten die Inzidenz von Metastasen im Ösophagus bei Patienten, die aufgrund irgendeiner Krebsart sterben um ca. 3–6 %, wobei Brust- und Lungenkarzinome die häufigsten Primärtumore zu sein scheinen (4). Der erste Fallbeschrieb einer ösophagealen Metastase wurde im Jahr 1942 veröffentlich, wobei hier als Primärtumor ein Prostatakarzinom vorlag (5).
Die Mitbeteiligung des Ösophagus im Rahmen eines anderen Primarius geschieht durch drei verschiedene Mechanismen, wobei der häufigste Mechanismus die direkte Infiltration von benachbarten Organen ist, namentlich Larynx, Hypopharynx, Trachea, Bronchus, Magen und mediastinale Lymphknotenmetastasen. Die anderen beiden Mechanismen sind die lymphogene Metastasierung und die hämatogene Metastasierung. Die Schwierigkeit der Detektion der Metastasen liegt darin, dass die Metastasierung häufig submukosal geschieht und der endoskopische Befund durch die normale darüberliegende Schleimhaut maskiert wird (4).

In dem von uns beschriebenen Fall lag die Zeit zwischen Erstdiagnose des Primarius und Diagnose der symptomatischen Metastase bei 27 Jahren.

Key Messages
• Zur Abklärung einer möglichen gastrointestinalen Blutung gehört die Endoskopie des oberen Gastrointestinaltraktes und bei fehlenden Erklärungen dann auch die des unteren respektive auch des mittleren Magendarmtraktes.
• Die Vorgeschichte des Patienten respektive die Kenntnis um die Vorerkrankungen ist bei unklaren Fällen essenziell.
• Ein patientenorientierter Therapieansatz sollte gerade bei dem immer älter werdenden Patientengut angestrebt werden.
• Metastasen von anderen Primärtumoren im Ösophagus sind selten und stammen hauptsächlich aus Lungen- und Brusttumoren.

Dipl. ArztPeter Schaub

Medizinische Klinik
Kantonsspital Frauenfeld
Pfaffenholzstrasse 4
8500 Frauenfeld

peter.schaub@stgag.ch

C. I. Ursu

Institut für Pathologie
Kantonsspital Münsterlingen
CH-8596 Münsterlingen

Prof. Dr. med. Peter Wiesli 

Chefarzt Innere Medizin
Medizinische Klinik
Kantonsspital Frauenfeld
CH-8501 Frauenfeld

PD Dr. med. Christine N. Manser

Leiterin Gastroenterologie
Kantonsspital Frauenfeld
CH-8501 Frauenfeld

Die Autorin und die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Zur Abklärung einer möglichen gastrointestinalen Blutung gehört die Endoskopie des oberen Gastrointestinaltraktes und bei fehlenden Erklärungen dann auch die des unteren respektive auch des mittleren Magendarmtraktes.
• Die Vorgeschichte des Patienten respektive die Kenntnis um die Vorerkrankungen ist bei unklaren Fällen essenziell.
• Ein patientenorientierter Therapieansatz sollte gerade bei dem immer älter werdenden Patientengut angestrebt werden.
• Metastasen von anderen Primärtumoren im Ösophagus sind selten und stammen hauptsächlich aus Lungen- und Brusttumoren.

1. Belinda Lee, Gary Cook, Lynn John, Kevin Harrington and Chris Nutting. Follicular Thyroid Carcinoma Metastasis to the Esophagus Detected by 18FDG PET/CT. Thyroid 2008. Volume 18; 267-271
2. M J Schlumberger. Papillary and Follicular Thyroid Carcinoma. N Engl J Med 1998; 338:297-306.
3. Murat Akyildiz, Omer Ozutemiz, Fulya Gunsar et al. Esophageal Metastasis Of Hurthle Cell Thyroid Carcinoma Eight Years After A Subtotal Thyroidectomy That Mimicked Esophageal Hemangioma. J Gastroenterol Hepatol . 2005 Oct;20(10):1628-9.
4. E J Simchuk, D E Low. Direct esophageal metastasis from a distant primary tumor is a submucosal process: a review of six cases. Dis Esophagus . 2001;14(3-4):247-50
5. Gross P, Freedman LJ. Obstructing secondary carcinoma of the esophagus. Arch Pathol Lab Med 33; 361-364: 1942

Metatarsalgie

Zusammenfassung: Die Metatarsalgie ist ein Oberbegriff für Beschwerden am Vorfuss im Bereich der Metatarsophalangealgelenke II–V. Sie beschreibt kein konkretes Krankheitsbild, sondern einen Symptomkomplex, welcher unterschiedliche Ursachen haben kann. Ursächlich infrage kommen mechanische (meist eine relative Überlänge des 2. und 3. Metatarsales), neurologische (Morton-Neurinom) und systemische Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Gicht). Seltenere Ursachen sind Stressfrakturen, Infekte und aseptische Nekrosen. Beschrieben wird die Metatarsalgie mit belastungsabhängigen Schmerzen im Vorfussballen, welche oft einen brennenden oder stechenden Charakter haben. Manchmal wird auch von einen Fremdkörpergefühl berichtet, als laufe man auf einem «Kieselstein». Das Tragen von engen und harten Schuhen provoziert die Beschwerden zusätzlich. Die Therapie ist in den meisten Fällen konservativ und umfasst das Tragen von angepasstem Schuhwerk, Fussgymnastik/Dehnungsübungen und orthopädische Schuheinlagen. Chirurgisch können Morton-Neurinome entfernt werden und Fehlstellungen und Überlängen der Metatarsalia korrigiert werden.

Schlüsselwörter: Metatarsalgie, Vorfussbeschwerden, konservative Therapie, chirurgische Behandlung, Morton-Neurinome

Einleitung

Die Metatarsalgie, eine der häufigsten Ursachen für Fussbeschwerden, ist durch einen belastungsabhängigen Schmerz im Bereich des Vorfussballens charakterisiert. Meist entsteht sie durch eine Überlastung des Vorfusses. Sie kann jedoch auch durch eine Reizung der Metatarsophalangealgelenke oder der interdigitalen Nerven (Morton-Neurinom) auftreten.

Typischerweise klagen die Betroffenen über stechende oder brennende Schmerzen am Vorfussballen, der Bereich an der Fusssohle unmittelbar proximal der Zehen. Der Schmerz lässt sich durch Stehen/Gehen auf hartem Untergrund und Zehenspitzenstand provozieren. In der Regel sind die Beschwerden beim Barfussgehen am ausgeprägtesten und nehmen beim Tragen von (weichen, breiten) Schuhen und in Ruhe ab. Einige Patienten beschreiben ein Fremdkörpergefühl (Kieselstein im Schuh oder Falz im Strumpf), Taubheit oder Dysästhesien.

Zunächst sollte versucht werden, die Beschwerden mit konservativen Massnahmen zu behandeln. Dazu gehören Übungen zur Stärkung der kleinen (intrinsischen) Fussmuskeln und das Dehnen der Wadenmuskulatur. Unterstützend können orthopädische Schuheinlagen verschrieben werden. Bei ausbleibender Besserung kann mittels Infiltrationstherapie die Reizung lokal antiphlogistisch angegangen werden. Helfen diese Massnahmen nicht, gibt es operative Möglichkeiten, um die Drucküberlastung im Vorfuss zu reduzieren.

Ursachen

Die Ursachen der Metatarsalgie können angeboren, erworben oder iatrogen verursacht sein. Man spricht auch von primärer, sekundärer und iatrogener Metatarsalgie, wobei bei der primären Metatarsalgie die Ursachen am Fuss selbst zu suchen sind. Dazu gehören diverse Fussformen (z.B. Hallux valgus, Spreizfuss, Brachimetatarsale I).
Die sekundären Ursachen sind in systemischen Erkrankungen wie Gicht und rheumatoider Arthritis zu finden.

Mechanische Ursache

Bei den mechanischen Ursachen besteht meist eine relative Überlänge des 2. Metatarsales relativ zum ersten Metatarsale oder eine Instabilität der Metatarsophalangealgelenke (Abb. 1). Diese führen zu einer unphysiologischen Belastung des Vorfusses. Die Fehl- oder Überlastung wird zusätzlich noch begünstigt durch das regelmässigen Tragen von ungedämpften Schuhen, hohen Absätzen und das Gehen auf hartem Boden. Das Gewebe reagiert darauf mit funktionellen Einschränkungen und strukturellen Veränderungen (1).

Durch die oben beschriebene Zunahme der Belastung unter dem 2. und 3. Metatarsale bildet sich am Vorfussballen eine druckempfindliche Hornhaut oder gar Hühneraugen, und das schützende plantare Fettpolster unter den Mittelfussgelenken nimmt ab.

Beim gesunden Fuss verteilt sich die Last beim Abrollvorgang harmonisch von der Ferse bis zum Vorfuss. Das Gewicht verteilt sich auf alle Metatarsaleköpfchen, wobei das erste doppelt so viel Last übernimmt wie die restlichen vier zusammen (1). Ist nun diese Lastverteilung gestört, kann eine Metatarsalgie auftreten.
Auch plötzliches oder intensives Training, vor allem Lauf- und Stop-and-Go-Sportarten, kann zu einer Überlastung und Reizung der Metatarsophalangealgelenke führen. Die Reizung kann passager sein, aber auch eine sekundäre Instabilität der betroffenen Gelenke mit anhaltender Schmerzentwicklung nach sich ziehen.

Weitere Risikofaktoren sind High-impact-Sportarten und Übergewicht.
Beim Hallux valgus führt die Fehlstellung des 1. Metatarsophalangeal (MTP)-Gelenks zu einer vermehrten Belastung der benachbarten MTP-Gelenke (2), was sich Transfermetatarsalgie nennt und sich unterhalb vom 2. und 3. (Abb. 1) MTP-Gelenk bemerkbar macht. Der Hallux valgus tritt häufiger bei Frauen auf. Frauen über 65 Jahre leiden mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% an einer Hallux-valgus-Fehlstellung (3).
Ein sehr kurzes erstes Metatarsale, sog. Brachimetatarsale I, kann die Überlastung vom MTP-II- und -III-Gelenk zusätzlich verstärken (Abb. 1). Dieses führt ebenfalls zu einer relativen Überlänge der lateralen Strahlen im Verhältnis zum Metatarsale I.

Eine weitere Ursache, welche zu einer Transfermetatarsalgie führen kann, ist der Hallux rigidus, die Arthrose im Grosszehengrundgelenk. Durch die zunehmende Bewegungseinschränkung im MTP-I-Gelenk kommt es zur Überlastung der benachbarten MTP-Gelenke, einer Transfermetatarsalgie.
Beim Spreizfuss (Pes transversoplanus), welcher oft mit dem Hallux valgus vergesellschaftet ist, weichen die Mittelfussknochen auseinander, und das Quergewölbe flacht sich ab (Abb. 2).

Der Verlust des Quergewölbes führt zu einer Überdehnung oder gar Ruptur der plantaren Platte. Diese stabilisiert das MTP-Gelenk von plantar und kann bei Läsionen zu Verformungen der Zehen, Hammer-, Krallenzehen und Über-/Unterkreuzung der Zehen führen (11).

Durch eine zusätzliche Fehlstellung der Kleinzehen (Hammer-, Krallenzehen) kann es zu Entzündungen der kleinen Gelenke kommen (Abb. 3). Die Fehlstellung der Kleinzehen kann ausserdem durch die Überstreckung der Grundgelenke zu einer Verlagerung des plantaren Fettpolsters, weg von den Mittelfussköpfchen, führen, sodass die Dämpfung für die Köpfchen wegfällt.

Neurologische Ursache – das Morton-Neurinom

Eine unphysiologische Druckbelastung der Mittelfussknochen und der Raum zwischen den Metatarsalia kann zu einer Verdickung und Entzündung des darin verlaufenden Nervs führen (Abb. 4). Man spricht dann von einer Morton-Neuralgie oder einem Morton-Neurinom.

Dies ist ein gutartiger Tumor, welcher perineural auftritt und damit zu einem Nervenkompressionssyndrom führt. Am häufigsten betroffen ist der 3. Intermetatarsalraum (Interdigital III/IV) gefolgt vom 2. Intermetatarsalraum (Interdigital II/III). Selten finden sich diese Neurome im 1. und 4. Intermetatarsalraum (4).

Systemisch entzündliche Erkrankungen

Die rheumatoide Arthritis, die am weitesten verbreitete entzündliche Gelenkerkrankung (5), betrifft meist die ­kleinen Gelenke der Hände und Füsse. Andere Erkrankungen, die zu Entzündungen an diesen Gelenken führen können, sind die Psoriasis oder seltener eine Kristallarthropathie (Gicht, Pseudogicht). Die Gelenkentzündungen machen sich mit schmerzhaften geschwollenen Gelenken bemerkbar. Da die Erkrankung nicht nur die Knochen, sondern auch Knorpel, Bänder und Sehnen betrifft, kommt es im weiteren Verlauf zu Kontrakturen, Fehlstellungen und Funktionsverlust der Gelenke (6).

Aseptische Nekrosen, Frakturen

Beim Morbus Köhler II, auch Morbus Köhler-Freiberg genannt, handelt es sich um eine aseptische Knochennekrose der Metatarsalköpfchen II–V, wobei das 2. Metatarsalköpfchen am meisten betroffen ist. Durch die Nekrose kommt es zum Einbruch des Knochens und Deformität des Metatarsalköpfchens, was zur Arthrose im Metatarsophalangealgelenk führt (Abb. 5). Die Ursache für diese Durchblutungsstörung ist nicht schlüssig geklärt. Mikrotraumta und systemische Erkrankungen sind die häufigsten Erklärungen (7).
Durch Frakturen an den Metatarsalia kann es zu Fehlstellungen und ebenfalls nicht physiologischen Belastungen in den MTP-Gelenken kommen (Abb. 6).

Iatrogene Ursachen

Iatrogene Ursachen der Metatarsalgie sind bedingt durch chirurgische Voreingriffe, zum Beispiel einer Hallux-valgus-Korrektur mit Verkürzung des Metatarsale I (Abb. 6), Versteifung des Grosszehengrundgelenks, diverse Zeheneingriffe sowie wiederholte Steroidinfiltrationen. Steroide zeigen neben der gewünschten antiinflammatorischen Wirkung auch negative Effekte wie Schwächung der Sehnenstrukturen, Knorpelschädigungen sowie Ruptur der Gelenkkapsel mit daraus folgender Gelenkinstabilität (8).

Verkürzung der Wadenmuskulatur

Die Verkürzung der Achillessehne/Wadenmuskulatur führt zu einer verstärkten Belastung des Vorfusses beim Gehen (analog dem Gehen mit hohen Absätzen). Grund dafür ist die fehlende Dorsalextension am Sprunggelenk: Die Last wird statt auf das Sprunggelenk auf die Mittelfussköpfchen übertragen.

Diagnostik

Die Diagnostik beginnt mit einer gründlichen Untersuchung der Füsse. Bei der Inspektion sucht man nach Schwellungen, Rötungen, Hornhautbildung und Fehlstellungen. Beim Gangbild achtet man auf ein Hinken, eine asymmetrische Belastung und/oder einen unnatürlichen Abrollvorgang. Zudem wird auf einen verfrühten «heel lift off» geachtet: Bei der verkürzten Achillessehne verliert die Ferse im Gangzyklus früh den Bodenkontakt.

Eine verkürzte Gastrocnemiusmuskulatur wird mittels Silfverskjöld-Test ermittelt (9). Dabei testet man die maximale Dorsalextension des Fusses bei 90° gebogenem Knie und vergleicht dies mit der maximalen Dorsalextension bei gestrecktem Knie. Dieser Test ist positiv bei verkürztem M. Gastrocnemius, was zu einer vermehrten Belastung des Vorfussballens beim Gehen führt. Die Inspektion der Schuhsohlen gibt, bei asymmetrischem Abnutzungsprofil, Hinweise auf das Gangbild und mögliche Fussüberlastungen des Patienten.

Einzelne klinische Test können auf eine spezifische Pathologie hindeuten. Dazu gehört der Daumen-Zeigefinger-Kompressionstest (dabei wird der Daumen dorsal und der Zeigefinger plantar in den Intermetatarsalraum gepresst), der Mulder’s-click-Test sowie der Vorfuss-Kompressionstest, welche hinweisend für ein Morton-Neurom sein können (4).

Der «Schubladen-Test» der MTP-Gelenke beschreibt eine mögliche Läsion der plantaren Platte, wie sie zum Beispiel nach mehrfacher Steroidinfiltration des Gelenkes auftritt. Dabei wird die Zehe bei Fixation des Metatarsalköpfchens nach plantar und dorsal bewegt. Der Test ist positiv, wenn die Beweglichkeit erhöht ist, und zeigt eine Instabilität im MTP-Gelenk auf (10).

Ein konventionelles, im Stehen durchgeführtes, Röntgenbild der Füsse in drei Ebenen (dorso-plantar, lateral und schräg) kann anatomische Ursachen der Metatarsalgie erfassen. Dieses wird auf eine Hallux-valgus-Fehlstellung/ Arthrose im MTP-I-Gelenk, eine Überlänge vom 2. Strahl bzw. kurzes Metatarsale I, Stressfrakturen, Arthrose oder Nekrosen sowie (Sub-)Luxationen der Metatarsophalan­gealgelenke beurteilt.
Gibt das Röntgenbild keine Hinweise für mögliche Ursachen der Symptome, kann die Diagnostik mittels MRT erweitert werden. Dies soll jedoch nicht standardmässig erfolgen.

In der MRT kann zusätzlich eine Überlastung oder beginnende Stressfraktur, welche im konventionellen Röntgen noch nicht ersichtlich ist, diagnostiziert werden. Die MRT eignet sich zudem für den Nachweis eines Morton-Neuroms, Überlastung der MTP-Gelenke, Läsionen der plantaren Platte und intermetatarsale Bursitiden.

Die Diagnostik mittels Ultraschall ist kostengünstig, aber untersucherabhängig. Geübte Untersucher können eine Läsion der plantaren Platte, Fehlstellung in den MTP-Gelenken und auch ein Morton-Neurinom diagnostizieren.

Therapie

Die meisten Ursachen der Metatarsalgien können durch Patientenschulung/Physiotherapie und Anpassung des Schuhwerkes erfolgreich therapiert werden. In seltenen Fällen muss ein Morton-Neurinom entfernt werden oder eine Fehlstellung operativ angegangen werden.

Konservativ

Die meisten Ursachen der Metatarsalgie können konservativ therapiert werden, wobei sich die Therapie nach der Ursache der Metatarsalgie richtet.
Die Dehnung der Wadenmuskulatur ist ein wichtiger Therapieansatz, welcher jeder Patient mit wenig Aufwand und selbständig durchführen kann (11).

Neben der Dehnung der Muskulatur sollen die kleinen Muskeln im Fuss, die intrinsische Muskulatur, regelmässig gekräftigt und massiert werden. Übungen sind zum Beispiel das «Handtuchgreifen» (Handtuch wird auf den Boden gelegt und mit dem Fuss aufgenommen) oder die «Ball-/Rollmassage» (z.B. wird ein Golfball sanft mit der Fusssohle hin- und hergerollt). Dies kann Verklebungen der Faszie und Verspannungen lösen, und es regt die Durchblutung an.

Ein zentraler Punkt der Therapie ist das Tragen von angepasstem Schuhwerk. Die Patienten werden darauf hingewiesen, Schuhe zu tragen, welche im Vorfussbereich genügend breit sind und den Zehen ausreichend Platz lassen. Ausserdem sollen sie eine weichbettende Sohle aufweisen, um Druckbelastungen zu minimieren. Auf Schuhe mit hohen Absätzen sollte verzichtet werden.
Reichen diese Massnahmen nicht aus, können orthopädische Einlagen verschrieben werden, welche den Fuss entsprechend unterstützen und den Vorfuss z.B. mit einer re­trokapitalen Pelotte entlasten (Abb. 7).

Infiltration

Eine etablierte Therapie, v.a. beim Morton-Neurinom, stellt die lokale Infiltration dar. Die Infiltration kann ultraschallgesteuert oder anhand von Landmarken ohne Bildgebung geschehen. Infiltriert wird in der Regel ein Gemisch von Steroiden und einem lokalen Anästhetikum, oder man benutzt Arnika anstelle von Cortison. Die entzündungshemmende Wirkung von Cortison und Arnika reduziert den Schmerz und den Druck auf den Nerven (6).

Aufgrund der unerwünschten Wirkungen von Cortison (Schädigung von Sehnen, Bändern, Knorpel) empfehlen wir primär die Verwendung von einem Phytotherapeutikum, zum Beispiel Traumeel®.

Operativ

In seltenen Fällen führt die konservative Therapie nicht zum Erfolg. Wird bei diesen Patienten eine Fehlstellung, Instabilität oder ein Morton-Neurinom nachgewiesen, kann durch einen operativen Eingriff eine Linderung erreicht werden. Ein solcher Eingriff ist indiziert, wenn die Vorfussbeschwerden aufgrund eines Hallux valgus/rigidus, einer Überlänge der Metatarsalia oder eines Morton- Neurinom vorliegt.
Ist eine Metatarsalgie aufgrund oder mit einer Hallux-valgus-Fehlstellung vorhanden, sollte man die Fehlstellung der Grosszehe ebenfalls korrigieren, auch wenn sie nicht die Hauptschmerzquelle darstellt, da ansonsten das Rezidivrisiko erhöht ist.

Diverse operative Möglichkeiten wurden beschrieben, um die Überlastung im Vorfuss zu reduzieren. Ein Beispiel ist die Osteotomie nach Weil, bei der man das Metatarsale, meist das 2. und 3., distal osteotomiert und dabei das Köpfchen nach oben und proximal versetzt. Ziel des Eingriffes ist es, den plantaren Druck auf das Metatarsalköpfchens zu minimieren (12). Die Osteotomie wird mit einer Schraube fixiert, die in der Regel keine Entfernung benötigt.

Bei einem Morton-Neurinom wird die Nervenverdickung exzidiert. Daraus resultiert in den meisten Fällen eine Hypo- bis Asensibilität zwischen den Zehen, worauf man den Patienten präoperativ aufmerksam machen muss.

Das postoperative Procedere hängt davon ab, ob nur ein Weichteileingriff durchgeführt wurde oder ob man mittels Osteotomien die ossären Strukturen korrigieren musste. Die postoperative Ruhigstellung ist in beiden Fällen ein Verbandsschuh (Hallux-Schuh, Abb. 8). Die Tragedauer variiert je nach Eingriff zwischen zwei und sechs Wochen.

Dr. med.Fabienne Inglin

Mein Fusszentrum AG
Allschwilerstrasse 14
CH-4054 Basel

fabienne.inglin@meinfusszentrum.ch

Prof. Dr. med. Markus Knupp

Mein Fusszentrum AG
Allschwilerstrassse 14
4055 Basel

markus.knupp@meinfusszentrum.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert

1. Herausgeber. Fuss [Internet]. Heidelberg: Steinkopff; 1999 [zitiert 3. Juni 2024]. S. 30–5. Verfügbar unter: http://link.springer.com/10.1007/978-3-642-58708-5_4
2. Hofmann UK, Götze M, Wiesenreiter K, Müller O, Wünschel M, Mittag F. Transfer of plantar pressure from the medial to the central forefoot in patients with hallux valgus. BMC Musculoskelet Disord. Dezember 2019;20(1):149.
3. Gutteck N, Schilde S, Delank KS. Pain on the Plantar Surface of the Foot. Deutsches Ärzteblatt international [Internet]. 8. Februar 2019 [zitiert 3. Juni 2024]; Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.2019.0083
4. Bhatia M, Thomson L. Morton’s neuroma – Current concepts review. Journal of Clinical Orthopaedics and Trauma. Mai 2020;11(3):406–9.
5. Rheumaliga Schweiz [Internet]. [zitiert 3. Juni 2024]. Rheumaliga Schweiz. Verfügbar unter: https://www.rheumaliga.ch/
6. Jaakkola JI, Mann RA. A Review of Rheumatoid Arthritis Affecting the Foot and Ankle. Foot Ankle Int. Dezember 2004;25(12):866–74.
7. Carter KR, Chambers AR, Dreyer MA. Freiberg Infraction. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024 [zitiert 3. Juni 2024]. Verfügbar unter: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK537308/
8. Kamel SI, Rosas HG, Gorbachova T. Local and Systemic Side Effects of Corticosteroid Injections for Musculoskeletal Indications. American Journal of Roentgenology. März 2024;222(3):e2330458.
9. Barske HL, DiGiovanni BF, Douglass M, Nawoczenski DA. Current Concepts Review: Isolated Gastrocnemius Contracture and Gastrocnemius Recession. Foot Ankle Int. Oktober 2012;33(10):915–21.
10. Coughlin MJ, Baumfeld DS, Nery C. Second MTP Joint Instability: Grading of the Deformity and Description of Surgical Repair of Capsular Insufficiency. The Physician and Sportsmedicine. September 2011;39(3):132–41.
11. Cortina RE, Morris BL, Vopat BG. Gastrocnemius Recession for Metatarsalgia. Foot and Ankle Clinics. März 2018;23(1):57–68.
12. Barouk LS. Die Metatarsalosteotomie nach Weil zur Behandlung der Metatarsalgie. Der Orthopäde. 23. August 1996;25(4):338–44.

Grusswort des Dekans der Rechtswissenschaften und des Direktors des EBPI der Universität Zürich

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Thomas Szucs legt in seinem Beitrag die Grundlagen des Schweizer Medizinrechts dar, inklusive der historischen Entwicklung und aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Simon Schönenberger beleuchtet in seinem Artikel die komplexen Themen der medizinischen Haftung und des Versicherungsschutzes. Die Ausführungen bieten ­wert­volle Einblicke in die Möglichkeiten der Absicherung ­medizinischer Fachkräfte und ihrer Praxen gegen ­rechtliche Risiken.
Katja Meier analysiert den Wissensstand schweizerischer Leistungserbringer im Medizinrecht. Durch die Unter­suchung typischer Fallvignetten zeigt sie auf, welche rechtlichen Fallstricke im klinischen Alltag lauern und wie eine fundierte Rechtskenntnis zur Vermeidung von ­Fehlern beitragen kann.
Esther Schaffner widmet sich den ärztlichen Meldepflichten und -rechten. Ihr Artikel verdeutlicht, wie Ärzte ihre Pflichten im Spannungsfeld von Patientenwohl und rechtlichen Anforderungen ausbalancieren können.
Ein weiterer wesentlicher Beitrag stammt von Claudia Seitz, die sich mit dem Arzneimittel- und Medizinprodukterecht auseinandersetzt. Sie erläutert die Zulassungs- und Konformitätsbewertungsverfahren sowie den Schutz von Unterlagen und Patenten, die für die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Produkte essenziell sind.
Nicolas Jordi adressiert die rechtlichen Aspekte der ­Telemedizin, und Brigitte Tag führt uns durch die ­strafrechtlichen Herausforderungen in der Medizin.
Die Beiträge dieses Heftes tragen dazu bei, das oft zitierte Unbehagen gegenüber dem Medizinrecht zu minimieren und Verständnis sowie Kooperation zwischen Juristen und Medizinern zu fördern. Im Rahmen unseres Themenheftes möchten wir auch auf das Nationalfondsprojekt NFP 74 «Gesundheitsversorgung» hinweisen, an dem Thomas Gächter und Milo Puhan mitgearbeitet haben. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Strukturen und Prozesse der Schweizer Gesundheitsversorgung zu analysieren und zu verbessern, insbesondere in Bezug auf die Behandlung chronisch Kranker. Die Erkenntnisse aus diesem Projekt unterstreichen die Notwendigkeit einer integrierten Betrachtung von medizinischen und rechtlichen Aspekten in der Gesundheitsversorgung, die auch in den Beiträgen dieses Heftes thematisiert wird. Das NFP 74 zeigt auf, wie wichtig es ist, das Gesundheitssystem nicht nur auf die Behandlung akuter Krankheiten, sondern auch auf präventive Massnahmen und eine patientenzentrierte Versorgung auszurichten, was wiederum rechtliche Über­legungen zu Datenschutz, Patientenrechten und -sicherheit einschliesst. Wir hoffen, dass dieses Themenheft Ihnen als wertvolle Ressource dient, die Sie in Ihrem beruflichen Alltag unterstützt und inspiriert. Unser Ziel ist es, durch besseres Verständnis und Dialog die Brücke zwischen Recht und Medizin zu stärken, zum Wohl der Patienten und der gesamten Gesellschaft.
Prof. Dr. iur. Thomas Gächter

Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich
Treichlerstrasse 10/349
8032 Zürich

lst.gaechter@ius.uzh.ch

Prof. Dr. med. Milo Puhan

Institut für Epidemiologie
Biostatistik und Prävention Institute
Universität Zürich
Zürich

miloalan.puhan@uzh.ch

Medizin und Recht: eine Einführung – Teil 1

Die Entwicklung des schweizerischen Medizinrechts ist eng mit der gesellschaftlichen und medizinischen Entwicklung verknüpft. In der Frühzeit und im Mittelalter prägten Heilkundige und Klöster die medizinische Versorgung, wobei das kanonische Recht eine wichtige Rolle spielte. In der frühen Neuzeit entstanden erste regionale Regelungen der ärztlichen Berufsausübung. Mit der Gründung des Bundesstaates 1848 begann die Modernisierung des Medizinrechts; wichtige Gesetze wie das Fabrikgesetz (1877) und das erste Krankenversicherungsgesetz (1911) wurden eingeführt. Jahrhundert setzte mit der Einführung der AHV/IV (1948) und des Krankenversicherungsgesetzes (KVG, 1996) eine weitere Professionalisierung ein. Gegenwärtig wird das Medizinrecht durch Gesetze wie das Humanforschungsgesetz (2014) auf die modernen ethischen und rechtlichen Herausforderungen ausgerichtet und bleibt ein dynamisches Gebiet.

Schlüsselwörter: Medizinrecht, Gesundheitspolitik, Geschichte, Soziale Sicherheit, Berufshaftung

Historische Entwicklung des ­schweizerischen Medizinrechts

Die Entwicklung des Medizinrechts in der Schweiz ist ein langer und komplexer Prozess, der eng mit den Veränderungen in Medizin, Gesellschaft und Politik verbunden ist. Sie zeigt, wie sich die rechtlichen Rahmenbedingungen an neue medizinische Erkenntnisse und gesellschaftliche Bedürfnisse angepasst haben. Historisch gut aufgearbeitet ist die Geschichte der sozialen Sicherheit in der Schweiz (1).

Tab. 1 fasst die historische Entwicklung des Medizinrechts in der Schweiz und die wichtigsten gesetzlichen Entwicklungen zusammen, die zur heutigen rechtlichen Grundlage für das Gesundheitswesen beigetragen haben.

Wichtige Persönlichkeiten in der Entwicklung des Medizinrechts

Die Entwicklung des Medizinrechts in der Schweiz wurde von verschiedenen Persönlichkeiten geprägt, deren Beiträge von grosser Bedeutung waren:

  • Ignaz Paul Vital Troxler (1780–1866): Schweizer Arzt und Philosoph, der sich stark für die Verbesserung der medizinischen Ausbildung und des Gesundheitswesens einsetzte.
  • Gustav von Hirsch (1814–1886): Als Pionier des schweizerischen Gesundheitswesens war er massgeblich an der Einführung des Fabrikgesetzes beteiligt, das die Arbeitsbedingungen in den Fabriken regelte und den Gesundheitsschutz der Arbeiter verbesserte.
  • Gottlieb Burckhardt (1836–1907): Schweizer Psychiater, der als einer der Ersten in der Schweiz gesetzliche Regelungen für den Umgang mit psychisch Kranken forderte und massgeblich zur Entwicklung des Psychiatriegesetzes beitrug.
  • Adolf F. Meyer (1866–1950): Bedeutender Psychiater, dessen Arbeiten zur Psychiatrie und zur ärztlichen Ethik Einfluss auf die gesetzliche Regelung der ärztlichen Praxis hatten.

Entwicklung von Seuchenrecht und ­Seuchenpolizei

Ein besonders wichtiger Bereich des Medizinrechts ist das Seuchenrecht, das Massnahmen zur Bekämpfung und Verhütung von Epidemien und Pandemien regelt. Die Seuchenpolizei, eine besondere Form der Gesundheitspolizei, spielte in der Schweiz eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von Epidemien.

Die Choleraepidemien des 19. Jahrhunderts machten deutlich, wie wichtig koordinierte Massnahmen zur Seuchenbekämpfung sind. Um rasch und wirksam auf Epidemien reagieren zu können, wurde die Seuchenpolizei eingeführt. Dazu gehörten Quarantäne, Hygienekontrollen und Impfkampagnen (2).

Das ursprüngliche Epidemiengesetz von 1928 legte den Grundstein für die moderne Seuchenbekämpfung in der Schweiz. Es wurde 2012 grundlegend revidiert, um den aktuellen Herausforderungen besser gerecht zu werden und eine wirksame Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu gewährleisten. Es regelt die Meldepflichten, die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Epidemien sowie die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und internationalen Organisationen.

Heutige Entwicklungen und Herausforderungen

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Medizinrecht weiterentwickelt, um den neuen Herausforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft und der fortschreitenden medizinischen Innovation gerecht zu werden.
Beispiele sind:

  • Humanforschungsgesetz (HFG, 2014) regelt die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Forschung am Menschen und stellt sicher, dass die Würde und die Rechte der teilnehmenden Personen geschützt werden.
  • Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG, 2001) regelt die medizinisch unterstützte Fortpflanzung und den Umgang mit Embryonen, um ethische Standards und den Schutz der betroffenen Personen zu gewährleisten.
  • Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG, 2017) fördert die Einführung und Anwendung des elektronischen Patientendossiers, um die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung zu verbessern und den Schutz der Patientendaten zu gewährleisten.

Die historische Entwicklung des Medizinrechts in der Schweiz demonstriert die kontinuierliche Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen, um den sich wandelnden Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Die Geschichte des Medizinrechts ist geprägt von den Bemühungen um eine gerechte, sichere und qualitativ hochstehende medizinische Versorgung. Diese manifestieren sich in frühen städtischen Medizinalordnungen, der Modernisierung im 19. Jahrhundert sowie spezialgesetzlichen Regelungen im 20. und 21. Jahrhundert. Bedeutende Persönlichkeiten haben durch ihre Beiträge und ihr Engagement das Medizinrecht massgeblich mitgestaltet. Die Einführung der Seuchenpolizei sowie die Entwicklung des Seuchenrechts veranschaulichen die Fähigkeit des schweizerischen Rechtssystems, auf gesundheitliche Krisen zu reagieren und sich an neue Herausforderungen anzupassen.

Was ist «Recht»?

Recht ist ein System von Regeln und Normen, die das Verhalten von Individuen und Institutionen in einer Gesellschaft bestimmen. Diese Regeln sind durchsetzbar und werden von staatlichen Behörden wie Gerichten und Verwaltungsbehörden überwacht. Das Recht dient dazu, soziale Ordnung und Gerechtigkeit zu gewährleisten, Konflikte zu lösen und die Rechte und Pflichten der Mitglieder einer Gesellschaft festzulegen. Es schafft die Grundlage für ein geordnetes Zusammenleben und ermöglicht den Ausgleich von Freiheit und Sicherheit (3, 4).

Immanuel Kant (1724–1804), einer der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung, formulierte das Zitat: «Das Recht ist der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereinigt werden kann.» Dieses Zitat verdeutlicht Kants Verständnis von Recht und Freiheit in einer Gesellschaft (5).

Kant beschreibt das Recht als eine Gesamtheit von Bedingungen oder Regeln, die notwendig sind, um eine geordnete und gerechte Gesellschaft zu gewährleisten. Mit «Willkür» meint Kant die freie Entscheidung oder den freien Willen jedes Einzelnen. Er erkennt an, dass jeder Mensch seine eigenen Wünsche und Ziele hat. Gleichzeitig betont er, dass diese individuellen Willensfreiheiten so koordiniert werden müssen, dass sie nach allgemeinen, für alle geltenden Gesetzen funktionieren. Diese Gesetze der Freiheit müssen so beschaffen sein, dass die Freiheit des einen nicht die Freiheit des anderen einschränkt.

Zusammenfassend beschreibt Kant ein Grundprinzip des Rechts: Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Freiheit jedes Einzelnen mit der Freiheit aller in Einklang gebracht werden kann. Ziel ist es, eine Situation zu schaffen, in der die individuellen Freiheiten harmonisch nebeneinander bestehen können, ohne dass die Freiheit des einen die Freiheit des anderen beeinträchtigt. Das bedeutet, dass das Recht die Rahmenbedingungen festlegt, innerhalb derer der Einzelne seine Freiheit ausüben kann, während gleichzeitig die Freiheiten der anderen geschützt werden. Die «allgemeinen Gesetze der Freiheit» sind dabei die rechtlichen und ethischen Regeln, die für alle glei­chermassen gelten und dafür sorgen, dass die individuelle Willensfreiheit nicht zu Konflikten oder Ungerechtigkeiten führt.

Anwendung auf das Medizinrecht

Dieses Prinzip lässt sich gut auf das Medizinrecht anwenden. Im Medizinrecht geht es darum, die Freiheiten und Rechte von Patienten und Angehörigen der Heilberufe (Medizinalpersonen) zu schützen und zu koordinieren. Ein Patient hat beispielsweise das Recht auf Selbstbestimmung und kann frei entscheiden, welche medizinischen Behandlungen er annehmen oder ablehnen möchte. Gleichzeitig hat der Arzt die Freiheit, sein medizinisches Fachwissen einzusetzen, um dem Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen. Das Medizinrecht schafft die Voraussetzungen dafür, dass diese Freiheiten harmonisch aufeinander abgestimmt werden können.

Beispielsweise regeln die Patientenrechte im Medizinrecht, dass der Patient umfassend aufgeklärt werden muss, bevor er in eine Behandlung einwilligt. Dies schützt die Willkür (Entscheidungsfreiheit) des Patienten und stellt sicher, dass er seine Entscheidung auf der Grundlage vollständiger Information trifft. Auf der anderen Seite regelt das ärztliche Berufsrecht, dass Ärzte ihre Patienten nach bestem Wissen und Gewissen behandeln müssen.

Diese rechtlichen Rahmenbedingungen stellen sicher, dass die Freiheit und die Rechte aller Beteiligten gewahrt bleiben und gleichzeitig die notwendige Ordnung und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen aufrechterhalten wird. So wird das Kant’sche Prinzip im Kontext des Medizinrechts konkretisiert, indem die individuellen Freiheiten der Patienten und der Angehörigen der Heilberufe durch allgemeine Freiheitsgesetze in Einklang gebracht werden.

Unterscheidung von Moral, Sitte und Recht

Die Unterscheidung von Moral, Sitte und Recht ist wichtig, weil sie unterschiedliche Aspekte des sozialen und ­ethischen Verhaltens regeln und unterschiedliche Funktionen in der Gesellschaft erfüllen.

Sittlichkeit

Moral bezieht sich auf die inneren Einstellungen und Werthaltungen eines Menschen. Sie umfasst die persönlichen Überzeugungen darüber, was richtig und falsch ist, sowie die individuellen Grundsätze und Werte, nach denen jemand sein Leben ausrichtet. Moralvorstellungen sind tief im Inneren eines Menschen verankert und können nicht von aussen erzwungen werden. Es handelt sich um eine freiwillige Selbstbindung an ethische Normen, die vom eigenen Gewissen und der persönlichen Integrität geleitet wird.

Beispiel

Ein Arzt steht vor der Entscheidung, eine lebenserhaltende Behandlung bei einem schwer kranken Patienten, der nicht mehr bei Bewusstsein ist, fortzusetzen oder zu beenden. Obwohl rechtlich möglicherweise die Fortsetzung der Behandlung erlaubt ist, könnte der Arzt aufgrund seiner persönlichen ethischen Überzeugung und seinem Verständnis von Lebensqualität zu dem Schluss kommen, dass es moralisch richtiger wäre, die Behandlung nicht fortzusetzen. Diese Entscheidung wird stark von seinen individuellen moralischen Werten und seinem Gewissen beeinflusst.

Sitte

Sitte beschreibt das äussere Verhalten von Menschen, das nicht erzwungen werden kann, aber von der Gesellschaft allgemein erwartet wird. Es handelt sich um Verhaltensnormen, die durch Traditionen und kulturelle Gepflogenheiten geprägt sind. Sitten regeln das soziale Miteinander und fördern ein harmonisches Zusammenleben. Obwohl sie rechtlich nicht bindend sind und ihre Missachtung keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht, führt ihre Missachtung häufig zu sozialer Missbilligung oder Ablehnung durch die Gemeinschaft.

Beispiel

In vielen Kulturen und Gesellschaften gibt es bestimmte Erwartungen darüber, wie Ärzte und medizinisches Personal mit Patienten und deren Familien umgehen sollten. Beispielsweise könnte es als Sitte gelten, dass Ärzte stets eine beruhigende und respektvolle Kommunikation mit den Patienten pflegen, selbst wenn dies nicht gesetzlich vorgeschrieben ist. Diese Verhaltensweise ist durch kulturelle Normen und Erwartungen geprägt und fördert das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.

Recht

Das Recht besteht aus Ordnungsregeln, die das äussere Verhalten der Menschen mitbestimmen und vom Staat durchgesetzt werden können. Es umfasst die Gesamtheit der Gesetze und Verordnungen, die von staatlichen Institutionen erlassen und durchgesetzt werden. Im Gegensatz zu Moral und Sitte zielt das Recht darauf ab, das Verhalten der Menschen verbindlich zu regeln und bei Verstössen Sanktionen zu verhängen. Rechtsnormen sind öffentlich bekannt und gelten für alle Mitglieder einer Gesellschaft. Sie dienen dazu, soziale Ordnung zu schaffen, Konflikte zu lösen und die Rechte und Pflichten des Einzelnen festzulegen.

Beispiel

Das Recht schreibt vor, dass Ärzte die Einwilligung des Patienten einholen müssen, bevor sie eine medizinische Behandlung durchführen. Dies ist eine rechtliche Anforderung, bekannt als «informed consent». Ohne eine solche Einwilligung kann die Durchführung einer medizinischen Behandlung rechtliche Konsequenzen haben, darunter Straf- oder Zivilklagen wegen Körperverletzung oder Misshandlung. Rechtsnormen wie diese sind explizit festgelegt und müssen von allen medizinischen Fachkräften befolgt werden, um rechtliche Sanktionen zu vermeiden.

Vergleich Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizinrecht

Die Begriffe Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizinrecht beschreiben verschiedene, aber miteinander verwandte Rechtsgebiete, die unterschiedliche Aspekte des Gesundheitswesens und der medizinischen Praxis regeln. Obwohl sie sich überschneiden, hat jedes dieser Rechtsgebiete spezifische Schwerpunkte und Zielsetzungen (Tab. 2).

Struktur des Rechts

Das Rechtssystem ist ein komplexes Gefüge von Normen und Regeln, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft ordnen und gestalten. Es gliedert sich in drei Hauptbereiche: öffentliches Recht, Privatrecht und Strafrecht. Das öffentliche Recht regelt die Beziehungen zwischen Staat und Bürger sowie die Organisation und Tätigkeit des Staates. Es umfasst das Staatsrecht, das Verwaltungsrecht, das Völkerrecht und das Europarecht. Das Privatrecht, auch Zivilrecht genannt, betrifft die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen und umfasst das allgemeine Zivilrecht, das Handelsrecht und das Arbeitsrecht. Das Strafrecht definiert strafbare Handlungen und legt die entsprechenden Sanktionen fest; es gliedert sich in materielles Strafrecht und Strafprozessrecht. Daneben gibt es das formelle Recht, das die Verfahren zur Durchsetzung des materiellen Rechts regelt, wie das Zivilprozessrecht, das Strafprozessrecht und das Verwaltungsprozessrecht. Diese Gliederung des Rechts sorgt für eine systematische Strukturierung der rechtlichen Regelungen zur Gestaltung des Zusammenlebens und zur Lösung von Rechtskonflikten.

Wichtige Rechtsnormen des ­Medizinrechts im Überblick

Das Medizinrecht umfasst verschiedene Rechtsgebiete, die für Ärzte und Grundversorger von Bedeutung sind. Wichtige Rechtsnormen des Medizinrechts sind neben dem öffentlichen Recht, dem Privatrecht, dem Strafrecht, das kantonale Recht, das internationale Recht und das «Soft Law».

Öffentliches Recht

Zum öffentlichen Recht gehören unter anderem das Krankenversicherungsgesetz (KVG) und die dazugehörigen Verordnungen, das Medizinalberufegesetz, das Epidemiengesetz, das Heilmittelgesetz sowie das Transplantationsgesetz. Zudem gehören das Humanforschungsgesetz und das Fortpflanzungsmedizingesetz zu den zentralen Regelungen, welche die Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung und Forschung festlegen.

Privatrecht

Das Privatrecht umfasst den Persönlichkeitsschutz, das Auftragsrecht, das Haftpflichtrecht und das Recht der Handlungsfähigkeit. Eine wichtige Rolle spielen auch das Erwachsenenschutzrecht sowie die Regelungen zur elterlichen Sorge und zum Kindesschutz. Hinzu kommen das Versicherungsvertragsrecht und das internationale Privatrecht, welche die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen und Versicherungen regeln.

Strafrecht

Im Strafrecht stehen Körperverletzungs- und Tötungsdelikte einschliesslich der Beihilfe zum Suizid im Vordergrund. Von Bedeutung sind auch das Geheimnisverletzungs- und das Nebenstrafrecht, die den Umgang mit vertraulichen Informationen und die strafrechtliche Verantwortlichkeit bei deren Verletzung regeln.

Kantonales Recht

Das kantonale Recht umfasst die Gesundheitsgesetze und die kantonalen Verordnungen zum ärztlichen Berufsrecht. Spital- und Patientenreglemente sowie die kantonale Datenschutzgesetzgebung gehören ebenfalls zum kantonalen Recht. Einführungsgesetze zum Kindes- und Erwachsenenschutz sowie Regelungen zur Gesundheitsversorgung, insbesondere zur Spital- und Heimplanung und -finanzierung, sind ebenfalls wichtige Bestandteile des kantonalen Rechts.

Internationales Recht

Im internationalen Recht sind die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Biomedizinkonvention, das Erwachsenenschutzübereinkommen und die Behindertenrechtskonvention von Bedeutung. Diese internationalen Abkommen und Verträge setzen Standards für den Schutz der Menschenrechte und die medizinische Versorgung auf internationaler Ebene.

«Soft Law»

Neben den formellen gesetzlichen Regelungen gibt es auch «Soft Law». Dazu gehören die Standesordnung der FMH, die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und die Qualitätsrichtlinien der Fachgesellschaften. Diese nicht verbindlichen Regeln und Empfehlungen dienen als Orientierungshilfe für eine verantwortungsvolle und qualitativ hochstehende ärztliche Tätigkeit.

Die Rechtsordnung im Überblick

Die Rechtsordnung gliedert sich in verschiedene Rechtsgebiete, die in Privatrecht und öffentliches Recht unterteilt werden.

Privatrecht

Das Privatrecht, auch Zivilrecht genannt, regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen. Es umfasst das Bürgerliche Recht und das Handelsrecht. Innerhalb des Zivilrechts ist das Zivilgesetzbuch (ZGB) und das Obligationenrecht (OR) von zentraler Bedeutung. Das ZGB enthält allgemeine Bestimmungen über Personen, Familien, Erbschaften und Sachen. Das OR, bestehend aus den Artikeln 1 bis 551, regelt die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Privatpersonen. Das Handelsrecht, das aus den Artikeln 552 bis 1186 OR besteht, enthält Sonderbestimmungen für Kaufleute und Handelsgesellschaften.

Öffentliches Recht

Das öffentliche Recht regelt die Beziehungen zwischen dem Staat und den Bürgern sowie die Organisation und die Tätigkeit des Staates. Es gliedert sich in materielles und formelles öffentliches Recht.
Das materielle öffentliche Recht umfasst das Staatsrecht, das Verwaltungsrecht und das Strafrecht. Das Staatsrecht befasst sich mit den Grundlagen und der Organisation des Staates sowie den Rechten und Pflichten der Staatsbürger. Das Verwaltungsrecht regelt die Tätigkeit der staatlichen Verwaltung und die Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Verwaltung. Das Strafrecht bestimmt die Voraussetzungen und Folgen strafbaren Verhaltens.
Das formelle Recht umfasst das Verfahrensrecht und das Vollstreckungsrecht. Das Verfahrensrecht regelt die Durchführung von Gerichts- und Verwaltungsverfahren. Das Vollstreckungsrecht bezieht sich auf die Durchsetzung und Vollstreckung der im materiellen Recht festgelegten Vorschriften und Entscheidungen.

Unterscheidung von Privatrecht und öffentlichem Recht

Privatrecht und öffentliches Recht sind zwei grundlegende Bereiche der Rechtsordnung, die sich in ihren Grundsätzen und Anwendungsbereichen unterscheiden.

Privatrecht

Das Privatrecht, auch Zivilrecht genannt, regelt die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen. Ein zentraler Grundsatz des Privatrechts ist die Privatautonomie. Dieser Grundsatz besagt, dass Privatpersonen die Freiheit haben, ihre Rechtsbeziehungen nach ihren eigenen Vorstellungen und durch gegenseitige Vereinbarungen zu gestalten. Ein weiterer wichtiger Grundsatz des Privatrechts ist die Selbstverantwortung. Dies bedeutet, dass der Einzelne für sein Handeln und die daraus resultierenden Folgen selbst verantwortlich ist.

Die Privatautonomie ermöglicht es den Beteiligten, Verträge frei abzuschliessen und ihre privaten Angelegenheiten ohne staatliche Einmischung zu regeln, solange sie sich im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen. Die Eigenverantwortung betont die Pflicht des Einzelnen, seine Rechte und Pflichten selbst wahrzunehmen und durchzusetzen.

Öffentliches Recht

Das öffentliche Recht regelt die Beziehungen zwischen Staat und Bürgern sowie die Organisation und Tätigkeit des Staates. Im Gegensatz zum Privatrecht ist das öffentliche Recht auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Das bedeutet, dass staatliche Massnahmen und Regelungen darauf abzielen, das Wohl der Allgemeinheit zu fördern und zu schützen.

Ein weiteres Grundprinzip des öffentlichen Rechts ist die Rechtsgleichheit. Dieses Prinzip verlangt, dass der Staat gleiche Chancen für alle Bürger gewährleistet und Diskriminierungen verhindert. Dies geschieht durch Gesetze und Massnahmen, die darauf abzielen, soziale Ungleichheiten auszugleichen und den Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten.

Die wichtigsten Rechtsquellen des schweizerischen Medizinrechts

Das Medizinrecht in der Schweiz stützt sich auf verschiedene Rechtsquellen des geschriebenen Rechts, die hierarchisch gegliedert sind. Diese Hierarchie beginnt mit der Verfassung, gefolgt von den Gesetzen und schliesslich den Verordnungen. Daneben spielen internationale Abkommen und weitere Regelwerke eine wichtige Rolle (Tab. 3).

Diese Rechtsquellen bilden die Grundlage des schweizerischen Medizinrechts und stellen sicher, dass die medizinische Versorgung nach rechtlichen und ethischen Standards erfolgt. Für Ärztinnen und Ärzte sowie Grundversorgerinnen und Grundversorger ist es unerlässlich, diese Regelungen zu kennen und einzuhalten, um eine rechtskonforme und qualitativ hochstehende Versorgung zu gewährleisten.

Die Rolle der Rechtsprechung im Medizinrecht

Die Rolle der Rechtsprechung im Medizinrecht gewinnt im schweizerischen Recht zunehmend an Bedeutung. Die zunehmende rechtliche Regulierung und der wachsende Einfluss der Rechtsprechung beeinflussen den medizinischen Alltag erheblich.

Bei der Auslegung und Anwendung der oben diskutierten Gesetze spielt die Rechtsprechung des Bundesgerichts und der kantonalen Gerichte eine zentrale Rolle.

Die Gerichtsentscheide klären oft strittige Fragen, die sich aus der medizinischen Praxis ergeben, wie zum Beispiel die Einwilligung zu medizinischen Eingriffen, die Aufklärungspflicht der Ärztinnen und Ärzte, die Schweigepflicht und der Datenschutz sowie Haftungsfragen bei Behandlungsfehlern. Diese Urteile schaffen Präzedenzfälle (Leitentscheide), die die Rechtspraxis weiter prägen und beeinflussen.

Das Schweizerische Bundesgericht hat einige wichtige Leitentscheide im Bereich des Medizinrechts gefällt. Nachfolgend ein paar Beispiele von Leitentscheiden zum KVG:

  • Das Urteil BGE 148 V 242 vom 1. April 2022 befasst sich mit der Frage der Übernahme der Restkosten für den Aufenthalt in einem Pflegeheim durch den Wohnkanton gemäss Art. 25a Abs. 5 KVG. Im vorliegenden Fall trat eine in Genf wohnhafte Person in ein Pflegeheim im Kanton Zürich ein und verlangte die Übernahme der Restkosten durch den Kanton Genf. Der Kanton Genf lehnte das Gesuch mit der Begründung ab, dass eine Kostenübernahme nur für Pflegeheime in geografischer Nähe vorgesehen sei. Die Genfer Gerichte verpflichteten den Kanton Genf jedoch, die Restkosten ab dem 10. Juli 2019 zu übernehmen.
    Das Bundesgericht hat diesen Entscheid bestätigt und die Beschwerde des Kantons Genf abgewiesen. Es hat entschieden, dass der Wohnkanton der versicherten Person die Restkosten für den Aufenthalt in einem Pflegeheim auch dann übernehmen muss, wenn die versicherte Person ein Pflegeheim ausserhalb ihres Wohnkantons wählt, sofern im Wohnkanton keine geeigneten Plätze zur Verfügung stehen. Steht zum Zeitpunkt des Eintritts im Wohnkanton kein Platz in einem nahen gelegenen Pflegeheim zur Verfügung, erfolgt die Restfinanzierung nach den Regeln des Standortkantons des Pflegeheims. Sind jedoch im Wohnkanton Plätze verfügbar, gelten die Regelungen des Wohnkantons.
    Das Bundesgericht hat betont, dass die Zuständigkeit des Wohnkantons zur Übernahme der Restfinanzierung unabhängig davon besteht, ob der Aufenthalt in einem Pflegeheim ausserhalb des Wohnkantons erfolgt. Damit wurde die gesetzgeberische Absicht unterstrichen, die finanzielle Verantwortung beim Wohnsitzkanton zu konzentrieren und gleichzeitig die Rechte der versicherten Person zu schützen.
  • Das Urteil BGE 147 V 328 vom 7. Juni 2021 befasst sich mit der Frage der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines patentgeschützten Arzneimittels im Rahmen des therapeutischen Quervergleichs (TQV). Die A. GmbH, Zulassungsinhaberin des Arzneimittels B., focht den Entscheid des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) an, das B. als Nachfolgepräparat ohne therapeutischen Fortschritt gegenüber dem Originalpräparat D. eingestuft und deshalb den TQV mit nicht patentgeschützten Vergleichspräparaten durchgeführt hatte.
    Das Bundesgericht hat die Entscheide des BAG und des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt. Es hielt fest, dass Art. 65b Abs. 6 KVV, der die Wirtschaftlichkeitsbeurteilung von Originalpräparaten regelt, auch für die dreijährliche Überprüfung der Aufnahmebedingungen nach Art. 65d KVV gilt. Dies bedeutet, dass die Forschungs- und Entwicklungskosten für Nachfolgepräparate nur dann berücksichtigt werden, wenn diese einen therapeutischen Fortschritt gegenüber dem Originalpräparat aufweisen.
    Das Gericht definierte den Begriff «Nachfolgepräparat» als ein Arzneimittel, das zeitlich nach dem Originalpräparat in die Spezialitätenliste (SL) aufgenommen wurde und den gleichen Wirkstoff enthält. B. sei als Nachfolgepräparat zu qualifizieren, da es nach dem Originalpräparat D. in die SL aufgenommen worden sei und den gleichen Wirkstoff enthalte.
    Das Gericht prüfte auch, ob B. gegenüber D. einen therapeutischen Fortschritt aufweist. Es kam zu dem Ergebnis, dass die von der A. GmbH vorgelegten Studien nicht ausreichen, um einen therapeutischen Fortschritt zu belegen. Die Studien seien nicht aussagekräftig genug, da sie nur eine geringe Patientenzahl umfassten und nicht in Fachzeitschriften publiziert wurden.
    Insgesamt bestätigte das Bundesgericht die Entscheide des BAG und des Bundesverwaltungsgerichts, wonach B. als Nachfolgepräparat ohne therapeutischen Fortschritt zu qualifizieren ist und somit der TQV mit nicht patentgeschützten Vergleichspräparaten durchgeführt werden kann.
  • Das Bundesgerichtsurteil 145 V 170 vom 7. Juni 2021 befasst sich mit der Frage, ob die obligatorische Krankenpflegeversicherung (KVG) die Kosten einer Phalloplastik (Geschlechtsumwandlung von Frau zu Mann) im Ausland übernehmen muss. Der Fall betrifft einen Krankenversicherer, der sich geweigert hatte, die Kosten für eine in Deutschland durchgeführte Phalloplastik zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz entschied zugunsten des Versicherten und verpflichtete den Krankenversicherer zur Kostenübernahme.
    Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung zur Behandlung im Ausland betont, dass Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip auch bei seltenen Therapien wie der Phalloplastik nur sehr zurückhaltend zuzulassen sind. Das Therapieangebot in der Schweiz müsse auch bei seltenen Eingriffen ein Niveau aufweisen, das eine ausreichende ärztliche Erfahrung und Routine gewährleiste, um Komplikationen zu minimieren. Die Lebenszufriedenheit von Personen mit Geschlechtsdysphorie hänge wesentlich vom Ergebnis solcher Operationen ab, weshalb ein standardisiertes Vorgehen durch ein interdisziplinäres Team von Fachärzten notwendig sei.
    Im vorliegenden Fall stellte das Bundesgericht fest, dass in der Schweiz nur wenige Phalloplastiken durchgeführt werden, was Fragen nach der Routine und Erfahrung der durchführenden Teams aufwirft. Das Gericht betonte jedoch, dass diese geringe Anzahl allein nicht ausreicht, um automatisch eine Behandlung im Ausland zu rechtfertigen. Es wurde bekräftigt, dass eine konkrete Risikoeinschätzung des Eingriffs in der Schweiz erforderlich ist, die auf objektiven Kriterien und nicht nur auf Mindestfallzahlen beruht.
    Das Bundesgericht hat schliesslich die Beschwerde des Krankenversicherers teilweise gutgeheissen, indem es festgehalten hat, dass der Krankenversicherer weitere Abklärungen zur Qualität und zu den Risiken der Phalloplastik in der Schweiz vornehmen muss. Ein definitiver Entscheid über die Kostenübernahme ist somit noch offen und es obliegt dem Krankenversicherer, unter Einbezug des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), einen neuen Entscheid zu fällen.

Durch die ständige Weiterentwicklung der Rechtsprechung entsteht eine dynamische Rechtslage, die von Medizinstudierenden, Ärztinnen und Ärzten sowie Juristinnen und Juristen im Gesundheitswesen aufmerksam verfolgt und verstanden werden muss. Eine fundierte Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung und der rechtlichen Rahmenbedingungen ist daher unerlässlich, um in der ärztlichen Praxis rechtssicher handeln zu können.
Die Rechtsprechung trägt damit wesentlich zur Rechtssicherheit und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen bei, indem sie klare Leitlinien und Massstäbe für das ärztliche Handeln setzt.

Leitentscheide spielen im Schweizer Medizinrecht eine zentrale Rolle, indem sie zur Klärung und Auslegung der Gesetzgebung beitragen, Standards für die medizinische Praxis setzen und die Rechte der Patientinnen und Patienten
schützen. Sie definieren rechtliche Sorgfaltspflichten, regeln Haftungsfragen und befassen sich mit ethischen Dilemmata, beispielsweise bei Entscheidungen zur Sterbehilfe. Diese Leitentscheide fördern die Rechtssicherheit und die präzise Anwendung des Medizinrechts, beeinflussen die medizinische Ausbildung und geben Impulse für Gesetzesanpassungen. Sie tragen damit wesentlich dazu bei, dass sich Ärztinnen und Ärzte, Juristinnen und Juristen sowie Gerichte in den rechtlichen Aspekten der medizinischen Versorgung richtig orientieren können.

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit
diesem Artikel deklariert.

1. Geschichte der Sozialen Sicherheit-Home [Internet]. [zitiert 24. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.geschichtedersozialensicherheit.ch/home
2. Ruckstuhl B, Ryter E. Von der Seuchenpolizei zu Public Health: öffentliche Gesundheit in der Schweiz seit 1750. Zürich: Chronos; 2017. 343 S.
3. Kieser U, Lendfers M. Gesundheitsrecht. Zürich: Dike; 2013. 132 S. (in a nutshell).
4. Gächter T, Rütsche B. Gesundheitsrecht: ein Grundriss für Studium und Praxis. 5. vollständig überarbeitete Auflage. Basel: Helbing & Lichtenhahn; 2023. 349 S.
5. Kant I. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. 2., durchgesehene Auflage mit aktualisierter Einleitung und Bibliographie. Hamburg: F. Meiner; 2016. (Philosophische Bibliothek).
6. 148 V 242 [Internet]. [zitiert 26. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=show_document&highlight_docid=atf://148-V-242:de&print=yes
7. 147 V 328 [Internet]. [zitiert 26. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?lang=de&type=show_document&highlight_docid=atf://147-V-328:it&print=yes
8. 145 V 170 – Schweizerisches Bundesgericht [Internet]. [zitiert 26. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/clir/http/index.php?highlight_docid=atf%3A%2F%2F145-V-170%3Afr&lang=de&zoom=&type=show_document

Medizin und Recht: eine Einführung – Teil 2

Das schweizerische Medizinalrecht beruht auf einer klaren Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Recht. Das materielle Recht bestimmt die materiellen Rechte und Pflichten von Personen und Institutionen, während das formelle Recht die Verfahren zur Durchsetzung dieser Rechte regelt. Darüber hinaus unterscheidet das schweizerische Recht zwischen dem objektiven Recht, das die Gesamtheit der Rechtsnormen darstellt, und dem subjektiven Recht, das individuelle Rechte und Befugnisse definiert. Private Regelwerke wie die Standesordnung der FMH oder die Richtlinien der SAMW ergänzen das staatliche Medizinrecht und setzen ethische Standards. Im Sozialversicherungsrecht spielt die Definition der Krankheit (Art. 3 Abs. 1 ATSG) eine zentrale Rolle, die durch die Rechtsprechung konkretisiert wird. Das Zusammenspiel von gesetzlichen Vorgaben, privatrechtlichen Regelungen und klaren Verfahrensnormen gewährleistet eine qualitativ hochstehende und rechtlich einwandfreie medizinische Praxis in der Schweiz.

Schlüsselwörter: Medizinrecht, Patientenrechte, Infektionsbekämpfung, Epidemiengesetz, Reproduktionsmedizin

Objektives und subjektives Recht

Im Schweizer Recht unterscheidet man ebenfalls zwischen objektivem und subjektivem Recht:

Objektives Recht (Recht im objektiven Sinn)

Das objektive Recht bezeichnet die Gesamtheit der geltenden Rechtsnormen, also die Rechtsordnung als solche. Es umfasst Gesetze, Verordnungen und andere verbindliche Regelungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene. Beispiele sind das Schweizerische Zivilgesetzbuch, die Bundesverfassung, kantonale Gesetze etc. Das objektive Recht legt allgemein verbindliche Verhaltensregeln für die Gesellschaft fest.

Subjektives Recht (Recht im subjektiven Sinn)

Das subjektive Recht bezeichnet die individuellen Rechte und Befugnisse, die einer natürlichen oder juristischen Person aufgrund der objektiven Rechtsordnung zustehen. Es sind die konkreten Ansprüche, die jemand gegenüber anderen Personen oder dem Staat geltend machen kann. Beispiele sind das Eigentumsrecht, Forderungsrechte aus Verträgen, Persönlichkeitsrechte etc. Das subjektive Recht verleiht dem Rechtsträger eine rechtlich geschützte Position. Ein Rechtsträger ist eine Einheit oder Person, die Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Dazu gehören sowohl natürliche Personen (also Einzelpersonen) als auch juristische Personen wie Unternehmen, Vereine oder Stiftungen. Juristische Personen sind rechtlich so ausgestaltet, dass sie wie natürliche Personen am Rechtsverkehr teilnehmen können, also z.B. Verträge abschliessen, Vermögen besitzen oder vor Gericht klagen können.
Die objektiven Rechtsnormen bilden somit die Grundlage, aus der sich die subjektiven Rechte der Individuen ableiten. Das objektive und subjektive Recht steht in einer engen Wechselbeziehung und ergänzen sich gegenseitig im Schweizer Rechtssystem.

Materielles und formelles Recht

Das materielle Recht umfasst alle Rechtsnormen, die die Rechtsbeziehungen zwischen den Rechtssubjekten inhaltlich regeln. Es bestimmt, welche Rechte und Pflichten einzelne Personen oder Institutionen haben. Dazu gehören Vorschriften des Zivilrechts wie Verträge, Eigentum und Schadenersatz, des Strafrechts, das Straftatbestände und Strafen definiert, und des Verwaltungsrechts, das Vorschriften über Genehmigungen und Verwaltungshandeln enthält. Mit anderen Worten, das materielle Recht legt fest, was rechtmässig oder unrechtmässig ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Im Gegensatz dazu bezieht sich das formelle Recht auf die Rechtsnormen, die das Verfahren zur Durchsetzung des materiellen Rechts regeln. Es umfasst die Regeln und Verfahren, nach denen Rechte und Pflichten geltend gemacht und durchgesetzt werden können. Beispiele dafür sind die Zivilprozessordnung (ZPO), die das Verfahren in zivilrechtlichen Streitigkeiten regelt, die Strafprozessordnung (StPO), die das Verfahren in strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren festlegt, und das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG), das das Verfahren in Verwaltungsangelegenheiten regelt. Das formelle Recht stellt somit sicher, dass die Rechte und Pflichten des materiellen Rechts in geregelter und rechtsstaatlicher Weise durchgesetzt werden.

Private Regelwerke im Schweizer ­Medizinrecht

Neben den staatlichen Gesetzen und Verordnungen spielen im schweizerischen Medizinrecht auch private Regelwerke eine wichtige Rolle. Diese Regelwerke werden häufig von Berufsverbänden, Standesorganisationen und anderen privaten Institutionen erarbeitet und bieten Richtlinien für die ethische und professionelle Praxis im medizinischen Bereich. Nachfolgend sind einige der wichtigsten privaten Regelwerke aufgeführt:

Standesordnung der FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum)

Die FMH ist die Dachorganisation der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Ihre Standesordnung enthält ethische Richtlinien und Verhaltensregeln, die Ärztinnen und Ärzte in ihrer täglichen Praxis unterstützen. Die Standesregeln umfassen eine Vielzahl von Themen, unter anderem das Arzt-Patienten-Verhältnis, die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen und die berufliche Fortbildung. (1)

Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW)

Die SAMW erarbeitet wissenschaftlich fundierte Empfehlungen zu ethischen, rechtlichen und klinischen Fragen im medizinischen Bereich. Ihre Richtlinien sind eine wichtige Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte sowie für Institutionen des Gesundheitswesens. Themen, mit denen sich die SAMW befasst, sind beispielsweise die Betreuung am Lebensende, der Umgang mit neuen Technologien oder die medizinische Forschung. (2)

Qualitätsrichtlinien der Fachgesellschaften

Verschiedene medizinische Fachgesellschaften in der Schweiz entwickeln eigene, fachspezifische Qualitätsrichtlinien und Leitlinien. Ziel dieser Richtlinien ist es, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern und eine evidenzbasierte Praxis zu fördern. Beispiele sind die Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie (SGK) oder die Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR).

Ethische Richtlinien der Berufsverbände

Neben der allgemeinen Standesordnung der FMH und den Richtlinien der SAMW haben viele Fachgesellschaften eigene ethische Richtlinien entwickelt. Diese Richtlinien geben spezifische ethische Orientierungen für bestimmte Fachgebiete und Berufsgruppen innerhalb der Medizin.

Akkreditierung und Zertifizierung

Private Organisationen, die Akkreditierungs- und Zertifizierungsdienste anbieten, setzen ebenfalls Standards für die Qualität und Sicherheit in medizinischen Einrichtungen. Diese Standards betreffen unter anderem die Patientenversorgung, das Risikomanagement und die organisatorischen Abläufe in Spitälern und Kliniken. Beispiele sind die Stiftung für Patientensicherheit Schweiz und andere internationale Akkreditierungsorganisationen wie JCI (Joint Commission International) oder Deutsche Krebsgesellschaft.

Klinische Richtlinien und Empfehlungen

Viele medizinische Fachgesellschaften und Forschungsorganisationen entwickeln klinische Leitlinien und Empfehlungen, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Diese Leitlinien geben praktische Handlungsempfehlungen für die Diagnostik, Therapie und Prävention von Krankheiten und tragen zur Standardisierung der medizinischen Praxis bei.
Diese privaten Regelwerke ergänzen die staatlichen Gesetze und Verordnungen und tragen dazu bei, die medizinische Praxis in der Schweiz zu harmonisieren und zu verbessern. Für die Ärzteschaft ist es wichtig, diese Regelwerke zu kennen und in die tägliche Praxis zu integrieren, um eine hohe Qualität der Patientenversorgung und die Einhaltung ethischer Standards zu gewährleisten.

Krankheitsbegriff im Recht: Einleitung zu Art. 3 Abs. 1 ATSG – Definition der Krankheit

Im Sozialversicherungsrecht ist eine genaue Definition des Begriffs Krankheit unerlässlich, damit die Anspruchsberechtigten die ihnen zustehenden Leistungen erhalten. Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) (3) enthält eine solche Definition und bildet die Grundlage für zahlreiche Entscheide im Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich.

Nach Art. 3 Abs. 1 ATSG ist Krankheit jede Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit, die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine medizinische Untersuchung oder Behandlung erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Diese Definition stellt sicher, dass Krankheit nicht auf körperliche Leiden beschränkt ist, sondern auch Beeinträchtigungen der geistigen und seelischen Gesundheit umfasst.

Der Begriff «Beeinträchtigung der Gesundheit“ umfasst dabei eine Vielzahl von Zuständen, die die normale körperliche oder psychische Funktion beeinträchtigen. Wichtig ist auch die Abgrenzung zu Unfallfolgen, die durch andere Bestimmungen abgedeckt sind. Die Definition betont auch, dass eine Krankheit vorliegt, wenn sie entweder eine medizinische Intervention erfordert oder die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person beeinträchtigt.

Diese Legaldefinition ist für die Feststellung von Leistungsansprüchen in der Sozialversicherung von entscheidender Bedeutung. Sie bietet eine klare Grundlage für die rechtliche Beurteilung von Gesundheitszuständen und trägt dazu bei, dass Versicherte bei Arbeitsunfähigkeit die notwendigen medizinischen Leistungen und Hilfen erhalten. Dies betrifft insbesondere Leistungen wie Krankengeld, Erwerbsminderungsrenten und die Kostenübernahme für Heilbehandlungen.

In der Praxis wird diese Definition von Krankheit in vielen Situationen angewandt, um festzustellen, ob eine Person Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit hat. Ärzte, Versicherungsvertreter und Juristen entscheiden anhand dieser Definition, ob eine Erkrankung die Kriterien erfüllt, um als Krankheit im Sinne des Versicherungsrechts anerkannt zu werden. Gerichtsurteile und Verwaltungsentscheidungen stützen sich auf diese Definition, um Einheitlichkeit und Gerechtigkeit bei der Gewährung von Leistungen zu gewährleisten.

Diese Definition schafft eine klare rechtliche Grundlage, wann eine Person Anspruch auf Leistungen der Sozialversicherungen hat, und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um als krank im Sinne des Gesetzes zu gelten.

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung hat den Krankheitsbegriff in verschiedenen Fällen weiter konkretisiert und ausgelegt. So wurde beispielsweise im Fall «Viagra» (BGE 129 V 32 E 4.2.1) der Krankheitsbegriff im Zusammenhang mit der Verschreibung von Viagra geprüft. Ein weiterer wichtiger Fall ist der «Champix-Fall“ (BGE 137 V 295 E. 4.2.2), in dem es um die Kostenübernahme für ein Medikament zur Raucherentwöhnung ging. Diese Urteile veranschaulichen, wie die Gerichte den Krankheitsbegriff anwenden und auslegen, um über Leistungsansprüche zu entscheiden.

WHO

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit umfassender als das blosse Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Gesundheit wird als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens beschrieben. (4) Diese Definition betont, dass Gesundheit mehrdimensional ist und sowohl physische als auch psychische und soziale Aspekte umfasst. Im rechtlichen Kontext kann diese Definition als Orientierung dienen, insbesondere wenn es darum geht, präventive Massnahmen und ganzheitliche Ansätze im Gesundheitswesen zu fördern.

Relevante privatrechtliche Normen in der Medizin

Zu den wichtigsten Bereichen gehören die Rechts- und Handlungsfähigkeit, der Persönlichkeitsschutz, der Kindes- und Erwachsenenschutz, das Haftpflichtrecht und das Auftragsrecht.

Rechts- und Handlungsfähigkeit (ZGB 11 ff.)

Die Rechts- und Handlungsfähigkeit ist im Zivilgesetzbuch (ZGB) in den Artikeln 11 ff. geregelt. Sie beschreibt die Fähigkeit einer Person, Rechte und Pflichten zu haben (Rechtsfähigkeit) und durch eigenes Handeln Rechtswirkungen herbeizuführen (Handlungsfähigkeit). Diese Grundsätze legen fest, ab wann und unter welchen Voraussetzungen eine Person rechtswirksam handeln kann, z.B. ab der Mündigkeit oder der Handlungsfähigkeit.

Persönlichkeitsschutz (ZGB 27ff)

Der in Art. 27 ff. ZGB geregelte Persönlichkeitsschutz dient dem Schutz der persönlichen Integrität und der Ehre des Einzelnen. Diese Bestimmungen verhindern, dass eine Person in ihrer persönlichen Freiheit und Würde übermässig beeinträchtigt wird. Der Persönlichkeitsschutz umfasst Aspekte wie den Schutz vor übler Nachrede, vor Eingriffen in die Privatsphäre und vor missbräuchlicher Ausnutzung persönlicher Schwächen.

Kindes- und Erwachsenenschutz (ZGB 307ff und ZGB 362ff)

Der Kindes- und Erwachsenenschutz ist in den Artikeln 307 ff. und 362 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches geregelt. Diese Bestimmungen betreffen Massnahmen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen, die wegen ihres Alters, einer Krankheit oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen. Dazu gehören Vormundschaften, Beistandschaften und andere Schutzmassnahmen, die sicherstellen, dass die betroffenen Personen angemessen unterstützt und geschützt werden.

Haftpflichtrecht (OR 41ff)

Das Haftpflichtrecht, das in den Artikeln 41 ff. des Obligationenrechts (OR) geregelt ist, betrifft die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die eine Person einer anderen zufügt. Es legt fest, unter welchen Voraussetzungen jemand für einen Schaden haftbar gemacht werden kann und welcher Schadenersatz zu leisten ist. Das Haftpflichtrecht spielt eine zentrale Rolle bei der Regelung von Schadenersatzansprüchen und bei der Durchsetzung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung.

Auftragsrecht (OR 394ff)

Das Auftragsrecht regelt in den Artikeln 394 ff. des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) die Rechtsbeziehungen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Es umfasst die Pflichten, Rechte und Verantwortlichkeiten, die im Rahmen eines Auftragsverhältnisses entstehen. Darunter fallen beispielsweise Dienstverträge, Beratungsverträge und andere Arten von Aufträgen, bei denen eine Person für eine andere eine Leistung erbringt.

Relevante Normen des Medizinstrafrechts

Im Bereich der Medizin gibt es zahlreiche strafrechtliche Normen, die das Handeln der Angehörigen der Heilberufe regeln und sicherstellen sollen, dass die Rechte und die Sicherheit der Patienten gewahrt werden. Nachfolgend sind einige der wichtigsten strafrechtlichen Bestimmungen aufgeführt, die in der Medizin relevant sind:

Delikte gegen Leib und Leben (StGB 111ff)

Die Artikel 111 ff. des schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) befassen sich mit Straftaten gegen Leib und Leben. Diese Normen umfassen Delikte wie vorsätzliche Tötung, Mord und Körperverletzung mit Todesfolge. Für Medizinalpersonen ist es besonders wichtig, diese Bestimmungen zu kennen, um sicherzustellen, dass alle medizinischen Eingriffe und Behandlungen rechtmässig und ethisch vertretbar durchgeführt werden.

Körperverletzungsdelikte (StGB 122ff)

Die Artikel 122 ff. des Strafgesetzbuches betreffen die Körperverletzungsdelikte. Diese umfassen die schwere Körperverletzung, die einfache Körperverletzung und die fahrlässige Körperverletzung. Für Ärzte und andere Medizinalpersonen ist es unerlässlich, die rechtlichen Grenzen und Anforderungen zu kennen, um sicherzustellen, dass medizinische Behandlungen gesetzeskonform durchgeführt werden und Patienten nicht unbeabsichtigt geschädigt werden.

Schwangerschaftsabbruch (StGB 118ff)

Die Artikel 118 ff. des Strafgesetzbuches regeln die Voraussetzungen und die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Diese Bestimmungen legen fest, unter welchen Voraussetzungen ein Schwangerschaftsabbruch legal durchgeführt werden kann und wann er strafbar ist. Für Gynäkologen und andere in der Reproduktionsmedizin tätige Fachpersonen ist es wichtig, diese Bestimmungen genau zu kennen und einzuhalten.

Berufsgeheimnis (StGB 321ff)

Die Artikel 321 ff. des Strafgesetzbuches betreffen das Berufsgeheimnis. Diese Bestimmungen verpflichten die Medizinalpersonen, die ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten Informationen vertraulich zu behandeln. Verletzungen des Berufsgeheimnisses können strafrechtliche Folgen haben. Es ist daher für alle im medizinischen Bereich Tätigen von grosser Bedeutung, die Regeln des Berufsgeheimnisses strikt einzuhalten, um das Vertrauen der Patienten zu wahren und rechtliche Probleme zu vermeiden.

Medizinisch relevante leges speciales (nicht abschliessend)

Im Bereich der Medizin gibt es eine Vielzahl von Spezialgesetzen, so genannte leges speciales, die besonderen Regelungen für verschiedene Aspekte der medizinischen Praxis und Forschung enthalten. Diese Gesetze sollen spezifische Themen und Herausforderungen im Gesundheitswesen aufgreifen und sicherstellen, dass medizinische Versorgung und Forschung ethisch und rechtlich einwandfrei durchgeführt werden. Nachfolgend einige der wichtigsten leges speciales mit Bezug zur Medizin:

Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (Epidemiengesetz, EpG)

Das Epidemiengesetz (EpG) regelt die Massnahmen zur Bekämpfung und Verhütung übertragbarer Krankheiten. Es legt die Pflichten der Behörden und des medizinischen Personals fest, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern und den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Fortpflanzungsmedizingesetz, FMedG)

Das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) enthält Bestimmungen über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung, einschliesslich der In-vitro-Fertilisation (IVF) und anderer Methoden. Es regelt die Voraussetzungen, unter denen solche Verfahren durchgeführt werden dürfen, und bezweckt die Sicherstellung ethischer Standards und des Schutzes der betroffenen Personen.

Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG)

Das Heilmittelgesetz (HMG) regelt die Zulassung, die Herstellung, den Vertrieb und die Überwachung von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Es stellt sicher, dass nur sichere und wirksame Produkte auf den Markt gelangen und die öffentliche Gesundheit geschützt wird.

Bundesgesetz über die Forschung an embryonalen Stammzellen (Stammzellenforschungsgesetz, StFG)

Das Stammzellenforschungsgesetz (StFG) regelt die Forschung an embryonalen Stammzellen und setzt dabei strenge ethische und rechtliche Massstäbe. Ziel ist es, Fortschritte in der medizinischen Forschung zu ermöglichen, ohne dabei ethische Grundsätze zu verletzen.

Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG)

Das Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) regelt genetische Untersuchungen. Es stellt sicher, dass solche Untersuchungen nur unter strengen ethischen und rechtlichen Voraussetzungen durchgeführt werden, um die Privatsphäre und die Rechte der betroffenen Personen zu schützen.

BG über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen TPG)

Das Transplantationsgesetz (TPG) regelt die Entnahme, Zuteilung und Transplantation von Organen, Geweben und Zellen. Es legt fest, unter welchen Voraussetzungen solche medizinischen Eingriffe vorgenommen werden dürfen und wie die Verteilung gerecht und transparent erfolgen soll.

Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (MedBG)

Das Medizinalberufegesetz (MedBG) definiert die Voraussetzungen und Bedingungen für die Ausübung der universitären Medizinalberufe. Es regelt die Ausbildung, die Berufsausübung und die Diplomanerkennung und stellt die hohe Qualität der medizinischen Versorgung sicher.

Krankenversicherungsgesetz (KVG)

Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) regelt die obligatorische Krankenpflegeversicherung und deren Leistungen. Es stellt sicher, dass alle Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung haben und legt die Rahmenbedingungen für die Finanzierung und Vergütung medizinischer Leistungen fest.
Das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) fördert die Einführung und Anwendung des elektronischen Patientendossiers. Ziel ist es, die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung zu verbessern und den Informationsaustausch zwischen den Leistungserbringern zu erleichtern.

Gesundheitsrechtliche Grundrechte in der Bundesverfassung

Die Schweizerische Bundesverfassung garantiert eine Reihe von Grundrechten, die für das Gesundheitsrecht von zentraler Bedeutung sind. Diese Grundrechte schützen die grundlegenden Rechte und Freiheiten des Einzelnen und stellen sicher, dass medizinische Massnahmen und die Gesundheitsversorgung im Einklang mit diesen Rechten durchgeführt werden. Nachfolgend einige der wichtigsten Grundrechte, die nach der Bundesverfassung für das Gesundheitsrecht relevant sind:

Recht auf Leben und persönliche Freiheit (Art. 10 BV)

Artikel 10 der Schweizerischen Bundesverfassung schützt das Recht auf Leben und persönliche Freiheit. Dieses Grundrecht ist im Gesundheitsrecht von besonderer Bedeutung, da es das Leben jedes Einzelnen schützt und Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nur unter strengen Voraussetzungen zulässt. Im medizinischen Kontext bedeutet dies, dass alle Massnahmen darauf ausgerichtet sein müssen, das Leben zu erhalten und die Gesundheit des Patienten zu schützen.

Recht auf Gesundheit (aus Art. 41 BV, Sozialziele)

Das Recht auf Gesundheit lässt sich aus den Sozialzielen der Bundesverfassung (Art. 41 BV) ableiten. Diese Bestimmung verpflichtet den Staat, für eine ausreichende Gesundheitsversorgung zu sorgen und allen Menschen den Zugang zu den notwendigen medizinischen Leistungen zu ermöglichen. Der Staat und die anderen Akteure des Gesundheitswesens haben die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jedermann Zugang zu einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung hat.

Recht auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung (Art. 10 Abs. 2 BV)

Das Recht auf persönliche Freiheit und Selbstbestimmung ist im Gesundheitsrecht von grosser Bedeutung. Nach Artikel 10 Absatz 2 der Bundesverfassung haben Patientinnen und Patienten das Recht, über ihre medizinische Behandlung informiert zu entscheiden. Dies beinhaltet das Recht auf umfassende Information über Diagnose, Behandlungsvorschläge, mögliche Risiken und Alternativen. Patienten müssen frei und ohne Zwang in medizinische Massnahmen einwilligen oder diese ablehnen können.

Recht auf Achtung des Privatlebens und Datenschutz (Art. 13 BV)

Artikel 13 der Bundesverfassung schützt das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Datenschutz. Für das Gesundheitsrecht bedeutet dies, dass die persönlichen und medizinischen Daten der Patientinnen und Patienten vertraulich behandelt werden müssen. Die Leistungserbringer sind verpflichtet, Massnahmen zum Schutz dieser Daten vor unbefugtem Zugriff zu treffen und dürfen Informationen nur mit Einwilligung der Patientinnen und Patienten weitergeben.

Recht auf Gleichbehandlung (Artikel 8 BV)

Das Recht auf Gleichbehandlung ist in Artikel 8 der Bundesverfassung verankert und garantiert allen Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Religion oder sozialem Status den gleichen Zugang zu medizinischen Leistungen. Diskriminierungen im Gesundheitswesen sind verboten und es sind Massnahmen zu treffen, um die Chancengleichheit beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Verbot der Folter und unmenschlicher Behandlung (Art. 10 Abs. 3 BV)

Artikel 10 Absatz 3 der Bundesverfassung schützt vor Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Im Gesundheitsbereich bedeutet dies, dass medizinische Massnahmen niemals dazu dienen dürfen, Patienten zu misshandeln oder zu schädigen. Es muss sichergestellt werden, dass alle medizinischen Behandlungen ethischen Standards entsprechen und das Wohl des Patienten im Vordergrund steht.

Fazit

Die in der Schweizerischen Bundesverfassung verankerten Grundrechte bilden die Grundlage für eine menschenwürdige und gerechte Gesundheitsversorgung. Sie schützen die Rechte der Patientinnen und Patienten und stellen sicher, dass medizinische Massnahmen im Einklang mit den Grundrechten und Grundfreiheiten durchgeführt werden. Für Gesundheitsdienstleister und politische Entscheidungsträger ist es unerlässlich, diese Grundrechte zu kennen und zu respektieren, um eine qualitativ hochwertige und gerechte Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Polizeiliche Generalklausel – Staatliches Handeln ohne Gesetz und seine Bedeutung im Medizinrecht

Die polizeiliche Generalklausel erlaubt es dem Staat, in ausserordentlichen und unvorhersehbaren Situationen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zu handeln. Gemäss Artikel 5 der schweizerischen Bundesverfassung (BV) muss das Recht stets Grundlage und Schranke staatlichen Handelns sein. Dies bedeutet, dass staatliches Handeln grundsätzlich auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen muss. Artikel 5 BV legt fest, dass staatliches Handeln immer rechtmässig und verhältnismässig sein muss.

Nicht jede Situation kann jedoch vom Gesetzgeber vorhergesehen und explizit in einem Erlass oder Gesetz geregelt werden. In solchen Fällen greift die polizeiliche Generalklausel, die eine Ausnahme von Artikel 5 BV darstellt. Sie erlaubt den Behörden, in dringenden Fällen und zur Abwehr erheblicher Gefahren Massnahmen ohne vorgängige gesetzliche Grundlage zu ergreifen. Die Anwendung der polizeilichen Generalklausel Artikel 36 BV ist jedoch eng begrenzt und darf nur in Ausnahmesituationen erfolgen, in denen sofortiges Handeln erforderlich ist, um erhebliche Schäden oder Gefahren abzuwenden.
Damit der Staat dennoch auf der Grundlage der polizeilichen Generalklausel handeln kann, müssen fünf Kriterien kumulativ erfüllt sein (5):

  1. Schwere und unmittelbare Gefahr: Es muss eine ernsthafte und dringende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit bestehen.
  2. Unvorhersehbarkeit der Gefahr: Die Gefahr muss unvorhersehbar sein und nicht durch eine bereits bestehende Regelung abgedeckt werden.
  3. Dringlichkeit der Massnahme: Es muss schnell gehandelt werden, da sonst die Gefahr nicht rechtzeitig abgewendet werden kann.
  4. Subsidiarität: Es dürfen keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, um die Gefahr abzuwenden.

5. Verhältnismässigkeit: Die ergriffenen Massnahmen müssen im Verhältnis zur abgewendeten Gefahr stehen und dürfen nicht übermässig in die Grundrechte eingreifen.
Die polizeiliche Generalklausel ist im Medizinrecht von besonderer Bedeutung, da sie ein schnelles und effektives Handeln in dringenden medizinischen Notfällen ermöglicht, auch wenn es für die Situation keine spezielle gesetzliche Regelung gibt. Im medizinischen Kontext können Situationen auftreten, die ein sofortiges Eingreifen erfordern, um Leben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Ein Beispiel für die Relevanz der polizeilichen Generalklausel im Medizinrecht ist der plötzliche Ausbruch einer hoch ansteckenden und gefährlichen Krankheit. Ein solcher Ausbruch kann eine unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Gesundheit darstellen und erfordert schnelles Handeln, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. In solchen Situationen müssen die Gesundheitsbehörden möglicherweise Massnahmen wie die Anordnung von Quarantäne, die Schliessung von Schulen und öffentlichen Einrichtungen oder Reisebeschränkungen ergreifen. Diese Massnahmen können auch dann erforderlich sein, wenn es keine spezielle gesetzliche Grundlage gibt, die diese Massnahmen im Einzelnen regelt.

Die fünf Kriterien der polizeilichen Generalklausel stellen sicher, dass solche Massnahmen nur in extremen und dringenden Situationen ergriffen werden und beugen so Missbrauch und Willkür vor. Sie gewährleisten, dass staatliches Handeln im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundprinzipien steht und gleichzeitig die notwendige Flexibilität und Handlungsfähigkeit in Notsituationen gewahrt bleibt.
Die Anwendung der polizeilichen Generalklausel im Medizinrecht ermöglicht es dem Staat, schnell und effektiv auf unvorhersehbare Gesundheitsgefahren zu reagieren und so die öffentliche Gesundheit und Sicherheit zu schützen. Diese Flexibilität ist entscheidend, um in Krisensituationen angemessen handeln zu können und die Gesundheit der Bevölkerung zu sichern. Die polizeiliche Generalklausel stellt in solchen Fällen sicher, dass das Handeln der Behörden auch dann rechtmässig bleibt, wenn die Situation aussergewöhnliche Massnahmen erfordert, die über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinausgehen.

Das Gesundheitspolizeirecht in der Schweiz ist ein komplexes System, das auf verschiedenen Ebenen organisiert ist: Bund, Kantone und Gemeinden. Jede dieser Ebenen hat spezifische Aufgaben und Kompetenzen im Bereich des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsregulierung.(6)

Auf Bundesebene liegt der Schwerpunkt auf dem Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Regelung bestimmter Bereiche des Gesundheitswesens. Der Bund ergreift Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren, wie die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Förderung der öffentlichen Gesundheit. Zudem regelt der Bund das Heilmittelrecht, das Medizinalberuferecht und das Recht der Forschung am Menschen. Dazu gehören die Zulassung, die Überwachung und der Vertrieb von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Berufsausübung der Ärztinnen und Ärzte und anderer Medizinalpersonen. Zudem legt es die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Forschung fest.

Die Kantone spielen im Gesundheitswesen eine zentrale Rolle und sind für den Vollzug und die Kontrolle der Gesundheitsgesetzgebung zuständig. Zu ihren Aufgaben gehört die Erteilung und Überwachung von Betriebsbewilligungen für Spitäler und andere medizinische Einrichtungen. Darüber hinaus sind die Kantone für die Zulassung und Überwachung von ambulanten Gesundheitseinrichtungen wie Arztpraxen und ambulanten Kliniken zuständig. Ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich der Kantone ist die Regelung der Selbstdispensation, also der Bedingungen, unter denen Ärzte und Apotheker Medikamente direkt an Patienten abgeben dürfen.

Auf Gemeindeebene konzentrieren sich die gesundheitspolizeilichen Aufgaben auf spezifische lokale Gesundheitsfragen und den Vollzug kantonaler Vorschriften. Die Gemeinden sind insbesondere für die Regelung und Überwachung des Bestattungswesens zuständig und sorgen dafür, dass Bestattungen hygienisch und würdig durchgeführt werden.

Neben diesen Hauptaufgaben gibt es weitere wichtige Aspekte und spezifische Regelungen im Gesundheitsbereich, die sich aus der Zusammenarbeit der verschiedenen Ebenen ergeben. Dazu gehören z.B. Massnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention, der Katastrophenschutz im Gesundheitswesen und die Kontrolle der Gesundheitsberufe.

Entscheidend für die Wirksamkeit des Gesundheitspolizeirechts ist die koordinierte Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Durch klare Kompetenzverteilungen und regelmässige Absprachen können Synergien genutzt und Doppelspurigkeiten vermieden werden. Dies trägt dazu bei, dass die öffentliche Gesundheit effizient und effektiv geschützt wird und die Bevölkerung Zugang zu qualitativ hochstehenden Gesundheitsdienstleistungen hat.
Die Gesundheitspolitik in der Schweiz ist somit ein Mehrebenensystem, in dem Bund, Kantone und Gemeinden unterschiedliche, aber sich ergänzende Aufgaben wahrnehmen. Jede dieser Ebenen trägt dazu bei, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und eine angemessene Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Durch eine enge Zusammenarbeit und eine klare Aufgabenteilung kann das Gesundheitsgesetz wirksam umgesetzt werden.

Gegenüberstellung der Arbeitsweisen von Juristen und Medizinern im Kontext des Medizinrechts

Die Arbeitsweisen von Juristen und Medizinern unterscheiden sich erheblich, insbesondere im Kontext des Medizinrechts, wo beide Berufsgruppen eng zusammenarbeiten, aber unterschiedliche Perspektiven und Methoden einbringen. (Tab. 1)

Allgemeine Rechtsgrundsätze

Die allgemeinen Rechtsgrundsätze durchziehen die gesamte Rechtsordnung und sind bei der Anwendung des positiven Rechts zu berücksichtigen. Sie dienen dazu, das Rechtssystem fair, verlässlich und gerecht zu gestalten und bilden eine wesentliche Grundlage für das Verhalten der Rechtsunterworfenen und das Handeln der Behörden. Sie stellen sicher, dass das Recht in einer Weise angewandt wird, die den Grundwerten der Gesellschaft entspricht.
Es besteht die Vorstellung, dass es Grundgedanken gibt, die die gesamte Rechtsordnung durchziehen. Diese Grundsätze sind bei der Anwendung des positiven Rechts zu berücksichtigen.
Beispiele:

Treu und Glauben (Art. 2 Abs. 1 ZGB):
Dieser Grundsatz verlangt von den Rechtssubjekten ein Verhalten, das von Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit geprägt ist. Es dient dazu, den Rechtsverkehr fair und verlässlich zu gestalten.

Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB):
Darunter versteht man das Verbot der zweckwidrigen und schikanösen Ausübung eines Rechts. Es verhindert den Missbrauch von Rechten zum Nachteil anderer.

Willkürverbot (Art. 9 BV):
Dieses Prinzip schützt vor unvernünftigem, sinnlosem oder widersprüchlichem staatlichen Handeln. Es stellt sicher, dass die Behörden sachlich begründete und nachvollziehbare Entscheide treffen.

Grundsatz des öffentlichen Interesses (Art. 5 Abs. 2 BV):
Es handelt sich um die Verpflichtung des Staates, Massnahmen nur dann zu ergreifen, wenn sie dem Gemeinwohl dienen. Staatliches Handeln muss durch das Gemeinwohl gerechtfertigt sein.

Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 BV):
Dieses Prinzip besagt, dass staatliche Massnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen. Jede staatliche Massnahme muss in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen und darf nicht über das Notwendige hinausgehen.

Zusammenfassung

Das schweizerische Medizinrecht bildet durch die Integration einer Vielzahl von Rechtsquellen und Regelungen eine umfassende und solide Grundlage für die medizinische Praxis. Es schützt die Rechte der Patientinnen und Patienten und stellt klare Anforderungen an die Berufsausübung der Medizinalpersonen. Das Medizinrecht stellt sicher, dass medizinisches Handeln rechtlich und ethisch einwandfrei ist, und sorgt so für Qualität und Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung.
Die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Juristen und Medizinern erfordern eine enge Zusammenarbeit. Während Juristen Gesetze auslegen und rechtliche Probleme lösen, konzentrieren sich Mediziner auf die Diagnose und Behandlung von Patienten. Beide Berufsgruppen tragen dazu bei, dass die medizinische Praxis sowohl medizinisch als auch rechtlich korrekt ist.

Neben staatlichen Gesetzen und Verordnungen spielen auch private Regelwerke eine wichtige Rolle. Sie ergänzen die gesetzlichen Vorgaben und sorgen für eine hohe Qualität und Ethik in der medizinischen Praxis. Wichtige private Regelwerke sind die Standesordnung der FMH, die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften und die Qualitätsrichtlinien der Fachgesellschaften.
Insgesamt stellt das Medizinrecht sicher, dass die medizinische Praxis in der Schweiz auf einem hohen ethischen und rechtlichen Niveau bleibt. Die Kenntnis und Anwendung dieser Regelungen sind für alle Akteure im Gesundheitswesen unerlässlich, um eine verantwortungsvolle und rechtskonforme Praxis zu gewährleisten.

Prof. Dr. med. Dr. iur. Thomas D. Szucs

Witellikerstrasse 40
8032 Zürich

thomas.szucs@hin.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Standesordnung der FMH.
2. SAMW [Internet]. [zitiert 27. Juni 2024]. Medizin-ethische Richtlinien. Verfügbar unter: https://www.samw.ch
3. Fedlex [Internet]. [zitiert 1. Juni 2024]. SR 830.1 – Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allg… Verfügbar unter: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2002/510/de
4. Kickbusch I. Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation. In: Gesundheit — unser höchstes Gut? [Internet]. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 1999 [zitiert 1. Juni 2024]. S. 275–86. Verfügbar unter: http://link.springer.com/10.1007/978-3-642-60166-8_14
5. Zünd A, Errass C. Die polizeiliche Generalklausel. ZBJV. 2011;4:261–93.
6. Mohler MHF. Grundzüge des Polizeirechts in der Schweiz. Basel: Helbing Lichtenhahn; 2012. 541 S.

Das Wissen zu Medizinrecht bei Studierenden und Leistungserbringenden in der Schweiz

Das Recht spielt im medizinischen Alltag eine immer grössere Rolle. Dies kann zu Unsicherheiten im Umgang mit medizinrechtlichen Fragen führen, was sich negativ auf das Gesundheitswesen und ihre Beteiligten auswirken kann. In dieser Studie wurde das medizinrechtliche Wissen von Medizinstudierenden und Ärzten/Ärztinnen in der Schweiz untersucht, um Empfehlungen für die Aus-, Weiter- und Fortbildung abzugeben. Mittels einer Umfrage wurde untersucht, wie wohl sich Personen im Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen fühlen und anhand von Fallvignetten das medizinrechtliche Wissen geprüft. Teilnehmende fühlten sich tendenziell «eher nicht» wohl, mit medizinrechtlichen Fragestellungen konfrontiert zu werden. Aus den Resultaten der Fallvignetten lässt sich ein gewisses medizinrechtliches Wissen vermuten, jedoch zeigten sich über fast die gesamte Breite der erfragten Themengebiete Hinweise für Wissenslücken oder falsches Wissen.
Insbesondere scheint für die Aus-, Weiter- und Fortbildung ein Fokus auf die Themengebiete Versicherungen und Patientenrechte sinnvoll, jedoch kann eine allgemein umfänglichere medizinrechtliche Bildung als wichtig vermutet werden. Dabei sollte neben der medizinrechtlichen Theorie auch deren praktische Anwendung gelehrt werden. Die umfassendere medizinrechtliche Aus-, Weiter- und Fortbildung sollte als einer von verschiedenen Ansätzen gesehen werden, um die Unsicherheit bezüglich der Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen anzugehen.

Schlüsselwörter: Medizinrecht, Medizinische Bildung, Fallvignetten

Einleitung

Medizin und Recht sind zwei Arbeitsfelder, die sich immer häufiger überschneiden. So nimmt auch das Recht eine grösser werdende Rolle im medizinischen Alltag ein (1). Veränderungen der Gesetzesgrundlagen und ein wechselndes Bild der Arzt-Patienten-Beziehung führen zu einer «Verrechtlichung der Medizin» (1). Ärzte/Ärztinnen werden im medizinischen Alltag mit komplexen medizinrechtlichen Fragestellungen konfrontiert (2). Die Gesetzgebung ist zudem durch die Individualität des Menschen erschwert, aufgrund dessen «abstrakte Regeln und Entscheidungen von Einzelfällen mit ihren jeweiligen Besonderheiten» (2) berücksichtigt werden müssen. Das Resultat ist eine «Unschärfe mit zahlreichen rechtlichen Normen» (2) und eine «Überregulierung im Arztberuf» (3). Diese Entwicklungen führen zu Verunsicherung, welche sich bei den Ärzten/Ärztinnen, jedoch auch bereits bei den Medizinstudierenden bemerkbar macht (3, 4). Sie kann das Verhalten und die Entscheidungsfindung im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit negativ beeinflussen (5).

Den Veränderungen der medizinrechtlichen Rahmenbedingungen und seinen Folgen sollte im Rahmen der ärztlichen Ausbildung Rechnung getragen werden. In der Schweiz wurde unter anderem daher den einzelnen medizinischen Fakultäten Autonomie in der Durchführung ihres medizinischen Curriculums genehmigt, um die «stetige Adaptierung jenes an den neuesten Wissensstand in der Medizin» (6) zu vereinfachen. Im Ausgleich dieser Eigenständigkeit der Universitäten etablierte sich neben anderem die Durchsetzung eines schweizweit geltenden Lernzielkatalogs, bekannt unter dem Namen «PROFILES1» (6, 7). Der PROFILES-Lernzielkatalog ist «kompetenzorientiert» (8). Einzelne Thematiken wie auch das Medizinrecht sind nicht als eigene Lernziele formuliert, werden jedoch für das Erreichen der Kompetenzen vorausgesetzt (8).

Diese Studie befasste sich mit der Frage, ob Medizinstudierende und Ärzte/Ärztinnen ausreichend auf die Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen im Rahmen ihres ärztlichen Alltags in der Schweiz unabhängig vom Fachgebiet vorbereitet werden.

Material und Methoden

Erstellung und Durchführung der Umfrage

Um diese Frage zu untersuchen, wurde eine Umfrage erstellt. Diese erfragte im ersten Teil, wie wohl sich die Teilnehmenden fühlten, in ihrer (künftigen) beruflichen Tätigkeit mit rechtlichen Fragestellungen konfrontiert zu werden. Im nächsten Schritt sollten von einer Auswahl rechtlicher Themengebiete diejenigen angewählt werden, welche als relevant eingeschätzt werden, zum einen im Rahmen des Studiums und zum anderen im Rahmen des medizinischen Alltags. Im dritten Abschnitt der Umfrage wurde anhand von Fallvignetten das medizinrechtliche Wissen in unterschiedlichen Themengebieten untersucht. Dafür wurden, orientiert an den Büchern «Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag» (2), «Medizin– Mensch–Recht: eine Einführung in das Medizinrecht der Schweiz» (9) und «Gesundheitsrecht: ein Grundriss für Studium und Praxis» (10), medizinrechtliche Themengebiete ausgewählt, zu welchen dann die Vignetten erstellt wurden. Sie wurden so erstellt, dass sie von Ärzten/Ärztinnen jeglicher Fachrichtungen beantwortet werden können sollten, weshalb davon abgesehen wurde, fachspezifisches Wissen abzufragen.

Zur Erstellung der Fallvignetten wurden vorab mehrere Gerichtsentscheide mit medizinrechtlichen Fragestellungen gelesen, um ein besseres Bild der Natur solcher Fragestellungen zu erhalten. Die Vignetten waren jedoch frei erfunden. Jeder Vignette folgten mehrere Aussagen, die mit «Ja» oder «Nein» beantwortet werden konnten. Bei einer Vignette konnte zwischen den drei Auswahlmöglichkeiten «Meldepflicht», «Melderecht» oder «weder noch» ausgewählt werden. Die erstellten Vignetten wurden mit dem Betreuer besprochen und von initial 26 auf 16 Vignetten gekürzt, um die Länge der Umfrage zu beschränken. Die Aussagen waren untergeordneten Themengebieten zugeordnet, welche wiederum in übergeordnete Themengebiete zusammengefasst wurden. Die übergeordneten Themengebiete mit ihren entsprechenden untergeordneten Themengebiete waren Patientenrechte: Aufklärung, Berufsgeheimnis, einschränkende Massnahmen und Behandlung ohne Einwilligung, Einwilligung, Patientenverfügung, Recht auf Einsicht ins Patientendossier, Urteilsfähigkeit (inkl. Minderjährigkeit, Vertretungsberechtigung, andere), Versicherungen (Krankenversicherung, Unfallversicherung), Mensch und Gesundheit (Betäubungsmittelgesetz, EPDG2, Heilmittelgesetz), Berufe im Gesundheitswesen (Medizinalberufegesetz) und Obligationenrecht (einfacher Vertrag). Die Einteilung der Themengebiete erfolgte anhand einer Einteilung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) (11).

Die Auswahl der Fallvignetten sollte ein Abbild des medizinrechtlichen Wissens geben, hatte im Rahmen dieser Arbeit jedoch keinen Anspruch, das medizinrechtliche Wissen von Medizinstudierenden und Ärzten/Ärztinnen vollständig abzubilden. Einzelne Themengebiete wurden in unterschiedlicher Ausführung abgefragt, um einerseits einen Überblick über verschiedene Themengebiete zu erhalten und andererseits anhand einzelner Themengebiete einen etwas ausführlicheren Einblick zu gewinnen. Ein besonderer Fokus wurde, in Orientierung an die oben genannten Bücher, auf das Themengebiet Patientenrechte gelegt.

Der Fragebogen wurde von Personen mit medizinischem Hintergrund erstellt und daher nach Erstellung an zwei unabhängige Juristen mit Erfahrung im Gesundheitsrecht zur Überprüfung gesandt. Die überarbeitete Version wiederum wurde von zwei Medizinstudierenden geprüft, um sicherzustellen, dass diese für das Zielpublikum verständlich formuliert und aufgebaut war. Der Fragebogen wurde an Institutionen der gesamten Schweiz versandt, weshalb er mithilfe muttersprachlich Sprechender auf Französisch und Italienisch übersetzt wurde. Die Umfrage wurde mittels LimeSurvey erstellt und war durch einen Link aufrufbar. Sie wurde an sechs Universitäten, neun Spitäler und fünf Sektionen des VSAO3 in der Schweiz versandt. Um ein besseres Bild der Fallvignetten zu erhalten, sind diese im Folgenden aufgelistet (Abb. 1).

Die Resultate der Selbsteinschätzung im Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen und der Beantwortung der Fallvignetten wurden jeweils insgesamt und bezüglich ihrer Unterschiede in spezifischen Kategorien untersucht. Die untersuchten Kategorien waren Medizinstudierende versus Ärzte/Ärztinnen, Studienort Bachelor (Deutschschweiz, Romandie, Ausland), Studienort Master (Deutschschweiz, italienische Schweiz, Romandie, Ausland), Studienjahr (1.–6. Studienjahr), Arbeitsort (Grundversorgung [Praxis und Grundversorgungsspital], Zentrumsversorgung und Klinik) (12) und Position (Assistenzarzt/Assistenzärztin, Oberarzt/Oberärztin, Spitalfacharzt/Spitalfachärztin, Leitende/-r Arzt/Ärztin, Chefarzt/Chefärztin) (13).

Statistische Auswertung

Die Auswertung erfolgte mittels IBm SPSS Statistics 29.0.0.0, R 4.4.0 und Excel Office 16. Für die Beurteilung der Signifikanz der Resultate wurde ein Signifikanzniveau von 0.05 gewählt. Die prozentualen Angaben der Resultate wurden auf ganze Zahlen gerundet. Medizinstudierende versus Ärzte/Ärztinnen, Studienjahr und Position wurden als lineare Variablen behandelt. Für Studienort und Arbeitsort wurden für die Regressionsanalysen Dummy Variablen erstellt. Es wurde jeweils die grösste Untergruppe als Referenzwert gewählt. Für die Kategorien wurden Confounder vermutet, welche in den Regressionsanalysen berücksichtigt wurden. Für den Vergleich von Medizinstudierenden und Ärzten/Ärztinnen sowie den Vergleich Studienjahre wurde der Studienort als Confounder vermutet. Für die Untergruppe der Medizinstudierenden wurde das Studienjahr als Confounder der Studienorte vermutet. Für die Untergruppe der Ärzte/Ärztinnen wurden die Kategorien Arbeitsort, Position und Studienort als gegenseitige Confounder vermutet. Die Vergleiche der Kategorien im Rahmen der Fallvignetten wurden jeweils an den erzielten Resultaten in der Gesamtheit aller Fallvignetten berechnet.

Ausschlusskriterien

Für die Auswertung der Fallvignetten wurden nur die Antworten von Personen berücksichtigt, welche alle Fragen der Fallvignetten beantwortet hatten. Dadurch konnten Verfälschungen der Resultate durch Personen, die Fragen ausgelassen hatten, bei welchen sie die Antwort nicht wussten, und Personen, welche die Fallvignetten nicht gründlich ausgefüllt hatten, vermieden werden. Für die übrigen Abschnitte der Umfrage wurden alle Antworten berücksichtigt.

Resultate

Im Folgenden wird die Verteilung der Teilnehmenden beschrieben. In Klammern ist jeweils die entsprechende Anzahl Personen genannt, die für die Resultate der Fallvignetten berücksichtigt werden konnten. Es haben 836 Personen (384) an der Umfrage teilgenommen, darunter 229 Medizinstudierende (94) und 569 Ärzte/Ärztinnen (290). Der Studienort Romandie, die Position Assistenzarzt/Assistenzärztin und der Arbeitsort Zentrumsversorgung waren jeweils am häufigsten vertreten. Die Studienjahre waren mit 28–42 Personen (14–18) annähernd ähnlich häufig auf die Untergruppen verteilt. Im Folgenden wird auf die einzelnen Abschnitte der Umfrage eingegangen.

Selbsteinschätzung im Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen

Kategorien
Ärzte/Ärztinnen fühlten sich in der Tendenz etwas wohler als Medizinstudierende (Abb. 2). Die Antwortverteilung widerspiegelte in beiden Untergruppen die der gesamten Teilnehmenden. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Untergruppen. Im Vergleich der Studienorte wurde bei den Medizinstudierenden in ­allen Gruppen der Studienorte für Bachelor und Master die Antwort «eher nicht» am häufigsten gewählt. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede der Studienorte der Medizinstudierenden. Unter den Ärzten/Ärztinnen wurde in allen Gruppen der Studienorte für Bachelor und Master die Antwort «eher nicht» am häufigsten gewählt. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede der Studienorte der Ärzte/Ärztinnen. Über alle Studienjahre hinweg wurde die Frage am häufigsten mit «eher nicht» beantwortet. Es zeigte sich eine negative Steigung mit zunehmendem Studienjahr. Medizinstudierende fühlten sich also tendenziell weniger wohl, je weiter sie im Studium waren. Diese Tendenz war nicht si­gnifikant. Chefärzte/Chefärztinnen beantworteten die Frage am häufigsten mit «eher». Von den übrigen Positionen wurde die Frage am häufigsten mit «eher nicht» beantwortet. Mit steigender Position fühlten sich die Ärzte/Ärztinnen wohler. Diese Tendenz war signifikant (p-Wert: < 0,001). Personen, die in einer Klinik arbeiteten, fühlten sich am häufigsten «eher» wohl. In den anderen Arbeitsorten fühlten sich die Personen am häufigsten «eher nicht» wohl. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede der Arbeitsorte.

Fallvignetten

Im Folgenden werden die Resultate beschrieben (Abb. 3). In Klammern angegeben sind jeweils der Median- (Md) und der Mittelwert (M). Für die Resultate der untergeordneten Themengebiete wird zusätzlich die Anzahl Fragen (F) angegeben.

Ein Vergleich der übergeordneten Themengebiete zeigte in Rangierung nach Medianen aller berücksichtigter Antworten, dass die Fragen im Themengebiet Versicherungen (Md: 52 %, M: 55 %) am seltensten korrekt beantwortet wurden. Darauf folgten die Fragen im Themengebiet Berufe im Gesundheitswesen (Md: 68%, M: 66%), Patientenrechte (Md: 74%, M: 65%) und Mensch und Gesundheit (Md: 81%, M: 74%). Am häufigsten wurden die Fragen im Themengebiet Obligationenrecht (Md: 99%, M: 99%) richtig beantwortet.

Patientenrechte
Die tiefsten Resultate wurden im untergeordneten Themengebiet Urteilsfähigkeit (inklusive Minderjährigkeit) erreicht (F 3, Md: 34%, M: 51%). In entsprechender aufsteigender Reihenfolge folgten die untergeordneten Themengebiete Vertretungsberechtigung (F 2, Md: 45 %,
M: 45 %), Einwilligung (F 3, Md: 45 %, M: 55 %), einschränkende Massnahmen und Behandlung ohne Einwilligung (F 4, Md: 52 %, M: 56 %), andere (F 6, Md: 54 %, M: 58 %), Berufsgeheimnis (F 11, Md: 65 %, M: 68 %), Patientenverfügung (F 8, Md: 80 %, M: 69 %), Aufklärung (F 8, Md: 87 %, M: 76 %) und Recht auf Einsicht ins Patientendossier (F 4, Md: 89 %, M: 74 %).

Versicherungen
Die tiefsten Resultate wurden im untergeordneten Themengebiet Unfallversicherung erreicht (F 5, Md: 38 %,
M: 54 %), gefolgt vom untergeordneten Themengebiet Krankenversicherung (F 4, Md: 63 %, M: 56 %).

Mensch und Gesundheit
Die tiefsten Resultate wurden im untergeordneten Themengebiet Betäubungsmittelgesetz erreicht (F 1, Md: 37 %, M: 37 %), darauf folgten in entsprechender aufsteigender Reihenfolge die untergeordneten Themengebiete EPDG (F 1, Md: 49 %, M: 49 %) und Heilmittelgesetz (F 6, Md: 91 %, M: 85 %).

Berufe im Gesundheitswesen
Es wurden nur Fragen im untergeordneten Themengebiet Medizinalberufegesetz gestellt (F 4, Md: 68 %, M: 66 %).

Obligationenrecht
Es wurden nur Fragen im untergeordneten Themengebiet Einfacher Vertrag gestellt (F 2, Md: 99 %, M: 99 %).

Kategorien
Die Fallvignetten wurden von Ärzten/Ärztinnen signifikant häufiger korrekt beantwortet als von Medizinstudiereden (p-Wert: < 0.001). Es zeigten sich weder in der Untergruppe der Medizinstudierenden noch unter den Ärzten/Ärztinnen signifikante Unterschiede der Studienorte. Tendenziell wurden die Fragen häufiger korrekt beantwortet, je weiter die Medizinstudierenden in ihrem Studium waren. Diese Tendenz war nicht signifikant. Tendenziell wurden die Fragen weniger häufig korrekt beantwortet, je höher die Position war. Auch dies war nicht signifikant. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede der Arbeitsorte.

Diskussion

Zusammenfassung der Resultate

Die Mehrheit der befragten Medizinstudierenden und Ärztinnen und Ärzte gaben an, sich in ihrem ärztlichen Alltag in der Schweiz mit medizinrechtlichen Fragestellungen tendenziell nicht wohlzufühlen. Bei den erzielten Resultaten in den Fallvignetten mit zwei Antwortmöglichkeiten zeigen sich bei um 50 % und deutlich unter 50 % korrekter Antworten Hinweise für Wissenslücken oder falsches Wissen. Entsprechende Hinweise zeigen sich bei Fragen mit drei Antwortmöglichkeiten bei um 33 % und deutlich unter 33 % korrekter Antworten. Abgesehen vom Themengebiet Obligationenrecht zeigten sich diese Hinweise sowohl bei den Medizinstudierenden als auch bei den Ärzten/Ärztinnen in allen übergeordneten Themengebieten. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass sowohl Medizinstudierende als auch Ärzte/Ärztinnen im Rahmen von Aus-, Weiter- und Fortbildungen nicht ausreichend auf die Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen in der Schweiz vorbereitet werden. Im Folgenden werden die Resultate ausführlicher diskutiert.

Selbsteinschätzung
Es gab keine signifikanten Unterschiede im Verlauf des Studiums. Das bedeutet, dass die aktuelle medizinrechtliche Ausbildung nicht dazu führt, dass sich die Studierenden wohler fühlen, wenn sie mit medizinrechtlichen Fragestellungen konfrontiert werden. Im Vergleich der Positionen war ähnliches für die Weiter- und Fortbildung zu sehen. Höhere Positionen fühlten sich zwar signifikant wohler, dennoch fühlten sich Personen weiterhin bis in höhere Positionen tendenziell eher nicht wohl, wenn sie mit medizinrechtlichen Fragestellungen konfrontiert wurden. Dies könnte auf eine unzureichende Ausbildung zurückführen lassen, die Wissenslücken hinterlässt. Es ist auch denkbar, dass die Fragestellungen mit höherer Position an Komplexität zunehmen und diese im Rahmen der Fort- und Weiterbildung ungenügend aufgegriffen werden. Es lässt sich erahnen, dass sich im Verlauf der Karriere ein gewisser Erfahrungswert positiv auf die Unsicherheit mit den eigenen medizinrechtlichen Kompetenzen auswirkt. Insgesamt zeigt sich, dass die Thematik sowohl im Rahmen der Ausbildung als auch der Weiterbildung und Fortbildung ungenügend aufgegriffen wird. Die Beantwortung der Fallvignetten hatte keinen Einfluss auf die Selbsteinschätzung, da die Fallvignetten nach den Fragen zur Einschätzung gestellt wurden.

Fallvignetten
Die Ergebnisse zeigen, dass es in vielen Fragen Hinweise auf Wissenslücken und falsches Wissen gibt. Die Variabilität der Resultate deutet darauf hin, dass zwar ein gewisses medizinrechtliches Wissen vorhanden ist, dieses jedoch nicht die Breite der medizinrechtlichen Fragestellungen abdeckt, mit denen man im ärztlichen Alltag konfrontiert werden könnte. Zudem gibt es teilweise sogar falsches Wissen. Wissenslücken und falsches Wissen zeigten sich insbesondere in den Themengebieten Patientenrechte und Versicherungen.

Die Studienzeit scheint sich nicht auf das medizinrechtliche Wissen auszuwirken. Die Selbsteinschätzung und die Beantwortung der Fragen zeigten hier, wenn auch nicht signifikant, gegenläufige Tendenzen. Mit höherem ­Studienjahr fühlten sich Personen weniger wohl, beantworteten die Fallvignetten jedoch besser. Dies deutet darauf hin, dass das Unwohlsein nicht nur durch einen Mangel an medizinrechtlichem Wissen erklärt werden kann. Die Ausbildung sollte sich neben der medizinrechtlichen Theorie auch auf deren praktischen Anwendung fokussieren. Im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit wird sich offenbar ein gewisses medizinrechtliches Wissen angeeignet. Dieser Lerneffekt zeigt sich insbesondere zu Beginn der ärztlichen Tätigkeit. Die Fallvignetten wurden mit steigender Position tendenziell, wenn auch nicht signifikant, schlechter beantwortet. Diese Tendenz ist gegenläufig zu den Resultaten der Selbsteinschätzung. Daraus lassen sich gewisse Fehleinschätzungen der eigenen Kompetenzen erahnen. Wie bereits erwähnt, lässt sich vermuten, dass Personen in höheren Positionen in ihrem ärztlichen Alltag häufiger mit anderen, beispielsweise fachspezifischen, medizinrechtlichen Fragestellungen konfrontiert werden. Kompetenzen in diesen Gebieten würden die Unsicherheit in der Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen mindern, würden sich jedoch nicht in den Resultaten der Fallvignetten widerspiegeln. Die Resultate der Umfrage zeigen jedoch, dass grundlegendes, fachunspezifisches medizinrechtliches Wissen im Verlauf der ärztlichen Karriere nicht signifikant zunimmt. Der Vergleich der Studienjahre zeigt: Das Unwohlsein kann nicht allein durch den Mangel an medizinrechtlichem Wissen erklärt werden. Auch der Vergleich der Positionen spricht, nun im Rahmen der Weiter- und Fortbildung, für das Erlernen der praktischen Anwendung medizinrechtlicher Theorie.

Einschätzung der Relevanz rechtlicher Themengebiete
Laut den Einschätzungen sind die Themengebiete Patientenrechte, Kranken- und andere Sozialversicherungen, Berufspflichten und Datenschutz für das Studium und den medizinischen Alltag am relevantesten. Für das Studium wird ausserdem das Themengebiet Rechtliche Grundlagen als deutlich relevanter gewertet. Andere Gebiete wurden weniger relevant gewertet. Mit einer Ausnahme wurden die Themengebiete im Rahmen des Studiums häufiger gewählt. Das deutet darauf hin, dass deren Relevanz im Rahmen des Studiums höher gewertet wird. Es kann also vermutet werden, dass die Teilnehmenden eher mehr im Studium lernen wollen, als sie im ärztlichen Alltag brauchen, statt umgekehrt. Eine Beeinflussung der Einschätzung einzelner Gebiete durch die Beantwortung der Fallvignetten ist auszuschliessen, da die Fallvignetten nach den Fragen zur Einschätzung präsentiert wurden.

Vergleich mit anderen Studien

Verschiedenste Studien zeigten in anderen Ländern bereits Hinweise für die Relevanz medizinrechtlicher Fragestellungen und deren Einbindung in die Aus-, Weiter- und Fortbildung. Ein systematischer Review von Arbel et al. kam unter anderem zu dieser Schlussfolgerung: «Medical Students Feel Ill-Prepared to Handle the Legal Aspects of Healthcare» (4). Das widerspiegelte sich in dieser Umfrage auch in der Schweiz. Es konnte zudem bereits gezeigt werden, dass der medizinrechtlichen Ausbildung im Rahmen des Curriculums zu wenig Raum gegeben wird beziehungsweise diese ausgebaut werden sollte (4, 14, 15).

Die Relevanz der Weiter- und Fortbildung bei Ärzten/Ärztinnen zeigte sich beispielsweise in einer finnischen Befragung, welche diese bezüglich der Patientenrechte darstellte (16). Zur Vermittlung des medizinrechtlichen Inhalts wurden verschiedene Lernmethoden verglichen, wo sich insbesondere «problembasiertes Lernen» (17) «im klinischen Setting» (17) bewährte. Dies deckt sich mit den Vermutungen, dass im Rahmen der Aus-, Weiter- und Fortbildung auch das praktische Anwenden medizinrechtlicher Fragestellungen erlernt werden soll. Die Resultate der Umfrage gehen einher mit bereits beschriebenen Beobachtungen wie der «Verunsicherung von Ärzten» (3), wofür unter anderem die verrechtlichenden Entwicklungen der Medizin und sich widersprechende Gesetze als Ursache vermutet werden (3).

Dass diese Verunsicherung negative Konsequenzen mit sich zieht, wird beispielsweise am Phänomen der «Defensive Medicine» deutlich (18). Es beschreibt die defensive Haltung in der Entscheidungsfindung im ärztlichen Alltag, was sich darin ausdrückt, «dass Ärzte zur Risikominimierung und Vermeidung von Haftungsklagen entweder sinnvolle Behandlungen unterlassen – oder sich mit Überdiagnostik (Röntgen, Computertomographie) absichern» (5). Dies hat negative Folgen für die Patienten/Patientinnen, das Gesundheitssystem und die Ärzte/Ärztinnen selbst und wird bereits auf Ebene der Medizinstudierenden gelehrt und gelernt (5, 18–21). Defensive Medicine ist das Resultat verschiedener Faktoren, welche neben der medizinrechtlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung ebenfalls beachtet werden sollten. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem die Arzt-Patienten-Beziehung, falsche Erwartungen von Patienten/Patientinnen an die Möglichkeiten der Medizin und der Zeitdruck im medizinischen Alltag (19). Insbesondere, dass sich die Teilnehmenden mehrheitlich eher nicht wohlfühlten in der Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen gibt Hinweise dafür, dass Defensive Medicine auch in der Schweiz auftreten könnte. Weiter zeigte eine Studie die Wichtigkeit «einer besseren Zusammenarbeit zwischen Jurisprudenz und Medizin» (22) für die Entwicklung der medizinrechtlichen Gesetzesgrundlage. Eine Schwierigkeit dieser Zusammenarbeit könnte sich unter anderem im «Verhältnis von Medizinern und Juristen» (1) zeigen, welches als «ambivalent» (1) beschrieben wird. Ähnlich liess sich im erwähnten systematischen Review Folgendes schliessen: «Medical Students Have Negative Perceptions of the Legal Field» (4).

Limitationen der Studie

Die Studie weist verschiedene Limitationen auf, welche die Umfrage und deren Durchführung sowie die Auswertung und Interpretation der Daten beeinflusst haben. Der Fragebogen ist nicht statistisch validiert, wodurch dessen Aussagekraft, insbesondere im Rahmen der Fallvignetten, vermindert ist. Die Fragen der Fallvignetten könnten zu komplex oder simpel formuliert gewesen sein, was zu Verfälschung der Resultate geführt hätte. Die Kürzung des Fragebogens führte zu einer Verminderung seiner Aussagekraft bezüglich einzelner Themengebiete. Da die Umfrage online und anonym durchgeführt wurde, konnten Verständnisfragen bezüglich der Umfrage nicht geklärt werden. Es war nicht möglich zu kontrollieren, ob die Teilnehmenden Hilfe für das Ausfüllen der Umfrage in Anspruch genommen haben, ob gewisse Teilnehmenden die Umfrage mehrmals ausgefüllt haben oder ob sie ihre Angaben zur Person korrekt ausfüllten. Der Fragebogen war in drei verschiedenen Sprachen verfügbar, weshalb mit Verzerrungen der Resultate aufgrund Übersetzungsunterschieden und damit verbundenen möglichen Missverständnissen zu rechnen ist. Die Verteilung der Teilnehmenden in den einzelnen Untergruppen war nicht gleichmässig, weshalb von Verzerrungen der Resultate aufgrund unentdeckter Bias ausgegangen werden muss. Die Aussagekraft der Resultate ist zudem aufgrund der teilweise eher kleinen Untergruppen vermindert. Mögliche signifikante Unterschiede könnten nicht aufgedeckt worden sein und umgekehrt.

Was heisst dies für die Aus-, Weiter- und Fortbildung?

Die Relevanz einer umfassenderen medizinrechtlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Schweiz ist klar. Das wird durch verschiedene Aspekte dieser Arbeit deutlich und deckt sich mit Ergebnissen anderer Studien, welche dies bereits in anderen Ländern gezeigt haben. Der kompetente Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen ist ein wichtiger Bestandteil des schweizerischen Lernzielkatalogs und sollte daher im Curriculum entsprechend aufgegriffen werden. Aus der Selbsteinschätzung und den Resultaten der Fallvignetten der Ärzte/Ärztinnen lässt sich bis in höhere Positionen vermuten, dass diese Kompetenz auch im Rahmen von Weiter- und Fortbildung umfassender aufgegriffen werden sollte. Inhaltlich lässt sich insbesondere der Nutzen eines Fokus auf die Themengebiete Versicherungen und Patientenrechte vermuten, deren Relevanz sich auch in der Einschätzung der Relevanz rechtlicher Themengebiete widerspiegelte. Die Resultate zeigen eine grosse Variabilität. Deshalb ist es sinnvoll, sich mit der Breite der medizinrechtlichen Themen zu befassen. Es reicht nicht, nur die Theorie zu lernen. Man muss sie auch praktisch anwenden können. Die Theorie ist oft nicht eindeutig, was deren Anwendung noch komplizierter macht (3). Medizinrechtliche Fertigkeiten zu erlernen, ist unerlässlich, um im Umgang mit entsprechenden Fragestellungen an Sicherheit zu gewinnen. Dafür könnte sich insbesondere «problembasiertes Lernen (17)» «im klinischen Setting (17)» bewähren. Das Unwohlsein in der Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen ist ein Ausdruck verschiedener Faktoren, die neben der umfassenderen Aus-, Weiter- und Fortbildung ebenfalls berücksichtigt werden müssen (19). Die Ausbildung sollte auch das Thema Rechtliche Grundlagen umfassen. So kann der Austausch mit Juristen/Juristinnen verbessert und gefördert werden. Deren Grundlage zu verstehen hilft, deren Entscheidungen nachzuvollziehen. Das ist insbesondere hilfreich, um andere Ursachen der Unsicherheit im Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen anzugehen (1). Die medizinrechtliche Ausbildung sollte bereits in frühen Studienjahren beginnen, um dem Annehmen von Eigenschaften der Defensivmedizin während der Praktika entgegenzuwirken (19). Für Assistenzärzte/Assistenzärztinnen lässt sich aus dem Vergleich der Selbsteinschätzung und den erzielten Resultaten ableiten, dass insbesondere Angebote zum Umgang mit entsprechenden Fragestellungen besonders sinnvoll wären, um ihre Sicherheit im Umgang mit medizinrechtlichen Fragestellungen zu stärken. Für Personen in höheren Positionen hingegen scheinen Angebote zur medizinrechtlichen Theorie die bessere Wahl. Ausserdem sollten, bei sich stets ändernden Gesetzgebungen, Auffrischungskurse zum medizinrechtlichen Wissen angeboten werden, unabhängig davon, welche Resultate erzielt wurden (1). Eine umfassendere Aus-, Weiter- und Fortbildung ist unabhängig vom Studienort und Arbeitsort von entscheidender Bedeutung und sollte etabliert werden.

Weitere Studien

In weiteren Studien wäre es insbesondere interessant, die Effektivität der Implementierung einer umfänglicheren Aus-, Weiter- und Fortbildung zu untersuchen. Zudem könnten genauere Untersuchungen der Unterschiede in den einzelnen Kategorien zu detaillierteren Resultaten führen. Ein umfangreicherer und statistisch validierter Fragebogen könnte helfen, die relevanten Themengebiete besser zu erkennen. Weitere Studien zur Ursachenfindung des Unwohlbefindens in der Konfrontation mit medizinrechtlichen Fragestellungen und wie diese angegangen werden könnten, wären ebenfalls interessant, um die Pro­blematik ganzheitlich anzugehen.

Danksagung

Für die hilfreiche und wertvolle Unterstützung möchte ich mich bei allen Beteiligten recht herzlich bedanken. An erster Stelle bei meinem Betreuer Prof. Dr. Thomas Szucs, welcher mich im gesamten Prozess der Arbeit reichlich unterstützte. Ebenfalls beim Experten Prof. Dr. Milo Puhan. Für die Unterstützung in der Entwicklung des Fragebogens möchte ich mich herzlich bei Christoph Bissig und Nicolas Jordi bedanken, welche den Fragebogen auf juristischer Seite geprüft haben, sowie bei Debora Meier und Tamara Weil, welche diesen aus der Sicht von Medizinstudierenden geprüft haben. Für die Übersetzung auf Französisch bedanke ich mich herzlich bei Rolf Tanner und für die Übersetzung auf Italienisch bei Sabrina Caccia-Ineichen und Moira Ineichen. Für die Unterstützung im Versand bedanke ich mich recht herzlich bei der Universität Zürich und dem Fachverein der medizinischen Fakultät, der ETH Zürich, der Università della Svizzera italiana, der Universität Basel und der Fachschaft Medizin Basel, der Université de Genève, der Université de Lausanne, dem Universitätsspital Zürich, dem Centre hospitalier universitaire vaudois, dem Hôpitaux universitaires de Genève, dem Kantonsspital Graubünden, der Krankenhausgesellschaft Schwyz, den Solothurner Spitälern, dem Kantonsspital Obwalden, dem Spital Nidwalden, dem Zuger Kantonsspital sowie dem VSAO Sektion Freiburg, Thurgau, Wallis, Zentralschweiz und Zürich. Ebenso möchte ich mich herzlich bei allen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, die Umfrage auszufüllen. Für die Unterstützung in der Analyse möchte ich mich herzlich bei Sven Glinz bedanken.

Katja Meier

Institut für Epidemiologie
Biostatistik und Prävention (EBPI)
Universität Zürich (UZH)
Hirschengraben 84, 8001 Zürich

katja.meier2@uzh.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang
mit diesem Artikel deklariert.

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