Kardiovaskuläre Erkrankungen in der Schweiz – Prävalenz und Versorgung

Kardiovaskuläre Erkrankungen (cardiovascular diseases, CVD) stellen weltweit und in der Schweiz ein erhebliches Gesundheitsproblem dar. Trotz präventiver Massnahmen und Fortschritten in der Behandlung führen kardiovaskuläre Erkrankungen in der Schweiz immer noch zu einer beträchtlichen Zahl von Hospitalisierungen (133 000 in 2021) und sind für fast 1/3 aller Todesfälle (19 600 in 2021) verantwortlich. Die Notfallversorgung akuter kardiovaskulärer Ereignisse weist heute in der Schweiz im Vergleich zum Ausland einen sehr hohen Standard auf. Doch es besteht eine grosse Diskrepanz aus Evidenz und täglicher Praxis (Evidence-Performance-Gap) in der kardiovaskulären Risikofaktorkontrolle, denn ein grosser Prozentsatz der Patient/-innen erreicht die jeweiligen Ziele der Leitlinienempfehlungen nicht: 55 % der Hypertoniker, 81 % der Patient/-innen mit erhöhtem LDL-Cholesterin und 44 % der Diabetiker. Darüber hinaus rauchen in der Schweiz aktuell 21 %, 42 % gelten als adipös und 24 % der Menschen weisen einen Bewegungsmangel auf.

1. Die globale und schweizweite Krankheitslast (Burden of Disease) kardiovaskulärer Erkrankungen

1.1 Todesfälle und Hospitalisierungen

Kardiovaskuläre Erkrankungen (cardiovascular diseases, CVD) sind gemäss World Health Organization (WHO) global für 31 % (17,9 Millionen) aller Todesfälle verantwortlich (1, 2). Da in den Industriestaaten Infektionskrankheiten und Traumata als Todesursache seltener vorkommen als in weniger entwickelten Ländern, ist der relative Anteil von kardiovaskulären Erkrankungen an den Todesfällen in Europa und den USA sogar noch deutlich höher. Zudem ist die Bevölkerung in den Industriestaaten älter, und es herrschen andere Lebensstile und andere Ernährungsgewohnheiten. Die WHO und die Krankheitsstatistik der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gehen daher davon aus, dass in Europa bis zu 45 % (3,9 Millionen) und damit fast die Hälfte aller Todesfälle auf kardiovaskuläre Erkrankungen zurückgehen (2).

In der Schweiz sind kardiovaskuläre Erkrankungen für fast 1/3 aller Todesfälle verantwortlich (1). Alarmierend ist insbesondere die Tatsache, dass gemäss dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) ein kontinuierlicher Anstieg der kardiovaskulären Erkrankungen zu verzeichnen ist. Während 2007 noch 13,9 % an einer kardiovaskulären Erkrankung litten, stieg der Prozentsatz 2012 bereits auf 17,7 % (letztverfügbare Daten bei Obsan), wobei hier auch eine Zunahme der älteren Bevölkerung und eine bessere Diagnostik eine Rolle spielen könnten (3).

Im Gegensatz zur steigenden Prävalenz der kardiovaskulären Erkrankungen respektive kardiovaskulärer Risikofaktoren ist die Mortalität aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen in den Industriestaaten in den letzten Jahren rückläufig, was sowohl auf eine bessere Prävention (primär wie sekundär) als auch auf eine bessere (Akut-)Therapie zurückgeführt wird (4, 5). Trotzdem gab es im Jahr 2021 rund 19 600 Todesfälle und 133 000 Hospitalisierungen durch kardiovaskuläre Erkrankungen in der Schweiz, wobei 33 097 Hospitalisierungen auf ischämische Herzerkrankungen und 18 516 Hospitalisierungen auf einen Schlaganfall zurückzuführen sind. Allein diese beiden Erkrankungen waren zudem für 6 311 (ischämische Herzkrankheiten) respektive 2 663 (Schlaganfälle) Todesfälle verantwortlich (6).

1.2 Epidemiologie und Versorgung der kardiovaskulären Erkrankungen

Epidemiologisch gibt es zwei gegenläufige Trends: einerseits die Alterung der Bevölkerung und somit einen immer grösseren Bevölkerungsanteil mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder kardiovaskulären Erkrankungen und andererseits eine verbesserte medizinische Versorgung. Insbesondere die Notfallversorgung akuter kardiovaskulärer Ereignisse weist heute in der Schweiz im Vergleich zum Ausland einen sehr hohen Standard auf. Dies gilt für die Diagnostik wie auch die Akuttherapie im Spital. In nahezu allen Hausarztpraxen existiert ein Point-of-Care-Labor mit der Möglichkeit für Troponin-Schnelltests, eine rasche Notfalllogistik für den Transport ins Spital und eine flächendeckende Infrastruktur mit Plätzen für eine Herzkatheterintervention. Somit ist eine zeitnahe Intervention innert des kritischen Zeitfensters in der ganzen Schweiz sichergestellt. Daher bietet die Primär- und Sekundärprävention das grösste Potenzial zur weiteren Reduzierung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität. Dies gilt insbesondere, da ein grosser Teil der Patient/-innen die vorgegebenen Ziele der ESC-Leitlinien nicht erreichen, obwohl beispielsweise das Non-HDL-Cholesterin in den ESC-Mitgliedsstaaten sukzessive sinkt (2).

1.3 Einfluss auf Lebensquantität und Lebensqualität

Neben der Verhinderung von Todesfällen, die sich in der Masszahl der gewonnenen Lebensjahre (life years gained, LYG) ausdrücken lässt, sind kardiovaskuläre Erkrankungen auch mit einer erheblichen Morbiditätslast, also einer Einschränkung der Lebensqualität, verbunden. Die disability- (oder disease-) adjusted life years (DALYs) quantifizieren den negativen Einfluss einer Erkrankung, indem sie sowohl die Summe der verlorenen Lebensjahre (life years lost, YLL) wie auch die Lebensjahre mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung (years lived with disability, YLD), etwa infolge eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls, aufaddieren. Abbildung 1 zeigt deutlich, wie insbesondere ischämische Herzerkrankungen mit einem Verlust an Lebensjahren assoziiert sind.

Neben der massiven Beeinträchtigung der Lebensquantität und Lebensqualität beispielsweise durch Herzinfarkte oder Schlaganfälle weisen kardiovaskuläre Erkrankungen auch eine erhebliche ökonomische Komponente auf. Einerseits direkt durch die Kosten, die aus der (Akut-)Versorgung resultieren, andererseits durch die indirekten Kosten, weil Erkrankte nicht erwerbstätig sein können und somit zum Produktivitätsverlust der Gesellschaft führen. Weiter können auch vorzeitig Verstorbene keinen ökonomischen Beitrag an die Gesellschaft leisten und mindern somit das Bruttoinlandsprodukt.

2. Die bedeutendsten kardiovaskulären Risikofaktoren und die Lücke in der Zielwerterreichung

Dieses Papier untersucht, wie viele DALYs für kardiovaskuläre Risikopatient/-innen durch eine evidenzbasierte Behandlung gewonnen werden können. Die evidenzbasierte Behandlung orientiert sich an den vorhandenen Leitlinien und deren klinischen Zielwerten. Zugleich soll dieses Papier aufzeigen, welche Kosten und welche sozioökonomische Last damit vermieden werden könnten.

Zahlreiche Studien zeigen eine Diskrepanz zwischen der medizinischen Evidenz respektive den Leitlinienvorgaben und der Primär- und Sekundärprävention in der täglichen Praxis, die dazu führt, dass viele Patient/-innen eine suboptimale Behandlung erhalten (8). Es resultieren unzureichend kontrollierte kardiovaskuläre Risikofaktoren und damit einhergehend vermeidbare kardiovaskuläre Ereignisse respektive eine vermeidbare Krankheits- und Mortalitätslast und direkte und indirekte Kosten (9). Kardiovaskuläre Erkrankungen zeichnen sich dadurch aus, dass die bedeutendsten Risikofaktoren durch Lebensstilmassnahmen oder medikamentöse Interventionen wirksam beeinflussbar sind. Tabelle 1 zeigt die bedeutendsten kardiovaskulären Risikofaktoren, wie sie von Yusuf und Mitarbeitern im Lancet 2020 herausgearbeitet wurden (10).

2.1 Hypertonie

In Ländern mit hohem Einkommen (High-Income) sind 14,6 % aller kardiovaskulären Erkrankungen auf den Risikofaktor Hypertonie zurückzuführen. Für das Risiko, einen kardiovaskulär bedingten Tod zu erleiden, ist der Bluthochdruck sogar der wichtigste Risikofaktor mit etwa 18 % attribuiertem Anteil an den kardiovaskulären Todesfällen. Auch bei Schlaganfällen ist der Blutdruck der führende Risikofaktor mit etwa 34 % aller Schlaganfälle. Für den Myokardinfarkt ist er der zweitwichtigste Risikofaktor mit etwa 11 % zugerechnetem Anteil (10).

Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) respektive der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB) betrug die Prävalenz der Hypertonie in der Schweizer Bevölkerung im Jahre 2017 17,6 %. Auch hier ist ein Anstieg über die Jahre zu verzeichnen, 1992 waren es noch 14,0 % (12). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Angaben der Gesundheitsbefragung auf einer Selbstdeklaration («self reported») beruhen und nicht auf tatsächlichen Befunden, etwa aus Hausarztpraxen. Dies dürfte die tatsächliche Prävalenz eher unterschätzen.

Gemäss einer Studie aus dem Jahre 2016 (9), die insgesamt 22 434 Hypertoniker/-innen in Schweizer Hausarztpraxen erfasste, haben 72,7 % dieser Patient/-innen mindestens eine Hypertonie Grad 1, also Werte über 140–159 mm HG. 16,3 % aller Hypertoniker/-innen haben zudem einen Blutdruck in der höchsten Blutdruckkategorie mit Werten von über 180 mm HG systolisch (13).

Eine aktuelle Studie aus 2022 zeigt ein ähnliches Bild: 44,9 % der Hypertoniker/-innen sind gemäss der ESC-Leitlinie als «kontrolliert» zu bewerten und im Umkehrschluss mehr als die Hälfte (55,1 %) aller Hypertoniker/-innen nicht im Blutdruckzielbereich (14). Trotz einer Fülle an antihypertensiven Medikamenten ist der Anteil an Patient/-innen, die adäquat für Hypertonie therapiert werden, in der Minderheit. Für die Schweiz bedeutet dies, dass bei einer Bevölkerungszahl von 8,7 Millionen über 843 000 Patient/-innen nicht im Blutdruckzielbereich liegen. Die Gründe hierfür liegen im Unklaren, mangelnde Adherence seitens der Patient/-innen und Multimorbidität mögen einen Teil erklären, wie aber auch im Falle der anderen untertherapierten Risikofaktoren können sie das Ausmass der Untertherapie nicht gänzlich erklären.

Gemäss der Global Burden of Disease Studie und der zugehörigen Datenbank des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington gingen in der Schweiz im Jahre 2019 allein 310 197 DALYs durch kardiovaskuläre Erkrankungen verloren (15). Das WifOR Institute hat diese Zahlen für 2021 auf 311 332 DALYS hochgerechnet (16). In einem idealisierten Szenario mit Patient/-innen, die sich sämtlich im Blutdruckzielbereich befinden, wären somit etwa 14,6 % oder 45 454 (311 332 x 0,146) verlorene DALYS vermeidbar (15, 16). Dies korreliert gemäss WifOR mit einem vermeidbaren sozioökonomischen Schaden von umgerechnet ca. CHF 7 Mrd. oder etwa 1 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahre 2021.

2.2 Hyperlipidämie

Erhöhtes LDL-Cholesterin ist für 20,7 % aller kardio­vas­kulären Erkrankungen und rund 5 % aller kardiovaskulären Todesfälle verantwortlich. Im Hinblick auf das Risiko, einen Myokardinfarkt zu erleiden, ist das LDL-Cholesterin der bedeutsamste Risikofaktor mit etwa 12 % attribuiertem Risiko (10). Gemäss BFS und SGB betrug die Prävalenz der Hyperlipidämie (erhöhte LDL-Cholesterinspiegel) in der Schweizer Bevölkerung im Jahre 2017 12,5 %. Bemer­kens­wert ist insbesondere der Anstieg seit dem Jahre 2002, als in der Gesundheitsbefragung nur 8,8 % von einem erhöhten Cholesterinspiegel berichtet hatten. Innert 15 Jahren war somit ein Anstieg von relativ betrachtet 42 % zu verzeichnen. Dies dürfte neben einem tatsächlich höheren Anteil an Menschen mit erhöhten Cholesterinspiegeln aufgrund einem höheren Anteil älterer Menschen auch einer erhöhten Awareness für die Hyperlipidämie geschuldet sein. Die Euro­päische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) differenziert aufgrund vorliegender Risikofaktoren zwischen verschie­denen kardiovaskulären Risikokategorien, und damit gehen verschiedene Zielwerte im LDL-Cholesterinspiegel einher. Hinsichtlich der Therapie der Hyperlipidämie entsprechend der Risikokategorieeinteilung der ESC-Guideline 2019 zeigt sich folgendes Bild (17) (Tabelle 3): Es wird deutlich, dass bereits das Monitoring der Hyper­lipidämie verbesserungsfähig ist: So wird selbst in der höchsten Risikokategorie nur in 37,9 % der Fälle mindestens einmal pro Jahr das LDL-C bestimmt. Immerhin 42,2 % dieser Risikokategorie erhält keine lipidsenkende Therapie. Der mediane LDL-C-Wert in der höchsten Risikokategorie beträgt 2,2 mmol/l (IQR: 1,7–3,0) und liegt damit über dem ESC-Zielwert von 1,4 mmol/l. Betrachtet man die Zielwerterreichung der LDL-Choles­terinwerte gemäss den Zielen der ESC-Guideline 2019, so ergibt sich ein Bild gemäss Tabelle 4. Insgesamt erreichen nur 19 % aller Patient/-innen die Zielwerte, und selbst unter Statintherapie sind dies nur 25 %, was darauf hinweisen könnte, dass im Falle einer lipidsenkenden Therapie zu wenig potente Statine oder eine zu geringe Dosis verabreicht werden. Diese geringe Zielwerterreichung ist nicht nur spezifisch für die Schweiz, ähnliche Werte ergaben auch Studien aus Deutschland, obwohl dort seit mehr als einem Jahrzehnt entsprechende nationale Disease-Management-Programme (DMPs) etabliert sind (19).  Zu berücksichtigen ist, dass die ESC-Guideline aus dem Jahre 2019 deutlich tiefere LDL-Grenzwerte vorsieht als die vorangegangene Leitlinie aus dem Jahre 2016. Erfahrungs­gemäss gibt es eine Übergangszeit, bis neue Grenzwerte in die tägliche Praxis überführt werden (20). Allerdings zeig­ten auch die Zielerreichungsgrade mit Berücksichtigung der Zielwerte aus der ESC-Guideline 2016 keine besseren Ergebnisse (18). Eine aktuelle Auswertung aus dem Schweizer FIRE-Netzwerk, einem Forschungsnetzwerk, in das über 700 Hausärzt/-innen ihre Daten aus der elek­tronischen Krankenakte einspeisen und das Daten bis Ende 2021 einschloss, zeigte überdies keine signifikant besseren Ergebnisse. Die Annahme, dass die Implementierung neuer Zielwerte nur eine gewisse Zeit erfordert, zeigt sich somit nicht bestätigt (21). Bezüglich der Implementierung von Evidenz mittels finanzieller Anreize im Sinne einer leist­ungs­abhängigen Vergütung zeigten Studien, die den Diabetes mellitus adressierten, dass der Höhepunkt der Verbesserung bei einer Incentivierung von Zielerreichungs­graden etwa nach 18 Monaten erreicht wird (22). Bemerkenswert und alarmierend zugleich ist auch die Tatsache, dass bei Frauen das LDL-C als Risikofaktor im Vergleich zu Männern signifikant unterbehandelt wird. Während es bei Blutdruckeinstellung und HbA1c-Werten keine Gendergap gibt, erreichen Frauen sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprophylaxe mit zuneh­mendem Alter und damit dem Rückgang der protektiven Östrogene klinisch relevant höhere LDL-Spiegel, Abbildung 2 (23). Diese werden aber in der Primär- wie Sekundär­prävention nicht adäquat adressiert. Erhöhtes LDL-Cholesterin ist in den High-Income-Ländern für etwa 20,7 % aller kardiovaskulären Erkrankungen ver­antwortlich (11), was in der Schweiz einem Verlust von 64,445 (0,207 x 311,332) DALYs entspricht. LDL-Cholesterin ist für etwa 16 % aller Herzinfarkte verantwortlich, was etwa 1,000 vermeidbare Herzinfarkte in der Schweiz im Falle einer optimalen Lipidtherapie bedeuten würde. Sozioöko­nomisch entspricht dies gemäss WifOR 2021 einem ver­meid­bareren Schaden von 6,4 Mrd. USD (16).

2.3 Diabetes mellitus

Diabetes mellitus ist für 7,8 % aller kardiovaskulären Er­kran­­kungen und 5,9 % aller kardiovaskulär bedingten Todesfälle verantwortlich (10).

4,4 % oder 382 800 Schweizer/-innen über 15 Jahren gaben im Jahre 2017 gemäss Obsan an, an einem Diabetes mellitus zu leiden respektive entsprechende Medikamente einzu- nehmen. Gegenüber 2007 ist dies ein Anstieg um einen Prozentpunkt, was einem relativen Anstieg von etwa 30 % entspricht (24).

Die Therapie des Diabetes mellitus in der Schweiz war immer wieder Gegenstand von Diskussionen. So zeigte bei­spielsweise eine Studie mit Daten des Krankenversicherers Helsana erhebliches Verbesserungspotenzial beim Monito­ring, insbesondere den HbA1c-Kontrollen oder auch den Kontrollen kardiovaskulärer Risikofaktoren wie dem LDL-Cholesterin. Das LDL-Cholesterin wurde beispielsweise nur bei 19,8 % der Patient/-innen einmal jährlich kontrol­liert, während dies beim HbA1c in 87,6 % der Fall war (25).

Eine aktuelle Auswertung aus der FIRE-Datenbank mit Routinedaten aus 770 Hausarztpraxen (21) (Tabelle 5) mit 12 543 Patient/-innen zeigt, dass zwar 56 % aller Diabe­tiker/-innen die altersadaptierten Grenzwerte unterschrei­ten, dies liegt aber vor allem daran, dass in höherem Le­bens­alter höhere Grenzwerte angesetzt werden. In der Risikogruppe der unter 60-jährigen, für die ein Grenzwert von 7,0 % im HbA1c gilt, sind es vergleichsweise geringe ­

38 %. Dies ist umso bedeutsamer, da gerade für diese jün­geren Patient/-innen eine optimale Blutzuckerein- stellung wichtig ist, da sie noch einen grossen Teil der Lebenser­wartung vor sich haben.

Den 56 % der Patient/-innen aus Schweizer Hausarztpraxen, die den Zielwert von 7,5 % im HbA1c unterschreiten, ste­hen 44 % respektive ca. 168 400 (382,800 x 0,44) unkon­trol­lier­te Diabetiker/-innen gegenüber, die nicht den alters­adap­tier­ten Zielwert erreichen. Etwa 7,8 % aller kardio­vas­ku­lären Erkran­kungen in High-Income-Ländern sind auf den Diabetes mellitus als Risikofaktor zurückzuführen. Somit sind diesem Risikofaktor der Verlust von 24 283 DALYs (0,078 x 311,332) zuzuschreiben. Diese Zahl reflek­tiert somit die theoretisch zu gewinnenden DALYs im Falle ei­ner opti­malen Therapie aller Schweizer Diabetiker/-innen (24).

2.4 Rauchen

Rauchen ist in den High-Income-Ländern der bedeutsamste modifizierbare Risikofaktor für den Tod insgesamt und für 17,9 % aller Todesfälle und 15,7 % aller kardiovaskulären Erkrankungen verantwortlich (11).

Im Jahr 2017 rauchten gemäss Gesundheitsbefragung 27,1 % der Schweizer/-innen (26). Ein Grossteil der Rauchenden (19,1 % der gesamten Bevölkerung) konsumiert täglich Tabak, ein kleinerer Teil (8,0 %) gelegentlich. Jüngere, nicht repräsentative Daten aus dem Kanton Zürich zeigen eine Zunahme des Tabakkonsums, teilweise auch in anderer Form, etwa Snus (26, 27).

Gemäss einer aktuellen Schweizer Studie von Farcher und Mitarbeitern aus dem Jahre 2023 ist Rauchen für den Verlust von 47 639 DALYs im Jahre 2017 verantwortlich (27).

2.5 Adipositas

Adipositas, definiert als ein BMI von mindestens 30 oder mehr, ist für 6,8 % aller kardiovaskulären Erkrankungen und 11,4 % aller Todesfälle insgesamt verantwortlich, wobei kardiovaskuläre Todesfälle nur zu etwa 5 % der Adipositas zugerechnet werden (11).

In der Schweiz hat der Anteil adipöser und übergewichtiger Personen seit 1992 signifikant zugenommen. Der Anteil stieg von 30,4 % (1992) auf 41,9 % im Jahre 2017. Dabei sind Frauen wie Männer gleichermassen vom Anstieg betroffen, wobei bedeutend mehr Männer (51,0 %) als Frauen (33,0 %) übergewichtig oder adipös sind.

Bedeutsam für das kardiovaskuläre Risiko ist vor allem das abdominelle Fett und somit der Bauchumfang. In der Schweiz wurde im Jahr 2014 bei zwei Drittel aller Personen (66,9 %) ein normaler Bauchumfang gemessen. Bei den Frauen war dieser Anteil etwas höher (68,6 %) im Vergleich zu den Männern (65,0 %). Mit dem Alter (65 bis 75 Jahren) nahm der Anteil Personen mit einem grösseren Bauchum­fang auf 31,2 % bei den Frauen und auf 33,4 % bei den Männern zu.

Abdominale Adipositas ist für 6,8 % der kardiovaskulären Erkrankungen in den Industriestaaten verantwortlich, was in der Schweiz für 21 170 (0,68 x 311,332) verlorene DALYs sorgt (11).

2.6 Körperliche Aktivität

Körperliche Aktivität, in einem moderaten Umfang, reduziert das kardiovaskuläre Risiko signifikant (28). Das Bundesamt für Sport (BASPO) empfiehlt allen mindestens 2,5 Stunden Bewegung pro Woche in Form von Alltags­aktivitäten oder Sport mit mindestens mittlerer Intensität bzw. 1,25 Stunden Sport oder Bewegung mit hoher Inten­sität.

In der Schweiz hat der Anteil der Bevölkerung, der sich gemäss diesen Empfehlungen genügend bewegt, von 62,2 % (2002) auf 75,7 % (2017) zugenommen. Bei den Männern hat der Anteil in diesem Zeitraum um 10,6 % auf 77,8 % zugenommen, bei den Frauen um 15,9 % auf 73,6 %. Der Anteil der Männer, der gemäss den BASPO-Empfehlungen ausreichend körperlich aktiv ist, ist signifikant höher als derjenige der Frauen, allerdings hat sich die Differenz zwischen den Geschlechtern über den Zeitraum von 2002 bis 2017 reduziert. Körperliche Aktivität, wie auch alle anderen kardiovaskulären Risikofaktoren, zeigen eine positive Korrelation mit dem Bildungsniveau. Daten aus Italien zeigen, dass auch nach Korrektur von sozio- demografischen Faktoren gering gebildete Männer ein 21 % und Frauen ein 17 % höheres kardiovaskuläres Risiko im Ver­gleich zu dem gebildetsten Bevölkerungsanteil haben (29). Global sind etwa 1,5 % aller kardiovaskulären Erkran­kungen auf zu geringe körperliche Aktivität zurückzuführen, was auf die Schweiz umgerechnet etwa einem Verlust von 4 669 DALYs entspricht (30). Allerdings dürfte diese pau­schale Umrechnung auf die Schweiz den positiven Effekt der körperlichen Aktivität eher unterschätzen, denn diese be­einflusst ausser dem Rauchen praktisch alle modifizier­ba­ren kardiovaskulären Risikofaktoren positiv. Die Stei­gerung der körperlichen Aktivität stellt daher – neben einer gesun­den Ernährung – ein zentrales Ziel in der kardio­vaskulären Prävention dar.

3. Das (ökonomische) Potenzial einer optimalen kardiovaskulären Behandlung in der Schweiz

3.1 Direkte und indirekte Kosten der kardiovaskulären Erkrankungen

Offizielle Kostendaten des Bundes zu nicht übertragbaren Erkrankungen (non-communicable diseases, NCD) stammen aus dem Jahre 2011 und stützen sich auf die Arbeit von Wieser und Mitarbeitern (31). Im Jahr 2011 wurden sie demnach auf 52 Milliarden CHF geschätzt was einem Anteil von 80 % der gesamten direkten Gesundheitsausgaben entspricht. Gut 10 Milliarden CHF (15,6 %) davon entfallen gemäss Wieser et al. auf kardiovaskuläre Erkrankungen (32). Hinzu addieren sich indirekte Kosten, die laut Wieser et al. auf 108 % der direkten Kosten geschätzt werden.

Gemäss BFS betrugen die direkten Kosten der Gesundheitsversorgung im Jahre 2021 bereits über 86 Milliarden CHF. Überträgt man die Relationen aus der Arbeit von Wieser et al. auf das Jahr 2021, so ergeben sich mit 15,6 % direkter Kosten der kardiovaskulären Erkrankungen etwa 13,4 Milliarden CHF Kosten im Jahre 2021. Hinzu addieren sich analog 14,4 Milliarden CHF indirekte (108 % der direkten) Kosten, sodass insgesamt von einer Kostenbelastung von 27,8 Milliarden CHF allein durch direkte und indirekte Gesundheitskosten der kardiovaskulären Erkrankungen ausgegangen werden kann. Der Ansatz des WifOR Institute geht über die rein indirekten Kosten, etwa durch Produktivitätsverluste durch den Ausfall einer Arbeitskraft, hinaus und berücksichtigt auch unbezahlte Arbeit, die verringerte Anteilnahme an der sozialen Gemeinschaft etc. Die gesamte sozioökonomische Belastung (socio-economic burden, SEB), die daraus resultiert, beträgt im Jahre 2021 für die Schweiz ca. 26 Milliarden USD (16).

Für die Schweiz geht das WifOR Institute davon aus, dass ein DALY (Abbildung 1) mit einem SEB von CHF 99,417 assoziiert ist und der gesamte sozioökonomische Schaden in der Schweiz durch alle kardiovaskulären Erkrankungen bei umgerechnet circa CHF 31,Mrd. oder 4 % des BIP liegt (16).

3.2 Potenzial für individuelle Gesundheit und vermeidbare ökonomische Belastung

Tabelle 7 zeigt das Potenzial für individuelle Gesundheit, ausgedrückt in DALYs, und der vermeidbare ökonomi­sche Schaden bei einer optimalen Umsetzung der der­zeitigen Leitlinienempfehlungen im Hinblick auf die Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren in der Schweiz. Eine Änderung des Lebensstils könnte etwa 30 % aller verlorenen DALYs vermeiden, während medikamentöse Interventionen für etwa 70 % des DALY-Potenzials stehen. Auch wenn man keine vollständige Adhärenz auf Patient/-innenseite erwarten kann, ist das Optimierungspotenzial erheblich.

Lösungsansätze

Die Evidenz zur Implementierung von Richtlinien oder Verhaltensänderungen in die tägliche Praxis zeigt, dass die reine Zurverfügungstellung von evidenzbasiertem Wissen nur wenig Effekt hat (33, 34). Aber auch Versor­gungskonzepte wie das Chronic Care Modell (CCM), das auf Metaanalysen beruht, die untersucht haben, welche Mass­nah­men und Rahmenbedingungen die Versorgung chro­nisch kranker Menschen verbessern, sind ausserhalb von klinischen Studien nie flächendeckend implementiert worden (35–38). Dies, obwohl sich auch im Schweizer Kontext die Verbesserung von Prozessparametern und Outcomes zeigte (39, 40).

Im Vereinigten Königreich (UK) schon 2004 das «Quality and Outcomes Framework» (QOF) initiiert mit dem Ziel, die Versorgung chronisch kranker Menschen zu ver­bessern. Ein wesentliches Element dabei war die Ein­führung eines sogenannten Pay-for-Performance (P4P)- Programms für die Hausarztmedizin (41). In diesem P4P-Programm fällt ein relevanter Teil der Vergütung für Hausärzt/-innen auf die Zielerreichung von Qualitäts­indikatoren, die die Versorgung chronisch kranker Men­schen abbilden. Jedoch können sich bei den Indikatoren trotz regelmässiger Anpassungen Ceiling-Effekte ein­stel­len. Verglichen mit den Morbiditätsdaten anderer euro­päischer Länder fällt der Rückgang der kardio­vaskulären Mortalität in der UK nicht stärker aus, was zu Kritik an diesem zunächst überzeugenden Konzept führte (42). Allerdings bildet das P4P in der UK ausschliesslich Pro­zess­indikatoren ab und keine klinischen Outcomes wie Blut­druck oder LDL-Cholesterinspiegel. Zudem entfallen fast die Hälfte aller generierbaren Ver­gü­tungspunkte auf nicht medizinische Faktoren wie die Praxisinfrastruktur, Öff­nungs­zeiten, Erreichbarkeit oder Zufriedenheits­be­frag­ungen der Patient/-innen. Ein RCT in Schweizer Haus­arzt­praxen mit Prozess- und Outcome­-Indikatoren zeigte dem­nach signifikante Veränderungen bei der gezielten In­­cen­­­ti­vierung (22, 43).

Conclusion

Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die führende Morbidi­täts- und Mortalitätsursache in der Schweiz. Es existiert eine umfangreiche wissenschaftliche Evidenz, die in Form von Leitlinien niederschwellig zugänglich zur Verfügung steht. Real Life Daten zeigen aber, dass die vorgegebenen Zielwerte, die ihrerseits mit einem klaren Überlebensvorteil und Ver­rin­gerung der Morbiditätslast assoziiert sind, häufig nicht erreicht werden.

Multimorbidität mag in einigen Fällen die therapeutischen Optionen limitieren, und auch mangelnde Adherence seitens der Patient/-innen ist ein bedeutsamer Faktor. Beides zu­sammen mag aber nicht erklären, dass teilweise gerade die Hälfte der Patient/-innen die geforderte Therapie erhält.

Zum Wohle unserer Patient/-innen sind wir Ärzt/-innen gefordert, das aktuelle medizinische Wissen auf die Patient/-innen individuell anzuwenden, denn das ist es, was sie von uns erwarten.

Abkürzungen
BAG Bundesamt für Gesundheit
BASPO Bundesamt für Sport
BFS Bundesamt für Statistik
CCM Chronic Care Modell
CVD Cardiovascular diseases, kardiovaskuläre Erkrankungen
DALYs Disability– (oder disease-) adjusted life years, verlorene gesunde Lebensjahre
DMP Disease Management Programme
ESC Europäische Gesellschaft für Kardiologie
GDP Gross domestic product, Bruttoinlandsprodukt
IHME Institute for Health Metrics and Evaluation
LYG Life years gained, gewonnene Lebensjahre
NCD Non-communicable diseases, nicht übertragbare Krankheiten
OBSAN Schweizerisches Gesundheitsobservatorium
QOF Quality and Outcomes Framework
P4P    Pay for performance
RCT randomized controlled trial, randomisierte, kontrollierte Studie
SEB Socio-economic burden, sozioökonomische Belastung
SGB Schweizerische Gesundheitsbefragung
WHO World Health Organization
YLD Years lived with disability, durch gesundheitliche Einschränkungen verlorene Lebensjahre
YLL  Life years lost, durch Tod verlorene Lebensjahre
Prof. Dr. Dr. med.Thomas Rosemann

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

thomas.rosemann@usz.ch

Interessenkonflikte
Das vorliegende Paper ist im Rahmen des von Novartis unterstützten Projektes «Take action» entstanden, das darauf abzielt, die Versorgung von kardiovaskulären Risikopatient/-innen zu verbessern, und von Frau Dr. Agnès Bachofner geleitet wird. Novartis hat auf den Inhalt keinen Einfluss genommen.
Historie
Manuskript eingereicht: 17.01.2024
Angenommen nach Revision: 11.03.2024

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Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD)

Die «Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD)» sind parallel zur Nationalen Demenzstrategie der Schweiz 2014-2019 unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und –psychotherapie (SGAP) entstanden und markieren den Beginn einer Reihe von Empfehlungen für alterspsychiatrische Erkrankungen. Sie bilden den evidenzbasierten und auf die klinische Erfahrung der Experten aufbauenden aktuellen Stand des Wissens über Diagnostik und Therapie ab und sind interprofessionell und interdisziplinär ausgelegt. Die nicht-pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten und die Pharmakotherapie werden ausführlich diskutiert. Die vorliegende Version ist die revidierte Fassung der Publikation vom 2014 und stellt die Entwicklung in diesem Bereich für den klinischen Alltag zusammen.

Bei Demenzerkrankungen treten neben kognitiven Störungen eine Reihe von psychiatrischen Symptomen auf, die den Verlauf erschweren, und eine grosse Belastung für Betroffene und deren Betreuenden darstellen [1-3]. Die sogenannten BPSD (Behaviorale und Psychische Symptome der Demenz) umfassen Symptome wie Apathie, Depression, Euphorie, Angst, Agitation/Aggressivität, Wahn, Halluzinationen, mo­to­rische Unruhe, Irritabilität/Reizbarkeit, Enthemmung (sexuell und/oder Hypo-/Hyperoralität) und Schlafstörungen. Fast alle Betroffenen mit Demenz entwickeln im Verlauf der Erkrankung mehrere BPSD. Die häufigsten BPSD sind Apathie und Depression [3]. Depression tritt vor allem in der Frühphase der Demenz auf und kann eine prodromale Symptomatik sein. Psychotische Symptome sind eher im späteren Verlauf zu erwarten. Schlafstörungen umfassen eine Abnahme der nächtlichen Schlafdauer, Fragmentation des Schlafs mit mehr Aufwachphasen, Müdigkeit tagsüber, Reduktion des REM-Schlafs und das sogenannte «Sundowning» mit Angst, Agitation und Verwirrtheit gegen Abend. Die Diagnostik und die Therapie der BPSD sind erschwert durch die Multimorbidität und «Frailty», und der darauf basierenden Polypharmazie in dieser Altersgruppe. Eine wohlerwogene und der Situation angepasste Indikationsstellung der vorhandenen therapeutischen Möglichkeiten, die auf möglichst evidenz-basierten Daten beruhen, ist deshalb unerlässlich.
Eine interprofessionelle und interdisziplinäre Expertengruppe unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und –psychotherapie (SGAP) hat 2014 die Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der BPSD in Kurz- und Langversion erarbeitet [1, 2]. 2021-2023 wurden die Empfehlungen revidiert und ausgebaut, und stehen 2024 als umfassendes Manual zur Verfügung [3]. Die vorliegende Kurzversion basiert auf diesem Manual und soll die wesentlichsten Themen für ein breiteres Publikum zusammenfassen. Die beiden Publikationen haben das Ziel die Grundsätze der BPSD-Diagnostik und -Therapie auf der Basis der aktuellen Evidenz und der klinischen Erfahrung abzubilden.

Einleitung

Für die in der Alterspsychiatrie eingesetzten Arzneimittel fehlen sehr oft die kontrollierten Studien und es sind kaum neue Zulassungen vorhanden. Deswegen muss die Evidenzlage durch Konsensus-Empfehlungen – wie die vorliegenden für die BPSD – von Expertinnen und Experten ergänzt werden, um die klinische Erfahrung in diesem Bereich abzubilden. Die Evidenzlage ist vor allem für nicht-medikamentöse Therapiemöglichkeiten sehr dünn. Die Empfehlungen sollen diese durch die Abbildung der klinischen Expertise unterstützen und in den Vordergrund stellen. Da der Einsatz von Psychopharmaka in dieser multimorbiden Patientengruppe oft mit Nebenwirkungen und Interaktionspotential verbunden ist, werden die nicht-medikamentösen Therapien als Therapie der ersten Wahl empfohlen. Diese sollen auch dann weiter eingesetzt werden, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen.
Die Empfehlungen sind interprofessionell und interdisziplinär aufgestellt. Dies entspricht dem ganzheitlichen Ansatz der Therapie der Alterserkrankungen. Für die Umsetzung vor allem der nicht-medikamentösen Therapien und der standardisierten Assessments braucht es pflegerisches, therapeutisches und medizinisches Fachpersonal, welches regelmässig geschult und alterspsychiatrisch supervidiert werden soll, sowie spezifisch eingerichtete Abteilungen mit entsprechender altersgerechter Infrastruktur, die Aktivierung, Teilhabe, Geborgenheit, Mobilität und Orientierung fördern [3].
Für die Psychopharmakotherapie der BPSD kommt erschwerend hinzu, dass z.B. bei den Antipsychotika nur zwei Substanzen (Haloperidol und Risperidon) für diese Indikation zugelassen sind, und der Einsatz anderer Medikamente «Off-Label» erfolgt. Das ist zwar grundsätzlich möglich, wenn die «Therapie nach anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst» durchgeführt und «erhöhte und hinreichende Aufklärungs- und Dokumentationspflicht» eingehalten wird, bedeutet aber zusätzliche Erschwernisse wegen der krankheitsbedingten Urteilsunfähigkeit bei der Patientenaufklärung, der umfassenden Informationspflicht sowie dem Erstellungsaufwand des Behandlungsplanes. Dadurch stehen den Betroffenen oft nicht alle Therapieoptionen zur Verfügung, wodurch sich ethische und therapeutische Probleme ergeben können [3].

Pathogenetische Faktoren

Neurobiologisch

Strukturelle und Neurotransmitter-Veränderungen tragen zur Entstehung der BPSD bei [3]. Der anteriore cinguläre und der orbitofrontale Kortex sind in meisten Fällen betroffen. Die Störung des fronto-limbischen Systems, welches mit dem Hippocampus, Amygdala, Nucleus Caudatus und dem frontalen Kortex verbunden ist, ist für die Entstehung der Depression verantwortlich, während Läsionen des anterioren cingulären, subkortikalen Schaltkreises zur Apathie führen können. Bei der Agitiertheit liegt oft ein serotonerges Defizit vor bei relativ gut erhaltener dopaminerger Funktion und Überaktivität postsynaptischer noradrenerger Neuronen. Bei der Entstehung der psychotischen Symptome sind neben der dopaminergen mesolimbischen Bahn serotonerge und glutamaterge Systeme betroffen.

Psychosozial

Zu den innerpsychischen Faktoren gehören unerfüllte Lebensaufgaben, die ältere Menschen umtreiben, und ein dissoziatives Erleben von sich selbst und der Umwelt. Zusätzlich haben Umgebungsfaktoren wie die Belastung von Angehörigen, Kommunikationsstil der Betreuenden und Mangel an angenehmen und sinnvollen Alltagsaktivitäten einen grossen Einfluss auf die Entstehung der BPSD. Diese werden nach dem «Bedürfnisorientierten Verhaltensmodell bei Demenz» als Ausdruck von unbefriedigten Bedürfnissen verstanden. Sie können auch Reaktionen auf Verhaltensweisen von Betreuenden sein, die Stress und negative Emotionen auslösen.

Infrastruktur

Architektonische und andere Umgebungsfaktoren wie das Design und die Einrichtung der Räumlichkeiten, Beleuchtung, Geräusche, Gerüche, Temperatur und betriebliche Routinen können die Entstehung von BPSD begünstigen oder positiv beeinflussen. Die bestmögliche Wohnform für Menschen mit Demenz scheint das Zusammenleben in kleinen Gruppen zu sein. Klare und übersichtliche Raumaufteilung mit sicheren Bewegungsmöglichkeiten und Bereiche für das soziale Leben, Rückzug und Ruhe sowie ein eigenes Zimmer für die Privatsphäre sind wichtige zusätzliche Massnahmen.

Ko-Morbiditäten

Zusätzlich können medizinische Faktoren wie Harnwegsinfekt, Anämie, Schilddrüsenunterfunktion, Verstopfung, Elektrolytstörung, Niereninsuffizienz, Hypoxie, Infektionen, Schmerzen, zerebrovaskuläre Ereignisse, Traumata, Hörminderung sowie Medikamente (insbesondere anticholinerge Arzneimittel und Opioide) BPSD verursachen.

Interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit als Basis der Diagnostik und Therapie

Der Grundsatz der Personenzentrierung über den gesamten Krankheitsverlauf, die Multimorbidität, die Multifaktorialität der BPSD, und die Notwendigkeit unterschiedlicher Assessmentverfahren und Therapien machen einen interprofessionellen und interdisziplinären ganzheitlichen Ansatz notwendig. Der Behandlungserfolg hängt von Absprachen und der Koordination im Team ab, um auf der Basis der Beobachtung der Betroffenen laufend Anpassungen durchführen zu können. Die Förderung der interprofessionellen Zusammenarbeit beginnt in der Ausbildung und kann mit Rotationen, Supervision, Fortbildung und der Entwicklung einer gemeinsamen Konzeption und ethischen Haltung gefördert werden. Die Grundlage ist die Finanzierung der koordinierten Versorgung durch Tarifsysteme [3].

Ganzheitliche Ansätze und strukturiertes Vorgehen

Während punktuelle Interventionen im BPSD-Management nur kurzfristig wirken, wenn die Umgebung der Betroffenen nicht deren Bedürfnissen angepasst wird, sind ganzheitliche Konzepte, die möglichst alle Aspekte des Lebens und Erlebens im sozialen Umfeld und die BPSD-auslösenden Faktoren berücksichtigen, erfolgreicher. Drei Ansätze sind gut untersucht [3]:

Personzentrierter Ansatz

Die Methode wird definiert durch drei Kernthemen mit je zwei Unterthemen: Auf die betroffene Person bezogen (mit ausgesprochener Individualisierung der Pflege mit Bezug auf die Bedürfnisse der Person und Berücksichtigung der interpersonellen Dimension in der Beziehungsgestaltung), auf die Praxis bezogen (mit Respekt und Empathie begegnen unter Wahrung der Autonomie und Privatsphäre, und genügend Raum geben zum Verstehen und um wahrzunehmen) und auf die Machtverhältnisse bezogen (mit Abbau von ungleichen Machtverhältnissen und Hindernisse überbrücken in der Arbeitsplatzkultur und in den Rahmenbedingungen). Der Ansatz beruht darauf, dass Lebensqualität und Wohlbefinden fördernde Massnahmen in den Umgebungsfaktoren, Individualisierung der Pflege und Entwicklung und Aufrechterhaltung von Pflege- und Betreuungsfertigkeiten BPSD positiv beeinflussen können.
Das Modell besteht aus folgenden Domänen: übergeordnete Faktoren (Gesundheitspolitik, Personalentwicklung und Verankerung in der strategischen Ausrichtung), Faktoren welche die Fachpersonen erfüllen müssen (Selbstkenntnis, berufliche Kompetenz und Engagement), Umgebung der Pflege (angemessener Skill-Mix, gemeinsame Entscheidungsprozesse, effektive Teambeziehungen, unterstützende Organisation und Innovation), personzentrierte Pflegeprozesse (gemeinsame Entscheidungen, die mit den Werten und Überzeugungen der Betroffenen arbeiten, und ganzheitlich pflegen, engagiert im Kontakt und mit Empathie). Diese Voraussetzungen und Prozesse unterstützen personzentrierte Resultate (positive Pflegeerfahrung, Wohlbefinden und eine gesundheitsfördernde Kultur).

Eden Alternative und Green House Model

Die Modelle betreffen vor allem die Langzeitpflege und sollen helfen, Hierarchien in der Betreuungssituation abzubauen, Betroffene mitentscheiden zu lassen und das institutionelle Leben häuslich zu gestalten. Dadurch sollen Einsamkeit und Sinnlosigkeit gelindert werden. Mit Pflanzen, Tieren und sozialen Kontakten wird eine möglichst private Umgebung geschaffen. Das Green House Modell sieht eigenständige Wohnungen bis max. 10 Personen vor mit gemeinsamen Wohn-, Garten und Küchenbereich und qualifiziertem Personal.

Der Montessori Ansatz

Ziele des Konzeptes sind Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Lebensqualität zu erhalten und zu verbessern. Selbstkorrigierende Aktivitäten, wo der Betroffene eine Rückmeldung zum Erfolg der Umsetzung erhält, sind Hauptelemente. Die Aktivität wird demonstriert und angeleitet, und ohne Ablenkung durchgeführt. Sie soll sinnvoll sein und auf die Bedürfnisse zielen. Alltägliche, vertraute Materialien werden integriert. Die Aktivität wird in einzelne Schritte aufgegliedert und am Ende wird ein Feedback gegeben. Für Gruppenaktivitäten sind z.B. Lesungen oder Rollenspiele geeignet. Betroffene sollen positive Gefühle und Erfolge erleben.

Strukturiertes Vorgehen

Für die nachhaltige Reduktion der BPSD müssen bei betroffenen Personen die individuelle Ursache, Auslöser und Beweggründe für die Verhaltensweise gefunden werden [3]. Für die strukturierte Vorgehensweise liegen Modelle vor, die auf NDB (Need-Driven Dementia-Compromised Behavior-Modell; Bedürfnisbedingtes Demenz-Verhaltensmodell) beruhen.
Serial Trial Intervention (STI)
STI ist ein abgestuftes Behandlungsprotokoll mit fünf Schritten: erste und zweite Schritte beinhalten eine körperliche und affektive Bedarfsanalyse, der dritte Schritt nicht-pharmakologische Interventionen, der vierte eine Schmerzbehandlung und der fünfte pharmakotherapeutische Interventionen.
Verstehende Diagnostik
Bei diesem Ansatz handelt es sich um einen systematischen Prozess der Entwicklung eines Verständnisses im interprofessionellem Team zusammen mit den Angehörigen. Zwei Instrumente haben sich besonders bewährt: ABC-Verhaltensanalyse und IdA (das Innovative demenzorientierte Assessmentsystem). Die ABC-Verhaltensanalyse ist Bestandteil beider Instrumente: A «Mögliche Auslöser», B «Beobachtetes Verhalten» und C «Konsequenzen/Folgen/Rektionen».
TIME
TIME (Targeted Interdisciplinary Model for Evaluation and Treatment of neuropsychiatric Symptoms) ist eine strukturierte Fallbesprechung mit folgenden Schritten; Die Registrierungs- und Bewertungsphase, die geführte Reflexionsphase und die Aktions- und Evaluierunsgphase.
DICE
DICE (Describe, Investigate, Create and Evaluate) empfiehlt bei BPSD die folgenden Schritte: Beschreiben (Symptome), Ermitteln (modifizierbare Ursachen), Entwickeln (Behandlungsplan) und Bewerten (Massnahmen überprüfen).
BPSD-DATE
Eine Arbeitsgruppe der Schweizer Universitätskliniken empfiehlt zur Evaluation von BPSD den DATE-Algorithmus als multimodales Instrument und als Weiterentwicklung von DICE.

Multimodales Assessment

Psychopathologische und neuropsychologische Assessment-Verfahren

Für das Assessment von BPSD wird ein standardisiertes Vorgehen mittels Fremdbeurteilungsinstrumenten empfohlen [3]. Von den 138 publizierten Instrumenten eignen sich das «Neuropsychiatrische Inventar» (NPI) und «Behavioral Pathology in Alzheimer’s Disease Rating Scale» (BEHAVE-AD) als die besten Verfahren für die klinische Routine resp. Forschung wobei BEHAVE-AD in deutscher Sprache nicht vorliegt. Das NPI umfasst 12 neuropsychiatrische Symptome: Wahn, Halluzinationen, Erregung/Aggression, Depression/Dysphorie, Angst, Euphorie, Apathie, Enthemmung, Reizbarkeit, abweichendes motorisches Verhalten, Schlaf- und Essstörung mit zusätzlichen symptomspezifischen Fragen. Die betreuenden Angehörigen werden befragt und deren Belastung festgehalten. Weil die Durchführung des NPI sehr zeitaufwendig ist, wurde der NPI-Questionnaire (NPI-Q) entwickelt. Bei diesem Verfahren entfallen die symptomspezifischen Fragen und eine selbstständige Beantwortung der Fragen durch Betreuende ist möglich. Teilweise bieten die Bedarfserhebungsinstrumente RAI und BESA bereits in der Langzeitpflege nützliche Assessments.
Die «Geriatrische Depressionsskala» (GDS) ist ein Selbstbeurteilungsbogen mit 15 Fragen, die mit «Ja» oder «Nein» beantwortet werden sollen. Inhaltlich ist sie sehr einfach und kann auch bei Betroffenen mit einer leichten Demenz eingesetzt werden. Das «Cohen-Mansfield Agitation Inventory» (CMAI) ist ein Fremdbeurteilungsbogen für die detaillierte Erfassung der Agitiertheit.
Nach dem «BPSD-DATE Interventionsalgorithmus» erfolgt zuerst eine Beschreibung der Problemsituation mit Angaben zu Kontext, Auslösern und Sicherheitsaspekten. Im zweiten Schritt wird die Situation analysiert mit subjektiven Erklärungsversuchen. Im dritten Schritt erfolgen die Planung und Umsetzung der Interventionen und im vierten Schritt die Evaluation mit eventueller Anpassung der Massnahmen. Dieses standardisierte Vorgehen wird zur Qualitätsverbesserung empfohlen.

Differentialdiagnostik

Delir und Altersdepression zeigen die grösste symptomatische Überlappung mit BPSD. Andere Diagnosen wie affektive und schizophrene Psychosen, zerebrovaskuläre Ereignisse, zerebrale Neoplasien sowie intellektuelle Entwicklungsstörungen sind ebenfalls in der Differentialdiagnose zu berücksichtigen.
Delir ist ein meist akutes Ereignis mit fluktuierender Symptomatik und Bewusstseinsstörung, während eine Demenz eine chronische Erkrankung ist ohne Einschränkungen des Bewusstseins. Wenn die Ursache gefunden und behandelt wird, ist ein Delir rückläufig. Die hyper- und hypoaktiven Subtypen des Delirs unterscheiden sich symptomatisch. Neben einer ausführlichen Anamnese bezüglich der Risikofaktoren ist beim Delir eine ursachenorientierte Labordiagnostik notwendig. Die gängigsten eingesetzten Skalen sind «Delirium Observation Skale» (DOS) und «Confusion Assessment Method» (CAM), und neu 4AT und I-AgeD.
BPSD wie Depression, Angst, Apathie und Schlafstörungen erschweren die Differentialdiagnose zur Altersdepression. Bei der letzteren stehen bei der neuropsychologischen Untersuchung die Störungen der exekutiven Funktionen, des episodischen Gedächtnisses, der Aufmerksamkeit und der Verarbeitungsgeschwindigkeit im Vordergrund. Bei der Demenz dagegen liegen vor allem primäre Gedächtnisstörungen, aphasische und konstruktiv apraktische Symptome sowie Störungen beim Wiedererkennen und der Orientierung vor.

Psychosoziale Massnahmen in der Pflege

Massnahmen zu Befähigung von Teams

Organisationskultur ist ein Schlüsselfaktor im Umgang mit BPSD [3]. Die Teams sollen befähigt werden, den nicht-pharmakologischen Massnahmen den Vorzug zu geben um BPSD zu reduzieren. Schulungen (Vorträge, Workshops, webbasiert) sind wirksame Instrumente, wenn sie langfristig und repetitiv angeboten werden. Sie können die Selbstwirksamkeit erhöhen. Mit betroffenen Personen und deren Angehörigen gemeinsam entwickelte Pflege- und Behandlungsplanungen, die individuelle Fähigkeiten berücksichtigen, sowie Fallbesprechungen als Teil multidimensionaler Interventionen sind ebenfalls wirksam und können die Belastung der Pflegenden und Betreuungspersonen reduzieren. Unterstützung der Angehörigen mit Gesprächen und Psychoedukation schafft die Grundlage für psychosoziale Massnahmen. Wenn sie die Gründe für die BPSD verstehen, können Angehörige konstruktiv in die Therapieplanung und –umsetzung integriert werden.

Massnahmen bei Betroffenen

Beziehungsgestaltung, personenzentrierte Pflege und ein Kultur-/Prozesswandel zugunsten von psychosozialen Massnahmen sind die Voraussetzungen für wirksame Interventionen. Sie werden multiprofessionell angeboten. Ausreichende Zeit- und Personalressourcen sind für die Wirksamkeit ebenso notwendig wie Schulungen und Praxisbegleitungen, damit Pflege- und Betreuungspersonen ihren Handlungsspielraum im Umgang mit Menschen mit Demenz erweitern können. Insgesamt werden drei Kategorien unterschieden [3]:
Sensorisch-orientiert (Pflege mit Musik, Aromapflege, Licht, Snoezelen, Sensory Garden, Tiergestützte Aktivitäten, Intelligente Assistive Technologien, Massage/Berührung, Basale Stimulation, Positive Image Therapie und Clown Therapie), kognitions-orientiert (Simulierte Präsenztherapie, Kognitions- und Kommunikationsorientierte Methoden, und Validation) und bewegungsorientiert (Bewegung, Outdoor Aktivitäten, Tanz und Kinästhetik). In allen Kategorien liegt Evidenz unterschiedlichen Grades zur Wirksamkeit der Massnahmen vor. Zentral ist immer wieder, dass die Massnahmen auf den jeweiligen Menschen mit Demenz mit seinen spezifischen Symptomen und seiner Geschichte angepasst werden.

Umgebung

Anpassung der Umgebungsfaktoren mit Vermeidung von Reizüberflutung und -armut hat positiven Einfluss auf BPSD. Betroffene profitieren von kleinen, wohnlich eingerichteten Wohneinheiten, die L- oder H-förmigen oder quadratischen Grundriss haben. Die Anzahl der BewohnerInnen sollte 15 nicht überschreiten. Licht/Beleuchtung, Farben/Kontraste, Temperatur, Akustik, olfaktorische As­pek­te, Installationen (Handläufe, Kücheneinrichtung, Nasszellen usw.) und Vertrautheit der Räume sind zusätzliche Faktoren, die eine Rolle spielen.

Umgang mit spezifischen Verhaltensweisen

Aggressivität
Für die Reduktion von Aggressivität ist die Minimierung der Belastung von betreuenden Angehörigen und Pflege entscheidend. Diese sollen genügend Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung haben. Schulungen, Trainings und Fallbesprechungen haben sich bewährt. Kleinere Wohngruppen, Wahrung der Privat- und Intimsphäre, Gestaltung der Umgebung und des Alltags nach individuellen Bedürfnissen, stressarme Körperpflege und Schlafhygiene sind wirksame Massnahmen. Auf Musik basierte Ansätze, Bewegung, Tanzen, Massage/Berührung und Aktivitäten im Freien können zusätzlich helfen.
Sexuelle Enthemmung
Das eigene Reflektieren zum Thema Sexualität ist die Grund­lage des Umgangs. Trotzdem kann sexuelle Enthemmung von den Pflegenden als Belästigung aufgefasst werden. Eine Balance zwischen den individuellen Rechten der Betroffenen und dem Schutz der Pflege- und Betreuungspersonen soll gefunden werden. Schulungen, Fallbesprechungen und ein strukturiertes Vorgehen mit Analyse des Verhaltens und der Auslöser sowie eine individuelle Pflegeplanung können präventiv wirken. Massnahmen wie Ignorieren von unangemessenen Äusserungen, Ablenken, Unterbrechen der Pflegehandlung, Kommunizieren eines deutlichen «Nein», Sicherheitsabstand, Einsatz von zwei Pflege- und Betreuungspersonen, Einsatz von Requisiten als Barrieren, Einschränken der Aktivitäten, Identifizierung der Auslöser, Schaffen eines privaten Raumes und Einsatz von Validationstechniken sind wirksam.
Disruptive Vokalisation
Kognitive Funktionsverluste, Depression, Angst, sprachliche Schwierigkeiten, sensorische Deprivation, Schlaflosigkeit und Schmerzen können ursächlich für die repetitiven Vokalisationen verantwortlich sein, die für die Umgebung sehr belastend sind. Medikamente sind hier nicht wirksam. Eine gründliche medizinische und pflegerische Anamnese und eine an den Ursachen orientierte individuelle Pflegeplanung sind notwendig. Ablenken, Snoezelen, Namaste Care sowie auf Musik, Zuwendung und Berührung basierende Interventionen können helfen.

Kognition-stabilisierende Therapien

Obwohl die Studienlage sehr heterogen ist, sind Interventionen wie Kognitive Stimulation und Reminiszenztherapie wirksam. Dabei sind kombinierte, personzentrierte Methoden Einzelinterventionen überlegen, insbesondere in der Förderung des allgemeinen Wohlergehens, der Kognition und Transfereffekte.

Psychotherapeutische Verfahren

Es besteht eine gute Evidenzlage für die Wirksamkeit von Psychotherapie bei leichten bis mittelschweren Demenz-Erkrankungen. Vor allem Symptome wie Depression und Angst sprechen gut an. Bei betreuenden Angehörigen, die eine Depression entwickeln, sind sie ebenfalls wirksam. Vor allem die kognitive Verhaltenstherapie und Lebensrückblickinterventionen sind bewährte Techniken. Spezifisch zugeschnittene Interventionen zeigen eine höhere Wirksamkeit als Standardverfahren.

Spezialtherapeutische Angebote

Musiktherapie
Musiktherapie ist vor allem bei Angst und Depression wirksam, die Wirkung ist aber nicht lange anhaltend. Sie soll regelmässig, mindestens einmal in der Woche, angepasst an die Alltagsstruktur des Betroffenen, angeboten werden. Die Biographie und die Vorlieben sind zu berücksichtigen. Sie kann gut mit anderen Interventionen kombiniert werden.
Kunsttherapie
Vor allem Depression, Apathie, Agitation und Aggression sprechen gut auf die Kunsttherapie an. Sie ist wirksam, wenn sie den individuellen Bedürfnissen und Präferenzen angepasst wird. Als Medium kann sie Emotionen ansprechen, um Stress abzubauen und Entspannung zu erleben eingesetzt werden. Die Kunsttherapie kann Kommunikation, Alltagsfähigkeiten und Reminiszenz fördern.
Aktivierungstherapie/Ergotherapie
Trotz der sehr heterogegen Studienlage wird die Ergotherapie empfohlen. Sie reduziert den medizinisch-pflegerischen Aufwand, vor allem, wenn sie strukturiert und personenzentriert eingesetzt wird. Sie ist eine effektive Massnahme im frühen bis mittleren Stadium der Demenz.
Tiergestützte Therapien
Es wird zwischen tiergestützten Interventionen und Aktivitäten unterschieden. Empfohlen werden Tiere mit einer speziellen Ausbildung. Vor allem bei affektiven Erkrankungen und sozialer Isolation sind sie wirksam und fördern die Alltagsfähigkeiten. Soziale Interaktionen, Lebensqualität und Mobilität werden verbessert.
Akupunktur, Akupressur
Bei Betroffenen mit Demenz können diese Verfahren Depression, Agitation, Angst, Schlafstörungen und Aktivitäten des täglichen Lebens verbessern. Wenige Nebenwirkungen wie Blutungen aus der Akupunkturstelle, Fatigue, Schläfrigkeit und Benommenheit sind bekannt.
Körperliche Aktivität und Sport
Inaktivität gehört zu modifizierbaren Risikofaktoren der Demenz und es sind deutliche Hinweise vorhanden, dass körperliche Aktivität bei BPSD positiv wirkt. Ausdauerübungen wie Joggen, Wandern, Gleichgewichtsübungen, Stärkung der Muskelkraft, Fahrradergometer und Kombination dieser Übungen können eingesetzt werden. Depression und Schlafstörungen profitieren am meisten. Tanzen kombiniert mit Musik kann als Aktivität angeboten werden.
Entwicklungsprozesse in Gesundheitsorganisationen
Um BPSD nachhaltig zu reduzieren ist eine partizipative und ganzheitliche Veränderung der Behandlungs-, Betreuungs- und Pflegekultur notwendig. Mit dem sogenannten PARIHS (The Integrated Promoting Action on Research Implementation in Health Services) Bezugsrahmen des «Royal College of Nursing» können die Organisationen im Gesundheitswesen gestärkt werden. Entwicklung von neuen Skills und Angeboten, effektivere Prozesse und Arbeitsplatzkultur, Empowerment des Personals, Rollenklarheit und gemeinsames Rollenverständnis sowie Entwicklung der Teamkapazität sind wichtige Faktoren.

Pharmakotherapie

Grundsätze der psychopharmakologischen Therapie

Falls nicht-pharmakologische Massnahmen nicht ausreichen, kann der Einsatz von Medikamenten eine Option sein, um eine Selbst- und Fremdgefährdung durch BPSD zu verhindern, und um die Diagnostik und Betreuung der Betroffenen zu gewährleisten. Hier sind evidenz-basierte Empfehlungen schwierig, weil kontrollierte Studien in dieser Altersgruppe selten durchgeführt werden. Deswegen ist die klinische Erfahrung mit diesen Substanzen sehr wichtig unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass der Einsatz der meisten Medikamente «Off-Label» erfolgt [3].
Zwei Faktoren sind beim Einsatz von (Psycho)pharmaka zur BPSD-Therapie in dieser vulnerablen Patientengruppe zu berücksichtigen: erstens ist der Einsatz erschwert durch verschiedene physiologische und metabolische Veränderungen wie z.B. renale Funktionseinschränkung, Reduktion der gastrointestinalen Motilität, Abnahme der Leberperfusion, der Resorption im Darmtrakt und der Plasmaträgerproteine sowie erhöhte Sensitivität gegenüber Psychopharmaka. Zweitens ist der Einsatz dieser Substanzen mit erhöhtem Risiko für Mortalität, zerebrovaskuläre Ereignisse und Stürze verbunden. Zusätzlich sind kardiale und metabolische Nebenwirkungen sowie Blutbildveränderungen und Thrombosen zu beachten. Deswegen sind Grundsätze einzuhalten (Tabelle 1).
Die Anwendung von Psychopharmaka soll nach einer Nutzen-/Risiko-Abwägung zeitlich limitiert, indikationsgerecht, in möglichst niedriger Dosierung und unter Monitoring erfolgen. Zu Beginn soll eine ausführliche klinische Untersuchung durchgeführt werden mit Anamnese (inkl. Familien-, Fremd- und Medikamentenanamnese), Labordiagnostik und EKG. Die Standard-Diagnostik in der Alterspsychiatrie berücksichtigt Multimorbidität und hirnorganische Veränderungen (Tabelle 2). Sie kann um EEG, neuropsychologisches Assessment, Liquor und Bildgebung erweitert werden. Mögliche Nebenwirkungen und Medikamenteninteraktionen sind laufend zu überwachen. Im Verlauf sollen die klinische Untersuchung, Labordiagnostik und EKG regelmässig wiederholt werden. Wenn BPSD sich zurückentwickeln, sind Reduktions- und Absetzversuche vorzunehmen.

Antidementiva

Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE) wie Donepezil, Rivastigmin und Galantamin werden bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (AD) eingesetzt, während Memantin bei mittelschwerer bis schwerer AD indiziert ist. Neben ihren kognitionsstabilisierenden Effekten über einen begrenzten Zeitraum hinweg haben diese Substanzen positive Wirkungen auf BPSD. Donepezil ist am besten untersucht. Neuere Meta-Analysen zeigen eine moderate Wirkung für AChE vor allem bei Apathie, Depression und Irritabilität, während Memantin vor allem bei Agitation, Aggressivität, Wahn und Halluzinationen wirksam zu sein scheint. Sie sind besser verträglich als andere Psychopharmaka bei BPSD und für die AChE ist nachgewiesen worden, dass sie das Mortalitätsrisiko reduzieren. Sie helfen den Einsatz von anderen Psychopharmaka zu reduzieren. Aufgrund ihres positiven Nutzen-/Risiko-Profils und der guten Verträglichkeit werden diese Substanzen als Medikament der ersten Wahl bei BPSD empfohlen.
Der standardisierte Ginkgo Biloba-Extrakt zählt zu den Substanzen mit kognitiven und neuroprotektiven Effekten. Über Neurotransmitter-Veränderungen sind auch Wirkungen auf Symptome wie Angst, Depression, Irritabilität, Unruhe, Schlafstörungen, Wahn und Halluzinationen nachgewiesen. Eine gute Therapieadhärenz ist notwendig, um eine gute Wirksamkeit zu erzielen.

Antidepressiva

Die Hälfte der Betroffenen mit einer Demenz-Erkrankung zeigt depressive Symptome. Die Früherkennung und eine effektive Therapie können helfen, Kognition und Alltagsfähigkeiten zu verbessern. Die beste klinische Evidenz bei Menschen mit Demenz besteht für die Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Citalopram/Escitalopram. Diese sind Antidepressiva der ersten Wahl und sind auch bei Agitiertheit wirksam. Allerdings besteht eine Blackbox-Warnung wegen der Verlängerung des QTc-Intervalls. Deswegen sind regelmässige EKG-Kontrollen notwendig.
Trizyklische Antidepressiva werden aufgrund ihres anticholinergen Nebenwirkungspotentials bei älteren Personen nicht empfohlen. Fluoxetin wird wegen des hohen Interaktionspotentials mit anderen Medikamenten ebenfalls nicht empfohlen. Für Agomelatin und Trazodon kann keine Empfehlung für Depression, aber für Schlafstörungen ausgesprochen werden. Für Mirtazapin aktuell keine Empfehlung. Dagegen kann Moclobemid in Erwägung gezogen werden.
Nach dem Einsetzen des Antidepressivums sollen regelmässig klinische Evaluation mit Überprüfung der Nebenwirkungen stattfinden. Bei fehlender Wirksamkeit nach 4-6 Wochen Therapiedauer kann die Medikation ersetzt werden.

Antipsychotika

Wenn andere alternative Therapien nicht ausreichen, kann bei den Zielsymptomen Wahn, Halluzinationen, Agitiertheit und Aggressivität eine Intervention mit Antipsychotika erwogen werden [3]. Der Einsatz dieser Substanzen ist mit erhöhten Mortalitätsraten und Nebenwirkungen wie extrapyramidal-motorische Symptomen (EPS), Sedierung, kardialen Symptomen, orthostatischer Dysregulation, metabolischen Veränderungen, kognitivem Abbau sowie erhöhtem Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse verbunden. Deswegen sollen sie zeitlich limitiert und in möglichst niedriger Dosierung eingesetzt werden. Vor der Therapie sollen eine ausführliche klinische Anamnese, EKG und Laborkontrolle durchgeführt, Interaktionen und Nebenwirkungen überwacht und alle vier Wochen eine Indikationsüberprüfung durchgeführt werden.
Atypische Antipsychotika werden aufgrund ihres besseren Nutzen-/Risiko-Profils bevorzugt eingesetzt. Auch aufgrund von oft auftretenden EPS sowie den anticholinergen Nebenwirkungen werden typische Antipsychotika bei Betroffenen mit Demenz nicht empfohlen. Eine Ausnahme ist Haloperidol bei Übergängen zum Delir sowie bei persistierender Aggression und psychotischen Symptomen.
Von den atypischen Antipsychotika ist Risperidon (0.5-2mg/d) die einzige Substanz, die bei BPSD in der Schweiz zugelassen ist. Der Einsatz der anderen typischen Anti-psychotika ist Off-Label. Wenn Risperidon aufgrund von Nebenwirkungen (vor allem EPS) nicht eingesetzt werden kann, sind Aripiprazol, Quetiapin, Olanzapin und neuerdings auch Brexpiprazol eine Alternative. Beim Einsatz dieser Substanzen sind die Kriterien Wirkspektrum (sedierend/hohe antipsychotische Potenz), geringe anticholinerge Wirkung, Nebenwirkungsprofil und Komorbiditäten zu beachten. Sie sollen möglichst als Monotherapie verabreicht werden. Wenn bei 4-wöchiger Indikationsprüfung ein Absetzen der Substanz geplant ist, soll die Reduktion nach Kommunikation mit dem/der Betroffenen und seinen/ihren Angehörigen schrittweise erfolgen. Der Verlauf soll alle 2-4 Wochen auf erneute BPSD hin beobachtet werden.

Benzodiazepine und analoge Hypnotika

Benzodiazepine und analoge Hypnotika können eine Reihe von Nebenwirkungen wie Sedierung, psychomotorische Störungen und Verlangsamung exekutiver Funktionen herbeiführen. Sie können Delir und Stürze verursachen, und bei längerer Einnahme eine Abhängigkeitserkrankung. Deswegen werden sie bei BPSD grundsätzlich nicht empfohlen [3]. Wenn in Notfallsituationen wie extreme Agitation, Aggressivität oder Suizidalität diese trotzdem eingesetzt werden müssen, sollen sie zeitlich limitiert (max.3-4 Wochen, weil dann die Toleranzentwicklung eintritt) und als Bedarfsmedikation eingesetzt werden, jedoch nicht als regelmässige Abgabe. Grundsätzlich sollen wegen Kumulationsgefahr nur Substanzen mit kürzerer Halbwertzeit (Lorazepam, Oxazepam) verwendet werden. Benzodiazepine sind bei Schlafstörungen nicht indiziert. Für Benzodiazepin-analoge Hypnotika besteht zwar die Indikation bei chronischen Schlafstörungen, aber bei Betroffenen mit Demenz gelten dieselben Einschränkungen wie bei Benzodiazepinen.

Hypnotisch wirksame Substanzen

Bei Insomnie können – insbesondere, wenn eine längerfristige Gabe notwendig erscheint – weitere Substanzen unter Berücksichtigung des gesamten psychopathologischen Bildes und des Nebenwirkungsprofils eingesetzt werden [3]. Schlaf-anstossende Antidepressiva wie Trazodon, Mirtazapin und Agomelatin sind vor allem bei Schlafstörungen und zudem bei bestehender Depression indiziert. Substanzen mit anticholinergen Nebenwirkungen sollen vermieden werden. Antipsychotika wie Quetiapin und Pipamperon werden oft wegen ihrer sedierenden Wirkung eingesetzt. Es gelten die Grundsätze der psychopharmakologischen Therapie und eine zeitliche Limitierung.
Für Melatonin-Agonisten, Pregabalin und Gabapentin sind Hinweise vorhanden, dass sie bei Schlafstörungen bei Demenz wirksam sind. Chloralhydrat, Chlomethiazol, Diphenhydramin, Doxylamin und Promethazin sollen bei Demenz nicht eingesetzt werden. Neue Substanzen wie Orexin-Rezeptor-Antagonisten sind noch in der Entwicklungsphase.

Antikonvulsiva und Phasenprophylaktika

Carbamazepin ist zwar bei Aggressivität gut wirksam, wird aber wegen Nebenwirkungen wie Ataxie, Schwindel, Hypotonie, Verwirrtheitszuständen, Sedierung und Lebertoxizität bei BPSD nicht als Therapie der ersten und zweiten Wahl empfohlen [3]. Der Einsatz erfolgt Off-Label, regelmässige Laborkontrollen sind notwendig. Gabapentin und Pregabalin sind vor allem bei komorbiden neuropathischen Schmerzen eine Alternative. Lamotrigin kann trotz fehlender Evidenz wegen der niedrigen Nebenwirkungsrate eingesetzt werden. Da es langsam aufdosiert werden muss, eignet es sich nicht als Akutmedikation. Topiramat kann kognitive Störungen verursachen. Für Levatiracetam kann aktuell keine Empfehlung abgegeben werden. Oxcarbazin, Valproat und Lithium werden wegen des schlechten Nebenwirkungsprofils nicht empfohlen. Bei Perampanel, Lacosamid und Brivaracetam ist die Datenlage für eine Empfehlung noch unklar.

Analgetika

Schmerzen können BPSD verursachen oder verstärken, vor allem Agitiertheit und Aggressivität [3]. Deswegen ist die Schmerzbehandlung Teil der BPSD-Therapie. Betroffene mit Demenz können aber Schmerzen oft nicht zum Ausdruck bringen. Deswegen soll das Assessment um Fremdbeurteilungsskalen wie z.B. PAINAD (Pain Assessment in Advanced Dementia Scale) erweitert werden.
Für die Behandlung von neuropathischen Schmerzen bei älteren Personen werden folgende Substanzen empfohlen: Duloxetin als Antidepressivum, Gabapentin, Pregabalin, Lidocain zur topischen Anwendung, und Tramadol und Oxycodon als Opioide. Wobei Opioide sehr zurückhaltend und zeitlich limitiert eingesetzt werden sollen, wegen der sedierenden und delirogenen Wirkungen und des Abhängigkeitspotentials. Im Alter vermieden werden sollen Substanzen wie Indometacin, Acemetacin, Ketoprofen, Proxicam, Meloxicam, Phenylbutazon, Etoricoxib und Pethidin. Es werden auch zunehmend Cannabinoide eingesetzt, die vor allem bei Agitiertheit wirksam sind.

Biologische Verfahren

Lichttherapie
Lichttherapie ist bei zirkadianen Rhythmus- und Schlaf-Störungen sowie bei «Sundowning Syndrom» mit abendlicher Agitiertheit wirksam [3]. Weisses Licht mit gesamtem Spektrum bis zu einer Untergrenze von 400nm wird angewendet. Die Anwendung erfolgt bei 2‘500 Lux für zwei Stunden oder 10‘000 Lux für 30 Minuten. Als Raumbeleuchtung reichen 1‘000 Lux aus.
Schlafentzug/Wachtherapie
Der Schlafentzug (gesamte Nacht, erste oder zweite Nachthälfte) wird bei der Depression erfolgreich eingesetzt. Hirnorganische Störungen stellen aber eine relative Kontraindikation dar, weil der Schlafentzug zu einer allgemeinen Zustandsverschlechterung und Verwirrtheit führen kann. Deswegen wird dieses Verfahren nicht empfohlen.
Elektrokrampftherapie (EKT)
Obwohl kontrollierte Studien fehlen, wird EKT bei therapierefraktärer BPSD, vor allem bei Agitiertheit und Aggressivität, als wirksames Verfahren eingesetzt. Dabei wird Kognition bei vorbestehender Demenz nicht dauerhaft verschlechtert. Die wichtigsten Nebenwirkungen waren Konfusion und reversible kognitive Störungen. EKT kann eine Option sein, wenn Medikamente nicht einsetzbar sind. Die Einwilligung durch den Betroffenen nach erfolgter Aufklärung (informed consent) ist meistens jedoch nicht möglich, weswegen die Behandlung mit den Angehörigen oder Betreuern zu besprechen ist, was sehr hohe Anforderungen an den Umfang der Informationspflicht stellt.
Repetitive Transkraniale Magnetstimulation (rTMS)
rTMS hat neuromodulierende und neuronale Plastizität fördernde Eigenschaften. Vor allem Betroffene mit Demenz und Depression profitieren von der Therapie. Kopfschmerzen, Benommenheit, Hörschäden und selten epileptische Anfälle sind mögliche Nebenwirkungen. Bei Personen mit ferromagnetischem Material wie z.B. Cochlea-Implantate und Herzschrittmacher sowie mit Hörproblemen und Epilepsie in der Vorgeschichte besteht eine Kontraindikation. Bei anderen interventionellen Verfahren wie Tiefe Hirnstimulation oder Vagusnervstimulation ist die Datenlage für eine Empfehlung noch unzureichend.

BPSD und Kommunikation

Eine effektive Kommunikation kann helfen, das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern, ihren Stress und Angst abzubauen [3]. Sie kann auch dazu beitragen, das Stressniveau bei den Pflege- und Betreuungspersonen zu reduzieren. Grundsätzlich soll eine offene, interessierte und wertschätzende Kommunikation erfolgen. Bei eingeschränkter Sprachfähigkeit gewinnt die nonverbale Kommunikation mit Elementen wie Gesichtsausdruck, Stimmklang, Gestik, Berührung und Körperhaltung an Bedeutung. Das Tempo soll dem Betroffenen angepasst und auf die Schlüsselwörter fokussiert werden. Bei abnehmender Fähigkeit des Verstehens sollen mehr sprachbegleitende Gesten verwendet, die wichtigsten Wörter betont, Aussprache rhythmisch gestaltet und Informationen wiederholt werden.

Mit der Realitätsorientierungstherapie, der Reminiszenztherapie und der Validation stehen validierte Verfahren zur Verfügung, um die Orientierung, die Erinnerung zu verbessern, resp. um die subjektive Wirklichkeit der Betroffenen zu würdigen und zu akzeptieren. Ein wichtiger Faktor ist auch das Kommunikationstraining für die Pflege- und Betreuungspersonen: theoretische Kenntnisse über die spezifischen Herausforderungen und Kommunikationstechniken sowie praktische Übungen und Simulationen sind hilfreich. In den letzten Jahren werden zudem telemedizinische Verfahren vermehrt untersucht. Trotz technischer und regulatorischer Schwierigkeiten haben sich Video-Konferenzen bei patientenzentrierten Interventionen und telefonbasierte Interventionen bei Pflege- und Betreuungspersonen als effektiv erwiesen. Diese Verfahren reduzieren BPSD und steigern das Wohlbehalten bei hoher Akzeptanz.

Prof. Dr. med. Egemen Savaskan

Klinik für Alterspsychiatrie
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Minervastrasse 145
8032 Zürich

egemen.savaskan@puk.zh.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie
Manuskript eingereicht: 04.01.2024
Manuskript angenommen: 05.02.2024

  • BPSD wie z.B. Depression, Apathie, Agitation/Aggressivität, Wahn und Halluzinationen sind belastend für Betroffene, Angehörige und das involvierte Fachpersonal. Für deren Behandlung werden primär nicht-pharmakologische/psychosoziale Massnahmen verfolgt. Der Einsatz von Psychopharmaka kann situativ notwendig sein, was in dieser multimorbiden Patientengruppe mit Nebenwirkungen und Interaktionen verbunden sein kann.
  • Auf Evidenz und klinische Erfahrung basierende Empfehlungen, die einen interprofessionellen und interdisziplinären Ansatz befolgen, sollen die aktuellen Möglichkeiten der Diagnostik und Therapie aufzeigen.
  • Die nicht-pharmakologischen Therapieoptionen stehen im Vordergrund und sollen auch dann angeboten werden, wenn Psychopharmaka zum Einsatz kommen.
  • Beim Einsatz von Psychopharmaka muss der aktuelle medizinische Standard eingehalten werden. Es soll regelmässig eine Indikationsprüfung durchgeführt und auf zeitliche Limitierung geachtet werden. Falls der Einsatz dieser Substanzen Off-Label erfolgt, muss sich die Behandlung nach den «Guidelines» der Fachgesellschaften richten.

1. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD). Praxis. 2014; 103(3): 135–148.
2. Savaskan E, Bopp-Kistler I, Buerge M et al. Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der behavioralen und psychologischen Symptome der Demenz (BPSD) – lange Version. https://www.sgap-sppa.ch/fileadmin/user_upload/Empfehlungen_zur_Diagnostik_und_Therapie_der_BPSD_-_November_2014.pdf
3. Savaskan E, Georgescu D, Zuniga F (Hrsg.). Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie der Behavioralen und Psychischen Symptome der Demenz (BPSD). Bern; Hogrefe: 2024.

Formen interprofessioneller Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung – Eine fallübergreifende Analyse in der deutschsprachigen Schweiz

Die Qualität der Versorgung chronisch kranker Menschen soll durch eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) verbessert werden. Bisher konzentrieren sich (Forschungs-) Projekte zur IPZ meist auf den stationären Bereich. Ziel war es, mittels eines multiplen Fallstudiendesigns Formen von IPZ in der Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Zu den Faktoren, die die Implementierung von IPZ förderten, gehörten eine verantwortliche Person, die für diese Leistung angestellt wurde, unterstützende Schulungsmassnahmen, sowie die Einführung evidenzbasierter Interventionen. Insgesamt schienen die Anreize zur Implementierung von IPZ unzureichend und die Bedürfnisse chronisch kranker Menschen wenig integriert. Es bedarf einer systematischeren Evaluation ambulanter IPZ-Initiativen, um deren Mehrwert für eine nachhaltige Versorgung aufzuzeigen. Zentral ist eine stärkere Integration der Bedürfnisse von Patient/-innen.

Einleitung

Aufgrund einer alternden Bevölkerung nimmt die Zahl von chronisch kranken, multimorbiden Menschen mit Pflegebedarf zu [1]. Dies stellt die Grundversorgung aufgrund des steigenden Fachkräftemangels vor Herausforderungen [2]. Bereits 2017 lancierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen» [3]. Ziel war es, die interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) zwischen den Berufsgruppen sowie die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Auch unterstützte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaft (SAMW) seit 2014 Initiativen und Aktivitäten zur Förderung der interprofessionellen Praxis und Bildung [4]. Insgesamt werden damit seit fast zehn Jahren Initiativen zur interprofessionellen Versorgung gefördert. Zwar wurden in der Grundversorgung Modelle wie «Caring Communities» im Kontext des Nationalen Forschungsprogramms „Gesundheitsversorgung“ erforscht [5-7], bisherige (Forschungs-) Projekte mit Fokus auf IPZ konzentrieren sich jedoch eher auf die stationäre Versorgung [8].
Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen der IPZ in der ambulanten Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Dies erfolgte anhand einer gezielten Auswahl von interprofessionellen Versorgungsformen mit Fokus auf chronisch kranke und/oder pflegebedürftige Menschen.

Methode

Ein qualitatives multiples Fallstudiendesign wurde gewählt, da es sich für die Untersuchung fallübergreifender Phänomene im realen Kontext eignet [9-11]. Es erlaubt, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den IPZ Formen herauszuarbeiten. Die Fallstudien wurden in die Studie eingeschlossen, wenn sie mindestens drei der folgenden vier Kriterien erfüllten:
– gemeindenahe ambulante Grundversorgung,
– Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen,
– Versorgung chronisch kranker und/oder
pflegebedürftiger Menschen,
– deutschsprachige Schweiz.
Entsprechend dem gewählten Studiendesign [11] erfolgte die gezielte Stichprobenziehung anhand der formulierten Kriterien auf der Basis einer Recherche im «Verzeichnis Modelle guter Praxis -Interprofessionalität» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) [12] und einer umfassenden Internetrecherche via Google.
Pro Versorgungsform, z.B. ein im hausärztlichen Setting etabliertes Behandlungsteam aus Ärzt/-innen und Pflegefachpersonen für die Langzeitbetreuung chronisch erkrankter Personen, wurde ein semistrukturiertes Interview mit einer verantwortlichen Person geführt, die entweder die Initiative oder die Evaluation leitete. Ergänzend wurden Dokumentationsmaterialen gesichtet. Der Interviewleitfaden wurde in Anlehnung an den Konsolidierten Rahmen für die Implementierungsforschung (CFIR) [13] und die Charta für Interprofessionalität [4] entwickelt und umfasste folgende Themen: 1. Projektentwicklung; 2. Ziele und Wirkungen; 3. Voraussetzungen, Einflussfaktoren und Anreize; 4. Weiteres.
Alle Interviews wurden zwischen September 2022 und Mai 2023 online durchgeführt und aufgezeichnet. Die Teilnehmenden wurden über den Zweck der Studie, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Möglichkeit, diese jederzeit zu beenden, informiert. Alle stimmten der Teilnahme per Email und mündlich zu. Sie erhielten Einsicht in die Ergebnisse und stimmten der vorliegenden Veröffentlichung zu. Die deduktiv-induktive Datenanalyse erfolgte in Anlehnung an die Framework Methode [14].

Ergebnisse

Acht Versorgungsinitiativen wurden identifiziert und die Verantwortlichen angeschrieben. Eine Person antwortete nicht und eine weitere lehnte die Teilnahme ab. Insgesamt wurden sechs Versorgungsformen für Interviews (Tabelle 1; 1-6) einbezogen.

Ziele und Zielgruppen

Wie Tabelle 1 zeigt, unterscheiden sich die IPZ-Ansätze. Allen gemeinsam ist das Ziel, durch IPZ zu einer qualitativ besseren und effizienteren Gesundheitsversorgung und Prävention beizutragen. Einige Initiativen sind stärker präventiv ausgerichtet. Andere haben eine über die Gesundheitsversorgung hinausgehende Grundversorgung zum Ziel. Die Zielgruppe wird nur punktuell mit in die Entwicklung eingebunden.

Interventionen

Die vorgestellten IPZ-Initiativen sind an unterschiedliche internationale Konzepte angelehnt und erreichen IPZ mittels Interventionen im Bildungsbereich und in der Praxis, dargestellt in Tabelle 2.
Interventionen im Bildungsbereich ist gemein, dass sie die jeweiligen Fachpersonen bestärken, in eine neue Rolle innerhalb eines interprofessionellen Teams hineinzuwachsen: Die Projekte «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» basieren auf einer interprofessionell entwickelten Aus- bzw. Weiterbildung, die Fachpersonen auf Hausbesuche zur Sturzrisikoreduktion vorbereitet (Tabelle 1; 1,6). Bei «StoppSturz» werden, nach der Risikoeinschätzung, Massnahmen für ein interprofessionelles Team erarbeitet (I6). Das Projekt «Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse», kurz «INTERCARE», unterstützt Pflegende, eine IPZ-Führungsrolle mittels Weiterbildung und Coaching zu übernehmen (I2). Bildungsmassnahmen vermitteln direkt oder indirekt zentrale Kompetenzen für die Arbeiten im interprofessionellen Team.
Interventionen in der Praxis zielen darauf ab, die Prozesse der Zusammenarbeit zu verändern. Dazu gehört die Einführung regelmässiger, gemeinsamer Besprechungen. Diese wurden erfolgreich etabliert, insofern die Organisation von Personen verantwortet wurde, die gezielt gefördert und geschult wurden bzw. die Besprechungen an den Kontext angepasst wurden. Kooperationsprozesse wurden zudem durch evidenzbasierte Instrumente zur Verbesserung der Kommunikation im interprofessionellen Team unterstützt: Im Projekt «INTERCARE» befähigte die Einführung von ISBAR («Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation»), einem evidenzbasierten Instrument zur Verbesserung der klinischen interprofessionellen Kommunikation, Pflegende, das Reporting gegenüber Ärzt/-innen klarer zu strukturieren [15]. Der Verein «xunds-grauholz» hat Tools zur Unterstützung der Kommunikation im multidisziplinären Team eingeführt (I3). Die Spitex Zürich hat den «StoppSturz»-Ansatz zur evidenzbasierten und strukturierten Sturzprävention im häuslichen Umfeld übernommen (I6). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie Fachpersonen befähigen, eine aktive, partnerschaftliche Rolle einzunehmen und dadurch zur Klärung von Zuständigkeiten und Rollen beizutragen. Auch wird somit ein abgestimmtes Handeln der verschiedenen Fachpersonen unterstützt. Es wird berichtet, dass so Barrieren abgebaut, informelle Begegnungen gefördert, und Vertrauen gestärkt werden können.
Für den Erfolg von IPZ, insbesondere mit der Ärzteschaft, scheint der direkte Austausch und die persönliche Zusammenarbeit zentral zu sein. Dies scheint dort möglich, wo ÄrztInnen Teil des IPZ-Teams vor Ort sind (z.B. Hausarztpraxis, Pflegeheim) und Arbeitsentlastung erfahren. Hier kann die Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten auf Fachpersonal gelingen. Andererseits erscheint die Zusammenarbeit dort herausfordernd, wo Rollen, Aufgaben und Interessen divers sind oder die Barrieren der Zusammenarbeit aufgrund von räumlicher, institutioneller, interorganisationaler Distanz erhöht sind. Auch braucht es einen Mehrwert für die beteiligte Ärzteschaft: Im Kontext von «Medi Porta» – einem Projekt, das Apotheke und Arztpraxis vereint [16]- zeigte sich, dass der IPZ-basierte Walk-in zwar als Entlastung für die Hausärzteschaft geplant war, dies jedoch nicht mittels des Projekts realisiert werden konnte (I5). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» führte die IPZ hingegen zu einer deutlichen Entlastung der Hausärzteschaft, die sich so auf die ärztliche Sprechstunde konzentrieren können [17].
Drei der Initiativen wurden auf Projektebene evaluiert («INTERCARE», «Sicher durch den Alltag», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis») und konnten den Mehrwert der IPZ belegen: Zielgruppen und beteiligte Berufsgruppen zeigten eine hohe Zufriedenheit [15, 17, 18]. Die Attraktivität der Arbeit in «INTERCARE»-Pflegeeinrichtungen wurde erhöht, gemessen an einer steigenden Zahl von Bewerbungen von Pflegekräften. Die Versorgung der Zielgruppe wurde verbessert: die Sturzrate wurde reduziert [18], ungeplante Spitalaufenthalte wurden verringert [19], die finanzielle, soziale und physische Gesundheit wurde verbessert [17]. Die Sturzprävention wirkte zu 48 Prozent kosteneinsparend [18]. Das «INTERCARE»-Programm konnte zu einer effektiveren Versorgung beitragen [20]. Auch wenn nicht alle Initiativen evaluiert wurden, so wurde doch von einer gesteigerten Mitarbeiterzufriedenheit («xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4) sowie einer Verbesserung und Strukturierung der Abläufe und der Zusammenarbeit mit den Patient/-innen berichtet («StoppSturz», «xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4,6).

Organisation und Finanzierung

Die Organisation und Finanzierung der IPZ ist vielfältig. Wird die IPZ innerhalb eines Leistungserbringers realisiert (z.B. Pflegeheim), erfolgt die Umsetzung der Massnahmen über das jeweilige Finanzierungssystem. Wird die IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern erbracht, geht dies mit einer Vielfalt an Finanzierungsformen einher, ergänzt durch projektgebundene Mittel: Während die Weiterbildungen in den Präventions-Projekten «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» von den Institutionen selbst getragen werden, werden die Kosten für Abklärungen und Massnahmen von Krankenversicherern, privaten Zusatzversicherungen oder teilweise über kantonale Subventionen abgegolten (Tabelle 1: 1,6). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» realisieren die Praxen verschiedene Finanzierungsansätze für die Anstellung der Sozialarbeiter/-innen (Praxisertrag, Stiftungen, Gemeinden oder Kanton, I4). Das komplexeste Finanzierungssystem setzt der Verein «xunds-grauholz» um (I4). Die Leistungen werden ehrenamtlich erbracht, Sponsoren unterstützen und es werden projektbezogene Mittel akquiriert.

Diskussion

Diese Studie untersucht anhand eines qualitativen multiplen Fallstudiendesigns [11] hemmende und fördernde Faktoren für IPZ in der Schweizerischen Grundversorgung. Wurde IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern angestrebt, brauchte es vielfältige Finanzierungslösungen. Diese Vielfalt verweist auf aktuelle Versorgungslücken, die Koordination, Gesundheitsförderung und Prävention nicht hinreichend vergüten [21]. Wird IPZ innerhalb einer Organisation (z.B. Pflegeheim) realisiert, erscheinen die Hürden zur Umsetzung der IPZ zwischen den unterschiedlichen Mitarbeitenden geringer [22]. Dabei trägt die Verantwortung für Risiko und Verstetigung der IPZ der einzelne Leistungserbringer, der vom potentiellen Mehrwert profitiert. Damit rücken Personen bzw. einzelne Initiativen in den Vordergrund, die in Vorleistung gehen, um IPZ zu realisieren. Diese Personenabhängigkeit und der individuelle Aufwand sind für den Schweizer Kontext belegt [1, 7], auch das finanzielle Hürden den Nutzen von IPZ reduzieren [23].
Die Ergebnisse zeigen, dass IPZ dort funktioniert, wo Personen für das Management der IPZ-Massnahmen verantwortlich sind. Für die Befähigung zum Rollenwechsel waren Bildungsinterventionen zentral. INTERCARE leitet Pflegende an, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen und begleitet dies durch Coaching. Bildungsangebote sollten jedoch nicht nur Wissen vermitteln sondern IPZ-relevante Kompetenzen zu Gruppendynamik und Problemlösungsstrategien einüben, um diese in der Praxis zu verstetigen [24]. Dies schien auch die Berufsattraktivität zu steigern. Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Bedeutung von neuen kontextangepassten Kommunikationsroutinen, die die Vernetzung zwischen den Berufsgruppen und auch den Patient/-innen unterstützen. Der schnelle, teils informelle Austausch scheinen zentral zu sein. Dies deckt sich mit vorliegenden Studienergebnissen [1, 21, 25, 26]. Besprechungen ermöglichen die Umverteilung von Aufgaben [22]. Gegenseitiger Austausch und kontinuierliche Beziehungspflege sowie standardisierte Prozesse und Organisationsstrukturen tragen zum Gelingen bei, da sie klare Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben [26, 27]. Wichtig erscheint, dass die Initiativen von interprofessionellen Teams erarbeitet wurden, nicht nur um einen Austausch auf Augenhöhe zu unterstützen, sondern alle relevanten Arbeitsabläufe und Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven zu berücksichtigen und zu stärken. Der Einsatz von elektronischen Datenbanken und digitalen Tools wie Apps schien bisher weniger gebräuchlich.
Hausärzt/-innen spielen eine zentrale Rolle. Diese lancieren teils selbst IPZ-Initiativen, investieren Zeit und Ressourcen, während zugleich die Zusammenarbeit mit Hausärzt/-innen nur dann gelingt, wenn für diese der direkte Mehrwert und Arbeitsentlastung spürbar ist. Dies ist im Einklang mit bestehender Literatur, die territoriales Verhalten und einen «Revierkampf» zwischen Berufsgruppen in der Grundversorgung attestiert [21, 27]. Daher ist festzuhalten, dass IPZ dort gelingt wo diese finanziert ist und ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierte Berufsgruppen entsteht.
Obwohl Patientenzentriertheit als kennzeichnend für die IPZ angesehen wird [4], werden Erfahrungen von Patient/-innen nur punktuell integriert. Einzig xunds-grauholz und die beiden Sturzpräventions’ Interventionen berücksichtigen durchgehend deren Bedürfnisse. Die Einbeziehung von Patient/-innen für die (Weiter)Entwicklung des Gesundheitswesens wird jedoch als zentral erachtet [5, 7]. Wenn Gemeinden und Kantone dahingehend partizipative Initiativen und die Vernetzung von etwa Pflege und medizinischer Behandlung im Sinne einer integrierten Versorgung unterstützen [7], kann dies auch eine stärkere Berücksichtigung von sozialen Aspekten von Gesundheit fördern [5, 28, 29].
Bei der Einordnung der Studienergebnisse ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des gewählten Studiendesigns zwar vertiefte Einblicke in ausgewählte Formen von IPZ gegeben werden können, jedoch kein repräsentatives Bild gezeichnet werden kann [11], da die Stichprobe mit insgesamt sechs Initiativen überschaubar ist. Dennoch wird ein vertieftes Bild zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden herausgearbeitet und die Ergebnisse der Interviews korrespondieren mit den Ergebnissen der Dokumentenanalyse. Das Manuskript wurde durch die Interviewpartner/-innen validiert.

Schlussfolgerung

Soll IPZ in der Grundversorgung gelingen, braucht es eine strategische Verankerung und nachhaltige Unterstützung von allen Akteuren des Gesundheitswesens. Neue interprofessionelle Versorgungsformen könnten auf Gemeindeeben geschaffen werden, gerade weil diese eng mit dem Gemeinwesen verbunden ist. Dies ermöglicht die Integration der Bereiche Gesundheit, Soziales und Gemeinwesen/Ehrenamt, die für die Versorgung chronisch Kranker von zentraler Bedeutung sind. Dies setzt neue Rollen und Tätigkeiten der Gesundheits- und Sozialberufe voraus.
IPZ kann dort gelingen, wo ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierten Berufsgruppen entsteht. Hausärzt/-innen spielen nach wie vor eine Schlüsselrolle in gelingender IPZ – und können dazu nicht nur einen wichtigen Beitrag leisten, sondern einen Mehrwert durch Arbeitsentlastung erfahren.
Postgraduale Bildungsmassnahmen müssen Fachkräfte befähigen und dabei begleiten, IPZ Prozesse – auch gegen Widerstand – einzuführen und zu verantworten. Dazu braucht es Kompetenzvermittlung, die in der Praxis verstetigt wird; auch indem innovative, digitale Methoden Anwendung finden, die eine flexible und didaktisch hochwertige Weiterbildung gewährleisten.
Schlussendlich braucht es mehr Forschung, die IPZ und deren Mehrwert aus der Perspektive von Patient/-innen untersucht. Nur so kann eine interprofessionelle Versorgung von chronisch kranken Menschen auch bei ansteigendem Fachkräftemangel nachhaltig realisiert werden. Insgesamt ist mehr Evidenz zur Qualität und Wirkung von IPZ Ansätzen im ambulanten Bereich nötig, die die Verschränkung von gesundheitlichen und sozialen Aspekten berücksichtigt, um so deren Beitrag zu einer nachhaltigen Grundversorgung zu belegen.

Im Artikel verwendete Abkürzungen
CFIR = Consolidated framework for implementation research oder «Konsolidierten Rahmen für die Implementationsforschung»
BAG = Bundesamt für Gesundheit
INTERCARE = Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse (Nurse-led model of care in Swiss nursing homes: improving interprofessional care for better resident outcomes)
IPZ = Interprofessionelle Zusammenarbeit
ISBAR-Modell = “Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation” Modell, evidenzbasiertes Modell welches die strukturierte interprofessionelle Kommunikation unterstützt – v.a. zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft
SAMW = Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Dr. Jana Gerold, PhD

Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut
Universität Basel
Kreuzstrasse 2
CH-4123 Allschwil

jana.gerold@swisstph.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie
Manuskript eingereicht: 04.10.2023
Nach Revision angenommen: 22.01.2024

  • Alle Akteure des Gesundheitswesens sollten IPZ Vorhaben im ambulanten Bereich stärker (finanziell) unterstützen.
  • IPZ in der ambulanten Versorgung scheint dort zu gelingen, wo Hausärzt/-innen, Pflege(fach)personen und andere Fachpersonen des Gesundheits- und Sozialwesens auf Augenhöhe Initiativen zur IPZ erarbeiten und umsetzen.
  • Die Förderung der Autonomie und Lebensqualität von Patient/-innen kann nur dort gelingen, wo ihre Rückmeldungen eine Rolle in der Gestaltung der IPZ spielen.
  • Innovative Bildungsansätze sind zentral für die Umsetzung von IPZ, insbesondere solche, die Gesundheitsfachkräfte befähigen, in eine neue Rolle hineinzuwachsen.

1. Schüsselé Filliettaz S. Integrated care and interprofessional collaboration in Switzerland: global overview and local implementation. Lausanne: University of Lausanne; 2020.
2. Wunsch C. Arbeits-und Fachkräftebedarf der Schweiz bis 2060. Universität Basel. 2014.
3. Bundesamt für Gesundheit. Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen 2017-2020». Bern BAG 2022. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitspolitik/foerderprogramme-der-fachkraefteinitiative-plus/foerderprogramme-interprofessionalitaet.html; letzter Zugriff: 19.05.23.
4. Schweizerische Akademien der Wissenschaften. Charta 2.0 «Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen» Bern; 2020. letzter Zugriff: 25.12.2022.
5. Swiss National Science Foundation. NRP 74 Smarter Health Care. Programme summary. Foundations of smart healthcare of the future. Bern: Swiss National Science Foundation; 2022.
6. Schusselé Filliettaz S, Berchtold P, Kohler D, Peytremann-Bridevaux I. Integrated care in Switzerland: Results from the first nationwide survey. Health Policy. 2018;122:568-76.
7. Meidert U, Ballmer T. Innovative Modelle für die Zusammenarbeit in der ambulanten Versorgung älterer Menschen. Winterthur: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften 2021.
8. Bundesamt für Gesundheit. Interprofessionalität im Gesundheitswesen. Ambulante Versorgung. Policy Brief. 2021.
9. Ridder H-G. The theory contribution of case study research designs. Business Research. 2017;10:281-305.
10. Anthony S, Jack S. Qualitative case study methodology in nursing research: an integrative review. J Adv Nurs. 2009;65:1171-81.
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Antithrombotic therapy and assessment for bleeding diathesis in elective gastrointestinal endoscopy – Expert Opinion Statement on behalf of the Swiss Society of Gastroenterology

Introduction

Endoscopic procedures are increasingly performed on patients receiving antithrombotic therapy for high-risk thromboembolic conditions. This raises questions about the necessity of discontinuing antithrombotic drugs pre-pro­cedure and whether coagulation assessment is essential to reduce the risk of post-interventional bleeding. Factors considered are anticoagulation type, indication, and type of endoscopic intervention. Commonly used procedures are gastroscopies with biopsies and colonoscopies with polypectomy.
This expert opinion statement provides updated guidance on antithrombotic drug use and coagulation testing before endoscopic procedures.

Pre-procedural assessment for bleeding diathesis – a questionnaire frequently exerts a greater impact compared to routine laboratory tests

Assessing the patient’s risk of bleeding before gastrointestinal endoscopies is crucial. Routine determination of the international normalised ratio (INR) and platelet count is common practice. If the INR is < 1.5 and platelet count > 50 G/l, the examination or intervention is performed.
However, evidence on the utility of routine laboratory tests before elective gastroenterological endoscopic examinations is limited, drawing from surgical patient experiences. Large prospective cohort studies (1, 2, 3) have shown that baseline coagulation tests (INR, aPTT, bleeding time, platelet count) are not predictive of intraoperative or postoperative bleeding in patients with an unremarkable bleeding history.
The American Society for Gastrointestinal Endoscopy (ASGE) published an expert opinion statement in 2014 emphasising the significance of medical history (4). Routine coagulation work-up is deemed unnecessary if the bleeding history is inconspicuous, even for interventions with high bleeding risk. Accordingly, in the recommendations of the Swiss Society of Gastroenterology (SSG) from 2016, bleeding history is prioritised in the coagulation work-up (5, 6). A negative response to all items in the questionnaire suggests no increased risk of bleeding, obviating the need for coagulation assessment (Table 1). However, in cases of a history or indication of increased bleeding risk (e.g. liver cirrhosis, severe renal insufficiency, malnutrition), deter­mining INR and platelet count is recommended.
If two or more affirmative responses are elicited in the question­nai­re, indicating the pre­sence of major post­­operative bleeding, a history of bleeding disorder, or a personal bleeding diathesis, there exists a heightened risk of bleeding. Therefore, prior to endoscopy, as well as biopsies or any interventions, a coagulation assessment (e.g. INR, aPTT, thrombin time, fibrinogen, platelet count, and possibly platelet function assay) should be conducted following consultation with a hematologist. Subsequently, the procedures and interventions should be deferred until the risk is mitigated.
However, the questionnaire is inapplicable to patients under antithrombotic therapy. Routine coagulation assessments are generally unnecessary for such patients, except when vitamin K antagonists (VKAs) are involved. In VKA-treated individuals, assessing the INR before endoscopies with planned biopsies or interventions (e.g. polypectomy) is prudent to avoid overlooking any cases of excessive anticoagulation.

Antithrombotic management in the elective peri-procedural setting

The escalating prevalence of antithrombotic agents and its challenges

Oral anticoagulants and antiplatelet agents play a crucial role in modern cardiovascular medicine, and their combined use is becoming more common (Table 2).
Managing patients on antithrombotic therapy before and after endoscopic procedures presents challenges. Balancing the risk of intervention-related bleeding against the potential thromboembolic risk due to temporary discontinuation of antithrombotics requires careful consideration. Engaging in shared decision-making with patients is essential
to understand their preferences in such situations.
While preventing post-interventional bleeding is desirable, it is essential to note that the mortality associated with bleeding is very low. Most bleeding incidents can be effectively treated endoscopically, avoiding surgery or radiological intervention. This contrasts with the higher mortality risk associated with potential thromboembolic events after antithrombotic discontinuation, particularly coronary stent thrombosis.

Risk stratification for patients on anticoagulant therapy

Table 3a provides risk stratification for patients on anticoagulant therapy based on thromboembolic risk. High-risk patients may require procedural deferral or bridge therapy during temporary VKA interruption for elective endoscopy (7).

Risk stratification for discontinuing P2Y12 receptor antagonists

Table 3b provides risk stratification for discontinuing P2Y12 receptor antagonists (clopidogrel, prasugrel or ticagrelor) based on thrombosis risk (8).
High-risk patients may require procedural deferral and consultation with a cardiologist and hematologist before stopping the antiplatelet agents.

Empirical endoscopic procedural bleeding risk stratification

Table 4 presents an empirical framework for suggested intra- and post-procedural bleeding risk stratification (9). With advancements in endoscopic techniques, the current estimation of post-procedural bleeding risk is subject to change.
Existing data on endoscopic interventions under antithrombotic therapy are limited and controversial. Most studies focus on post-polypectomy bleeding in the colon and are retrospective. Prospective studies and randomised controlled trials are scarce; much of the evidence is based on expert opinion and extrapolation from other clinical situations. This is mainly due to the infrequency of relevant bleeding events after endoscopic procedures (0.07 – 1.7% after colonic polypectomy) (10), necessitating large case numbers to identify significant risk factors.
In 2016, new guidelines on antithrombotic therapy during endoscopic procedures were published by American and European / British authorities (11, 12). Switzerland also adapted its recommendations, particularly for colonic polypectomy, focusing on lower bleeding risk for endoscopic removal of very small (diminutive) polyps up to 5 mm, treating them similarly to biopsies (5).

The effect of thrombocyte inhibitors on colonic polypectomy and its implications

In 2016, we extended the acceptance of endoscopic removal of polyps up to 10 mm under clopidogrel therapy, basing this decision on a large prospective study involving 516 patients (13). This study demonstrated a higher rate of clinically relevant bleeding in the colon (after polypectomy) under thienopyridines (clopidogrel or prasugrel) compared to other antithrombotics (2.4% vs. 0%, p = 0.01). However, it is noteworthy that all bleeding cases in the thienopyridine group occurred in patients concurrently taking acetylsalicylic acid (ASA) and with larger polyps (mean size 12.8 mm, range 8-20 mm). None of the bleeding events were fatal or required surgical or radiological intervention.
In 2019, the first prospective, randomised, double-blind study on the impact of clopidogrel in colonic polypectomies was published (14). The study aimed to investigate whether continuous clopidogrel therapy significantly increased the risk of bleeding after colonic polypectomy. The study included 423 patients on clopidogrel treatment for seven days before a colonoscopy, who were randomly assigned to continue either clopidogrel (n = 208) or a placebo (n = 215) until the morning of the colonoscopy. One hundred and six patients on clopidogrel and 110 on the placebo underwent polypectomy. The bleeding rate within 30 days after the procedure was surprisingly low and similar (3.8% in the non-paused clopidogrel group, 3.6% in the 7-day paused group). All bleeding cases occurred in patients who were also taking ASA and were successfully treated endoscopically. No bleeding events were observed in patients who were solely on clopidogrel.
As a result, the 2016 guidelines’ recommendation to pause clopidogrel before polypectomy is no longer supported. Current data suggest that clopidogrel does not significantly increase the risk of bleeding after colonic polypectomy compared to ASA. Therefore, medium-sized polyps (10–20 mm) can likely be resected under clopidogrel alone, particularly using the cold snare polypectomy technique (Table 5).
Limited data are available for the thrombocyte inhibitors prasugrel and ticagrelor in colonic polypectomy. These drugs are usually administered with ASA and do not need to be paused during diagnostic endoscopies with biopsies. A small randomised trial in patients undergoing cold snare polypectomy of polyps ≤ 10 mm reported similar delayed post-polypectomy bleeding rates between those continuing dual antiplatelet therapy (DAPT: ASA + clopidogrel, ticagrelor, or prasugrel) and those on ASA alone (2.4% vs 0%) (15).
For patients on dual thrombocyte inhibition with polyps larger than 10 mm, it might be advisable to wait until monotherapy is sufficient, if possible. Alternatively, the resection of polyps larger than 10 mm can be considered, accepting a higher risk of bleeding. Pausing clopidogrel before polypectomy in patients on concomitant ASA therapy does not appear to reduce the risk of post-polypectomy bleeding. An interesting alternative could be to pause P2Y12 receptor inhibitors for seven days after the day of polypectomy.
However, the randomised trials (13, 14, 15) had limited numbers of post-polypectomy bleeding events and wide confidence intervals, raising concerns about the sample size’s adequacy to detect a true difference. Further research may be needed to better understand the optimal approach in these cases.

The effect of oral anticoagulants on colonic polypectomy and its implications

A prospective, randomised, controlled study in Japan with 184 patients on oral anticoagulants (warfarin or direct oral anticoagulants, DOACs) examined endoscopic resection of non-sessile colon polyps < 10 mm (16). One group underwent cold snare polypectomy without interrupting anticoagulants, while the other group had anticoagulants paused and bridged with heparin during resection with diathermy. The primary endpoint was significant post-polypectomy bleeding, and no statistically significant difference was observed. Surprisingly, the oral anticoagulation group demonstrated reduced bleeding (4.7% vs. 12%), supporting a pre­ference for resecting small colonic polyps under oral anticoagulation, particularly using the cold snare polypectomy technique.
Furthermore, it is noteworthy that for elective colonoscopies, DOACs can be readily paused without significant risk in the overwhelming majority of instances.
The data discussed above indicate a decrea­sing trend in discontinuing antithrombotics before colonic polypectomy (Table 5).
The most recent international guidelines (8, 9) and a recent systematic review (17) now substantiate and endorse this emerging pattern. The 2021 European guidelines allow the removal of colonic polyps < 10 mm under clopidogrel, while the US-Canadian guideline in 2022 classifies polypectomy < 10 mm as a low/moderate bleeding risk procedure without the need to interrupt anticoagulant or antiplatelet therapy. Similar considerations apply to other endoscopic interventions with a high risk of bleeding, where ASA can be left in place. However, caution should be exercised in specific procedures (e.g. polypectomy/mucosectomy in the upper gastrointestinal tract, ampullectomy, wide-field endoscopic mucosal resection (EMR), endoscopic submucosal dissection (ESD), peroral endoscopic myotomy (POEM) and radiofrequency ablation (RFA)) (Table 4).
However, pausing is still recommended for other antithrombotic drugs in high-risk bleeding procedures (8, 9, 18, 19, 20).
For diagnostic endoscopies with biopsies, as well as for other endoscopic examinations with a low bleeding risk (e.g. endoscopic retrograde cholangiopancreatography (ERCP) without papillotomy/with stenting, endosonography without fine needle puncture (FNP), diagnostic device-assisted enteroscopy, gastrointestinal stents, argon plasma coagulation (APC), marking, capsule endoscopy; see Table 4), antithrombotic drugs can generally be left in place, including DAPT.
DOACs can be omitted in combination with antiplatelet agents on the morning of the examination, without issues. Caution is advised when VKAs are combined with antiplatelet agents, especially during biopsies (8, 9, 21).
ERCP with papillary balloon dilatation and balloon dilatation of luminal stenosis are considered low/moderate bleeding risk procedures in the latest US-Canadian guideline (9). However, data on these procedures under antiplatelet agents (especially P2Y12 receptor inhibitors) and anticoagulants are still limited, and a cautious approach is recommended, categorising them as high-risk procedures in such cases.
Polypectomy < 10 mm in the colon using the cold snare technique and preventive measures (e.g. coagulation, clips) is considered a procedure with a low risk of bleeding. However, in the upper gastrointestinal tract, a more cautious approach is advised; such interventions are still categorised as high-bleeding-risk procedures.

The recommendations for clinical practice regarding antithrombotic medication and endoscopic procedures can be summarised as follows:

1. Routine checks for INR and platelets before endoscopies are not necessary. However, the bleeding history should be thoroughly assessed (using a questionnaire, Table 1) to identify relevant coagulation disorders.
2. For diagnostic gastroscopies with potential biopsies, antiplatelet agents (monotherapy and dual therapy) and oral anticoagulants (VKAs, DOACs) in monotherapy can be continued without the need for routine discontinuation. We recommend to omit DOACs in the morning of the examination. In the concurrent administration of antiplatelet agents, DOACs should be avoided on the day of the examination (Figures 1 & 4).
3. Before diagnostic colonoscopies, antithrombotic drugs can generally be continued, as the majority of polyps found are small (< 10 mm) and can be directly resected, especially using the cold snare polypectomy technique. It is recommended to pause DOACs routinely, as this can be done with minimal risk (Figures 2 & 4).
4. In patients with a high thromboembolic risk, VKAs should not routinely be stopped before diagnostic colonoscopies. In low-risk patients, VKAs can be stopped 5–7 days before the colonoscopy without bridging, but stopping may not be necessary, and polyps up to 10 mm can be directly resected using the cold snare technique (Figures 2 & 4).

5. Antiplatelet agents do not need to be stopped before colonoscopy. With ASA, most polyps, including larger ones (> 20 mm), can be removed. Under P2Y12 receptor inhibitors, polyps up to 10 mm can be resected, possibly in combination with ASA. If switching from dual thrombocyte inhibition to monotherapy is anticipated, the colonoscopy should be postponed until then (Figure 2, Table 5).
6. For other endoscopic procedures with an increased risk of bleeding (e.g. EMR, ESD, percutaneous endoscopic gastrostomy, percutaneous endoscopic jejunostomy), antithrombotic drugs should be paused, except for ASA (Figures 3–4, Table 4).
7. There is no one-size-fits-all approach; decisions should be individualised, considering the risk of intervention-related blee­ding versus thromboembolism caused by temporary discontinuation of antithrombotics (Table 3a & 3b). Shared
decision-making with patients is essential in such situations.
Overall, these recommendations represent a suitable approach to continue with antithrombotic medication in spite of planned endoscopic procedures and aim to balance between the risks of bleeding and thromboembolism. In complex cases it may be helpful to have interdisciplinary discussions involving cardiologists and hematologists.

Disclaimer

These recommendations have been developed in accor­dance with the current guidelines and recommendations from America, Europe and the United Kingdom (ASGE, ESGE, BSG), in collaboration with a hematologist experienced in hemostasis (W. Wuillemin).
These recommendations may need to be adjusted and revised in future, depending on new data, new technologies, and practical experience.
The recommendations are intended to provide guidance for clinical practice and should not be applied as universally
valid rules. The clinical situation may require deviation from the currently proposed recommendations.

Nico Wiegand

Gastroenterology Center
Hirslanden Lucerne

nico.wiegand@hirslanden.ch

Martin Geyer

Gastroenterology Practice Wettingen

Gianluca Lollo

Division of Gastroenterology & Hepatology
Ente Ospedaliero Cantonale Bellinzona

Walter A. Wuillemin

Department of Hematology
Luzerner Kantonsspital

Patrick Aepli

Department of Gastroenterology and Hepatology
Luzerner Kantonsspital

History
Manuscript submitted: 22.10.2023
Accepted after revision: 02.11.2023

Disclosures
The authors have no conflict of interest or financial disclosures to declare.

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Qualitätsentwicklung in der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie und Psychosomatik

Qualität beziehungsweise Qualitätsentwicklung sowie die entsprechenden Regulierungen gewinnen im Schweizer Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung, insbesondere auch durch die Verknüpfung mit Aspekten der Zulassung zur Leistungserbringung und Finanzierung. Dabei wird der Fokus in jeweils unterschiedlichem Umfang auf Struktur-, Prozess- oder Ergebniskriterien gerichtet. Hier werden spezifische Qualitätsaspekte des Fachbereichs Konsiliar-Liaisonpsychiatrie und Psychosomatik (CLPP) zusammengetragen und die sich daraus ableitenden Indikatoren anhand der genannten Qualitätskriterien gruppiert. Es bestehen zahlreiche Anforderungen, deren Erfüllung nicht zuletzt aufgrund des Fachkräftemangels und beschränkter finanzieller Ressourcen von den Leistungserbringern erhebliche Anstrengungen erfordert. Die hier aufgeführten Kriterien sollten kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt sowie sinnvoll regulatorisch verankert werden. Verknüpfungen von Qualitätsanforderungen mit entsprechenden Vergütungsaspekten im Rahmen der nationalen Tarifstrukturen sowie nationalen und kantonalen Zulassungsanforderungen sollten angestrebt werden.

La qualité, son développement ainsi que les réglementations requises à cet effet prennent de plus en plus d’ importance dans le système de santé suisse, notamment en raison d’ aspects liés à l’  autorisation de fournir des prestations et du financement. Dans ce contexte, l’ accent est mis, à différents degrés, sur des critères de structure, de processus ou de résultats. Le présent document rassemble les aspects qualitatifs spécifiques au domaine spécialisé de la psychiatrie et psychosomatique de consultation et de liaison (CLPP). Les indicateurs qui en découlent sont regroupés sur la base des critères de qualité mentionnés. Les exigences sont nombreuses, leur satisfaction exige donc des efforts considérables de la part des prestataires, notamment en raison de la pénurie de personnel qualifié et des ressources financières limitées. Les critères mentionnés ci-après devraient être évalués et développés en permanence et ancrés de façon pertinente dans la réglementation. Il convient d’ établir, dans la mesure du possible, des liens entre les exigences de qualité et les aspects correspondants en termes de rémunération, ceci dans le cadre des structures tarifaires nationales et des exigences nationales comme cantonales en matière d’ admission.

La qualité, son développement ainsi que les réglementations requises à cet effet prennent de plus en plus d’ importance dans le système de santé suisse, notamment en raison d’ aspects liés à l’  autorisation de fournir des prestations et du financement. Dans ce contexte, l’ accent est mis, à différents degrés, sur des critères de structure, de processus ou de résultats. Le présent document rassemble les aspects qualitatifs spécifiques au domaine spécialisé de la psychiatrie et psychosomatique de consultation et de liaison (CLPP). Les indicateurs qui en découlent sont regroupés sur la base des critères de qualité mentionnés. Les exigences sont nombreuses, leur satisfaction exige donc des efforts considérables de la part des prestataires, notamment en raison de la pénurie de personnel qualifié et des ressources financières limitées. Les critères mentionnés ci-après devraient être évalués et développés en permanence et ancrés de façon pertinente dans la réglementation. Il convient d’ établir, dans la mesure du possible, des liens entre les exigences de qualité et les aspects correspondants en termes de rémunération, ceci dans le cadre des structures tarifaires nationales et des exigences nationales comme cantonales en matière d’ admission.

Einleitung

Qualität

Am 1. April 2021 traten die neuen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) und der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) zur Stärkung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in Kraft [1, 2]. Mit diesen neuen Bestimmungen des KVG soll eine systematische und strukturierte Verbesserung der Qualität der Leistungen erreicht werden. Die Qualitätsstrategie [3] stützt sich auf die vom Bundesrat erlassene Gesamtstrategie Gesundheit2030 und ergänzt die bereits bestehenden nationalen Strategien des Bunderates.

Die Entwicklung von Qualität in der Gesundheitsversorgung im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) orientiert sich an etablierten internationalen Qualitätsdimensionen: Sicherheit, Wirksamkeit, Patienten­zentriertheit, Recht­zeitigkeit, Effizienz, Chancengleichheit, Integration/Koordination [4, 5]. Zwecks Qualitätsmessung und -vergleich wird in der Regel auf die Qualitätskriterien nach Donabedian fokussiert. Diese umfassen Strukturqualität (Material- und Personalressourcen und Organisationsstruktur), Prozessqualität (durchgeführte Aktivitäten im Rahmen der Gesundheitsversorgung) und Ergebnisqualität (Effekt der Versorgung auf den Gesundheitszustand der Patienten) [6].

Konsiliar-Liaisonpsychiatrie und Psychosomatik (CLPP)

Die CLPP ist gekennzeichnet durch die herausfordernde Tätigkeit im komplexen Versorgungssystem. Die Anliegen der CLPP werden in der Schweiz seit 2001 durch die Fachgesellschaft Swiss Society of Consultation-Liaison-Psychiatry and Psychosomatics (SSCLPP) vertreten. Die Entwicklung des Schwerpunktbereichs in der Schweiz wird unter anderem hier im Detail beschrieben [7, 8, 9]. Seit 2010 wird in der Schweiz der entsprechende Schwerpunkttitel vergeben. Georgescu weist auf die Herausforderung für die CLPP hin, «ihre ökonomische Bedeutung für die somatischen Krankenhäuser nachzuweisen und dadurch den Spitalbetreiber zu motivieren, solche Dienste zu schaffen und zu finanzieren.» [9].

Gemäss Weiterbildungsprogramm (WBP) «Schwerpunkt Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie» [10] muss der CL-Psychiater infolge der Differenzierung seines Fachgebiets als klinischer Experte an der Nahtstelle von Psyche und Soma zunehmend komplexere Qualifikationsanforderungen erfüllen. Die Aufgabengebiete sowie Behandlungsansätze werden bspw. hier beschrieben [11].

Eigenständige nationale fachliche Guidelines oder Empfehlungen betreffend struktureller, prozessualer oder Outcome-bezogener Qualitätsmerkmale in der Schweizer CLPP gibt es bis dato keine. Schlapbach und Ruflin [12] weisen aber grundsätzlich darauf hin, dass CL-Dienste im gesamten Versorgungssystem von zentraler Bedeutung sind und entsprechend gefördert werden müssen, inklusive Garantie der Verrechenbarkeit (über die Psychiatrie und/oder die Akutsomatik). Dies entspricht auch den Empfehlungen der Mental Health Task Force des National Health Service (NHS) von 2016: «By 2020/21 no acute hospital should be without all-age mental health liaison services in emergency departments and inpatient wards.» [13] sowie des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) von 2018: «Provide access to liaison psychiatry services for people with medical emergencies who have mental health problems.» [14].

Qualitätsanforderungen an Organisationseinheiten der CLPP

Unter Berücksichtigung des Leistungs- und Behandlungsauftrags sowie der Funktion der CLPP-Organisationseinheit sollten Qualitätsstandards erfüllt werden. Diese können an unterschiedlichen Stellen beschrieben sein und leiten sich beispielsweise ab aus den fachspezifischen oder fachverwandten An­-
f­orderungen für die Berechtigung zur Abrechnung von OKP-Leistungen, aus nationalen und internationalen fachlichen Guidelines und/oder Best Practice Empfehlungen sowie im CLPP-Bereich insbesondere aus den durch das Schweizer Institut für Weiter- und Fortbildung (SIWF) in Kraft gesetzte WBP und den dort beschriebenen Anerkennungsmerkmalen für konsiliar-liaisonpsychiatrische WBS.
Im Zug der Änderungen im Art. 58 KVG wird es zu zusätzlichen Qualitätsanforderungen an psychiatrische, akutsomatische und rehabilitative Leistungserbringer kommen.

Die in der Tabelle 1 aufgeführten bestehenden und potentiell zu erweiternden Qualitätsindikatoren erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollten stetig evaluiert und weiterentwickelt werden. Die gegenwärtig in der Schweiz implementierten Qualitätsindikatoren im Bereich der CLPP stammen fast ausschliesslich aus besagtem WBP. Potentielle Erweiterungen zur Qualitätsentwicklung und Stärkung des Fachbereichs CLPP lassen sich aus den im Folgenden aufgeführten Quellen herleiten.

Qualitätsanforderungen auf der Grundlage von Modellen der integrierten Gesundheits­versorgung sowie internationaler CLPP-Standards

Die integrierte Versorgung gilt als ein zentraler Aspekt für die Qualitätsentwicklung [15]. Die integrierte Versorgung wird als bedeutsam erachtet, um das von Berwick et al. [16] postulierte Dreifachziel zu erreichen, welches die Verbesserung der individuellen Versorgung, der Bevölkerungsgesundheit sowie die Reduktion der Gesundheitskosten pro Kopf umfassen. Heath B et al. [17] schlagen zwecks Analyse und Vergleichbarkeit ein Sechs-Stufen-Modell der integrierten Versorgung vor, welches das gesamte Spektrum von minimaler über basale, enge bis hin zur vollen Kollaboration abbildet (siehe Abbildung 1). Implizit wird dabei angenommen, dass der potentiell positive Impakt mit steigendem Integrationsniveau grösser wird.

Die Standards des Psychiatric Liaison Accreditation Network (PLAN) des Royal College of Psychiatrists werden gemäss den variablen Funktionen der CLPP-Organisationseinheiten differenziert (Kernkriterien, Notfallpsychiatrie, psychiatrische Routine-Versorgung, Psychotherapie, Weiter- und Fortbildung, interdisziplinäre Routine-Versorgung). Es werden essentielle, erwartete und erwünschte Standards definiert und umfass­ende strukturelle und prozessuale sowie auch Outcome-Merkmale beschrieben [18].

Hieraus ergeben sich auch mögliche Erweiterungen der bereits etablierten Qualitätsindikatoren in Richtung Stärkung der fachspezifischen Kompetenzen in der CLPP-Organisationseinheit durch weitere spezialisierte Fachkräfte (bspw. Alterspsychiatrie, Neuropsychiatrie, intellektuelle Entwicklungsstörungen usw.). Die Förderung spezifischer Weiterbildungsgänge für nicht-ärztliches Fachpersonal ist für die Qualitätsentwicklung wünschenswert. Die Gewährleistung adäquater Räumlichkeiten und Arbeitsplätze sowie Systemzugänge stellen wichtige Anforderungen dar. Organisatorisch ist ein möglichst hohes Integrationsniveau (strategisch, operativ) mit interner und externer Vernetzung anzustreben sowie klare Zuständigkeiten, Betriebskonzepte, Prozesse inklusive KVP, Zugang zu Dolmetscher-Dienstleistungen und nicht zuletzt eine nachhaltige Finanzierung der CLPP-Einheiten. Innerhalb sogenannter Hub-and-Spoke-Modelle sollten für die Verbesserung der Zu­gäng­lichkeit, Effizienz, Rechtzeitigkeit und Integration die Implementierung telemedizinischer Angebote evaluiert werden [19, 20, 21, 22, 23].

Qualitätsanforderungen an konsiliar-liaisonpsychiatrische und psychosomatische Aspekte im WBP sowie WBS

Im Schweizerischen Weiterbildungssystem werden zur Qualitätssicherung nicht nur umfangreiche Anforderungen an die Weiterzubildenden, sondern auch an die WBS – Institutionen oder Arztpraxen – gestellt [24]. Hier sollte das gesamte Spektrum konsiliar-liaisonpsychiatrischer und psychosomatischer Fälle mit einer Mindestfallzahl pro Jahr versorgt werden. Es wird ein aktuelles Weiterbildungskonzept, in dem die für die CLPP spezifischen Lernziele bzw. Kompetenzen entsprechend den Vorgaben des SIWF abgebildet sind, sowie eine Weiterbildungsvereinbarung verlangt. In Zukunft soll die «kompetenzorientierte Weiterbildung» mittels Entrustable Professional Activities (EPA) angereichert werden [25]. Weitere Massnahmen zur Qualitätssicherung der ärztlichen Weiterbildung sind die Akkreditierung der Weiterbildungsgänge auf der Grundlage des MedBG und die daraus resultierenden Empfehlungen der Experten und der Akkreditierungsbehörden, die summative Prüfung des Erreichens der Lernziele am Ende der Weiterbildung durch die Facharztprüfungen, die Weiterbildungskonzepte der anerkannten WBS, die Assistentenumfrage (seit 2003 jährlich) sowie seit 2010 das Arbeitsplatzbasierte Assessment (Mini-CEX) mit Feedback. Zudem wurden mit dem neuen WBP von 2009 Qualitätskriterien für die Weiterbildenden, Supervisierenden, Lehrtherapeutinnen/-therapeuten, WBS und -verbünde sowie Psychotherapieinstitute eingeführt [10].

Diskussionswürdig wären bspw. die Verankerung der CLPP im WBP Psychiatrie und Psychotherapie in Form einer obligatorischen Rotation. Zudem können Erweiterungen zur Stärkung der fachspezifischen Kompetenzen durch die zusätzliche Schwerpunkt-Qualifikation der stellvertretenden Leitung, fachspezifische Kompetenzen im Bereich Alters-, Entwicklungs- und Neuropsychiatrie sowie Erhalt der somatischen Qualifikationen (obligatorisches Fremdjahr) erwogen werden. Je nach Funktion der CLPP-Organisationseinheiten kann die oben erwähnte Anforderung nach fachspezifischen Kompetenzen auch auf das nicht-ärztliche Fachpersonal erweitert werden.

Qualitätsanforderungen im Zusammenhang mit der kantonalen Spitalliste

Die Aufnahme auf die kantonale Spitalliste geht einher mit dem kantonalen Leistungsauftrag und berechtigt zur Abrechnung zu Lasten der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) sowie zum Erhalt des Kantonsbeitrags für die
stationäre Behandlung. Dazu müssen generelle und leistungs­spezifische Anforderungen erfüllt werden (bspw. Zürich [26] und Aargau [27].

In den gesetzlichen Grundlagen mit Bezug zum Handlungsfeld Qualität wird einerseits auf Art. 58 KVG hingewiesen, andererseits auf kantonale Konzepte. Die Anforderungen unterscheiden sich für einen Auftrag in der Grund- bzw. der Spezialversorgung, in der Akutsomatik, Rehabilitation oder Psychiatrie und zwischen den Kantonen erheblich im Detaillierungsgrad. Die Spitalliste ist ein wichtiges Steuerinstrument und beinhaltet mehrere Anforderungskategorien.

Zusätzlich könnten auch Qualitätsanforderungen an die Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern bzw. an die integrierte medizinisch-psychiatrische Versorgung in der Akutsomatik, Rehabilitation oder Langzeitinstitution formuliert werden. Auch die Evaluation und Festsetzung beispielsweise einer Mindestrate an stationären Fällen, die durch einen CLPP-Dienst mitbehandelt werden, könnte einen Anreiz für die Stärkung der integrierten Versorgung darstellen (bspw. 5% [28]).

Qualitätsanforderungen im Zusammenhang mit Tarifstrukturen (SwissDRG AG, TARMED)

Die Relevanz der somato-psychischen Komorbidität sowie der psychiatrischen CL-Dienste für die Qualität der Gesundheitsversorgung wird zwar sowohl fachlich wie auch politisch anerkannt, dennoch bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich Finanzierung, Organisation und damit auch Qualität und Zugänglichkeit psychiatrischer CL-Dienste in Spitälern, Rehakliniken und Langzeitinstitutionen. Zurzeit werden in der für den ambulanten Bereich gültigen Tarifstruktur TARMED sowie in den im stationären Bereich gültigen Tarifstrukturen SwissDRG und ST Reha die erforderlichen Zusatzqualifikationen sowie der erforderliche höhere Personalschlüssel für KL-Dienste nicht in ausreichendem Umfang vergütet, was eine grosse Herausforderung für den Aufbau und die Entwicklung solcher Dienste darstellt.

In den Tarifstrukturen (bspw. im Rahmen einzelner CHOP-Codes) aufgeführte Mindestmerkmale (Prozess- und Strukturkriterien) können zur Qualitätssicherung und -entwicklung beitragen. Im systematischen Verzeichnis 2022 wird bspw. unter Ziff. 94.92.2 die zurzeit allerdings noch nicht ertragsrelevante «Psychiatrisch-psychotherapeutische Konsiliar- und
Liaisonbehandlung, nach Dauer in Stunden pro Einzelleistung» aufgeführt, die spezifische strukturelle und prozessuale Mindestmerkmale umfasst. Zur Erfüllung der Vorgaben ist z.B. der Einsatz von spezifisch qualifiziertem Personal erforderlich. Auch werden Anforderungen betreffend diagnostische und therapeutische Interventionen gestellt.

Innerhalb des TARMED wurde seit dessen Einführung durch die Reduktionen des Taxpunktwerts sowie den Wegfall der finanziellen Bedeutung der Dignität die Position des psychiatrischen Konsils mehrfach geschwächt und eine kostendeckende Arbeit verunmöglicht. Auch innerhalb der vorliegenden Version der seitens einer Mehrheit der Tarifpartner erarbeiteten aber noch nicht genehmigten neuen Tarifstruktur TARDOC werden die Besonderheiten der aufsuchenden CLPP nicht adäquat berücksichtigt. Besonders negativ fallen dabei auch Vorhalteleistungen für nicht planbare Notfallsituationen sowie die oft mit erheblichem Zeitaufwand verbundenen Distanzen im aufsuchenden Setting ins Gewicht. Die fehlende Grundlage für äquivalente telemedizinische CLPP-Dienste stellt ein weiteres Hemmnis dar für die Innovation im aufsuchenden Bereich.

Verband Die Spitäler der Schweiz H+ (H+) und Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ)

Die Qualitätsstrategie von H+ begründet sich auf die Vision des Einsatzes für eine hohe, transparent ausgewiesene Qualität der Leistungen und der Patientensicherheit in den Spitälern und Kliniken sowie des Beitrags für eine kontinuierliche Qualitätssicherung und ein gemeinsames Qualitätsverständnis [29]. Die Entwicklung von Qualitätsindikatoren mit CLPP-Bezug innerhalb der Akutsomatik und Rehabilitation käme einer Stärkung der integrierten medizinisch-psychiatrischen Versorgung gleich.

Im Rahmen der regulatorischen Entwicklungen haben H+, santésuisse und curafutura im Mai 2022 gemeinsam einen Qualitätsvertrag nach Art. 58a KVG für Spitäler und Kliniken beim Bundesrat eingereicht. Der Vertrag wurde zusammen mit der Medizinaltarif-Kommission MTK erarbeitet. Gemäss ANQ berücksichtigt dieser die breite Palette bereits umgesetzter Qualitätsaktivitäten von Spitälern und Kliniken. Bestehende Strukturen wie der ANQ helfen bei der Umsetzung. Eine enge Abstimmung mit den Kantonen und deren Qualitätsvorgaben wird unterstützt [30].

Spezifische Qualitätsaspekte der CLPP, deren Einsätze im integrierten Behandlungssetting in der Akutsomatik, Rehabilitation und Langzeitinstitutionen erfolgen, wird bislang über diese Strukturen nicht abgebildet. Aufgrund der Limitation des ANQ auf die Ergebnisqualität werden strukturelle und prozessuale Qualitätsindikatoren bisher nicht hinterlegt. Der Aufbau einer Expertenkommission innerhalb H+ oder des ANQ für die Entwicklung geeigneter Qualitätsindikatoren mit Fokus auf Aspekte der CLPP in den verschiedenen Einsatzsettings wäre ein bedeutsamer Schritt für die Stärkung der integrierten medizinisch-psychiatrischen Versorgung. Darüber hinaus könnte auch die Schaffung einer eigenen CLPP-Klinikkategorie innerhalb des ANQ zu einer Qualitätsentwicklung des Schwerpunktbereichs beitragen.

Ausblick und Handlungsfelder vor dem Hintergrund der hier dargestellten Qualitätsanforderungen im Bereich CLPP

Die Anstrengungen im komplexen und vielschichtigen Feld der Qualitätssicherung und -entwicklung sollten fortgesetzt und intensiviert werden. Die detaillierte Beschreibung und stete Weiterentwicklung spezifischer struktureller, prozess- und ergebnisbezogener CLPP-Qualitätskriterien erscheint in Anbetracht der hohen Relevanz und Dynamik des Qualitätsdiskurses innerhalb des Schweizer Gesundheitswesens eine conditio sine qua non, um die CLPP-assoziierte Gesundheits-versorgung sowie das Berufsbild des CLPP-Spezialisten strukturell zu Stärken. Auch CLPP-spezifische Digitalisierungspotenziale (Augmentierte Intelligenz, eHealth, ecological momentary assessements/interventions, eKonsil im Hub-and-Spoke-Modell) sollten im Verlauf systematisch evaluiert werden.

In Anbetracht der Anforderungen hinsichtlich der fachlichen Qualifikation der involvierten Gesundheitsfachpersonen müssen der Fachkräftemangel sowie die Finanzierung als grösste Herausforderungen und zentrale Handlungsfelder postuliert werden. Einerseits werden auch in Zukunft die Verfügbarkeit von Fachkräften und die Finanzierbarkeit der Dienstleistungen entscheidend sein für die Umsetzung von Qualitätsmassnahmen. Andererseits können schwer erfüllbare Qualitätskriterien zu Limitationen der Leistungsvergütung führen. Eine zunehmende Unterfinanzierung spezifischer Angebote und Organisationseinheiten kann die strategische Aufgabe derselben zur Folge haben [12]. Aufwände für Qualitätsmassnahmen werden aktuell weder ambulant noch stationär separat vergütet, sondern als Voraussetzung für die Zulassung und Vergütung angesehen. Spitäler müssen aber durch Anreize innerhalb der Vergütungsstrukturen befähigt werden, entsprechende Dienstleistungsangebote sowie attraktive Arbeitsbedingungen zu offerieren. Stark gefordert sind auch die CL-Institutionen, Fachkräfte für die komplexe Tätigkeit in der CLPP zu gewinnen und diese als zukunftsorientierten und spannenden Fachbereich zu vermitteln.

Ein weiteres Handlungsfeld umfasst die Entwicklung nicht-ärztlicher Aus- und Weiterbildungsgänge. Die 2011 erfolgte Neuregelung der Psychologieberufe hat die Weiterbildung in Neuropsychologie und in Psychotherapie neu geordnet und gestärkt. Eine sinnvolle Option könnte die Zusammenfassung der zurzeit fragmentierten somatiknahen Bereiche wie bspw. Psychoonkologie, Psychokardiologie, Psychogynäkologie etc. inklusive Aufbau von fachübergreifenden strukturierten Weiterbildungsgängen unter dem Dach der klinischen Psychologie. Im Bereich der Pflegeberufe könnten bspw. die Entwicklung CLPP-spezifischer Advanced Practice Nurses (APN) in der Versorgung komplex medizinisch-psychiatrisch erkrankter Menschen eine interessante Option sein [31].

Im Artikel verwendete Abkürzungen
ANQ Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung
in Spitälern und Kliniken
BAG Bundesamt für Gesundheit
BV Bundesverfassung
CLPP Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie und Psychosomatik
CROM Clinician-reported outcome measures
EPA Entrustable Professional Activities
EQK Eidgenössische Qualitäts kommission
FMH Foederatio Medicorum Helveticorum
FMPP Foederatio Medicorum Psychiatricorum et Psychotherapeuticorum
H+ Verband der Spitäler
HoNOS Health of the Nation Outcome Scale
KVG Bundesgesetz über die Krankenversicherung
KVP Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
KVV Verordnung über die Krankenversicherung
PREM Patient-Related Experience Measures
PROM Patient-Related Outcome Measures
OKP Obligatorische Krankenpflegeversicherung
SAQM Schweizerische Akademie für Qualität in der Medizin
SGPP Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie
und Psychotherapie
SSCLPP Swiss Society of Conultation-Liaison Psychiatry
and Psychosomatics
SIWF Schweizerisches Institut für ärztliche Weiter-
und Fortbildung
WBP Weiterbildungsprogramm
WBS Weiterbildungsstätte
WHO World Health Organisation

Introduction

Qualité

Les nouvelles dispositions de la loi fédérale sur l’ assurance-maladie (LAMal) et de l’ ordonnance sur l’ assurance-maladie (OAMal) visant à renforcer la qualité et l’ économicité des soins sont entrées en vigueur le 1er avril 2021 [1, 2]. Ces nouvelles dispositions visent une amélioration systématique et structurée de la qualité des prestations. La stratégie de qualité [3] se base sur la stratégie globale Santé2030, édictée par le Conseil Fédéral, et complète les stratégies nationales existantes du Conseil Fédéral.
Le développement de la qualité dans le domaine des soins de santé au sens d’ un processus continu d’ amélioration (PCA) repose sur des critères de qualité internationaux bien établis : sécurité, efficacité, système centré sur le patient, réactivité, efficience, égalité des chances, intégration/coordination [4, 5]. Pour mesurer et comparer la qualité, on se concentre généralement sur les critères de qualité définis par Donabedian [6]. Ceux-ci comprennent la qualité structurelle (ressources matérielles ou humaines et structure organisationnelle), la qualité des processus (activités réalisées dans le cadre des soins de santé) et la qualité des résultats (effet des soins sur l’ état de santé des patients).

Psychiatrie et psychosomatique de consultation et de liaison (CLPP)

La CLPP se caractérise par une activité exigeante dans un système de soins complexe. En Suisse, les intérêts de la CLPP sont représentés depuis 2001 par la société de discipline médicale Swiss Society of Consultation-Liaison-Psychiatry and Psychosomatics (SSCLPP). Le développement de ce domaine spécialisé en Suisse est notamment décrit en détail dans différentes publications [7, 8, 9]. Depuis 2010, le titre de formation approfondie correspondant est attribué en Suisse. Georgescu souligne le défi pour la CLPP de « démontrer son importance économique pour les hôpitaux somatiques afin de motiver l’ exploitant de l’ hôpital à créer et à financer de tels services ». [9].

Selon le programme de formation (PF) « Formation approfondie en psychiatrie de consultation et de liaison » [10], le psychiatre de consultation et de liaison doit, en tant qu›expert clinique à l’ interface entre psyché et soma, remplir des exigences de qualification toujours plus complexes. Les domaines d’ activité ainsi que les approches thérapeutiques en lien avec cette spécialisation sont notamment décrits ici [11].

À ce jour, il n’ existe pas de directives ou de recommandations spécialisées définies à l’ échelle nationale concernant les critères de la qualité structurelle, procédurale ou des résultats dans le domaine CLPP en Suisse. Schlapbach et Ruflin [12] relèvent toutefois que les services de consultation et de liaison revêtent une importance fondamentale dans l’ ensemble du système de soins, et qu’ ils doivent être promus en conséquence, notamment au moyen d’ une garantie de la prise en charge des prestations (via la psychiatrie et/ou la médecine somatique aiguë). Une affirmation en accord avec les recommandations formulées en 2016 par la task force Mental Health de l’ organe britannique National Health Service (NHS): « By 2020/21 no acute hospital should be without all-age mental health liaison services in emergency departments and inpatient wards. » [13] ainsi qu’ avec les recommandations de 2018 du National Institute for Health and Care Excellence (NICE): « Provide access to liaison psychiatry services for people with medical emergencies who have mental health problems. » [14].

Exigences de qualité pour les unités organisationnelles de la CLPP

Les normes de qualité doivent être respectées en tenant compte du mandat de prestations et de traitement ainsi que de la fonction de l’ unité d’ organisation CLPP. Ces normes, qui peuvent être décrites à différents endroits, découlent notamment des exigences du domaine spécialisé ou apparenté à l’ autorisation de facturer des prestations AOS, des directives professionnelles nationales et internationales et/ou des recommandations de bonnes pratiques (RBP). Dans le domaine de la CLPP, elle se basent notamment sur les programmes de formation postgraduée, respectivement de formation approfondie (PF) mis en vigueur par l’ Institut suisse pour la formation postgraduée et continue (ISFM), ainsi que sur les critères de reconnaissance et de classification pour les EFP en psychiatrie de consultation et de liaison qui y sont décrits.

Dans le cadre des modifications apportées à l’ art. 58 LAMal, des exigences de qualité supplémentaires seront imposées aux fournisseurs dans les domaines de la psychiatrie, des soins somatiques aigus et de la réadaptation.

La liste des indicateurs de qualité existants et comportant un potentiel de développement présentée dans le tableau 1 n’ est pas exhaustive. Ces éléments doivent être évalués et développés en permanence. Les indicateurs de qualité actuellement mis en œuvre en Suisse dans le domaine de la CLPP proviennent presque exclusivement du PF susmentionné. Le développement de la qualité et la consolidation du domaine CLPP peuvent être renforcés au moyen des sources mentionnées ci-dessous.

Exigences de qualité basées sur des modèles de soins de santé intégrés et des normes CLPP internationales

Les soins intégrés constituent un aspect primordial du développement de la qualité [15]. Ils sont considérés comme fondamentaux pour atteindre le triple objectif postulé par Berwick et al. [16], à savoir l’ amélioration des soins prodigués à chaque patient, la santé de la population et la réduction des coûts de santé par habitant. À des fins d’ analyse et de comparaison, Heath B et al. [17] proposent un modèle à six niveaux de soins intégrés couvrant l’ éventail complet des approches, de la collaboration minimale à la collaboration totale en passant par la collaboration de base et la collaboration étroite (voir figure 1). On part du principe que l’ impact positif potentiel augmente avec le niveau d’ intégration.

Les standards du réseau Psychiatric Liaison Accreditation Network (PLAN) du Royal College of Psychiatrists sont différenciés selon les fonctions variables des unités organisationnelles CLPP (critères essentiels, psychiatrie d’ urgence, soins psychiatriques de routine, psychothérapie, formation postgraduée et continue, soins interdisciplinaires de routine). Ils établissent des normes essentielles qu’ il convient de mettre en place, et définissent les caractéristiques structurelles et procédurales complètes ainsi que les caractéristiques des résultats [18].

Cette approche ouvre la voie à un approfondissement au sein d’ autres domaines spécialisés (p. ex. psychiatrie de la personne âgée, neuropsychiatrie, troubles du développement intellectuel, etc.) qui permettrait de renforcer des compétences spécifiques au sein des unités organisationnelles CLPP. Le développement de la qualité doit passer par la promotion de filières de formation spécifiques pour le personnel non médical. L’ accès à des locaux et postes de travail adéquats ainsi qu’ aux divers systèmes constituent des exigences importantes. Sur le plan organisationnel, il convient de viser un niveau d’ intégration (stratégique, opérationnel) aussi élevé que possible, avec une mise en réseau interne comme externe ainsi que des compétences claires, des concepts de fonctionnement, des processus incluant le PCA, l’ accès aux services d’ interprétation et, enfin, un financement durable des unités CLPP. Dans le cadre des modèles « hub and spoke », la mise en œuvre d’ offres de télémédecine doit être évaluée afin d’ améliorer l’ accessibilité, l’ efficience, la réactivité et l’ intégration [19, 20, 21, 22, 23].

Exigences de qualité s’ appliquant aux aspects de psychiatrie CL dans le cadre du programme et des établissements de formation postgraduée

Dans le système suisse de formation postgraduée, l’ assurance qualité ne pose pas seulement des exigences élevées aux personnes en formation, mais aussi aux établissements et cabinets médicaux reconnus comme EFP [24]. Ceux-ci doivent assurer la prise en charge de l’ ensemble des cas CLPP à raison d’ un nombre minimal de patients par an. Le système exige un concept de formation postgraduée actuel, représentant les objectifs de formation et compétences spécifiques au domaine CLPP conformément aux directives de l’ ISFM, ainsi qu’ un contrat de formation postgraduée. À l’ avenir, la « formation postgraduée axée sur les compétences » doit être étoffée au moyen d’ EPA (Entrustable Professional Activities) [25]. L’ accréditation des programmes de formation postgraduée sur la base de la LPMéd ainsi que les recommandations des experts et des autorités d’ accréditation qui en découlent, l›examen de spécialiste sommatif de l’ atteinte des objectifs de formation à la fin de la formation postgraduée, les concepts de formation postgraduée des EFP reconnus, l’ enquête auprès des médecins-assistants (chaque année depuis 2003) et, depuis 2010, l’ évaluation en milieu de travail (Mini-CEX) avec feed-back, constituent autant d’ autres mesures visant à garantir la qualité de la formation postgraduée des médecins. En outre, le nouveau programme de formation postgraduée de 2009 a introduit des critères de qualité pour les formateurs, les superviseurs, les thérapeutes didacticiens, les EFP et les centres régionaux d’ enseignement postgradué ainsi que les instituts de psychothérapie [10].

L’ ancrage de la CLPP dans le PF en psychiatrie et psychothérapie, sous la forme d’ une rotation obligatoire, est une question qui mériterait d’ être discutée. En outre, il convient d’ envisager des mesures visant à renforcer les compétences spécifiques, notamment au moyen d’ une qualification approfondie du responsable adjoint, de compétences spécifiques dans le domaine de la psychiatrie de la personne âgée, de la psychiatrie des personnes avec troubles neurodéveloppementaux et de la neuropsychiatrie, ainsi que du maintien des qualifications somatiques (formation clinique obligatoire d’ un an dans le cadre d’ un autre spécialité). Selon la fonction des unités organisationnelles CLPP, l’ exigence de compétences spécifiques mentionnée ci-dessus peut également être étendue au personnel spécialisé non médical.

Exigences de qualité liées à la liste cantonale des hôpitaux

L’ admission sur la liste hospitalière cantonale va de pair avec le mandat de prestations cantonal, et donne droit à la facturation à la charge de l’ assurance obligatoire des soins (AOS) ainsi qu’ à l’ obtention de la contribution cantonale pour le traitement hospitalier. Pour ce faire, des exigences tant générales que spécifiques aux prestations doivent être remplies (cf. Zurich [26] et Argovie [27]).

Les bases légales se référant au champ d’ action de la qualité font référence d’ une part à l’ art. 58 LAMal, d’ autre part aux concepts cantonaux. Les exigences, plus ou moins détaillées, diffèrent considérablement d’ un mandat à l’ autre selon la nature des soins (prise en charge de base ou spécialisée, soins somatiques aigus, réadaptation ou psychiatrie) et les cantons. La liste des hôpitaux constitue un outil de pilotage important et comprend plusieurs catégories d’ exigences.

En outre, des exigences de qualité pourraient être formulées pour la collaboration avec d’ autres fournisseurs de prestations ou pour les soins médico-psychiatriques intégrés dans le domaine des soins somatiques aigus, de la réadaptation ou des établissements de long séjour. L’ évaluation et la fixation d’ un taux minimum de cas stationnaires co-traités par un service CLPP pourraient également stimuler le renforcement des soins intégrés (p. ex. 5% [28]).

Exigences de qualité liées aux structures tarifaires (SwissDRG SA, TARMED)

Si l’ importance de la comorbidité somato-psychique et des services de psychiatrie CL pour la qualité des soins de santé est reconnue tant par les professionnels que par les politiques, il existe néanmoins des différences considérables en termes de financement, d’ organisation et donc de qualité et d’ acces­sibilité des services de psychiatrie CL dans les hôpitaux, les cliniques de réadaptation et les établissements de long séjour. Actuellement, la structure tarifaire TARMED (en vigueur dans le domaine ambulatoire) ainsi que les structures tarifaires SwissDRG et ST Reha (en vigueur dans le domaine hospitalier) ne rémunèrent suffisamment ni les qualifications supplémentaires nécessaires, ni le taux élevé des effectifs requis pour les services de CL. Cette situation représente un défi majeur pour la mise en place et le développement de tels services.

Les caractéristiques minimales (critères de processus et de structure) mentionnées dans les structures tarifaires (notamment dans le cadre de certains codes CHOP) peuvent contribuer à assurer et à développer la qualité. L’ index systématique 2022 définit p. ex. la sous-catégorie 94.92.2 « Traitement psychiatrique et psychothérapeutique de consilium et de liaison, selon la durée en heures par prestation », qui n’ a actuellement pas encore d’ incidence sur les recettes. Celle-ci comprend des caractéristiques minimales spécifiques en termes de structure et de processus. Pour satisfaire aux exigences, il est notamment nécessaire de recourir à du personnel spécialement formé. Des exigences sont également posées en ce qui concerne les interventions diagnostiques et thérapeutiques.

Depuis l’ introduction du TARMED, les réductions de la valeur du point tarifaire et la suppression de l’ importance financière de la valeur intrinsèque qualitative ont affaibli à plusieurs reprises la position des consultations psychiatriques et rendu tout travail rentable impossible. Même dans la version actuelle de la nouvelle structure tarifaire TARDOC, élaborée par une majorité des partenaires tarifaires mais pas encore approuvée, les particularités des services CLPP de proximité ne sont pas prises en compte de manière adéquate. Les prestations de base fixes pour les urgences non planifiables ainsi que les distances, souvent liées à un investissement en temps considérable dans le cadre d’ un service de proximité, ont un impact particulièrement négatif. L’ absence d’ un cadre appropriée pour des services de télémédecine équivalents constitue un autre obstacle à l’ innovation dans le domaine du traitement de proximité.

Association H+ Les Hôpitaux de Suisse (H+) et Association nationale pour le développement de la qualité dans les hôpitaux et les cliniques (ANQ)

La stratégie qualité H+ se fonde sur la vision d’ un engagement visant à ce que la qualité et la sécurité des prestations fournies aux patients par les hôpitaux, les cliniques et les institutions de soins soient de haut niveau et transparentes, ainsi que sur la contribution à un processus continu d’ assurance de la qualité et à une conception commune de la qualité [29]. Développer des indicateurs de qualité se référant au domaine CLPP au sein des soins somatiques aigus et de la réadaptation reviendrait à renforcer les soins médico-psychiatriques intégrés.

En mai 2022, dans le cadre des changements réglementaires, H+, santésuisse et curafutura ont soumis au Conseil fédéral un contrat qualité pour les hôpitaux et les cliniques selon l’ art. 58a LAMal. Le contrat a été élaboré en collaboration avec la Commission des tarifs médicaux CTM. Selon l’ ANQ, il tient compte de la large palette de mesures de qualité déjà appliquées par les hôpitaux et les cliniques. Les structures telles que l’ ANQ contribuent à une bonne mise en œuvre. Une coordination étroite avec les cantons et leurs prescriptions en matière de qualité est soutenue [30].

Les aspects qualitatifs spécifiques aux services CLPP, dont les interventions ont lieu dans le cadre d’ un traitement intégré en soins somatiques aigus, en réadaptation et dans les établissements de long séjour, ne sont jusqu’ à présent pas représentés par ces structures. En raison de la limitation de l’ ANQ à la qualité des résultats, les indicateurs de qualité structurels et procéduraux ne sont pas encore définis. La création d’ une commission d’ experts au sein de H+ ou de l’ ANQ pour développer des indicateurs de qualité appropriés, axés sur les aspects de la CLPP dans les différents cadres d’ intervention, constituerait une étape importante pour le renforcement des soins médico-psychiatriques intégrés. En outre, la création d’ une catégorie de cliniques CLPP au sein de l’ ANQ pourrait également contribuer au développement de la qualité du domaine spécialisé.

Perspectives et champs d’ action à la lumière des exigences de qualité en matière de CLPP exposées dans le présent rapport

Il convient de poursuivre et de renforcer les efforts fournis dans le domaine complexe et multidimensionnel que sont l’ assurance et le développement de la qualité. Compte tenu de la pertinence et de la dynamique du discours sur la qualité au sein du système de santé suisse, la description détaillée et le développement constant de critères de qualité spécifiques aux services CLPP, qu’ ils soient structurelles, des processus ou des résultats, semblent être une condition sine qua non pour renforcer structurellement les soins de santé relevant du domaine CLPP ainsi que le profil professionnel de spécialiste CLPP. Les potentiels de numérisation spécifiques au domaine CLPP (intelligence augmentée, eHealth, ecological momentary assessements/interventions, conseil en ligne selon le modèle « hub and spoke ») devraient également être évalués systématiquement au cours du processus.

Compte tenu des exigences en matière de qualification professionnelle que les professionnels de la santé impliqués doivent remplir, la pénurie de personnel qualifié ainsi que le financement doivent être considérés comme les plus grands défis et les principaux champs d’ action. D’ une part, la disponibilité de personnel qualifié et la viabilité financière des prestations resteront des facteurs décisifs pour la mise en œuvre de mesures de qualité. D’ autre part, des critères de qualité difficiles à remplir peuvent entraîner des limitations dans le remboursement des prestations. Un sous-financement croissant d’ offres et d’ unités organisationnelles spécifiques peut entraîner leur abandon stratégique [12]. À l’ heure actuelle, les dépenses liées aux mesures de qualité ne sont rémunérées séparément ni en ambulatoire ni en stationnaire, mais sont considérées comme une condition préalable à l’ admission et au remboursement. Les hôpitaux doivent cependant être incités, dans le cadre des structures de rémunération, à proposer des offres de prestations de services correspondantes ainsi que des conditions de travail attrayantes. Les institutions de CLPP sont également fortement sollicitées pour attirer des spécialistes vers l’ activité complexe de la CLPP, qu’ il convient de présenter comme un domaine spécialisé passionnant et orienté vers l’ avenir.

Un autre champ d’ action comprend le développement de filières de formation prégraduée et continue non médicales. La nouvelle réglementation des professions de la psychologie de 2011 a permis de réorganiser et de renforcer la formation continue en neuropsychologie et en psychothérapie. Une option judicieuse pourrait être de regrouper des domaines proches de la médecine somatique actuellement fragmentés, tels que la psycho-oncologie, la psycho-cardiologie, la psycho-gynécologie, etc., et de mettre en place des filières de formation postgrade structurées et interdisciplinaires sous l’ égide de la psychologie clinique. Dans le domaine des professions de la santé, la formation d’ infirmières ou infirmiers de pratique avancée (Advanced Practice Nurse – APN) spécialisés dans les services CLPP, pouvant assurer la prise en charge de personnes atteintes de maladies psychiatriques complexes, pourrait être une option intéressante [31 ].

Abréviations utilisées dans l’ article
ANQ Association nationale pour le développement de la qualité
dans les hôpitaux et les cliniques
OFSP Office fédéral de la santé publique
Cst. Constitution fédérale de la Confédération suisse
CLPP Psychiatrie et psychosomatique de consultation et de liaison
CROMs Clinician-reported outcome measures (mesures des
résultats rapportés par les cliniciens)
EPAs Entrustable Professional Activities (Activités
Professionnelles Confiables)
CFQ Commission fédérale pour la qualité
FMH Foederatio Medicorum Helveticorum
FMPP Foederatio Medicorum Psychiatricorum et
Psychotherapeuticorum
H+ Les Hôpitaux de Suisse : association des hôpitaux,
cliniques, institutions de soins et de réadaptation suisses
HoNOS Health of the Nation Outcome Scales
LAMal Loi fédérale sur l’ assurance-maladie
PCA Processus continu d’ amélioration
OAMal Ordonnance sur l‘assurance-maladie
PREMs Patient-Reported Experience Measures (mesures de
l’ expérience des soins vécus par les patients)’
PROMs Patient-Related Outcome Measures (mesures des résultats
de soins perçus par les patients)
AOS Assurance obligatoire des soins
ASQM Académie suisse pour la qualité en médecine
SSPP Société suisse de psychiatrie et psychothérapie
SSCLPP Swiss Society of Conultation-Liaison Psychiatry and
Psychoso­matics (Société Suisse de Psychiatrie de Liaison
et Psychosomatique)
ISFM Institut suisse pour la formation médicale postgraduée
et continue
PF Programme de formation postgraduée ou approfondie
EFP Établissements de formation postgraduée
OMS Organisation mondiale de la Santé
Dr. med. Rafael Meyer

Psychiatrische Dienste Aargau AG
Klinik für Konsiliar-, Alters- und Neuropsychiatrie
Husmatt 1
5405 Baden-Dättwil

rafael.meyer@pdag.ch

Dr. med. Dan Georgescu

Klinik für Konsiliar-, Alters- und Neuropsychiatrie
Psychiatrische Dienste Aargau AG
Königsfelderstrasse 1
5210 Windisch

Historie

  • Manuskript eingereicht: 06.06.2023
    Manuskript akzeptiert: 30.08.2023

Danksagung

Wir danken AgNovos Healthcare, USA, für die finanzielle Unterstützung bei der Durchführung der Qualitätssicherungsmassnahme. Wir bedanken uns bei Frau Irina Fischer für das Korrekturlesen und die Unterstützung beim Editieren. Wir bedanken uns bei Mr. James Pilachowski für die digitale Umsetzung der Abbildungen.

Interessenskonflikte

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historique
Manuscrit obtenu : 06.06.2023
Manuscrit accepté : 30.08.2023

Remerciements
Nous remercions AgNovos Healthcare, USA, pour son soutien financier à la réalisation de la mesure d’ assurance qualité. Nous remercions Mme Irina Fischer pour la relecture et l’ aide à l’ édition. Nous remercions M. James Pilachowski pour la réalisation numérique des illustrations.

Conflits d’ intérêts
Il n’ y a pas de conflits d’ intérêts.

  • Es besteht eine umfangreiche Sammlung an implementierten und potentiell implementierbaren Qualitätsanforderungen für den Versorgungsbereich der CLPP.
  • Im Sinne der Patientinnen und Patienten sowie des CLPP-Berufsfelds sind Qualitätsanforderungen und deren stetige Weiterentwicklung zu begrüssen. Diese sollten auch nicht-ärztliche Berufsgruppen, Digitalisierungsoptionen sowie die CL-Versorgung verschiedener Langzeitinstitutionen (Pflegeheime, Einrichtungen für Personen mit Behinderung u.a.) umfassen.
  • Mangelnde finanzielle und personelle Ressourcen erschweren die Umsetzung der Qualitätsanforderungen. Hier sind Politik, Institutionen, WBS und Führungskräfte gefordert.
  • Die strukturelle Verknüpfung der Qualitätsanforderungen mit Vergütungseffekten über Tarifstrukturen, Zulassungseffekten über kantonale Spitallisten und ANQ-Indikatoren ist zusätzlich zu den WBS-Kriterien ein möglicher Weg zur Stärkung der integrierten Versorgung im Kontext der CLPP-Tätigkeiten.
  • De nombreuses exigences de qualité relatives au domaine des soins CLPP sont déjà implémentées ou pourraient l’ être.
  • Dans l’ intérêt des patients ainsi que des professions du domaine CLPP, les exigences de qualité et leur développement constant doivent être salués. Ce travail devrait également inclure les groupes professionnels non médicaux, les solutions numériques ainsi que les services en psychiatrie CL au sein d’ établissements de long séjour (notamment EMS, structures accueillant des personnes handicapées).
  • Le manque de ressources financières et humaines complique la mise en œuvre des exigences de qualité. Les acteurs politiques, les établissements, le EFP et les cadres sont sollicités dans ce contexte.
  • Outre les critères EFP, le rattachement structurel des exigences de qualité aux effets de rémunération via les structures tarifaires, aux effets d’ admission via les listes hospitalières cantonales et aux indicateurs ANQ constitue une approche possible pour renforcer les soins intégrés dans le contexte des activités CLPP.

1. Bundesgesetz vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung (KVG: SR 832.10)
2. Bundesverordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung (KVV: SR 832.102)
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30. Nationaler Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ). FAQ ANQ. Bern; ANQ. https://www.anq.ch/de/anq/faq-anq/; letzter Zugriff: 14.12.2022.
31. Hospital Authority Institute of Health Care. Post-registration Certifi­cate Course in Psychiatric Consultation Liaison Nursing. Hong Kong: 2022. https://www.ihc.ha.org.hk/Images/r1654662156837/(Course_Info)_PRCC_in_Psychiatric_Consultation_Liaison_Nursing_(16.12. 2021-01.09.2022_deferred_to_03.11.2022)(V17__2022.05.25).pdf; letzter Zugriff: 14.12.2022.

Freiheitsbeschränkende Massnahmen in der Alterspsychiatrie

Freiheitsbeschränkende Massnahmen (FbM) umfassen bewegungseinschränkende Massnahmen und die Behandlung ohne Zustimmung (BoZ) entsprechend dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB). In der stationären Alterspsychiatrie werden häufig nicht urteilsfähige Patientinnen und Patienten behandelt, die neben der psychischen Erkrankung somatisch multimorbid sind. Bei dieser Patientengruppe kommen wiederholt bewegungseinschränkende Massnahmen zur Sturzprävention und Isolationen aufgrund von Hygienevorschriften bei Infektionskrankheiten zum Einsatz und es werden BoZ durchgeführt, die von den Betroffenen ohne erkennbare Ablehnung toleriert werden, die aber wegen der fehlenden Zustimmung als FbM zu erfassen sind. Der Nationale Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) hat die Alterspsychiatrie neu als eigene Klinikkategorie eingeführt. Wir nehmen dies als Anlass, insbesondere auch FbM in dieser Klinikkategorie differenziert zu betrachten.

Einleitung

In der stationären Alterspsychiatrie (AP) werden insbesondere bei den auf den kantonalen Spitallisten verzeichneten psychiatrischen Grundversorgern zahlreiche Patientinnen und Patienten behandelt, die aufgrund erheblicher kognitiver Einschränkungen umfassend und dauerhaft nicht urteilsfähig sind. Regelmässig ist eine Agitiertheit verbunden mit Aggressivität im Rahmen von Delirien der Grund für einen akutpsychiatrischen Spitaleintritt. Oft liegt gleichzeitig eine erhebliche krankheits- und/oder medikamentös bedingte Sturzneigung vor, deren Risiko die Patientinnen und Patienten aufgrund ihrer Urteilsunfähigkeit nicht ausreichend oder gar nicht einschätzen können. Aus den genannten Gründen ist bei diesen Patientinnen und Patienten häufig über den Einsatz von bewegungseinschränkenden Massnahmen und die Behandlung ohne Zustimmung (BoZ) zu entscheiden. Begrifflich zusammengefasst werden beide als Freiheitsbeschränkende Massnahmen (FbM). Wegen der fehlenden rechtsgültigen Zustimmung, erfolgt auch ohne erkennbare verbale oder physische Ablehnung die Erfassung als freiheitsbeschränkende Massnahme. Diese im Hinblick auf ihre Invasivität sehr heterogenen Massnahmen sollen hier mit einem Fokus aus der Perspektive der AP diskutiert werden.

Begriffsdefinitionen und rechtliche Grundlagen

Rechtlich relevant sind – trotz ihres rechtlich unterschiedlichen Status – neben dem ZGB die medizin-ethischen Richtlinien «Zwangsmassnahmen in der Medizin» (2015) der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), die über das ärztliche Standesrecht bindend sind («Soft Law»).
In diesem Text verwenden wir den Begriff der FbM entsprechend der Definition des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (Association ­nationale pour le développement de la qualité dans les hôpitaux et les cliniques; ANQ)1. Spitäler und Kliniken sind freiwillig einem Vertrag, der auf gesetzlichen Grundlagen basiert, mit dem ANQ beigetreten mit dem Ziel, FbM entsprechend den Vorgaben des ANQ zu erfassen. Die Begrifflichkeit des ANQ ist deshalb in den Institutionen stark präsent. Begriffe wie «Zwangsmassnahmen» werden jedoch weder im ZGB noch beim ANQ verwendet.
Der Begriff der FbM ist dabei weniger als Oberbegriff im formalrechtlichen Sinne anzusehen, sondern dient der Zusammenfassung der zu erfassenden Massnahmen. Die Rechtsgrundlage bzw. der Rahmen für eine FbM ist in der AP typischerweise die Fürsorgerische Unterbringung (FU). Das ZGB enthält einen Abschnitt mit den Artikeln 426 bis 439 zur Regelung der FU. Grundsätzlich möglich und für die AP relevant, kann eine FU auch mit schwerer Verwahrlosung begründet werden, wobei sie dann ohne Behandlungsziel und somit lediglich zur Betreuung erfolgt (Art. 426, Abs. 1) sofern die Verhältnismässigkeit gegeben ist und nicht z.B. die häusliche Unterstützung oder Platzierung in einer Pflegeeinrichtung geeigneter wäre.
Zu den FbM nach ANQ-Definition zählen bewegungseinschränkende Massnahmen nach Art. 383 ff und 438 ZGB und die BoZ nach Art. 434 ZGB (mit FU) und 379 und 435 ZGB (ohne FU, z.B. wenn die anfechtbare Verfügung erst nach einer notfallmässigen Intervention verfügt werden kann).
Willigt eine urteilsfähige Person in eine FbM ein, gilt dies nicht als Zwangsmassnahme. Zu beachten ist aber, dass die Einwilligung einer nicht-urteilsfähigen Person nicht als rechtsgültig anzusehen ist. Für die Bewertung unter ethischen Gesichtspunkten spielt eine solche Einwilligung einer urteilsunfähigen Person aber durchaus eine Rolle.
Die BoZ gilt als stärkste FbM. Die Behandlung darf deshalb nur bei betreffend die Behandlung nicht urteilsfähigen
Personen erfolgen. Es muss zudem eine ernsthafte Gefährdung und eine Verhältnismässigkeit der Massnahme vor­liegen. Auch die BoZ wird zumeist im Rahmen einer FU oder im Notfall durchgeführt. Findet diese Behandlung einer psychischen Erkrankung in einer psychiatrischen Einrichtung statt, liegen die Entscheidungen nicht bei den vertretungsberechtigten Personen, sondern bei den behandelnden Chefärztinnen und -ärzten2. Erforderlich ist jedoch ein Behandlungsplan (Art. 433), welcher unter Beizug der betroffenen Person und ggf. ihrer Vertrauensperson zu erstellen ist. Der Behandlungsplan stellt die Grundlage für eine BoZ dar. Die gesetzlichen Anforderungen an den Behandlungsplan sind hoch und umfassen Gründe, Zweck, Art, Modalitäten, Risiken und Nebenwirkungen der geplanten medizinischen Massnahme, sowie Angaben über Folgen eines Unterlassens der Behandlung und über allfällige alternative Behandlungsmöglichkeiten. Viele Patientinnen und Patienten der AP dürften deshalb für die Zustimmung urteilsunfähig sein.
Von grosser Bedeutung für die rechtliche Bewertung ist die Definition von Zwang. Im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen wird der Begriff «Zwang» im ZGB nicht verwendet. Für eine ethische Bewertung und die Invasivität der Massnahme ist aber die Unterscheidung zwischen der Behandlung mit Einwilligung der betroffenen nicht-urteilsfähigen Person und deren aktivem Widerstand sehr wichtig. Die Notwendigkeit der Zustimmung hat für die AP weitreichende Konsequenzen, da sie von urteilsunfähigen Personen mit schweren kognitiven Defiziten weder rechtsgültig noch im Sinne einer eindeutigen Willens­bekundung erteilt werden kann. Dies beginnt schon beim Spitaleintritt, der aufgrund der fehlenden eindeutigen Zustimmung oft im Rahmen einer FU erfolgt, die auch die Aufnahme auf einer geschlossenen Station umfasst, was dann auch eine Einschränkung der persönlichen Freiheit darstellt. Diese Patientinnen und Patienten können sodann auch nicht in die weiteren FbM, wie beispielsweise dies bei sturzpräventiven Fixierungen am Stuhl mittels Softgurt, einwilligen. Aus diesem Grund sind auch diese Massnahmen als FbM zu erfassen. Es spielt dabei keine Rolle, wenn diese FbM von den Patientinnen und Patienten gar nicht bemerkt werden, was sehr häufig der Fall ist.

Erfassung von FbM

Stationäre psychiatrische Behandlungseinrichtungen sind gesetzlich verpflichtet, FbM zu dokumentieren. Zuständig für die zentrale Erfassung ist der ANQ. Die folgenden FbM werden erfasst und für ein Benchmarking ausgewertet.

• Isolation (psychiatrisch vs. infektiologisch/somatisch)
• Fixierungen
• Zwangsmedikation (oral vs.Injektion)
• Festhalten
• Bewegungseinschränkungen im Stuhl
• Bewegungseinschränkungen im Bett

Für jede Massnahme sind jeweils Beginn und Ende zu erfassen (nur Zeitpunkt für die BoZ). Es existieren noch zahlreiche weitere Massnahmen, welche von der Definition der FbM der ANQ nicht erfasst werden. Diese Massnahmen, wie zum Beispiel die 1:1-Betreuung oder Ausgangsbeschränkungen greifen ebenfalls in die persönliche Freiheit ein. Sie entsprechen als freiheitseinschränkende Massnahmen einer weiter gefassten Definition der
FbM3.
Da die AP erst seit 2023 eine eigene Klinikkategorie im ANQ-System bildet, liegen wenig Daten zu Häufigkeiten in der AP vor. Im Durchschnitt sind etwa 11% der in ­stationärer Behandlung bei einem psychiatrischen Grundversorger befindlichen Patientinnen und Patienten von einer FbM betroffen [1]. Der ANQ erhebt keine Daten zu FbM in der Akutsomatik. Im Rahmen von Studien erhobene Daten aus der Schweiz weisen auf nur leicht niedrigere Raten hin, wenn der im Durchschnitt deutlich kürzere Aufenthalt im Spital berücksichtigt wird [2].

Bewegungseinschränkende Massnahmen

Wie bereits ausgeführt umfasst der Begriff der FbM die BoZ und die bewegungseinschränkenden Massnahmen. Unter letzteren versteht man mechanische Massnahmen, die nicht primär der Behandlung, sondern der Abwendung von Schaden für die Patientin bzw. den Patienten oder Dritte dienen. Gesetzlich geregelt ist diese Gruppe von Massnahmen in Art. 383 ZGB der primär formuliert wurde für Wohn- und Pflegeeinrichtungen. Zu den Voraussetzungen zählen die akute Eigen- oder Fremdgefährdung, zudem dürfen
keine weniger invasiven Alternativen geeignet sein. Die betroffene Person muss vorgängig informiert werden und die Massnahme muss zeitlich so kurz wie möglich gehalten werden, zudem regelt Art. 384 ZGB die Pflichten bei der Dokumentation. Im Sinne des Erwachsenenschutzrechts bzw. des ZGB gehören medikamentös verursachte Bewegungseinschränkungen nicht zu den Bewegungseinschränkungen nach Art. 383 ZGB, sondern stellen eine medizinische Massnahme dar.

Bewegungseinschränkung zur Sturzprävention

Stürze im Alter sind häufig und haben unterschiedliche Gründe. Diese umfassen Störungen der Sensorik (Hindernisse werden übersehen; Bodenunebenheiten schlechter gespürt etc.), des Bewegungsapparats (Muskelschwund verhindert rasche Ausgleichsbewegungen) und ausserdem verursachen Hirnerkrankungen (z.B. Demenzen) Störungen der Koordination. Kognitive Störungen erhöhen jedoch nicht nur die Sturzhäufigkeit sondern auch das Risiko sich bei Stürzen zu verletzen [3]. Diese Faktoren bestehen dauerhaft, können aber z.B. durch Physiotherapie, Sehhilfen etc. abgeschwächt werden. Insbesondere in der stationären Akutalterspsychiatrie kommen jedoch weitere Faktoren dazu: Hierzu gehört die akute psychische Erkrankung, die verbunden mit z.B. Bewegungsdrang, akuter Verwirrtheit oder Halluzinationen, die Sturzgefahr erhöht. Hinzu kommen zahlreiche Psychopharmaka mit Stürzen als unerwünschte Medikamentenwirkung. Beobachtungsstudien aus der alterspsychiatrischen Akutalterspsychiatrie zeigen entsprechend auch hohe Sturzhäufigkeiten von 17 Stürzen pro 1000 Pflegetagen [4]. Internationale Empfehlungen schlagen ein multifaktorielles Assessment der Sturzneigung vor. Dies umfasst z.B. die Erfragung von Stürzen in der Vorgeschichte, den klinischen Eindruck und den Einsatz von Fragebögen zur Sturzangst [5]. Präventiv wird in erster Linie auf Schulungen verwiesen, die sich bei kognitiv beeinträchtigen Personen primär an das Umfeld richten. Grosse Bedeutung haben aber auch die Umgebungsgestaltung (Vermeidung der Stolperfallen, gute Beleuchtung), die Bewegung und die Physiotherapie.
Neben den genannten therapeutischen Ansätzen werden auch bewegungseinschränkende Massnahmen zur Reduktion der Sturzgefährdung eingesetzt. Von besonderer
Bedeutung in der AP sind mechanische Bewegungseinschränkungen wie beispielsweise Softgurte und Steckbretter an Rollstühlen. Nur noch selten im Einsatz sind Bettgitter, da diese die Sturzhöhe vergrössern. Eine Klingelmatte  liegt vor dem Bett der Patientinnen und Patienten und alarmiert (z.B. über Funk) das Pflegeteam sobald jemand drauftritt. Der Einsatz von Klingelmatten zeigt beispielhaft, wie unterschiedlich die Sicht auf derartige Massnahmen ist. In einigen Institutionen wird sie als FbM erfasst. Für den ANQ fällt sie aber nicht in diese Kategorie, da diese Massnahme als wenig invasiv gilt und zudem hilft, invasivere Massnahmen (insb. die Fixierung am Bett) zu verhindern. Die Klingelmatte ist keine Bewegungseinschränkung, wenn sie nur dazu dient, dass Patientinnen und Patienten Hilfe beim Aufstehen erhalten. Vom Einzelfall abhängig ist der Einsatz von tiefen Stühlen und Sofas sowie Sitzsäcken und Bodenbetten, die für gebrechliche Patientinnen und Patienten das Aufstehen unmöglich machen können und deshalb im konkreten Fall als bewegungseinschränkende Massnahmen im Sinne des ZGB anzusehen sind.

Ausgangsbeschränkungen und weitere bewegungseinschränkende Massnahmen

Beschränkungen des Ausgangs sind häufige Massnahmen in der stationären Psychiatrie, beispielsweise wenn eine suizidale Patientin bzw. ein suizidaler Patient nicht ohne geeignete Begleitung oder nur mit zeitlicher Begrenzung die Station verlassen darf. In der AP werden Ausgangsbeschränkungen und dauerhaft geschlossene («geschützte») Stationen häufig eingesetzt, wenn Patientinnen und Patienten aufgrund von Desorientiertheit nicht alleine auf die Station zurückfinden bzw. sich verirren können oder davon ausgegangen werden muss, dass im Ausgang eine hohe Gefährdung durch Stürze besteht. Da diese Form der FbM nicht explizit vom ANQ erfasst wird, steht sie weniger in der Diskussion. Für den Teil der Patientinnen und Patienten mit fehlender Krankheitseinsicht ist diese Massnahme jedoch eine relevante Einschränkung. Dies gilt auch für weitere von der SAMW aufgelistete Massnahmen, wie z.B. die Beschränkung von Besuchsmöglichkeiten, der Zugang zu gesundheitsschädlichen Genussmitteln oder auch der Entzug des Mobiltelefons. Häufiger in der Somatik aber auch in der stationären Psychiatrie vorkommend sind bewegungseinschränkende Massnahmen mit dem Ziel, z.B. die ­Entfernung von Infusionsbesteck, einer Nasensonde oder einem Blasenkatheter zu verhindern.

Bewegungseinschränkende Massnahmen aufgrund infektiologischer Gesichtspunkte

Nicht nur die COVID-Pandemie, sondern auch andere infektiologische Erkrankungen (z.B. Norovirus) machen Isolationen von Patientinnen und Patienten erforderlich, die aufgrund der fehlenden Urteilsfähigkeit den Sinn der Massnahme nicht verstehen und deshalb eine FbM bei ANQ zu erfassen ist. Anders als Bewegungseinschränkungen aus psychiatrischer Sicht werden diese aufgrund einer infektiologischen Indikation verordnet und können meist nicht durch andere Massnahmen verhindert werden. Hier bestehen Überschneidungen mit der weiter oben erwähnten Ausgangsbeschränkung, wenn z.B. ganze Stationen isoliert werden müssen.

Folgen bewegungseinschränkender Massnahmen für ältere Menschen

Beim Einsatz von bewegungseinschränkenden Massnahmen zur Sturzvermeidung ist jeweils zwischen den Folgen durch Stürze (Verletzungen, Sturzangst) und den psychischen und somatischen Nachteilen durch die Massnahme abzuwägen. Sobald durch die Beschränkung eine gewohnte Bewegung nicht mehr möglich ist (z.B. das Aufstehen bei Fixierung mit Softgurt), kann dies zu Verunsicherung und Unruhe führen. Auch die soziale Teilhabe kann gefährdet sein, wenn Personen abseits vom Stationsgeschehen fixiert werden. Zu beachten sind aber auch nachteilige Folgen direkt durch die Immobilisierung. Diese reichen von Thrombosen über erheblichen Muskelschwund und Krafteinbussen bis hin zu einer längerfristig erhöhten Sturzneigung, weil Bewegungsabläufe nicht mehr trainiert werden. Gerade im akutpsychiatrischen Setting, mit den oft durchgeführten raschen Medikamentenumstellungen muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass die Sturzneigung kurzfristig erheblich erhöht sein kann. Es liegen jedoch keine Daten aus dem Akutsetting vor, die den Nutzen bewegungseinschränkender Massnahmen für die längerfristige Mobilität belegen [6]. Eher können sie Risikofaktor für Stürze sein [7]. Stürze sind zwar im alterspsychiatrischen Setting aufgrund der Patientencharakteristika und des akuten Zustandsbildes häufig, doch die Folgen von Stürzen scheinen in den meisten Fällen nicht schwer zu sein [8]. Weiter kommen Stürze häufig beim Transfer und im eigenen Zimmer vor [8, 9], was nur bedingt durch bewegungseinschränkende Massnahmen verhindert werden kann.
Oft sind es die Pflegefachpersonen, die Ärztinnen und Ärzten Empfehlungen für oder gegen bewegungseinschränkende Massnahmen abgeben [10]. Im Vordergrund steht dabei das Verantwortungsgefühl für die unmittelbare Sicherheit der Patientinnen und Patienten und weniger die mittel- und langfristigen Folgen [11,12].
Befragungen zur rückblickenden Betrachtung von Bewegungseinschränkungen bei dementiell veränderten Menschen sind naturgemäss schwierig. Erhebungen bei nicht-dementen Patientinnen und Patienten unter 65 Jahren weisen zumindest darauf hin, dass ältere Betroffene Bewegungseinschränkungen kritischer sehen als jüngere [13]. Diese Befragungen sind wichtig, weil sie einschätzen helfen, ob die Massnahmen im Sinne der Patientin bzw. des Patienten waren.

Alternativen zu bewegungs­einschränkenden Massnahmen

Aufgrund der negativen Folgen von mechanischen bewegungseinschränkenden Massnahmen ist es wichtig, Alternativen zu berücksichtigen. Präferiert sind Verfahren, die weniger invasiv sind als Bewegungseinschränkungen an Bett oder Stuhl. Hierzu zählen z.B. die verschiedenen Ansätze der basalen Stimulation der Sinne (Massage, Aromen, gleichmässige Bewegungen). Die Evidenz basiert jedoch oft nur auf der klinischen Erfahrung. Insbesondere bei der akuten Sturzgefahr muss als Alternative häufig auf die 1:1-Betreuung zurückgegriffen werden. Bei dieser wird die Patientin oder der Patient durchgehend von Personal begleitet, welches z.B. beim Aufstehen aus dem Rollstuhl eingreifen kann. Dies ist verbunden mit hohen organisatorischen und finanziellen Aufwänden für die Klinik. Für einen Teil der Patientinnen und Patienten ist diese Massnahme zudem aufgrund der ständigen Beobachtung durch eine physisch vorhandene Person unangenehm und wird als invasiv empfunden. Beim ANQ wird dies jedoch nicht als FbM erfasst. Insbesondere beim Einsatz von Bewegungseinschränkung zur Sturzprävention ist deshalb der Einbezug des Umfelds wichtig. Dies einerseits, um die vermutete Präferenz der Patientin bzw. des Patienten zu klären (soweit aus der Verhaltensbeobachtung nicht bereits abzuleiten) und andererseits, um im Falle von schwerwiegenden Sturzverletzungen Rechtssicherheit zu haben. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Kampagne «Laufen Lassen» der Fachgesellschaft Gerontologische Pflege [14].

Behandlung ohne Zustimmung

Während bewegungseinschränkende Massnahmen primär der Abwehr von Selbst- oder Fremdgefährdung dienen, kann auch eine Behandlung der Krankheit ohne die Zustimmung des Patienten erfolgen. Wie bereits ausgeführt sind hierfür die gesetzlichen Anforderungen besonders hoch. Aus Sicht der SAMW kann in der Praxis zwischen einer Medikation zur Therapie und einer Medikamentengabe zur Verhinderung insb. von Fremdgefährlichkeit unterschieden werden.

Medikamentenabgabe

Medikamentöse Behandlungen bei urteilsunfähigen Patientinnen bzw. Patienten unterscheiden sich anhand ihrer Invasivität (von Überredung bis hin zur intramuskulären oder gar intravenösen Gabe gegen körperlichen Widerstand). In der AP geht es häufig um Behandlungen, die zwar ohne explizite bzw. rechtgültige Zustimmung aber auch ohne
ersichtliche Ablehnung erfolgen. Ein Beispiel ist die selbstständige Einnahme einer angebotenen Tablette durch einen nicht-urteilsfähigen Patienten. Unter Umständen ist für diesen Patienten oder diese Patientin nicht klar, dass es sich um eine Tablette handelt. Da es sich um eine BoZ handelt, ist der weiter oben bereits dargestellte Behandlungsplan auch hier von zentraler Bedeutung. Ethisch herausfordernd ist auch der Umgang mit der verdeckten Medikamentenabgabe, bei der diese z.B. flüssig oder gemörsert mit der Nahrung gegeben werden. Entsprechend den Richtlinien der SAMW [15] muss hier unterschieden werden zwischen Situationen, in denen der Patient zustimmt bzw. die Zustimmung angenommen werden kann, und solchen, in denen die Ablehnung des Medikaments erklärt wurde oder vermutet werden muss. Hier liegt neben der «fürsorgerischen Täuschung» eine Zwangsmassnahme vor, die entweder mit einem Notfallentscheid oder einem elektiven Entscheid (gegebene Behandlungsbedürftigkeit gemäss Art. 434 ZGB) begründet werden muss. Unterschiedlich geregelt sind die erforderlichen Zustimmungen zwischen medikamentösen Behandlungen einer somatischen bzw. einer psychischen Erkrankung im stationären Bereich einer psychiatrischen Einrichtung. Nur für die somatische Behandlung gilt das medizinische Vertretungsrecht. In beiden Fällen zu berücksichtigen ist aber eine Patientenverfügung.

Positionen zu den Herausforderungen

Die Durchführung von Massnahmen gegen den Willen stellt einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar und ist daher zu Recht mit hohen Anforderungen verknüpft. Eine Abgrenzung von Massnahmen, die ohne Zustimmung aber auch ohne Ablehnung durchgeführt werden, erscheint jedoch sinnvoll. Es stellt sich aber die Frage, ob eine solche Abgrenzung in der Praxis durchzuhalten ist, da es Übergänge gibt (z.B. bei Überredung, Verknüpfung der Zustimmung mit Vorteilen für den Patienten). Zahlreiche Verbände und Initiativen haben zum Thema Stellung genommen. Zwei Stellungnahmen die uns für die AP besonders relevant erscheinen sind dargestellt.

Die Haltung der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Nach SAMW [15] umfasst der Zwang Massnahmen, die durchgeführt werden «obwohl die davon betroffene Person durch Willensäusserung oder Widerstand kund tut oder früher kund getan hat, dass sie damit nicht einverstanden ist». Im Anhang zur Richtlinie führt die SAMW vier Dimensionen für Zwang aus [15]. Nach der ersten Dimension liegt Zwang vor, wenn gegen den Willen einer Person gehandelt wird (freier Wille einer urteilsfähigen Person oder vorverfügter bzw. mutmasslicher Wille einer urteilsunfähigen Person). Die zweite Dimension bewertet das Verhalten der Person gegenüber der Massnahme. Hier wird Zwang definiert als Überwindung einer verbalen Ablehnung oder eines physischen Widerstands. Bereits aus der Betrachtung dieser beiden Dimensionen lassen sich vier Situationen differenzieren, bei denen in einer oder beiden Dimensionen ein Zwang vorliegt oder nicht. Die weiteren Dimensionen betreffen den Zweck (Therapie oder Abwendung akuter Eigen- oder Fremdgefährdung) und die Invasivität der Massnahme (von Überredung bis zur Anwendung von körperlicher Gewalt). Entsprechend der Definition der SAMW erfüllen zahlreiche Bewegungseinschränkungen und Behandlungen ohne Zustimmung in der AP nicht das Kriterium von Zwang, wenn man die oben genannten Definitionen ansieht.

Die Haltung der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie

Aus Sicht der Schweizerischen Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie (SGAP), der die beiden Autoren angehören, ist die Betrachtung der vier Dimensionen der SAMW sehr nützlich für die Bewertung von Bewegungseinschränkungen und BoZ in der AP. FbM werden bisher in der ANQ-Erfassung nicht differenziert nach dem Unterschied erfasst, ob sie dem mutmasslichen Willen widersprechen bzw. auf verbalen oder physischen Widerstand stossen oder ob sich die betroffene Person, aus welchem Grund auch immer, gar nicht dazu äussert. In letzterem Fall läge zwar rechtlich – im Sinne des ZGB – tatsächlich eine «Massnahme ohne Zustimmung» vor, eine Massnahmejedoch, die der Patient oder die Patientin toleriert ohne jeden Hinweis darauf, dass er oder sie damit nicht einverstanden ist.
Aus Sicht der SGAP braucht es zu dieser Thematik eine substantielle Diskussion aus medizinischer, rechtlicher und ethischer Sicht. Gerade sturzpräventive Massnahmen werden insbesondere in Phasen des raschen Medikamentenwechsels häufig eingesetzt und sind oft (z.B. Softgurt bei der Teilnahme an Gruppentherapien) von geringer Invasivität. Teilweise, z.B. in der breit abgestützten deutschen S3-Leitlinie «Verhinderung von Zwang» wird dies auch begrifflich betont, indem zwischen «freiheitsbeschränkenden» und «freiheitsentziehenden» Massnahmen unterschieden wird [16].
Aus Perspektive der SGAP ist die Reduktion insbesondere der invasiven Zwangsmassnahmen ein wichtiges Qualitätskriterium [17]. Vor diesem Hintergrund greift die undifferenzierte Erfassung von Zwangsmassnahmen zu kurz, um für qualitätsbasierte Anreizsysteme geeignet zu sein. Registerdaten aus Deutschland zeigen auf, dass z.B. der prozentuale Anteil der Fälle mit Zwangsmassnahmen kein geeigneter Qualitätsindikator ist, da er zu abhängig ist von u.a. dem Anteil der Patienten mit FU-Status, den weiteren Kliniken und ambulanten Angeboten im Umkreis, den kantonalen Versorgungsaufträgen, und der lokalen Bevölkerungsstruktur (z.B. Häufigkeit ethnischer Minderheiten) [18]. Da urteilsunfähige Patienten in der Regel basierend auf einer FU behandelt werden müssen, ist die Anzahl der FU ebenfalls kein geeigneter Qualitätsindikator. Auf der anderen Seite sind etliche infrastrukturelle Faktoren durchaus veränderbar und geeignet, den Einsatz von FbM zu reduzieren. Hierzu zählen neben einer entsprechenden Gestaltung der
Innen- und Aussenräume (Barrierefreiheit / Einrichtung die im Sinne eines «Universal Design» für möglichst viele
Menschen nutzbar sind, Orientierungshilfen / ablesbares Umfeld, Bewegungs- und Aktivierungsanreize, Licht­konzept, durchgehende Handläufe) auch die neuen digitalen Systeme zur Sturzprävention und das sensorbasierte Patientenmonitoring. Stürze und Sturzangst sind ein wichtiges Thema der Altersmedizin und sollten mehr Beachtung finden [19]. Dies beinhaltet auch die fehlende direkte Finanzierung und den Einsatz von mehr Physiotherapie sowie Bewegungs- und Sporttherapie in der stationären AP.

Ausblick

Die Definition der Alterspsychiatrie als eigener Kliniktyp beim ANQ ist zu begrüssen. Sie legt den Grundstein einer geeigneten Erfassung von FbM. Es muss sichergestellt
werden, dass FbM anhand ihrer Invasivität unterschieden werden können. Aus Sicht der Patientinnen und Patienten spielt es eine grosse Rolle, ob eine FbM gegen den erklärten Willen oder gar gegen den Widerstand des Patienten durchgeführt wird oder ob diese akzeptiert wird, aber aufgrund der bei Urteilsunfähigkeit grundsätzlich fehlenden Einwilligungsfähigkeit als FbM erfasst wird. Hierzu müssen geeignete Wege zur Objektivierung gefunden werden, damit Übergänge (Überredung, Verknüpfung mit Vorteilen etc.) geeignet abgebildet werden. Die gesetzlich geforderte Verhältnismässigkeit einer FbM entspringt den Erwartungen der Gesellschaft an den Umgang mit psychisch Erkrankten. Dies betrifft auch die Finanzierung psychiatrischer Grundversorger, da mehr Personal und entsprechende Infrastruktur helfen, FbM zu verhindern. Für die Zukunft wünschenswert wäre die Vereinheitlichung der Begrifflichkeit. Der ANQ ist mit seiner Begrifflichkeit sehr präsent in den meisten Institutionen. Es kann zudem leicht der Eindruck entstehen, die Liste der für den ANQ zu erfassenden FbM sei abschliessend. Demgegenüber sind die juristischen Begrifflichkeiten viel weniger in Verwendung.

Stellenwert technischer Neuerungen

Technische Entwicklungen können an vielen Stellen helfen, FbM weniger invasiv zu gestalten. Dies betrifft z. B. den Ersatz von Klingelmatten durch Sensorsysteme, die das Aufstehen des Patienten signalisieren und gleichzeitig die Umgebungsbeleuchtung anschalten, einerseits um Stürze zu verhindern und andererseits um das Pflegeteam zu alarmieren. Dies gilt auch für Ortungssysteme, die sicherstellen, dass desorientierte Patienten bei Bedarf rasch gefunden werden können. Aus ethischer Sicht ist hier abzuwägen zwischen der erwünschten Zunahme von Patientensicherheit und dem Anforderungen des Datenschutzes. So dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Ortungssysteme z. B. basierend auf Ganganalyse und Gesichtserkennung präzise die Position aller Personen auf der Station erkennen können. Diese Systeme könnten zusätzlich helfen, eine Sturzneigung besser einzuschätzen und nur dort Bewegungseinschränkungen zur Sturzprävention einzusetzen, wo sie erforderlich sind. Die Hemmschwellen für den Einsatz einer solchen Technik dürften auch international deutlich unterschiedlich sein, was sich schon jetzt beim Einsatz von Videokameras in der Akutpsychiatrie zeigt. Auch hier ist deshalb der gesellschaftliche Diskurs erforderlich.

1 Eine Freiheitsbeschränkende Massnahme wird per definitionem gegen den Willen des Patienten oder der Patientin durchgeführt, d.h. gegen eine verbale und/oder nonverbale Weigerung bzw. gegen die klare Ablehnung sich isolieren, fixieren, festbinden und/oder medizieren zu lassen, sich Bettgittern oder tiefen Sitzgelegenheiten ausgesetzt zu sehen, unabhängig von der Heftigkeit der Weigerung, der Urteilsfähigkeit, von früheren Einwilligungen oder der Meinung von Angehörigen. Ist der Wille der Patienten oder der Patientin nicht eindeutig erkennbar, beispielsweise bei Demenz, ist der mutmassliche Wille massgebend, im Zweifelsfall ist dies interdisziplinär und mit Angehörigen oder vertretungsberechtigten Personen zu diskutieren. Aus: Erfassungsinstrument Freiheitsbeschränkende Massnahmen. ANQ, 01.08.2022

2 Wobei auch eine Abteilung (und nicht die gesamte Klinik) leitende Personen gemeint sein können.

3 «Freiheitsbeschränkende Massnahmen sind alle Massnahmen, mit denen in die körperliche und geistige Unversehrtheit eingegriffen wird, ohne dass dafür eine gültige, aktuelle und erklärte Zustimmung des Betroffenen vorliegt, bzw. ohne dass die Massnahme dem mutmasslichen Willen des kommunikationsunfähigen Betroffenen entspricht».3 Peter Mösch Payot, Rechtliche Rahmenbedingungen für freiheitsbeschränkende Massnahmen im Heimbereich. Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutzrecht 2014; 69 (1): 5-30. Peter Mösch Payot, Freiheitsbeschränkungen für Erwachsene in Heimen: ist dank dem neuen Erwachsenen­schutzrecht alles klar? Pflegerecht. 2018; 2: 67-75.

Prof. Dr. med. Stefan Klöppel

Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie
Murtenstrasse 21
3008 Bern
Schweiz

Dr. med. Dan Georgescu

Klinik für Konsiliar-, Alters- und Neuropsychiatrie
Psychiatrische Dienste Aargau AG
Königsfelderstrasse 1
5210 Windisch

Historie
Manuskript akzeptiert: 27.09.2023

Interessenkonflikte
Es bestehen keine Interessenkonflikte.

  •  Freiheitsbeschränkende Massnahmen (FbM) umfassen ein breites Spektrum.
  • FbM widersprechen nicht notwendigerweise dem mutmasslichen Willen der urteilsunfähigen Person.
  • Bei Urteilsunfähigkeit z.B. durch Demenz oder Delir muss die stationäre psychiatrische Behandlung unter einem entsprechenden Rechtsmittel erfolgen.
  • Die Anzahl der Fürsorgerischen Unterbringungen (FU) ist abhängig von verschiedenen Einweisungsgründen und deshalb kein sinnvoller Qualitätsindikator für die AP.

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