Intussuszeption und Rektumprolaps: häufige Ursachen für Entleerungsstörungen und Inkontinenz

Ein Rektumprolaps ist meist eine Erkrankung des älteren Menschens und tritt gehäuft bei Frauen auf. Den Kolleginnen und Kollegen in der Hausarztpraxis kommt bei der Erkennung und Einleitung der Therapie eine tragende Rolle zu. Viel Leid und pflegerischer Aufwand können durch eine adäquate Therapie vermindert und gelindert werden. Um den Rektumprolaps zu beheben, kann eine perineale Operation, immer häufiger aber eine minimalinvasive transabdominale Netzrektopexie, durchgeführt werden. Die Operation kann schonend bis ins hohe Patientenalter durchgeführt und angestrebt werden. Heutzutage obliegt die endgültige Behandlung einem Beckenbodenzentrum, das interdisziplinär die Expertise zur vollumfänglichen Diagnostik und Therapie vorweisen kann.

Was ist ein Rektumprolaps?

Der Rektumprolaps entspricht einem Vorfall sämtlicher Wandschichten durch das Darmlumen und bei Fortschreiten der Erkrankung bis durch den Analkanal nach aussen. Man unterteilt den Rektumprolaps in drei Schweregrade (Tabelle 1).
Am Anfang der Erkrankung des Rektumprolapses steht die sogenannte Intussuszeption (auch innerer Rektumprolaps genannt). Als solcher wird eine innere Ausstülpung der Rektumwand bezeichnet, die nicht zu einer Protrusion durch den Anus führt. Bei diesen Personen stehen Symptome einer Entleerungsstörung im Vordergrund, die unter den Begriff «Obstructed Defecation Syndrome» (ODS) fallen.
Vom Rektumprolaps Grad III soll ein reiner Mukosaprolaps bzw. Hämorrhoiden Grad III/IV (Analprolaps) unterschieden werden. Beim Hämorrhoidalprolaps handelt es sich um einen Vorfall der Hämorrhoidalpolster und des Anoderms, der durch die radiäre Fältelung einfach zu erkennen ist. Beim Rektumprolaps sind hingegen alle Darmwandschichten betroffen, was klinisch durch die zirkuläre Anordnung der Schleimhautfalten am prolabierenden Darmanteil charakterisiert ist (Abb. 1 und 2).

Welche Symptome kann der externe Rektumprolaps verursachen?

Zu den Symptomen zählen ein störendes Fremdkörpergefühl, je nach Ausprägung nur bei der Defäkation oder später dauerhaft. Entweder kommt es zu einer spontanen Reposition am Ende des Stuhlgangs oder es ist erforderlich, den Prolaps manuell zu reponieren. Mit der Zeit kann eine manuelle Reposition durch die Grössenzunahme deutlich erschwert sein. Eine Inkarzeration des Prolapses ist ein seltener Notfall und kann durch Schleimhautödem und Ischämie bis zu einer Nekrose kompliziert werden. Kann der Prolaps vor dem Auftreten von irreversiblen Veränderungen mit konservativen Möglichkeiten nicht verbessert werden, wird eine dringende chirurgische Korrektur erforderlich. Weitere häufige Symptome sind schleimiger Ausfluss und Stuhlschmieren bis zur kompletten Stuhlinkontinenz. Die Entwicklung einer Stuhlinkontinenz bei Rektumprolaps ist hierbei multifaktoriell bedingt: mechanische Dehnung der Schliessmuskeln, pudendale Neuropathie, chronische Stimulation des rektoanalen Hemmreflexes und beeinträchtigte rektoanale Motilität führen zu einem niedrigen analen Ruhedruck [1]. Bei Vorliegen von Schleimhautverletzungen durch mechanische Reizung können leichte Kontaktblutungen entstehen, die meistens selbstlimitierend sind, aber Betroffene sowie das soziale Umfeld stark beunruhigen. Weichteilinfekte sind äusserst selten und entstehen meistens als Folge von ungenügender oder erschwerter Hygiene.

Was ist ein obstruktives Defäkationssyndrom (ODS) und welche Ursachen hat es?

Unter einem obstruktiven Defäkationssydrom versteht man einen klinischen Zustand gekennzeichnet durch Schwierigkeiten bei der Stuhlentleerung und das Gefühl einer unvollständigen Entleerung des Darms. Dies kann zu übermässiger Anstrengung, Abhängigkeit von Abführmitteln und/oder Einläufen, erfolglosen Stuhlentleerungen mit längeren Aufenthalten auf der Toilette und wiederholtem Aufsuchen der Toilette führen [2]. Nicht selten neigen die PatientInnen dazu, die Stuhlentleerung durch vaginale oder rektale Manipulation oder durch Dammdruck zu unterstützen. Grundsätzlich kann ein ODS durch mechanische und funktionelle Ursachen verursacht werden. Zu den strukturellen, mechanischen Ursachen gehören die ventrale Rektozele und die Intussuszeption, aber auch extraintestinale Ursachen wie die Enterozele, die Beckenbodensenkung sowie der Gebärmutter-oder Scheidenprolaps [3]. Primär funktionelle Ursache wie z.B. ein Anismus (rektoanale Dyssynergie) müssen ausgeschlossen werden.

Welche Faktoren begünstigen die Entstehung eines Rektumprolapses?

Eine Reihe von Faktoren können mit dem Rektumprolaps in Verbindung gebracht werden (Tabelle 2), und in der Mehrheit der Fälle ist die Krankheit multifaktorieller Genese.
In der jüngeren Patientengruppe tritt der Rektumprolaps gehäuft bei schwerer Obstipation und anhaltendem Pressen auf. Bei Älteren entwickelt sich der Rektumprolaps in Zusammenhang mit einer Schwäche des Beckenbodens und wird oft von weiteren Krankheiten des Beckenbodens begleitet. Die Schwächung des Beckenbodens ist häufig mit dem weiblichen Geschlecht und mehrfachen Geburten vergesellschaftet.

Diagnostik des Rektumprolapses

Anamnese und Untersuchung

Eine gründliche und detaillierte Anamnese ist von entscheidender Bedeutung, denn oft scheuen sich die Betroffenen, über Symptome einer proktologischen Erkrankung oder Beckenbodenschwäche zu berichten. Neben Stuhlgewohnheiten sollte nach Juckreiz und Brennen perianal, Schmerzen während und nach der Defäkation sowie Blutabgang ab ano gefragt werden, um sich ein umfassendes Bild der Beschwerden machen zu können. Patientinnen und Patienten, die für Defäkationsbeschwerden in der proktologischen Sprechstunde abgeklärt werden, sollten anhand von validierten Fragebögen befragt werden. Messinstrumente wie z.B. der «Cleveland Constipation»-Score, Vaizey und Wexner-Score oder der ODS-Score ermöglichen eine standardisierte, objektive Beurteilung der Initialsituation und vor allem den Verlauf während und nach der Therapie. Die proktologische Anamnese sollte durch die Erhebung von gynäkologischen und urologischen Symptomen ergänzt werden.
Durch eine gute und strukturierte Anamnese kann in den meisten Fällen bereits eine Verdachtsdiagnose gestellt werden, die durch eine fokussierte proktologische Untersuchung bestätigt werden kann. Bei der Inspektion können Folgen einer erschwerten analen Hygiene und Inkontinenz wie z.B. Ekzem, Kratzspuren oder Rhagaden festgestellt werden. Bei der digital-rektalen Untersuchung kann eine vordere Rektozele und deren Schweregrad bestätigt werden. Des Weiteren sollte die Schliessmuskelfunktion geprüft werden. Die fehlende Sphinkterrelaxation beim Pressversuch kann auf einen Anismus hinweisen (rektoanale Dyssynergie). Wenn der Prolaps bei der Inspektion nicht sichtbar ist oder beim Pressversuch nicht ausgelöst werden kann, sollten die Betroffenen versuchen, am besten auf einer Toilette, den Prolaps zu reproduzieren.
Patientinnen mit Störungen des vorderen Kompartiments und Patienten mit Harninkontinenz können von einer urodynamischen und urogynäkologischen Untersuchung profitieren, um einen kombinierten chirurgischen Eingriff zu ermöglichen.

Weiterführende Diagnostik

Im Allgemeinen ist eine flexible Endoskopie ratsam, um eine Neoplasie oder andere Läsionen als Ursache des Prolapses und/oder der Entleerungsstörung auszuschliessen. Eine Ulzeration der anterolateralen Rektumwand hinweisend auf ein solitäres Rektum-Ulkus-Syndrom sollte biopsiert und der Befund einer ausgedehnten Divertikelkrankheit sollte bei einer entsprechenden Klinik bei der Planung der chirurgischen Behandlung berücksichtigt werden.
Neben der dynamischen Barium-Röntgenuntersuchung, die in der physiologischen Toilettenposition durchgeführt wird, wird heutzutage zunehmend eine Magnetresonanz-Defäkografie in Rückenlage angeboten. Diese Untersuchung ermöglicht eine umfassende Beurteilung sämtlicher Kompartimente des Beckenbodens und der Beckenbodenmuskulatur. Die Befunde der dynamischen Defäkografie sollen immer in Zusammenhang mit der Anamnese und der klinischen Untersuchung interpretiert werden, da abnormale Befunde in bis zu 67 % der Normalbevölkerung beschrieben wurden [4].
Die anorektale Manometrie hat bei der Abklärung eines Prolapses eher eine untergeordnete Rolle und dient vor allem dem Ausschluss eines möglichen Anismus und der Beurteilung der Schliessmuskelfunktion bei Stuhlinkontinenz.
Bei Patientinnen und Patienten mit ODS, bei denen der Verdacht auf eine Begleiterkrankung besteht, können zusätzliche Untersuchungen angefordert werden, wie zum Beispiel die Kolontransitzeit (Hinton-Test) bei Patientinnen und Patienten mit Verstopfung, oder eine Elektromyografie, die aber in der klinischen Praxis eher eine untergeordnete Rolle spielt.

Therapie und Indikationsstellung

Konservative Therapie

Die konservative Therapie nimmt bei einem ODS einen grossen Stellenwert ein und sollte in erster Linie auch bei Vorliegen einer niedriggradigen Intussuszeption oder anderen strukturellen Anomalien, deren klinische Signifikanz unklar ist, stets versucht werden. Als erstes sollte immer eine Stuhlregulierung erfolgen. Zudem sollten die Patientinnen und Patienten zu Lifestyle-Veränderungen (diätetische Massnahmen, Defäkationsschulung, Bewegung) beraten werden. Beckenbodenmuskeltraining kann durch Biofeedback ergänzt werden und ist eine weitere Therapiealternative, die vor allem bei Frauen mit Harninkontinenz und Prolapserkrankungen untersucht wurde, aber im Allgemeinen bei Krankheiten des Beckenbodens mit Defäkationsstörungen eingesetzt werden kann. Je nach Schweregrad der Symptome und der bildgebenden Befunde müssen etwa 42 % der Patienten mit ODS operativ behandelt werden [5].
Die Behandlung des externen Rektumprolapses bei erwachsenen Patienten erfolgt hingegen im Wesentlichen chirurgisch. Auch betagte gebrechliche Patientinnen und Patienten mit erhöhtem perioperativem Risiko können von den modernen, schonenden chirurgischen Techniken profitieren, die auch ohne Vollnarkose durchgeführt werden können. Die konservative Therapie des Rektumprolapses ist Personen vorbehalten, die sich nach ausführlicher Besprechung und Aufklärung durch Spezialistinnen und Spezialisten gegen eine Operation entscheiden oder bei denen, z.B. aufgrund eines fortgeschrittenen Leidens oder eines hohen Grades an Abhängigkeit, eine Verbesserung der Lebensqualität nicht zu erwarten ist. In diesen Fällen steht die Verbesserung der Stuhlkontinenz und der Schutz der perianalen Haut im Vordergrund.

Operative Therapie

Ziel der operativen Behandlung der Intussuszeption und des Rektumprolapses ist die Wiederherstellung der «normalen» Anatomie, die Verbesserung des Defäkations-und des Kontinenzverhaltens und die Vermeidung neuer Darmstörungen [1]. Die Rationale für die verschiedenen verfügbaren chirurgischen Techniken ergibt sich aus einigen anatomischen Merkmalen, die konstante Befunde bei Personen mit Prolapserkrankungen sind: Invagination bzw. Prolaps sämtlicher Wandschichten, ein tiefer Douglas-Raum, mangelhafte Fixierung des Rektums am Sakrum, ein verlängertes Colon sigmoideum und eine allgemeine Schwäche des Beckenbodens mitsamt der Schliessmuskeln.
Die Verfahren lassen sich in abdominale und perineale Eingriffe unterteilen. Die Entscheidung, welche Operation für welche Person am besten geeignet ist, hängt in der Regel von dem Alter und den Komorbiditäten der Patientin/ des Patienten, der Präferenz und Erfahrung des Chirurgen sowie der Entleerungsstörung ab. Im Folgenden werden wir die Verfahren vorstellen, die in der Praxis üblich sind und am häufigsten in der Literatur erwähnt werden.

Perineale Operationsverfahren

Perineale Eingriffe werden meistens älteren und komorbiden Personen vorbehalten, die keine Kandidaten für abdominale Verfahren sind, da diese auch unter Regionalanästhesie (Spinal-oder Sattelblock) durchführbar sind. In der Literatur sind diese Operationsmethoden durch eine niedrige Morbiditätsrate im Vergleich zu abdominalen Techniken, dagegen durch eine höhere Rezidivrate gekennzeichnet [6].
Bei der Rehn-Delorme-Technik wird die Mucosa des prolabierten Rektums inzidiert und von der Muscularis propria entfernt. Durch longitudinale Nähte wird die Rektumwand plikiert und gekürzt. Die Schleimhautmanschette wird dann über die geraffte Rektumwand adaptiert (Abb. 3). Vorteile dieser Technik sind das Vermeiden einer Anastomose und die Augmentation des Sphinkterkomplexes, was häufig zu einer Verbesserung der Stuhlinkontinenz führt. Die Prolapsrezidivrate nach einer Rehn-Delorme-Operation beträgt aber 20–40 % [7].
Die Operation nach Altemeier beinhaltet eine Resektion des überschüssigen Darms und eine koloanale Resektion (sog. perineale Rektosigmoidektomie) (Abb. 4). Diese Technik, die in Nordamerika vermehrt eingesetzt wird, eignet sich besser zur Behandlung längerer Rektumprolapse und ist auch in dem seltenen Fall eines inkarzerierten Rektumprolapses mit Wandnekrose indiziert.
Hervorzuheben aus unserer Sicht ist hierbei das Perineale Stapler-Prolapsresektion(PSP)-Verfahren. Bei dieser Technik wird der Rektumprolaps nach aussen gestülpt und anschliessend mit Spezialstaplern abgetragen und gleichzeitig verbunden (Abb. 5). Diese Technik ähnelt der Altemeier-Resektion und gilt als sicheres, schnelles und einfaches Verfahren für Hochrisikopatientinnen und -patienten [8].

Abdominale Verfahren

Abdominale Verfahren werden heutzutage aufgrund der niedrigen Rezidivrate und besseren funktionellen Resultate zunehmend eingesetzt. Nach einer systematischen Cochrane-
Metaanalyse scheinen abdominale Zugänge zu einer geringeren Rezidivrate bei Prolapsen zu führen. Stuhlinkontinenz ist nach abdominalen Zugängen weniger häufig, da die Reservoirfunktion des Enddarms erhalten wird [9].
Die Verfahren unterscheiden sich hauptsächlich durch die Methode der Fixierung während der Rektopexie (Naht oder Netz), die Platzierung des Netzes (anterior, posterior, das Rektum vollständig oder teilweise umschliessend), das Ausmass der rektalen Mobilisierung und in der Durchführung einer Darmresektion. Auch das Material des Netzes, das für die Rektopexie verwendet wird, kann variieren, und in den letzten Jahren hat die Verwendung von biologischen Netzen oder vollständig resorbierbarem Material aufgrund der möglichen Komplikationen durch Kunststoffnetze zugenommen. Die minimal-invasive ventrale Netzrektopexie nach D’Hoore hat sich in Europa weit verbreitet und ist zum Verfahren der Wahl zur Korrektur des Rektumprolapses geworden [10, 11]. Bei dieser Technik wird das Rektum mithilfe eines Netzes, das anterior am Rektum weit unterhalb der Umschlagfalte sowie am Promontorium fixiert wird, gestreckt (Abb. 6). Der Hauptvorteil des ventralen Zugangs ist die sparsame Mobilisation des Rektums und die Schonung der Innervation, was zu einer Verbesserung der Darmfunktion bezüglich Verstopfung und Stuhlinkontinenz führt.
Eine grosse multizentrische Serie zu diesem Verfahren mit 919 Personen, wovon ca. â…“ mit einem externen Prolaps, zeigte eine 10-Jahres-Rezidivrate von ca. 8 %. Sowohl die Inkontinenz als auch die Symptome eines ODS waren postoperativ signifikant reduziert [12].
Die Resektionsrektopexie (nach Frykman-Goldberg) wird insbesondere für Personen mit Sigma elongatum und «slow transit constipation» angeboten. Eine prospektive Kohortenstudie konnte allerdings nach laparoskopischer Resektionsrektopexie keine Verbesserung der Transitzeit beweisen. Diese Arbeit stellt die Rolle der Resektion bei der Behandlung des Rektumprolapses in Frage und unterstützt weniger invasive chirurgische Verfahren wie die ventrale Netzrektopexie [13].
Die posteriore Nahtrektopexie ist eine weit verbreitete Technik, die vor allem dann zum Einsatz kommt, wenn Operierende oder Behandelte vorziehen, auf ein Netz zu verzichten. Das Rektum wird zunächst bis zum Beckenboden mobilisiert und dann mit nicht resorbierbaren Nähten an der präsakralen Faszie und dem sakralen Promontorium fixiert.
In einer randomisierten Studie hat sich allerdings gezeigt, dass das funktionelle Ergebnis nach einer ventralen Netzrektopexie bei Personen mit vollständigem Rektumprolaps signifikant besser ist als bei denjenigen mit einer posterioren Nahtrektopexie [14].
Ob die abdominalen Verfahren nur jungen, fitten Personen vorbehalten werden sollten, wird in den letzten Jahren aufgrund der ernüchternden Ergebnisse bezüglich Rezidivrate von perinealen Verfahren und sehr tiefen Komplikationsraten von minimal-invasiven Techniken zunehmend in Frage gestellt [15].

Im Artikel verwendete Abkürzungen

ODS Obstructive Defecation Syndrome (obstruktives Defäkationssydrom)
PSP Perineale Stapler-Prolapsresektion

Dr. med. Raffaele Galli

Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Bauchzentrum
Interdisziplinäre Beckenbodensprechstunde
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

raffaele.galli@ksbl.ch

Historie
Manuskript akzeptiert: 30.01.2023

Interessenskonflikte
Es bestehen keine Interessenskonflikte.

ORCID
Raffaele Galli
https://orcid.org/0000-0003-4644-307X

  • Der Rektumprolaps ist meistens eine Erkrankung des älteren Menschen und ist häufig Ursache für eine
    Inkontinenz mit konsekutiver Pflegebedürftigkeit.
  • In der Frühphase ist der Rektumprolaps aufgrund der Vielfalt an Symptomen schwer zu diagnostizieren. Bei Entleerungsstörungen empfiehlt sich eine Abklärung im einer Beckenbodensprechstunde.
  • Die chirurgische Therapie des Rektumprolapses sollte auch alten, multimorbiden Personen angeboten werden, denn sie führt zu einer Verbesserung der Lebens-
    qualität.
  • Die minimal-invasive ventrale Netzrektopexie ist schonend und ist zum Verfahren der Wahl zur Korrektur des Rektumprolapses geworden.

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Eine seltene Ursache für die Reizung des Nervus medianus

Eine Läsion des Nervus medianus aufgrund einer Nervenkompression im Sinn eines Karpaltunnelsyndroms ist mit einer Inzidenz von 3,3–3,45 Fälle auf 1000 Personen und Jahr sehr häufig. In der vorliegenden Fallberichtserie berichten wir über Kompressionen des Nervus medianus nach dem Tragen einer Smartwatch, was unseres Wissens vorher nicht in der Literatur beschrieben wurde. Beschrieben werden fünf Patienten mit typischer Karpaltunnelsymptomatik und pathologisch sensibler Neurografie bei mehrwöchigem engem Tragen einer Smartwatch über 24 h/Tag zur Detektion eines Vorhofflimmerns, deren Beschwerden und Elektrophysiologie sich nach Tragstopp wieder besserten. Smartwatches können eine interessante Ergänzung für die Diagnose verschiedener Erkrankungen – zum Beispiel Herzrhythmusstörungen – sein. Allerdings kann das dafür notwendige enge Tragen möglicherweise auch eine Kompression des Medianusnervs begünstigen und zu Beschwerden wie bei einem Karpaltunnelsyndrom führen. Um Schmerzen beim Tragen einer Smartwatch zu vermeiden, ist es gemäss Hersteller wichtig, beim Kauf die richtige Bandgrösse zu wählen und die Uhr nur sehr enganliegend zu lassen, wenn Sie die Sensoren benötigen (ohne sich dabei unwohl zu fühlen) und sonst das Armband locker zu tragen, es abzunehmen oder das Handgelenk zu wechseln.
Schlüsselwörter: Nervus medianus, Smartwatch, Nervenkompression

A Rare Cause for Median Nerve Irritation

A lesion of the median nerve due to nerve compression comparable to carpal tunnel syndrome is very common, with an incidence of 3.3 to 3.45 cases per 1000 inhabitants and year. In the present case series, we report compressions of the ­median nerve due to wearing a smartwatch, which to our knowledge has not been previously reported in the literature. We ­describe five patients with typical carpal tunnel symptoms and pathological sensory neurography who had been wearing a smartwatch more than 24 hours/day for several weeks to detect atrial fibrillation, and whose symptoms and electrophysiology improved after they stopped wearing it. Smartwatches can be an interesting additional gadget for diagnosing diseases such as cardiac arrhythmias. However, the tight wearing that is necessary can possibly also compress the median nerve and lead to symptoms such as the carpal tunnel syndrome. According to the manufacturer, it is important to choose the right strap size when buying and only leave the watch very tight when you need the sensors (but without feeling uncomfortable) and otherwise to tie the strap loosely, to take it off or alternate the wrist in order to avoid pain and injury.
Keywords: Median nerve, smart watch, nerve compression

Une cause plus rare d‘irritation du nerf médian

Une lésion du nerf médian par compression nerveuse au sens de syndrome du canal carpien est très fréquente avec une incidence de 3,3 à 3,45 cas pour mille habitants et par an. Dans la présente série de cas, nous rapportons des compressions du nerf médian dues au port d‘une montre connectée qui, à notre connaissance, n‘ont jamais été rapportées dans la littérature. Cinq patients présentant des symptômes typiques du canal carpien et une neurographie sensorielle pathologique qui ont porté une montre intelligente plus de 24 heures sur 24 pendant plusieurs semaines pour détecter une fibrillation auriculaire et dont les symptômes et l‘électrophysiologie se sont améliorés après l‘arrêt du port. Les montres connectées peuvent être un complément intéressant pour le diagnostic de diverses maladies telles que les arythmies cardiaques. Cependant, le port serré qui est nécessaire pour cela peut également favoriser la compression du nerf médian et entraîner des symptômes tel que le syndrome du canal carpien. Selon le fabricant, pour éviter les douleurs lors du port d’une montre intelligente, il est important de choisir la bonne taille de bracelet lors de l‘achat et de ne laisser la montre très serrée que lorsque vous avez besoin des capteurs (sans vous sentir mal à l‘aise) et sinon porter le bracelet lâchement, l‘enlever ou changer de poignet.
Mots-clés: Nerf médian, montre intelligente, compression nerveuse

Hintergrund

Erkrankungen des Nervus medianus gehören zu den häufigsten peripheren Neuropathien, wovon der Grossteil durch eine Störung distal des Handgelenks entsteht. Das Karpaltunnelsyndrom ist das mit Abstand häufigste Engpasssyndrom und macht ca. 45 % aller nicht traumatischen Nervenschädigungen aus. Etwa jeder sechste Erwachsene ist hiervon mehr oder weniger betroffen. Dabei handelt sich um eine Druckschädigung des N. medianus durch ­einen anatomischen Engpass [1] als konstitutionelle Prädisposition oder eine Variante des Os hamatum [2]. Auslöser ist eine Volumenverschiebung und es kommt aufgrund der anatomischen Gegebenheiten zu einer Druckzunahme. Der physiologische Druck im Karpaltunnel beträgt 2–10 mmHg. Druckerhöhungen im Karpalkanal führen zu einer Kompression der Venolen, später auch der Arteriolen und Kapillaren des Epi- und Perineuriums, die dann auch eine Ischämie des N. medianus zur Folge haben. Die Inzidenz wurde in zwei separaten Studien mit 3,3 Fällen auf 1000 Einwohnende (italienische Studie) angegeben bzw. 3,45 Fällen in einer amerikanischer Studie [3, 4]. In einer Metaanalyse aus 87 Studien, in dem alle Artikel in den Datenbanken PubMed, Cochrane, EMBASE und Web of Science untersucht wurden, die am oder vor dem 15. Februar 2011 veröffentlicht wurden, zeigte sich eine Prävalenz von 10,6 % [5]. Das Syndrom tritt häufig beidseits auf mit einer Prävalenz von 80 % [6], und eine beidseitige Behandlungsbedürftigkeit besteht in mehr als 50 % der Fälle. Am häufigsten erkranken Menschen im Alter von 40–60 Jahren. Frauen sind wesentlich häufiger betroffen als Männer. Dabei spielt die Gravidität einen begünstigenden Faktor. Weitere Fak­toren, die die Entstehung eines Karpaltunnelsyndroms ­begünstigen, sind körperlich fordernde Tätigkeit sowie sportliche Aktivitäten wie Kegeln und Radfahren. Signi­fikante Risikofaktoren sind Übergewicht, rheumatoide ­Arthritis, Diabetes mellitus, exzessiver Alkoholkonsum sowie Dialyse aufgrund des Shunt. Dabei ist dann auch häufig der Arm, an dem der Shunt angelegt wurde, betroffen. Ausserdem kann eine übermässige Nutzung von elektronischen Handgeräten wie Smartphones oder Tablets den N. medianus und das Ligamentum carpi beeinträchtigen [7]. Seltenere Ursachen sind Leiomyome mit Bildung von Narbenneuromen [8]. Begünstigende Faktoren sind beispielsweise eine Thrombose oder ein Aneurysma der Arteria mediana [9]. Ein typisches Erstsymptom ist die Brachialgia paraesthetica nocturna, die nahezu als pathognomonisch bezeichnet werden kann. Die Ursache liegt dabei häufig in einer Flexion des Handgelenks im Schlaf. Die schmerzhaften Kribbelparästhesien, Missempfindungen und Brennschmerzen betreffen die ersten drei und den halben vierten Finger (Ringfinger) mit Schmerzausstrahlung in den Arm. Tagsüber verstärken sich die Symptome bei Tätigkeiten mit Flexion des Handgelenks wie Zeitung lesen, Stricken oder Telefonieren. Bei Seniorinnen und Senioren, die Gehhilfen benutzen, können die Griffe von Rollatoren auf den N. medianus drücken. «Ausschütteln» der Hände, Stellungswechsel oder kaltes Wasser bringen Linderung. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu einer Atrophie des Thenar und zu einer Abduktions- und Oppositionschwäche des Daumens. Selten werden auch vegetative Störungen wie Hautatrophie oder Nagelveränderungen beobachtet. Die klinische Beurteilung beinhaltet neben Inspektion und Palpation die Prüfung der Oberflächen- und Stereoästhesie, die Prüfung der Motorik (Abduktions- und Oppositionstests, z.B. positives Flaschenzeichen sowie Provokationstests [am häufigsten sind der Phalen-Test und das Hoffmann-Tinel-Zeichen]). Zusätzlich gibt es Fragebögen wie das Boston Carpal Tunnel Questionnaire, CTS-6, Visuelle Analogskala. Die Provokations-Tests liefern im Frühstadium der Erkrankung wichtige Hinweise auf einen Reizzustand des N. medianus, wenn andere klinische und diagnostische Tests negativ ausfallen. Sie sind jedoch weniger sensitiv und zuverlässig und eher ein Indikator für die Tenosynovitis [10].
Der relevante und zuverlässigste Untersuch für die ­Diagnostizierung einer Funktionsstörung des Nervus medianus ist die elektoneurografische Diagnostik. Die motorische Neurografie hat eine hohe Spezifität, jedoch eine relativ niedrige Sensitivität, die sensorische Neurografie eine hohe Spezifität (98 %) und Sensitivität (89 %) [11]. Bildgebende Verfahren wie die Nervensonografie etablieren sich immer mehr in der Routinediagnostik und können vor allem eine andere Ursache einer Nervenkompression oder -veränderung, eine Nervenverletzung oder auch eine Normvariante wie den Nervus medianus bifidus nach­weisen. Die Kernspintomografie, die Computertomografie oder Röntgenaufnahmen haben einen in der Diagnose sehr geringen Stellenwert.
In dieser Fallserie berichten wir über fünf Patienten mit Beschwerden ähnlich einem Karpaltunnelsyndrom und leicht veränderter Neurografie des Nervus medianus an der nicht dominanten Hand (Tabelle 1). Alle Patienten ­trugen über mehrere Wochen 24 h/Tag eine Smartwatch (Abb. 1) zur Detektion eines Vorhofflimmerns. Hierfür muss die Uhr eng getragen werden. Die Symptome besserten sich rasch nach Ablegen der Uhr.

Ergebnisse

Eine Übersicht geben auch die Tabellen 2 und 3.

Fall 1

Ein 42-jähriger Patient wurde vom Hausarzt aufgrund eines seit drei Wochen bestehenden Kribbelns in der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er das Kribbeln mittlerweile Tag und Nacht in den ersten drei Fingern, teilweise aber auch in der ganzen linken Hand ­merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich sechs Wochen zuvor eine Smartwatch gekauft habe, um sein Herz besser beobachten zu können, und die Uhr daher sehr eng tragen müsse. In der fokussierten neurologischen ­Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fand sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 2

Ein 38-jähriger Patient wurde vom Handchirurgen aufgrund eines seit acht Wochen bestehenden Kribbelns in der linken Hand vor geplanter operativer Karpaldachspaltung (Operationstermin in drei Wochen) vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er ein Kribbeln und Taubheitsgefühl eher am Tag als in der Nacht in der gesamten linken Hand spüren würde. Vor zwölf Wochen habe er sich eine Smartwatch zugelegt, um sein Herz während des Sports überwachen zu können. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigte sich ein Abdruck der Smartwatch im Bereich des Handgelenks links sowie eine Hypästhesie der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Der Termin in der Handchirurgie wurde abgesagt. Nachdem der Pa­tient sechs Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand und die Hypästhesie der ersten drei und des halben vierten Fingers verschwunden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 3

Ein 28-jähriger Patient wurde vom Hausarzt unter dem Verdacht eines Karpaltunnelsyndroms der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er seit fünf Wochen ein Kribbeln und eine Taubheit vor allem am Morgen beim Aufwachen, aber auch ab und zu am Tag merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich vor 16 Wochen eine Smartwatch gekauft habe. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links ­sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine ­Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine links gegenüber rechts signifikant verminderte Amplitude. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient sechs Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 4

Ein 34-jähriger Patient wurde vom Hausarzt aufgrund eines seit acht Wochen bestehenden Taubheitsgefühls in der linken Hand vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er die Taubheit mittlerweile Tag und Nacht in den ersten drei Fingern, teilweise aber auch in der ganzen linken Hand merken würde. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich vor zehn Wochen eine Smartwatch gekauft habe. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fanden sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Fall 5

Ein 31-jähriger Patient wurde vom Orthopäden aufgrund eines seit einer Woche bestehenden Kribbelns in der linken Hand unter dem V.a. eine Radikulopathie C6 links vorgestellt. Der Patient berichtete, dass er das Kribbeln vor allem am Tag merken würde, in der Nacht könne er gut schlafen. Auf Nachfrage gab er an, dass er sich zwei Wochen zuvor eine Smartwatch gekauft habe. Schmerzen im Nacken mit Ausstrahlung in den Arm habe er nicht. In der fokussierten neurologischen Untersuchung zeigten sich eine Hypästhesie der Fingerkuppen der Dig I–III und des halben Dig IV links sowie ein positives Hofmann-Tinel-Zeichen links, keine Paresen und keine pathologischen Befunde der rechten Hand. Elektrophysiologisch fand sich eine normgerechte motorische Elektrophysiologie sowie im Seitenvergleich eine signifikant verminderte Amplitude links gegenüber rechts für die sensible Neurografie. Nervensonografisch zeigte sich eine vergrösserte Querschnittsfläche des Nervus medianus im Bereich des linken Handgelenks im Querschnitt, ohne Zeichen der Kompression unter dem Karpaldach im Längsschnitt. Nachdem der Patient dann vier Wochen eine volare Handgelenkschiene in der Nacht und die Smartwatch nicht mehr am Handgelenk getragen hatte, waren die Kribbelparästhesien der linken Hand nicht mehr vorhanden, und elektrophysiologisch zeigte sich eine deutlich gebesserte Amplitude in der sensiblen Neurografie des linken Nervus medianus.

Diskussion

Es kommt nicht selten vor, dass Benutzerinnen und Benutzer beim Tragen einer Smartwatch Schmerzen von den Schultern bis zum Handgelenk spüren [6]. Die meisten dieser Probleme werden dem CTS (Karpaltunnelsyndrom) zugeschrieben, bei dem Kribbelparästhesien und Hypästhesie oder Schmerzen im Bereich des Handgelenks verspürt werden. Interessant ist, dass es zu Druckläsionen des N. medianus, nicht aber des N. radialis gekommen ist. Gerade das enge Tragen von Handgelenksuhren könnte auch zu einer Kompression des sensiblen Endastes des Nervus radialis auf Höhe des distalen Unterarms zwischen Musculus extensor carpi radialis longus und Musculus brachioradialis im Sinn eines Wartenberg-Syndroms [12] führen. Dies haben wir aber weder bei diesen noch bei anderen Patientinnen und Patienten, die eine Smart-Watch enganliegend trugen, gesehen.
Smartwatches bieten interessante Möglichkeiten zur Messung von Körperfunktionen. Neben der Anzeige der Uhrzeit können sie in lebensbedrohlichen Situationen hilfreich sein. Es wurden beispielsweise Algorithmen entwickelt, die Vorhofflimmern mit hoher Zuverlässigkeit entdecken können [13].
Für verschiedene Funktionen ist jedoch ein enges und ununterbrochenes Tragen der Uhr notwendig. Dadurch kann es zu einer Nervenkompression des Nervus medianus im Bereich des Handgelenks mit entsprechender Schädigung des Nervs kommen, wenn der Druck zu lange andauert und keine druckfreien Intervalle eingelegt ­werden. Da bei all unseren Patienten eine Smartwatch der selben Marke getragen wurde, stellt sich die Frage, ob ­beispielsweise Material, Elastizität und Breite des Uhrenbandes oder weitere Faktoren eine Rolle spielen. Hierfür sind weitere Studien notwendig.

Dr. med. Menderes Omeri

Rappjmed
Allmeindstrasse 5

menderes.omeri@rappjmed.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript eingereicht: 11.11.2022
Nach Revision angenommen: 21.11.2022

 

ORCID
Menderes Omeri
https://orcid.org/0000-0002-0077-0801
David Czell
https://orcid.org/0000-0001-6077-1921

  • Das Karpaltunnelsyndrom tritt häufig zuerst an der dominanten Hand auf.
  • Hauptsächlich kommt es zu nächtlichen Parästhesien.
  • Selten kann es auch durch den Druck von Armbändern einer Uhr durch eine Reizung des Nervus medianus (dann an der adominanten Hand, an der die Uhr getragen wird) zu einer ähnlichen Symptomatik kommen.
  • Anamnese, Klinik und Elektrophysiologie führen zur Diagnose.

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13. Bumgarner JB, Lambert CT, Hussein AA, et al. Smartwatch Algorithm for Automated Detection of Atrial Fibrillation J Am Coll Cardiol. 2018;29;71(21):2381–2388.