ASSIP flex Suizidprävention flexibel und nachhaltig

Einleitung

Suizidales Erleben und Verhalten stellen weltweit eine der grössten Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung dar, verursacht hohe gesellschaftliche und soziale Kosten und ist mit grossem individuellen Leid verbunden (1). In der Schweiz lebt über eine halbe Million Menschen mit aktuellen Suizidgedanken, über 200’   000 haben mindestens einmal in ihrem Leben versucht, sich das Leben zu nehmen, davon rund 33 000 in den letzten 12 Monaten (2). Insbesondere nach einem Suizidversuch besteht ein hohes Risiko für eine erneute suizidale Krise (3, 4), im ersten Monat nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ist das Suizidrisiko sogar besonders hoch (5).

Eine entscheidende Herausforderung in der Suizidprävention besteht darin, die kritische Phase zwischen Klinikentlassung und ambulanter Nachsorge zu überbrücken. Diese Versorgungslücke trägt wesentlich zum Risiko erneuter Suizidversuche bei (6). Gleichzeitig zeigen Studien, dass bis zu 50 % der Betroffenen keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen oder diese vorzeitig abbrechen (7). Besonders vulnerable Menschen, die herkömmliche Angebote nicht ausreichend wahrnehmen können oder wollen, müssen gezielt erreicht werden. Vor diesem Hintergrund gewinnen Kurzinterventionen zunehmend an Bedeutung. Eine Metaanalyse von Homan, Ritzinger (8) zeigt, dass diese das Risiko wiederholter Suizidversuche signifikant senken können. Eine solche Kurztherapie ist ASSIP (Attempted Suicide Short Intervention Program), ein strukturiertes, aber individuell anpassbares Behandlungsangebot, welches die therapeutische Allianz stärkt und suizidpräventive Massnahmen direkt in den Alltag der Patient/-innen integriert (9). Doch nicht alle Betroffenen können oder wollen ambulante Interventionen in Anspruch nehmen.

Viele Patient/-innen, insbesondere solche mit erhöhtem Rückfallrisiko, profitieren nicht ausreichend von den klassischen ambulanten oder stationären Angeboten. In den letzten Jahren haben sich daher aufsuchende Behandlungsformen, die häufig im häuslichen Umfeld stattfinden, als wirksame Alternative erwiesen. Patient/-innen im Home Treatment berichten über eine höhere Zufriedenheit und eine geringere familiäre Belastung im Vergleich zur stationären Behandlung (10). Studien zeigen, dass gewisse Betroffene mit akuten psychiatrischen Erkrankungen die Behandlung zu Hause gegenüber einer stationären Behandlung bevorzugen (11). Darüber hinaus stehen bestimmte soziodemografische Faktoren wie das weibliche Geschlecht und höheres Alter mit einer höheren Akzeptanz ausser­stationärer Interventionen in Zusammenhang (12). Insbesondere flexible Behandlungsmodelle, die ausserhalb des klassischen stationären Settings angeboten werden, haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie gelten als praktikabel, werden insgesamt positiv bewertet (13) und gehen mit einer hohen Zufriedenheit der Patient/-innen einher (14).

Ein solches Modell ist ASSIP flex, ein Suizidpräventionsprojekt, das seit 2021 durch die Projektförderung Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) bei Gesundheitsförderung Schweiz unterstützt und in der ganzen Schweiz umgesetzt wird. Im Rahmen dieses Projekts wurde das etablierte Behandlungsangebot ASSIP in einem ersten Schritt auf Home Treatment übertragen und damit auch für Patient/-innen zugänglich gemacht, welche die herkömmlichen Angebote nicht ausreichend nutzen können oder wollen (15). Internationale Erfahrungen bestätigten die Durchführbarkeit dieses Ansatzes: In Belgien wird ASSIP erfolgreich als Home-Treatment-Modell angeboten, wobei rund 90 % der Patient/-innen die Intervention abschliessen (16).

Während der Umsetzung zeigte sich, dass ein breiteres Behandlungsspektrum die Bedürfnisse der Patient/-innen besser abdeckt. Dies führte zur Weiterentwicklung des Home-Treatment-Angebots zu ASSIP flex. Dieses flexible Behandlungsangebot einer Kurztherapie ist für Betroffene niederschwellig zugänglich – sei es stationär während einer akuten Krise, ambulant nach einer Klinikentlassung oder als Home Treatment. Ein zentrales Element der ASSIP-Kurztherapie ist das narrative Interview, in dem die Patient/-innen über die Hintergründe ihres Suizidversuchs erzählen. Anschliessend erfolgt eine gemeinsame Reflexion anhand eines Video-Playbacks und eine kollaborative Überarbeitung der individuellen Fallkonzeption suizidalen Verhaltens mit Psychoedukation sowie der Erarbeitung eines individuellen Sicherheitsplans. Die Kurztherapie ASSIP reduzieren nachweislich suizidales Verhalten und stationäre Hospitalisierungen über einen Zeitraum von zwei Jahren (9).

Trotz der praktischen Relevanz dieses flexiblen Ansatzes fehlen bislang systematische Untersuchungen zur Durchführbarkeit von ASSIP flex. Insbesondere ist unklar, inwieweit die Umsetzung in unterschiedlichen Versorgungskontexten gelingt und welche Faktoren die Akzeptanz und Umsetzung beeinflussen. Nach Bowen, Kreuter (17) umfasst die Beurteilung der Durchführbarkeit einer Intervention Aspekte wie Bedarf (Inanspruchnahme durch die Zielgruppe), Umsetzung (praktische Durchführung), Akzeptanz (Annahme der Intervention durch die Zielgruppe) sowie erste Hinweise auf die (eingeschätzte) Wirksamkeit.

Diese Forschungslücke verdeutlicht den Bedarf an empirischen Untersuchungen zur Umsetzung und praxisnahen Anwendung dieses flexiblen Behandlungsmodells. Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, die Durchführbarkeit von ASSIP flex zu evaluieren. Dazu wurden Bedarf, Umsetzung und Akzeptanz sowie Veränderungen klinischer Variablen (z. B. suizidales Erleben, depressive Symptome, Selbstwirksamkeit) untersucht. Darüber hinaus wurde untersucht, welche Faktoren die Umsetzung von ASSIP flex in den verschiedenen Settings beeinflussen. Es wird angenommen, dass ASSIP flex erfolgreich in unterschiedlichen Behandlungskontexten durchgeführt werden kann und eine hohe Akzeptanz bei Patient/-innen und Behandler/-innen aufweist.

Methode

Studiendesign

Die vorliegende Studie ist Teil einer umfassenderen Längsschnittbeobachtungsstudie, die von 2022 bis 2025 an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern durchgeführt wird. Das Suizidpräventionsprojekt ASSIP flex wird von Gesundheitsförderung Schweiz finanziell unterstützt. Die Evaluationsstudie wurde von der kantonalen Ethikkommission bewilligt (KEK Nr. 2021-02504) und ist auf ClinicalTrials.gov (NCT06322199) und kofam (SNCTP000005100) registriert. Die hier vorgestellte Subanalyse basiert auf einem Prä-Post-Design.

Die Durchführung von ASSIP flex erfolgte in vier Schweizer Kantonen: Bern (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie), Zürich (Sanatorium Kilchberg, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich), Lausanne (Centre Hospitalier Universitaire Vaudois), und Neuenburg (Center Neuchâtelois de Psychiatrie). Patient/-innen mit einem Suizidversuch in der Vorgeschichte wurden über Fachpersonen aus den Bereichen Psychiatrie und Psychologie, ambulante Spitex und Hausärzte/Hausärztinnen rekrutiert. Zu den Einschlusskriterien zählten mindestens ein dokumentierter Suizidversuch sowie ein Mindestalter von 18 Jahren. Ausgeschlossen wurden Patient/-innen mit schweren ko­gnitiven Einschränkungen, psychotischen Störungen (ICD-10 Codes F20–F23) oder unzureichenden Deutsch- oder Französischkenntnissen.

Studienablauf

Die Patient/-innen wurden zu zwei Messzeitpunkten befragt: vor der ersten ASSIP-flex-Sitzung (t0) und vier bis sechs Wochen danach (t1). Die Befragung dauerte zu t0 ca. 60 Minuten und zu t1 ca. 40 Minuten. Nach der Kurzintervention wurden die Therapeut/-innen zu ihren Erfahrungen mit ASSIP flex befragt. Vor der Datenerhebung gaben alle Patient/-innen ihr schriftliches Einverständnis.

Intervention

ASSIP flex umfasst drei bis vier 50- bis 60-minütige Therapiesitzungen, die nach Absprache stationär, ambulant oder im Home Treatment stattfinden. In der zweiten Sitzung findet ein Video-Playback statt, in dem Patient/-innen und Therapeut/-innen Schritt für Schritt die Hintergründe des Suizidversuchs und den suizidalen Prozess analysieren. Gemeinsam werden persönliche Warnzeichen herausgearbeitet und erste Bewältigungsstrategien besprochen. In der dritten Sitzung steht die Entwicklung einer persönlichen Fallkonzeption inklusive Sicherheitsplan mit Notfallnummern und konkreten Krisenbewältigungsstrategien im Mittelpunkt. Ergänzend findet ein kontinuierlicher Briefkontakt über zwei Jahre statt, um die therapeutische Beziehung aufrechtzuerhalten und eine längerfristige Rückfallprävention zu unterstützen (18).

Messinstrumente

Soziodemografische Merkmale sowie die Einschätzung des Bedarfs und der Akzeptanz von ASSIP flex wurden mit dem soziodemografischen Fragebogen (DEMO; [9], erweitert 2022 in deutscher und französischer Version; t0: 27 Items, t1: 14 Items) erfasst. Der Fragebogen enthält Angaben zu Alter, Geschlecht und gesundheitsbezogenen Daten sowie Fragen zur Motivation und zu positiven, aber auch herausfordernden Aspekten der Behandlung zur Bedarfserhebung (DEMO t0). Die Akzeptanz von ASSIP flex wurde durch Fragen zu positiven Aspekten und Herausforderungen der Intervention erhoben (DEMO t1). Zusätzlich schätzten die Patient/-innen ihre wahrgenommene Wirksamkeit der ASSIP-flex-Behandlung ein.

Der Therapeut/-innen-Feedback-Fragebogen (TFF, eigene Entwicklung, deutsche und französische Version) erfasst die Erfahrungen der Therapeut/-innen nach der Kurzintervention, insbesondere hinsichtlich des flexiblen Settings, der Herausforderungen (Umsetzung) sowie der positiv erlebten Aspekte der ASSIP-flex-Behandlung (Akzeptanz).

Die Intensität des suizidalen Erlebens wurde mit der Beck-Skala für Suizidgedanken (BSS; [19]) erfasst. Es wurde sowohl die deutsche (20) als auch die französische Version (21) verwendet. Die Skala weist eine hohe interne Konsistenz auf (Cronbach’s α = 0.94; [20]) und besteht aus 19 Items mit einem dreistufigen Antwortformat, aus denen ein Mittelwert (0–2) berechnet wird. Suizidales Verhalten wurde durch zwei zusätzliche Items erfasst.

Zur Erfassung depressiver Symptome wurde das Beck-Depressions-Inventar (BDI-II; [22]) eingesetzt. Es lag sowohl die deutsche (23) als auch die französische Version (24) vor. Das Instrument weist eine hohe interne Konsistenz auf (α = 0.84; [25]). Der Fragebogen umfasst 21 Items mit einem vierstufigen Antwortformat, aus denen ein Summenscore (0–63) berechnet wurde.

Die Selbstwirksamkeitserwartung wurde mit der Skala zur Allgemeinen Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) erfasst. Es wurde sowohl die deutsche (26) als auch die französische Version «Auto-efficacité Généralisée» (27) verwendet. Die Skala weist eine gute interne Konsistenz auf (α = 0.80–0.90; [26]) und besteht aus 10 Items mit einem vierstufigen Antwortformat, aus denen ein Summenscore (10–40) berechnet wird.

Statistische Analyse

Die statistischen Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics© Version 29.0.1.1 (28) und RStudio Version 12.1 (29) durchgeführt. Aufgrund fehlender Werte bei den klinischen Variablen (BSS, BDI, SWE; t0 23 [18.4 %], t1 25 [20.1 %]) wurde eine Imputation mittels Predictive Mean Matching (PMM; [30]) durchgeführt und 10 Datensätze geschätzt. Nach Little’s Missing Completely at Random-Test (MCAR; [31]) kann davon ausgegangen werden, dass die fehlenden Werte zufällig verteilt waren (χ2145 = 201.1, p = 0.143).

Zur Überprüfung der ersten Fragestellung zur Bedarfserhebung, Umsetzung und Akzeptanz wurden deskriptive Verfahren eingesetzt. Die Fragestellung zwei, die eine mögliche Verbesserung der klinischen Variablen untersuchte, wurde mithilfe paarweiser t-Tests analysiert. Zur Beantwortung der Fragestellung drei, die sich mit den Zusammenhängen zwischen klinischen Variablen und der wahrgenommenen Wirksamkeit befasste, wurden Pearson-Korrelationen berechnet.

Ergebnisse

Patient/-innen- und Therapeut/-innen-Merkmale

Die Stichprobe umfasste 105 Patient/-innen (53.3 % weiblich; Alter M = 38.8, SD = 15.2 Jahre). Alle Patient/-innen berichteten mindestens einen Suizidversuch in der Vorgeschichte (M = 2.3, SD = 2.4, Min. = 1.0, Max. = 15.0). In den 12 Monaten vor der Intervention hatten 85.7 % der Patient/-innen mindestens einen Suizidversuch unternommen (M = 1.2, SD = 0.9, Min. = 0.0, Max. = 6.0). Die Mehrheit der Patient/-innen (81.9 %) gab eine affektive Störung als Hauptdiagnose an. Zu t0 befanden sich 51.0 % der Patient/-innen zusätzlich zur ASSIP-flex-Kurztherapie in stationärer psychiatrischer Behandlung; dieser Anteil sank zu t1 signifikant auf 11.3 % (vgl. Tab. 1). Die Patient/-innen wurden von insgesamt neun Therapeut/-innen aus vier verschiedenen Kantonen behandelt (77.7 % weiblich).

Bedarf nach ASSIP flex

Der Bedarf spiegelte sich in der Motivation zur Teilnahme wider. Die Mehrheit der Patient/-innen gab an, dass sie über ihren Suizidversuch sprechen wollten (48.1 %) oder die Möglichkeit eines suizidspezifischen Angebots schätzten (47.1 %). Am häufigsten wurde die Teilnahme jedoch durch die Empfehlung psychiatrischer Fachpersonen angeregt (57.3 %). Zudem nannten 18.8 % psychische Gründe, wie etwa Angst in öffentlichen Verkehrsmitteln, als ausschlaggebend für ihre Entscheidung zur Teilnahme.

Umsetzung und Akzeptanz von ASSIP flex

ASSIP flex wurde in allen drei angebotenen Settings erfolgreich umgesetzt: Am häufigsten fand die Intervention stationär statt (45.0 %), gefolgt von ambulanten Sitzungen (24.0 %) und Behandlungen im Home Treatment (HT, 17.0 %). Bei 13.0 % der Patient/-innen erfolgte die Durchführung in unterschiedlichen Settings, wobei die Kombination aus stationären und Home-Treatment-Sitzungen mit 69.2 % am häufigsten war. Die erste Sitzung wurde von 58.8 % der Patient/-innen als besonders positiv wahrgenommen, gleichzeitig empfanden 60.0 % sie auch als herausfordernd. Nur 4.1 % gaben an, dass die Videoaufnahme eine Schwierigkeit darstellte. Die Therapeut/-innen bewerteten die erste Sitzung in 75.0 % der Fälle positiv, wobei 51.5 % keine besonderen Herausforderungen sahen. Allerdings berichteten sie bei 19.0 % der Patient/-innen von Schwierigkeiten im initialen Beziehungsaufbau. ASSIP flex wurde hinsichtlich seiner eingeschätzten Wirksamkeit im Durchschnitt mit M = 2.9 (SD = 0.8, Min. = 1, Max. = 4) bewertet (vgl. Tab. 2).

Veränderungen der klinischen Variablen der Patient/-innen

Das suizidale Erleben der Patient/-innen nahm von t0 zu t1 ab (BSS: t104 = 4.5, p < 0.001, d = 0.4), ebenso die depressiven Symptome (BDI: t104 = 6.0, p < 0.001, d = 0.6). Die Selbstwirksamkeit nahm im Verlauf der Kurztherapie zu (SWE: t104 = –2.3, p < 0.05, d = 0.2).

Zusammenhänge zwischen den klinischen Variablen und der eingeschätzten Wirksamkeit der Patient/-innen

Ein geringeres suizidales Erleben zu t1 korrelierte mit einer höheren Einschätzung der Wirksamkeit von ASSIP flex aus Sicht der Patient/-innen. Geringere depressive Symptomatik zu t1 korrelierte mit einer höheren Einschätzung der Wirksamkeit. Eine höher eingeschätzte Wirksamkeit war wiederum mit einer höheren Selbstwirksamkeit zu t1 assoziiert. Darüber hinaus war eine geringere Depressionssymp­tomatik mit einem geringeren suizidalen Erleben und einer höheren Selbstwirksamkeit zu t1 assoziiert (vgl. Abb. 1).

Diskussion

Die vorliegende Studie untersuchte die Durchführbarkeit, Akzeptanz und selbst eingeschätzte Wirksamkeit von ASSIP flex, einer flexiblen Kurzintervention für Patient/-innen nach einem Suizidversuch. Dabei wurden zentrale Durchführbarkeitskriterien berücksichtigt, wie sie von Bowen, Kreuter (17) beschrieben wurden. Dazu gehören unter anderem die Umsetzung (praktische Durchführung), die Akzeptanz durch Patient/-innen und Behandelnde sowie erste Hinweise auf potenzielle klinische Effekte. Angesichts der hohen Abbruchraten ambulanter Behandlungen und der bestehenden Versorgungslücke stellt ASSIP flex eine niederschwellige, adaptierbare Intervention dar, die stationär, ambulant oder im Home Treatment umgesetzt werden kann. Die Ergebnisse zeigen, dass die Intervention in allen drei Settings gut realisierbar war und von Patient/-innen sowie von Therapeut/-innen positiv bewertet wurde. Die individuelle Anpassbarkeit der Therapie erwies sich als entscheidender Faktor für die Akzeptanz. Zudem war ASSIP flex mit klinischen Verbesserungen hinsichtlich suizidalen Erlebens (BSS), depressiver Symptomatik (BDI) und Selbstwirksamkeit (SWE) assoziiert. Die Möglichkeit, ASSIP flex auch aufsuchend im häuslichen Umfeld anzubieten, erweitert das Behandlungsangebot für Patient/-innen, die klassische Versorgungsstrukturen nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen können. Die Ergebnisse sprechen für eine praxisnahe Umsetzung dieser Kurztherapie im gesamten Behandlungsspektrum, um eine kontinuierliche therapeutische Begleitung und eine effektive Suizidprävention zu gewährleisten.

Nachfrage, Umsetzung und Akzeptanz von ASSIP flex

Die vorliegende Studie zeigt, dass ASSIP flex erfolgreich in verschiedenen Behandlungssettings implementiert werden konnte. Die hohe Nachfrage spiegelt sich in der hohen Res­ponserate wider, wobei Empfehlungen durch Fachpersonen eine zentrale Rolle spielten. Dies unterstreicht die Bedeutung des Gesundheitssystems als Multiplikator in der Suizidprävention. Diese Befunde stimmen mit früheren Studien überein, die den Einfluss von Fachpersonen auf die Bereitschaft zur Teilnahme an therapeutischen Interventionen betonen (32). Therapeut/-innen, die ASSIP flex anwenden, berichten zudem von einer hohen Akzeptanz und einer einfachen Umsetzung der Intervention, was die praxisnahe Anwendbarkeit weiter unterstützt.

Ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz von ASSIP flex war die Möglichkeit, sich wertfrei mit dem eigenen Suizidversuch auseinanderzusetzen und offen darüber sprechen zu können. Viele Patient/-innen nannten diesen Aspekt als ausschlaggebend für ihre Teilnahme. Diese Beobachtung bestätigt die Annahme, dass ASSIP flex ein unterstützendes und wertfreies Umfeld schafft (33), welches die therapeutische Allianz stärken und langfristig zur Stabilisierung beitragen kann.

Ein zentraler Aspekt von ASSIP flex ist die Möglichkeit, eine kontinuierliche therapeutische Begleitung über verschiedene Behandlungssettings hinweg sicherzustellen. Die Kurztherapie wurde in 45 % der Fälle stationär, in 24 % ambulant und in 17 % als Home Treatment durchgeführt, wobei die Kombination aus stationären und Home-Treatment-Sitzungen mit 69.2 % am häufigsten war. Diese Verteilung verdeutlicht die Flexibilität des Programms, das den Übergang zwischen stationärer, ambulanter und häuslicher Behandlung erleichtert. Diese kontinuierliche Beziehungsgestaltung könnte für suizidale Patient/-innen von besonderer Bedeutung sein, da stabile therapeutische Beziehungen als zentraler Schutzfaktor gelten (34). Frühere Studien betonen zudem, dass der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung eine Grundvoraussetzung für den Erfolg suizidpräventiver Behandlung ist (18).

Die Möglichkeit, ASSIP flex ambulant oder im häuslichen Umfeld anzubieten, adressiert zudem strukturelle und gesellschaftliche Barrieren, die den Zugang zu suizidspezifischen Behandlungen erschweren. Beispielsweise stellt die Stigmatisierung für viele Betroffene eine erhebliche Hürde dar (35), sodass eine flexible und niederschwellige Umsetzung die Versorgung suizidaler Patient/-innen verbessern könnte. Diese Befunde decken sich mit Studien, die die Relevanz von Flexibilität (36) und Kontinuität (37) in der Suizidprävention betonen und die Wirksamkeit aufsuchender Behandlungsansätze wie ASSIP flex als Ergänzung zu stationären Behandlungen hervorheben (10, 13, 38, 39).
Die Umsetzung von ASSIP flex wurde von Therapeut/-innen insgesamt als weitgehend unproblematisch beschrieben. Eine der grössten Herausforderungen lag in der initialen Kontaktaufnahme mit Patient/-innen (zur Terminvereinbarung), ein kritischer Punkt, der bereits in früheren Studien zur Nachsorgearbeit hervorgehoben wurde (40).

Die hohe Akzeptanz der Intervention sowohl bei Patient/-innen als auch bei Therapeut/-innen bestätigt jedoch die praktische Durchführbarkeit und die wahrgenommene Relevanz der Intervention – selbst bei emotional anspruchsvollen Inhalten (17). Ein weiterer Vorteil für Behandelnde liegt in der klaren Struktur der Intervention, die eine sichere und konsistente Durchführung ermöglicht. Dies gibt Therapeut/-innen eine klare Orientierung und erleichtert die Umsetzung in unterschiedlichen Behandlungskontexten (41).

ASSIP flex kombiniert bewährte therapeutische Elemente wie das narrative Interview, Video-Playback und die kollaborativ überarbeitete Fallkonzeption suizidalen Verhaltens mit einer flexiblen Umsetzung des Behandlungsangebots, die speziell auf die Grundversorgung suizidaler Patient/-innen zugeschnitten ist. Durch diese Struktur kann gezielt auf individuelle Problematiken eingegangen werden, während gleichzeitig die therapeutische Beziehung gestärkt wird, ein zentraler Faktor für den Erfolg suizidpräventiver Behandlungen.

Veränderungen der klinischen Variablen im Verlauf von ASSIP flex

Die Intervention war mit einer Abnahme des suizidalen Erlebens assoziiert, was mit früheren Studien übereinstimmt, die eine Reduktion von Suizidgedanken durch die suizidspezifische Kurztherapie ASSIP bestätigen (42). Ebenso zeigt sich eine Reduktion depressiver Symptome, was besonders relevant ist, da Depressionen häufig mit wiederholten Suizidversuchen assoziiert sind (2). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass insbesondere die Reduktion depressiver Symptome eine klinisch bedeutsame Veränderung darstellt, während die Zunahme der Selbstwirksamkeit möglicherweise längerfristige Effekte auf die Stabilisierung suizidaler Patient/-innen haben könnte. Besonders die Zunahme der Selbstwirksamkeit ist bedeutsam, da sie ein wichtiger Prädiktor für Resilienz in Krisensituationen ist (43). Dies könnte mit der Abnahme des suizidalen Erlebens im Zusammenhang stehen, da eine erhöhte Selbstwirksamkeit nachweislich mit einem geringeren suizidalen Erleben assoziiert ist (44).

Ein wichtiger Aspekt der Evaluation war die subjektive Wirksamkeitseinschätzung der Patient/-innen. Personen mit geringeren Suizidgedanken und depressiven Symptomen bewerteten die Intervention als wirksamer, was mit früheren Erkenntnissen übereinstimmt. Studien zeigen, dass prognostische Überzeugungen – also die Erwartung, von einer Behandlung zu profitieren – einen entscheidenden Einfluss auf den Therapieerfolg haben (45).

Stärken und Einschränkungen

Die multizentrische Stichprobe aus vier Schweizer Kantonen ermöglicht eine Untersuchung der Anwendung von ASSIP flex in unterschiedlichen Versorgungskontexten, darunter städtische und ländliche Regionen sowie verschiedene klinische Strukturen. Die Studie liefert zudem erstmals eine systematische Evaluation von Bedarf, Umsetzung und Akzeptanz dieser flexiblen ASSIP-flex-Kurztherapie.
Trotz dieser Stärken gibt es methodische Einschränkungen. Erstens basieren die erhobenen Daten ausschliesslich auf Selbstbeurteilungsfragebogen, was sowohl die Charakterisierung der Stichprobe als auch die objektive Bewertung des Behandlungserfolgs limitiert. Eine nicht verblindete Beobachtungsstudie, die auf Selbsteinschätzungen der Patient/-innen beruht, birgt das Risiko einer Überschätzung der Wirksamkeit (46). Zweitens fehlte eine Kontrollgruppe, wodurch keine kausalen Rückschlüsse auf die spezifische Wirksamkeit von ASSIP flex im Vergleich zu anderen flexiblen Behandlungsansätzen möglich sind. Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) sind notwendig, um den tatsächlichen Effekt des flexiblen Behandlungsangebots von anderen Einflussfaktoren abzugrenzen und eine evidenzbasierte Bewertung vorzunehmen. Drittens erlaubt die kurze Nachbeobachtungszeit von vier bis sechs Wochen keine Aussagen über mögliche Langzeiteffekte der Kurztherapie. Weitere Erkenntnisse zur Stabilität der Effekte über einen längeren Zeitraum werden durch den nach Abschluss der Hauptstudie geplanten 1-Jahres-Follow-up-Verlauf erwartet, der genauere Einblicke in die Nachhaltigkeit der Intervention geben kann.

Zusammenfassung

ASSIP flex stellt eine vielversprechende Erweiterung des bestehenden klinischen Behandlungsangebots dar, die sich flexibel in bestehende Versorgungsstrukturen integrieren lässt. Das flexible Angebot adressiert eine kritische Versorgungslücke zwischen Klinikentlassung und ambulanter Nachsorge und ermöglicht eine kontinuierliche Begleitung suizidaler Patient/-innen – sowohl im stationären als auch im ambulanten und häuslichen Setting. Durch diese Flexibilität können insbesondere schwer erreichbare Patient/-innen, die herkömmliche Angebote nicht wahrnehmen, besser unterstützt werden.

Die hohe Akzeptanz und erfolgreiche Umsetzung in verschiedenen Settings unterstreichen das Potenzial von ASSIP flex als niedrigschwellige, patientenzentrierte Kurztherapie. Die Ergebnisse zeigen, dass die bedarfsgerechte Integration von ASSIP flex in die klinische Praxis die therapeutische Begleitung suizidaler Patient/-innen verbessern und langfristig zur Reduktion suizidalen Verhaltens beitragen könnte. Eine weiterführende Implementierung in das Versorgungssystem könnte somit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Suizidprävention leisten.

Für die Praxis ist die frühzeitige Identifikation geeigneter Patient/-innen entscheidend. Eine gezielte Ansprache und Information können die Teilnahme an ASSIP flex fördern. Die enge Zusammenarbeit mit psychiatrischen und psychosozialen Diensten erleichtert die Vermittlung und Begleitung. Aufklärung über Suizidalität und Versorgungsangebote helfen, Stigmata abzubauen und den Zugang zu Hilfsangeboten zu erleichtern.

MSc Adriana Frei

Universität Bern, Zentrum für Translationale Forschung
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Bolligenstrasse 111
3000 Bern 60

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Interventionelle Psychiatrie und neuartige Substanzen zur Behandlung affektiver Störungen

Neue Entwicklungen in der Behandlung affektiver Störungen

Depressionen gehören zu den affektiven Störungen und sind durch die Kernsymptome niedergedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Antriebsmangel gekennzeichnet. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens mindestens einmal an einer depressiven Episode zu erkranken, liegt bei 16–20 % (1). Damit gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Depressionen werden mit Psychotherapie oder Antidepressiva und bei mittelschwerer und schwerer Ausprägung mit Kombination von Antidepressiva und Psychotherapie behandelt. Pharmakologische und psychotherapeutische Behandlungen sind effiziente Verfahren zur Behandlung von Depressionen. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Behandlung mit einem Antidepressivum anzusprechen und eine Remission zu erreichen, liegt während einer depressiven Episode bei einem ersten Behandlungsversuch bei 36 % und fällt bei einem zweiten Versuch auf 30 %, während bei einem dritten oder vierten Behandlungsversuch nur noch 13 % der Patientinnen und Patienten mit Depression ansprechen (2). Unter dem Begriff der Therapieresistenz wird in der Regel ein fehlendes Ansprechen auf mindestens zwei Antidepressiva, die in hinreichender Dosis und Dauer eingenommen wurden, verstanden (3). Abzugrenzen ist die Pseudotherapieresistenz; eine scheinbare Resistenz, die u. a. durch Fehldiagnosen, nicht erkannte psychiatrische Komorbiditäten, somatische Begleiterkrankungen, fehlende Therapie-Compliance oder insuffiziente Medikamentenspiegel bedingt ist. Der Begriff der «Therapieresistenz» geht jedoch mit einer negativen, pessimistischen Konnotation einher. Zudem ist die Implikation, dass nicht geholfen werden kann, inhaltlich nicht gerechtfertigt, da es neue Entwicklungen und innovative Behandlungsmethoden gibt. Daher wird das Konzept der schwer behandelbaren Depression in der letzten Zeit bevorzugt. Der Bereich der interventionellen Psychiatrie umfasst innovative und wirksame Hirnstimulationsverfahren, die die pharmakologische und psychotherapeutische Standardtherapie ergänzen. Im Folgenden soll eine Übersicht über verschiedene Verfahren der interventionellen Psychiatrie und neuartige Substanzen gegeben werden (Abb. 1).

Repetitive transkranielle Magnetstimulation

Bei der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation TMS (rTMS) wird das Prinzip der elektromagnetischen Induktion genutzt, um gezielt spezifische Hirnareale zu aktivieren oder zu hemmen und damit Netzwerke zu beeinflussen. In Abhängigkeit von der Frequenz der applizierten Pulse kann dies zu einer Langzeitpotenzierung oder Langzeitdepression der stimulations- und schädelnahen Hirnrinde führen. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auslösen eines axonalen Aktionspotenzials erhöht (Langzeitpotenzierung) oder erniedrigt (Langzeitdepression) wird (4). Die rTMS zielt darauf ab, Veränderungen von Hirndurchblutung und Aktivität, welche mit neuropsychiatrischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, zu normalisieren. Bei depressiven Erkrankungen geht man von einer Unteraktivierung des linken dorsolateralen präfrontalen Kortex (dlPFK) aus, die mit Schweregrad der Symptome wie Antriebslosigkeit korreliert (5). Dementsprechend werden meistens stimulierende Protokolle über dem linken dlPFK verwendet. Seltener wird der rechte dlPFK gehemmt oder ein alternativer Stimulationsort (z. B. orbitofrontaler Kortex) gewählt. Die Geschwindigkeit von technischen Entwicklungen ist in diesem Bereich aktuell sehr hoch. Neben verschiedenen Ansätzen zur Optimierung des idealen Stimulationsortes (z. B. mittels anatomisch gesteuerter Navigation oder basierend auf funktioneller MRT-Bildgebung) kommen zunehmend intensivierte bzw. beschleunigte («accelerated» rTMS) Protokolle zum Einsatz. Beschleunigte Protokolle applizieren eine höhere Anzahl von Pulsen in einer kürzeren Zeit als konventionelle rTMS-Stimulationsprotokolle. Besondere Aufmerksamkeit hat das in Stanford entwickelte Stanford Accelerated Intelligent Neuromodulation Treatment (SAINT) Protokoll hervorgerufen, das 10-mal/Tag für 10 Minuten appliziert wird und bei Patientinnen und Patienten mit Therapieresistenz in Studien innerhalb von 5 Tagen Remissionsraten von über 90 % erreichen konnte (6). Die rTMS-Behandlung ist in der Regel gut verträglich. Kopfschmerzen oder transiente Missempfindungen am Stimulationsort können auftreten. Epileptische Anfälle sind sehr selten beschrieben (7), weswegen vor Beginn der Behandlung ein EEG zum Ausschluss einer erhöhten Anfallsneigung durchgeführt werden sollte. Erste randomisierte kontrollierte Studien bei Patientinnen und Patienten, die nicht auf einen antidepressiv pharmakologischen Behandlungsversuch ansprachen, zeigten die Überlegenheit einer rTMS-Behandlung im Vergleich mit einem Wechsel des Antidepressivums oder einer Augmentation (8, 9). Klinische Stratifizierung von Subgruppen mit besserem Ansprechen und das Nutzen von EEG und bildgebenden Verfahren könnten die Wirksamkeit der rTMS noch deutlich weiter erhöhen (10).

Elektrokonvulsionstherapie

Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) gehört zu den wirksamsten Behandlungsmethoden depressiver Erkrankungen und wird zudem bei schwer behandelbaren psychotischen und katatonen Syndromen angewandt. In Kurznarkose und Muskelrelaxation wird mittels elektrischer Stimulation (kurze bis ultrakurze unipolare Rechteckimpulse) nach erfolgter Präoxygenierung ein kurzer (Dauer optimal 30–60 Sekunden), kontrollierter, generalisierter epileptischer Anfall ausgelöst. Der generalisierte epileptische Anfall wird mittels Elektroenzephalographie (EEG) dokumentiert und quantifiziert. Die EKT zeigt bei Patientinnen und Patienten mit schwer zu behandelnder Depression («Therapieresistenz») Ansprech- und Remissionsraten von über 60 % und ist damit bei dieser Subgruppe wirksamer als Pharmakotherapie (11). Für die EKT gibt es gut belegte klinische Prädiktoren für ein therapeutisches Ansprechen (hohes Alter, Depression mit psychotischen Symptomen, psychomotorische Verlangsamung, katatone Symptome) (12). Exzellente Ansprechraten zeigen sich vor allem bei Patientinnen und Patienten mit psychotischer und mit katatoner bzw. stuporöser Symptomatik, welche auch bei schwer ausgeprägten depressiven Erkrankungen auftreten kann. Hier liegen Remissionsraten bei über 90 %. Im Falle der lebensbedrohlichen perniziösen Katatonie, die auf eine medikamentöse Behandlung häufig nur unzureichend anspricht, ist die EKT die Methode der Wahl (13). Die EKT ist ein sicheres Verfahren. Auftretende Nebenwirkungen sind Kurzzeitgedächtnisstörungen (Schwierigkeiten beim Abspeichern neuer Informationen während des Zeitraums der EKT-Behandlung), kurzdauernde Kopfschmerzen und Übelkeit am Behandlungstag, die gut symp­tomatisch behandelbar sind. Die EKT ruft eine Reihe von neuroplastischen Veränderungen hervor. Besonders gut belegt sind transiente Vergrösserungen der Hippocampi und der kortikalen Dicke insbesondere im cingulären und präfrontalen Cortex. Ob diese Veränderungen einen (kausalen) Zusammenhang mit klinischer Verbesserung haben, ist allerdings umstritten; ein linearer Zusammenhang ist gemäss dem aktuellen wissenschaftlichen Stand eher unwahrscheinlich (14, 15). Grosse internationale Konsortien untersuchen gegenwärtig Neuroplastizität und prädiktive Marker für ein EKT-Ansprechen basierend auf EEG und MRT-Analysen (15, 16). Selbst mit sehr sensitiven Methoden lassen sich keine neuronalen Schädigungen durch die EKT nachweisen.

Transkranielle Gleichstromstimulation

Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (englisch: transcranial direct current stimulation, tDCS) wird im Gegensatz zur rTMS kein Aktionspotenzial ausgelöst, sondern eine Verschiebung des Ruhemembranpotenzials hervorgerufen. Zur Behandlung depressiver Symptome werden Klebeelektroden meist über dem linken (Anode) und dem rechten (Kathode) dlPFK angebracht. Elektronen fliessen von der Anode zur Kathode. Hierdurch kommt es zu einer Depolarisation im Bereich des linken dlPFK, was die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Aktionspotenzials erhöht. Klinisch randomisierte kontrollierte Studien zeigen einen Effekt der tDCS im Vergleich zu einer Scheinstimulation (17). Vergleichsstudien der tDCS mit einer Behandlung mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) deuten aber eher auf eine unterlegene Wirksamkeit der tDCS-Behandlung im Vergleich zu einer Behandlung mit SSRI hin (18). Die Behandlung mit tDCS ist sicher, Nebenwirkungen wie beispielsweise Hautirritationen und Erytheme sind in der Regel mild und treten selten auf (19). Zwei grosse randomisiere kontrollierte, multizentrische Studien, die die Kombination von tDCS mit Pharmakotherapie bzw. Psychotherapie untersuchten, konnten keine Überlegenheit der tDCS-Gruppe nachweisen (20, 21). Am ehesten geeignet erscheint die tDCS-Behandlung für Patientinnen und Patienten mit leicht ausgeprägtem Schweregrad, die eine Behandlung mit Hirnstimulationsverfahren wünschen. Ein Vorteil der Behandlung mit tDCS (im Vergleich zur rTMS) ist die Möglichkeit, die Behandlung zu Hause durchzuführen (17). Eine vor Kurzem publizierte Studie zeigte, dass eine tDCS-Behandlung, die unmittelbar vor einer Behandlung mit rTMS durchgeführt wurde, die antidepressive Wirksamkeit der rTMS-Behandlung signifikant verbesserte (22). Auch die Wirksamkeit der tDCS als Erhaltungstherapie wird gegenwärtig untersucht (23). Trotz interessanter und vielversprechender Studienergebnisse konnte die Evidenz von tDCS zur Behandlung von Depressionen noch nicht hinreichend belegt werden und ist deswegen gegenwärtig als experimentelle Behandlungsmethode einzustufen.

Esketamin und Ketamin

Intranasal appliziertes Esketamin (S-Enantiomer von Ketamin) und intravenös verabreichtes Ketamin (Racemat von S- und R-Enantiomer) stellen für die Indikation der Behandlung der therapieresistenten Depression relativ neue Substanzen dar. Die Behandlung mit intranasalem Esketamin wurde 2019 sowohl von der Food and Drug Administration (FDA) als auch von der European Medicines Agency (EMA) zugelassen. Die Zulassung wurde 2020 für Patientinnen und Patienten mit Depression und akuter Suizidalität erweitert. Die Behandlung mit intranasalem Esketamin erfolgt in Kombination mit einem Antidepressivum. Die Wirksamkeit und vor allem der im Vergleich zur Behandlung mit Antidepressiva sehr schnelle antidepressive Wirkeintritt nach Stunden bis Tagen konnte in zahlreichen Studien belegt werden (24, 25). Der Hauptwirkmechanismus der Esketaminbehandlung erfolgt durch die antagonistische Affinität an N-Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptoren. Durch eine Antagonisierung von γ-aminobutyric-acid(GABA)-Interneuronen erfolgt eine erhöhte synaptische Glutamatausschüttung. Glutamat aktiviert unter anderem den ionotropen AMPA-Rezeptor, der eine Kaskade in Bewegung setzt, die zu einer Erhöhung des brain-derived neurotrophic factor (BDNF) führt, was eine verstärkte Neurogenese, unter anderem im Hippocampus und dem medialen präfrontalen Cortex, initiiert (24). Valide Kritikpunkte bezüglich der gegenwärtigen Studienlage sind Schwierigkeiten der Verblindung (Euphorie, Dissoziation bei Verumgabe) und Erwartungseffekte selektierter Patienten, was zu überhöhten Effektstärken führen kann. Zu den Nebenwirkungen gehören Dissoziation, Induktion von Ängsten, Sedation, Schwindel, Blutdruck- und Pulsentgleisungen und Beschwerden des unteren Urogenitaltrakts (z. B. Hämaturie). Eine Reanalyse einer randomisierten kontrollierten Studie zeigte einerseits, dass Patientinnen und Patienten mit einem prognostisch eher ungünstigen Profil für eine EKT (jung, ohne psychotische Symptome) eher von einer intravenösen Ketaminbehandlung als von einer sehr kurzen EKT-Serie profitieren (26). Andererseits deutet eine vor Kurzem publizierte Metaanalyse auf eine eher geringe Effektstärke der Esketaminbehandlung als Add-on-Therapie zu Antidepressiva hin und konnte keine Wirksamkeit bezüglich einer Reduktion der Suizidalität nachweisen (27). Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer weiteren Stratifizierung von Subgruppen mit dem Ziel einer individualisierten Indikationsstellung für spezifische Hirnstimulationsverfahren.

Tiefe Hirnstimulation

In Fällen von schweren, andauernden depressiven Episoden, die sich weder auf Medikamente, spezifische Psychotherapie oder nicht invasiven Hirnstimulationsverfahren (rTMS, EKT) bessern, stellt die Tiefe Hirnstimulation (THS) eine invasive Behandlungsmethode dar. Mittels zweier, bilateral angebrachter Elektroden können tief im Gehirn gelegene Zielregionen stimuliert werden, wodurch dysfunktionale, die Krankheit aufrechterhaltende Netzwerke mittels elektrischer Stimuli beeinflusst werden. Bei neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Dystonien oder essenziellem Tremor findet die THS schon lange Zeit Anwendung. In der Psychiatrie wurde die THS zunächst bei therapieresistenten Zwangsstörungen, im weiteren Verlauf auch bei Depressionen eingesetzt. Zielregionen der THS-Depressionsbehandlung sind Kernregionen und Faserverbindungen des limbischen und des Belohnungssystems (28). Coenen und Kollegen entwickelten ein erweitertes Konzept des mittleren Vorderhirnbündels (29). Das mittlere Vorderhirnbündel verbindet Kernregionen des Belohnungssystems wie das ventrale Tegmentum mit dem Nucleus accumbens und dem orbitofrontalen Cortex. Mikrostrukturelle Veränderungen des mittleren Vorderhirnbündels stehen mit Anhedonie in Verbindung, einem Kernsymptom der Depression (30). Die basierend auf Bildgebungsmethoden gesteuerte DBS-Stimulation des mittleren Vorderhirnbündels könnte besonders wirksam sein, da so depressionsspezifische Netzwerke des Belohnungssystems moduliert werden, die zentral für die Pathophysiologie der Depression sind (31, 32). Bei der THS handelt es sich um eine in der Regel irreversible Operation. Neben mit der Operation assoziierten Risiken muss vor allem auch die Induktion einer Manie sorgfältig monitorisiert werden.

Psychedelika-assistierte Psychotherapie

Die Psychedelika-assistierte Psychotherapie (PAT) ist eine innovative Intervention, die aktuell als Behandlungsmöglichkeit für affektive und andere psychiatrische Störungen untersucht wird. Gegenwärtig kann die PAT in der Schweiz ausschliesslich im Rahmen von Studien oder einer Sonderbewilligung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) für die Behandlung mit Psychedelika (Psilocybin und LSD) durchgeführt werden. Bei der PAT wird strukturierte Psychotherapie mit einer Einnahme von klassischen Psychedelika wie Psilocybin oder Lysergsäurediethylamid (LSD) kombiniert. Die PAT ist meist unterteilt in Vorbereitungssitzungen, Substanzsitzungen und Integrationssitzungen, in denen die erlebten Erfahrungen psychotherapeutisch bearbeitet werden. Metaanalytisch zusammengefasst zeigen sich in bisherigen Studien Ansprechraten von etwa 60 % (33). Zugrunde liegende Wirkmechanismen der PAT sind noch nicht vollständig geklärt. Psychedelika induzieren Neuroplastizität, was im Tiermodell gut belegt ist (34). Dies könnte dazu beitragen, psychotherapeutische Prozesse zu augmentieren bzw. zu katalysieren. So sollen durch PAT zum einen pathologische Denk- und Verhaltensmuster sowie auch die Funktion von krankheitsrelevanten Hirnregionen verändert werden können (35). Vorteile der PAT sind die rasche, anhaltende Reduktion der depressiven Symptomatik bereits nach einmaliger Einnahme sowie das niedrige Risikoprofil in einer kontrollierten Umgebung mit Selektion von Patientinnen und Patienten ohne erhöhtes Psychose- oder Manierisiko (36). Unter Substanzwirkung können Ängste und Paranoia auftreten, die im klinischen Setting in schweren Fällen pharmakologisch behandelbar sind (37). Ob es als Folge der PAT zu Nachhallphänomenen kommen kann (hallucinogen persisting perception disorder), ist nicht abschliessend geklärt. Im Gegensatz dazu zeigte eine kürzlich publizierte Studie, dass unkon­trollierter Konsum von Halluzinogenen in der Freizeit, der zu Vorstellungen auf einem Notfallzentrum führte, mit einem erhöhten Risiko einherging, eine Erkrankung aus dem psychotischen Formenkreis zu entwickeln (38). Die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie publizierte 2024 erstmals Behandlungsrichtlinien. Wie auch bei der Ketaminbehandlung wird die Evaluation der Wirksamkeit durch Schwierigkeiten der Verblindung, selektionierte Patientinnen und Patienten und hohe Erwartungseffekte erschwert. Zudem fehlen gegenwärtig Langzeitstudien und gezielte Untersuchungen, inwiefern begleitende Psychotherapie wichtig ist.

Prädiktion, Kombination und individualisierte Behandlung

Oben genannte Behandlungsverfahren haben bei schwer behandelbaren Depressionen erhebliches Potenzial. Die technische Entwicklung und die Anzahl der laufenden Studien sind rasant. Abgesehen von der EKT-Behandlung, bei der es klare und verlässliche klinische Prädiktoren für therapeutisches Ansprechen gibt, steckt die individualisierte Medizin mit einer differenziellen Indikationsstellung für die jeweiligen Verfahren noch in den Anfängen. Physiologische Marker mit potenziell prädiktivem Wert (EKG, EEG, Laborparameter), die im Rahmen der Routineuntersuchungen erhoben werden, könnten relativ einfach in den klinischen Alltag implementiert werden (10). Neben der individualisierten Indikationsstellung für jeweilige Verfahren wird auch die Kombination verschiedener Verfahren (z. B. tDCS vor rTM) [22] oder als Erhaltungstherapie [23] EKT mit Ketaminnarkose [39]) untersucht. Zudem wird erforscht, ob Hirnstimulationsverfahren in Kombination mit Psychotherapie psychotherapeutische Effekte verstärken können.

Prof. Dr. med. Tobias Bracht, PhD

Leiter Kompetenzzentrum für Interventionelle Psychiatrie und augmentierte Psychotherapie
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Murtenstrasse 21
3008 Bern
Schweiz

tobias.bracht@unibe.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Workplace-Based Assessments in Postgraduate Specialist Palliative Medicine: a narrative review

Introduction

Experiential learning (i.e. learning by experience) is a key component of medical professionals’ training in which acquiring professional knowledge is mainly driven by workplace experience (1). Palliative care (PC) is an interprofessional specialty that focuses on relationships and communication. It is intended to improve the quality of life of patients with incurable and often unpredictable diseases (2).
Workplace-based assessments (WBAs) emerged from the observation that the intent of an assessment should be learning. WBAs are, therefore, assessments with a primary formative intent that, according to Norci et al. (3), have the following key elements: alignment with a training program that has competence as an outcome, timely feedback on a real work-related situation, and guidance for a trainee’s learning toward a desired competency.

Typical examples of direct (single-time-point) WBAs include the mini-clinical evaluation exercise (Mini-CEX), direct observation of procedural skills (DOPS), and case-based discussions. Mini-CEX and DOPS are in-training assessments wherein a supervisor conducts an in-person assessment of a trainee’s performance. For example, a supervisor observes a trainee during the disclosure of “bad news” and then gives feedback on his or her performance. Case-based discussions: In a case-based discussion, performance in a clinical situation is assessed retrospectively. For example, a supervisor discusses the strategy to change an opioid treatment with a trainee and provides feedback on the approach the trainee uses for solving this clinical problem (3).

WBAs are well-researched educational tools with various desirable effects. Independent of the WBA type, they have shown positive effects on the quality and frequency of feedback (4). However, the acceptance of these types of assessments as standard learning practices by healthcare professionals is not universal. Key barriers to acceptance include a) lack of time, b) low feedback quality, c) an unclear setting (formative vs. summative) that leads to fear of being assessed, d) lack of supervisor training, and e) challenges in the professional relationship between a supervisor and a trainee (4, 5).
Increasingly so-called Entrustable Professional Activities (EPAs) are introduced to define tasks learners have to be capable to manage. Further, many observations of such activities can be used to “entrust” a learner to manage such activities either with direct/indirect or without supervision (6).

There are two basic medical training models: 1) the traditional time-based one in which a trainee is judged to be competent after a fixed training period, and 2) competency-based medical education (CBME), which is a learner-centered model in which a trainee’s preparedness for independent practice is evaluated after a defined level of competency is reached.

In Switzerland, PC training is strongly anchored in the traditional time-based education model. A Swiss postgraduate specialist PC training program follows this model and is governed by the Swiss Society of Palliative Care (palliative.ch) and the Swiss Institute of Medical Education (SIWF) (7). It involves three years of residency, with two years spent in a certified PC unit, an accredited theoretical course (a minimum of 140 hours), and the fulfillment of practical competencies. The Swiss Society of PC provides specific learning goals and competencies (8). Concerning WBAs, providing four WBAs per year is a mandatory requirement for accreditation as a PC training unit, but no guidance on which specific WBAs should be used is given.

Although WBAs are a main component of competency-based education, the use of WBAs in postgraduate specialist PC settings has not been summarized in the literature. To address this gap, this current review was guided by the following question: What is the current evidence regarding WBAs in PC postgraduate physician training?

Closing this gap is of interest because, on a practical level, summarizing existing evidence could provide a scientific groundwork for countries that want to shift postgraduate specialist PC training toward more competency-based education (9). The current situation in Switzerland is typical of this transition and can serve as a practical example in the discourse surrounding this topic.

Methods

This narrative review followed elements of the Scale for the Assessment of Narrative Review Articles (SANRA) (10). A detailed description can be found in Appendix 1, and the literature search is discussed in the following paragraph. To obtain an overview, an initial literature search was conducted in PubMed, Ovid, Scopus, ERIC, and PsychInfo. No limitations were set, and references up to November 2022 were included. The search focused on WBAs in postgraduate PC training using the following key search terms: PC, education, postgraduate, workplace-based assessment (as a general term), and specific types of WBAs.

After an initial search, the PubMed database was monitored for new publications on “education” in “palliative care” (search alert). Additionally, a Google Scholar search (“workplace-based assessment” AND “postgraduate training” AND “specialist PC”) was conducted in February 2024. After the initial search, emerging literature in the ongoing literature survey and specific references to underline emerging key statements were directly referenced in the text.

Information about the Swiss system is based on the official accreditation and quality requirements of the Swiss Society of Palliative Care (8). Details of the initial literature search and reference selection process can be found in Appendix 2 and a summary of the initial literature in Appendix 3.

Results

In total, 1121 papers were identified via an initial literature search conducted in November 2022. Twenty-nine papers were included after their abstracts were assessed for eligibility. An additional 24 references were found in the gray literature via crossreferencing. This resulted in 53 references, which served as the foundation for this review. Within these papers, specific evidence regarding postgraduate PC training in general was found in 31 records (11–41). The variety of papers was broad, ranging from reviews, reports, and surveys to policy papers (standards and requirements) on residency training programs. The evidence base for WBAs in specialist PC was enhanced by gray literature and personal communications; the search returned seven papers, documents, and internet websites (42–48). The literature survey and final Google Scholar search in 2024 identified three additional papers.(49–51)

Workplace-based Assessment in Specialist PC

We mainly found descriptions of the implementation of WBAs in specialist PC programs. Most of these programs followed a CBME model of training. In these programs, WBAs are the key elements of training and are, therefore, comprehensively implemented and described. In time-based systems (e.g., Switzerland), WBAs are usually considered a choice for supporting training, among others.

This review chose three CBME-pioneer countries as a comparison to the Swiss situation. Licensing bodies in Canada, the United States, and the United Kingdom provide detailed frameworks for WBAs included in their CBME programs. In Canada, the Royal College of Physicians, in cooperation with the Canadian Society of Palliative Care Physicians, provides clear frameworks for specialist PC education (24, 42, 45, 46). In the United States, the Accreditation Council for Graduate Medical Education (ACGME) provides clear guidance for PC postgraduate training (33), including ­recommendations for typical WBAs in a supplementary index (52). Similarly, the UK Royal College of Physicians provides a comprehensive curriculum (47).

In a Swiss postgraduate specialist PC training program, an in-training assessment of competencies can be done using a broad variety of methods. WBAs are an option, among others (43). In Swiss practice, Mini-CEX and DOPS are the most frequently used. For the accreditation of a training site, a minimum of four WBAs per year are required (8).

Tab. 1 and Tab. 2 provide an overview of specialist PC training WBAs in the United States, Canada, and the United Kingdom compared to Switzerland.

Discussion

We found that WBAs in postgraduate specialist PC training are described mainly in countries where the change to competency-based postgraduate education has been implemented systemically (e.g., Canada). An evaluation of these types of assessments in these settings is lacking, and the literature primarily describes implementation or normative needs (accreditation rules/guidelines). The use of structured WBAs (3) in specialist PC training seems understudied; the only publicly available evidence found in this review is the frameworks or requirements for a curriculum.

Training using WBAs appears to be a good modality in a PC setting for the following reasons: First, healthcare professionals working in PC are often confronted with highly dynamic and unpredictable settings, emphasizing the importance of assessments that take place in real-world environments. The second important aspect of continuity of care offers a natural opportunity for prolonged (multiple-time-point) formative assessments.

The primary intent of WBAs is to increase trainees’ levels of competency in their clinical work environments. Using the experiences of other specialties (53,54), postgraduate specialist training in PC can likely benefit from the introduction of WBAs. Through their communicative, high-feedback, and learner-centered nature, WBAs have the potential to improve postgraduate specialist PC training (especially if used with formative intent).

Countries that pioneered CBME (e.g., the U.S., the UK, and Canada) have a comprehensive program that includes WBAs as the primary assessment modality (see Tab. 1 and Tab. 2), proving their feasibility in these systems. The feasibility of WBAs does not imply universal acceptability, nor is there direct evidence of a training effect or usefulness in increasing the quality of care. Therefore, the lack of specific evaluations of training curricula leaves these questions open.

Swiss specialist PC training, although recently revised, remains close to a time-based model. In the current Swiss setting, only direct (single-time-point) Mini-CEX and DOPS are required; no EPAs are used in Swiss postgraduate specialist PC training (8).

Potential Roles and Impacts of WBAs as a Key Step in Shifting Specialist PC Training from Being Time-based to Competency-based:
The Swiss Example

PC is a relatively young discipline in Switzerland. The Swiss PC system, like other PC systems in Central Europe, has transitioned from a pioneering to a sustainable phase with a time-based training model of training. The reason for this could be that, over the last decade, stakeholders and policymakers have focused on introducing, positioning, and rendering the specialty sustainable at the system level. Presumably, because this achievement necessitates considerable resources, teaching and assessment modalities are left to the discretion of training facilities.

Because WBAs are central to competency-based training (55), we propose a two-step strategy for transitioning to a competency-based model. First, WBAs should be strengthened as standards in existing curricula. Second, existing curricula should evolve further with the introduction of EPAs. A detailed description of the second step is hypothetical and beyond the scope of this review. Fig. 1 summarizes this proposed two-step strategy.

Although the current revision of the specialist training program in Switzerland requires only four WBAs per year, these assessments are still one possibility among many. Therefore, an increase in their role should be considered whenever faculty members’ time resources allow it.

We anticipate several challenges during this transition at the trainee, supervisor, interprofessional team, and patient levels. Trainees and supervisors share the key challenge of additional time requirements. Recent qualitative research on residents’ experiences in CBME-based systems shows that these time requirements, particularly for administrative efforts, are a real issue (56). Together with the universal problem of staff shortages, both at the resident and supervisor levels, this might create tension between clinical responsibilities and education.
This review has several limitations. First, because of its narrative structure, it has inherent limitations regarding structure and rigor; however, we believe that, via the stringent application of SANRA quality items, this review provides a good overview from a practical perspective. Second, the contexts are confined to the United States, the United Kingdom, and Canada as examples of CBME-based systems. Switzerland can be considered an example of a transition to CBME, and many of its elements are derived from Anglo-Saxon education systems (e.g., Canada).

Conclusion

WBAs are feasible, accepted, and evaluated as formative training modalities in postgraduate training of specialties besides PC. However, although WBAs are seemingly well tailored to PC, the evaluation of WBAs in specialist PC training is lacking.

In Switzerland, postgraduate specialist PC training follows a primarily time-based model, and WBAs play only a marginal role in assessing trainees’ competencies. The transition to a CBME-based training model is ongoing. It is critical that WBAs be incorporated into Swiss (time-based) PC specialist physician training as a next step toward competency-based training.

History
Manuscript received: 24.06.2024
Accepted after revision: 22.01.2025

Abbreviations
WBAs Workplace-based assessments
PC Palliative Care
CBME Competency-based medical education
Mini-CEX Mini-clinical evaluation exercise
DOPS Direct observation of procedural skills

Appendix 1:
Scale for the Assessment of narrative Review Articles (SANRA), Detailed description according to Baethge C, Goldbeck-Wood S, Mertens S. SANRA—a scale for the quality assessment of narrative review articles. Peer Rev [Internet]. 2019 Dec [cited 2022 Dec 15];4(1):5. Available at: https://researchintegrityjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s41073-019-0064-8

Appendix 2
Details of the literature search
Search terms for the initial literature search:

Pubmed
– “workplace-based assessment”[Title/Abstract] AND “postgraduate”[All Fields]
– (“palliative care”) AND (“medical education”) Filters: Review, Systematic Review
– (“palliative care”[All Fields] AND “medical education”[All Fields]) AND ((y_10[Filter]) AND (review[Filter] OR systematicreview[Filter]))
– (“Terminal Care”(mh) OR caregiver*(tw) OR bereave* OR inpatient(tiab) OR “attitude to death”(tw) OR “end of life” OR hospice* OR “terminally ill”(tw) OR palliative*(tw) OR “Advance Care” OR palliat OR advanced OR (morphine AND cancer) OR “cancer pain”)AND “Workplace based assessment”. OR “Mini-cex, Clinical Encounter Cards, Clinical Work Sampling, Blinded Patient Encounters Direct observation of procedural skills , Case-based Discussion, MultiSource Feedback”

ERIC
“Postgraduate palliative care education”

Psychinfo
– Palliative and Education

Scopus
(Title-ABS-KEY (palliative) AND education AND postgraduate)
Ongoing Literature Surveillance
PubMed search alert (11/2022 –10/2023)
“Education” AND “Palliative Care”

Specific Google Scholar search (February 2024)
Search terms (014–2024):
– “Workplace-based Assessment in Palliative Care Physicians Training”
– “Postgraduate Training in Specialist Palliative Care”

Dr. med. Andreas Samuel Ebneter

Universitäres Zentrum für Palliative Care
Inselspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern, Schweiz
HFR Tafers
Abteilung Innere Medizin
1712 Tafers

andreas.ebneter@h-fr.ch

The authors have not declared any conflicts of interest in connection with this article.

• Arbeitsplatzbassierte Assessments (AbAs) sind gut validierte Instrumente, um die Kompetenzen von Weiterzubildenden zu verbessern.
• AbAs sind ein essenzieller Bestandteil der kompetenzbasierten medizinischen Weiterbildung und werden in der Palliative Care vor allem in angelsächsischen Ländern eingesetzt.
• Im Schweizer Weiterbildungssystem, welches größtenteils zeitbasiert ist, besteht ein Potential, mit den AbAs den Anteil an kompetenzbasierter Weiterbildung in der spezialisierten palliativmedizinischen Weiterbildung zu erhöhen.

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Was wissen Schweizerinnen und Schweizer über ­kardiovaskuläre Risikofaktoren?

Einleitung

Kardiovaskuläre Erkrankungen stellen in der Schweiz die häufigste nicht übertragbare Erkrankung dar und sind zudem auch die häufigste Todesursache. Die individuelle Krankheitslast durch körperliche Beeinträchtigungen und frühzeitigen Tod ist ebenso erheblich wie die gesundheitsökonomischen Belastungen. So summierten sich die direkten und indirekten Kosten in der Schweiz im Jahr 2021 geschätzt etwa auf 27.8 Mrd CHF, somit 4 % des Bruttoinlandsprodukts (1).

Dabei sind die präventiven und therapeutischen Massnahmen sowohl interventioneller als auch medikamentöser Art so umfangreich und wirksam wie in keinem anderen Krankheitsgebiet. Ausser Alter und Geschlecht lassen sich nahezu alle weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren derart beeinflussen, dass es zu einer starken und signifikanten Reduzierung des kardiovaskulären Risikos kommt (2). Neben einem allfälligen Rauchstopp und körperlicher Aktivität ist vor allem die leitliniengerechte Einstellung von Blutdruck, Lipiden und einem eventuellen Diabetes von entscheidender Bedeutung. Studien zeigen hier aber sowohl auf europäischer Ebene wie auch in der Schweiz erhebliches Verbesserungspotential (3–8). Wichtig für die Akzeptanz und Adhärenz von primär- und sekundärpräventiven Massnahmen, sowohl medikamentöser wie auch nichtmedikamentöser Art, ist sicher auch das Wissen der Patienten über die einzelnen Risikofaktoren. Zwar existieren in vielen Ländern nationale Gesundheitssurveys etwa zur Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen, aber erstaunlicherweise finden sich relativ wenig Studien, die gezielt das Wissen von Menschen zu kardiovaskulären Risikofaktoren und deren Beeinflussbarkeit untersucht haben. Vorhandene Studien deuten darauf hin, dass das Rauchen, der Blutdruck und ein eventuell vorhandener Diabetes mellitus als Risikofaktoren wahrgenommen werden, dass aber insbesondere die Lipide, respektive das Cholesterin, als Risikofaktor eher zu wenig wahrgenommen oder unterschätzt werden – nicht zuletzt auch aufgrund kontroverser Medienberichte (9, 10).

Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher zu untersuchen, welche Faktoren in der Allgemeinbevölkerung als Risikofaktoren wahrgenommen werden und wie die Einschätzung über deren Beeinflussbarkeit ausfällt. Dies sind zentrale Erkenntnisse, um künftige Präventionskampagnen effektiver zu gestalten, aber auch um die individuelle Arzt-Patienten-Kommunikation gezielter auf unterschätzte Risiken und Interventionsmassnahmen abzustellen und die Adhärenz zu erhöhen.

Methodik

Via die Zeitschrift «Doktor Stutz», eine etablierte Schweizer Zeitschrift, die sich an medizinische Laien richtet, wurde ein Link zu einem Online-Survey versandt. Zudem war der Link via die Online-Ausgabe der Zeitschrift erreichbar. Der Fragebogen war von 28.11.24 bis 8.1.25 verfügbar. Die Umfrage war vollständig anonymisiert, eine Identifikation der Teilnehmer nicht möglich, daher kam das Schweizer Humanforschungsgesetz (HFG) nicht zur Anwendung und ein Ethikvotum war nicht notwendig. Der Survey erfasste neben soziodemographischen Angaben auch Informationen zum individuellen Gesundheitszustand und kardiovaskulären Vorerkrankungen. Abgefragt wurden zudem Aussagen zu kardiovaskulären Erkrankungen im Allgemeinen, denen mit «ja», «eher ja», «eher nein» und «nein» zugestimmt, respektive widersprochen werden konnte, zudem gab es die Antwortmöglichkeit «ich weiss es nicht».

In einer weiteren Frage wurde erhoben, ob die Teilnehmenden ihre eigenen Werte für Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin und den Body Mass Index (BMI) «sehr genau», «ungefähr» oder «gar nicht» kennen.

Der Frage nach den Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen wurde ein aufsteigender Zahlenwert zugeordnet, je nach der Einschätzung des potentiellen Einflusses auf das kardiovaskuläre Risiko durch die Befragten, von 1 für «gar nicht» bis 5 für «sehr stark». Diese Gewichtung seitens der Befragten wurde mit der Anzahl der jeweiligen Antworten multipliziert und aufaddiert um so eine Gesamtgewichtung der einzelnen Risikofaktoren zu erreichen. Zudem erfolgte die Berechnung des Mittelwerts, des Medians und des Interquartilsabstandes (IQR).

Ergebnisse

Insgesamt wurden 3166 Antworten erfasst, in 2671 Fällen wurde der Fragebogen vollständig ausgefüllt. Frauen waren mit 79.5 % (2.149) deutlich überrepräsentiert gegenüber Männern mit 20.5 % (554). 3108 Teilnehmende beantworteten die Frage zum Gesundheitszustand. 1025 (32.9 %) Personen gaben an, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu leiden, 2059 (66.2 %) verneinten dies. Mit 61.2 % (1902) war die Mehrheit der Teilnehmenden zwischen 59 und 79 Jahren alt, 513 (16.5 %) Personen waren zwischen 39 und 58 Jahren, 266 (8.6 %) über 79 Jahre und 24 (0.8 %) unter 39 Jahren alt. Hinsichtlich des Bildungsstands gab die Mehrheit (1542, 49.6 %) an, die obligatorische Schulpflicht absolviert zu haben, 1435 (46.2 %) Personen verfügten über eine höhere Berufsausbildung (eidgenössische Berufs-/Fachprüfung), 302 (9.7 %) Personen über einen Fachholschulabschluss und 174 (5.6 %) über einen Universitäts- oder ETH-Abschluss.

Die Mehrheit 1871 (60.2 %) schätzte den persönlichen Gesundheitszustand als gut ein, 804 (25.8 %) als mittel, 387 (12.4 %) als sehr gut und nur 46 (1.5 %) als schlecht (Abb. 1).

Aussagen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Diese Frage wurde von 2793 Teilnehmenden beantwortet. 2560 (91.6 %) Personen stimmten der Aussage zu, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen häufig sind (ja: 1587, eher ja: 973) und nur ganz wenige negierten dies vollständig (34, 1.2 %). Ähnlich wurde die Frage zur medikamentösen Behandlungsmöglichkeit eingeschätzt, die Mehrheit stimmte der Aussage voll 1505 (53.9 %) oder überwiegend 1079 (38.6 %) zu, dass kardiovaskuläre Erkrankungen gut medikamentös behandelbar sind. 70 (2.5 %) Befragte negierten dies. Bei der Frage, ob es sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen um eine normale Alterserscheinung handelt, waren 1289 (46.1 %) Personen der Meinung dies träfe (eher) zu, während nahezu ähnlich viele 1210 (43.3 %) dies völlig oder eher verneinten. Der positiven Beeinflussbarkeit durch Bewegung (2720; 97.3 %) oder gesunde Ernährung (2413; 86.4 %) wurde überwiegend zugestimmt. 78.5 % (2194 Personen) lehnten die Aussage ab, kardiovaskuläre Erkrankungen wären überwiegend eine Erfindung der Pharmaindustrie (Abb. 2).

Kenntnis der eigenen Werte

2766 Befragte machten Angaben hierzu. Der eigene Blutdruck war den meisten Befragten bekannt: 1781 (64.3 %) gaben an, ihn sehr genau zu kennen, 913 (33 %) kennen ihn immerhin ungefähr. Der zweitgeläufigste Wert war der Body Mass Index, den 1543 (55.7 %) sehr genau kannten. Nur 217 (7.8 %) war er völlig unbekannt. Den Blutzucker kannten 1031 (37.2 %) respektive 891 (32.2 %) Personen sehr genau oder zumindest ungefähr. Beim Cholesterin gaben 1086 (39.2 %) an, den Wert sehr genau zu kennen, während 697 (25.2 %) Personen angaben, ihnen sei ihr Cholesterinwert gar nicht bekannt (Abb. 3).

Risikofaktoren für Herz- und Kreislauf-Erkrankungen

2706 Befragte gaben ihre Einschätzung zu den kardiovaskulären Risikofaktoren ab. Mit einem aufaddierten Gesamtwert von 10 687, respektive einem Mittelwert von 3.97 war Rauchen der am stärksten gewichtete Risikofaktor (Abb. 4). Mit 1366 Befragten (50.5 %) werteten knapp über 50 % diesen Faktor als sehr starken Risikofaktor, allerdings waren auch 16.1 % (435 Personen) der Meinung, Rauchen sei überhaupt kein Risikofaktor. Cholesterin und Blutdruck wurden nahezu gleichauf als starke Risikofaktoren eingestuft, mit Summenwerten von 10 706, respektive 10 650 und Durchschnittswerten von 3.97 und 3.95 (Median jeweils 4, IQR 4–5). Mit einem Summenwert von 10 641 (Durchschnitt 3.95) folgte Bewegungsmangel (Median 4, IQR 4–5), hier waren 1073 (39.7 %) der Befragten der Meinung, dies sei ein sehr starker Risikofaktor. Geringer gewichtet wurde ein Diabetes mellitus als kardiovaskulärer Risikofaktor mit einem Summenwert von 9465 und einem Durchschnittswert von 3.51 (Median 4, IQR 3–5). Immerhin 367 (13.6 %) Befragte werteten Diabetes überhaupt nicht als Risikofaktor. In der weiteren Rangfolge folgte eine familiäre Vorbelastung (9509, 3.52), Konsum von Fast Food (9105, 3.39), Stress (8861, 3.28), Konsum von Alkohol (8542, 3.16) und erhöhtes Körpergewicht (8301, 3.08). In Abb. 5 werden die Angaben in einer Likert-Skala abgebildet, die die Abweichung von einer neutralen Einschätzung des jeweiligen Risikofaktors darstellt.

Diskussion

Die vorliegende Umfrage ist nach unserem Wissen die erste Erhebung in der Schweiz unter medizinischen Laien, die Einschätzungen zum kardiovaskulären Risiko im Allgemeinen, Kenntnisse über individuelle Risikofaktoren und die grundsätzliche Beeinflussbarkeit dieser Risikofaktoren erfasst. Die Ergebnisse zeigen eine erfreulich gute Orientierung über die Risikofaktoren, aber auch einige Ansatzpunkte für eine vertiefte Aufklärung in der Primär- und Sekundärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen.

Die Ergebnisse unseres Surveys sind im Kontext des befragten Samples zu betrachten. Dieses reflektiert hinsichtlich der Altersverteilung die typische Leserschaft eines Gesundheitsmagazins, so waren über 60 % der Teilnehmenden zwischen 59 und 79 Jahren alt, einem Alter, in dem das Interesse an Gesundheitsthemen und insbesondere hochprävalenten kardiovaskulären Erkrankungen in den Vordergrund rückt. Studien zeigen, dass der Bildungsstand, nicht aber das Einkommen, Einfluss auf kardiovaskuläre Risikofaktoren und hier insbesondere wohl via Ernährung auf den Cholesterinspiegel hat (9). Auch wenn der Bildungsstand unseres Samples keine Verzerrung zu Akademikern (15.3 %) hin erkennen lässt, so ist doch davon auszugehen, dass bei den meisten Teilnehmenden bereits eine Auseinandersetzung mit dem Thema stattgefunden hat und die Teilnehmer diesbezüglich als gebildeter gelten müssen. Die selbstdeklarierte Prävalenz der Herz-Kreislauf-Erkrankung liegt mit 33.9 % im zu erwartenden Bereich, so leiden laut Schweizer Gesundheitssurvey 27.6 % der 55–64-jährigen und 45.8 % der 65–74-jährigen an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (11). Zu berücksichtigen ist auch, dass der Frauenanteil mit fast 80 % bei den Teilnehmenden stark überwog, was deren höheres Interesse an Gesundheitsthemen widerspiegeln dürfte.

Zwiegespalten waren die Teilnehmenden bei der Frage, ob kardiovaskuläre Erkrankungen eine natürliche Alterserscheinung darstellen. Dies mag daran liegen, dass ein hoher Prozentsatz der Überzeugung war, man könne diese Erkrankungen durch einen aktiven Lebensstil (97.3 %) und gesundheitsbewusste Ernährung (86.4 %) positiv beeinflussen. Auch diese hohe Selbstwirksamkeitseinschätzung dürfte ein Spezifikum des befragten Samples sein. Adhärenz-Probleme sind im ärztlichen Alltag häufig, daher hatten wir eine skeptische Haltung gegenüber medikamentösen Therapien, respektive gegenüber der Pharmaindustrie erwartet. In unserem Survey zeigt sich allerdings eine grosse Mehrheit von der medikamentösen Beeinflussbarkeit der Herz-Kreislauf-Erkrankungen überzeugt.

Besser denn erwartet, aber immer noch ungenügend, ist auch die Orientierung der Befragten über die eigenen Werte: 64.3 % kannten ihren Blutdruck nach eigener Angabe «sehr genau». In einer Studie von Oliveiria et al. unter Hypertonikern gaben beispielsweise 91 % an, dass ihnen bewusst sei, dass eine Blutdrucktherapie für sie wichtig ist, aber nur 41 % kannten ihren eigenen Blutdruck (12). In einer älteren Studie von Murdoch et al. befragte man Patienten, die eine Cholesterinmessung erhalten hatten, zu ihrem Lipidstatus und Cholesterinwerten, nur 19 % konnten ihren Wert genau erinnern, dies war insbesondere der Fall, wenn er mit Diätempfehlungen verbunden war (13). Dieses Ergebnis passt zu den qualitativen Ergebnissen von Goldman et al., die zeigen, dass insbesondere konkrete Behandlungsempfehlungen für Patienten wichtig sind (14).

Zum Kenntnisstand der Bevölkerung bezüglich kardiovaskulärer Risikofaktoren existieren erstaunlicherweise nur wenige Studien jüngeren Datums aus Westeuropa, und wenn beziehen sie sich meist auf Personengruppen, die beispielsweise ein höheres Risiko mitbringen, wie Menschen mit familiärer Hypercholsterinämie oder einem Schwangerschaftsbluthochdruck (15).

Bisherige Studien, etwa an US Veteranen, haben ein deutliches Verbesserungspotential hinsichtlich des Kenntnisstands kardiovaskulärer Risikofaktoren auch unter betroffenen Patienten gezeigt (16). Aber auch Studien mit jüngeren Personen, meist selbst mit einem hohen kardiovaskulären Risiko behaftet, zeigten eher geringe Kenntnisse über die Risikofaktoren (15, 17, 18).

Im Widerspruch zu der von uns gefundenen guten Orientierung über Risikofaktoren und eigene Werte mag die Aussage aus unserem Surevy erscheinen, dass 435 (13.5 %) Befragte das Rauchen nicht oder nur als geringen (29; 1.1 %) Risikofaktor bewerteten. In einer ähnlichen Befragung aus den Arabischen Emiraten beispielsweise werteten 91 % Rauchen als Risikofaktor und nur 9 % negierten dies, in einer Studie in Äthopien beurteilten nur 12 % Rauchen nicht als Risikofaktor (18, 19).

Die in der Literatur beschriebene und durch die Medien gelegentlich weiter angetriebene Skepsis und damit einhergehenden Adhärenz-Probleme in Bezug auf die Statine (10, 20), bilden sich in unseren Ergebnissen nicht ab, so wurde Cholesterin als Risikofaktor hoch gewertet. Insgesamt stehen unsere Ergebnisse fast etwas im Widerspruch zu Daten, die zeigen, dass ein relevanter Prozentsatz der kardiovaskulären Risikopatienten nicht die von den Leitlinien geforderten Grenzwerte für Blutdruck und insbesondere das LDL-Cholesterin erreicht – in der Schweiz wie auch in ganz Europa (5, 7, 21, 22).

Limitationen

Unsere Ergebnisse weisen teilweise eine bessere Orientierung über Risikofaktoren aus als sonst in der Literatur widergespiegelt, zudem ist insbesondere die Skepsis hinsichtlich medikamentöser Behandlungsmöglichkeiten geringer ausgeprägt. Ursächlich hierfür dürfte ein selection bias sein – ein Gesundheitsmagazin, über das die Befragung kommuniziert wurde, adressiert per se eine eher gesundheitsbewusstere und besser informierte Population mit besonderem Interessen an dem Thema. Von daher sind unsere Ergebnisse sicherlich nicht auf die Schweizer Bevölkerung generell übertragbar. Eine Stärke des Surveys ist jedoch seine vergleichsweise grosse Zahl an Teilnehmenden und die Tatsache, dass sie genau jene Altersgruppe adressierte, die das höchste kardiovaskuläre Risiko aufweist.

Schlussfolgerungen

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Wissen um die Bedeutung kardiovaskulärer Risikofaktoren in für die kardiovaskuläre Prävention relevanten Bevölkerungsgruppen grösser ist als angenommen. Wissen allein garantiert noch keine Therapieadhärenz, ist aber dennoch eine entscheidende Voraussetzung. Vielleicht unterschätzen viele Ärzte die Bereitschaft der Patienten evidenzbasierte Therapien umzusetzen. Unsere Ergebnisse sind dahingehend ermutigend, als dass das vorhandene Grundwissen ergänzt um eine umfassende Aufklärung, beispielsweise mittels Risikoscores (14), die Voraussetzung schaffen sollte, höhere Zielerreichungsgrade umzusetzen, als dies derzeit noch der Fall ist.

Prof. Dr. Dr. med.Thomas Rosemann

Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

thomas.rosemann@usz.ch

Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher

– MediS – Medizin im Schauspielhaus
Rämistrasse 34
8001 Zürich
– Royal Brompton & Harefield Hospitals
77 Wimpole Street Outpatients and Diagnostics
London W1G 9RU

Dr. med. Andrea Rosemann

Institut für Hausarztmedizin Universitätsspital Zürich (IHAMZ)
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich

andrea.rosemann@usz.ch

Thomas F. Lüscher hat – unabhängig von der vorliegenden Umfrage – Forschungsgrants von folgenden Firmen erhalten: Abbott, Amgen, AstraZeneca, Boehringer-Ingelheim, Daichi-Sankyo, Menarini Foundation, Novartis, Novo Nordisk, Roche Diagnostics, Sanofi sowie Honorare von Amgen, Dacadoo, Daichi-Sankyo, Menarini Foundation, Novartis, Novo Nordisk, Philips and Pfizer.

Schweizerinnen und Schweizer sind vergleichsweise gut über Herz-Kreislauf-Erkrankungen orientiert, unterschätzen aber Risiken wie Rauchen und sind über ihren Cholesterinwert zu selten orientiert. Die Überzeugung, diese Erkrankungen durch Bewegung, Ernährung aber auch Medikamente positiv beeinflussen zu können, sollte Ärztinnen und Ärzte motivieren, all diese präventiven Massnahmen zu adressieren.

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«ESC-Guidelines 2024 for the ­management of elevated blood pressure and hypertension»

Das Paradoxon Hypertonie

Bluthochdruck ist der bedeutendste singuläre Risikofaktor für die Gesamtsterblichkeit weltweit, verantwortlich für etwa 13 % aller Todesfälle (1, 2). Uns stehen über 50 gebräuchliche antihypertensive Substanzen zur Verfügung, welche allesamt generisch sind. Die Tagestherapiekosten belaufen sich für den durchschnittlichen Hypertoniker auf weit unter 1 CHF/Tag. Dennoch erreichen in der Schweiz nur 60.9 % von einem Idealkollektiv, welches diagnostiziert, behandelt und wahrscheinlich therapieadhärent ist, und nur 39.4 % von allen Patienten mit Hypertonie das liberalste aller Blutdruckziele (< 140/90 mmHg) (3). Der niedrige Leidensdruck, komplexe Therapieschemata sowie die häufigen Nebenwirkungen der antihypertensiven Therapie und die damit verbundene niedrige Therapieadhärenz, Schwierigkeiten einer validen Blutdruckmessung und auch die Trägheit der Ärzte, eine notwendige Therapieintensivierung vorzunehmen («physicians` inertia»), sind die grössten Hürden, eine adäquate Blutdruckkon­trolle zu erreichen (4, 5).

Die neuen ESC-Guidelines – das Wichtigste für die tägliche Praxis eines Kardiologen

Wie ist Bluthochdruck definiert?

Bei der Benennung der diagnostischen Blutdruckkategorien wurde einerseits zur Kenntnis genommen, dass der Begriff «Normotonie» schwierig zu definieren ist, da das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bereits ab 90 mmHg systolisch zu steigen beginnt. Bei indigenen Bevölkerungen, die unserem Lebensstil nicht ausgesetzt sind, können auch in späteren Lebensdekaden systolische Blutdruckwerte von 100 mmHg dokumentiert werden (6). Unter anderem hat auch durch den Einbezug von Patienten-Repräsentanten eine Vereinfachung der Klassifizierung stattgefunden, wie in Abb. 1 gezeigt (7).

Screening und Diagnose

Es wird empfohlen, den Blutdruck mit einem validierten und kalibrierten Gerät zu messen, die korrekte Messtechnik durchzusetzen und bei jedem Patienten einen einheitlichen Ansatz für die Blutdruckmessung anzuwenden (Klasse I) (7). Für diagnostische Zwecke wird die ambulante Blutdruckmessung (Heim- oder 24-h-Blutdruckmessung) empfohlen, vor allem, weil damit sowohl die Weisskittelhypertonie als auch die maskierte Hypertonie erkannt werden können. Opportunistisches Screening wird, auch bei Personen mit nicht erhöhtem Blutdruck, alle 3 Jahre empfohlen, bei allen anderen Personen/Patienten sind mindestens jährliche BD-Messungen empfehlenswert.

Nicht pharmakologische Therapie

Lifestyle-Massnahmen wurden bei allen Patienten, inklusive Patienten mit nicht erhöhten Blutdruck, empfohlen. Dazu gehören: eine gesunde Ernährung (z. B. mediterrane Diät), die Kaliumzufuhr zu erhöhen, ein regelmässiges aerobes Training (150 min/Woche), ein stabiler und normaler «body mass index» (BMI 20–25 kg/m2), die Salzaufnahme (< 2 g/Tag) und den Alkoholkonsum (< 100 g/Woche) zu reduzieren und das Rauchen zu stoppen.

Ab wann sollte eine Pharmakotherapie initiiert werden?

Während eine sofortige Einleitung einer Pharmakotherapie bei einem bestätigten Praxis-Blutdruck von ≥ 140/90 mmHg (oder den korrespondierenden Heim- oder 24-h-Blutdruckwerten, Abb. 1) weiterhin indiziert ist, geben die aktuellen Leitlinien viel detaillierter Aufschluss da­rüber, welche Patientengruppen mit erhöhtem Blutdruck (120–139 mmHg systolisch) eine medikamentöse Therapie erhalten sollten. Da etwa die Hälfte aller Patienten mit manifester Hypertonie nicht von ihrer Erkrankung weiss und der Grossteil der Patienten mit manifester Hypertonie in Europa, inklusive Schweiz, weit entfernt von einer Blutdruckzielerreichung ist, stellt sich die Frage, welche Berufsgruppe sich mit dieser Nischenkategorie in dem geforderten Detail auseinandersetzen soll (8–10). Konkret empfehlen die Leitlinien bei Patienten mit erhöhtem Blutdruck

1) festzustellen, ob eine etablierte kardiovaskuläre Erkrankung, mässige bis schwere Niereninsuffizienz, ein Hypertonie-assoziierter Endorganschaden oder eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegen.

2) Falls nicht, sollte der SCORE2 oder der SCORE2-OP («older persons») ausgerechnet werden, zur Abschätzung des 10-Jahres-Risiko für tödliche und nicht tödliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

3) Liegt dieser bei ≥ 10 %, sollte nach 3-monatiger Lebensstilintervention eine Pharmakotherapie begonnen werden, wenn weiterhin ein bestätigter Blutdruck von ≥ 130/80 mmHg vorliegt.

4) Liegt dieser zwischen 5 und 10 %, sollten entweder weitere «risk modifiers» oder «risk tools» evaluiert werden (Auflistung siehe Legende Abb. 1).

Diese ausgesprochen detaillierte Aufarbeitung von Patienten hat dann eine therapeutische Konsequenz, wenn ein systolischer Blutdruck von 130–139 mmHg oder ein diastolischer Blutdruck von 80–89 mmHg mittels mehrmaliger Praxis-Messung bestätigt werden kann bzw. idealerweise eine Weisskittelhypertonie mittels Heim- oder 24-h-Blutdruckmessung ausgeschlossen wurden. Da die Messschwankungen diesen Korridor oft übersteigen, die Kapazitäten der Allgemeinmedizin in Europa/der Schweiz hierfür limitiert (bzw. inexistent) sind und solche Patienten selten den Weg zu Kardiologen oder Nephrologen mit hypertensiologischem Einschlag finden, erscheint der praktische Impact dieses neuen Algorithmus gering auszufallen.

Welches Blutdruckziel sollte im Fall einer ­Therapieindikation angestrebt werden?

Die vorherige Auflage der ESC-Guidelines aus dem Jahr 2018 hat enge Blutdruckzielkorridore für verschiedene Komorbiditäten (Diabetes, Niereninsuffizienz, koronare Herzerkrankung, stattgehabter Schlaganfall oder TIA) vorgegeben, stratifiziert nach Alterskategorien. Diese komplexen Grenzwerte in einem Band von 10-mmHg-Breite waren aufgrund der oft darüber hinausgehenden intraindividuellen Messschwankungen und realistischen (individuellen sowie flächendeckenden) Erreichbarkeit mehr akademischer als praktischer Natur (11).

Basierend auf metaanalytischer Evidenz konnte bis zu einem systolischen Blutdruck von 120 mmHg kein Blutdruckziel identifiziert werden, welches nicht mit einer Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse assoziiert wäre (12–14). Eine Kontroverse besteht, bei welchem therapienaivem Ausgangsblutdruck (d.h. absoluten kardiovaskulären Risiko) eine Blutdrucksenkung tatsächlich zu einer relevanten Risikoreduktion beiträgt.

Diesen Umständen geschuldet und auch aufgrund des Einflusses von Patienten-Repräsentanten liegen nun Empfehlungen vor, die in der Praxis umsetzbarer erscheinen.

Es wird das ALARA-Prinzip («as low as reasonably achievable»), welches wir aus dem Strahlenschutz kennen, genannt. Die Leitlinien nennen nun eine Klasse-I-Indikation für ein systolisches Blutdruckziel von 120–129 mmHg, sofern dieses toleriert wird. Eine Blutdrucksenkung < 140 mmHg systolisch sollte jedenfalls angestrebt werden, und es werden klinische Limitationen aufgeführt welche ein darüber hinaus weniger aggressiveres Vorgehen befürworten (Abb. 1). Erfreulicherweise ist durch das Wegfallen der weniger stark evidenzbasierten diastolischen Blutdruckgrenzwerte die Empfehlung noch konziser (7).

Pharmakotherapie

Für die meisten Patienten mit manifester Hypertonie betonen die Leitlinien einmal mehr den Einsatz von Kombinationspräparaten (initial ACE-Hemmer / Angiotensinrezeptorblocker + Kalziumkanalblocker oder Diuretikum, Klasse I), mit Intensivierung auf eine Tripel-Kombination nach 1–3 Monaten (Klasse I), und Betablocker bei relevanter koexistenter Indikation (Angina, nach Myokardinfarkt, systolische Herzinsuffizienz, Frequenzkontrolle).
Betablocker als antihypertensive Erstlinientherapie sind aufgrund der geringen bzw. fehlenden Risikoreduktion für Schlaganfälle nicht empfohlen (15). Gemäss ganz aktueller Daten verbessert eine Betablockertherapie auch unmittelbar nach Myokardinfarkt mit normaler systolischer LV-Funktion sowie in der chronischen Phase nach Myokardinfarkt das Outcome nicht (16, 17).

Es kann nicht oft genug betont werden, dass aus hausärztlicher Sicht die Verschreibung von Kombinationspräparaten die effizienteste Massnahme ist, zur Verbesserung der individuellen und populationsbasierten Blutdruckkontrolle beizutragen. Durch die Reduktion von Polypharmazie und nicht notwendigen mehrfach täglichen Gaben wird die Therapieadhärenz wesentlich verbessert (18).

An dieser Stelle muss auch mit der Misskonzeption aufgeräumt werden, dass eine Dosissteigerung von Erstliniensubstanzen zu einer weiteren Senkung des Blutdrucks führt. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung von Erstlinien-Antihypertensiva ist marginal. Eine Vervierfachung der Dosis führt zu einer systolischen Blutdrucksenkung von ca. 2 mmHg (19–21). Deswegen sind Konsultationen zur Blutdruckeinstellung, bei denen mit Dosierungen und Morgen-Abend-Gaben gespielt wird (auch basierend auf den Halbwertszeiten der Präparate, z.B. Amlodipin mit ca. 40 h Halbwertszeit), wirkungslos, folglich sowohl für Patient als auch Arzt letztendlich frustrierend. Wenig überraschend hat eine am ESC-Kongress präsentierte Metaanalyse von 5 Studien, welche Patienten zu einer Morgen- oder Abendgabe aller Antihypertensiva randomisiert haben, keinen Unterschied in kardiovaskulären Outcomes oder hypotensiven Episoden zeigen können (22).

Selbstverständlich ist die Dosismaximierung in der Indikation Herzinsuffizienz ein Eckpfeiler des Therapiekonzeptes.

Therapieresistente Hypertonie

Weiterhin ist diese Entität mit einem Blutdruck ≥ 140/90 mmHg unter Behandlung mit 3 verschiedenen antihypertensiven Substanzklassen inklusive eines Diuretikums definiert. Die häufigste Ursache ist die Pseudoresistenz in bis zu zwei Drittel der Fälle aufgrund von Non-Adhärenz (23). Erfreulicherweise nennen die Leitlinien nebst Urinsampling die beobachtete Medikamenteneinnahme als Massnahme zur Überprüfung der Adhärenz. Aus eigener Erfahrung sollte ein Venenzugang für eine etwaige Katecholamingabe und intensivmedizinische Betreuung zur Verfügung stehen, besonders wenn 5–6 Antihypertensiva auf einmal beobachtet eingenommen werden.
Zu den weiteren häufigsten Ursachen gehört der Hyperaldosteronismus, speziell bei adipösen Patienten. Deshalb sollte als 4. Substanzklasse (nach Dreifachkombination mit ACE-Hemmer / Angiotensinrezeptorblocker, Kalziumkanalantagonist und Diuretikum) Spironolacton oder alternativ Eplerenon hinzugegeben werden (Klasse-IIa-Indikation). Nebst Betablocker und Reservemedikamenten erhielt die renale Denervation nach einem «shared decision making» eine Klasse-IIb-Indikation (7).

Fazit

Etwa die Hälfte aller Personen mit manifester arterieller Hypertonie ist nicht diagnostiziert (4). Zudem wurde weltweit gezeigt, dass selbst Patienten, welche in observierenden oder randomisierten Studien zur Blutdruckkontrolle teilgenommen haben, nach Studienende nur in 40–50 % der Fälle das liberalste aller Blutdruckziele erreichen (3, 9, 10, 24–26). Die aktuellen ESC-Leitlinien erleichtern zwar die Zielerreichung per se nicht, aber die Vereinfachung mancher diagnostischer und therapeutischer Algorithmen ist sicherlich hilfreich bei der Problembewältigung.

Historie:
Manuskript eingegangen: 05.12.2024
Angenommen nach Revision: 20.01.2025

PD Dr. med. et phil. Miklos Rohla

Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital
Freiburgstrasse 20
CH-3010 Bern
Schweiz

miklos.rohla@insel.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Vitamin D – Was gilt heute?

Grundlagen der Vitamin-D-Versorgung

Vitamin D spielt in jedem Alter eine wichtige Rolle im Erhalt unserer Knochengesundheit und bei der Regulation des Kalziumspiegels im Blut. Während der Kalziumbedarf mit einer gesunden Ernährung gedeckt werden kann, ist es wichtig festzuhalten, dass dies für Vitamin D nicht gilt. Es ist nahezu unmöglich, genügend Vitamin D aus der Nahrung zu sich zu nehmen, da nur wenige Nahrungsmittel namhafte Mengen an Vitamin D enthalten (Lachs, fetter Fisch). Der grösste Teil von Vitamin D wird mithilfe von Sonnenlicht über die Haut gebildet (1). Diese hauteigene Vitamin-D-Produktion nimmt jedoch mit dem Alter ab, und ältere Menschen vermeiden oft wegen der Hitze eine direkte Sonnenexposition. Weitere Faktoren, die unabhängig vom Alter die Wirkung der Sonnenexposition als Hauptquelle von Vitamin D einschränken, sind die Saisonalität und die Anwendung von Sonnenschutzprodukten. Auch ein ausreichender Vitamin-D-Spiegel nach einem sonnenreichen Sommer kann nicht über den Winter hinweg aufrechterhalten werden. Die Halbwertszeit von Vi­tamin D (25-Hydroxy-Vitamin-D) beträgt nur 2–3 Wochen (2).
Da durch gesunde Ernährung und direkte Sonneneinstrahlung im Winter nicht genügend Vitamin D produziert werden kann, zeigen Studien, dass etwa 50 % der Kinder und Erwachsenen an einem Vitamin-D-Mangel, mit Blutwerten von unter 20 ng/ml für das 25-Hydroxy-Vitamin- D (25[OH]D), aufweisen (3–5). Vitamin-D-Supplemente sind daher altersunabhängig im Winter eine zu erwägende Massnahme zum Ausgleich eines saisonalen Vitamin-D-Mangels. Bei älteren Erwachsenen ist eine Prävention des Vitamin-D-Mangels mit Vitamin-D-Supplementen nach den Erkenntnissen unabhängig von der Jahreszeit (3–5).

Vitamin-D-Supplementation bezüglich Knochenbruchprävention

Ein Vitamin-D-Mangel erhöht das Risiko für Stürze und Knochenbrüche. Für ältere Erwachsene (Alter 65+) mit erhöhtem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel und Osteoporose führt eine tägliche Supplementierung mit 800 IE, insbesondere in Kombination mit einer ausreichenden Kalziumzufuhr, belegtermassen zu einer Verminderung des Sturz- und Hüftbruchrisikos (6–9). Hingegen ist die Evidenz zur Wirkung von Vitamin-D-Supplementen, um das Knochenbruchrisiko und Sturzrisiko bei gesunden alten Menschen zu senken, unklar (10, 11).

In den Jahren 2016 bis 2018 wurden vier Metaanalysen durchgeführt, um den Nutzen von Vitamin D für die Frakturprävention zu untersuchen. Zwei dieser Metaanalysen konzentrieren sich auf die Primärprävention von Frakturen bei Erwachsenen ab 50 Jahren, bei denen kein Risiko für Frakturen und kein Vitamin-D-Mangel besteht (12, 13). Eine weitere Metaanalyse konzentrierte sich auf die Kombination von Vitamin D plus Kalzium (9) und die zuletzt publizierte Metaanalyse auf die individuelle Wirkung von Vitamin D ohne Kalzium (14). Die neueren Metaanalysen unterstützen keinen primärpräventiven Schutz einer Vitamin-D-Supplementation vor Frakturen bei Erwachsenen im Alter 50+ ohne Vitamin-D-Mangel und ohne Osteoporose (12, 13). Allerdings ist die Anzahl von grossen Interventionsstudien in dieser Niedrigrisiko-Zielgruppe limitiert (12, 13). Erwachsene im Alter von 65 und darüber mit einem hohen Risiko für Vitamin-D-Mangel und Osteoporose sollte eine Vitamin-D-Supplementation mit 800 IE Vitamin D pro Tag (mit [9] und ohne [15] zusätzliche Kalzium-Supplementation) anhand der bestehenden Evidenz nicht vorenthalten werden. Allerdings sollten bei der Hochrisikopopulation älterer Erwachsener mit erhöhtem Sturzrisiko die grossen Vitamin-D-Bolusgaben wegen gegenteiliger Wirkung mit Frakturzunahme vermieden werden (16, 17).

Bezüglich neuer Resultate der VITAL- und DO-HEALTH- Studie mit zusätzlich 2000 IE Vitamin D am Tag zeigte sich bei generell gesunden Menschen im Alter von 50+ (VITAL) und 70+ (DO-HEALTH) eine neutrale Wirkung auf das Knochenbruchrisiko. In der Einordnung der Resultate dieser Studien ist wichtig festzuhalten, dass in VITAL nur 12 % und in DO-HEALTH nur 36 % der Teilnehmer zum Studienbeginn einen Vitamin-D-Mangel hatten und alle Teilnehmer in beiden Studien zusätzlich zur Studienmedikation 800 IE Vitamin D einnehmen durften (10, 11, 18).

Insbesondere für ältere Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für Frakturen und/oder Vitamin-D-Mangel ist es weiterhin sinnvoll, 800 IE Vitamin D pro Tag einzunehmen, analog den Empfehlungen der International Osteoporosis Foundation (19), der US Endocrine Society (20) und NOF (21). Wie bereits erwähnt, sollten grosse monatliche oder jährliche Bolusapplikationen von Vitamin D bei älteren Erwachsenen mit einem Risiko für Frakturen wegen Zunahme des Frakturrisikos in der klinischen Versorgung nicht fortgesetzt werden (6).

Heutige Empfehlungen

In den heutigen Empfehlungen zu Vitamin D (Institute of Medicine [22], DGE [23], BAG Schweiz [24], US Endocrine Society [25], IOF [19]) wird die tägliche Vitamin-D-Zufuhr altersabhängig definiert: 400 IE (Internationale Einheiten) pro Tag im ersten Lebensjahr, 600 IE pro Tag zwischen dem 2. und 64. Lebensjahr und 800 IE/Tag ab dem 65. Lebensjahr (in der Schweiz 800 IE/Tag ab dem 60. Lebensjahr). Es ist gut belegt, dass im Erwachsenenalter 600 bis 800 IE/Tag in über 97 % der Fälle den Vitamin-D-Mangel korrigieren können (26, 27). Diese Dosis ist zudem auf die Population bezogen sicher und ohne vorherige Messung der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Blutkonzentration anwendbar (Institute of Medicine [22], DGE [23], BAG Schweiz [24], US Endocrine Society [25], IOF [19]).

Angesichts der hohen Winterprävalenz des Vitamin-D-Mangels bei Kindern und älteren Erwachsenen und der beschränkten Möglichkeiten, eine ausreichende Vitamin-D-Zufuhr über eine gesunde Ernährung sicherzustellen, ist in ganz Europa unabhängig vom Alter eine Indikation zur Supplementierung in den Wintermonaten November bis Ende April zu erwägen. Älteren Menschen wird aufgrund der verminderten hauteigenen Vitamin-D-Produktion bei Sonnenexposition sowie der belegten Prävention von Stürzen und Hüftbrüchen eine Supplementierung mit Vitamin D auch im Sommer empfohlen. Die empfohlenen Tagesdosen zur Supplementierung entsprechen den oben genannten Angaben zur Vitamin-D-Zufuhr.

Der Dachverband Osteologie (DVO) hat im Septemer 2023 eine überarbeitete Version der Osteoporose-Leitlinie he­rausgegeben (https://dv-osteologie.org/osteoporose-leitlinien). Sie fasst die aktuelle Evidenz zu Prophylaxe, Dia­gnostik und Therapie der Krankheit bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 50.Lebensjahr zusammen.

Wie wirkt Vitamin D bezüglich Knochenbruchprävention?

Neben der antiresorptiven Wirkung von Vitamin D am Knochen hat Vitamin D mechanistisch gesehen einen zweiten relevanten muskelzentrierten Wirkungspfad in der Knochenbruchprävention. Der Hauptrisikofaktor für eine Hüftfraktur ist ein Sturz, und über 90 % aller Frakturen treten nach einem Sturz auf (28). Daher ist es für das Verständnis und die Prävention von Frakturen im höheren Alter wichtig, den engen Zusammenhang von Muskelschwäche (29) und Stürzen (30, 31) zu berücksichtigen. Tatsächlich kann eine antiresorptive Behandlung allein bei Personen über 80 Jahren mit nicht skelettalen Risikofaktoren für Frakturen trotz einer Verbesserung des Knochenstoffwechsels die Anzahl der Frakturen nicht verringern (32).

Die Muskelschwäche ist ein wichtiger Risikofaktor für Stürze und ein Merkmal des klinischen Syndroms eines schweren Vitamin-D-Mangels. Muskelschwäche aufgrund eines Vitamin-D-Mangels kann das Frakturrisiko durch eine erhöhte Sturzanfälligkeit erhöhen. Der Vitamin-D-Rezeptor (VDR) wird im menschlichen Muskelgewebe exprimiert, wie in den meisten Studien gezeigt wurde (79). An seinen Rezeptor im Muskelgewebe gebundenes Vitamin D kann zu einer De-novo-Proteinsynthese führen (80), gefolgt von einer relativen Zunahme des Durchmessers und der Anzahl der schnellen Typ-II-Muskelfasern (80). Bemerkenswert ist, dass die schnellen Typ-II-Muskelfasern im Vergleich zu den langsamen Typ-I-Muskelfasern mit zunehmendem Alter abnehmen, was zu einer erhöhten Sturzneigung führt. Darüber hinaus erhöht eine Supplementierung mit Vitamin D im Vergleich zu einem Placebo die Anzahl der Vitamin-D-Rezeptoren im Muskelgewebe sowie die Anzahl und den Durchmesser der Typ-II-Muskelfasern bei postmenopausalen Frauen (80).

Schliesslich ist es wichtig zu beachten, dass Vitamin D mehrere Komponenten des Sturz-Fraktur-Konstrukts beeinflussen kann, darunter Kraft (8), Gleichgewicht (81), Funktion der unteren Extremitäten (82), Stürze (77), Knochendichte (83, 84), das Risiko von Hüft- und nicht verte­bralen Frakturen (85, 86) und das Risiko der Einweisung in ein Pflegeheim (87).

Sicherheit der Vitamin-D-Supplementation

Um die schützende Wirkung von Vitamin D auszuschöpfen, sollte anhand der heutigen Datenlage eine tägliche Supplementierung gewählt werden (6). Alternativ zeigt eine umfassende Literatur, dass Vitamin-D-Bolusgaben (ab 60 000 IE monatlich oder ab 300 000 IE jährlich), insbesondere bei älteren Erwachsenen, sowohl das Sturz- als auch das Knochenbruchrisiko erhöhen können. Eine Erklärung ist, dass der Körper bei zu hohen Vitamin-D-Gaben gegenregulierende Mechanismen in Gang setzt, die Vitamin D akut abbauen und dann eher zu einem Vitamin-D-Mangel führen (6).

Ist es sinnvoll, den Blutspiegel des 25-Hydroxy-Vitamin-D zu messen?

Ob eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung vorliegt, lässt sich über die Bestimmung des 25(OH)D-Wertes im Blut ermitteln. Ein 25(OH)D-Blutwert von weniger als 20 ng/ml (< 50 nmol/l) wird als Vitamin-D-Mangel bezeichnet. Werte unter 10 ng/ml (< 25 nmol/l) gelten als schwerer Mangel und können negative Folgen wie Rachitis bei Kleinkindern und Osteomalazie bei Erwachsenen hervorrufen (2). Ein 25(OH)D-Zielwert zwischen 20 und 30 ng/ml wird bezüglich Fraktur- und Sturzprävention als optimal angesehen, wobei Werte über 45 ng/ml mit einem erhöhten Sturzrisiko in Verbindung gebracht wurden (26).

Die 25(OH)D-Bestimmung wird nicht als Routineuntersuchung empfohlen, wenn keine Risiken für einen schweren Vitamin-D-Mangel vorliegen. Hier kann eine direkte Supplementation mit der Standarddosis erfolgen (600–800 IE/d; bei jüngeren Menschen vor allem im Winter, ab dem 65. Lebensjahr unabhängig von der Jahreszeit).

Diese Empfehlung stützt sich darauf, dass ein Vitamin-D-Mangel weitverbreitet ist (siehe oben). Für ältere Erwachsene mit erhöhtem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel und Osteoporose stützt sich diese Empfehlung auf hochqualitative klinische Interventionsstudien mit über 30 000 Menschen, in denen nachgewiesen wurde, dass Vitamin-D-Supplemente in einer Dosis von 800 IE/d das Sturzrisiko und das Hüftbruchrisiko um ca. 20–30 % vermindern (6–9). Die Sicherheit bzgl. Nebenwirkungen und Risiken dieser täglichen Empfehlung sind gut belegt bei Menschen mit und ohne Vitamin-D-Mangel (6).

Vitamin-D-Dosierung in den VITAL- und DO-HEALTH-Studien

Anhand der VITAL-Studie bei gesunden Menschen im Alter von 50 Jahren und darüber und der DO-HEALTH-Studie bei gesunden Menschen im Alter von 70 Jahren und darüber kann die Sicherheit auf eine tägliche Zufuhr von 2000 IE am Tag ausgeweitet werden (10, 33). Allerdings brachte die höhere Dosierung keine weiteren Vorteile für die Sturz- und Knochenbruchprävention in VITAL (33, 34) oder DO-HEALTH (10, 35). Ein Vorteil auf die Knochendichte an der Hüfte (36), Krebsprävention (37) und Prävention von frühzeitiger Gebrechlichkeit (38) konnte für die tägliche Dosierung von 2000 IU Vitamin D in DO-HEALTH jedoch nicht ausgeschlossen werden. Konsistent zeigt VITAL für die tägliche Dosierung von 2000 IU Vitamin D eine Reduktion schwerer Krebserkrankungen (39), Reduktion von Krebsmortalität (40) und Reduktion von Autoimmunerkrankungen (41).

Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari, MPH, DrPH

Universität Basel, Dept. Universitäre Altersmedizin Felix Platter, Basel
Dept. Geriatrie und Altersforschung, Universität Zürich, Zürich
Tièchestrasse 99
8037 Zürich

heikea.bischoff-ferrari@uzh.ch

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