Arzneimittel- und Medizinprodukterecht

Arzneimittel und Medizinprodukte können ein Risikopotenzial für die Gesundheit aufweisen. Sie dürfen daher nur in Verkehr gebracht werden, wenn ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität belegt sind. Die Anforderungen an die Sicherheit sind dabei nicht absolut zu verstehen. Vielmehr liegt der Sicherheitsbewertung eine Nutzen-Risiko-Abwägung zugrunde. Für Arzneimittel und Medizinprodukte bestehen verschiedene Vorgaben, wonach Arzneimittel grundsätzlich einem Zulassungsverfahren unterliegen, während Medizinprodukte ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen müssen. Dieser Beitrag legt zunächst die Grundlagen und die Systematik des Heilmittelrechts in der Schweiz dar und geht auf die Kategorisierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie auf ihre Abgrenzung zu anderen Produkten, insbesondere Lebensmittel und Kosmetika, ein. Danach werden die Grundzüge des Inverkehrbringens vorgestellt, wobei der Fokus auf den Zulassungsverfahren für Arzneimittel liegt. Des Weiteren befasst sich dieser Beitrag in einem kurzen Überblick mit den Schutzrechten für Arzneimittel. Neben dem heilmittelrechtlichen Schutzrecht, dem Unterlagenschutz, sind dies immaterialgüterrechtliche Schutzrechte. Neben dem Patent gewährt das Immaterialgüterrecht ein weiteres Schutzrecht für Produkte, welche eine Zulassung für ihr Inverkehrbringen benötigen. Das Ergänzende Schutzzertifikat, welches nur Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel als zulassungspflichtige Produkte gewährt wird, soll dabei teilweise die fehlende Nutzungsmöglichkeit der patentgeschützten Erfindung während des Zulassungsverfahrens kompensieren. Aufgrund des Umfangs der angesprochenen heilmittel- und immaterialgüterrechtlichen Regulierungen muss sich der vorliegende Beitrag in einem Überblick auf ausgewählte Bereiche beschränken.

Schlüsselwörter: Pharmazeutische Präparate, Medizinprodukte, Patentschutz, Ergänzendes Schutzzertifikat

Regulierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten

Arzneimittel und Medizinprodukte als Produkte mit Risikopotenzial

Der Begriff Heilmittel umfasst als Oberbegriff Arzneimittel und Medizinprodukte (1). Sowohl Arzneimittel als auch Medizinprodukte dienen der Prävention und Heilung von Krankheiten, der Wiederherstellung der Gesundheit oder der Bekämpfung und Linderung von Schmerzen. Jedoch weisen diese Produkte auch ein besonderes Risiko- oder Gefährdungspotenzial auf, welches zu Gesundheitsgefährdungen oder zu Gesundheitsschäden führen kann (2). Dieses Risiko- oder Gefährdungspotenzial kann sich in zweifacher Hinsicht realisieren: Einerseits können – insbesondere bei Arzneimitteln – Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auftreten, oder die Produkte können verunreinigt oder von mangelnder Qualität und mithin unsicher sein. Anderseits kann auch die gewünschte Wirkung ausbleiben, was ebenfalls zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann, wenn sich Patienten auf eine entsprechende Wirkung von Arzneimitteln oder eine Funktion von Medizinprodukten verlassen, die jedoch nicht eintritt (2, 3). Hinzu kommt das Problem des Handels mit illegalen Heilmitteln, insbesondere mit gefälschten Arzneimitteln, die keine oder verunreinigte Wirkstoffe enthalten können (4).

Gewährleistung von Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität

Aufgrund ihres Risikopotenzials ist das Inverkehrbringen von Arzneimitteln und Medizinprodukten gesetzlich reguliert. Der Gesetzgeber sieht insbesondere bestimmte Verfahren für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Schutz der Gesundheit vor. Die Grundlage für das Inverkehrbringen sowie weiterer Pflichten bildet das Heilmittelgesetz (HMG) (5), welches als Rahmengesetz durch eine Vielzahl verschiedener Rechtsverordnungen, sonstiger Verwaltungsverordnungen und Wegleitungen als Ausführungsrecht konkretisiert und ergänzt wird (6). Die Ziele des Heilmittelrechts sind in Art. 1 HMG festgelegt. In diesem Zweckartikel wird aufgeführt, was Gegenstand des Heilmittelrechts ist. So legt Art. 1 Abs. 1 HMG fest, dass das HMG gewährleisten soll, dass zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden.

Daneben verfolgt das Heilmittelgesetz in Art. 1 Abs. 2 HMG noch weitere Ziele, wie etwa der Schutz von Konsumentinnen und Konsumenten von Heilmitteln vor Täuschungen, insbesondere aufgrund von nicht erwiesenen oder irreführenden Wirkaussagen (lit. a), oder das Ziel, dass die in Verkehr gebrachten Heilmittel ihrem Zweck entsprechend und massvoll verwendet werden sollen (lit. c). Zudem soll das HMG dazu beitragen, dass eine sichere und geordnete Versorgung mit Heilmitteln, einschliesslich der dafür benötigten fachlichen Informationen und Beratung, in der Schweiz angeboten wird (Art. 1 Abs. 2 lit. c HMG). Zudem sind beim Vollzug des HMG noch weitere Zwecke zu beachten, so die Leistungsfähigkeit und Unabhängigkeit der schweizerischen Heilmittelkontrolle, die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Forschung und Entwicklung im Heilmittelbereich sowie die Anwendung der gleichen gesetzlichen Sicherheits- und Qualitätsanforderungen für alle Marktpartner in der Schweiz (Art. 1 Abs. 3 HMG). Die genannten Zwecke werden jeweils durch spezifische Vorschriften im HMG und dem dazugehörigen Ausführungsrecht ausgestaltet und konkretisiert (7). Auch wenn die Kosten für Heilmittel für den Gesundheitssektor zu den wesentlichen Ausgaben gehören, sind sämtliche Fragen der Finanzierung, der Kostenerstattung oder der Preiskontrolle nicht Gegenstand des Heilmittelrechts, sondern ausschliesslich des Krankenversicherungsrechts (8). Daher sind sie im Krankenversicherungsgesetz (KVG) und dem dazugehörigen Ausführungsrecht geregelt (9).

Unterschiedliche Regulierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten

Aufgrund ihrer unterschiedlichen Wirkweise sieht das HMG und das dazugehörige Ausführungsrecht unterschiedliche Vorgaben für Arzneimittel und Medizinprodukte insbesondere im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen sowie für verschiedene Pflichten nach ihrem Inverkehrbringen vor. Daher enthält das HMG jeweils zwei spezifische Kapitel: für Arzneimittel Kapitel 2 (Art. 5I–44 HMG) und für Medizinprodukte Kapitel 3 (Art. 45I–51 HMG). Die Kapitel 1 und 4 enthalten Bestimmungen für beide Produktkategorien. Aufgrund des Umfangs der jeweiligen Artikel fällt bereits auf, dass Arzneimittel umfangreicher reguliert sind als Medizinprodukte. Neben einer Vielzahl von speziellen Bestimmungen zu Bewilligungen und Zulassungen sind insbesondere Vertrieb, Verschreibung, Abgabe und Anwendung sowie Werbung und Preisvergleiche für Arzneimittel geregelt. Speziell für Arzneimittel sieht das HMG eine vorgängige Prüfung in Form einer präventiven Zulassung durch verschiedene Zulassungsverfahren vor, welche sich grundsätzlich danach unterscheiden, ob das Arzneimittel neu ist und erstmals zugelassen werden soll oder ob es sich um ein sog. Nachfolgeprodukt eines bereits zugelassenen Arzneimittels handelt.

Begriffe der Arzneimittel und Medizinprodukte

Arzneimittel
Der Begriff des Arzneimittels umfasst verschiedene Arzneimittelformen. In Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG sind Arzneimittel definiert als «Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen», wobei zu den Arzneimitteln auch Blut- und Blutprodukte gehören (10). Die verschiedenen Arzneimittelformen umfassen zunächst Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs (Biopharmazeutika). Chemischen Ursprungs sind chemische Elemente und ihre chemischen Verbindungen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese natürlich vorkommen oder synthetisch erzeugt werden (11). Als anorganisch gelten Stoffe und ihre Gemische, die aus der unbelebten Natur stammen, während organische Stoffe der belebten Natur zuzurechnen sind, so Menschen, Tiere und Pflanzen sowie Mikroorganismen (11). Unter Produkte biologischen Ursprungs fallen auch Stoffe und Stoffgemische, die mittels der Biotechnologie hergestellt worden sind, wie etwa Proteine, die mittels gentechnologischer Verfahren hergestellt werden (11).

Eine weitere Unterscheidung betrifft – neben den Human- und Veterinärarzneimitteln – die Anscheins- und Funktionsarzneimittel. Anscheinsarzneimittel werden auch als Präsentationsarzneimittel bezeichnet, Funktionsarzneimittel auch als Bestimmungsarzneimittel (12). Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG, «Produkte», die «zur medizinischen Einwirkung […] bestimmt sind oder angepriesen werden», wird aufgrund des Wortes «oder» deutlich, dass es sich um zwei verschiedene Produktformen handelt. Nach dieser Unterscheidung muss ein Produkt entweder zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sein oder es muss als solches angepriesen werden, damit ein Arzneimittel vorliegt. Der Zweck eines Arzneimittels bestimmt sich folglich entweder nach den Eigenschaften seiner Stoffe oder Stoffzusammensetzung oder nach der Anpreisung des Herstellers oder Inverkehrbringers.

Bei der Frage, ob eine Anpreisung vorliegt, wird auf die sog. subjektive Zweckbestimmung abgestellt, die durch die Aufmachung bzw. Präsentation des Produkts zum Ausdruck kommt, wie etwa das Anbieten, die Kennzeichnung oder die Bewerbung des Produkts als Arzneimittel, in dem ihm z. B. Wirkaussagen zugeschrieben werden (12). Hie­raus ergibt sich, dass ein Produkt auch dann als Arzneimittel gilt, wenn es entsprechend angepriesen wird, also beworben oder aufgemacht ist, und dies selbst dann, wenn es an einer medizinischen Einwirkung fehlt. In diesem Fall ist das Produkt nicht wirksam und wird daher auch keine Zulassung erhalten oder abgegeben werden können. Infolgedessen wird das Produkt als Arzneimittel mangels Zulassung nicht verkehrsfähig sein und darf nicht abgegeben werden (12). Blut und Blutprodukte, wie z. B. Blutplasma und Zellpräparate, sind keine Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs. Sie werden aber nach Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG zu den Arzneimitteln gezählt und unterstehen damit den Regelungen des Heilmittelrechts und des einschlägigen Verordnungsrechts.

Medizinprodukte
Das Heilmittelgesetz enthält in Art. 4 Abs. 1 lit. b HMG eine Legaldefinition für Medizinprodukte. Danach sind Medizinprodukte «Produkte, einschliesslich Instru- mente, Apparate, In-vitro-Diagnostika, Software und andere Gegenstände oder Stoffe, die für die medizinische Verwendung bestimmt sind oder angepriesen werden und deren Hauptwirkung nicht durch ein Arzneimittel erreicht wird». Medizinprodukte werden näher in der Medizinprodukteverordnung (MepV) geregelt (13). Art. 3 Abs. 1 MepV enthält eine im Vergleich zu HMG 4 Abs. 1 lit. b weitergehende und detailliertere Legaldefinition. Medizinprodukte werden in unterschiedliche Gruppen und Risikoklassen eingeteilt, wonach sich die Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Leistungsfähigkeit je nach Einteilung unterscheiden (14).

Abgrenzungsfragen
Abgrenzungsfragen stellen sich hinsichtlich Arzneimittel und Medizinprodukt sowie insbesondere im Hinblick auf Arzneimittel und Lebensmittel sowie Kosmetika (15). Für die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt stellt bereits Art. 4 Abs. 1 lit. b HMG fest, dass ein Produkt sowohl Arzneimittel als auch Medizinprodukt sein kann (15). Gleichwohl muss jedoch ein Produkt einer Kategorie zugerechnet werden, da feststehen muss, ob es als Arzneimittel einzuordnen ist und mithin einer Zulassung für das Inverkehrbringen bedarf oder nicht (15). Für die Frage der Kategorisierung wird auf die Hauptwirkung des Produkts abgestellt. Massgebliches Kriterium für das Vorliegen eines Medizinprodukts ist danach, ob das Produkt zur Anwendung beim Menschen bestimmt ist (Art. 3 Abs. 1 lit. a MepV) und die bestimmungsgemässe Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper nicht durch ein Arzneimittel i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b HMG, d.h. durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Mittel (Art. 3 Abs. 1 lit. b MepV), erreicht wird (15). Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein (15).

Noch schwieriger kann die Abgrenzung zwischen Arzneimittel und Lebensmittel oder Kosmetika sein. Dies betrifft beispielsweise angereicherte Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel sowie Lebensmittel oder Kosmetika mit einer höheren Dosierung, z. B. einer höheren Fluoridkonzentration bei Zahnpasta oder Mundspüllösungen (15). Lebensmittel können wie manche Arzneimittel in den menschlichen Körper aufgenommen werden und können dort ebenfalls eine Wirkung auf den Organismus entfalten (15). Hier stellt sich für die Abgrenzung die Frage, ob diese Wirkung auf den Organismus einer pharmakologischen Wirkung gleichkommt. Lebensmittel sind nach der Legaldefinition des Art. 4 Abs. 1 LMG (16) «alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen sich vernünftigerweise vorhersehen lässt, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden». Die Abgrenzung erfolgt über den Ausschluss des Heilmittels aus dem Anwendungsbereich des Lebensmittelrechts in Art. 2 Abs. 2 lit. d LMG. Die Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Arzneimittel bestimmt sich folglich nach den Definitionen des Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG: Erfüllt ein Stoff die Definition eines Arzneimittels, d.h., weist er eine medizinische Einwirkung auf, ist er kein Lebensmittel. Die medizinische Einwirkung, auch pharmakologische Wirkung, auf den Organismus ist daher das Entscheidungskriterium, was die Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall deutlich machen. Jedenfalls fallen Nahrungsergänzungsmittel, die zur medizinischen Einwirkung auf den Organismus angepriesen werden, unabhängig von ihrer Zusammensetzung unter den Begriff der Arzneimittel nach Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG (17). Eine klare Einordnung der Produkte ist jedoch vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass Arzneimittel grundsätzlich eine Zulassung benötigen (Art. 9 Abs. 1 HMG), Lebensmittel jedoch nicht. Ein Produkt kann daher nicht zugleich Lebensmittel und Arzneimittel sein. Es gilt insofern das Entweder-oder-Prinzip (15).

Umgang mit Heilmitteln

Das HMG regelt in Art. 2 Abs. 1 HMG den Umgang mit Arzneimitteln und Medizinprodukten und enthält für beide Bereiche allgemeine Vorschriften, welche durch spezifische Regelungen auf Verordnungsstufe konkretisiert werden. Der Begriff des Umgangs wird weder im HMG noch im Verordnungsrecht definiert. Entsprechend der Zielsetzung nach Art. 1 Abs. 1 HMG ist der Begriff des Umgangs mit Heilmitteln jedoch weit zu verstehen und umfasst die Herstellung, die Ein- und Ausfuhr sowie den Handel mit Heilmitteln. Mit dem Begriff des Umgangs werden sowohl staatliche als auch private Tätigkeiten im Zusammenhang mit Heilmitteln in der Schweiz erfasst (18). In Art. 4 Abs. 1 lit. c, d, e und f HMG finden sich Legaldefinitionen der Begriffe Herstellen, Inverkehrbringen, Vertreiben und Abgeben. Das Herstellen (Art. 4 lit. c HMG) von Heilmitteln umfasst nach Art. 4 Abs. 1 lit. c HMG Arbeitsgänge der Heilmittelproduktion und mithin auch Qualitätskontrollen, das Lagern und Verpacken sowie die Freigabe und die Auslieferung (18). Das Herstellen umfasst damit nicht nur den Herstellungsprozess eines Heilmittels. Die Herstellung muss nach Art. 3 lit. o AMBV den Internationalen Regeln der Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) entsprechen (20).

Die Abgrenzung zwischen Herstellen und Vertreiben ist folglich unscharf, da der weite Herstellungsbegriff auch Teile bzw. Vorstufen des Vertreibens umfasst. Das Inverkehrbringen meint nach Art. 4 Abs. 1 lit. d HMG das Vertreiben und das Abgeben. Das Vertreiben kann nach Art. 4 Abs. lit. e HMG als Übertragen oder Überlassen eines Heilmittels, mit Ausnahme des Abgebens, verstanden werden (21). Es kommt nur auf die tatsächliche faktische Zurverfügungstellung des Produkts an, sodass es unerheblich ist, ob das Übertragen oder Überlassen entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt. Das Abgeben umfasst nach Art. 4 Abs. 1 lit. f HMG die Übertragung oder Überlassung eines verwendungsfertigen Heilmittels an die Endverbraucher, ­welche das Heilmittel an sich oder anderen anwenden. Anders als die vorgenannten Schritte bezieht sich das Abgeben nur auf verwendungsfertige Heilmittel und nicht auf Vorstufen. Im Hinblick auf Arzneimittel kommt dem Abgeben die Bedeutung der Verabreichung zu, bei Medizinprodukten die Inbetriebnahme (22).

Systematik des Heilmittelrechts

Das Heilmittelgesetz regelt im ersten Kapitel in den Art. 1 bis 4 HMG die Zweckbestimmung, die Sorgfaltspflichten sowie Begriffsbestimmungen und somit allgemeine Bestimmungen, die sowohl für Arzneimittel als auch für Medizinprodukte gelten. Das zweite Kapitel regelt in den Art. 5 bis 44 HMG die Arzneimittel, während das dritte Kapitel in den Art. 45 bis 51 Vorschriften für Medizinprodukte umfasst. Das vierte Kapitel enthält in den Art. 52 bis 67 HMG wiederum gemeinsame Bestimmungen für Arzneimittel und Medizinprodukte, während das fünfte Kapitel in den Art. 82 und 83 HMG Vorschriften zum Eidgenössischen Heilmittelinstitut Swissmedic vorsieht. Schliesslich enthält das siebte Kapitel in den Art. 84 und 85 HMG Regelungen zum Verwaltungsverfahren, während das achte Kapitel in den Art. 91 bis 96 HMG Strafbestimmungen bei Verstössen normiert. Neben den Bestimmungen des HMG als Rahmengesetz ist das Heilmittelrecht durch eine Vielzahl von Verordnungen des Bundesrates sowie durch Verwaltungsverordnungen von Swissmedic geprägt. Hinzu kommen noch Anleitungen, Merkblätter und Informationen von Swissmedic (23). Bei der Systematik des HMG fällt auf, dass der grösste Anteil der Bestimmungen auf den Bereich der Arzneimittel fällt. Dies beruht darauf, dass Arzneimittel aufgrund ihres im Vergleich zu den Medizinprodukten grundsätzlich grösseren Risiko- bzw. Gefahrenpotenzials einer umfangreicheren Regulierung, so insb. eines Zulassungsverfahrens, bedürfen.

Arzneimittel

Grundsätze

Für Arzneimittel gelten separate Regulierungen, welche im HMG einen grösseren Raum einnehmen als jene für Medizinprodukte. So statuieren die Art. 5 bzw. 18 ff. HMG sowohl für die Herstellung als auch die Einfuhr, Ausfuhr und den Handel mit Arzneimitteln in der Schweiz Bewilligungspflichten. Daneben enthält Art. 9 Abs. 1 HMG den Grundsatz, wonach verwendungsfertige Arzneimittel nur in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie von Swissmedic zugelassen sind.

Aus rechtlicher Sicht handelt es sich sowohl bei den Bewilligungen als auch bei den Zulassungen um mitwirkungsbedürftige Verfügungen, d.h., eine Verfügung kann nur aufgrund eines Gesuchs ergehen. Es handelt sich zudem um Polizeiverfügungen, d.h., es besteht grundsätzlich kein Ermessen von Swissmedic, sodass eine Bewilligung bzw. Zulassung zu erteilen ist, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Erteilung vorliegen (24). Zudem dürfen andere als die gesetzlich genannten Voraussetzungen nicht eingebracht oder berücksichtigt werden (25). Der Unterschied zwischen Bewilligung und Zulassung besteht darin, dass sich die Bewilligung grundsätzlich auf den Inverkehrbringer bezieht, während die Zulassung für das Produkt (Arzneimittel) erforderlich ist.

Bewilligungen

Art. 5 Abs. 1 HMG sieht vor, dass für die Herstellung von Arzneimitteln eine Bewilligung von Swissmedic erforderlich ist. Die Herstellung stellt eine private Erwerbstätigkeit dar, welche unter den Schutz der Wirtschaftsfreiheit gem. Art. 27 BV fällt, da aufgrund der Bewilligungspflicht für die Herstellung von Arzneimitteln die Ausübung der Wirtschaftsfreiheit eingeschränkt wird. Diese Einschränkung ist jedoch nur dann zulässig, wenn sie gem. Art. 36 BV auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Die Vorschriften des Heilmittelrechts, welche den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezwecken, genügen diesen Anforderungen, da die Bewilligungspflicht dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dient und gesundheitspolizeilich ausgerichtet ist (26). So ist nach Art. 6 Abs. 1 HMG eine Bewilligung zu erteilen, wenn die erforderlichen fachlichen und betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind (lit. a) und ein geeignetes Qualitätssicherungssystem vorhanden ist (lit. b). Die Einfuhr und Ausfuhr sowie der Handel im Ausland bestimmen sich nach Art. 18 HMG ff., welche ebenfalls eine Bewilligungspflicht vorsehen.

Zulassungspflicht und Ausnahmen

Art. 9 Abs. 1 HMG statuiert den Grundsatz, wonach verwendungsfertige Arzneimittel für ihr Inverkehrbringen grundsätzlich eine Zulassung durch Swissmedic benötigen (Grundsatz der Zulassungspflicht). Auch die Zulassungspflicht stellt einen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit nach Art. 27 BV dar, welche jedoch ebenfalls wie die Bewilligungspflicht zulässig ist (27). Dem Zulassungsentscheid geht ein aufwendiges Zulassungsverfahren voraus, welches als präventives Kontrollverfahren ausgestaltet ist, sodass eine Zulassung grundsätzlich präventiv, d.h. vor Abgeben oder Inverkehrbringen, erfolgen muss (28). Im Hinblick auf den Grundsatz der Zulassungspflicht nach Art. 9 Abs. 1 HMG gelten zahlreiche Ausnahmen, welche in Art. 9 Abs. 2 HMG normiert sind. Hierunter fallen insbesondere die sog. Formula-Arzneimittel (29).
Bei der Herstellung der Formula-Arzneimittel sind die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft zu beachten (30). So benötigen Arzneimittel, die in einer öffentlichen Apotheke oder in einer Spitalapotheke in Ausführung einer ärztlichen Verschreibung für eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis hergestellt werden (Formula magistralis), nach Art. 9 Abs. 2 lit. a HMG keine Zulassung. Das Gleiche gilt nach Art. 9 Abs. 2 lit. b HMG für Arzneimittel, die in einer öffentlichen Apotheke, einer Spitalapotheke, einer Drogerie oder in einem anderen Betrieb, der über eine Herstellungsbewilligung verfügt, nach einem anerkannten Arzneibuch oder Formularium ad hoc oder defekturmässig hergestellt werden und die für die Abgabe an die eigene Kundschaft bestimmt sind (Formula officinalis). Ebenso keine Zulassung benötigen insbesondere Arzneimittel für klinische Versuche (Art. 9 Abs. 2 lit. d HMG) sowie Arzneimittel, die nicht standardisierbar sind (Art. 9 Abs. 2 lit. e HMG).

Zulassungsverfahren

Hintergrund
Nach dem Grundsatz der Zulassungspflicht nach Art. 9 Abs. 1 HMG dürfen Arzneimittel nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie vorgängig von Swissmedic zugelassen sind, sodass nur Arzneimittel auf den Markt kommen dürfen, die den gesetzlichen Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität i.S.v. Art. 1 Abs. 1 HMG genügen. Der Zulassung geht grundsätzlich eine eingehende Prüfung voraus, ob ein Arzneimittel den gesetzlich vorgeschriebenen Anforderungen entspricht und zugelassen wird. Dazu muss für das Arzneimittel, für das eine Zulassung von Swissmedic beantragt wird, eine umfangreiche Dokumentation, das sog. Datendossier, mit den Ergebnissen der präklinischen und klinischen Studien (Phase I–III) bei Swissmedic eingereicht werden, aufgrund dessen die Wirksamkeit, die Qualität und die Sicherheit des Arzneimittels durch Swissmedic geprüft werden können. Die Zulassungsverfahren sind in den Art. 10-14 HMG sowie in der Arzneimittel-Zulassungsverordnung (AMZV) geregelt (31).

Sicherheit als Nutzen-Risiko-Abwägung
Eine Zulassung wird nur erteilt, wenn das Arzneimittel hinreichend sicher ist. Gefordert wird jedoch keine absolute Sicherheit, da ansonsten die Arzneimittelverfügbarkeit sehr eingeschränkt wäre. Selbst bei zugelassenen Arzneimitteln können bei bestimmungsgemässer Verwendung unerwünschte Wirkungen, insbesondere Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, auftreten. Damit bleibt grundsätzlich ein sozialadäquates Restrisiko. Im Hinblick auf die Sicherheit kann daher nur eine relative Sicherheit verlangt werden, welche sich nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung beurteilt (32). Die Sicherheit ist folglich nicht juristisch zu bestimmen, sondern ist ein medizinisch pharmakologischer Begriff.

Ordentliches Zulassungsverfahren
Für alle neuen Arzneimittel, die in der Schweiz erstmals in Verkehr gebracht werden sollen, bedarf es nach Art. 9 Abs. 1 HMG grundsätzlich einer Zulassung. Hier kommt das ordentliche Zulassungsverfahren, auch Erstzulassung genannt, zur Anwendung, welches in den Art. 10 und 11 HMG statuiert ist. So bestimmt Art. 10 HMG in abschliessender Weise die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von verwendungsfertigen Arzneimitteln i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG. Aufgrund des Zulassungsgesuchs muss Swissmedic in der Lage sein zu beurteilen, ob das Arzneimittel oder das Verfahren i.S.v. Art. 1 HMG qualitativ hochstehend, sicher und wirksam ist. Danach muss der Gesuchsteller belegen, dass das Arzneimittel qualitativ hochstehend, sicher und wirksam ist (lit. a), er über eine entsprechende Herstellungs-, Einfuhr- oder Grosshandelsbewilligung (lit. b) sowie über einen Wohnsitz, Geschäftssitz oder Niederlassung in der Schweiz (lit. c) verfügt.

Für bereits zugelassene Wirkstoffe gilt je nach Art und Umfang der Neuerung das ordentliche Zusalleungsverfahren nach Art. 10 HMG oder das vereinfachte Verfahren nach Art. 14 HMG. Folglich kann auch bei bereits zugelassenen Arzneimitteln ein ordentliches Zulassungsverfahren in Betracht kommen, wenn sich beispielsweise die Indikation, die Dosierung oder die Verabreichungsform ändern. Bei der Zulassung handelt es sich um eine Polizeiverfügung, d.h., Swissmedic kommt kein Ermessen zu, vielmehr besteht ein Rechtsanspruch auf Zulassung, wenn die Voraussetzungen nach Art. 10 HMG erfüllt sind (33). Das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen ist durch den Gesuchsteller zu beweisen und durch Einreichung der entsprechenden Dokumentation im Zulassungsgesuch nach Art. 11 HMG nachzuweisen (33). Das Zulassungsgesuch muss nach Art. 11 Abs. 1 lit. a bis c HMG sämtliche für die Beurteilung wesentlichen Angaben und Unterlagen enthalten, so insbesondere die Indikation(en), die Bezeichnung des Arzneimittels (lit. a), den Hersteller oder den Vertreiber (lit. b) sowie die Herstellungsmethode, die Zusammensetzung, die Qualität und die Haltbarkeit (lit. c). Welche sonstigen Angaben und Unterlagen mit Gesuch auf Zulassung bei Swissmedic einzureichen sind, bestimmt sich nach Art. 11 Abs. 2 HMG, so insbesondere die Ergebnisse der präklinischen und klinischen Prüfungen, die Heilwirkungen und die unerwünschten Wirkungen, die Kennzeichnung, die Arzneimittelinformation sowie die Abgabe- und die Anwendungsart. Einzelheiten sind in der Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die Anforderungen an die Zulassung von Arzneimitteln AMZV geregelt (31). So bestimmen die Art. 3 ff. AMZV die Anforderungen an die Dokumentation für die Zulassung eines Humanarzneimittels.

Da die Entwicklung und Zulassung eines neuen Arzneimittels mit hohen Investitionskosten verbunden ist, wird ein sog. Unterlagenschutz, auch Erstanmelderschutz genannt, nach den Art. 1a ff. HMG gewährt, bei dem es sich um ein arzneimittelrechtliches Ausschliesslichkeitsrecht handelt (34). Der Erstanmelderschutz soll vertrauliche Daten, die ein Erstanmelder im Rahmen der Zulassung vorzulegen hat und die oft unter erheblichen Investitionen erstellt worden sind, vor unlauterer gewerblichen Verwendung schützen (35). Der Unterlagen- bzw. Erstanmelderschutz ist nicht mit den immaterialgüterrechtlichen Ausschliesslichkeitsrechten zu verwechseln, die sich nicht nach Heilmittelrecht, sondern nach Immaterialgüterrecht bestimmen.

Vereinfachtes Zulassungsverfahren

Für bestimmte Kategorien von Arzneimitteln ist nach Art. 14 HMG ein vereinfachtes Zulassungsverfahren vorgesehen, «wenn dies mit den Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vereinbar ist». Die vereinfachte Zulassung beruht aus rechtlicher Sicht auf dem Verhältnismässigkeitsprinzip, da für bestimmte Arten von Arzneimitteln ein ordentliches Verfahren unverhältnismässig wäre. So listet Art. 14 Abs. 1 HMG eine Reihe von Arzneimittelkategorien auf, für die eine vereinfachte Zulassung gilt. Die Liste ist nicht abschliessend, wie durch den Hinweis «insbesondere» bei der Auflistung deutlich wird. Ein vereinfachtes Zulassungsverfahren nach Art. 14 Abs. 1 HMG ist beispielsweise für Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen (lit. a) oder Arzneimittel mit langjähriger medizinischer Verwendung (lit. ater) sowie für Komplementärarzneimittel (lit. b), Phytoarzneimittel (lit. cbis) und Arzneimittel für den Spitalbedarf (lit. d) vorgesehen. Zudem gilt ein vereinfachtes Verfahren auch für Arzneimittel für seltene Krankheiten (lit. f). Die vereinfachten Zulassungsverfahren sind sowohl auf Gesetzes- als auch auf Verordnungsstufe durch Verordnungen des Bundesrats und von Swissmedic detailliert geregelt.

Einer der wichtigsten Anwendungsfälle des vereinfachten Verfahrens gilt nach Art. 14 Abs. 1 lit. a HMG für Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen. Nach Art. 12 Abs. 1 VAZV kann ein Arzneimittel vereinfacht zugelassen werden, dessen Wirkstoff in einem Arzneimittel enthalten ist, das von Swissmedic zugelassen ist oder war (bekannter Wirkstoff). Es handelt sich hierbei um ein Arzneimittel, dessen Wirkstoff in einem Arzneimittel enthalten ist, welches von Swissmedic bereits zugelassen war, sodass damit in erster Linie Generika umfasst sind. Die Zulassung eines Arzneimittels im Rahmen eines ordentlichen Zulassungsverfahrens stellt aufgrund der umfangreichen Dokumentationspflichten und den damit verbundenen Nachweisen, insbesondere aufgrund des Erfordernisses der präklinischen und klinischen Studien, einen grossen zeitlichen Aufwand mit hohen Kosten dar.

Die Vereinfachung des Zulassungsverfahrens besteht da­rin, dass sich das Arzneimittel als Nachfolgeprodukt unter bestimmten Voraussetzungen auf die bereits eingereichten Zulassungsunterlagen der Erstzulassung abstützen, d.h. referenzieren, kann. Voraussetzung für eine vereinfachte Zulassung ist, dass das Nachfolgeprodukt mit dem bereits zugelassenen Produkt im Wesentlichen gleich i.S. der Bioverfügbarkeit ist und der sog. Erstanmelderschutz bzw. Unterlagenschutz entweder bereits abgelaufen ist oder der Inhaber der Erstzulassung der Referenzierung auf die Unterlagen seines Zulassungsgesuchs zustimmt (36). Die Referenzierung kann daher nicht uneingeschränkt vorgenommen werden.

Nach Art. 12 Abs. 1 HMG kann sich das Gesuch um Zulassung eines Arzneimittels, das im Wesentlichen gleich ist wie ein Arzneimittel, dessen Unterlagen nach Art. 11a und 11b HMG im Rahmen des Unterlagenschutzes geschützt ist, nur auf die Ergebnisse dessen pharmakologischer, toxikologischer und klinischer Prüfungen stützen, wenn der Inhaber der Zulassung des Arzneimittels mit Unterlagenschutz schriftlich zustimmt (lit. a) oder der Schutz der entsprechenden Unterlagen abgelaufen ist (lit. b). Der Unterlagenschutz legt vereinfacht dargelegt fest, in welchen Zeiträumen keine automatische Referenzierung auf die bei Swissmedic vorliegenden Unterlagen der Erstzulassung referenziert werden darf.

Hintergrund des Unterlagen- oder Erstanmelderschutzes ist, dass vertrauliche Daten, die ein Erstanmelder im Rahmen der Zulassung vorzulegen hat und die oft unter erheblichen Investitionen erstellt worden sind, vor unlauterer gewerblicher Verwendung geschützt werden sollen. Der Schutz soll so lange währen, bis ein Zweitanmelder sich zulässigerweise auf die Daten stützen darf, sei es auf- grund einer finanziellen Gegenleistung im Einvernehmen mit dem Erstanmelder, sei es nach Ablauf einer gewissen Zeitdauer (37).

Pharmakovigilanz

Trotz der umfassenden Prüfung der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität von Arzneimitteln im Rahmen des Zulassungsverfahrens durch Swissmedic können Arzneimittel weitere Risiken aufweisen, die erst nach Inverkehrbringen, d.h. nach der Markteinführung aufgrund einer breiteren Anwendung, auftreten. (38) Dies betrifft insbesondere das Auftreten seltener Risiken, die im Rahmen der klinischen Studien aufgrund der begrenzten Probandenzahl nicht erkennbar waren (39). Die Sicherheit eines Arzneimittels i.S. der Nutzen-Risiko-Abwägung muss dsomit fortlaufend durchgeführt werden. Daher statuieren die Art. 58 ff. HMG verschiedene Überwachungspflichten, so die behördliche Marktüberwachung (Art. 58 HMG) sowie Meldepflichten, Meldesysteme und Melderechte, die sog. Pharmakovigilanzpflichten (Art. 59 HMG).

Medizinprodukte

Grundsätze

Medizinprodukte müssen entsprechend den Vorgaben nach Art. 1 Abs. 1 HMG ebenfalls qualitativ hochstehend, sicher und wirksam sein. Für ihr Inverkehrbringen bedarf es jedoch im Vergleich zu den Arzneimitteln keiner vorgängigen Zulassung. Damit können Medizinprodukte ohne vorherige behördliche Zulassung durch Swissmedic in Verkehr gebracht werden. Zudem können auch Medizinprodukte, welche sich in der EU rechtmässig in Verkehr befinden, grundsätzlich auch in die Schweiz importiert werden. Für Medizinprodukte stützt sich die Schweiz folglich auf die Vorgaben des Systems der Konformitätsbewertung der EU ab. Die Schweiz hat das Medizinprodukterecht der EU, mit welchem eine europäische Harmonisierung in den EU-Mitgliedstaaten erreicht wurde, in nationales Recht umgesetzt und in Detailfragen auf das EU-Recht verwiesen (40). Dies bedeutet, dass die Begriffsdefinition für Medizinprodukte in der Schweiz mit denen in den EU-Mitgliedstaaten übereinstimmen muss. Aus diesem Grund werden Medizinprodukte in unterschiedliche Kategorien, sog. Risikoklassen, eingeteilt, die sich nach dem jeweiligen Risikoprofil richten. Entsprechend sind unterschiedliche Bewertungsverfahren vorgesehen, sodass Anforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz entsprechend der jeweiligen Klassifizierung verschieden sein können. Unterschieden wird entsprechend den EU-Regelungen zwischen Medizinprodukten und In-vitro-Dia­gnostika. Anders als Arzneimittel durchlaufen Medizinprodukte somit keine behördliche Zulassung, sodass sich die Aufgaben von Swissmedic im Bereich Medizinprodukte auf eine Marktüberwachung beschränken (41).

Inverkehrbringen

Die Anforderungen an Medizinprodukte sind in Art. 45 HMG normiert. Danach darf ein Medizinprodukt bei seiner bestimmungsgemässen Verwendung die Gesundheit der Anwenderinnen und Anwender, der Konsumentinnen und Konsumenten, Patientinnen und Patienten sowie Dritter nicht gefährden (Abs. 1). Zudem muss derjenige, der ein Medizinprodukt in Verkehr bringt, nachweisen können, dass es die grundlegenden Anforderungen erfüllt (Abs. 2). Das Inverkehrbringen von Medizinprodukten regeln des Weiteren die Bestimmungen der MepV. So enthält Art. 4 lit. b MepG eine Legaldefinition des Inverkehrbringens, wonach hierunter «jede erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem Schweizer Markt» zu verstehen ist. Nach Art. 6 Abs. 1 MepV darf ein Medizinprodukt «nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn es bei sachgemässer Lieferung, korrekter Installation und Instandhaltung und bei seiner Zweckbestimmung entsprechender Verwendung» den Vorgaben der MepV entspricht.

Konformitätsbewertungsverfahren

Für Medizinprodukte ist zwar kein Zulassungsverfahren vorgesehen, jedoch müssen Medizinprodukte ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen, welches in Art. 46 HMG geregelt ist. Der Inverkehrbringer eines Medizinprodukts muss nach Art. 46 Abs. 1 HMG nachweisen, dass die erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden sind. Die Konformität der Medizinprodukte zu den EU-Normen wird von privaten Stellen bewertet. Ist eine Konformitätsbewertung erfolgt, so erhält das Medizinprodukt das CE-Zeichen (42). Im Hinblick auf den freien Warenverkehr mit Medizinprodukten gilt eine einseitige Anerkennung des CE-Zeichens: Während Medizinprodukte, welche in der EU mit einem CE-Zeichen in Verkehr gebracht werden, aufgrund der Warenverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt frei zirkulieren können, gilt dies für die Schweiz nur einseitig: Medizinprodukte aus der EU mit CE-Zeichen können auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden. Da das Konformitätsbewertungsverfahren durch private Stellen erfolgt, kommt Swissmedic nur die Aufgabe der Benennung und Überwachung der Konformitätsbewertungsstellen im Rahmen einer Marktüberwachung zu (42).

Innovationsschutz und Patente

Immaterialgüterrechte im Gesundheitssektor

Grundsätzlich ergeben sich im Gesundheitssektor keine Besonderheiten im Hinblick auf den Immaterialgüterschutz. So bestehen für Arzneimittel und Medizinprodukte die gleichen Schutzrechte wie auch für andere Produkte. Technische Erfindungen können unter den Voraussetzungen des Patentrechts patentiert werden, Bezeichnungen können unter den Schutz des Markenrechts fallen und u.U. kann auch ein urheberrechtlicher Schutz in Betracht kommen. Das häufigste und bedeutendste Immaterialgüterrecht, welches zum Schutz von Erfindungen im Heilmittelbereich zur Anwendung kommt, ist das Patent. Das Patentrecht sorgt durch Gewährung eines Ausschliesslichkeitsrechts an neuen, nicht naheliegenden und gewerblich anwendbaren Erfindungen für Anreize zum Tätigen von Erfindungen und für deren Offenlegung oder Vermarktung (43). Es folgt dem Erfinderprinzip und dem Prioritätsprinzip, wobei die materiellen Erteilungsvoraussetzungen durch das Eidgenössische Institut für geistiges Eigentum (IGE) nur eingeschränkt geprüft werden (43).

Innovationsförderung und Anreizfunktion

Immaterialgüterrechte, so insbesondere das Patent, weisen eine Schutz- und Anreizfunktion auf. Patente gewähren Rechte des geistigen Eigentums, verhindern dadurch Imitation der Erfindung und liefern somit einen Anreiz für Forschung und Entwicklung (F&E) durch die zeitlich begrenzte staatliche Garantie, Dritte von der Verwertung der Erfindung ausschliessen zu können (44). Ziel ist die Förderung von Innovation, die ohne den entsprechenden immaterialgüterrechtlichen Schutz unterbleiben würden. Ressourcen werden nur dann in die Forschung investiert, wenn die Forschungsergebnisse, namentlich Erfindungen, vor kommerzieller Verwendungen durch Nachahmer geschützt werden und die Möglichkeit besteht, die aufgewandten Ressourcen wieder einspielen zu können. Dies wird durch die Exklusivitätswirkung des Patents erreicht, welches Wettbewerber von der kommerziellen Nutzungsmöglichkeit der Erfindung ausschliesst. Patente stellen somit Ausschliesslichkeitsrechte dar, welche die kommerzielle Verwertung in Form einer gewerblichen Benützung ausschliesslich dem Patentinhaber zuweisen, sodass sie anderen übertragbaren absoluten Rechten, wie dem Urheberrecht, dem Markenrecht, dem Designrecht oder dem Sacheigentum, vergleichbar sind (45).

Aus ökonomischer Sicht soll ein Patent ein Marktfehler oder -versagen ausgleichen: Ohne Schutz durch die Exklusivitätswirkung unterbliebe die Investition und mithin die Innovation. Damit der Markt für Heilmittel nicht zum Erliegen kommt, sichert der Patentschutz den forschenden Unternehmen und Erfindern während der Patentlaufzeit ein Ausschliesslichkeitsrecht zu (46). Im Gegenzug für diese Exklusivität muss die Erfindung offengelegt werden, d.h., in der Patentschrift wird die Erfindung beschrieben, sodass es aufgrund dieser Offenlegung Dritten möglich ist, die Erfindung als Ausgangslage zu verwenden, um sie weiterzuentwickeln und zu forschen (46). Anstelle der Subventionierung z. B. von Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen im Gesundheitssektor kann der Staat somit durch die entsprechende Ausgestaltung des Immaterialgüterschutzes entsprechend eine Verhaltenslenkung erreichen (Lenkungsfunktion).

Patentschutz

Das Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) schützt patentierbare Erfindungen (47). Für neue gewerblich anwendbare Erfindungen werden nach Art. 1 Abs. 1 PatG Erfindungspatente erteilt. Was sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine patentierbare Erfindung (Art. 1 Abs. 2 PatG). Es muss sich also um eine neue Erfindung handeln. Nach Art. 7 Abs. 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet alles, was vor dem Anmelde- oder dem Prioritätsdatum der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist (Art. 7 Abs. 2 PatG). Das Patent verschafft seinem Inhaber das Recht, anderen zu verbieten, die Erfindung gewerbsmässig zu nutzen (Art. 8 Abs. 1 PatG). Als Benützung gelten insbesondere das Herstellen, das Lagern, das Anbieten, das Inverkehrbringen, die Ein-, Aus- und Durchfuhr sowie der Besitz zu diesen Zwecken (Art. 8 Abs. 2 PatG). Betrifft die Erfindung ein Herstellungsverfahren, so erstreckt sich die Wirkung des Patents auch auf die unmittelbaren Erzeugnisse des Verfahrens (Art. 8a PatG).

Die Erteilung eines Patents hat jedoch keine Erlaubniswirkung, d.h., es stellt keine Erlaubnis zur Anwendung der geschützten Erfindung dar. Ob eine Erfindung ausgeführt werden darf, ist eine Frage des Regulierungsrechts (48). Für Arzneimittel und Medizinprodukte ist dies das Heilmittelrecht. Vielmehr bietet das Patent die Möglichkeit der (gewerbsmässigen) Benützung der geschützten Erfindung und das Recht, andere während der Patentlaufzeit von dieser Nutzung auszuschliessen (Exklusivitätswirkung oder Ausschliesslichkeitsrecht). Das Recht, anderen die gewerbsmässige Nutzung des Patents zu verbieten, besteht jedoch grundsätzlich nur während der Patentlaufzeit. Die Schutzdauer eines Patents beträgt 20 Jahre (Art. 14 Abs. 1 PatG). Ob eine Erfindung auch tatsächlich wirtschaftlich genutzt werden kann, bestimmt sich nach anderen Gesetzen: Für Arzneimittel sind dies die Vorschriften für das Inverkehrbringen i.S. der Zulassungsregelungen nach den Art. 10 ff. HMG. Gegenstand eines Patents im Bereich des Arzneimittelrechts können nicht nur Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen sein. Vielmehr kann die durch das Patent geschützte Erfindung auch u.a. auf das Herstellungsverfahren, die Galenik und in beschränktem Umfang auch auf die Verwendung des Heilmittels gestützt werden. Nach Art. 7c PatG können Stoffe oder Stoffgemische, die als solche, aber nicht in Bezug auf ihre Verwendung, in einem chirurgischen, therapeutischen oder diagnostischen Verfahren zum Stand der Technik gehören, als neu gelten, soweit sie nur für eine solche Verwendung bestimmt sind.

Forschungs-, Versuchs- und Zulassungsprivileg

Die Forschung mit patentgeschützten Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen z. B. durch Hersteller von Nachfolgeprodukten verletzt das Patent grundsätzlich nicht, da sie keine kommerzielle Verwertung darstellen. Das Forschungs- und Versuchsprivileg nach Art. 9 PatG erlaubt es Generikahersteller, bereits während der Schutzdauer der noch patentgeschützten Originalarzneimittel Massnahmen für die Zulassung ihrer Generika vorzunehmen, so insbesondere Studien für die Vorbereitung des Zulassungsantrags im Wege des vereinfachten Verfahrens nach Art. 14 HMG. Mit der Revision des Patentrechts hat das Versuchsprivileg Eingang in das PatG gefunden. Nach Art. 9 Abs. 1 PatG erstreckt sich die Wirkung des Patents nicht auf Handlungen zu Forschungs- und Versuchszwecken, die der Gewinnung von Erkenntnissen über den Gegenstand der Erfindung einschliesslich seiner Verwendungen dienen. Des Weiteren ist jede wissenschaftliche Forschung am Gegenstand der Erfindung frei. Im Hinblick auf die Durchführung von präklinischen und klinischen Studien sieht Art. 9 Abs. 1 PatG ebenfalls eine Ausnahme vor: So erstreckt sich die Wirkung des Patents ebenso nicht auf Handlungen, die für die Zulassung eines Arzneimittels im Inland oder in Ländern mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle vorausgesetzt sind (Art. 9 Abs. 1 lit. d PatG).

Für Arzneimittel von besonderer Bedeutung ist das Zulassungsprivileg nach Art. 9 Abs. 1 lit. c PatG. Danach erstreckt sich die Wirkung des Patents nicht auf Handlungen, die für die Zulassung eines Arzneimittels im Inland oder in Ländern mit vergleichbarer Arzneimittelkontrolle vorausgesetzt sind. Da das patentrechtliche Ausschliesslichkeitsrecht des Patentinhabers nach Ablauf der immaterialgüterrechtlichen Schutzrechte endet, können am Tag nach dem Ablauf der Schutzdauer Dritte den Patentinhaber mit seiner eigenen Erfindung, zum Beispiel einem Generikum, konkurrieren (49). Dies gilt dann, wenn keine weiteren Rechte bestehen, wie etwa der Unterlagenschutz. Weil Arzneimittel jedoch einer Zulassungspflicht unterliegen, können Dritte nur dann ein Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen, wenn sie an diesem Tag bereits über die arzneimittelrechtliche Zulassung für das betreffende Arzneimittel verfügen, sodass zulassungsrechtlich relevante Handlungen bereits vor Patentablauf vorgenommen werden dürfen (49).

Patentschutz und Unterlagenschutz

Der Patentschutz ist von der Zulassung zu unterscheiden: Das Patent schützt als gewerbliches Schutzrecht eine patentierbare Erfindung und gibt dem Inhaber ein Recht auf ausschliessliche Nutzung seiner Erfindung, indem er andere Nutzer während der Patentlaufzeit von einer Verwendung der Erfindung ohne Autorisierung durch den Patentinhaber ausschliessen kann. Die Nutzung des Patents richtet sich nach Privatrecht. Die Zulassung stellt dagegen das Recht zum Inverkehrbringen eines Produkts dar. Die Prüfung und Erteilung der Zulassung ist spezialpolizeiliche Aufgabe und richtet sich nach dem öffentlichen Recht. Dem Patentschutz kommt insbesondere im Pharmabereich eine sehr grosse Rolle zu: So können Patentinhaber die kommerzielle Verwertung z. B. generischer Produkte selbst dann verbieten, wenn der Unterlagenschutz bereits abgelaufen ist und Zulassungen im Rahmen des vereinfachten Zulassungsverfahrens nach Art. 14 HMG erteilt werden können, so lange wie ein immaterialgüterrechtlicher Schutz besteht.

Die Patentierung eines Arzneimittels ist daher nicht mit der Zulassung zu verwechseln: Auch ein patentgeschütztes Produkt benötigt eine Zulassung vor dem Inverkehrbringen. Umgekehrt prüft Swissmedic im Rahmen eines ordentlichen oder vereinfachten Zulassungsverfahrens nach den Art. 10 ff. HMG nicht, ob durch die Zulassung Patentrechte Dritter verletzt werden. Patentverletzungen müssen vom Patentinhaber auf zivilrechtlichem Weg geltend gemacht werden. Insgesamt sind daher zwei Schutzformen zu unterscheiden. Der regulatorische Schutz in Form des Unterlagenschutzes bestimmt sich nach dem Heilmittelrecht und mithin nach öffentlichem Recht. Der Patentschutz bestimmt sich nach Immaterialgüterrecht und folglich nach Privatrecht.

Ergänzendes Schutzzertifikat

Ausnahmen für einen zusätzlichen immaterialgüterrechtlichen Schutz bestehen für regulierte Bereiche, bei denen Produkte für das Inverkehrbringen einer Zulassung bedürfen: Dies betrifft neben Pflanzenschutzmitteln den Bereich der Arzneimittel. Produkte dieser beiden Bereiche müssen aufgrund ihres Risiko- oder Gefahrenpotenzials eine präventive (Polizei-)Kontrolle für ihr Inverkehrbringen im Rahmen eines Zulassungsverfahrens durchlaufen. Erst wenn ihre Wirkungen und Nebenwirkungen mittels Studien untersucht und nachgewiesen sind und eine Sicherheits- und Wirksamkeitsüberprüfung i.S. einer Risiko-Nutzen-Abwägung vorgenommen worden ist, wird über ihr Inverkehrbringen bzw. ihre Marktzulassung entschieden. Die Marktzulassung erfolgt i.d.R. in Form einer Polizeibewilligung. Damit muss bei zulassungspflichtigen Produkten eine Zulassung eingeholt werden, bevor die patentierte Erfindung kommerziell genutzt werden kann.

Da die Patentanmeldung i. d. R. vor dem Zulassungsverfahren erfolgt, um die Erfindung ausreichend zu schützen und um die Beanspruchbarkeit der Erfindung nicht zu gefährden, verkürzt die Dauer des Zulassungsverfahrens den Teil der Patentlaufzeit, der für die Kommerzialisierung der Erfindung genutzt werden kann. Damit wird die Anreizfunktion für Produkte, welche eine Zulassung bedürfen (Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel), aufgrund der verkürzten nutzbaren Patentlaufzeit geschmälert. Da die Zulassungsverfahren zeitintensiv sind, fünf bis zehn Jahre dauern können und der Patentschutz während dieser Zeit bereits läuft, ohne dass der Patentinhaber die Erfindung aufgrund der noch nicht vorhandenen Zulassung kommerziell nutzen kann, wird ein Ausgleich geschaffen: Der Patentinhaber kann ein Ergänzendes Schutzzertifikat (ESZ) beantragen (50). Da es um einen immaterialgüterrechtlichen Schutz geht, ist die zuständige Behörde das Institut für Geistiges eigentum (IGE) und nicht Swissmedic. Das ESZ verlängert den immaterialgüterrechtlichen Schutz für ein zugelassenes Produkt um bis zu fünf Jahre ab dem Zeitpunkt, an dem der Patentschutz nach der maximalen Schutzdauer von 20 Jahren abgelaufen ist. Damit gleicht das ESZ teilweise den Zeitverlust aus, der sich für die Nutzung des Patents aufgrund des Zulassungsverfahrens ergeben hat. Das ESZ ist in Art. 140a PatG geregelt: Danach erteilt das IGE für Wirkstoffe und Wirkstoffzusammensetzungen von Arzneimitteln auf Gesuch hin ein ESZ (Art. 140a Abs. 1 PatG). Dazu enthält die Vorschrift Legaldefinitionen für die Begriffe Wirkstoff und Wirkstoffzusammensetzung: Ein Wirkstoff ist ein zur Zusammensetzung eines Arzneimittels gehörender Stoff chemischen oder biologischen Ursprungs, der eine neue medizinische Wirkung auf den Organismus hat. Eine Wirkstoffzusammensetzung wird dagegen als eine Kombination aus mehreren Stoffen verstanden, die alle eine medizinische Wirkung auf den Organismus haben. Das Verfahren zur Erteilung eines ESZ bestimmt sich nach den Art. 140b ff. PatG.

Zusammenfassung

Sowohl die Regulierungen von Arzneimitteln als auch von Medizinprodukten sind komplex und durch eine Vielzahl von Rechtsvorschriften auf Gesetzes- und Verordnungsstufe geregelt. Das Zulassungsverfahren für Arzneimittel ist zeit- und kostenintensiv. Daher spielen Schutzrechte, sowohl der Erstanmelder- bzw. Unterlagenschutz auf der Grundlage des Heilmittelrechts als auch Patente und das ESZ im Rahmen des Immaterialgüterrechts eine wichtige Rolle als Innovationsanreiz für die weitere Forschung. Die Schnittstelle zwischen der Zulassung von Arzneimitteln nach dem HMG und dem Patentrecht, einschliesslich Unterlagenschutz und Ergänzendem Schutzzertifikat, ist komplex und vielschichtig. Der Rechtsrahmen wird darüber hinaus durch viele, ganz unterschiedliche Rechtsfragen überlagert, so z. B. Pflichten zur Offenlegung von Informationen trotz Unterlagenschutz, die Geltendmachung und Durchsetzung des Unterlagenschutzes, Schutzlücken des Unterlagenschutzes, z. B. aufgrund von Veröffentlichung von Daten im Rahmen von wissenschaftlichen Publikationen, Zusammenhang mit Offenlegungspflichten in anderen Jurisdiktionen, die Berechnung des Zeitpunkts für die Laufzeit des ESZ und Bestimmung des Gegenstandes bzw. Umfangs eines ESZ. Dies wird noch durch unterschiedliche Anforderungen an die Schutzrechte und verschiedene Schutzfristen im internationalen Kontext erschwert, da eine internationale Harmonisierung in diesen Bereichen nicht besteht. Dies sind nur einige Beispiele von Rechtsfragen, welche die Komplexität zweier hochregulierter und technologiebasierter Bereiche mit sich bringt. Die Zulassung von Arzneimitteln unter Berücksichtigung von Patentrechten, Unterlagenschutz und Ergänzendem Schutzzertifikat bedarf daher einer rechtlichen und strategischen Planung.

Um die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Zulassung von Arzneimitteln nach Heilmittelrecht und dem Patentrecht, einschliesslich Unterlagenschutz und ESZ, anzugehen, sollten klare Richtlinien – auch auf internationaler Ebene – im Hinblick auf Datenveröffentlichungen unter Berücksichtigung des Unterlagenschutzes bestehen. Für das Versuchsprivileg sollten klare Rahmenbedingungen bestehen. Auf internationaler Ebene wären Harmonisierungen im Hinblick auf Schutzfristen und Standards sinnvoll, um die Rechtssicherheit zu erhöhen. Auch eine weitere Kooperation und Austausch der Zulassungsbehörden und Patentämter wäre hilfreich. Möglicherweise wären auch digitale Verwaltungssysteme zur effizienteren Handhabung von Zulassungs- und Patentanträgen sowie zur Überwachung der Einhaltung von Schutzrechten nützlich. Dies zeigt, dass die Regulierung in den dargestellten Bereichen dieses Beitrags nicht abgeschlossen sind, sondern sich vielmehr noch weiterentwickeln wird.

Prof. Dr. iur. M.A. Claudia Seitz

Professorin für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht
und Life Sciences Recht
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Private Universität im Fürstentum Liechtenstein (UFL)
Dorfstrasse 24
FL-9495 Triesen

claudia.seitz@ufl.li

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Für die nachfolgenden Ausführungen wird auf das folgende Buch verwiesen: Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023.
2. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 128-129.
3. Vgl. hierzu BAG, Bekämpfung von Heilmittelfälschungen, https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medizin-und-forschung/heilmittel/heilmittelfaelschung-illegaler-handel.html.
4. Zur Problematik der Arzneimittelfälschungen und den daraus resultierenden Gesundheitsgefahren sowie Möglichkeiten der Prävention vgl. Europarat, Medicrime Konvention, Übereinkommen des Europarats über die Fälschung von Arzneimitteln und Medizinprodukten und über ähnliche die öffentliche Gesundheit gefährdende Straftaten, abgeschlossen in Moskau am 28. Oktober 2011, in Kraft seit 1. Februar 2019 (SR 0.812.41).
5. Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) vom 15. Dezember 2000 (SR 812.21).
6. Für einen Überblick über die jeweils aktuellen Rechtsgrundlagen zum Heilmittelrecht und dem dazugehörigen Ausführungsrecht siehe Swissmedic, Rechtsgrundlagen für Heilmittel in der Schweiz, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/legal/rechtsgrundlagen/rechtsgrundlagen-fuer-heilmittel-in-der-schweiz.html [besucht am 10.07.2024].
7. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 131-133.
8. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 132.
9. Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Krankenversicherungsgesetz, KVG) vom 18. März 1994 (SR 832.10).
10. Zu den nachfolgenden Ausführungen siehe ausführlich Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 139-142.
11. Eggenberger Stöckli E, Kesselring F, Art. 4. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 10.
12. Eggenberger Stöckli E, Kesselring F, Art. 4. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 10; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 141-142.
13. Medizinprodukteverordnung (MepV) vom 1. Juli 2020 (SR 812.213).
14. Eggenberger Stöckli E, Kesselring F, Art. 4. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 116.
15. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 141-144.
16. Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG) vom 20. Juni 2014 (SR 817.0).
17. BGE 138 IV 57.
18. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 144-145.
19. BGer, Urt. v. 13.5.2019, 2C_600/2018, E 6.2.
20. Verordnung über die Bewilligung im Arzneimittelbereich (Arnzneimittel-Bewilligungsverordnung, AMBV) vom 14. November 2018 (SR 812.212.1).
21. BGer, Urt. v. 8.10.2019, EB_984/2019, E. 2.3.
22. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 137.
23. Für einen Überblick über die Verordnungen von Swissmedic (sog. Institutsratsverordnungen), siehe Rechtsgrundlagen für Heilmittel in der Schweiz, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/legal/rechtsgrundlagen/rechtsgrundlagen-fuer-heilmittel-in-der-schweiz.html [besucht am 10.07.2024].
24. Eggimann S, Isler M, Wildi A, Art. 5. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 9.
25. Eggimann S, Isler M, Wildi A, Art. 5. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 3; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 145.
26. Eggimann S, Isler M, Wildi A, Art. 5. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 3; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 145.
27. Schott M, Albert E, Vor Art. 8-17. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 7.
28. Schott M, Albert E, Art. 9. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 32; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 144.
29. Schott M, Albert E, Art. 9. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 33; Für weitere Hinweise zu den Formula-Arzneimitteln siehe Swissmedicines inspectorate, Herstellung und Inverkehrbringen von Formula-Arzneimitteln, 12.10.2023.
30. BGer, 15.03.2019, 2C_424/218, E.4.
31. Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die Anforderungen an die Zulassung von Arzneimitteln (Arzneimittel-Zulassungsverordnung, AMZV) vom 9. November 2001 (SR 812.212.22).
32. Schott M, Albert E, Art. 11. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 47; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 144.
33. Schott M, Albert E, Art. 10. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 2.
34. Schott M, Albert E, Art. 11a. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 2; Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 151. Für weitere Informationen zum Unterlagenschutz vgl. Swissmedic, Fragen und Antworten zum Unterlagenschutz, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/services/documents/faq-unterlagenschutz.html [besucht am 10.07.2024].
35. BGer, Urt. v. 17. September 2008, 2C-318/2008, E. 5.2.1.
36. Schmid G, Uhlmann F, Art. 14. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 11.
37. Seitz C, Gesundheitsrecht: Repetitorium. Zürich: Orell Füssli Verlag, 2023. 151-152.
38. Swissmedic, Pharmacovigilance, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/humanarzneimittel/marktueberwachung/pharmacovigilance.html [besucht am 10.07.2024].
39. Eichenberger Th, Art. 59. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 18.
40. Meier A, Vor, Kapitel 3. In: Eichenberger Th, Jaisli U, Richli P, editors. Basler Kommentar zum Heilmittelgesetz. 2. Auflage. Basel: Helbing Lichtenhahn Verlag, 2022, Rn. 2.
41. Swissmedic, Medizinprodukte, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/medizinprodukte.html [besucht am 10.07.2024].
42. Swissmedic, Regulierung Medizinprodukte, https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/medizinprodukte/regulierung-medizinprodukte.html [besucht am 10.07.2024].
43. Schweizer M, Zech H, Vor Art. 1. In: Schweizer M, Zech H, editors: Stämpflis Handkommentar zum Patentgesetz (PatG). Bern: Stämpfli Verlag, 2019, Rn. 1.
44. Vaterlaus St, Zenhäusern P, Schneider Y, Bothe D, Thrhal N, Riechmann C, Optimierungspotenzial des nationalen Schweizer Patentsystems. In: Eidgenössisches Insitut für Geistiges Eigentum. Bern. 2015, https://www.ige.ch/fileadmin/user_upload/dienstleistungen/publikationen_institut/Polynomics_Frontier_IGE_OptimierungPatentsystem_Schlussbericht_Gesamt_D_final.pdf [besucht am 10.07.2024], 21-22.
44. Schweizer M, Zech H, Vor Art. 1. In: Schweizer M, Zech H, editors: Stämpflis Handkommentar zum Patentgesetz (PatG). Bern: Stämpfli Verlag, 2019, Rn. 2.
46. Stamm H, Ohne Patente keine Pharma, Die Volkswirtschaft 2021, https://dievolkswirtschaft.ch/de/2021/11/ohne-patente-keine-pharma/ [besucht am 10.07.2024].
47. Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Patentgesetz, PatG) vom 25. Juni 1954 (SR 232.14).
48. Schweizer M, Zech H, Vor Art. 1. In: Schweizer M, Zech H, editors: Stämpflis Handkommentar zum Patentgesetz (PatG). Bern: Stämpfli Verlag, 2019, Rn. 3.
49. Hess-Blumer A, Art. 9. In: Schweizer M, Zech H, editors: Stämpflis Handkommentar zum Patentgesetz (PatG). Bern: Stämpfli Verlag, 2019, Rn. 36.
50. Zum Ergänzenden Schutzzertifiikat für Arzneimittel siehe ausführlich IGE, Ergänzendes Schutzzertifikat (ESZ): Verlängerung des Schutzes für Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel nach Ablauf des Patentschutzes, https://www.ige.ch/de/etwas-schuetzen/patente/nach-der-erteilung/ergaenzendes-schutzzertifikat [besucht am 10.07.2024].

Digitale Gesundheit, Telemedizin und Recht

Aufgrund der Entwicklung der Digitalisierung und der Informationstechnologie unterliegt die Medizin einer konstanten Veränderung. Diese Entwicklung wirft viele neue Rechtsfragen auf, von welchen die meisten noch unbeantwortet sind. Dieser Beitrag geht zuerst auf den Teilbereich der Telemedizin und deren Regulierung im Bundesrecht und im kantonalen Recht ein und auf die Frage, inwiefern die Telemedizin in rechtlicher Sicht zulässig ist. Der besondere Fokus ist dabei auf die Sicht des Arztes gerichtet. Des Weiteren befasst sich dieser Beitrag mit der digitalen Gesundheitsversorgung aus datenschutzrechtlicher Sicht. Aufgrund der zentralen Stellung personenbezogener Daten in der Medizin ist dieser Bereich aus dem medizinischen Alltag nicht mehr hinwegzudenken. Dabei wird ein streifartiger Überblick über das umfangreiche Gebiet geboten und die wichtigsten datenschutzrechtlichen Eckpunkte aufgezeigt. Zum Schluss thematisiert dieser Beitrag anhand eines Fallbeispiels die Frage, inwiefern digitale Gesundheitsanwendungen als Medizinprodukt zu gelten haben. Dabei ist es in der Praxis häufig sehr schwierig, bereits vorab festzulegen, ob eine solche digitale Gesundheitsanwendung als Medizinprodukt zu gelten hat und entsprechend schärferen Regulationen unterliegt. Diesbezüglich werden sodann die wichtigsten Bedingungen dargelegt und beleuchtet.

Schlüsselwörter: Telemedizin, Datenschutz, Medizinprodukte

Rechtliche Aspekte der Telemedizin

Begriff Telemedizin

Die Telemedizin ist als ein Teilbereich von eHealth zu verstehen, wobei eHealth im Allgemeinen als Zielsetzung hat, die Kommunikations- und Informationstechnologien ins Gesundheitswesen zu integrieren. Anwendung findet die Telemedizin zum Beispiel in der Telediagnostik, -radiologie und -chirurgie sowie beim ärztlichen Rezept (1).

Keine einheitliche Definition besteht für die Begrifflichkeit der Telemedizin – entsprechend auch nicht in der Schweiz. Das primäre Ziel ist es jedoch, dass die zeitlich-räumliche Trennung im Rahmen der Patientenbehandlung (z. B. zwischen Patient und behandelndem Arzt sowie mehreren Ärzten) überwunden wird. Dies unter dem Einsatz von Telekommunikations- und Informationstechnologien im Gesundheitswesen (1, 2). Jedoch beschränkt sich die Telemedizin nicht bloss auf den Arzt oder Patienten als Kommunikationspartner, sondern auch Apotheker können Leistungen telemedizinischer Natur erbringen (1). Die deutsche Bundesärztekammer definiert Telemedizin als «ein Sammelbegriff für verschiedenartige ärztliche Versorgungskonzepte, die als Gemeinsamkeit den prinzipiellen Ansatz aufweisen, dass medizinische Leistungen der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in den Bereichen Diagnostik, Therapie und Rehabilitation sowie bei der ärztlichen Entscheidungsberatung über räumliche Entfernungen (oder zeitlichen Versatz) hinweg erbracht werden. Hierbei werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt» (3).

Rechtliche Rahmenbedingungen für Ärzte

Das Gesundheitswesen wird in private und staatliche Leistungserbringer zweigeteilt, wobei diese Einteilung auch im Medizinrecht einschlägig ist. Die Zuordnung bestimmt das anzuwendende Recht, wobei die privatrechtlichen Regelungen zur Anwendung gelangen, wenn die Berufstätigkeit in einem Privatspital oder einer Praxis ausgeübt wird. Die öffentlichen Normen finden ihre Anwendung, wenn die Tätigkeit in einem öffentlichen Spital, aber auch in einem privaten Listenspital mit Leistungsauftrag ausgeübt wird (1).
Hiernach werden die einschlägigen Erlasse aufgeführt, die aus telemedizinischer Sicht rechtlich relevant sein könnten, unabhängig davon, ob private oder öffentlich-rechtliche Normen zur Anwendung gelangen.

Bundesrecht

Medizinalberufegesetz
Mit Art. 95 Abs. 1 Bundesverfassung (BV) hat der Bund das Recht, Vorschriften über die Ausübung privatwirtschaftlicher Erwerbstätigkeit zu erlassen. Mit dem Medizinalberufegesetz (MedBG) wurde von der Kompetenz Gebrauch gemacht (1, 4). Dabei umfasst der persönliche Geltungsbereich all jene Personen, welche einen univer­sitären Medizinalberuf in selbständiger Weise ausüben. Dies umfasst Ärzte, Zahnärzte, Chiropraktiker, Apotheker und Tierärzte (Art. 2 Abs. 1 MedBG).
Die Berufsausübungsbewilligung wird gemäss Art. 34 MedBG vom jeweiligen Kanton erteilt, auf dessen Gebiet der Medizinalberuf ausgeübt werden soll, und ist auf das jeweilige Kantonsgebiet beschränkt. Bezüglich der telemedizinischen Leistungserbringung wird im MedBG nichts geregelt, wodurch die bundesrechtlichen Parameter durch kantonale Vorgaben zu flankieren sind. Es liegt somit im Ermessen des jeweiligen Kantons zu entscheiden, inwiefern solche auf dem Kantonsgebiet zu erlauben sind (5). In Art. 40 MedBG werden die Berufspflichten der Medizinalpersonen einheitlich und in abschliessender Ordnung verankert. Art. 40 lit. a MedBG hält sodann fest, dass der Arzt seinen Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuführen hat und sich an die Grenzen seiner Kompetenz zu halten hat. Die Berufspflichten werden daher nur generell geregelt und bleiben bezüglich ihrer Konkretisierung unbestimmt. Somit müssen diese, besonders auch Art. 40 lit. a MedBG, durch die allgemeinen Bestimmungen des Bundesrechts, der Standesordnung der FMH (Foederatio Medicorum Helveticorum) sowie der elementaren Regeln der ärztlichen Kunst konkretisiert werden. Keine spezifische Regelung enthält das MedBG, inwiefern die Leistungserbringung auch mittels Telemedizin erbracht werden kann (1).

Obligationenrecht
Art. 394 ff. Obligationenrecht (OR) regelt das privatrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem Patienten und dem Arzt. Art. 394 Abs. 1 OR regelt, dass die der beauftragten Person übertragenen Dienste vertragsgemäss zu besorgen sind, wodurch die Hauptpflicht der beauftragten Person somit erst durch den vereinbarten Auftrag im Einzelnen bestimmt werden. Wenn der Umfang des jeweiligen Auftrages nicht ausdrücklich bezeichnet worden ist, hat er sich gemäss Art. 396 Abs. 1 OR aus der Natur des zu besorgenden Geschäfts zu ergeben. Somit wird die Zulässigkeit der Telemedizin nicht geregelt, jedoch ergibt sich aus dem Verweis «Natur des zu besorgenden Geschäfts», dass nach dem Standard des jeweiligen Berufes vorzugehen ist (1). Ein Arzt hat entsprechend nach den Regeln der ärztlichen Kunst beziehungsweise nach den allgemein anerkannten und gültigen Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft1 vorzugehen, die in der Praxis angewendet werden (6). Der Standard ist jedoch nicht ohne Weiteres zu ermitteln, da sich das medizinische Wissen etwa alle 73 Tage verdoppelt (7). Entsprechend wird der Stand des medizinischen Wissens grundsätzlich erst von den angerufenen Gerichten festgelegt. Die Telemedizin erfährt diesbezüglich ebenfalls keine Regelung, jedoch ist die telemedizinische Leistungserbringung nicht ausdrücklich verboten, wodurch sie als zulässig zu erachten ist, solange bei ihrem Einsatz die berufsspezifischen Sorgfaltspflichten beachtet werden (1).
Wird ein Patient vorsätzlich oder fahrlässig geschädigt, haftet der freiberufliche Arzt aus Vertrag (Art. 398 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 97 OR) oder aus deliktischer Haftung nach Art. 41 OR (5).

Heilmittelgesetz und Medizinprodukteverordnung
Telemedizinische Leistungen können in Form eines Medizinproduktes nach Art. 4 Abs. 1 lit. d Heilmittelgesetz (HMG) ergehen, wobei Art. 3 Abs. 1 Medizinprodukteverordnung (MepV) den Begriff weiter ausführt (5). Ebenso sind im HMG Bestimmungen zu den Berufspflichten der Ärzte und Apotheker vorgesehen, welche in Art. 24 ff. HMG geregelt werden. Handelt es sich sodann um ein Medizinprodukt oder ein ärztliches Rezept, müssen die gesetzlichen Bestimmungen des HMG eingehalten werden. Auf dieses Gesetz und die Verordnung wird unter dem Kapitel («DiGA und ihre Regulierung») noch näher eingegangen.

Zur telemedizinischen Verschreibung eines ärztlichen Rezepts finden sich im HMG jedoch keine gesetzlichen Bestimmungen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn hat die telemedizinische Ausstellung eines ärztlichen Rezepts dabei nicht per se als rechtswidrig gewertet (1, 8).

Krankenversicherungsgesetz
Die obligatorische Krankenversicherung übernimmt die Kosten für die Leistungen nach Art. 25–31 Krankenversicherungsgesetz (KVG). Die Krankenkasse erstattet jedoch nur diejenigen Leistungen, die in den Leistungskatalogen aufgeführt sind und von Leistungserbringern erbracht werden. Überdies hängt die Vergütungsfähigkeit davon ab, ob die Leistungen nach Art. 32 Abs. 1 KVG wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sind («WZW-Kriterien») (9). In der Literatur wird aber festgehalten, dass die Entschädigungsmodelle, die Abrechnung und die Vergütung im Bereich der Telemedizin im TARMED noch nicht gelöst wurden (10). Zudem können Leistungen auch aufgrund einer Zusatzversicherung erfolgen; dieses Rechtsverhältnis ist privatrechtlicher Natur und untersteht dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Die Zusatzleistungen gehen sodann über den gesetzlichen Leistungskatalog der OKP hinaus (9).

Datenschutzgesetz des Bundes
Das Datenschutzgesetz (DSG) findet gemäss Art. 2 Abs. 1 DSG seine Anwendung, wenn Personendaten natürlicher Personen bearbeitet werden. In der Telemedizin spielen Daten über die Gesundheit einer Person eine zentrale Rolle. Das DSG qualifiziert die Gesundheitsdaten in Art. 5 Bst. c Ziff. 2 DSG als besonders schützenswerte Personendaten. Ebenfalls – gemäss Art. 5 Bst. c Ziff. 3 und 4 DSG – als besonders schützenswerte Personendaten werden, seit der neuesten Revision des Datenschutzgesetzes, die genetischen und biometrischen Daten qualifiziert (11). Im Datenschutzgesetz gilt sodann das «Erlaubnisprinzip mit Verbotsvorbehalt» (12). Vertieft wird im Kapitel «Datenschutz in der digitalen Gesundheitsversorgung» noch auf datenschutzrechtliche Aspekte eingegangen.

Strafrechtliche Regulierung
Den bundesrechtlichen Medizingesetzen sind keine einschlägigen Gesetzesbestimmungen bezüglich der Telemedizin zu entnehmen, und die kantonalen Gesundheitsgesetze sehen diesbezüglich auch kein Verbot vor. Die Strafbestimmungen sind somit grundsätzlich nicht einschlägig, mit Ausnahme der Bestimmungen zum Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB und den kantonalen Gesundheitsgesetzen. Des Weiteren ist zu prüfen, inwiefern die Normen des «Soft Law» – die Standesregeln der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) und die medizinisch-ethischen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) – Anwendung finden (13).
Einschlägig ist unter anderem Art. 7 FMH-Standesordnung (StaO). Der Normierung kann entnommen werden, dass die persönliche Beziehung zum Patienten grundsätzlich zu gewährleisten ist. Wenn die ärztliche Sorgfalt, insbesondere die Aufklärungs- und Dokumentationspflicht, gewährleistet wird, dann ist eine Beratung oder Behandlung über Informations- und Kommunikationstechnologien möglich. Entsprechend wird in dieser Bestimmung festgehalten, dass ein Arzt unter gewissen Voraussetzungen auch eine telemedizinische Behandlung/Beratung vornehmen kann, daher von der traditionellen «Face-to-Face»-Konsultation/Behandlung abweichen kann. Es ist weiter zu erwähnen, dass im Bereich der Telemedizin durch die SAMW noch keine Richtlinien erlassen wurden (13).

Kantonales Recht

Gesundheitsgesetze
Die kantonalen Gesundheitsgesetze sind für diejenigen Ärzte massgeblich, die ihre Tätigkeit unselbständig ausüben oder aber in einem staatlichen Spital tätig sind (1). In den kantonalen Gesundheitsgesetzen (14) lassen sich zum Teil implizit Bestimmungen zur Art und Weise der Berufsausübung ausmachen. Es scheint jedoch, als ob die telemedizinischen Behandlungsverhältnisse der gesetzlichen Anforderung nicht zu genügen vermögen; dies aufgrund der örtlichen Distanz, welche der Telemedizin zugrunde liegt. In den neueren kantonalen Gesetzen (15) wurde jedoch teilweise eine Regelung vorgesehen, wohingegen in den älteren kantonalen Gesetzen (16) die Telemedizin noch nicht vorgesehen wurde. Es scheint jedoch so, als ob die Regelungen zur unmittelbaren Berufsausübung am Patienten nicht erlassen worden sind, um die Telemedizin zu verbieten (1, 13).

Gemäss den Gesundheitsgesetzen der Kantone Zürich2 und Baselland ist zu erkennen, dass die Telemedizin durch den Gesetzgeber nicht ausgeschlossen werden sollte und genügend Freiraum für telemedizinische Leistungen besteht. Die Telemedizin ist somit grundsätzlich zulässig, da weder ein konkretes Verbot diesbezüglich besteht noch die besonderen (kantonalen) Regelungen bezüglich der unmittelbaren Patientenbehandlung auf die Telemedizin zugeschnitten sind. Gewisse Gesundheitsnormen gehen sogar ausdrücklich von der Zulässigkeit der Telemedizin aus (1, 13). Auch in Bezug auf die Telemedizin hat stets die berufliche Schweigepflicht zu gelten (17).

Haftungsgesetze
Wird eine ärztliche Tätigkeit in einem öffentlichen Spital ausgeübt, handelt es sich grundsätzlich um eine amtliche Tätigkeit. Wobei sich die Haftung der Ärzte des öffentlichen Spitals im Wesentlichen nach dem kantonalen Verantwortlichkeits- bzw. Staatshaftungsrecht richtet (18).

Standesordnung FMH und Richtlinien der SAMW

Wie bereits erläutert, statuiert Art. 7 StaO unter gewissen Voraussetzungen die Zulässigkeit der Beratung oder Behandlung mittels Informations- und Kommunikationstechnologie. Entsprechend wird die telemedizinische Leistungserbringung aufgrund dieser Bestimmung erlaubt. Wie bereits erwähnt, wurden im Bereich der SAMW noch keine Richtlinien bezüglich der Telemedizin erlassen. Jedoch decken sich die Standesordnung FMH und die Richtlinien der SAMW im Ergebnis grundsätzlich mit den kantonalen Gesundheitsgesetzen (1).

Datenschutz in der digitalen ­Gesundheitsversorgung

Datenschutzrecht des Bundes oder der Kantone

Erfüllen Spitäler öffentliche Aufgaben im Auftrag der Kantone, unterstehen sie in diesen Bereichen dem Datenschutzrecht und der Datenschutzaufsicht der Kantone. Öffentliche Aufgaben werden wahrgenommen, wenn Spitäler als Leistungsspitäler in diesem Zusammenhang krankenversicherungsrechtliche Leistungsaufträge, Notfalldienst im Zuge kantonalrechtlicher Leistungsaufträge oder ambulante Leistungen etc. erbringen. Werden privatrechtliche Leistungen erbracht, unterliegen die diesbezüglichen Bearbeitungen von Personendaten dem Datenschutzgesetz des Bundes und der Aufsicht des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) (19, 20). Privatwirtschaftliche Leistungen erbringen sodann private Leistungserbringer, dies können z. B. frei praktizierende Ärzte, Psychologen sowie Privatkliniken (Listenspitäler sind ausgeschlossen) etc. sein. Es gibt jedoch auch einige Kantone, die ihre kantonalen Spitäler für Datenbearbeitungen im öffentlichen sowie auch privatwirtschaftlichen Bereich vereinheitlicht der eigenen Datenschutzaufsicht unterstellen (19).

Geltungsbereich (besonders schützenswerte Personendaten)

Das Datenschutzgesetz findet insofern seine Anwendung, wenn nach Art. 2 Abs. 1 DSG Personendaten bearbeitet werden. Als Personendaten sind dabei sämtliche Angaben zu verstehen, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen lassen (21). Als bestimmbar gilt eine Person dann, wenn der Personenbezug ohne unverhältnismässigen Aufwand hergestellt werden kann und diesbezüglich damit zu rechnen ist, dass dieser Bezug möglicherweise auch hergestellt werden könnte. Für die Bestimmbarkeit muss die Person nicht eindeutig identifizierbar sein. Es reicht bereits, wenn daraus eine Unterscheidung zu anderen Personen resultieren kann. Ebenfalls als Personendaten gelten pseudonymisierte Daten, wogegen Sachdaten und anonymisierte Daten keine Personendaten darstellen (22).

Besondere Schutzvorschriften wurden für «besonders schützenswerte Personendaten» erlassen. Im Gesundheitswesen gehören hier nach Art. 5 Bst. c Ziff. 2–3 DSG vor allem die Daten über die Gesundheit, die Intimsphäre und die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Ethnie dazu. Ebenso dazugehörend sind jegliche genetische wie auch biometrische Daten. Es handelt sich dabei um sogenannte privilegierte Datenkategorien, welche in Bezug auf die Grundrechte- und den Persönlichkeitsschutz besonders zu schützen sind. Für diese Datenkategorien werden dabei eigene gesetzliche Anforderungen vorgesehen, wobei die Datenbearbeitung entweder untersagt, eingeschränkt oder an strengere Voraussetzungen geknüpft wird (22, 23). Daten über die Gesundheit sind sodann Angaben, welche in toto als medizinischer Befund angesehen werden und «welche sich für die Betroffenen negativ auswirken» (23).

Bearbeitungsgrundsätze

Art. 6 Abs. 1 DSG sieht vor, dass die Personendaten nur rechtmässig bearbeitet werden dürfen. Dies wird in Art. 30 ff. DSG für private Datenbearbeiter weiter konkretisiert. Eine Datenbearbeitung darf die Persönlichkeit der betroffenen Person somit nicht widerrechtlich verletzen (24). Keine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung liegt vor, wenn folgende Punkte eintreten: Die betroffene Person hat eingewilligt, es besteht ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder es wird durch das Gesetz gerechtfertigt (Art. 31 Abs. 1 DSG). Die Einwilligung ist dabei der häufigste Rechtfertigungsgrund, wobei diese nur dann gültig ist, wenn sie nach einer angemessenen Information freiwillig erteilt wird (Art. 6 Abs. 6 DSG und Art. 19 DSG).

Nach Art. 6 Abs. 2 DSG hat die Bearbeitung sodann nach Treu und Glauben zu erfolgen und verhältnismässig zu sein. Entsprechend dürfen diesbezüglich nur geeignete Personendaten und nur so viele erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wie für den jeweiligen bestimmten Zweck notwendig sind (25). Diese Daten dürfen zudem nur so lange aufgehoben werden, bis der rechtmässig vorgesehene Zweck erfüllt wurde (22).
Gemäss Art. 6 Abs. 3 DSG muss der Zweck der Datenbeschaffung und -bearbeitung für die betroffene Person erkennbar sein. Damit der Betroffene seine Rechte wahrnehmen kann, muss die Bearbeitung dokumentiert werden. Diesbezüglich hat der Verantwortliche (z. B. ein Arzt etc.) nach Art. 12 DSG grundsätzlich ein Verzeichnis über seine Bearbeitungstätigkeiten zu führen (22).

Zudem verpflichtet Art. 8 Abs. 1 DSG die verantwortliche Person, mit geeigneten technischen und organisatorischen Massnahmen eine dem Risiko angemessene Datensicherheit zu gewährleisten. Ob die Datensicherheit angemessen ist, kann durch eine Risikobetrachtung beurteilt werden. Daher müssen in der Regel umso mehr Massnahmen getroffen werden, je sensitiver die Datenbearbeitung ist. Ebenso hat die Datenbearbeitung nach Art. 7 Abs. 1 DSG technisch und organisatorisch so ausgestaltet zu sein, dass die Datenschutzgrundsätze, im Besonderen Art. 6 DSG, eingehalten werden. Diese Mittel müssen zudem dem Stand der Technik (Art. 7 Abs. 2 DSG; «Privacy by design») entsprechen und datenschutzfreundliche Voreinstellungen (Art. 7 Abs. 3 DSG; «Privacy by default») beinhalten (26).

Datenrichtigkeit/Auskunftsrecht/Berichtigung/Löschung

Art. 6 Abs. 5 DSG sieht sodann vor, dass sich der Bearbeiter von Personendaten über deren Richtigkeit vergewissert. Somit muss der Bearbeiter alle angemessenen Massnahmen treffen, um solche Daten zu berichtigen, zu löschen oder zu vernichten, die bezüglich des Zwecks ihrer Beschaffung oder Bearbeitung als unrichtig oder unvollständig qualifiziert wurden. Hiermit sollen Persönlichkeitsverletzungen durch unrichtig bearbeitete Personendaten verhindert werden (22). Durch Art. 25 DSG wird dem Verantwortlichen sodann ein Recht auf Auskunft zur Seite gestellt. Dieses Recht schafft die Grundlage, dass Personendaten berichtigt oder gelöscht werden können.

Datenschutz-Folgenabschätzung

Art. 22 DSG sieht sodann eine vorgängige Pflicht zur Datenschutz-Folgenabschätzung vor, «wenn eine Bearbeitung ein hohes Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Personen mit sich bringen kann». Damit sollen Datenschutzrisiken erkannt und entsprechende Massnahmen definiert werden, wobei Digitalisierungsprojekte hier besonders im Fokus stehen (27). Ob ein hohes Risiko besteht, ergibt sich nach Art. 22 Abs. 2 DSG, wobei nach Ziff. a ein solches Risiko vorliegt, wenn besonders schützenswerte Personendaten umfangreichen Bearbeitungen unterliegen. Art. 22 Abs. 4 und 5 DSG sehen jedoch diverse Ausnahmen zur Pflicht einer vorgängigen Datenschutz-Folgenabschätzung vor.

Wenn sich aus der Datenschutz-Folgenabschätzung ergibt, dass die geplante Bearbeitung trotz der vorgesehenen Massnahmen vom Verantwortlichen auch weiterhin ein hohes Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person darstellt, so hat dieser vorgängig nach Art. 23 Abs. 1 DSG die Stellungnahme des EDÖB einzuholen.

Anonymisierung als Hilfe

Da anonymisierte Daten nicht unter das Datenschutzrecht fallen, ist dies eine bevorzugte Methode zur Vermeidung datenschutzrechtlicher Konflikte. Anonymisiert sind Daten, wenn ein Personenbezug unmöglich wird. Diese Anonymisierung muss irreversibel und endgültig sein, ansonsten lediglich eine rechtlich unzureichende Pseudonymisierung vorliegt (22). Das Problem diesbezüglich liegt in der Re-Identifizierung von Daten oder in einer De-Anonymisierung (28). Ist eine solche möglich, ist von einer Bearbeitung personenbezogener Daten auszugehen. Zudem wird mit neuen Technologien oder Big Data eine Re-Identifizierung oder De-Anonymisierung je länger, je wahrscheinlicher. Somit wird heutzutage davon ausgegangen, dass es, aus technischer Sicht, keine absolut sichere Anonymisierung gibt (22).

Werden Personendaten im Gesundheitswesen anonymisiert, gehen wichtige Informationen verloren, wodurch Datenbearbeitungsvorgänge nicht zielführend sind. Somit ist bezüglich der Art und Charakteristika der Daten und des Zwecks ihrer Bearbeitung festzulegen, inwieweit die Daten zu verändern sind, um anonymisierte und noch brauchbare Informationen zu generieren. Es geht dabei um das Gleichgewicht der Datenbrauchbarkeit und dem Schutz der Identität (22). Verschärfend tritt hinzu, dass in der Schweiz und international keine einheitlichen Anonymisierungsstandards herrschen; dies gilt auch für den Gesundheitsbereich. Bezüglich Forschung werden lediglich grundlegende Anforderungen im Humanforschungsgesetz geregelt, mehr nicht (22).

Bearbeitung durch Dritte

Bei digitalen medizinischen Anwendungen werden in unterschiedlichsten Konstellationen auch Dritte in den Prozess miteinbezogen. Dies können z. B. spezifische Plattformen für die Speicherung oder den Austausch als auch standardmässige Messenger- und Videodienste sein. Die Cloud-Anwendung ist daher sicherlich ein wichtiges Diskussionsthema (26).

Art. 9 DSG regelt die Datenbearbeitung durch Dritte und setzt diesbezügliche gewisse Rahmenbedingungen fest, wobei eine vertragliche Vereinbarung mit der Drittperson abgeschlossen werden muss, wenn nicht bereits eine gesetzliche Norm die Übertragung vorsieht. Eine Übertragung auf den Auftragsbearbeiter darf dabei nur erfolgen, wenn die lit. a und b kumulativ erfüllt werden. Mit der Auswahl eines Dienstleisters beginnt sodann die Sorgfaltspflicht des Übertragenden, wobei sich der Auftragsbearbeiter grundsätzlich in der Lage befinden muss, die datenschutzrechtlichen Vorgaben einzuhalten. Problematisch sind vor allem Standardprodukte, wobei auf den Anbieter kein Einfluss genommen werden kann und die allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vertragsbedingungen festlegen.

Der Verantwortliche hat sicherzustellen, dass die Daten nicht für einen anderen als den vorgesehenen Zweck verwendet werden. Bei Standardprodukten kann dies nicht ausgeschlossen werden, weshalb technische Massnahmen wie die Verschlüsselung herangezogen werden müssen. Bezüglich des Geheimnisschutzes ist die Verschlüsselung auch he­ranzuziehen, da Dritte meistens nicht als Hilfspersonen des Verantwortlichen gelten und die Berufsgeheimnisse ebenfalls zu gewährleisten sind. Die Datensicherheit hat der Auftragsbearbeiter zudem durch geeignete technische und organisatorische Massnahmen zu gewährleisten, wobei solche aus den Vorgaben der FMH abgeleitet werden können. Die Zusicherung dieser Massnahmen reicht allein nicht aus, der Verantwortliche muss deren Umsetzung auch überprüfen. Beabsichtigt der Auftragsbearbeiter, einen Unterauftragsbearbeiter hinzuzuziehen, hat der Verantwortliche vorgängig zuzustimmen (26).

Strafbestimmungen

Werden Informations-, Auskunfts-, Mitwirkungs-, Sorgfalts- und berufliche Schweigepflichten verletzt, sieht das Datenschutzgesetz Bussen bis zu CHF 250 000 vor. Eine Sanktion erfolgt hierbei jedoch nur auf Antrag und wird gegen eine private Person ausgesprochen (Art. 60 ff. DSG). Ebenso wird die Missachtung von Verfügungen nach Art. 63 DSG mit CHF 250 000 bestraft.

DiGA und ihre Regulierungen

Ein Arzt hat eine Software entwickelt, die Diagnosen mittels Bildanalyse durchführt. Das Ziel dieser Anwendung ist es, dass Behandlungsentscheidungen bei Patienten mit akutem Schlaganfall getroffen werden.

Begriff digitale Gesundheitsanwendungen

Bis anhin wurde der Begriff «digitale Gesundheitsanwendung» im Schweizer Recht noch nicht definiert. Einen ersten Definitionsversuch hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unternommen. Es werden darunter «Produkte, deren medizinischer Zweck durch die Hauptfunktion der digitalen Technologien erzielt wird» verstanden. Entsprechend fallen medizinische Leistungen, wie z. B. die Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen, in den begrifflichen Geltungsbereich. Diese werden dabei im Wesentlichen durch Technologie vermittelt, wobei diese auf (Computer-)Hardware, Vernetzungen sowie Software gründen. Als geläufige Erscheinungsform treten diese als Gesundheits-Apps für Tablets oder Smartphones in Erscheinung. Ebenso treten diese als browserbasierte Webanwendungen, als Software für die Nutzung auf herkömmlichen Desktop-Computern oder als digitale Überwachungstools (z. B. Telemonitoring) sowie als telemedizinische Dienstleistungen in Erscheinung. Unerheblich ist, ob die digitale Gesundheitsanwendung rein von medizinischen Fachpersonen als Hilfsmittel bezüglich ihrer beruflichen Tätigkeit, in Selbstanwendung des Patienten oder von beiden gemeinsam in Anspruch genommen wird (9).
Aufgrund des begrifflichen Einschlusses von Software als digitale Gesundheitsanwendung ist die entwickelte Softwareanwendung des Arztes als solche zu qualifizieren.

Medizinprodukt und Regulierung

Fraglich ist, inwiefern die entwickelte Software als Gesundheitsanwendung unter die Begrifflichkeit der Medizinprodukte fällt und entsprechenden Regulierungen unterliegt. Als Medizinprodukt zu qualifizieren sind «Produkte, einschliesslich Instrumente, Apparate, Geräte, In-vitro-Diagnostika, Software, Implantate, Reagenzien, Materialien und andere Gegenstände oder Stoffe, die für die medizinische Verwendung bestimmt sind oder angepriesen werden und deren Hauptwirkung nicht durch ein Arzneimittel erreicht wird» (Art. 4 Abs. 1 lit. a und b HMG). Diese Definition wird in Art. 3 Abs. 1 MepV weiter konkretisiert. In der MepV finden sich zudem diverse Verweise auf die Medizin­produkteverordnung 2017/745 der EU (Medical Device Regulation, «MDR»)3 (29).

Unsicherheiten bestehen häufig darin, ob eine Software als Medizinprodukt zu gelten hat. Swissmedic hat in ihrem Merkblatt festgehalten, dass z. B. Software/Apps im Bereich Wohlbefinden zur Auswertung klinischer Studien sowie elektronische Patientenakten etc. nicht als Medizinprodukte gelten (30, 31). Weitere Hilfestellung bietet das Bundesverwaltungsgericht im Urteil C-669/2016 vom 17. September 2018.4 Festgehalten werden die kumulativen Voraussetzungen, wann eine Software nach Schweizer Recht als Medizinprodukt zu qualifizieren ist. Es sind die Folgenden, wenn:

  • die Software/App über eine medizinische Zweckbestimmung verfügt (z. B. die Diagnose, Erkennung, Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten);
  • die Software/App Daten verarbeitet, um medizinische Angaben zu erzeugen oder zu modifizieren;
  • die medizinischen Angaben für einen individuellen Patienten bestimmt sind (31).

Die entwickelte Software des Arztes hat insofern eine medizinische Zweckbestimmung, als dass sie Diagnosen mittels Bildanalyse durchführt. Zudem verarbeitet die Software die gesammelten oder zur Verfügung gestellten Daten, um unter anderem Behandlungsentscheidungen bezüglich Patienten mit akutem Schlaganfall zu treffen. Da die Behandlungsentscheidungen auf den jeweiligen Patienten bezogen sind, ist folglich auch das kumulative Kriterium der Individualität vorliegend. Diese Software ist somit als Medizinprodukt zu qualifizieren.

Medizinproduktesicherheit

Die Konsequenz der Qualifikation der Software etc. als Medizinprodukt ist, dass strengere Voraussetzungen bezüglich des Inverkehrbringens gegenüber «allgemeiner» Software durch den Gesetzgeber vorgesehen wurden (31). Das Heilmittelgesetz sieht vor, dass ein Medizinprodukt bei seiner bestimmungsgemässen Verwendung die Gesundheit der Anwender, Konsumenten, Patienten sowie Dritter nicht gefährden darf (Art. 45 Abs. 1 HMG). Überdies muss derjenige, der ein Medizinprodukt in Verkehr bringt, belegen können, dass dieses die wesentlichen Voraussetzungen und die angepriesene Wirksamkeit bzw. Leistung erfüllt (Art. 46 HMG i.V.m. Art. 9 MepV). Der Nachweis, ob die grundlegenden Anforderungen erfüllt sind, erfolgt sodann im Rahmen eines sogenannten Konformitätsbewertungsverfahrens (Art. 46 Abs. 1 HMG) (31).

Konformitätsbewertungsverfahren bei ­Medizinprodukten

Das Gefährdungspotenzial des Medizinproduktes (der Software) ist ausschlaggebend für das Konformitätsbewertungsverfahren (31). Die klassischen Medizinprodukte können in vier Medizinprodukteklassen, nämlich in die Klassen I, IIa, IIb und III, unterteilt werden. Dabei steigt das Gefährdungspotenzial, je höher die jeweilige Klasse ist (32). Da die jeweiligen Medizinprodukte individuell und einzigartige Charakteristika aufweisen, lassen sie sich nicht pauschal in die einzelnen Klassen einteilen. Die Klasseneinteilung ist somit massgeblich, da unterschiedliche Anforderungen für das Konformitätsverfahren greifen. Swissmedic überwacht dabei den Markt (31).

Wenn das Medizinprodukt das Konformitätsbewertungsverfahren erfolgreich durchlaufen hat, stellt der Hersteller eine Konformitätserklärung aus. Bestätigt wird, dass das Medizinprodukt in Übereinstimmung mit der technischen Dokumentation angefertigt wurde und es die Voraussetzungen der MepV einhält (32, 33). Vor dem Inverkehr­bringen ist das Produkt zudem mit einem Konformitätskennzeichen, in der Schweiz mit einem MD-Kennzeichen in Kombination mit der Kennnummer der involvierten Konformitätsbewertungstabelle oder in der EU mit einem CE-Kennzeichen, zu versehen (32, 34). Die Kennzeichnung ist zudem am Produkt bzw. an der Verpackung und der (elektronischen) Gebrauchsanweisung anzubringen (Art. 14 MepV).

Die entwickelte Software ist bezüglich ihrer Klassifizierung nach der EU-MDR zu beurteilen (siehe Art. 15 MepV). Es handelt sich nach Anhang VIII, Kapitel III, Regel 11, um eine Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden. Vorliegend wird eine Diagnose mittels Bildanalyse durchgeführt. Zudem ist fraglich, ob diese Software den Tod oder eine irreversi­ble Verschlechterung des Gesundheitszustandes einer Person verursachen könnte. Mit der Software werden zudem Behandlungsentscheidungen bei Patienten mit akutem Schlaganfall getroffen, wobei irreversible Verschlechterungen des Gesundheitszustandes oder sogar der Tod drohen könnten. Entsprechend ist die Software mit ihrem Anwendungszweck der Risikoklasse III zuzuordnen. Aufgrund der höchsten Risikoklasse hat der Arzt die spezifischen Anforderungen an das Inverkehrbringen, insbesondere an die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahren, zu berücksichtigen.

Produktinformation und -beobachtung

Der Hersteller eines Medizinproduktes hat die Pflicht, die jeweiligen Produktinformationen, Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung zur Verfügung zu stellen. Art. 16 Abs. 1 MepV verweist dabei auf den Anhang I, Kapitel III, EU-MDR. Dem Produkt sind adressatengerecht und gut lesbar die notwendigen Angaben, «die die Identifizierung des Produkts und des Herstellers ermöglichen sowie alle für den Anwender oder gegebenenfalls dritte Personen relevanten Informationen über die Sicherheit und Leistung des Produkts», hinzuzufügen. Die Kennzeichnung ist dabei grundsätzlich am Produkt selbst, dessen Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung (auf der Website) anzubringen (32, 35). In der Schweiz und der EU herrscht sodann das Prinzip der Selbstkontrolle, wobei eine Pflicht zur Produktebeobachtung, ob die regulatorischen Anforderungen erfüllt sind, herrscht (vgl. Art. 56 MepV) (32). Müssen nach dem Inverkehrbringen Präventiv- oder Korrekturmassnahmen ergriffen werden oder wird ein schwerwiegendes Vorkommnis festgestellt, hat eine Meldung zu erfolgen (siehe Art. 57 Abs. 1 und 2 MepV).
Wenn der Arzt als Hersteller der Software diese in Verkehr bringt, hat er die Bestimmung von Art. 16 Abs. 1 MepV einzuhalten. Überdies hat er die Konformität auch nach dem Inverkehrbringen zu gewährleisten und wenn nötig die erforderlichen Massnahmen zu ergreifen (Art. 56 f. MepV).

Das Produktsicherheitsgesetz

In erster Linie unterstehen die Medizinprodukte dem Medizinprodukterecht. Weist dieses jedoch eine echte Lücke auf – wenn zum Beispiel bestimmte Pflichten nicht geregelt wurden, dies durch den Gesetzgeber jedoch nicht gewollt wurde –, dann kommt das Produktesicherheitsgesetz (PrSG) subsidiär zur Anwendung. Jedoch müssen das Medizinprodukt als auch die entwickelte Software des Arztes gewerblich oder beruflich in den Verkehr gebracht worden sein (Art. 1 Abs. 2 und 3 PrSG) (36).

Haftung für fehlerhafte Medizinprodukte

Weder das Medizinprodukterecht noch das Produktesicherheitsrecht enthalten eigene Haftungsbestimmungen. Dementsprechend ist auf Medizinprodukte das allgemeine Haftpflichtrecht anzuwenden, dies, wenn ein Schaden im Sinne einer Vermögenseinbusse vorliegt. Hierbei lassen sich mögliche Haftungsnormen im Vertragsrecht, im Deliktsrecht (Art. 41 ff. OR) und im Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) finden. Bezüglich des Geltungsbereichs des Produktehaftpflichtgesetzes ist noch anzumerken, dass aufgrund heute herrschender Lehre auch eine Software als Produkt im Sinne des PrHG gilt. Wenn die Voraussetzungen der Haftung nach Art. 41 Abs. 1 OR und derjenigen nach dem Produktehaftpflichtgesetz gegeben sind, können beide Haftungsgrundlagen angerufen werden (36).

Was heisst das in Bezug auf die ­Telemedizin für den Praktiker?

Wie vorab aufgezeigt wurde, tangieren diverse Rechtsbereiche die Thematik der Telemedizin. Da es sich bei der Thematik der Telemedizin um eine neuere, durch die Digitalisierung vorangetriebene Erscheinung handelt, sehen ältere Gesetze diesbezüglich noch keine Normen vor. Erst in neueren Gesetzen oder aufgrund von Revisionen finden nach und nach Bestimmungen Einzug in Gesetze, die die Telemedizin ausdrücklich regeln. Es ist somit erkennbar, dass sowohl die Rechtsprechung als auch die Gesetzgebung dem digitalen Fortschritt in der Medizin hinterherhinkt. Entsprechend haben viele Gesetze und Bestimmungen durch allgemeine Bestimmungen des Bundesrechts, der Standesordnung der FMH sowie durch die elementaren Regeln der ärztlichen Kunst konkretisiert zu werden. Somit kann festgehalten werden, dass die Telemedizin grundsätzlich nicht verboten wird, die Anwendung jedoch durch Auslegung ermittelt werden muss. Dies wird sich jedoch mit der Zeit ändern, wenn Bestimmungen bezüglich der Telemedizin in Gesetzen verankert werden.

Vorschläge de lege ferenda für die ­Telemedizin

Als mögliche Anpassung de lege ferenda wird sodann vorgeschlagen, dass die Telemedizin künftig in den entsprechenden Gesetzen aktiv vorgesehen wird und ihre Anwendung nicht mehr durch Auslegung ermittelt werden muss. Dies führt unter anderem zu mehr Rechtssicherheit. Des Weiteren sollte de lege ferenda vorgeschlagen werden, dass Telemedizin in Zukunft gleich wie nicht digitale ärztliche Leistungen abgerechnet wird. Bereits während der Coronapandemie wurde die Abrechnung telemedizinischer Leistungen forciert, sodass diese Leistungen gleich wie nicht digitale ärztliche Leistungen abgerechnet werden konnten. Diese Änderung wurde jedoch nach der Coronapandemie wieder zurückgenommen. Daher sollte wieder auf die Abrechnungspraxis wie während der Coronapandemie zurückgegriffen werden. Eine Möglichkeit bestünde insofern, als das Tarifwerk TARDOC vom Bundesrat genehmigt würde, obwohl dies bereits einmal abgelehnt wurde. Dieses Projekt zielt zumindest teilweise darauf ab, die Telemedizin in das Tarifwerk aufzunehmen.

Es wird sich mehr und mehr die Frage stellen, wie mit neuen Erscheinungsformen der Telemedizin umzugehen ist. Eine solche neue Erscheinungsform ist sicherlich das «Hospital at Home». Ein elementarer Bestandteil dieser Behandlungsform ist der telemedizinische Austausch zwischen den Ärzten im Krankenhaus und den Patienten zu Hause. Eine mögliche Behandlung kann hier z. B. die digital unterstützte 24-Stunden-Überwachung von Vitalparametern sein. Inwieweit hier konkrete Regelungen getroffen werden, wird die Zukunft zeigen.

MLaw Nicolas Jordi

Schindlerstrasse 7
8006 Zürich

jordi.nicolas95@gmail.com

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Die eingehende Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Telemedizin in der Schweiz zeigt deutlich, dass das gegenwärtige Rechtssystem sowohl auf Bundes- als auch auf Kantonsebene noch nicht vollständig auf die Besonderheiten und Herausforderungen dieser fortschrittlichen medizinischen Praktiken ausgerichtet ist. Obwohl es keine expliziten Verbote der Telemedizin gibt und einige kantonale Gesetze die Möglichkeit ihrer Durchführung implizieren, bleibt die Anwendung in der Rechtspraxis oft unklar und erfordert eine sorgfältige Auslegung vorhandener Gesetze und Vorschriften.

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen und die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien stellen sowohl Chancen als auch Herausforderungen dar, insbesondere in Bezug auf Datenschutz, Sicherheit medizinischer Daten und die Einhaltung von Berufsgeheimnis-sen. Mit der zunehmenden Verbreitung und Akzeptanz der Telemedizin als gültige Form der medizinischen Versorgung wird es unerlässlich, dass die Gesetzgebung aktuell gehalten wird, um Rechtssicherheit zu bieten und die Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund sollten zukünftige Gesetzesänderungen und -ergänzungen die telemedizinischen Praktiken ausdrücklich adressieren und regeln. Dies würde nicht nur die Rechtslage klarer gestalten, sondern auch den medizinischen Fachkräften ermöglichen, diese Technologien effektiver und sicherer einzusetzen. Des Weiteren sollte eine Gleichstellung der Abrechnungspraktiken für telemedizinische und traditionelle medizinische Leistungen angestrebt werden, um eine integrative und effiziente Gesundheitsversorgung zu fördern.

1. Poledna T, Vokinger K. Telemedizin und ärztliches Rezept. AJP. 2013:223-238.
2. Herzog-Zwitter I. Haftungsfragen in der Telemedizin – Inhaltliche Brennpunkte zur ärztlichen Sorgfaltspflicht und Aufklärungspflicht. In: Herzog-Zwitter I, Landolt H, Jorzig A, Herausgeber. Digitalisierung und Telemedizin im Gesundheitswesen. Zürich/Genf; 2022. 139-165.
3. Bundesärtzekammer. Telemedizin/Fernbehandlung. (Internet). (abgerufen am 28. April 2024). Verfügbar unter: https://www.bundesaerztekammer.de/themen/aerzte/digitalisierung/telemedizin-fernbehandlung/
4. Der Bund hat diesbezüglich auch das Bundesgesetz über die Gesundheitsberufe (Gesund-heitsberufegesetz, GesBG) und das Bundesgesetz über die Psychologieberufe (Psychologie-berufegesetz, PsyG) erlassen.
5. Donauer D, Kqira M. Telemedizin in der Schweiz. LSR. 2023:193-203.
6. BGE 120 II 248, E. 2c (S. 250).
7. Bayrisches Ärzteblatt. Regulierter Wissenstransfer in der Medizin (Internet). (abgerufen am 8. Juni 2024). Verfügbar unter: https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/inhalte/details/news/detail/News/regulierter-wissenstransfer-in-der-medizin.html
8. Kanton Solothurn. Urteil vom 12. Juli des Verwaltungsgerichts des Kanton Solothurn (Inter-net). (abgerufen am 29. April 2024). Verfügbar unter: https://gerichtsentscheide.so.ch/cgi-bin/nph-omniscgi.exe?OmnisPlatform=WINDOWS&WebServerUrl=&WebServerScript=/cgi-bin/nph-omni-scgi.exe&OmnisLibrary=JURISWEB&OmnisClass=rtFindinfoWebHtmlService&OmnisServer=7001&Parametername=WEB&Schema=JGWEB&Source=&Aufruf=getMarkupDocument&cSpra-che=DE&nF30_KEY=118845&W10_KEY=7609429&nTrefferzeile=1&Template=/simple/search_result_document.html
9. Kohler S, Rau A. Vergütung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) in der Schweiz. Eine regulatorische Auslegeordnung – mit Blick auf die Entwicklung in Deutschland. LSR 2023;1:13-22.
10. Kieser U. Telemedizin- Blick auf einige Anwendungsfragen in der Krankenversicherung. In: Herzog-Zwitter I, Landolt H, Jorzig A, Herausgeber. Digitalisierung und Telemedizin im Gesundheitswesen. Zürich/Genf; 2022. 109-137.
11. Beat R. Kommentar zu Art. 5 DSG. In: Baeriswyl B, Pärli K, Blonski D, Herausgeber. Daten-schutzgesetz (DSG). Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (DSG). SHK – Stämpflis Handkommentar. 2. Aufl. Zürich/Basel; 2023. 64-87.
12. Bühlmann L, Metin H. Totalrevision des Schweizer Datenschutzgesetzes vor dem Hintergrund der DS-GVO. Reichweite der europarechtlichen Vorgaben in der Schweiz. ZD 2019;8:356-362.
13. Häring D, Olah M. Telemedizin und Strafrecht. ZStrR. 2012;130:195-228.
14. Z.B. im zürcherischen und basellandschaftlichen Gesundheitsgesetz.
15. Z. B. § 8 GesG BL.
16. Z.B. § 12 Abs. 3 GesG ZH.
17. Berger Kurzen B, Herausgeber. E-Health und Datenschutz (Publikationen aus dem Zentrum für Informations- und Kommunikationsrecht der Universität Zürich (ZIK)). Zürich; 2004.
18. BGE 115 Ib 175, E. 2.
19. Steiner T. Digitalisierter Arztbesuch und Cloud-Nutzung im Lichte des Datenschutzrechts des Bundes und der Kantone. Sic!. 2020:677-688.
20. BGE 122 I 153, E. 2c.
21. Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Daten-schutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15. September 2017 (BBl 2017 6941, 7019.).
22. Sprecher F. Datenschutz und Big Date im Allgemeinen und im Gesundheitsrecht im Besonde-ren. ZBJV. 2018;8:482-552.
23. Botschaft zum Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) vom 23. März 1988 (BBl 1988 II 413, 446).
24. Nicht abschliessende Auflistung von Persönlichkeitsverletzungen in Art. 30 Abs. 2 DSG.
25. Es handelt sich dabei um den Grundsatz der Datenminimierung und Datenvermeidung.
26. Baeriswyl B, Sojer R. Technische und organisatorische Massnahmen beim Einsatz von Tele-medizin. In: Herzog-Zwitter I, Landolt H, Jorzig A, Herausgeber. Digitalisierung und Telemedizin im Gesundheitswesen, Zürich/Genf; 2022. 93-108.
27. Blonski D. Kommentar zu Art. 22 DSG. In: Baeriswyl B, Pärli K, Blonski D, Herausgeber. Datenschutzgesetz (DSG). Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (DSG). SHK – Stämpflis Handkommentar, 2 Aufl. Zürich/Basel; 2023. 270-278.
28. Eine De-Anonymisierung darf es nach datenschutzrechtlich nicht geben, da eine Anonymi-sierung stets irreversibel zu sein hat.
29. Unter anderem Art. 5 MepV ist diesbezüglich zu nennen.
30. Swissmedic. AW-Merkblatt Eigenständige Medizinprodukte-Software (Internet). (abgerufen am 11. Mai 2024). Verfügbar unter: https://www.johner-institut.de/blog/wp-con-tent/uploads/2015/03/MU101_30_008d_MB_Eigenstaendige_Medizinprodukte_Software.pdf
31. Vokinger K. Die digitale Bekämpfung von Covid-19 und die Rolle des Bundes(rates). SJZ. 2020;116:412-423.
32. Leins-Zurmühle S. Mobile Applikationen als Medizinprodukte. LSR. 2021:137-147.
33. Art. 23 MepV i.V.m. Anhang IX MDR; vgl. auch Art. 19 MDR.
34. Art. 13 Abs. 1 MepV i.V.m. Anhang V MDR.
35. Für Einzelheiten siehe Anhang I Kapitel III MDR (Abs. 23. 1 und 2).
36. Klett B, Verde M. Medizinprodukt- und haftpflichtrechtliche Aspekte bei Medizinal-Apps. Sicherheit & Recht. 2016;1:45-54.

Strafrechtliche Aspekte in der Medizin

Der Schweizer Rechtsrahmen in Bezug auf die Medizin und die Gesundheit ist komplex. Die Schweiz kennt kein einheitliches nationales Medizinal- oder Gesundheitsgesetz. Stattdessen gelten zahlreiche gesetzliche Bestimmungen für sehr unterschiedliche medizinische Situationen. Einschlägige Regelungen finden sich auf verschiedenen hierarchischen Rechtsebenen mit einer Vielzahl von internationalen, nationalen und kantonalen Vorschriften, ergänzt durch sog. Soft Law. Im Rahmen des Föderalismus und des Subsidiaritätsprinzips ist der nationale Gesetzgeber nur dort für die bundesrechtlichen Regelungen zuständig, wo ihm die Bundesverfassung die entsprechende Kompetenz dazu erteilt. Für alle anderen Angelegenheiten sind die 26 Kantone der Schweiz zuständig. Daher haben die Kantone spezifische Gesundheitsgesetze, Patientengesetze und andere für den Medizin- und Gesundheitsbereich relevante Vorschriften erlassen.
Auf nationaler Ebene ist zudem das Strafgesetzbuch für medizinische Behandlungen von besonderer Bedeutung. Es stellt u. a. Angriffe auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit unter Strafe. Die strafrechtliche Verantwortung betrifft die individuelle Verantwortlichkeit des Einzelnen und richtet sich danach, ob die Voraussetzungen für ein strafbares Verhalten im Einzelfall gegeben sind.

Schlüsselwörter: Medizinrecht, Legale Haftung, Tötungsdelikt

Rechtliche Rahmenbedingungen für ­medizinisches Handeln

Überblick

Die Medizin untersteht, wie alle Lebensbereiche, dem Recht und damit auch dem Strafrecht. Das Medizin- und Gesundheitsrecht der Schweiz ist nicht in einem einheitlichen Gesetz geregelt, vielmehr gibt es eine Vielzahl von nationalen und kantonalen Regelungen, die zusammenwirken und zu beachten sind. Zudem sind die von privaten Organisationen erlassenen Regelungen, wie z. B. die Standesordnung der FMH (Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte) oder die medizinisch-ethischen Richtlinien der SAMW (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften) von Bedeutung (1).

Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Zuständigkeit ist die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV). Sie kennt keine umfassende Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Medizin- und Gesundheitsrecht, vielmehr regelt der Bund im Rahmen seiner Zuständigkeiten einzelne Befugnisse (2). Ansonsten sind die Kantone zuständig, um entsprechende Regelungen zu erlassen (3). Dies zeigt sich u.a. darin, dass in Ergänzung zu den bundesrechtlichen Rechtsquellen, wie dem Medizinalberufe­gesetz, alle Kantone Gesundheits- und Patientengesetze erlassen haben.

Strafbestimmungen finden sich einerseits im Strafgesetzbuch (StGB), andererseits gibt es eine Vielfalt an nebenstrafrechtlichen Bestimmungen, die sowohl im nationalen wie auch im kantonalen Recht festgeschrieben sind. Das Strafgesetzbuch kennt kein Sonderstrafrecht für die ärztlichen respektive medizinischen Tätigkeiten, vielmehr sind grundsätzlich (4) die allgemeinen Straftatbestände anwendbar (5). Dies gilt unabhängig davon, ob das Behandlungsverhältnis dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (6). Bedeutsam im Medizinrecht sind insbesondere die im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches (StGB) normierten strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben (Art. 111 ff. StGB) und die strafbaren Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht (Art. 312 ff. StGB), namentlich das falsche ärztliche Zeugnis (Art. 318 StGB) und die Verletzung des Amts- und Berufsgeheimnisses (Art. 320 f. StGB). Aber auch Straftaten gegen das Vermögen (Art. 137 ff. StGB), insbesondere der Abrechnungsbetrug (Art. 146 StGB), gegen die Ehre und den Geheim- oder Privatbereich (Art. 173 ff. StGB), gegen die Freiheit (Art. 180 ff. StGB) und die sexuelle Integrität (Art. 187 ff. StGB) können Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Abklärungen sein (7). Daneben sind die allgemeinen Bestimmungen des Strafrechts (8) und das Strafverfahrensrecht von grosser Relevanz.

Sind die Verfolgung und Beurteilung von Verstössen einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen, so findet nicht das Strafgesetzbuch, sondern das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) Anwendung (Art. 1 VStrR). Das gilt z. B. für die Strafverfolgung gemäss dem Heilmittelgesetz (HMG) im Vollzugsbereich des Bundes durch das Schweizerische Heilmittelinstitut und das Bundesamt für Gesundheit, Art. 90 HMG.

Strafrechtliche Grundlegung

Einordnung – Überschneidungen mit anderen Rechtsgebieten

Das Medizinstrafrecht bewegt sich oftmals nahe am Zivil- und öffentlichen Recht. Denn Fehler bei der Diagnose, Therapie und Nachsorge, aber auch Geheimnisverletzungen und Verstösse im Nebenstrafrecht berühren regelmässig mehrere Rechtsgebiete und können dort verschiedene Folgen bzw. Sanktionen auslösen. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren und zivilrechtliche bzw. öffentlich-rechtliche Streitigkeiten überlappen sich und sind vielfach miteinander verknüpft. Im Rahmen des strafprozessualen Adhäsionsverfahrens können überdies unter bestimmten Voraussetzungen zivilrechtliche Haftungsansprüche geltend gemacht werden, Art. 122 ff. Strafprozessordnung (StPO). Patientinnen und Patienten können sich zudem an die FMH-Gutachterstelle wenden, wenn sie infolge eines ärztlichen Fehlers oder eines Organisationsverschuldens ggf. einen gesundheitlichen Schaden erlitten haben und sie hierzu eine ärztliche Begutachtung wünschen. Erforderlich in dem Fall ist jedoch, dass kein gerichtliches Verfahren hängig oder bereits abgeschlossen ist und das Anliegen nicht mit dem Haftpflichtversicherer des betroffenen Spitals oder der betroffenen Ärztin/des betroffenen Arztes geregelt werden konnte (9). Zudem steht es den Patientinnen und Patienten offen, sich beim Verdacht einer Fehlbehandlung von einer Patientenorganisation beraten zu lassen (10).

Strafantragsdelikte – Offizialdelikte

Ein möglicher Behandlungsfehler oder ein Fehler bei der Einwilligung und Aufklärung des Patienten kann je nach Einzelfall strafrechtlich relevant sein. Wenn Strafantragsdelikte (11) (Art. 30 ff. StGB) zur Diskussion stehen, wie z. B. die vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 resp. Art. 125 Abs. 1 StGB), muss von der antragsberechtigten Person der Strafantrag innerhalb dreier Monate gestellt werden, gerechnet ab dem Tag, an welchem ihr der Täter bekannt wird. Bei Fristablauf besteht ein Strafverfolgungshindernis, der Sachverhalt wird nicht mehr von der Strafverfolgungsbehörde abgeklärt. Im Unterschied dazu erfordern die Offizialdelikte keinen Strafantrag, vielmehr wird die Untersuchung durch die Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen aufgenommen, sobald sie vom fraglichen Sachverhalt Kenntnis haben. Strafanträge werden oftmals dann gestellt, wenn der Patient über die Kommunikation und die Abklärung eines möglichen Behandlungsfehlers enttäuscht ist oder die Einsicht in das Patientendossier oder die Schadensregulierung hinausgezögert wird. Zudem werden im Strafverfahren die relevanten Tatsachen von Amtes wegen abgeklärt (Art. 6 StPO) und die erforderlichen Beweise von Amtes wegen erhoben. Dies hat grosse Relevanz im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten, die im zivilrechtlichen Verfahren zunächst von dem klagenden Patienten (12) resp. der Patientin getragen werden. Soweit Antragsdelikte Gegenstand des Medizinalstrafverfahrens sind, ist zudem ein besonderes Augenmerk auf Art. 316 StPO zu legen. Denn die Staatsanwaltschaft kann die antragstellende und die beschuldigte Person zu einer Verhandlung vorladen mit dem Ziel, einen Vergleich zu erzielen. Bleibt die antragstellende Person der Verhandlung fern, so gilt der Strafantrag als zurückgezogen.

Keine Strafe ohne Gesetz

Im Strafrecht gilt der Grundsatz «nulla poena sine lege» oder anders ausgedrückt «Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt» (Art. 1 StGB). D.h., ein Verhalten darf nur dann verfolgt und abgeurteilt werden, wenn ein Straftatbestand das konkrete Verhalten pönalisiert. Das Strafrecht soll zudem die geschützten Rechtsgüter gegen die konkret bezeichneten Angriffsarten schützen. Dies wird auch als fragmentarischer Charakter des Strafrechts bezeichnet. Bei der strafrechtlichen Überprüfung eines Sachverhalts sind die geschützten Rechtsgüter und die konkreten Tatobjekte auseinanderzuhalten. Tatobjekt der Tötungsdelikte (Art. 111–117 StGB) ist ein Mensch, geschütztes Rechtsgut ist das menschliche Leben; Tatobjekt der Körperverletzungsdelikte (Art. 122–126 StGB) sind der Körper und die physische sowie psychische Gesundheit eines Menschen, Rechtsgut ist die körperliche und psychische Unversehrtheit.

Elemente eines strafbaren Verhaltens

Tatbestand
Die Prüfung eines potenziell strafbaren Verhaltens folgt festen Regeln. Ausgehend vom Beispiel eines möglichen Behandlungsfehlers wird geklärt, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Deliktes, z. B. der Körperverletzung (Art. 123 StGB), gegeben sind. Anschliessend erfolgt die Prüfung der Rechtswidrigkeit der Tat und letztlich der Schuld des Täters. Obgleich der Gesetzgeber die Straftatbestände möglichst klar formuliert, kommt es immer wieder vor, dass der Begriffsinhalt eines konkreten, vom Gesetz geforderten Merkmals nicht eindeutig ist. In diesem Fall sind die allgemeinen Auslegungsmethoden heranzuziehen (13), um den Inhalt zu ermitteln. Ein Beispiel aus dem Medizinstrafrecht betrifft die Frage, wann ein Fötus im strafrechtlichen Sinne zum Menschen wird, was für die Abgrenzung des Schwangerschaftsabbruchs von den Tötungsdelikten Bedeutung hat. Hier gibt der Tatbestand der Kindestötung (Art. 116 StGB) den zentralen Hinweis. Wenn eine Mutter ihr Kind während der Geburt tötet, dann zählt dieses Verhalten bereits zu den Tötungsdelikten. Die strafrechtliche Zäsur vom Fötus zum Menschen findet daher vorher statt, und zwar mit dem Beginn der Eröffnungswehen resp. der Öffnung der Bauchdecke zum Zwecke der Schnittgeburt. Vorher ist das heranwachsende Kind lediglich über die Regelungen des nur vorsätzlich begehbaren Schwangerschaftsabbruchs geschützt (14). Ein anderes Auslegungsbeispiel betrifft die strafrechtliche Qualifikation des Skalpells, geführt durch die Hand eines Arztes/einer Ärztin als «gefährlicher Gegenstand» im Sinne der qualifizierten Körperverletzung nach Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB. Bei der Auslegung des Rechtsbegriffs «gefährlicher Gegenstand» kommt es darauf an, ob die Beschaffenheit des Gegenstandes oder die konkrete Art und Weise seiner Anwendung die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung (Art. 122 Ziff. 1 StGB) in sich trägt (15). Der lege artis Einsatz eines Skalpells in der Hand einer (ausgebildeten) ärztlichen Person beinhaltet diese Gefahr in der Regel nicht, es kann aber Fälle geben, in denen die Situation anders bewertet wird (16).

Legaldefinitionen
Das Strafgesetzbuch hält zudem einige Legaldefinitionen, das sind Umschreibungen von Tatbestandsmerkmalen durch den Gesetzgeber, bereit. In Art. 12 Abs. 2 und 3 StGB definiert der Gesetzgeber, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Art. 110 StGB umschreibt z. B., wer unter «Angehörige» oder «Beamte» fällt und welche Vo­raussetzungen an eine «Urkunde» im Sinne des Strafrechts gestellt werden.

Tun und Unterlassen
Die überwiegende Mehrzahl der strafbaren Tathandlungen, wie z. B. die Körperverletzung oder die Tötung, sind durch ein aktives Tun umschrieben: «Wer vorsätzlich einen Menschen tötet […]» (Art. 111 StGB), «Wer vorsätzlich einen Menschen […] an Körper oder Gesundheit schädigt» (Art. 123 Ziff. 1 StGB). Das Strafgesetzbuch kennt aber auch Unterlassungsdelikte. Ist das strafbewehrte Unterlassen direkt im Tatbestand umschrieben, handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, wie bei dem Vorsatzdelikt der Unterlassung der Nothilfe (Art. 128 Abs. 1 2. Alt. StGB): «Wer […] einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte […]» (17). Jede Person ist daher verpflichtet, bei einer lebensbedrohlichen Situation zu helfen, wenn ihr die Hilfe zumutbar ist, einerlei, ob die Hilfe Erfolg versprechend ist oder nicht. Es ist aber auch möglich, z. B. eine Tötung durch Unterlassen zu begehen. Das «Begehen durch Unterlassen» wird als «unechtes Unterlassen» bezeichnet und ist wie folgt geregelt (Art. 11 StGB): «Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden (Abs. 1). Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtsstellung dazu verpflichtet ist, […]» (Abs. 2). Das Gesetz umschreibt hier die Voraussetzungen, die an ein unechtes Unterlassen gestellt werden. Wichtig sind insbesondere die Garantenstellung und die Garantenpflicht, die aus verschiedenen Rechtsquellen stammen können, so z. B. aus Gesetz oder Vertrag. Garant ist, wer für den Schutz eines Rechtsgutes einzutreten hat, wie z. B. der Pfleger oder der behandelnde Arzt eines Patienten. Garant ist aber auch, wer eine bestimmte Gefahrenquelle unter Kontrolle halten muss, wie z. B. der technische Mitarbeitende in Bezug auf das ihm anvertraute medizinisch-technische Gerät (18).

Wenn bei einem beatmeten Patienten, der leben möchte und eine reelle Chance hat, seine momentane gesundheitliche Einschränkung zu überleben, die Behandlung ohne Rücksprache mit ihm resp. seiner Stellvertretung auf eine Palliativbehandlung mit Sauerstoffentzug umgestellt wird und er in der Folge verstirbt, so stellt sich die Frage, ob die involvierten Medizinalpersonen sich einer Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht haben. Denn sie sind aufgrund des Behandlungsvertrages als Garanten verpflichtet, entsprechend der lege artis und unter Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten diesem die angemessene Behandlung zukommen zu lassen (19).
Wenn dem Garanten für ein Unterlassen sowohl die Unterlassung der Nothilfe als auch z. B. eine Körperverletzung durch Unterlassen zur Last gelegt wird, verdrängt letztere das allgemeinere Delikt des Art. 128 Abs. 1 StGB (20).

Vorsatz – Fahrlässigkeit
Die im Strafgesetzbuch normierten Straftatbestände sind Vorsatzdelikte, Fahrlässigkeit wird nur dann bestraft, wenn dies ausdrücklich im Gesetz so festgeschrieben ist (Art. 12 Abs. 1 StGB). Die Verletzung des Berufsgeheimnisses ist beispielsweise ein Vorsatzdelikt, die fahrlässige Begehung ist mangels gesonderter gesetzlicher Anordnung nicht strafbar (Art. 321 StGB).

Vorsatz bedeutet verkürzt gesagt «Wissen und Wollen» der Tatbestandsverwirklichung (Art. 12 Abs. 2 S. 1 StGB), wobei der Vorsatz des Täters sich auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal beziehen muss. Die Verantwortlichkeit wegen Fahrlässigkeit hingegen beruht auf einer unbewussten oder bewussten Pflichtwidrigkeit (Art. 12 Abs. 3 StGB). Vorausgesetzt wird, dass die Handlung des Täters den nach der konkreten Situation und seiner persönlichen Verhältnisse geforderten Pflichten und Umsicht widerspricht. Der Eintritt des schädlichen Erfolgs, z. B. der Körperverletzung, muss die Folge gerade des sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens sein (21). Im Medizinalbereich kann es viele Quellen eines sorgfaltswidrigen Verhaltens geben. Sei es, dass nach einer Differenzialdiagnose, die sich im Nachhinein als unzutreffend herausgestellt hat, die Therapie nicht umgestellt wird, dass irrtümlich eine zu hohe Dosis eines Medikaments verabreicht wird, ein Patient betreffend einer Operation verwechselt wird oder ein nicht zureichend sterilisiertes Medizinalprodukt beim Patienten zu einer Infektion führt. Bewirkt der pflichtwidrige Verstoss gegen die lege artis kausal und zurechenbar einen gesundheitlichen Schaden oder den Tod des Patienten und ist das Verhalten dem Arzt/der Ärztin persönlich vorwerfbar, so ist eine fahrlässige Körperverletzung bzw. eine fahrlässige Tötung gegeben (Art. 117, Art. 125 StGB).

Wer pflichtwidrig nicht weiss, dass bei einer Schwangeren mit starken Bauchschmerzen bereits Eröffnungswehen vorliegen, die strafrechtlich gesehen den «Fötus» zum «Menschen» machen, ist bei einer sorgfaltswidrigen Behandlung mit tödlichem Ausgang für das Kind nicht wegen dessen Tötung (Art. 111, 117, 13 Abs. 1 StGB) strafbar. Denn handelt der Arzt, wie hier, in einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt, da er irrtümlich von einem Fötus als Tatobjekt ausgeht, so beurteilt das Gericht die Tat zugunsten des Arztes nach dem Sachverhalt, den sich der Täter vorgestellt hat (Art. 13 Abs. 1 StGB). Der Schwangerschaftsabbruch ist aber nur vorsätzlich begehbar (Art. 118 StGB). Der Arzt muss sich zudem ggf. wegen einer Körperverletzung zulasten der Gebärenden verantworten.

Täterschaft – Teilnahme

Wer die Tat selbst begeht, ist Täter. Sind mehrere Personen an einer Tat beteiligt, kann einerseits eine Mit- oder mittelbare Täterschaft vorliegen, andererseits eine Teilnahme im Sinne einer Anstiftung oder Gehilfenschaft (Art. 24 f. StGB) (22). Von Mittäterschaft wird gesprochen, wenn mehrere Personen gemeinsam Tatherrschaft über eine Tat innehaben, d.h., sie die Tat gemeinsam planen und ausführen. Mittelbare Täterschaft liegt vor, wenn eine Person mittels einer anderen Person Tatherrschaft über die Tat hat, weil sie diese z. B. täuscht und der Getäuschte dann als «Werkzeug» des mittelbaren Täters die Tat begeht (23). Ein Beispiel findet sich in einem vom deutschen Bundesgerichtshof entschiedenen Fall. Eine an dem sog. Münchhausen-Stellvertretersyndrom erkrankte Frau hatte den Ärzten erfolgreich vorgespiegelt, dass ihre Tochter an Verstopfung leide, bis schliesslich der zuständige Arzt vorübergehend einen künstlichen Darmausgang für das eineinhalb Jahre alte Kind legen liess, um die Symptome abzuklären. Die Frau war mittelbare Täterin der vom Arzt im guten Glauben begangenen qualifizierten Körperverletzung zulasten des Kindes (24).
Anstiftung liegt dann vor, wenn jemand bei einem anderen den Entschluss, eine konkrete Vorsatztat zu begehen, vorsätzlich hervorruft (Art. 24 StGB). Gehilfenschaft ist gegeben, wenn eine Person dem vorsätzlich handelnden Täter lediglich vorsätzlich Unterstützung leistet (Art. 25 StGB). Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Die Teilnahme ist nur vorsätzlich begehbar und setzt stets eine Haupttat voraus, aus welcher sie auch ihr Unrecht ableitet.

Täterschafts- und Teilnahmefragen stellen sich im Medizinstrafrecht häufig, da die Medizin arbeitsteilig ist und in der Regel mehrere Personen bei der Behandlung der Patientinnen und Patienten zusammenwirken. Sollte es dabei zu einem Todesfall oder einem sonstigen Fehlgehen der Behandlung kommen, ist für jeden einzelnen Beteiligten, sei es eine Arztperson, sei es eine weitere Gesundheitsfachperson, die allfällige strafrechtliche Verantwortlichkeit zu prüfen. Letztendlich kann es zur Verurteilung mehrerer Personen wegen einer Tat kommen. Das Strafgesetzbuch kennt jedoch keine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Anstiftung oder fahrlässiger Gehilfenschaft. In diesem Fall kann aber ein eigenständiges Fahrlässigkeitsdelikt vorliegen, so z. B. bei einer sorgfaltswidrigen Mitwirkung bei einer tödlich verlaufenden Fehlbehandlung, die zur Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung führt (Art. 117 StGB). Eine pflichtwidrige Verletzung des ärztlichen Berufsgeheimnisses hingegen ist nicht nach Art. 321 StGB strafbar, da der Straftatbestand nur vorsätzlich begehbar ist.

Sonderdelikte

Im Bereich der Teilnahme sind die echten und unechten Sonderdelikte zu unterscheiden. Die echten Sonderdelikte setzen voraus, dass der Täter eine besondere Pflichtenstellung innehat, die Missachtung der hieraus resultierenden Sonderpflicht begründet – neben den weiteren geforderten Voraussetzungen – die Strafbarkeit. Dies ist z. B. bei der Verletzung des ärztlichen Berufsgeheimnisses der Fall, da Täter nur sein kann, wer den in Art. 321 StGB abschliessend aufgezählten Berufsgruppen angehört, wozu eine Arztperson zählt (25). Demgegenüber können unechte Sonderdelikte zwar von jedermann erfüllt werden, die besondere Pflichtenstellung des Täters ist jedoch strafschärfend. Die Teilnahme am Sonderdelikt ist aber möglich, ohne die Sondereigenschaft der dort genannten Berufsgruppen in eigener Person aufweisen zu müssen (Art. 26 StGB) (26). Auf den konkreten Fall bezogen führt dies zu folgendem Ergebnis: Eine interessierte vom Täterkreis des Art. 321 StGB nicht erfasste Person kann zwar nicht Täterin der Geheimnisverletzung sein, aber strafbar sein, weil sie den Arzt erfolgreich angestiftet oder ihm geholfen hat, sein Berufsgeheimnis zu verletzen.

Erfolgsdelikt – Tätigkeitsdelikt

Das Strafrecht unterscheidet weiterhin nach Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten. Die Erfolgsdelikte setzen neben der strafbaren Tathandlung einen davon abgrenzbaren Erfolg in der Aussenwelt voraus, die Tätigkeitsdelikte erschöpfen sich in der Vornahme des strafbewehrten Tuns bzw. Unterlassens (27). Ein typisches Tätigkeitsdelikt ist das Ablegen eines falschen Zeugnisses resp. die Abgabe eines falschen Gutachtens vor Gericht (Art. 307 StGB) (28). Die Tat ist vollendet, wenn die Aussage erfolgt resp. das Gutachten abgegeben wurde. Für die Strafbarkeit ist nicht notwendig, dass das Gericht den Ausführungen Glauben schenkt. Ein Erfolgsdelikt stellt die Tötung (Art. 111 StGB) dar. Neben der Tathandlung, z. B. der Injektion des tödlichen Mittels, ist ein schädlicher Erfolg, d.h. im Rahmen von Art. 111 StGB, der Tod eines anderen Menschen erforderlich.

Kausalität

Bei den Erfolgsdelikten muss zudem eine enge Beziehung zwischen der strafbaren Handlung und dem schädlichen Taterfolg gegeben sein. Dies wird im Strafrecht durch die «conditio-sine-qua-non-Formel» und die objektive Zurechnung festgestellt. Dies bedeutet, dass der strafbare Erfolg bei der Tötung, der Körperverletzung oder dem Ausstellen eines unrichtigen ärztlichen Zeugnisses kausal durch die pflichtwidrige Handlung verursacht worden und objektiv zurechenbar sein muss (29). Ursache ist bei einem aktiven Tun jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (30) entfiele. Ist die Kausalität eines pflichtwidrigen Unterlassens zu prüfen, wird die pflichtgemässe Handlung hypothetisch hinzugedacht – wenn dann der Erfolg höchstwahrscheinlich (31) entfallen würde, liegt die erforderliche Kausalität vor. Um diese Voraussetzungen im konkreten Fall festzustellen, wird von den Strafverfolgungsbehörden in der Regel ein medizinisches Gutachten benötigt. Bei Behandlungsfehlern und ganz besonders im Bereich des pflichtwidrigen Unterlassens ist es oftmals nicht möglich nachzuweisen, dass bei Hinzudenken der gebotenen Handlung die Kausalität höchstwahrscheinlich entfiele. Das bedeutet zugleich, dass keine Kausalität festgestellt werden kann und eine Strafbarkeit wegen des vollendeten Deliktes nicht gegeben ist.

Versuch

«Führt der Täter, nachdem er mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende oder tritt der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg nicht ein oder kann dieser nicht eintreten, so kann das Gericht die Strafe mildern» (Art. 22 Abs. 1 StGB). Diese Konstellation wird als Versuch eines Straftatbestandes bezeichnet. Er ist nur bei Vorsatzdelikten und nur unter engen Voraussetzungen unter Strafe gestellt (Art. 22 f. StGB) (32). Ist z. B. die Kausalität zwischen einer Fehlhandlung und dem Gesundheitsschaden des Patienten nicht nachweisbar, hatte der Arzt aber den Gesundheitsschaden zumindest mit Eventualvorsatz in Kauf genommen, so liegt eine versuchte Körperverletzung vor.

Rechtfertigungsgründe

Einheit der Rechtsordnung

Art. 14 StGB besagt: «Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach diesem oder einem anderen Gesetz mit Strafe bedroht ist.» Diese Regelung beruht auf dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung und bedeutet, dass Rechtfertigungsgründe allen Rechtsbereichen entstammen können. So können u.a. zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe auch im Strafrecht Wirkung entfalten.
Das Strafgesetzbuch selbst regelt die Rechtfertigungsgründe der Notwehr (Art. 15 StGB) und des rechtfertigenden Notstandes (Art. 17 StGB).

Einwilligung – Urteilsfähigkeit

Nach der Rechtsprechung und grossen Teilen der Literatur erfüllt der ärztliche Eingriff den Tatbestand der Körperverletzung. Er bedarf zu seiner Rechtfertigung der wirksamen Einwilligung des urteilsfähigen Patienten resp. bei einem urteilsunfähigen Patienten von dessen Stellvertretung. Auch wenn diese Betrachtungsweise sehr holzschnittartig ist, da sie den ärztlichen Eingriff jeder beliebigen Körperverletzung gleichstellt, ist sie doch seit vielen Jahren Rechtspraxis (33). Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung wurde nicht im Strafgesetzbuch, wohl aber in anderen Gesetzen verschriftlicht. Im Zivilgesetzbuch (Art. 28 ZGB) und in den kantonalen Gesetzen finden sich Regelungen zu den Voraussetzungen der Einwilligung, z. B. § 13 des Patientinnen- und Patientengesetzes des Kantons Zürich. Das Erfordernis der Einwilligung bei einem Eingriff in die Individualrechtsgüter Körper und Gesundheit ist eng verknüpft mit dem Selbstbestimmungsrecht und damit dem Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention) (34) sowie der Menschenwürde (Art. 7 BV). Die wirksame Einwilligung des Patienten in die medizinische Behandlung setzt u.a. seine Urteilsfähigkeit (Art. 16 ZGB) voraus, ihre Ausübung ist ein relativ höchstpersönliches Recht (Art. 19c ZGB). Urteilsunfähige Patienten können nicht wirksam einwilligen, an ihre Stelle tritt die von ihnen im Zustand der Urteilsfähigkeit erstellte gültige Patientenverfügung resp. die Entscheidung durch die zur Stellvertretung berufene Person (Art. 378 ZGB).

Der Gesetzgeber definiert nicht, wann Urteilsfähigkeit vorliegt, sondern stellt widerlegbare Vermutungen auf, wann sie fehlt: «Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln» (Art. 16 ZGB). Die Urteilsfähigkeit einer Person wird stets in Bezug auf eine konkrete Angelegenheit beurteilt (35). Es kann daher sein, dass sie für die eine Angelegenheit urteilsfähig ist, z. B. was die Patientin gern essen oder anziehen möchte, für eine andere hingegen nicht, z. B. ob bei der Patientin die Amputation einer Gliedmasse vorgenommen werden soll. Die Urteilsfähigkeit bestimmt sich danach, ob die betreffende Person vernunftgemäss handeln kann, nicht aber, ob ihr Entscheid nach allgemeinen Massstäben als vernünftig bewertet wird. Indem die urteilsfähige Person rechtswirksam ihren Willen bildet und ihn z. B. im Rahmen der Einwilligung äussert, trägt sie rechtlich auch die Verantwortung für ihre Entscheidung.
Obgleich die Urteilsfähigkeit ein Rechtsbegriff ist, entscheidet im medizinischen Alltag oftmals der Arzt resp. die Ärztin über die Urteilsfähigkeit der Patientinnen und Patienten (36).

Die Einwilligung in die medizinische Behandlung muss rechtzeitig vor dem Eingriff vorliegen, ist grundsätzlich formfrei gültig und kann mündlich, schriftlich oder konkludent erteilt werden. Aus Beweisgründen ist jedoch eine schriftliche Einwilligung anzuraten. Sie muss zudem vom freien Willen des Patienten/der Patientin getragen sein, wozu es insbesondere der vorgängigen Aufklärung durch die zuständige Arztperson bedarf. Im Vordergrund steht dabei die Eingriffsaufklärung. Sie bezieht sich auf die Diagnose, den Verlauf mit und ohne Behandlung, die in Aussicht genommene Therapie und die damit verbundenen Risiken (37). Das Bundesgericht sagt zum Umfang der Aufklärung: «Der Patient soll über den Eingriff oder die Behandlung so- weit unterrichtet sein, dass er seine Einwilligung in Kenntnis der Sachlage geben kann» (38).

Mutmassliche Einwilligung

Kann die Einwilligung in die Behandlung nicht oder nicht rechtzeitig eingeholt werden, ist nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen des Patienten zu entscheiden (Art. 379 ZGB). Strafrechtlich betrachtet ist die mutmassliche Einwilligung ein gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund, der zur Einwilligung subsidiär ist. Bei der Erforschung des mutmasslichen Willens sind frühere mündliche oder schriftliche Äusserungen des Patienten ebenso wie seine religiöse Überzeugung und sonstige persönlichen Wertvorstellungen zu beachten, soweit sie bekannt sind bzw. in der Zeit, die zur Verfügung steht, abgeklärt werden können. Die Arztperson, die sich nach Abklärung der Umstände im mutmasslichen Willen und den Interesse des Patienten für den lege artis durchgeführten Eingriff entscheidet, im Nachhinein aber erkennt, dass der Patient mit dem Eingriff nicht einverstanden war, handelte zum Tatzeitpunkt dennoch gerechtfertigt.

Hypothetische Einwilligung

Die fehlende oder fehlerhafte Einwilligung/mutmassliche Einwilligung bewirkt nicht die Rechtfertigung des Eingriffs. Ob im Strafrecht dann die hypothetische Einwilligung Anwendung findet, ist nicht abschliessend geklärt (39). Im Zivilrecht gestattete das Bundesgericht (40) dem beklagten Arzt den Einwand, der Patient hätte auch dann in die Behandlung eingewilligt, wenn er zuvor ordnungsgemäss aufgeklärt worden wäre. Diesen Einwand kann der Patient widerlegen, indem er substanziiert darlegt, dass er sich – bezogen auf den Zeitpunkt der fehlerhaften Aufklärung – bei ordnungsgemässer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt darüber befunden hätte, ob er in den Eingriff einwilligen solle oder nicht. Gelingt dem Patienten dieser Nachweis, obliegt dem Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient trotz dieses Entscheidungskonflikts in den Eingriff eingewilligt hätte. Im Strafrecht überzeugt die hypothetische Einwilligung als Rechtfertigungsgrund nicht (41). Vielmehr greift bei verbleibenden Zweifeln der Grundsatz in dubio pro reo.

Schuld

Schuldfähigkeit

Das StGB geht vom Grundsatz aus, dass der erwachsene Mensch grundsätzlich schuldfähig ist (42). Dementsprechend bestimmt es negativ: «War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar» (Art. 19 Abs. 1 StGB). Die Schuldfähigkeit kann z. B. aufgehoben oder eingeschränkt (Art. 19 Abs. 2 StGB) sein, wenn ein Patient an einer schweren Bewusstseinsstörung leidet und in diesem Zustand eine Pflegefachperson verletzt. Bei der strafrechtlichen Würdigung sind die Umstände des Einzelfalles massgebend (43), wobei die Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt i.d.R. durch ein psychiatrisches Gutachten abgeklärt wird (Art. 20 StGB). Wer in Bezug auf eine bestimmte Tat schuldunfähig ist, kann für diese Tat nicht bestraft werden. Aber es kann eine Massnahme angeordnet werden (Art. 19 Abs. 3 StGB). Zudem kennt das Gesetz Ausnahmen, so z. B. bei der actio libera in causa (44) (Art. 19 Abs. 4 StGB) oder wenn der Straftatbestand der «Verübung einer Tat in selbst verschuldeter Unzurechnungsfähigkeit» (Art. 263 StGB) eingreift.

Entschuldigungsgründe

Die Schuld kann zudem entfallen, wenn der Täter sich auf einen Schuldausschliessungsgrund berufen kann. Hier sind namentlich der entschuldbare Notstand (Art. 18 StGB), die Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens, der unvermeidbare Irrtum über die Rechtswidrigkeit (Art. 21 StGB) oder der entschuldigende Nötigungsnotstand zu nennen. Die jemandem durch Gewalt oder Drohung abgenötigte Straftat kann entschuldbar sein, wenn dem Täter nicht zuzumuten war, den unmittelbar drohenden oder in Gang befindlichen Eingriff in seine eigenen oder fremden Rechtsgüter hinzunehmen und zu diesem Zweck die Verübung des von ihm verlangten Deliktes zu verweigern. Dies wäre der Fall, wenn ein Arzt von einem Patienten unter Androhung schwerer Gewalt gezwungen würde, ein verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel herauszugeben. Ergibt sich, dass das Verhalten des Arztes nicht bereits gerechtfertigt ist, kommt die Annahme eines entschuldbaren Nötigungsnotstandes infrage. Hiervon ist die Handlung aufgrund rechtswidriger Weisung zu unterscheiden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich der erwachsene Mensch der Aufforderung einer Autoritätsperson, eine Straftat begehen, widersetzen kann. Führt ein stark übermüdeter Arzt beispielsweise weisungsgemäss eine Operation durch und lässt er aufgrund der Übermüdung die Sorgfaltspflichten mit der Folge ausser Acht, dass der Patient einen gesundheitlichen Schaden erleidet, ist das Handeln nach Weisung kein Entschuldigungsgrund. Eine solche Situation kann aber zur Strafmilderung führen (Art. 48 lit. a Nr. 4 StGB).

Einige relevante Straftatbestände

Körperverletzungsdelikte

Das Strafgesetzbuch schützt das Leben und die körperliche Integrität sowie die physische und psychische Gesundheit mittels verschiedener Straftatbestände. Die Körperverletzung ist sowohl vorsätzlich wie fahrlässig begehbar. Sie ist ein Vergehen, der Strafrahmen beträgt bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Die schwere Körperverletzung stellt ein Verbrechen dar mit einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Die vorsätzliche Tätlichkeit ist eine mit Busse bedrohte Tat (45). Sie stellt eine physische Einwirkung auf einen Menschen dar, die zwar die Schwelle der körperlichen oder gesundheitlichen Schädigungen nicht erreicht, aber das übliche und gesellschaftlich geduldete Mass überschreitet (46). Hie­runter fallen z. B. die Entnahme einer kleinen Hautprobe oder auch eine lege artis durchgeführte Venenpunktion und die daran anknüpfende wenige Milliliter umfassende, geringfügige Blutentnahme im Rahmen einer medizinischen Diagnostik. Die ohne Einwilligung vorgenommene Verkürzung einer zweiten Zehe während einer Operation wird als einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB) qualifiziert, da dies die körperliche Unversehrtheit dauerhaft beeinträchtigt (47). Eine schwere Körperverletzung liegt u.a. vor, wenn der Täter das Opfer entweder lebensgefährlich verletzt oder ein wichtiges Organ bzw. Glied des Geschädigten verstümmelt oder unbrauchbar macht oder eine andere schwere Schädigung des Körpers bzw. der körperlichen oder geistigen Gesundheit verursacht (Art. 122 StGB). Die lege artis und mit wirksamer Einwilligung der Patientin durchgeführte Entfernung der Gebärmutter aufgrund einer Krebsdiagnose unterfällt nicht Art. 122 StGB. Geschlechtsanpassende Eingriffe bei urteilsunfähigen Kindern mit Disorder of Sex Development (DSD) können – bei fehlender Dringlichkeit zur Abwendung von Gefahren für das Leben oder schweren Gefahren für die Gesundheit – je nach Sachlage den Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllen.
Art. 124 StGB stellt die Verstümmelung weiblicher Genitalien unter Strafe. Das Delikt gilt auch bei Handeln im Ausland, wenn die Täterschaft sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. Den Tatbestand erfüllt, wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürlichen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt. Die Verstümmelung umfasst die teilweise oder vollständige Entfernung der äusseren weiblichen Genitalien und sonstige Verletzungen derselben aus nicht medizinischen Gründen. Nicht hierunter fallen medizinisch indizierte Operationen, die mit Einwilligung der urteilsfähigen Patientin durchgeführt werden, wie etwa die Entfernung der Gebärmutter oder (Teile) der äusseren Genitalien aufgrund einer Krebserkrankung. Schönheitsoperationen an den weiblichen Genitalien können trotz der weiten Gesetzesfassung durch die Einwilligung der urteilsfähigen Patientin gerechtfertigt sein (48).

Tötungsdelikte

Tötung
Im Rahmen des Medizinstrafrechts sind auch Situationen zu beurteilen, in denen es um den Vorwurf der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung und die Abgrenzung zum straflosen Verhalten geht. Die Tötungsdelikte sind Offizialdelikte. Die vorsätzliche Tötung hat einen Strafrahmen von fünf bis zwanzig Jahren Freiheitsstrafe (Art. 111 StGB). Beim Totschlag, d.h., wenn der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung handelt, beträgt der Strafrahmen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren (Art. 113 StGB). Die Strafrahmen der Tötung auf Verlangen (Art. 114 StGB) und der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) reichen je bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.
Die Tötung setzt voraus, dass der Täter einen anderen Menschen tötet. Die Einwilligung des Opfers in die Tötung durch einen anderen, der das Tatgeschehen in der Hand hält, hat keine rechtfertigende Wirkung. Würde der Arzt der Bitte der Patientin, ihr das tödlich wirkende Gift zu injizieren, nachkommen, so ist dies eine nach Schweizer Recht strafbare Tötung resp. Tötung auf Verlangen, mithin eine strafbare aktive Sterbehilfe. Die Tötung auf Verlangen setzt voraus, dass jemand eine andere Person aus achtenswerten Beweggründen, namentlich aus Mitleid, auf deren ernsthaftes und eindringliches Verlangen tötet (Art. 114 StGB). Die indirekte aktive Sterbehilfe ist nicht geregelt und straflos. Sie liegt vor, wenn zur Linderung von Leiden Mittel eingesetzt werden, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können. Auch die passive Hilfe zum Sterben ist, selbst wenn dadurch der Sterbeprozess beschleunigt wird, unter engen Voraussetzungen zulässig. Sie wird als ein Unterlassen der Arztperson gewertet, das den Eintritt des Todes beim Patienten zur Folge hat. Zu den lebenserhaltenden Massnahmen, die hierbei eingestellt werden, gehören insbesondere die künstliche Wasser- und Nahrungszufuhr, die künstliche Beatmung, die kardiopulmonale Reanimation und – je nach Situation – die Sauerstoffzufuhr, Medikation, Transfusion oder Dialyse. Zwar hat der behandelnde Arzt dem Patienten gegenüber eine Garantenstellung und damit auch die Garantenpflicht, das Leben sowie die Gesundheit des Patienten durch die medizinisch angezeigte Behandlung zu erhalten. Allerdings kann diese Pflicht durch den Sterbewilligen im Rahmen seiner Selbstbestimmung beeinflusst werden. Hat er sich frei verantwortlich, d.h. in urteilsfähigem Zustand, gegen lebensverlängernde Massnahmen entschieden oder liegt eine dementsprechende, wirksame Patientenverfügung vor, so ist der Arzt daran gebunden. Werden gegen den Willen des urteilsfähigen Patienten bzw. gegen die Anordnungen in der Patientenverfügung lebenserhaltende Massnahmen durchgeführt, so ist dieses Verhalten eigenmächtig, rechtswidrig und erfüllt den Unrechtstatbestand der Körperverletzung.

Suizid
Ein Suizid liegt vor, wenn sich eine Person selbst tötet. Dieses Verhalten ist nicht strafbar, denn es gibt zwar ein Recht auf Leben (Art. 10 BV), aber keine dementsprechende Pflicht. Die Personen, die bei einem Suizid hilft, der von einer urteilsfähigen Person eigenverantwortlich begangen wird, ist ebenfalls nicht strafbar. Etwas anders gilt, wenn die Suizidhilfe aus selbstsüchtigen Beweggründen geleistet wird. Hier greift der Straftatbestand des Art. 115 StGB ein (49). Im Medizinrecht stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit Ärztinnen und Ärzte Suizidhilfe leisten dürfen. Die medizinisch-ethische SAMW-Richtlinie «Umgang mit Sterben und Tod» ist Teil des ärztlichen Standesrechts und macht deutlich, dass es weder zu den Aufgaben des Arztes/der Ärztin gehört, von sich aus Suizidhilfe anzubieten, noch ist er/sie verpflichtet, diese zu leisten. Sollte er/sie die Hilfe leisten, ist zuvor der Wunsch des Patienten/der Patientin nach Suizidhilfe sorgfältig abzuklären, zudem sind die weiteren in der Richtlinie festgehaltenen Voraussetzungen einzuhalten. In jüngerer Zeit wurde die Legitimation der FMH und der SAMW, in diesem Bereich Vorgaben zu machen, angezweifelt (50), und es bleibt abzuwarten, wie sich die Diskussion in diesem Bereich entwickelt.
Neben den Delikten zum Schutz von Leib und Leben können weitere Straftatbestände des Kernstrafrechts im Arztstrafrecht von Bedeutung sein, deren Darstellung aber den Rahmen des vorliegenden Beitrages sprengen würde.

Fazit

Das Strafrecht und das Medizinrecht sind zwei Rechtsbereiche, die eng miteinander verknüpft sind. Für den juristischen Laien ist es oftmals nicht einfach zu verstehen, warum sich Ärzte/Ärztinnen und Gesundheitsfachpersonen wegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers nicht nur mit dem Schadensmanagement befassen müssen, sondern sich ggf. auch einem Strafverfahren ausgesetzt sehen. Beide Verfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke, wobei insbesondere das Strafverfahren oft sehr belastend ist und lange dauern kann. Daher ist es hilfreich, wenn die Arzt- resp. Gesundheitsfachperson zumindest die grossen Leitplanken des Medizin(straf)rechts kennt und sich rechtzeitig Rat und Unterstützung in solchen Situationen holt. Letztlich ist eine einvernehmliche Lösung eines allfälligen Konfliktes mit dem Patienten/der Patientin oftmals für alle Beteiligten zielführend.

Prof. Dr. iur. utr. Brigitte Tag

Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht Universität Zürich
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Freiestrasse 15
CH-8032 Zürich

Lst.tag@ius.uzh.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Die FMH ist ein privatrechtlicher Verein, Art. 1 Statuten [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.fmh.ch/files/pdf29/statuten-fmh—september-2023—d.pdf; die SAWM ist eine privatrechtliche Stiftung, Art. 1 Statuten [Internet].[abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.samw.ch/de/Portraet/Grundlagendokumente.html.
2. Vgl. z. B. Art. Art. 117 ff. BV.
3. Art. 3 und Art. 42 BV.
4. Bei den Sonderdelikten wird gefordert, dass der Täter eine besondere Pflichteinstellung aufweist, vgl. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 8 Ziff. 2.1.
5. Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Rütsche B, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 7 f.
6. Näher Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 2 I.
7. Diese Bestimmungen im Einzelnen zu erläutern, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrages sprengen. Einen praxisorientierten Überblick geben SAMW/FMH, Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Ein Leitfaden für die Praxis (2020) [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.samw.ch/de/Publikationen/Leitfaden-fuer-die-Praxis.html. sowie Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 7 f.
8. Der sog. Allgemeine Teil des Strafrechts, Art. 1 – 110 StGB (1. Buch) und ab Art. 333 StGB (3. Buch).
9. Allgemeine Informationen zur FMH-Gutachterstelle [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.fmh.ch/ueber-die-fmh/organisation/fmh-gutachterstelle.cfm.
10. Z.B. Schweizerische Stiftung SPO [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.spo.ch/ueber-uns-spo/.
11. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 39 Ziff. 1 ff.
12. Resp. seiner Rechtsschutzversicherung nach deren Bedingungen.
13. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 4 Ziff. 3.
14. Näher Schwarzenegger C, Stössel J. BSK-StGB zu Vor Art. 111. In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. Rz. 27. Ob diese Auslegung in Anbetracht der hoch entwickelten Medizin noch zeitgemäss ist, ist Gegenstand etlicher medizinrechtlicher Diskussionen.
15. BGE 101 IV 285 S. 286. Der deutsche BGH 19.12.2023 – 4 StR 325/24 hat auch bei einer lege artis durchgeführten Operation das Skalpell als gefährliches Werkzeug eingestuft. Vgl. hierzu bereits Tag B. Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis. 2012. S. 424 ff.
16. Etwas anders kann gelten, wenn der Arzt über den wahren Hintergrund des Eingriffs getäuscht wurde. BGH 19.12.2023 – 4 StR 325/23. w
17. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 28.
18. Näher Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 30 Ziff. 2.
19. Hier wird nicht auf den Fall der knappen Beatmungsgeräte eingegangen, wie sie sich zur Zeit der COVID-19 Pandemie stellte. Dies ist eine sehr komplexe Situation, zu der sich die SAMW in ihren medizinisch-ethischen Richtlinie geäussert hat und Kritik erfuhr. Postulat Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, Amtl. Bull. SR 2023. S. 351.
20. Zum unechten Unterlassen: Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 30; Zur Konkurrenz von echtem und unechtem Unterlassen vgl. Niggli MA, Muskens LF. BSK-StGB zu Art. 11. In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. Rz. 150.
21. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 31 Ziff. 2.
22. Die nachfolgenden Ausführungen sind aufgrund des vorgegebenen Umfangs sehr holzschnittartig, eine vertiefte Darstellung findet sich bei Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 13 – 15.
23. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 15 Ziff. 3.
24. BGH 19.12.2023 – 4 StR 325/23.
25. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022., § 8 Ziff. 2.12; Oberholzer N. BSK-StGB zu Art. 321. In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. Rz. 4, 21.
26. Forster M. BSK-STGB ZU ART. 26. In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. RZ. 1.; Oberholzer N. BSK-StGB zu Art. 321. In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. Rz. 9.
27. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 8 Ziff. 2.22.
28. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 8 Ziff. 2.21
29. Vgl. z.B. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 7 Ziff. 2.24.
30. BGE 135 IV 56 E. 2.1 und E. 5.1.
31. Aus Platzgründen wird darauf verzichtet, die Adäquanztheorie oder die Risikoerhöhungslehre dazustellen. Näher Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 30 Ziff. 2.15 m.w.N.
32. Zum Versuch vgl. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022., § 12.
33. Statt vieler Hausherr H, Aebi-Müller R. Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. 4. Aufl. 2020. Rz. 592 ff.; BGE 117 Ib 197 E. 2a; Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Rütsche B, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 7 III.
34. Z.B. BGE 133 III 121 E 4.1; 136 V 117 E. 4.2.2.1; 138 IV 13 E. 7.1.
35. Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 5.
36. SAMW, Medizinisch-ethische Richtlinien, Urteilsfähigkeit in der medizinischen Praxis [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.samw.ch/de/Ethik/Themen-A-bis-Z/Beurteilung-der-Urteilsfaehigkeit.html; SAMW, Hilfsmittel zur Evaluation und Dokumentation der Urteilsfähigkeit. [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://www.samw.ch/de/Ethik/Themen-A-bis-Z/Beurteilung-der-Urteilsfaehigkeit.html.
37. Im Einzelnen Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Rütsche B, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024. § 3 IV, § 7 III.
38. BGE 117 Ib 197 E. 3b. Im Einzelnen ist die Frage sehr strittig und komplex, über welche Risiken aufgeklärt werden muss.
39. Näher Hirschi S. Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht. 2024. S. 156 ff; BGer 6B_788/2015 vom 13. Mai 2016; 6B_902/2015 vom 8. Januar 2020 E. 3.1 mit Hinweis auf die zivilrechtliche Entscheidung BGE 133 III 121 E. 4.1.3.
40. BGer 4A_499/2011 vom 20. März 2012 E. 5.2.2; BGer 4A_415/2023 vom 11. Oktober 2023 E. 4.5.2.
41. Zum deutschen Recht vgl. Tag B. ZStW 2015;128:73-88.
42. Im Einzelnen vgl. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 24 ff.
43. Zur strafrechtlichen Haftung wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger actio libera in causa vgl. Art. 19 Abs. 4 StGB sowie Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022. § 24 Ziff. 4.2 und § 25 Ziff. 4.2.
44. Donatsch A, Godenzi G, Tag B. Strafrecht I, Verbrechenslehre. 10. Aufl. 2022.§ 24 Ziff. 4.2.
45. Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so ist der Höchstbetrag der Busse CHF 10 000 gem. Art. 106 Abs. 1 StGB.
46. BGE 117 IV 14 E. 2a/cc; 134 IV 189 E. 1.2; vgl. auch Donatsch A. Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen. 11. Aufl. 2018. § 3 Ziff. 4.1.
47. BGE 99 IV 208 E. 5.
48. Niggli MA, Germanier F. BSK-StGB zu Art. 124 In: Niggli MA, Wiprächtiger H, editors. Basler Kommentar Strafrecht. 4. Aufl. 2019. Rz. 36ff.
49. Näher zur Suizidhilfe vgl. Aebi-Müller R, Fellmann W, Gächter T, Rütsche B, Tag B. Arztrecht. 2. Aufl. 2024.§ 7.
50. Näher Schweizerische Ärztezeitung. Standesrecht und die SAMW-Richtlinien «Umgang mit Sterben und Tod». 2024. [Internet]. [abgerufen am 13.06.2024]. Verfügbar unter: https://saez.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2024.1332283096/.

Familiäres Auftreten von Darmkrebs: Vorsorge, Nachsorge und humangenetische Beratung

Das kolorektale Karzinom (KRK) ist in der Schweiz hinsichtlich jährlicher Neuerkrankungen und Krebstodesfällen die dritthäufigste Karzinomart. Da die meisten Kantone ein organisiertes Vorsorgeprogramm durchführen, werden vermehrt Personen mit einer positiven Familienanamnese für das KRK erfasst. In der Mehrheit liegt die sog. familiäre Form des KRK vor, eine erbliche Form im engeren Sinne ist viel weniger häufig. Verwandte von Patienten mit einem KRK sind bezüglich Risiko, an einem KRK zu erkranken, eine heterogene Gruppe. Eine möglichst gute Einschätzung des Erkrankungsrisikos kann das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer intensivierten Vorsorge optimieren. Diese Empfehlungen («Expert Opinion Statement») sollen im klinischen Alltag als Grundlage dienen für die Planung der Vorsorge, Überwachung und humangenetischen Beratung bei Vorliegen einer für das KRK positiven Familienanamnese.

Schlüsselwörter: familiäres Kolorektalkarzinom, erbliches Kolorektalkarzinom, Lynch-Syndrom, familiäre adenomatöse Polypose, MUTYH-­assoziierte Polypose, Serratiertes Polypose-Syndrom

Einleitung

Das kolorektale Karzinom (KRK) ist in der Schweiz bei beiden Geschlechtern sowohl hinsichtlich jährlicher Neuerkrankungen wie Krebstodesfällen die dritthäufigste Karzinomart (1). Im Laufe des Lebens erkranken rund 3.7 % der Frauen und 5.2 % der Männer an einem KRK. Die Inzidenzraten blieben in der Schweiz in den letzten 30 Jahren weitgehend stabil, während die Mortalitätsraten rückläufig sind: aktuell liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei beiden Geschlechtern zwischen 65 und 70 %.

Ätiologisch kann zwischen dem sporadischen (sKRK), dem familiären (fKRK) und dem erblichen (eKRK) im engeren Sinne unterschieden werden mit je etwa 75 %, 20 % bzw. 5 % aller Neuerkrankungen (2). Der wichtigste Risikofaktor des sKRK ist das Alter, allerdings tritt diese Form in den letzten Dekaden immer häufiger schon vor dem 50. Lebensjahr auf, die Ursachen hierfür sind nur unvollständig verstanden (3). Zahlreiche Beobachtungsstudien dokumentieren ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für das KRK bei einer positiven Familienanamnese (4, 5). In der Mehrheit dieser Fälle liegt die familiäre Form des KRK (fKRK) vor, bei der keine pathogene Keimbahnmutation in einem definierten Gen nachweisbar ist. Dem fKRK liegen vermutlich mono-, poly- sowie epigenetische Ursachen und Veränderungen im Mikrobiom zugrunde, deren Risiko, wie bei den anderen Formen, durch Umwelt- und Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität und Gewicht etc. moduliert wird (6). Eine erbliche Form des KRK liegt bei einer positiven Familienanamnese nur selten vor, Angehörige betroffener Familien haben ein hohes Erkrankungsrisiko (2). Zu den erblichen (hereditären) Formen zählen insbesondere das eKRK ohne Polypose («nonpolyposis colorectal cancer», HNPCC, heute Lynch-Syndrom [LS] genannt) und verschiedene Polypose-Syndrome (siehe unten).

In der Schweiz ist die Darmkrebsvorsorge für Erwachsene zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr mit normalem Erkrankungsrisiko mittels Koloskopie alle 10 Jahre oder durch quantitativen immunologischen Nachweis von okkultem Blut im Stuhl (FIT Test) alle zwei im Krankenversicherungsgesetz anerkannt. Die meisten Kantone führen ein organisiertes Screening-Programm durch. Dadurch werden vermehrt Personen erfasst und untersucht, welche über eine positive Familienanamnese für das KRK berichten. Diverse Fachgesellschaften empfehlen für Angehörige betroffener Familien eine intensivierte Vorsorge (7, 8, 9, 10). Für die Teilnahme an der Vorsorge müssen individuelle Vor- und Nachteile, aber auch gesellschaftliche Faktoren wie Kosten, limitierte personelle Ressourcen etc. berücksichtigt werden. Eine möglichst gute Einschätzung des Erkrankungsrisikos kann das Nutzen-Risiko-Verhältnis der ggf. intensivierten Vorsorge optimieren (11).
Es handelt sich hier um Empfehlungen im Sinne eines sog. Expert Opinion Statement. Diese ersten Schweizer Empfehlungen für das Vorgehen bei einer für das KRK positiven Familienanamnese sollen im klinischen Alltag als pragmatische Grundlage für die Planung der Vorsorge und Überwachung sowie der humangenetischen Beratung dienen. Im Rahmen eines mehrstufigen interdisziplinären Prozesses wurde dieses «Expert Opinion Statement» im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie durch die von den beteiligten Fachgesellschaften benannten Fachleute erarbeitet und repräsentiert eine schweizerische Perspektive. Deren Anwendbarkeit soll im Einzelfall geprüft und der individuellen Situation der Patientinnen und Patienten unter Berücksichtigung der gesamten klinischen Situation angepasst werden. Daten aus randomisierten kontrollierten Studien gibt es kaum, d.h., die verfügbare Evidenz für diese Empfehlungen ist von moderater, teilweise auch nur niedriger Evidenz.

Familiärer Darmkrebs

Allgemein

Rund 20–30 % aller Patienten mit einem KRK haben Verwandte mit dem gleichen Tumorleiden, wobei in rund der Hälfte ein Familienmitglied ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) betroffen ist (2). Beim fKRK finden sich oft mehrere, manchmal auch vor dem 50. Lebensjahr erkrankte Angehörige. Exom-Sequenzierungen bei mehr als 3000 Patienten mit einem fKRK konnten in ca. 16 % eine pathogene Keimbahnvariante in einem der bislang bekannten Prädispositionsgene identifizieren (12).

Das fKRK ist eine heterogene Gruppe, deren relative Risikoerhöhung durch den Verwandtschaftsgrad, die Anzahl betroffener Familienmitglieder und deren Erkrankungsalter beeinflusst wird (13, 14). Gemäss Beobachtungsstudien ist das Erkrankungsrisiko für Personen betroffener Familien etwa 2–6-fach erhöht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (4). Beim Entscheid für das Screening soll auch das absolute Erkrankungsrisiko berücksichtigt werden (14, 15). Anhand der oben erwähnten Zahlen für die Schweiz ergibt sich ein Lebenszeitrisiko etwa zwischen 8 und 20 %. Am höchsten ist das Risiko, wenn Familienmitglieder mit Verwandtschaft im 1. Grad eine KRK-Diagnose hatten und die Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr aufgetreten ist (13, 14).

Die möglichst gute Abschätzung der Risikoerhöhung durch eine detaillierte Erhebung der Familienanamnese ist demnach für die weitere Planung einer sinnvollen und ggf. intensivierten Vorsorgestrategie (welche Methode ab welchem Alter, Häufigkeit der Testung) der gesunden Familienmitglieder wichtig. Allerdings ist die Familienanamnese für das KRK und Polypen nur beschränkt zuverlässig, da diese den Angehörigen oft nicht oder nur unvollständig bekannt ist (16). Hinzu kommt, dass Familien heutzutage immer kleiner werden, was die Erkennung eines hereditären Syndroms erschweren kann. Die Familienanamnese verändert sich mit der Zeit, daher soll diese periodisch neu erhoben werden.

Vorsorge

Die bestehenden Richtlinien basieren auf der aktuell verfügbaren Literatur. Evidenz aus prospektiven randomisierten Studien gibt es nicht, die zugrunde liegenden Daten stammen aus Beobachtungsstudien, deren Qualität höchstens moderat ist und Spielraum für unterschiedliche Interpretationen zulässt. Grundlage für die Anwendung einer fKRK-Screening-Strategie ist, dass eine erbliche Form eines KRK weitgehend ausgeschlossen oder sehr unwahrscheinlich ist (siehe Kapitel: Erblicher Darmkrebs). Wie erwähnt, ist das Erkrankungsrisiko beim fKRK sehr variabel. Da Familienangehörige im Verwandtschaftsgrad 2 (Enkel/-in, Grosseltern, Onkel/Tante) kaum und weiter entfernte Verwandte kein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, empfehlen die meisten Fachgesellschaften bei dieser Konstellation keine intensivierte Vorsorge, sondern die Teilnahme an den lokalen Screening-Programmen für Personen mit Durchschnittsrisiko. Da hingegen Personen im Verwandtschaftsgrad 1 ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöhtes Darmkrebsrisiko haben, erscheint für diese Personen eine intensivierte Vorsorge gerechtfertigt, auch wenn der protektive Effekt der Screening-Koloskopie in dieser Gruppe nur durch wenige Beobachtungsstudien untermauert ist (17, 18).

Je jünger die betroffene Person bei der Darmkrebsdiagnose war, umso höher ist das Risiko für Angehörige im Verwandtschaftsgrad 1 (14). Die Kriterien für die Klassifikation eines gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhten KRK-Risikos sind bei den verschiedenen Fachgesellschaften sehr unterschiedlich. Historisch von Bedeutung waren die Amsterdam-Kriterien I (1991) bzw. II (1999), die zur Identifikation der dem Lynch-Syndrom (LS) zugrunde liegenden Gene bzw. der Erfassung von LS-Patient/-innen entwickelt wurden, sowie die revidierten Bethesda-Guidelines (2004), die mittels Untersuchung der Mikrosatelliteninstabilität im Tumor die Sensitivität weiter erhöht haben (für eine Kriterienzusammenstellung s. a. Jasperson et al., 2010) (2). Die Guidelines der «U.S. Multi-Society Task Force on Colorectal Cancer» (USMSTF) empfehlen eine intensivierte Vorsorge generell, wenn eine Person mit Verwandtschaftsgrad 1 ein KRK hatte, d.h. unabhängig vom Erkrankungsalter (7). Die «European Society of Gastrointestinal Endoscopy» (ESGE) und die «British Society of Gastroenterology» (BSG) empfehlen eine intensivierte Vorsorge bei nur einer betroffenen Person im Verwandtschaftsgrad 1, wenn deren Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr auftrat, das «Cancer Council Australia» (CCA) bei Manifestation des KRK vor dem 60. Lebensjahr (Tab. 1) (8, 9, 10). Sind hingegen zwei Personen im Verwandtschaftsgrad 1 an einem KRK erkrankt, dann schlagen die meisten Fachgesellschaften eine intensivierte Vorsorge unabhängig von deren Erkrankungsalter vor.

Es bestehen zwischen den verschiedenen Fachgesellschaften nicht nur verschiedene Definitionen zur Rechtfertigung der intensivierten Vorsorge, sondern auch unterschiedliche Vorgehensweisen, ab welchem Alter und mit welcher Häufigkeit die Vorsorge erfolgen soll (7, 8, 9, 10). Wie in Tab. 1 dargestellt, variiert der Beginn der Vorsorge bei fKRK je nach Fachgesellschaft zwischen 40 und 55 Jahren. Wenn eine intensivierte Vorsorge empfohlen ist, dann soll diese mittels Koloskopie erfolgen (10). Wenn die Koloskopie abgelehnt wird oder nicht durchführbar ist, dann kann alternativ die Vorsorge mit FIT Test erfolgen, vorzugsweise jährlich (19). Das weitere Vorgehen richtet sich nach der Konstellation der Familienanamnese (Tab. 1), dem Befund der Erstkoloskopie bzw. nach endoskopischer Entfernung von Polypen entsprechend den Richtlinien der verschiedenen Fachgesellschaften zur Nachsorge nach Polypektomie (20). Eine kürzlich publizierte Übersichtsarbeit fasst die Guidelines dieser und weiterer Fachgesellschaften zusammen und stellt die Divergenzen dar (21).

Nur wenige Studien haben untersucht, ob nach endoskopischer Polypektomie das Risiko für metachrone Polypen höher ist bei positiver KRK-Familienanamnese im Vergleich zu unauffälliger Familiengeschichte. Für die Entwicklung von adenomatösen Polypen (AP) konnte dies gezeigt werden, dabei war die Risikoerhöhung etwa gleich hoch für metachrone fortgeschrittene wie nicht fortgeschrittene AP. Die Risikoerhöhung war grösser für jüngere (< 50) im Vergleich mit älteren Personen und wenn mindestens zwei erstgradig Verwandte ein KRK hatten (22, 23). Die ESGE und BSG empfehlen dennoch die gleichen Überwachungsintervalle nach endoskopischer Polypenentfernung für Personen mit positiver KRK-Familienanamnese wie für Personen mit Durchschnittsrisiko.

Empfehlungen

Anhand der aktuellen Datenlage und der Guidelines anderer Fachgesellschaften empfehlen wir das intensivierte Screening mittels Koloskopie alle 5 Jahre ab Alter 40 für Personen, bei denen ein Familienangehöriger im Verwandtschaftsgrad 1 vor dem 60. Lebensjahr an einem KRK erkrankt ist, für Personen mit zwei oder mehr betroffenen Angehörigen derselben Familienseite im Verwandtschaftsgrad 1, unabhängig von deren Erkrankungsalter, sowie für Personen, bei denen ein Familienangehöriger im Verwandtschaftsgrad 1 und zusätzlich mindestens zwei Angehörige mit Verwandtschaftsgrad 2 betroffen sind. Die Nachsorge nach koloskopischer Polypektomie kann entsprechend den revidierten schweizerischen Konsensusempfehlungen erfolgen bzw. im Einzelfall, möglicherweise bei jüngeren Betroffenen, verkürzt werden (20).

Nebst dem möglichst sicheren Ausschluss einer erblichen Form eines KRK beim Indexpatienten ist die hohe Qualität der Erstkoloskopie Voraussetzung für die Anwendung dieser Empfehlungen. Die Koloskopie soll mit High-definition-Auflösung erfolgen, hingegen gibt es keine Evidenz für den Nutzen der generellen Anwendung der Chromoendoskopie (8). Letztlich sei erwähnt, dass Angehörige von Familien mit irgendeiner Form des familiären Auftretens eines KRK auf die Relevanz der Primärprävention hingewiesen werden sollen (normaler BMI, nicht rauchen, regelmässige körperliche Aktivität, moderater Konsum von rotem und prozessiertem Fleisch sowie Alkohol) (24).

Verwandte von Patienten mit ­kolorektalen Polypen

Nur wenige Fachgesellschaften haben Guidelines zur Gestaltung der Vorsorge bei Familienangehörigen von Personen mit gutartigen kolorektalen Polypen publiziert. Die verfügbare Datenlage hierzu ist kontrovers (25, 26). Die Risikoerhöhung für das Auftreten eines KRK scheint abhängig vom Alter des betroffenen Familienmitgliedes zu sein und ob bei diesem nicht fortgeschrittene oder fortgeschrittene Polypen vorgelegen haben. Eine intensivierte Vorsorge wird nur empfohlen, wenn bei einem Verwandten im Verwandtschaftsgrad 1 fortgeschrittene AP abgetragen wurden (fortgeschrittene AP: ≥ 10 mm oder Nachweis von hochgradiger Dysplasie oder ≥ 5 AP unabhängig von Grösse und Dysplasiegrad; fortgeschrittene serratierte Polypen (SP): ≥ 10 mm oder Nachweis irgendeiner Dysplasie oder ≥ 5 SP unabhängig von Grösse und Dysplasie, traditionell serratierte Adenome unabhängig von Grösse und Dysplasie). Ist die Histologie der entfernten Polypen nicht bekannt, dann wird von einem nicht fortgeschrittenen Polypen ausgegangen und keine intensivierte Vorsorge empfohlen. Weitgehend unklar ist die Datenlage nach Abtragung von fortgeschrittenen SP: hier empfiehlt die USMSTF das gleiche Vorgehen wie bei fortgeschrittenen AP, während mehrere andere Fachgesellschaften hierzu keine spezifischen Empfehlungen abgeben (7, 8, 9, 10). Demgegenüber ergab eine grosse schwedische Studie ein erhöhtes KRK-Risiko für erstgradige Verwandte von Familienmitgliedern mit kolorektalen Polypen, und zwar unabhängig von deren Histologie (27). Dabei zeigte sich vor allem ein zunehmendes Risiko für das Auftreten eines KRK vor dem 50. Lebensjahr, wenn mehrere Familienmitglieder Polypen hatten und je jünger deren Manifestationsalter war. Sollten sich diese Daten bestätigen, dann wird möglicherweise in Zukunft eine intensivierte Vorsorge bei einer positiven Familienanamnese für Polypen empfohlen, sofern mindestens zwei Familienangehörige im Verwandtschaftsgrad 1 Polypen vor dem 50. Lebensjahr hatten, unabhängig von deren Histologie, welche oft nicht verfügbar ist.

Empfehlungen

Anhand der derzeit verfügbaren Datenlage und den Guidelines anderer Fachgesellschaften empfehlen wir das Screening mittels Koloskopie alle 5–10 Jahre ab Alter 40 für Personen mit einem Familienangehörigen im Verwandtschaftsgrad 1, bei dem vor dem 50. Lebensjahr ein dokumentierter fortgeschrittener Polyp (AP oder SP) abgetragen wurde. Anhand der derzeitigen Datenlage können keine Empfehlungen gemacht werden bei einer anderweitig positiven Familienanamnese für kolorektale Polypen.

Serratiertes Polypose-Syndrom

Das serratierte Polypose-Syndrom (SPS) ist das häufigste kolorektale Polypose-Syndrom mit einer Prävalenz von etwa 1:240 (28). Eine 2022 publizierte Metaanalyse berichtete über ein KRK-Risiko für SPS-Patienten von 20 % (29). Die Mehrheit der Karzinome wurde zum Zeitpunkt der SPS-Diagnose gestellt, das Karzinomrisiko während der Überwachung lag bei knapp 3 %. Die dem SPS zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind weitgehend unbekannt, das SPS ist daher klinisch definiert: (i) ≥ 5 serratierte Polypen (SP) proximal des Rektums, alle ≥ 5 mm, zwei dieser Polypen müssen ≥ 10 mm sein; (ii) > 20 serratierte Polypen unabhängig von deren Grösse, ≥ 5 dieser Polypen müssen proximal des Rektums sein. Die Anzahl Polypen wird kumulativ über mehrere Koloskopien berechnet und umfasst alle SP-Subtypen (29). Auch wenn kein erbliches Syndrom im engeren Sinne vorliegt, haben erstgradige Verwandte von Patienten mit SPS ein etwa 5-fach erhöhtes KRK-Risiko (30).

Die Überwachung von SPS-Patienten mittels Koloskopie kann alle 1–2 Jahre erfolgen (9). Einige Fachgesellschaften empfehlen zunächst eine Clearing-Phase mit Entfernung aller Polypen (ausser HP < 5 mm), gefolgt von jährlicher Überwachung bei mindestens einem fortgeschrittenen Polypen (Adenom oder serratierter Polyp) oder ≥ 5 nicht fortgeschrittenen Polypen bzw. 2-jährlicher Überwachung ohne Nachweis einer solchen Konstellation (31, 32). Für Verwandte im ersten Verwandtschaftsgrad von SPS-Patienten kann eine koloskopische Überwachung alle 5 Jahre ab Alter 40–45 (oder SPS-Manifestationsalter des erstgradig Verwandten oder 10 Jahre früher als dessen Erkrankungsalter) erfolgen (9, 33).

Empfehlung

Anhand der derzeit verfügbaren Datenlage schlagen wir das genannte Phänotyp-abhängige Vorgehen mit einer Clearing-Phase gefolgt von 2-jährlichen Koloskopien vor, sofern keine fortgeschrittenen und weniger als 5 Polypen vorliegen (grössenunabhängig, alle Subtypen). Falls dies jedoch der Fall ist, dann soll die koloskopische Kontrolle jährlich erfolgen.

Familiäres Kolorektales Karzinom Typ X

Diese Entität umfasst die rund 40 % Patienten mit klinischem Verdacht auf das Vorliegen eines LS (3 Verwandte im Verwandtschaftsgrad 1 mit KRK, 2 Generationen betroffen), ohne dass eine MMR-Defizienz oder Mutation in einem der MMR-Gene nachweisbar ist. Das Karzinomrisiko in dieser Gruppe beschränkt sich auf das Kolorektum und ist kleiner als beim LS und Lynch-like Syndrom (LLS) (34), sodass meist eine Koloskopie alle 3–5 Jahre ab Alter 40 (oder 10 Jahre früher als das jüngste Manifestationsalter innerhalb der Familie) vorgeschlagen wird (9, 35).

Empfehlung

Anhand der aktuellen Datenlage und der Guidelines anderer Fachgesellschaften schlagen wir folgendes Screening vor: Koloskopie alle 3–5 Jahre ab Alter 40 oder 10 Jahre früher als das Erkrankungsalter des jüngsten betroffenen Familienmitgliedes.

Erblicher Darmkrebs

Beim erblichen KRK kann zwischen Darmkrebs ohne vorbestehende Kolon-Polypose («nonpolyposis colorectal cancer») und den Polypose-Erkrankungen unterschieden werden (Tab. 2), bei letzteren zudem nach der vorherrschenden Polypenart. Wie aus Tab. 2 ersichtlich, beschränkt sich die erhöhte Tumoranfälligkeit meist nicht nur auf ein einzelnes Organsystem wie das Kolorektum. Oft zeigen sich sowohl inter- wie intrafamiliär phänotypische Unterschiede, denen wohl komplexe Interaktionen zwischen genspezifischen Unterschieden sowie Umwelt- und Lifestyle-Faktoren zugrunde liegen (36).

Lynch-Syndrom

Mit einer Prävalenz von ca. 1 auf 279 Personen stellt das autosomal-dominant erbliche LS die weltweit häufigste Tumorveranlagung dar (37). Rund 3 % aller KRK entstehen auf dem Boden einer LS-Veranlagung, bei der pathogene Keimbahnvarianten in den MMR-Genen MLH1, MSH2/EPCAM, MSH6 und PMS2 zugrunde liegen. Die daraus resultierende MMR-Defizienz lässt sich im Tumorgewebe indirekt in Form einer Mikrosatelliteninstabilität (MSI) bzw. dem Verlust der MMR-Proteinexpression nachweisen.

Prospektive Studien konnten ausgeprägte genspezifische Unterschiede für Tumorerkrankungen bei Personen mit nachgewiesener LS-Veranlagung aufzeigen: So beträgt das Lebenszeitrisiko für das KRK bei MLH1- und MSH2-Träger/-innen ca. 42–53 % und wird im Mittel um das 44. Lebensjahr diagnostiziert; MSH6- und PMS2-Träger/-innen entwickeln «lediglich» in ca. 3–20 % ein KRK erst mit 42–69 (MSH6) bzw. 61–66 Jahren (PMS2) (38, 39). Ähnlich verhält es sich mit anderen LS-assoziierten, extrakolonischen Tumorerkrankungen wie Endometrium- (MSH2, MSH6, MLH1: ca. 35–46 %; PMS2: ca. 13 %), Ovarial- (MSH2, MLH1, MSH6: ca. 11–17 %; PMS2: ca. 3 %) und Magen-/Dünndarmkarzinom (MSH2, MLH1: ca. 8–16 %; MSH6, PMS2: ca. 2–4 %) (40). Aufgrund dieser Unterschiede haben mehrere Fachgesellschaften ihre Empfehlungen für gynäkologische und gastroenterologische Vorsorgeuntersuchungen genspezifisch angepasst (Tab. 3) (41).

Bei Darmkrebspatienten und zur Vorsorgekoloskopie erscheinenden Personen mit positiver Familienanamnese für das KRK soll bei folgenden klinischen Konstellationen an ein LS gedacht werden: Darmkrebsdiagnose vor dem 50. Lebensjahr, syn- oder metachrone LS-assoziierte Tumoren unabhängig vom Erkrankungsalter, ein Angehöriger 1. oder 2. Grades mit vor dem 50. Lebensjahr diagnostiziertem, LS-assoziiertem Tumor bzw. 2 oder mehr Angehörige mit LS-assoziierten Tumoren unabhängig vom Erkrankungsalter. Weiter sollte eine genetische Abklärung bei Vorliegen einer auffälligen Familienanamnese, wie oben erwähnt, oder am Tumorgewebe nachgewiesener MMR-Defizienz oder somatischen MMR-Genalterationen in Betracht gezogen werden (37). Auch bei Vorliegen einer Lynch-Syndrom verdächtigen Klinik und im Tumor erhaltener MMR-Funktion sollte eine Abklärung der MMR-Gene in der Keimbahn diskutiert werden, da die diagnostische Sensitivität der erwähnten indirekten Methoden nur bei ca. 90 % liegt (42).
Immuncheckpoint-Inhibitoren werden heutzutage oft in der Behandlung von MMR-defizienten soliden Tumoren eingesetzt und daher alle neu diagnostizierten KRK (und zunehmend auch weitere Krebsarten) auf ihre MMR-Funktion überprüft. Dies ist nicht nur von grosser Bedeutung für die bessere Erfassung von LS-Patient/-innen, sondern eröffnet zudem neue Therapieoptionen bei ca. 10–15 % der Patient/-innen mit sporadischem MMR-defizientem KRK (43).

Die KRK-Vorsorge wird von verschiedenen Fachgesellschaften für Träger/-innen einer MLH1- oder MSH2-Mutation ab Alter 25 und bei MSH6- oder PMS2-Mutation ab Alter 35 empfohlen (Tab. 3). Die Vorsorge wird generell mittels Koloskopie und bei MLH1- oder MSH2-Trägerschaft alle 1–3 Jahre empfohlen, bei Mutation im MSH6-Gen alle 2–3 Jahre und bei einer Mutation im PMS2-Gen alle 5 Jahre. Prospektive erhobene Daten einer europäischen Studie zeigten hinsichtlich Inzidenz und Tumorstadium keinen Benefit bei jährlicher Koloskopie gegenüber einem weniger strikten Überwachungsprotokoll (44). Trotz Überwachung erreichte in dieser Studie die kumulative KRK-10-Jahresinzidenz bis zu 18 %. Dies bedeutet, dass durch die koloskopische Surveillance mit Polypektomie das KRK nicht immer verhindert, aber oft früher erkannt werden kann, mit entsprechend besserer Prognose. Die Gründe hierfür sind noch nicht vollständig geklärt (45). Gute Evidenz für den Nutzen einer regelmässigen Überwachung zur Senkung der Inzidenz und Mortalität von Karzinomen des Magens, Dünndarmes und Pankreas gibt es nicht.

Dementsprechend wird die Überwachung des oberen Gastrointestinaltraktes von den meisten Fachgesellschaften nicht routinemässig, sondern nur bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren (familiäres Auftreten von Magenkarzinomen, Regionen mit hoher Inzidenz für Magenkrebs) empfohlen, meist ab Alter 30. Vorsorgeuntersuchungen für den Dünndarm und das Pankreas werden ebenso nicht generell, sondern nur auf individueller Basis empfohlen, bspw. bei (mehrfachem) familiärem Auftreten von Karzinomen in den entsprechenden Organen.

Empfehlungen

Anhand der aktuellen Datenlage und der Guidelines anderer Fachgesellschaften schlagen wir folgendes Screening vor (Tab. 3): Koloskopische Überwachung geschlechtsunabhängig alle 2 Jahre bei MLH1- oder MSH2-Mutation ab Alter 25, bei MSH6 ab Alter 35 alle 2–3 Jahre und bei PMS2-­Mutation ab Alter 35 alle 5 Jahre. Beginn der Überwachung in allen Fällen wenigstens 5 Jahre früher als das Erkrankungsalter des jüngsten betroffenen Familienmitgliedes. Anpassung der Überwachung an den kolorektalen Phänotyp (Nachweis fortgeschrittener Polypen), zudem vorzeitige Untersuchung bei Auftreten von Symptomen. Obere Panendoskopie in Abhängigkeit des familiären Phänotyps (positive Familienanamnese für das Magenkarzinom). Wir empfehlen eine Helicobacter-Pylori-Diagnostik mit ggf. Era­dikation. Den Patient/-innen soll ein gesunder Lebensstil empfohlen werden (wie die Vermeidung von Übergewicht, regelmässige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung) (46).

Fortschritte in der Labordiagnostik und die Fortsetzung der prospektiven Datenerhebung in internationalen Konsortien wie der Prospective Lynch Syndrome Database (PLSD) (47) werden zu weiteren, klinisch relevanten Genotyp-Phänotyp-Korrelationen führen, welche Anpassungen des Screenings gastrointestinaler und anderer Organe erfordern. Daher sind in Tab. 2 diverse Webadressen aufgelistet, um sich nach den aktuellsten Vorsorgeuntersuchungen zu informieren. Der Vollständigkeit halber sei noch das autosomal-rezessiv erbliche, konstitutionelle Mismatch-Reparatur-Defizienz-Syndrom (CMMRD) erwähnt, eine seltene Krebsveranlagung des Kindesalters, die v. a. mit malignen hämatologischen, gastrointestinalen und ZNS-Tumoren einhergeht (40).

Lynch-like Syndrom

Das LLS beschreibt Personen mit MMR-defizientem KRK oder anderen LS-assoziierten Tumoren, ohne dass eine Keimbahnmutation in einem MMR-Gen nachweisbar ist (48). Da die Mehrheit aller KRK mit MSI nicht im Rahmen eines LS, sondern sporadisch als Folge einer Hypermethylierung im MLH1-Promoter auftreten, soll diese molekulare Aberration ausgeschlossen werden. Ist dies der Fall, dann ist in 50–70 % der Fälle die MMR-Defizienz durch (sporadisch aufgetretene) biallelische somatische MMR-Genmutationen erklärt. Um Betroffene und deren Verwandte nicht durch unnötige Überwachungen zu belasten, soll daher auch diese Konstellation im Labor ausgeschlossen werden (49, 50). Das KRK-Risiko in betroffenen Familien scheint kleiner als bei nachgewiesenem LS, aber höher als beim fKRK zu sein (34, 51). Die Datenlage zum wenig verstandenen LLS ist dürftig, vorgeschlagen wird beispielsweise die Überwachung mittels Koloskopie alle 2–3 Jahre für Betroffene und deren Verwandte im Verwandtschaftsgrad 1 ab Alter 25 bzw. in Abhängigkeit von der Familienanamnese (9, 52).

Empfehlung

Anhand der limitierten Evidenz können keine Empfehlungen gegeben werden. Die Überwachung soll individuell unter Berücksichtigung der Familienanamnese und des Phänotyps des/der betroffenen Patient/-in festgelegt werden.

Adenomatöse Polyposen

Die im Vergleich zum Lynch-Syndrom deutlich selteneren adenomatösen Polyposen-Syndrome sind für ca. 1 % der KRK insgesamt bzw. ca. 2 % aller vor dem 50. Lebensjahr diagnostizierten KRK verantwortlich. Diagnostisch unproblematisch ist die «klassische» Ausprägung mit Hunderten bis hin zu Tausenden von gastrointestinalen Adenomen (53). In bis zu einem Drittel liegt beim klassischen Phänotyp keine positive Familienanamnese vor, sodass von einer Neumutation ausgegangen wird. Liegen weniger als 100 Adenome vor, handelt es sich um eine attenuierte Polypose-Form, die genetisch heterogen ist und sowohl dem autosomal-dominanten (APC, POLD1, POLE) als auch dem autosomal-rezessiven Erbgang (MUTYH, NTHL1, MSH3, MBD4 u. a.) folgen kann.

Eine genetische Abklärung ist zu diskutieren, wenn bei einer Person kumulativ mindestens 10–20 Adenome nachgewiesen wurden. Wie Terlouw et al. gezeigt haben, liegt die Detektionswahrscheinlichkeit für pathogene APC- oder MUTYH-Varianten über 10 %, wenn bei einer Person vor dem 60. Lebensjahr kumulativ mehr als 10 bzw. vor dem 70. Lebensjahr mehr als 20 adenomatöse Polypen gefunden wurden (54). Weiter können das Vorliegen extrakolonischer Tumormanifestationen, wie z.B. Desmoid-Tumoren, multiple Osteome u. a., und eine auffällige Familiengeschichte (Angehöriger 1. Grades mit > 10 Adenomen) zusätzliche Hinweise auf eine hereditäre Polypose liefern. Das Risiko für die Entwicklung eines KRK nimmt bei der klassischen APC-bedingten familiären adenomatösen Polypose (FAP) bereits anfangs der zweiten Lebensdekade zu und erreicht ein Lebenszeitrisiko von beinahe 100 %. Bei Vorliegen der attenuierten Form (AFAP) treten Neoplasien etwas später und vor allem im rechten Hemikolon auf, das KRK-Risiko beträgt ca. 70 % (55, 56). Bei beiden Formen treten auch gehäuft Karzinome im oberen Gastrointestinaltrakt auf, im Bereich von Duodenum/Papilla Vateri in ca. 4–12 % und im Magen in ca. 1 %.

Die meisten Fachgesellschaften empfehlen bei nachgewiesener Trägerschaft einer autosomal-dominant erblichen APC-bedingten Kolonpolypose die 1–2-jährliche koloskopische Überwachung bei der klassischen Form ab dem Beginn und bei der attenuierten FAP (AFAP) ab dem Ende der zweiten Lebensdekade.

Bei den meisten Patienten mit APC-bedingter Polypose, besonders der klassischen Form (bis 90 %), finden sich im Magen zahlreiche Drüsenkörperzysten, Adenome sind weniger häufig, scheinen aber klinisch relevanter zu sein wegen des Risikos einer malignen Transformation. Die Strategien zur Überwachung im oberen Gastrointestinaltrakt bei FAP bzw. AFAP sind heterogen. Bei der klassischen Form wird eine obere Endoskopie mit Darstellung der Papilla Vateri ab dem 20.–25. Lebensjahr vorgeschlagen mit befundabhängiger (Spigelman-Klassifikation, Phänotyp im Magen) Wiederholung alle 6 Monate bis 5 Jahre. Da Träger/-innen einer pathogenen APC-Variante, die hinter APC-Kodon 1395 liegt, ein erhöhtes Lebenszeitrisiko (ca. 10–24 %) für Desmoid-Tumoren aufweisen, sollten bei diesen Personen mehrstufige Operationen vermieden und klinisch ein besonderes Augenmerk auf entsprechende abdominale Symptome gelegt werden, mit ggf. bildgebender Abklärung mittels MRI oder CT.

Bei der autosomal-rezessiven MUTYH-bedingten attenuierten Form der adenomatösen Polypose (MAP) liegt das Lebenszeitrisiko für ein KRK bei ca. 80 %, für ein Karzinom im Duodenum bei ca. 4 % und im Magen bei ca. 1 %. Wie bei der APC-assoziierten Form der attenuierten Polypose steigt das KRK-Risiko erst gegen Ende der zweiten Lebensdekade an, und auch die MAP manifestiert sich vor allem im rechten Hemikolon, dabei können nebst AP auch SP vorliegen. Dementsprechend empfehlen die meisten internationalen Fachgesellschaften für die Überwachung des Kolorektums bei MAP (nachgewiesene biallelische MUTYH-Träger/-innen), sofern die persönliche bzw. die Familienanamnese nicht auf einen besonderen Phänotyp hinweist, 1–2-jährliche Koloskopien ab dem 18.–20. Lebensjahr. Eine obere Endoskopie mit Darstellung der Papilla Vateri wird ab der 3. Dekade vorgeschlagen, wiederum befundabhängig alle 6 Monate bis 5 Jahre. Kontrovers wird derzeit diskutiert, ob monoallelische (heterozygote) MUTYH-Träger/-innen ein (etwa 2-fach) erhöhtes KRK-Risiko tragen. Teilweise wird empfohlen, ab dem 40. Lebensjahr etwa alle 5 Jahre eine Koloskopie durchzuführen, insbesondere wenn in der Familie ein erstgradig Verwandter an einem KRK erkrankte.

Empfehlungen

Anhand der aktuellen Datenlage und der Guidelines anderer Fachgesellschaften schlagen wir folgendes Screening vor (Tab. 3): Koloskopie alle 1–2 Jahre ab Alter 12–14 bei klassischer FAP, bei AFAP und MAP ab Alter 18–20. Gastroskopie mit Darstellung der Papilla Vateri alle 1–5 Jahre ab Alter 25. Anpassung der endoskopischen Überwachung des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes an den Phänotyp und bei Auftreten von Symptomen. Bei Status nach Operation soll das Restrektum oder der Pouch ca. alle 6–12 Monate endoskopisch kontrolliert werden. In den letzten 20 Jahren wurden weitere, sehr seltene Non- bzw. Polypose-Formen entdeckt, die mit einem erhöhtem Risiko für das KRK und oft auch für extrakolonische Tumore einhergehen (Tab. 2). Aufgrund der Seltenheit wird in dieser Arbeit nicht näher auf diese eingegangen.

Genetische Beratung und Abklärung

Bei ca. 13 % (9 %–26 %) der KRK-Patient/-innen, deren Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr diagnostiziert wurde, lässt sich eine pathogene Keimbahnvariante in einem der 17 bislang bekannten Gene identifizieren (57), was von klinischer Relevanz sein kann. Das frühzeitige Erkennen einer erblichen Darmkrebserkrankung hat dabei nicht nur Konsequenzen für das chirurgisch-onkologische Vorgehen und die Gestaltung der Nach- bzw. Vorsorge beim Betroffenen, sondern ist auch von essenzieller Bedeutung für dessen gesunde Familienangehörige. So ermöglicht dies in der Folge auch den Angehörigen (u. a. Eltern, Geschwister, Kinder meist erst ab 18. Lebensjahr), sich nach entsprechender genetischer Beratung und angemessener Bedenkzeit prädiktiv auf Trägerschaft testen zu lassen (Trägerwahrscheinlichkeit bei Verwandten 1. Grades: 25 % bzw. 50 %) und so für sich die Notwendigkeit regelmässiger Krebsvorsorgeuntersuchungen zu klären.

Die Kosten einer molekulargenetischen Abklärung von 1–10 Genen belaufen sich auf ca. CHF 3 000 – 4 000.– und sind als Pflichtleistungen in der Analysenliste (Anhang 3 der Krankenpflege-Leistungsverordnung) entweder spezifisch (Lynch-Syndrom, APC-bedingte Polypose) oder in genereller Form als «Seltene erbliche Tumorkrankheiten» aufgeführt. Für Letztere sollte zur Sicherung der Kostenbeteiligung vorgängig ein sog. Orphan Disease-Antrag beim vertrauensärztlichen Dienst des Krankenversicherers eingereicht werden (Antragsformular: https://sgmg.ch/de/fachthemen#fachthemen-dokumente).

Vor Veranlassung einer diagnostischen genetischen Abklärung bedarf es, wie im Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) festgehalten, einer hinreichenden Aufklärung, die der/die auftraggebende Arzt/Ärztin entweder selbst durchführt oder eine genetische Beratung veranlasst, sowie der Zustimmung des Patienten bzw. der Patientin.
Vor und nach einer präsymptomatischen (prädiktiven) genetischen Testung ist eine fachkundige genetische Beratung gesetzlich vorgeschrieben, in der nicht nur auf Aussagekraft, Grenzen und medizinische Konsequenzen einer Tragertestung bzw. dem Verzicht darauf eingegangen wird, sondern auch psychosoziale und (versicherungs)rechtliche Aspekte diskutiert werden. Die Trägertestung beläuft sich auf ca. CHF 400.– und stellt, mit Ausnahme von Lynch-Syndrom und APC-bedingter Polypose, keine Pflichtleistung der Krankenversicherer dar.

Chemoprävention

In diversen Labor- und klinischen Studien konnte ein protektiver Effekt diverser Substanzen (NSAR, Statine, Vitamine etc.) auf die Entstehung und Progression kolorektaler Neoplasien nachgewiesen werden (58). So zeigte sich für die am besten untersuchte Medikamentengruppe, NSAR inkl. Aspirin, dass bei FAP-Patienten die Anzahl und Grösse von Polypen und bei Patienten mit Lynch-Syndrom das KRK-Risiko gesenkt werden kann. In der CAPP-2-Studie wurde das KRK-Risiko nach rund 10 Jahren durch die Einnahme von 600 mg Aspirin täglich im Vergleich zu Placebo um rund 35 % gesenkt (59). Verschiedene Aspekte wie die optimale Dosierung und Dauer der Chemoprävention mit Aspirin sind aber noch ungenügend geklärt. Dementsprechend unterstützen einige Fachgesellschaften die prophylaktische Aspirin-Einnahme bei LS, während andere keine Stellungnahme abgeben. Risiko und Benefit müssen daher individuell abgeschätzt und auch im Rahmen allfälliger Komorbiditäten und des Alters beurteilt werden.



Abkürzungen
AFAP  Attenuierte familiäre adenomatöse Polypose
AP  Adenomatöser Polyp
BSG  British Society of Gastroenterology
CCA  Cancer Council Australia
eKRK  Erbliches kolorektales Karzinom
FAP  Familiäre adenomatöse Polypose
FDR  First-degree Relatives
FIT  Test Immunologischer Test auf okkultes Blut im Stuhl
fKRK  Familiäres kolorektales Karzinom
ESGE  European Society of Gastrointestinal Endoscopy
HNPCC  Hereditary Nonpolyposis Colorectal Cancer
HP  Hyperplastischer Polyp
KRK  Kolorektales Karzinom
LLS  Lynch-like Syndrom
LS  Lynch-Syndrom
MAP  MUTYH-assoziierte Polypose
MMR  Mismatch Repair
SP  Serratierter Polyp
SPS  Serratiertes Polypose-Syndrom
USMSTF  U. S. Multi-Society Task Force


Disclaimer
Diese Empfehlungen müssen in der Zukunft überarbeitet und angepasst werden, abhängig von neuen Studiendaten und techno­logischen Möglichkeiten sowie basierend auf Erfahrungen im klinischen Alltag. Diese Empfehlungen sollen als Orientierung in der klinischen Praxis dienen und nicht als universell gültige Regeln angewendet werden. Die klinische Situation kann eine Abweichung von den vorgeschlagenen Empfehlungen erfordern.

PD Dr. med. Kaspar Truninger

Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100, 8091 Zürich

k.truninger@hin.ch

Prof. Dr. med. Dr. phil. II Karl Heinimann

Institut für Medizinische Genetik und Pathologie Universitätsspital Basel
Schönbeinstrasse 40
4031 Basel

karl.heinimann@usb.ch

Die Autorschaft keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Der assistierte Suizid in der Schweiz (Teil 1)

Wir diskutieren anhand der Fälle, bei denen in der Schweiz ein assistierter Suizid im Kontext einer psychischen Erkrankung oder einer Demenz erfolgt ist, ob das von Gegnern der organisierten Sterbehilfe häufig in die Diskussion gebrachte Dammbruchargument gerechtfertigt ist. Langzeitdaten des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass die Anzahl der Fälle mit diesen «Indikationen» zwar zunehmen (1999–2017: im Durchschnitt 21 Fälle/Jahr vs. 2018–2022: n = 73 Fälle/Jahr), der prozentuale Anteil dieser Erkrankungen an der Gesamtanzahl aller assistierten Suizide mit etwa 5 % aber unverändert blieb. Kritiker der Sterbehilfe sehen das Dammbruchargument schon dadurch ­erfüllt, dass diese Fälle überhaupt vorkommen. Die Tatsache, dass diese Indikationen aber konstant nur einen kleinen Anteil der Assistierten Suizide ausmachen, dürfte von progressiven Befürwortern der Freitodbegleitung als Indiz gegen das Dammbruchargument interpretiert werden.

Schlüsselwörter: Sterbehilfe, assistierter Suizid, Dammbruchargument, psychiatrische Erkrankungen, Demenz

Einleitung

Die Schweiz ist weltweit das Land mit der längsten Tradition organisierter Sterbehilfe. Nach dem 1942 in Kraft getretenen Artikel 115 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs ist eine Beihilfe zum Suizid nur dann rechtswidrig, wenn diese «aus selbstsüchtigen Beweggründen» erfolgt. Die sogenannte direkte aktive Sterbehilfe wird dagegen nach Artikel 114 («Tötung auf Verlangen») als Straftat verfolgt (1–5). Im Jahr 1985 erfolgte durch den damals noch jungen Verein EXIT der erste in der Schweiz offiziell dokumentierte Fall eines assistierten Suizids. Assistierter Suizid bedeutet, dass ein Arzt einem Patienten eine tödliche Substanz verschreibt oder anderweitig mit dem Ziel zur Verfügung stellt, diesem die Selbsttötung zu ermöglichen. Seit der Jahrtausendwende hat sich etwa alle 5 Jahre eine Verdoppelung der Fallzahlen entwickelt (5–6). Nach Angaben des Schweizerischen Bundesamtes für Statistik (BFS) erfolgten im Jahr 2022 in der Schweiz 1595 assistierte Suizide, der Anteil der Suizidhilfen an der Gesamtzahl aller Todesfälle betrug 2.1 %. Die Suizidhilfe in der Schweiz ist mehrheitlich ein Altersphänomen; das mediane Alter derjenigen, die sich für den assistierten Suizid entschieden haben, lag im Jahr 2022 bei 81 Jahren.

In diesem sowie dem Folgeartikel («Der assistierte Suizid in der Schweiz – Teil 2: der «unsichtbare» Alterssuizid») beleuchten wir die Langzeitentwicklung der Fälle von assistierten Suiziden in der Schweiz, in denen der Sterbewunsch nicht wegen Erkrankungen im Endstadium, die auch in absehbarer Zeit zum natürlichen Tod geführt hätten, aufgekommen war. Bei diesen anderen Fällen lagen Krankheitssymptome und/oder Funktionseinschränkungen vor, die von den Betroffenen subjektiv als so schwerwiegend beurteilt wurden («unerträgliches Leiden»), dass sie damit nicht weiterleben wollten. In unseren Ausführungen stützen wir uns auf die aktuellen sowie Langzeitdaten der Todesursachenstatistiken des BFS. Diese beziehen sich auf die in der Schweiz wohnhaft gewesenen Personen, d.h. auf die ständige Wohnbevölkerung unabhängig von Nationalität und Ort des Todes. Fälle von im Ausland wohnhaften Nichtschweizern, die in der Schweiz durch assistierten Suizid gestorben sind («Sterbetourismus»), werden in diesen Statistiken nicht miterfasst.

Auf den ersten Blick erscheint der Hinweis darauf, dass diese assistierten Suizide, die weniger als 1 % der Todesfälle in der Schweiz ausmachen, statistisch nicht eindeutig erfasst werden, lediglich eine akademische Diskussion zu sein. Dem ist aber keineswegs so, denn diese Fälle sind Gegenstand eine der wichtigsten medizinethischen Kon­troversen der letzten Jahre: Welche «Indikationen» werden von den Sterbehilfeorganisationen und der Ärzteschaft als zulässig angesehen, um Menschen den Zugang zur Sterbehilfe zu gewähren? Wie geht eine Gesellschaft, in der die Suizidhilfe seit vielen Jahren akzeptiert ist, von vielen gar als Teil der nationalen Identität angesehen wird, mit Menschen um, die um Sterbehilfe bitten, obwohl sie nicht lebensbedrohlich erkrankt sind? Oder aus Sicht der Ärzteschaft: Wie geht die Berufsgruppe, die den assistierten Suizid durch die Verschreibung eines potenziell tödlichen Medikamentes erst ermöglicht, in Ermangelung klarer rechtlicher Vorgaben mit Patienten um, die nicht sterben müssen, aber sterben wollen?

Medizinethische Auffassungen zur ­Sterbehilfe. Das Dammbruchargument.

Pro und Contra

In nahezu allen westlichen Ländern werden die unterschiedlichen Formen von und die zulässigen Indikationen zu Assisted Dying (der Begriff fasst Suizidhilfe und Tötung auf Verlangen zusammen) intensiv und kontrovers diskutiert (7–10). Dabei stehen sich dazu am jeweiligen Ende des Spektrums der medizinethischen Auffassungen praktisch unversöhnliche Einstellungen gegenüber:
Unterstützer der Sterbehilfe sehen darin eine Errungenschaft einer liberalen und säkulären Gesellschaft, welche dem Einzelnen das Recht einräumt, auch über sein Lebensende autonom zu entscheiden.

Die Gegner sehen dagegen darin ein ethisch inakzepta­bles Vorgehen. Sie verweisen unter anderem darauf, dass sich insbesondere die Ärzteschaft nicht daran beteiligen dürfe, da diese Form der Sterbehilfe gegen unverhandelbare Grundprinzipien der Medizin verstösst. Im Umgang mit Schwerkranken an ihrem Lebensende sollten deren Leiden palliativmedizinisch gelindert werden, niemals darf aber der Tod des Patienten wissentlich und mit Absicht angestrebt sein. Ein weiteres Argument: Wenn sich Ärzte an Sterbehilfe beteiligen, könnte das dazu führen, dass das Vertrauen in die moralische Integrität des ärztlichen Berufsstandes irreversibel beschädigt würde.
Die Sichtweisen stehen sich so diametral gegenüber, dass zwischen überzeugten Verfechtern der jeweiligen «Glaubensrichtung» kaum moderiert werden kann. Beide Parteien bringen fundamentale Überzeugungen und Werte für sich in Anschlag. Auf der einen Seite werden der höchstrangige Wert menschlichen Lebens, eine extensive Form des Tötungsverbots sowie eine auf diesen Werten basierende ärztliche Ethik betont. Die andere Seite geht stärker von Werten wie Respekt, Autonomie und Mitleid aus und sieht die ärztliche Ethik stärker im historischen Wandel und im gesellschaftlichen Kontext verortet. Befürworter der Sterbehilfe fragen, was daran ethisch und menschlich sei, einem Menschen, der an einer schweren Krankheit leidet und um Sterbehilfe bittet, diese vorzuenthalten (7–10).

Das Dammbruchargument

Viele suchen zwischen radikalen Gegnern und Befürwortern dieser Thesen zu vermitteln. Beim Thema Assisted Dying sind das die Vertreter einer «Praxis in streng ausgewählten Situationen». Diese unterstützen Sterbehilfe in Fällen schwerer Erkrankungen, die in absehbarer Zeit unausweichlich auch zum natürlichen Tod führen würden und deren Beschwerden häufig einen erheblichen Leidensdruck mit sich bringen. In der internationalen Literatur hat sich für dieses strenge Kriterium zur Gewährung von Sterbehilfe der Begriff terminal illness requirement etabliert (10–13). Typische Beispiele für solch schwere Erkrankungen sind Krebsleiden im Endstadium oder das Spätstadium einer Amyotrophen Lateralsklerose. Hier hat sich in den letzten Jahren in vielen westlichen Ländern eine Auffassung durchgesetzt, dass ein Patient mit solch schwerer Krankheit über den Zeitpunkt seines Todes autonom entscheiden darf und dass am Ende eines Entscheidungsprozesses auch Sterbehilfe in Anspruch genommen werden darf (14–17).

Gesellschaftlich wird mehr und mehr auch eine aktive Rolle der Ärzteschaft akzeptiert; das heisst, Ärzte können in diesem Prozess auf ausdrücklichen Wunsch eines urteilsfähigen Patienten dessen Wunsch zur Sterbehilfe aktiv unterstützen. Unterstützer einer streng indizierten Sterbehilfe weisen aber darauf hin, dass die Indikationen dazu klar definiert und eher eng gefasst werden sollten. Sie befürchten, dass sich mit der Legalisierung der Sterbehilfe auch rasch eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz dieser Praxis entwickelt, in deren Folge diese auch bei weniger schwerwiegenden Erkrankungen von Betroffenen eingefordert werden könnte. Es stünde dann zu befürchten, dass Kriterien, die mit dem Ziel eines verantwortungsbewussten Umgangs mit der Sterbehilfe definiert würden, bewusst umgangen und ausser Kraft gesetzt würden und sich diese dann weitgehend unkontrolliert als gängige Praxis in Situationen etabliere, die man vor einiger Zeit bzw. zu Beginn der Legalisierung noch als völlig inadäquat und ausgeschlossen angesehen hätte (11, 18). Diese als Dammbruchargument (in Englisch slippery slope argument) bekannte Befürchtung beschreibt das Dilemma des Zauberlehrlings aus Goethes gleichnamiger Ballade. Dieser setzt eine Entwicklung in Gang, dessen Dynamik er so nicht vorausgesehen beziehungsweise unterschätzt hat, die er letztlich auch nicht will, jetzt aber nicht mehr kontrollieren kann («Die ich rief, die Geister/Werd’ ich nun nicht los.»).

Die Frage, in welchen Fällen Sterbehilfe gewährt werden darf bzw. in welchen Fällen sie verweigert werden sollte, ist seit ca. 25 Jahren Gegenstand der medizin- und standesethischen Diskussion, auch in der Schweiz. Tab. 1 zeichnet die Geschichte dieses Diskurses nach. In der Schweiz ist der assistierte Suizid die einzig legale Form der Sterbehilfe, eine Tötung auf Verlangen (im angloamerikanischen Sprachgebrauch voluntary active euthanasia) ist verboten.

Bemerkenswert an der Entwicklung der Suizidhilfepraxis in der Schweiz ist, dass zwischen den Jahren 2004 und 2018, in denen zur Gewährung der Suizidhilfe standesrechtlich das Kriterium des «nahen Lebensendes» erfüllt sein musste, dieses terminal illness requirement in bis zu 50 % der assistierten Suizide nicht erfüllt war (11–13). So lagen bei der überwiegenden Anzahl der Fälle der vom BFS ausgewiesenen zweitgrössten und viertgrössten Indikationsgruppen, den neurodegenerativen Erkrankungen und den muskuloskelettalen Erkrankungen, zum Zeitpunkt der Suizidhilfe zweifelsohne schwer beeinträchtigende und zum Teil invalidisierende und schmerzhafte Erkrankungen ohne jede Hoffnung auf eine Besserung der Situation vor. In der Regel handelt es sich hier aber um langsam verlaufende chronische Prozesse, in deren Verlauf die Patienten häufig nicht direkt an dieser Erkrankung, sondern an anderen internistischen Begleiterkrankungen sterben würden. Im Regelfall lagen hier also keine Erkrankungen vor, die in absehbarer Zeit zum Tod geführt hätten.

Die Hälfte der Menschen, die Suizidhilfe in Anspruch genommen hat, konnte ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende während dieser Jahre streng genommen ausserhalb der damals geltenden standesrechtlichen Regeln verwirklichen. Dabei spielte der Einfluss der Sterbehilfeorganisationen als Sprachrohr für eine Öffnung des assistierten Suizids zu einer auch symptomorientierten Indikationsstellung eine grosse Rolle. So betont EXIT, der grösste Schweizer Verein für humanes Sterben, immer wieder, dass die SAMW-Richtlinien zwar eine gewisse Orientierung zur Indikationsstellung des assistierten Suizids bieten mögen, diese aber nicht rechtlich bindend sind (23).

Das Dammbruchargument auf dem Prüfstand: der assistierte Suizid wegen psychiatrischer Erkrankungen oder Demenz

Das Dammbruchargument beinhaltet in der Regel 1) die Annahme, dass die Anzahl der Fälle mit «zweifelhafter Berechtigung» zunehmen, und 2) dass diese mit der Zeit auch proportional deutlich zunehmen, d. h. der Prozentsatz dieser Fälle an der Gesamtzahl aller Sterbehilfefälle zunimmt.

Psychiatrische Erkrankungen und Demenz nehmen bei der Sterbehilfe einen besonderen Platz in der Diskussion ein (Tab. 2) (24–29), da sie die «typischen» Fälle darstellen, auf die sich die Gegner einer allzu liberalen Regelung der Sterbehilfe beziehen, wenn sie von einer unkritischen Ausweitung der Indikationen sprechen. Das in der Schweiz von Kritikern der Sterbehilfe angeführte Dammbruchargument wirft daher die Frage auf, ob und wie sich die Fallzahlen der assistierten Suizide aufgrund psychiatrischer Erkrankungen oder einer Demenz im Verlauf der Jahre entwickelt haben.

Langzeitdaten des Schweizer BFS zur Sterbehilfe bei Demenz und psychiatrischen Erkrankungen zeigen, dass die Anzahl der pro Jahr registrierten Fälle zwar ansteigt (1999–2017: im Durchschnitt 21 Fälle/Jahr vs. 2018–2022: n = 73 Fälle/Jahr), der prozentuale Anteil dieser Erkrankungen an der Gesamtanzahl aller assistierten Suizide über die Zeit aber in etwa unverändert niedrig blieb (1999–2017: 5.4 % vs. 2018–2022: 5.5 %) (Tab. 3). Leichtgradige Verschiebungen zeigten sich in der Verteilung von Demenz und psychiatrischen Erkrankungen im Vergleich zur Gesamtzahl aller assistierten Suizide. Während im 19-Jahres-Zeitraum von 1999–2017 der Anteil der «Gruppe mit Demenz» noch 0.4 % betrug, stieg dieser Wert im 5-Jahres-Zeitraum 2018–2022 auf 1.9 % an. Parallel dazu kam es in der Kategorie «Psychiatrische Erkrankungen» zu einem leichten Abfall der prozentualen Verteilung (5.0 % vs. 3.6 %).

Der Vergleich mit aktuellen Daten anderer europäischer Länder zeigt, dass dort eine ähnliche Verteilung dieser Krankheiten bei Sterbehilfepatienten beobachtet wurde. In den Niederlanden machten 2022 psychiatrische Erkrankungen 1.3 % der Fälle aus, in Belgien 0.9 %; Suizidhilfe bei Demenz erfolgte in den Niederlanden in 3.2 % der Fälle, in Belgien in 1.4 % der Fälle (31, 32).
Der assistierte Suizid wegen psychiatrischer Erkrankungen und Demenz ist in der Schweiz zudem kein Weg, der vermehrt von jüngeren Patientinnen und Patienten gewählt wurde. Im Zeitraum 2018–2022 betrug das mediane Alter bei beiden Indikationsgruppen 81 Jahre; dieses war damit gleich hoch wie das mediane Alter aller assistierten Suizide in diesem Zeitraum.

Ob hinsichtlich der Indikationen «Demenz» und «Psychiatrische Erkrankungen» in der Schweiz das Dammbruchargument erfüllt ist, hängt sicher vom Blickwinkel des Betrachters ab. Strenge Kritiker der Sterbehilfe sehen das Argument schon dadurch erfüllt, dass diese Fälle überhaupt vorkommen. Befürworter einer Suizidhilfe unter Beachtung des terminal illness requirement dürften den Anstieg der jährlichen Fallzahlen auch eher kritisch sehen. Anhänger einer progressiven «Indikationsstellung» zur Freitodbegleitung würden die Entwicklung eher im Sinne der gesellschaftlichen Entwicklung zu einer sinnvollen Sterbehilfe bei einem immer grösseren Anteil an der Gesamtzahl aller Todesfälle interpretieren. Die Tatsache, dass die Erkrankungsgruppen «Psychiatrische Erkrankungen» und «Demenz» aber konstant nur einen relativ kleinen Anteil der assistierten Suizide ausmachen, dürfte für sie als Indiz gegen das Dammbruchargument interpretiert werden.

Suizidhilfe bei Patienten mit psychiatrischer Erkrankung und Demenz stellen in der Schweiz allerdings nur die Spitze des Eisbergs von Fällen dar, bei denen zum Zeitpunkt der Suizidhilfe das «Lebensende nicht nahe» war. Die nach Krebserkrankungen zweitgrösste Indikationsgruppe der Sterbehilfefälle bilden nämlich seit vielen Jahren die Fälle des assistierten Alterssuizids. Die Entwicklung dieser Aspekte der Suizidhilfe werden wir im zweiten Teil unseres Diskurses näher betrachten.

Abkürzungen
BFS  Schweizerisches Bundesamt für Statistik
SAMW  Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften
FMH  Foederatio Medicorum Helveticorum; Dachverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte

Prof. Dr. med. Uwe Güth

Universität Basel
Medizinische Fakultät
Klingelbergstrasse 61
4056 Basel

uwe.gueth@unibas.ch

Prof. Dr. med. FACP Edouard Battegay

Facharzt Allgemeine Innere Medizin, ESH Specialist in Hypertension, Fellow SSPH+
Leiter International Center for Multimorbidity and Complexity in Medicine (ICMC)
Universität Zürich, Universitätsspital Basel (Klinik für Psychosomatik), Merian Iselin Klinik Basel

edouard.battegay@uzh.ch

Prof. Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox

– Unité d’éthique clinique,
Institut des Humanités en Médecine, CHUV-UNIL

– Chaire de soins palliatifs gériatriques,
Service de soins palliatifs et de support CHUV-UNIL,

Dr. Karim Abawi

Schweizerisches Bundesamt für Statistik
Sektion Gesundheit der Bevölkerung
Neuchâtel
Schweiz

PD Dr. Rolf Weitkunat

Schweizerisches Bundesamt für Statistik
Sektion Gesundheit der Bevölkerung
Neuchâtel, Schweiz

PD Dr. med. Andres R. Schneeberger

Department for Psychiatry
University of California
San Diego, USA

Die Autoren bestätigen, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Keiner der Autoren ist Mitglied in einer der Schweizer Sterbe­hilfeorganisationen.

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Die Empfehlungen der Swiss Memory Clinics für die Therapie der Demenzerkrankungen

Einleitung

Die Therapie von Menschen mit kognitiven Störungen und Demenz-Syndromen ist komplex. Neben medikamentösen Optionen steht eine Vielzahl von nicht-medikamentösen Behandlungen zur Verfügung. Die Indikation der verschiedenen Therapieoptionen unterscheidet sich stark je nach individuellen Symptomen, zugrunde liegenden Pathologien, Alter, Stadium der Erkrankung und Verfügbarkeit. So kann es gerade für Nichtspezialisten schwierig sein, die richtige Kombination von Therapien zum richtigen Zeitpunkt für den individuellen Menschen mit Demenz (MmD) festzulegen. Zunehmend empfohlen wird deshalb der Einbezug von Dementia Care Managers (1).

Der Verein Swiss Memory Clinics (SMC) veröffentlicht in Ergänzung zu den im Rahmen der Nationalen Demenzstrategie entwickelten Empfehlungen zur Demenzabklärung im vorliegenden Dokument Empfehlungen zur Therapie der Demenz in der Schweiz. Die Empfehlungen beschränken sich auf in der Schweiz zugelassene und verfügbare Therapien.
Für die aktuelle Publikation hat die Autorengruppe Leitlinien anderer Staaten und insb. die kürzlich erschienene S3-Leitlinie berücksichtigt (1). Die therapiespezifischen Abschnitte wurden in der Regel von den entsprechenden Berufsverbänden erstellt. Positiver klinischer Erfahrung wurde explizit ein Stellenwert eingeräumt.

Die nachfolgenden Empfehlungen richten sich grundsätzlich an alle Berufsgruppen und Settings. Es handelt sich um die Kurzfassung der mit Unterstützung des BAG erstellten Langversion, die frei verfügbar ist (Nationale Plattform Demenz, https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/demenz.html). Wie bereits bei den momentan in Aktualisierung befindlichen Empfehlungen zur Diagnostik (2) ist es uns auch hier ein Anliegen, insbesondere die Primärversorgung anzusprechen. Sofern nicht explizit anders angegeben, sind alle Geschlechter gemeint.

Allgemeine Therapieziele

Demenzen sind per Definition chronische Syndrome, denen unterschiedliche Erkrankungen zugrunde liegen. Die klinische und ätiologische Ebene sollte getrennt werden, jedoch sind Begriffe wie «Demenzerkrankungen» weiterhin verbreitet und werden deshalb auch hier verwendet. Insbesondere neurodegenerative Demenzen sind fortschreitend. Heute verfügbare Therapien der kognitiven Defizite können lediglich deren Fortschreiten verlangsamen. Die Erkrankungen bedeuten eine hohe Belastung für direkt Betroffene und deren Angehörige. Oft sind nicht die kognitiven Einschränkungen, sondern behaviorale und psychische Symptome der Demenz (BPSD) verantwortlich für den Übertritt in ein Alters- und Pflegeheim. Diese werden in separaten Empfehlungen fokussiert (3). Ebenfalls separat publiziert sind Empfehlungen für die Behandlung von MmD in Langzeitinstitutionen (BAG 2020).

Die vorliegenden Empfehlungen behandeln die Verbesserung der Lebensqualität von MmD und ihren Angehörigen sowie den bestmöglichen Erhalt der Selbstständigkeit und der Stabilisierung der kognitiven Leistung. Tab. 1 zeigt wichtige Handlungskomponenten bei einer neu diagnostizierten Demenz.

Nicht-medikamentöse Therapie

Nicht-medikamentöse Interventionen zielen grossenteils darauf ab, in den bio-psycho-sozialen und spirituellen Dimensionen Momente des Wohlbefindens zu ermöglichen sowie Funktionen und Teilhabe eines MmD so lange als möglich aufrechtzuerhalten, während die Krankheit fortschreitet. Dadurch können weitere Einschränkungen reduziert oder verlangsamt und die Lebensqualität verbessert oder stabilisiert werden (4). Damit nicht-medikamentöse Therapien gelingen, brauchen Fachpersonen u.a. aus dem Bereich Gesundheit und Soziales, aber auch betreuende Angehörige Wissen und Fähigkeiten zu unten stehenden Konzepten und Interventionen. Schulungen sind deshalb zentral. Durch den notwendigen Einsatz qualifizierten Personals ist die Durchführung nicht-medikamentöser Massnahmen abhängig vom verfügbaren Personal. Die entsprechenden Lohnkosten müssen dabei ins Verhältnis gesetzt werden zu den Belastungen durch an sich vermeidbare Komplikationen (belastetes Umfeld, freiheitsbeschränkende Massnahmen) und Kosten, welche diese oft bei Personen im Umfeld der erkrankten Person sowie der Behandlung von Komplikationen (Spitalaufenthalte) in der Folge verursachen.

Vom Umfeld verlangt insbesondere die Kommunikation mit MmD viel Einfühlungsvermögen, Geduld, Kreativität und ein echtes Interesse. Neben aktivierenden Tätigkeiten soll auch immer die Möglichkeit für einen Rückzug angeboten werden.
Nicht-medikamentöse Massnahmen kommen für alle Stadien der Demenz infrage. Im Idealfall werden sie kontinuierlich angeboten und passen sich den verändernden Fähigkeiten der MmD im Krankheitsverlauf an.

Integrative Ansätze

In den folgenden Abschnitten wird eine grosse Bandbreite von nicht-medikamentösen Therapien vorgestellt. Die Auswahl sollte primär von den Bedürfnissen der Erkrankten abhängen. Zusätzlich spielt aber auch die Verfügbarkeit im jeweiligen Setting eine Rolle.
Da die nachfolgenden Therapien zumeist einzeln untersucht wurden, ist wenig über den zusätzlichen Nutzen von Kombinationen bekannt und damit auch nicht, ob gemeinsame oder unterschiedliche Wirkfaktoren relevant sind. Gemeinsam sind den Therapien die folgenden Aspekte:
– Hohe Individualisierung
– Interdisziplinarität und Interprofessionalität
– Einbezug von Umfeld und insb. Angehörigen
– Wertschätzung, Anerkennung von Emotionen
– Nonverbale Kommunikation

Die Evidenzlage für die einzelnen Verfahren ist sehr unterschiedlich. Abgegrenzt werden muss zudem die Zielsetzung. So ist eine Verbesserung der Kognition durch nicht-medikamentöse Ansätze am ehesten im Stadium der leichten bis mittleren Demenz erreichbar. Zahlreiche Interventionen, z. B. kognitive Stimulation, Reminiszenztherapie, Ergotherapie, Musik- und Tanztherapie, werden hingegen in der S3-Leitlinie (1) für alle Demenzstadien zur Behandlung depressiver Symptome empfohlen. Der Empfehlungsgrad reicht hierbei von «stark dafür» für Bewegungstherapie und Kognitive Verhaltenstherapie bis zu «schwach» bei Reminiszenz und Ergotherapie. Trotz etlicher vorhandener Studien sieht die S3-Leitlinie (1) keine Wirksamkeitsevidenz nicht-medikamentöser Verfahren gegen Angstsymptome.

Psychotherapie

Insbesondere zur Behandlung depressiver Symptome bei leichter Demenz und mild cognitive impairment (MCI) besteht gute Evidenz für die Wirksamkeit (1). Therapieziele sind neben Psychoedukation auch Ressourcenaktivierung, Stärkung der Bewältigungsstrategien und z. B. die Förderung der Selbstwirksamkeit. Der Einbezug bzw. die Beratung der Angehörigen ist auch für dieses Setting wesentlich. Empfohlen werden Anpassungen der Therapie gegenüber dem Vorgehen bei Personen ohne kognitive Defizite. Kürzeren und dafür häufigeren Therapieeinheiten sollte der Vorzug gegeben werden. Zudem sollten kognitive Elemente dem Leistungsvermögen angepasst werden.

Spezifische Pflegekonzepte

Pflegerische Konzepte beinhalten meist eine Kombination aus unterschiedlichen Interventionen und Ansätzen. Da die Pflege an sich keine Therapie ist, werden häufig therapeutische Elemente von angrenzenden Disziplinen miteinbezogen. So werden beispielsweise Aktivitäten im Alltag mit bewegungsstimulierenden Interventionen ergänzt oder musikalische Interventionen in die Tagesstruktur aufgenommen und erzielen dadurch ihre Effekte (z. B. Erhaltung oder Reaktivierung von Ressourcen, Förderung der Lebensqualität). Entsprechend werden die hier zusammengestellten Interventionen keineswegs exklusiv von Pflegekräften angeboten.

Multisensorische Interventionen

Aromapflege und Aromatherapie

Aromapflege und Aromatherapie werden in der Literatur oftmals synonym verwendet und umfassen die äusserliche Anwendung ätherischer Öle. Hinsichtlich Aromatherapie/-pflege gibt es keinen eindeutigen Wirksamkeitsnachweis in Bezug zur Schlafqualität beziehungsweise zur Verbesserung der Lebensqualität. Ein Review über 5 Studien findet keine Wirksamkeitsnachweise für den Einsatz bei Agitiertheit (1). Die Erfahrungen mit Aromatherapie/-pflege in der Pflegepraxis sind in jedem Stadium der Demenz oftmals positiv. Melissenöl scheint insgesamt das Produkt mit den besten Ergebnissen zu sein. Es ist notwendig, die MmD während des Einsatzes von Aromapflege genau zu beobachten, um bei allfälligen negativen Reaktionen die Intervention sofort abzubrechen. Beim erstmaligen Einsatz eines Produkts ist wegen möglicher allergischer Reaktion Vorsicht geboten und ggf. ein Allergietest durchzuführen.

Basale Stimulation

Basale Stimulation fördert die Wahrnehmung, z. B. durch sensorische Stimulation mittels Massage, aber auch multimodal mittels Bewegung und Sprache (Singen/Summen). Die Studienlage in Bezug auf den Nutzen von basaler Stimulation in der Pflege und Betreuung von MmD ist dünn. Bestehende Empfehlungen für die Pflege und Betreuung von MmD führen basale Stimulation jedoch auf (3).

Snoezelen

Bei der Snoezelen-Therapie werden unterschiedliche Sinne durch visuelle, akustische, olfaktorische, taktil-haptische, vestibuläre und/oder vibratorische Angebote im Alltag angeregt. Diese multisensorische Therapie kann in einem separaten Raum (Snoezelen-Raum) stattfinden. Basierend auf der vorhandenen Evidenz und den Erfahrungen in der Praxis kann die Snoezelen-Therapie für Menschen mit moderater bis schwerer Demenz empfohlen werden (5, 6). Die Effekte der Snoezelen-Therapie sind grösser, wenn die Person, welche die Therapie anbietet (Pflegende, Angehörige), in der Anwendung von multisensorischen Interventionen geschult ist (5).

Gedächtnistraining / Kognitive ­Stimulationstherapie

Das Spektrum der kognitiven Therapieansätze reicht von relativ unspezifisch aktivierenden Verfahren (kognitive Stimulation) bis hin zu auf einzelne kognitive Domänen konzentrierte (Funktions-)Trainings. Z. T. wird auch das Realitäts-Orientierungs-Training hinzugezählt. Viele Ansätze sind mit sozialer Interaktion verbunden und dürften allein deshalb hilfreich sein. Teilnehmende Personen schätzten ihre Lebensqualität z. T. als höher ein. Die Konfrontation mit den eigenen Defiziten kann aber auch negative Auswirkungen auf die psychische Verfassung haben.
Im Stadium der leichten bis mittelschweren Demenz wird in mehreren internationalen Guidelines (1, 6) sowie im Rahmen eines Cochrane Reviews (7) kognitive Stimulation empfohlen, welche neben einer Verbesserung der Kognition auch positive Effekte auf die Lebensqualität sowie auf die Kommunikation haben können, welche vergleichbar sind mit den im Rahmen etablierter medikamentöser Therapien erzielbaren Effekte. Die S3-Leitlinie macht eine schwache Empfehlung für die kognitive Stimulation zur Behandlung depressiver Symptome im Rahmen der Demenz. Von spezifischem Gedächtnistraining mit der Vermittlung von Strategien oder von psychotherapeutischen Verfahren zur Behandlung kognitiver Defizite wird im Stadium einer Demenz zur Vermeidung von Überforderung abgeraten.

Kognitive Rehabilitation

Kognitive Rehabilitation bezieht sich auf die individuelle Identifizierung funktionaler Ziele, die für die MmD relevant sind und die in der Zusammenarbeit mit der betroffenen Person und deren Angehörigen und Betreuenden erreicht werden sollen. Ziel ist, die Auswirkungen der vorhandenen Einschränkungen zu reduzieren.
Die kognitive Rehabilitation wird für das Stadium der leichten bis mittelschweren Demenz empfohlen (6) (NICE).

Physiotherapie

Die Literatur und Studienlage zeigen deutlich die Wirksamkeit von physiotherapeutischen Massnahmen bei Schmerzen und Bewegungseinschränkungen (8). Die S3- Leitlinie spricht sich stark für körperliches Training zur Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens aus (1).

Durch gezielte physiotherapeutische Untersuchungen der körperlichen Strukturen, Funktionen und der Aktivität im Verlauf der Erkrankung werden Defizite wie Schmerz, Sturzrisiko, Dysphagie schnell erkannt, und es können individuell optimal angepasste interprofessionelle Massnahmen geplant werden (9–11) und Training Manuals optimal eingesetzt werden (12). Hierdurch können auch gezielt Verhaltensprobleme reduziert werden (13).

Insbesondere im Stadium der fortgeschrittenen Demenz sollte abhängig vom Krankheitsverlauf circa 1 x jährlich ein Assessment zur Erfassung von Struktur (Schmerz, Bewegungseinschränkung), Funktion (Stabilität, Kraft, Gleichgewicht, kardio-pulmonaler Kapazität, Dysphagie) und motorisch-kognitiven Fähigkeiten erfolgen. Das Assessment sollte ein Abklärung des Sturzrisikos beinhalten.

Ergotherapie

Ergotherapie wird verstanden als Therapie zur Verbesserung und zum Erhalt von Alltagsfunktionen und Handlungsfähigkeit mit dem Ziel der Verbesserung von Teilhabe und Lebensqualität im individuellen Alltag und Lebenskontext. Als wirksame Interventionen gelten die Beratung und Umsetzung gesundheitsfördernder Aktivitäten, welche die Lebensqualität steigern, sowie das Training von alltagsrelevanten körperlichen, kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten (14–16). Entsprechend der S3-Leitlinie wird Ergotherapie auch zur Behandlung depressiver Symptome empfohlen. Ergotherapie bezieht sich sowohl auf Betroffene als auch deren Angehörige und kann diese in den Bereichen Alltagsaktivitäten, Selbstversorgung, Mobilität, Haushaltsführung und Freizeit unterstützen (17) und dadurch eine Reduktion der physischen (16) und psychischen Belastung (18) von Angehörigen bewirken.

Aktivierungstherapie

Aktivierungstherapie findet im Einzel- oder Gruppensetting statt. In der Aktivierung kommen verschiedene Mittel (z. B. Musik, Bewegung oder Gedächtnistraining) und Methoden (z. B. Reminiszenzverfahren mit Biografiearbeit, Validation oder basale Stimulation) zum Einsatz (15), deren Wirksamkeit in Studien untersucht wurde.
Für aktivierungstherapeutische Ansätze bei MmD liegt moderate Evidenz vor (16, 17), diese jedoch für eine grosse Bandbreite von Outcomes und sowohl direkt für die MmD als auch für Angehörige. In den NICE-Guidelines wird darauf hingewiesen, dass verschiedene körperliche Aktivitäten im Alltag (Spazieren, Tanzen, Balance-Übungen etc.) einen positiven Einfluss auf die Kognition und die Ausführung von Alltagsaktivitäten haben können. Angebote im Freien scheinen sich positiv auf Stimmung, soziale Teilhabe und Schlaf auszuwirken (18).

Logopädie

Sprach-, Sprech- und Kommunikationsstörungen, die in allen Demenzformen auftreten, erschweren die soziale Teilhabe in einem hohen Mass. Insbesondere im MCI-Stadium und zu Beginn der Erkrankung ist eine logopädische Behandlung bei den sprachlich dominierten Varianten angezeigt. Es ist sinnvoll, die pflegenden Angehörigen frühzeitig in die logopädische Behandlung einzubeziehen (19).
Übungen sollten alltagsrelevant bzw. biografisch bedeutsam sein. Je nachdem, auf welcher Ebene sich die Sprachstörung hauptsächlich zeigt, liegt der Schwerpunkt der logopädischen Behandlung im Bereich der Artikulation, der Wörter, des Satzes oder der Diskursfähigkeit.

Das Lesen kann eine Ressource zur Aufrechterhaltung der Kommunikation darstellen, insbesondere für jene Personen mit einer Demenz vom Alzheimer Typ (20–22). Ebenso sind alternative Kommunikationsmittel wie Applikationen, Kommunikationsbücher oder multimodale Ansätze via Gesten und Schrift empfehlenswert. Die Prävalenz von Dysphagien bei fortgeschrittener Demenz liegt bei über 80 % (23, 24). Eine ausführliche klinisch-logopädische Schluckuntersuchung (23, 25) schliesst instrumentelle Verfahren zur Untersuchung des Schluckvorgangs ein. Bei fortgeschrittener Demenz ist dies allerdings oft nicht möglich. Man weicht dann auf eine strukturierte Essensbeobachtung aus. Methode der Wahl ist die funktionelle Dysphagietherapie. Hierbei wird das Schlucken, z. B. durch Änderungen der Kopfhaltung, aber auch Kostanpassungen, unterstützt.

Kunsttherapie

Musiktherapie
Nationale und internationale Leitlinien und Experten empfehlen konsistent den Einsatz von Musiktherapie (MT). Ein Cochrane Review (29) liefert Hinweise darauf, dass Stimmung, Verhaltenssymptome, Kommunikation und physische Funktionen positiv beeinflusst werden können. Die S3-Leitlinie sieht positive Effekte von Musik zur Behandlung depressiver Symptome und spricht eine starke Empfehlung für den personalisierten Einsatz bei Agitation aus. Eine Metaanalyse von Zhang et al. (2017) zeigt auf, dass musikbasierte Interventionen – kombiniert mit sozialer Interaktion – positive Auswirkungen auf Verhaltenssymptome und Ängstlichkeit haben können. Auch ein Verbesserungstrend hinsichtlich Depressionsanzeichen, kognitiver Funktion und Lebensqualität wird festgestellt. Eine Literaturübersicht stützt diese Erkenntnisse (28, 29) und zeigt in einer Metaanalyse positive Effekte auf Aufmerksamkeit, Sprache und autobiografische Erinnerung und beschreibt messbar stärkere Effekte bei durch qualifizierte Musiktherapeut/-innen durchgeführten Therapien. Depressionssymptome verbessern sich unter Gruppenmusiktherapie signifikant stärker als durch Singgruppenteilnahme (30).

Einen besonderen Stellenwert hat die Musik bei mittelgradiger und fortgeschrittener Demenz bei der Erzeugung positiver Emotionen, dem Auslösen von Erinnerungen und der Kontaktaufnahme durch Betreuungspersonen (31).

Die MT zeigt schon im MCI-Stadium positive Effekte auf die Lebensqualität, wobei aktive MT Vorrang hat vor rezeptiver MT und die Effekte im Einzelsetting grösser sind. Playlisten/Musiksammlungen zum Entspannen, Motivieren oder Unterstützen pflegerischer Massnahmen werden empfohlen (31, 32). Da häufigere MT die positiven Effekte zu verstärken scheint, wird eine kontinuierliche Behandlung mehrmals pro Woche empfohlen (33), wobei im Gruppensetting nicht mehr als 5–8 Patientinnen und Patienten teilnehmen sollten (34).

Weitere kunsttherapeutische Ansätze
Im 2018 erschienenen Cochrane Review mit Fokus auf der Maltherapie wird keine ausreichende Evidenz für die Kunsttherapie gesehen (35). In der aktualisierten S3-Leitlinie wird die Tanztherapie zur Behandlung depressiver Symptome bei MCI und Demenz empfohlen. Auf weitere kunsttherapeutische Ansätze wird dort nicht mehr explizit eingegangen, und es besteht die dringliche Notwendigkeit weiterführender Forschung.

Tiergestützte Therapie

Der Begriff «tiergestützte Interventionen» gilt als Überbegriff. Wie für die Fachperson braucht es auch für die eingesetzten Tiere eine fachgerechte, intensive Vorbereitung und für die Tiere auch eine spezielle Zertifizierung.
Generell werden tiergestützte Interventionen eingesetzt zur Förderung sozialer, emotionaler, physischer sowie kognitiver Kompetenzen (36). Zur Behandlung von Agitiertheit besteht aktuell keine Evidenz.

Beratungsangebote und Angehörigenarbeit bei Alzheimer und anderen Demenzformen

Beratung von Patient und Umfeld ist ein Kernelement der Therapie der Demenzerkrankungen und Voraussetzung für einen geeigneten Umgang mit der Erkrankung. Die einmalige Beratung, z. B. gleich bei der Übermittlung einer Dia­gnose, reicht dabei nicht aus. Oftmals kommen den Betroffenen die wesentlichen Fragen bzgl. ihrer Erkrankung und des Lebens mit der Erkrankung erst nach einer gewissen Zeit in den Sinn. Ein angeleitetes Vorgehen von Anfang an, das den Erkrankten und ihren Familienmitgliedern aufzeigt, welche Informationen relevant sind, welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt und wie sie trotz einer Demenzerkrankung ein erfülltes Leben führen können, ist entscheidend, da dies Orientierung über verfügbare Unterstützung und Hilfe bietet (37). Bestandteil von Angehörigenarbeit ist aber auch die Vermittlung von Skills im Umgang mit MmD, z. B. bei BPSD oder bzgl. der Kommunikation.

Die S3-Leitlinie empfiehlt bereits bei leichten psychischen Symptomen kognitive Verhaltenstherapie, Verhaltensaktivierung oder Multikomponenten-Intervention in Kombination mit Beratung.
Da die Beratungsansätze vielfältig und daher kaum vergleichbar sind, finden sich bis heute kaum qualifizierte Studien zur Wirkung von Beratung von MmD im engeren Sinne.

Case Management und Zugehende Beratung
Um einerseits psychologische Hindernisse aufgrund der noch immer gegebenen Stigmatisierung von Demenzerkrankungen zu vermeiden und andererseits die Erkrankten und ihre Angehörigen auch bei fortschreitender Erkrankung bedarfs- und bedürfnisgerecht begleiten zu können, bietet demenzspezifisches Case Management, z. B. auch in Form von «Zugehender Beratung», einen sinnvollen Ansatz (38, 39). In diese Richtung geht auch der international immer stärker geforderte Dementia Care Manager mit Evidenz zur Reduktion von Komplikationen und Verzögerung von Heimeintritten (40).

Beratungsstellen
In der Schweiz gibt es unterschiedliche Stellen, an die sich Angehörige wenden können: Memory Clinics, Haus- und Spezialärzte, Beratungsstellen, Bildungszentren sowie verschiedene Angebote zur Altersberatung der Gemeinden. Teilweise gehören diese zu national tätigen Organisationen wie Alzheimer Schweiz und Pro Senectute oder haben sich lokal entwickelt. Meist sind erste Beratungsgespräche kostenlos. Zudem können die zahlreich verfügbaren Online-ressourcen (z. B. www.alz.ch und https://alzguide.ch) als Ergänzung sinnvoll sein.

Peer support
Peer support durch andere pflegende Angehörige kann den psychosozialen Stress von betreuenden Angehörigen verringern und das Supportnetz eines MmD stärken.

Interventionelle Verfahren

Verschiedene interventionelle Verfahren wurden bei Demenz untersucht. Im Gegensatz zu medikamentösen Innovationen, welche im Rahmen eines Zulassungsverfahrens die Sicherheit und die Wirksamkeit beweisen müssen, sind die interventionellen Verfahren weniger stark reguliert. So sind im Schweizer Gesundheitsmarkt verschiedene Verfahren verfügbar, welche zwar CE-zertifiziert sind und damit als hinreichend sicher gelten, jedoch ihre Wirksamkeit bisher nicht in qualitativ ausreichenden und grossen Studien zeigen konnten. Dies ist besonders bedenklich, da einige Firmen bereits heute versuchen, ihre Produkte für die Behandlung von MmD zu vermarkten.

Repetitive transkranielle magnetische Stimulation (rTMS)
Die rTMS ist ein neuromodulatorisches Verfahren, welches durch Stimulation mit einer Magnetspule an der Kopfoberfläche ein elektrisches Feld in der Tiefe des Gehirns erzeugen kann. Insgesamt sind die verfügbaren Daten noch zu gering, um eine breite Anwendung bei Demenz ausserhalb von klinischen Studien empfehlen zu können.

Transkranielle Pulsstimulation
Mit der transkraniellen Pulsstimulation sollen von aussen durch die Schädeldecke tiefer liegende Hirnstrukturen erregt werden. Bisherige Studien haben zwar Effekte auf einige für die Alzheimer Demenz relevante Funktionen messen können (41), die Studien wurden aber ohne adäquate Kontrollgruppe durchgeführt. Eine Anwendung ausserhalb von klinischen Studien kann nicht empfohlen werden.

Transkranielle elektrische Stimulation
Die transkranielle elektrische Stimulation kann auf verschiedene Arten auf der Kopfoberfläche appliziert werden. Es liegen Daten aus randomisierten und sham-kontrollierten Studien vor, die eine Wirksamkeit auf Kernsymptome der Alzheimer Demenz wie die episodische Gedächtnisstörung nahelegen (42), wobei die Effekte auch über den eigentlichen Behandlungszeitraum hinaus messbar blieben (43). Doch auch bei dieser Methode sind die Studiendaten zum heutigen Zeitpunkt noch heterogen und vorläufig, so- dass ein Einsatz ausserhalb von klinischen Studien nicht empfohlen wird.

Tiefe Hirnstimulation
Die tiefe Hirnstimulation (deep brain stimulation, DBS) ist ein invasives Verfahren, bei dem Elektroden an unterschiedlichen Zielpunkten in der Tiefe des Gehirns platziert werden. Das Verfahren ist in der Behandlung von Menschen mit Parkinson-Erkrankung und anderen Bewegungsstörungen gut etabliert, kann aber zum heutigen Zeitpunkt ausserhalb von klinischen Studien für MmD nicht empfohlen werden.

Palliative Care, Advance Care Planning (ACP)

Demenz ist ein Syndrom, das meist Ausdruck einer unheilbaren, lebensverkürzenden Krankheit ist, die mit ihren Begleiterkrankungen schliesslich zum Tod führt, obgleich die Menschen jahrelang mit der Krankheit leben können. Eine adäquate Palliativversorgung hat die Verbesserung der Lebensqualität, den Funktionserhalt und die Maximierung des Wohlbefindens im ganzen Krankheitsverlauf zum Ziel und nimmt auch die Bedürfnisse der Angehörigen auf (44). Weil Kognition, Kommunikations- und Urteilsfähigkeit im Krankheitsverlauf abnehmen, ist eine frühzeitige Vorausplanung (ACP) mit dem MmD wichtig, um Präferenzen, Werte, Bedürfnisse und Vorstellungen für spätere Krankheitsphasen festzuhalten (45).

Medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsmassnahmen sind im palliativen Sinne anzuwenden.
Im Krankheitsverlauf erfordern gesundheitliche Störungen sorgfältige Entscheidungen bezüglich Behandlungsziel unter Berücksichtigung des ACP, um unnötige Hospitalisationen und Interventionen zu vermeiden (46).

Medikamentöse Therapie

Symptomatische medikamentöse Therapie

Alle bislang zugelassenen medikamentösen Therapieansätze sind symptomatisch wirksam. Sie richten sich also nicht direkt gegen die krankheitsauslösende Neurodegeneration oder die pathologischen Eiweissablagerungen bei der Alzheimer-Krankheit (Tau und Amyloid) im Gehirn. Orientierend lässt sich sagen, dass diese Medikamente die Punktzahl im Mini-Mental-Status bei MmD aufgrund einer Alzheimer-Krankheit um gut einen Punkt verbessern und es einige Wochen dauert, bis der Effekt maximal deutlich wird. Wichtiger sind oft die Verbesserungen von Alltagsfunktionen. Da die Medikamente bereits lange verfügbar sind, erfüllen die ursprünglichen Zulassungsstudien nicht mehr die heutigen Standards. Dies hat dazu geführt, dass einige Länder (z. B. Frankreich) ihre Erstattungsfähigkeit eingeschränkt haben. Für alle Substanzen wird eine langsame Eindosierung empfohlen. Insgesamt werden die Substanzen gut vertragen.

AChE-Inhibitoren

Alzheimer-Krankheit
Der Effekt der drei Acetylcholinesteraseinhibitoren (AChE-I) Donepezil, Rivastigmin und Galantamin ist moderat, bleibt aber auch bei längerem Einsatz signifikant, wie neuere Arbeiten mit Langzeitdaten zeigen (47). In dieser und weiteren Studien haben MmD unter AChE-I auch eine reduzierte Gesamtmortalität.

AChE-I stehen auf der Spezialitätenliste. Die Limitationen erfordern die wiederholte Durchführung des MMSE zur Unterstützung einer Nutzen-Risiko-Abwägung. Bei einem Wert unter 10 fordert die Limitatio zudem die Beendigung. Im Gegensatz dazu empfehlen die deutschsprachige S3- Leitlinie und die Daten der Domino-AD-Studie hingegen die Weiterführung (48), die aber begründet werden sollte (off-label). Im Stadium erheblicher Funktionseinschränkungen (z. B. Bettlägerigkeit und umfassender Pflegebedarf) sollte die Behandlung beendet werden.

Andere Formen der Demenzerkrankungen
Menschen in leichten bis mittleren Stadien einer Demenz bei Parkinson-Erkrankung oder aufgrund einer LBD sollte Donepezil oder Rivastigmin angeboten werden. Rivastigmin kann in dieser Indikation Verhaltenssymptome günstig beeinflussen (49). In der Schweiz besteht eine Zulassung von Rivastigmin-Kapseln für die Demenz bei Parkinson­Erkrankung, in den weiteren Indikationen handelt es sich um eine Off-label-Behandlung.
Bei einer rein vaskulären Demenz empfiehlt die S3-Leitlinie Donepezil oder Galantamin in hoher Dosierung, aber auch Memantin zur Verbesserung der Kognition. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Demenzen bei Hoch- betagten in der Mehrzahl um Mischformen handelt. Bei Demenz aufgrund einer FTLD sind AChE-I ungeeignet.

Memantin

Alzheimer-Krankheit
Memantin ist zugelassen für die mittelgradig bis schwere Demenz aufgrund einer Alzheimer-Krankheit. Bei moderater Demenz sollte bei guter Verträglichkeit jedoch den AChE-I der Vorzug gegeben werden (NICE). Auch hier sollte bei guter Verträglichkeit und langsamer Aufdosierung mit der Höchstdosis von 20 mg behandelt werden. Die Limitatio verlangt zudem die wiederholte Durchführung des MMSE und einen Punktwert zwischen 3 und 19 Punkten.

Weitere Demenzformen
Für die Behandlung einer Demenz bei LBD gilt Memantin als 2. Wahl nach den AchE-I (siehe oben). Bei FTLD wird empfohlen, beide Substanzgruppen nicht einzusetzen. Memantin wirkt eher sedierend als AChE-I.

Ginkgo biloba

Alzheimer-Demenz und vaskuläre Demenz
Die deutschsprachige S3-Guideline bewertet Ginkgo biloba in einer Dosis von 240 mg täglich positiv in Bezug auf «Aktivitäten des täglichen Lebens» sowie u.a. für die kognitiven Fähigkeiten. Empfohlen wird der Einsatz bei leichter bis mittelgradiger AD oder vaskulärer Demenz mit nicht psychotischen Verhaltenssymptomen. Der Empfehlungsgrad für die Verbesserung der Kognition ist aber niedriger als jener für z. B. die AChE-Inhibitoren. Es stehen verschiedene Präparate zur Verfügung, die sich in ihrer chemischen Zusammensetzung leicht unterscheiden. Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen wurden mit dem Extrakt EGb 761 durchgeführt. Insgesamt kann bei leichter bis mittlerer Demenz aufgrund einer Alzheimer-Krankheit, aber auch bei einer vaskulären Demenz die Behandlung erwogen werden. Der Einsatz empfiehlt sich insbesondere für Menschen, die Phytotherapien favorisieren, oder für welche, bei denenAChE-I und Memantin nicht infrage kommen.

Subjektive kognitive Störung (SCD) und leichte kognitive Störung (MCI)
In der Schweiz ist die Zulassung dieser Substanzen breit gefasst («Einbussen in der mentalen Leistungsfähigkeit»). Damit sind Ginkgo-Präparate die einzigen Substanzen, die auch im MCI-Stadium eingesetzt werden können. Allerdings haben grosse randomisierte Studien keinen signifikanten Effekt auf die Entwicklung einer Demenz gezeigt (50, 51). Hingegen zeigen Daten aus Verschreibungsregistern, dass Menschen unter Ginkgo weniger häufig eine Demenz entwickeln (52). Die Diskrepanz könnte durch unterschiedliche Studiendesigns und Beobachtungszeiträume zu erklären sein. Zusammenfassend kann eine Behandlung mit Ginkgo in den Stadien SCD und MCI erwogen werden. Sie sollte aber immer mit einer ausführlichen Beratung zu demenzpräventiven Massnahmen (53) kombiniert werden.

Andere Demenzformen
Ein Wirksamkeitsnachweis für Parkinson-Demenz, LBD und FTLD liegt nicht vor.

Krankheitsmodifizierende Therapien

Im Zeitraum der Erstellung der vorliegenden Therapieempfehlungen wurden Zulassungsanträge für die neuen krankheitsmodifizierenden Therapien Lecanemab und Donanemab bei der Swissmedic eingereicht. Eine Entscheidung hierüber steht aus. Diese Medikamente haben in grossen Phase-III-Studien gezeigt, dass sie die Amyloidlast im Gehirn von Menschen mit frühen Stadien einer Alzheimer-Krankheit effektiv reduzieren können und auch moderate Effekte auf die Progredienz der klinischen Symp­tome aufweisen.
Da sich die vorliegenden Empfehlungen auf zugelassene bzw. in der Schweiz verfügbare Therapien beschränken,­ ­erfolgt an dieser Stelle (noch) keine weitere Bewertung dieser neuen Therapien. Wir verweisen auf separate Stellungnahmen, welche zu gegebener Zeit publiziert werden.

Kritische Überprüfung anderer ­medikamentöser Therapien

Genauso wichtig wie der Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung der Kognition ist die Vermeidung von Medikamenten, welche die Kognition verschlechtern. PRISCUS (54) und START-STOPP (58) sind Zusammenstellungen von im Alter potenziell ungeeigneten Medikamenten (potentially inappropriate medications, PIMs).

Substanzbasierte Therapien/Nahrungsergänzungsmittel
Beim Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln bei Demenzerkrankungen gibt es verschiedene, möglicherweise wirksame Behandlungsansätze, die von einer Hirnversorgung mit spezifisch-neuroprotektiven Mikronährstoffen über energetische Verbesserung mittels Keto-Diät bis zur gezielt cerebralen Inflammationsbeeinflussung via Mikrobiomveränderung (Braunalgen) reichen. Angesichts des Pilotcharakters der dazu vorliegenden wissenschaftlichen Studien lassen sich zum heutigen Zeitpunkt keine allgemeinen Empfehlungen ableiten. Dies betrifft nicht die Behandlung von gezielt nachgewiesenen Mangelzuständen oder die allgemeinen Empfehlungen der Altersmedizin zu Vitamin D.

Ausblick

Fachkräftemangel und Kostendeckung

Trotz der neuesten Entwicklungen bei den Antikörper-­basierten Therapien wird die Versorgung und Therapie der Demenzerkrankungen eine gesellschaftliche Herausforderung bleiben. Diese Herausforderungen spitzen sich aufgrund der erwarteten Verdoppelung der Fallzahlen bis 2050 und dem Fachkräftemangel erheblich zu. Es erscheint aktuell nicht realistisch, den Demenzbetroffenen flächendeckend die optimale Therapie zukommen zu lassen. Viele der in diesem Dokument gemachten Empfehlungen müssen aufgrund fehlender lokaler Angebote und deren Finanzierung angepasst werden. Erforderlich ist insbesondere aber eine gesellschaftliche Diskussion, was die Demenzversorgung kosten darf und wie integriert beispielsweise MmD sein sollen.
Wie sich neue Technologien wie Sozialroboter oder computerbasierte kognitive Technologien im Alltag (insbesondere im Schweizer Kontext) implementieren und über längere Zeit einsetzen lassen, ist noch ungenügend untersucht worden, und somit fällt die Empfehlungsstärke gering aus. Klar ist jedoch, dass neue Technologien zukünftig eine grössere Rolle spielen werden.

Danksagungen

Mit freundlicher Unterstützung der Nationalen Demenzplattform. Wir danken senesuisse, Verband wirtschaftlich unabhängiger Alters- und Pflegeeinrichtungen Schweiz, und LangzeitSchweiz, Schweizer Fachverband für Langzeitpflege und -betreuung, für ihre Teilnahme am Vernehmlassungsverfahren. Wir danken Reto Kressig für eine ergänzende ­Kommentierung. Wir danken Sandra Habegger für die Editierung des Textes. Es handelt sich hierbei um die 1. Auflage. der Therapieempfehlungen. Gerne nimmt die Geschäftsstelle SMC Anregungen für eine Neuauflage entgegen.

Abkürzungen
ACP Advance Care Planning
BPSD behaviorale und psychische Symptome der Demenz
FTLD Frontotemporale Lobärdegenerationen
LBD/LBK Demenz/Krankheit mit Lewy-Körperchen
MCI mild cognitive impairment (leichte kognitive Störung)
MmD Menschen mit Demenz
MT Musiktherapie
PIM potentially inappropriate medication
SCD subjective cognitive decline
(subjektive kognitive Beeinträchtigung)
SMC Swiss Memory Clinics

Historie
Manuskript eingereicht: 30.05.2024
Manuskript angenommen: 10.06.2024



Recommandations de Swiss Memory Clinics pour le traitement des troubles cognitifs

Introduction

Le traitement des personnes atteintes de troubles cognitifs et de syndromes démentiels est complexe. Outre les options médicamenteuses, il existe une multitude de traitements non médicamenteux. L’ indication des différentes options thérapeutiques varie fortement en fonction des symptômes individuels, des pathologies sous-jacentes, de l’ âge, du stade de la maladie et de la disponibilité. Il peut donc être difficile, surtout pour les non-spécialistes, de déterminer, pour chaque personne atteinte de démence (PAD), la bonne combinaison de thérapies au bon moment. C’ est pourquoi il est de plus en plus recommandé de faire appel à des Dementia Care Managers (1). L’ association Swiss Memory Clinics (SMC) publie dans le présent document des recommandations sur le traitement de la démence en Suisse, en complément des recommandations sur le diagnostic de la démence développées dans le cadre de la stratégie nationale en matière de démence. Les recommandations se limitent aux thérapies autorisées et disponibles en Suisse.

Pour la publication actuelle, le groupe d’ auteurs a également pris en compte les lignes directrices publiées dans d’ autres pays, en particulier la ligne directrice S3 (1). Généralement, les sections sur les thérapies spécifiques ont été rédigées par les associations professionnelles correspondantes. Une place a été explicitement accordée à l’ expérience clinique.

Les recommandations suivantes s’ adressent en principe à tous les groupes professionnels et à tous les settings. Il s’ agit d’ une version abrégée de la version longue élaborée avec le soutien de l’ OFSP, disponible gratuitement (Plateforme nationale démence (https://www.bag.admin.ch/bag/fr/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/demenz.html). Comme pour les recommandations en cours d’ actualisation concernant le diagnostic (2) nous tenons à souligner l’importance des soins primaires. Sauf indication contraire explicite, tous les sexes sont concernés.

Objectifs thérapeutiques généraux

Les démences sont par définition des syndromes chroniques sous-tendus par diverses maladies. Les niveaux cliniques et étiologiques doivent être distingués, mais des termes comme «pathologies démentielles» restent courants et seront donc utilisés ici. Par ailleurs, les démences neurodégénératives sont évolutives. Les traitements des déficits cognitifs actuellement disponibles ne peuvent que ralentir leur progression. Ces maladies représentent une lourde charge pour les personnes directement concernées et leurs proches. Souvent, ce ne sont pas les déficits cognitifs, mais les symptômes comportementaux et psychiques de la démence (SCPD) qui sont à l’ origine du passage en maison de retraite ou en établissement médico-social. Ceux-ci font l’ objet de recommandations séparées (3).
Les présentes recommandations traitent de l’ amélioration de la qualité de vie des PAD et de leurs proches, du maintien de l’ autonomie et de la stabilisation des performances cognitives (BAG 2020). Le Tab. 1 présente les principales composantes de la démarche dans le cas d’ une démence nouvellement diagnostiquée.

Thérapie non médicamenteuse

Les interventions non médicamenteuses visent en grande partie à permettre des moments de bien-être dans les dimensions bio-psycho-sociales et spirituelles, ainsi qu’ à maintenir, alors que la maladie progresse, les fonctions et la participation des PAD aussi longtemps que possible. Cela permet de réduire ou de ralentir les restrictions supplémentaires et d’ améliorer ou de stabiliser la qualité de vie (4). Pour que les thérapies non médicamenteuses soient efficaces, les professionnels de la santé et du travail social, entre autres, mais aussi les proches aidants ont besoin de connaissances et de compétences concernant les concepts et les interventions mentionnés ci-dessous. Les formations sont donc essentielles. En raison de la nécessité de recourir à du personnel qualifié, les mesures non médicamenteuses dépendent de la disponibilité de ce dernier. Les coûts salariaux correspondants doivent être mis en relation avec les charges liées aux complications évitables en soi (entourage chargé, mesures de restriction de la liberté) et les coûts du traitement des complications (séjours hospitaliers).

L’ entourage doit faire preuve d’ empathie, de patience, de créativité et d’ un réel intérêt pour communiquer avec les PAD. Outre les activités d’ activation, il faut toujours offrir la possibilité de se retirer.
Les mesures non médicamenteuses sont envisageables à tous les stades de la démence. Dans l’ idéal, elles sont proposées en continu et s’ adaptent à l’ évolution des capacités des PAD au cours de la maladie.

Approches intégratives

Les paragraphes suivants présentent un large éventail de thérapies non médicamenteuses. Le choix devrait dépendre en premier lieu des besoins des personnes concernées. De plus, la disponibilité dans le milieu concerné joue également un rôle.
Étant donné que la plupart des thérapies suivantes ont été étudiées séparément, on sait peu de choses sur les avantages supplémentaires des combinaisons et, par conséquent, sur la pertinence des facteurs communs ou distincts. Les aspects suivants sont communs aux thérapies :
– Haute personnalisation
– Interdisciplinarité et interprofessionnalité
– Implication de l’ entourage et des proches en particulier
– Valorisation, reconnaissance des émotions
– Communication non verbale

Le niveau de preuve pour chaque procédure est très différent. Il convient en outre de délimiter l’ objectif. Ainsi, l’ amélioration de la cognition par des approches non médicamenteuses est plus facilement réalisable au stade de démence légère à modérée. De nombreuses interventions, telles que la stimulation cognitive, la thérapie par réminiscence, l’ ergothérapie, la thérapie par la musique et la danse, sont en revanche décrites dans la lignes directrice S3 (1) pour tous les stades de la démence pour le traitement des symptômes dépressifs. Le degré de recommandation va de «élevé» pour la thérapie par le mouvement et la psychothérapie à «faible» pour la réminiscence et l’ ergothérapie. Malgré les nombreuses études existantes, la ligne directrice S3 (1) n’ apporte aucune preuve d’ efficacité des méthodes non médicamenteuses contre les symptômes d’ anxiété.

Psychothérapie

Il existe de bonnes preuves d’ efficacité de la psychothérapie, notamment pour le traitement des symptômes dépressifs dans les cas de démence légère et de Mild cognitive impairment (MCI). Les objectifs thérapeutiques sont la psychoéducation, l’ activation des ressources, le renforcement des stratégies d’ adaptation et la promotion de l’ efficacité personnelle. Il est également essentiel d’impliquer et conseiller les proches. Il est recommandé d’ adapter le traitement par rapport aux personnes sans déficit cognitif. La préférence devrait être donnée à des séances de thérapie plus courtes mais plus fréquentes. De plus, les éléments cognitifs devraient être adaptés aux capacités de la personne.

Concepts de soins spécifiques

Les concepts de soins infirmiers impliquent généralement une combinaison d’ interventions et d’ approches différentes. Les soins n’ étant pas une thérapie en soi, ils intègrent souvent des éléments thérapeutiques de disciplines voisines. Par exemple, les activités quotidiennes sont complétées par des interventions stimulant le mouvement, ou bien des interventions musicales sont intégrées dans la structure de la journée et produisent ainsi leurs effets (p. ex. maintien ou réactivation des ressources, promotion de la qualité de vie). Les interventions présentées ici ne sont donc pas exclusivement proposées par le personnel soignant.

Interventions multisensorielles

Soins aromatiques et aromathérapie

Les soins aromatiques et l’ aromathérapie sont souvent utilisés comme synonymes dans la littérature et comprennent l’ utilisation externe d’ huiles essentielles. Il n’ y a pas de preuve claire d’ efficacité en ce qui concerne la qualité du sommeil ou l’ amélioration de la qualité de vie. Une revue de 5 études ne trouve aucune preuve d’ efficacité de leur utilisation en cas d’ agitation (1). Les expériences en matière d’ aromathérapie / soins aromatiques dans la pratique des soins sont souvent positives, quel que soit le stade de la démence. L’ huile de mélisse semble être le produit qui donne globalement les meilleurs résultats. Il est nécessaire d’ observer attentivement les personnes atteintes de démence pendant l’ utilisation de l’ aromathérapie afin d’ interrompre immédiatement l’ intervention en cas d’ éventuelles réactions négatives. Lors de la première utilisation d’ un produit, la prudence est de mise en raison d’ une possible réaction allergique et un test d’ allergie doit être effectué si nécessaire.

Stimulation basale

La stimulation basale favorise la perception, par exemple par la stimulation sensorielle au moyen de massages, mais aussi de manière multimodale par le mouvement et la parole (chanter / fredonner). Les études sur l’ utilité de la stimulation basale dans les soins et l’ accompagnement des personnes atteintes de démence sont peu nombreuses. Les recommandations existantes pour les soins et l’ accompagnement des personnes atteintes de démence mentionnent la stimulation basale (3).

Snoezelen

La thérapie Snoezelen consiste à stimuler différents sens par des offres visuelles, acoustiques, olfactives, tactilo-haptiques, vestibulaires et / ou vibratoires au quotidien. Cette thérapie multisensorielle peut se dérouler dans un espace clos (salle Snoezelen), dans le cadre d’ un plan de traitement axé sur les tâches ou encore dans le cadre d’ une prise en charge 24h/24. Sur la base des preuves existantes et de l’ expérience pratique, la thérapie Snoezelen peut être recommandée pour les personnes atteintes de démence modérée à sévère (5, 6). Les effets de la thérapie Snoezelen sont plus importants lorsque la personne qui propose la thérapie (soignant, proche aidant) est formée à l’ utilisation d’ interventions multisensorielles (5).

Entraînement de la mémoire / Thérapie de stimulation cognitive

L’ éventail des approches de thérapie cognitive va de procédés d’ activation relativement peu spécifiques (stimulation cognitive) à des entraînements (fonctionnels) concentrés sur certains domaines cognitifs. De nombreuses approches sont liées à l’ interaction sociale et devraient être utiles pour cette seule raison. Les participants ont parfois estimé que leur qualité de vie était meilleure. Mais la confrontation avec ses propres déficits peut aussi avoir des effets négatifs sur l’ état psychique.
Au stade de démence légère à modérée, plusieurs lignes directrices internationales (1, 6) ainsi qu’une revue Cochrane (7) recommandent une stimulation cognitive qui, outre une amélioration de la cognition, peut également avoir des effets positifs sur la qualité de vie et la communication, comparables à ceux pouvant être obtenus dans le cadre de thérapies médicamenteuses établies. La ligne directrice S3 émet une recommandation faible pour la stimulation cognitive dans le traitement des symptômes dépressifs dans le cadre de la démence. L’ entraînement spécifique de la mémoire avec l’ enseignement de stratégies ou les méthodes psychothérapeutiques pour le traitement des déficits cognitifs sont déconseillés au stade de démence afin d’éviter une surcharge.

Réhabilitation cognitive

La réadaptation cognitive se réfère à l’ identification individuelle d’ objectifs fonctionnels pertinents pour la personne atteinte de démence et qui doivent être atteints en collaboration avec la personne concernée, ses proches et ses soignants. L’ objectif est de réduire les impacts des limitations existantes.
La réadaptation cognitive est recommandée pour les stades de démence légère à modérée (6) (NICE).

Physiothérapie

La littérature et les études montrent clairement l’ efficacité des mesures physiothérapeutiques en cas de douleurs et de limitations de mouvement (8). La ligne directrice S3 se prononce fortement en faveur de l’ entraînement physique pour améliorer les activités de la vie quotidienne (1).
Grâce à des examens physiothérapeutiques ciblés des structures corporelles, des fonctions et de l’ activité tout au long de l’ évolution de la maladie, les déficits tels que la douleur, le risque de chute, la dysphagie sont rapidement identifiés, permettant la planification de mesures interprofessionnelles individuellement adaptées (9–11) et une utilisation optimale des manuels d’ entraînement (12). Cela permet également de réduire de manière ciblée les problèmes de comportement (13).

Au stade de démence avancée, en fonction de l’ évolution de la maladie, il convient de procéder environ une fois par an à une évaluation structurelle (douleur, limitation des mouvements), fonctionnelle (stabilité, force, équilibre, capacité cardio-pulmonaire, dysphagie), des capacités cognitives et motrices, et du risque de chute.

Ergothérapie

L’ ergothérapie est considérée comme une thérapie visant à améliorer et à maintenir les fonctions quotidiennes et la capacité d’ action dans le but d’ améliorer la participation et la qualité de vie dans le quotidien et le cadre de vie individuel. Les interventions efficaces comprennent le conseil et la mise en œuvre d’ activités de promotion de la santé qui améliorent la qualité de vie, ainsi que l’ entraînement des capacités physiques, cognitives, émotionnelles et sociales pertinentes pour la vie quotidienne (14–16). La ligne directrice S3 recommande également l’ ergothérapie pour traiter les symptômes dépressifs. L’ ergothérapie s’ adresse à la fois aux personnes concernées et à leurs proches, et peut les soutenir dans les domaines des activités quotidiennes, des soins personnels, de la mobilité, des tâches ménagères et des loisirs (17), permettant ainsi de réduire la charge physique (16) et psychologiques (18) des proches.

Thérapie d’activation

La thérapie d’ activation se déroule en individuel ou en groupe. Divers moyens (p. ex. musique, mouvement ou entraînement de la mémoire) et méthodes (p. ex. processus de réminiscence avec travail biographique, validation ou stimulation basale) sont utilisés (19). Ces méthodes ont fait l’ objet d’ études sur leur efficacité.

Il existe des preuves modérées concernant les approches de thérapie d’ activation chez les PAD (15, 20), mais celles-ci couvrent un large éventail de résultats et s’ appliquent aussi bien directement pour les PAD que pour leurs proches. Les lignes directrices NICE indiquent que diverses activités physiques quotidiennes (marche, danse, exercices d’ équilibre, etc.) peuvent avoir une influence positive sur la cognition et l’ exécution des activités quotidiennes. Les activités en plein air semblent avoir un effet positif sur l’ humeur, la participation sociale et le sommeil (21).

Logopédie

Les troubles du langage et/ou de la parole ainsi que de la communication, qui peuvent apparaître dans différentes formes de démence, entravent la participation sociale dans une large mesure. En particulier au stade MCI et en début de maladie, un traitement logopédique est indiqué pour les variantes à dominante linguistique. Il est essentiel d’intégrer les proches-aidants dès le début de la prise en charge logopédique (22).
Les exercices doivent être pertinents pour la vie quotidienne ou avoir une signification pour le patient. Dépendant d’où se situe le trouble langagier, nous pouvons travailler au niveau de l’ articulation, des mots, de la phrase ou du discours.

La lecture peut être une ressource pour maintenir la communication, en particulier pour ceux qui souffrent d’ une démence de type Alzheimer (23–25). Il existe également des moyens de communication alternatifs tels que des carnets de communication, des applications ou encore la communication multimodale via le geste ou l’ écriture.

La prévalence des dysphagies dans la démence avancée est de plus de 80 % (26, 27). Un examen clinique et logopédique détaillé de la déglutition (26, 28) inclut des procédures instrumentales pour examiner le processus de déglutition. En cas de démence avancée, cela n’ est souvent pas possible. On se rabat alors sur une observation structurée de l’ alimentation. Sur le plan thérapeutique, la méthode de choix est la thérapie fonctionnelle de la dysphagie. La déglutition est soutenue, par exemple, par des modifications de la position de la tête, mais aussi par des adaptations de la nourriture.

Art-thérapie

Musicothérapie
Les lignes directrices nationales et internationales ainsi que les experts recommandent l’ utilisation de la musicothérapie (MT). Une revue Cochrane (29) fournit des indications selon lesquelles l’ humeur, les symptômes comportementaux, la communication et les fonctions physiques peuvent être influencés positivement.
La ligne directrice S3 considère que la musique a des effets positifs sur le traitement des symptômes dépressifs et recommandent fortement son utilisation personnalisée en cas d’ agitation. Une méta-analyse de Zhang et al. 2017 (30) montre que les interventions basées sur la musique – combinées à l’ interaction sociale – peuvent avoir des effets positifs sur les symptômes comportementaux et l’ anxiété. Une tendance à l’ amélioration des signes de dépression, de la fonction cognitive et de la qualité de vie est également constatée. Une revue de la littérature soutient ces conclusions (31, 32), démontrant dans une méta-analyse des effets positifs sur l’ attention, le langage et la mémoire autobiographique, et décrit des effets mesurables plus importants lors de thérapies menées par des musicothérapeutes qualifiés.
Les symptômes dépressifs diminuent de manière significativement plus importante avec la musicothérapie de groupe qu’ avec la participation à un groupe de chant (33).
Dans les cas de démence modérée et avancée, la musique joue un rôle particulier dans la génération d’ émotions positives, le déclenchement de souvenirs et la prise de contact par les soignants (Huber et al., 2021).

La MT montre des effets positifs sur la qualité de vie dès le stade MCI, avec une préférence pour la MT active par rapport à la MT réceptive, et des effets étant plus importants en individuel.
Des playlists/collections musicales pour se détendre, motiver ou soutenir les mesures de soins sont recommandées (34, 35). Comme une MT plus fréquente semble renforcer les effets positifs, un traitement continu plusieurs fois par semaine est recommandé (36), sachant qu’ en setting de groupe le nombre des participants devrait se limiter à un maximum de 5–8 patients (37).

Autres approches d’art-thérapie
Dans la revue Cochrane parue en 2018 et portant sur la thérapie par la peinture, aucune preuve suffisante de l’ efficacité de l’ art-thérapie n’ a été trouvée (38). Dans la ligne directrice S3 actualisée, la thérapie par la danse est recommandée pour le traitement des symptômes dépressifs en cas de MCI et de démence. Les autres approches d’ art-thérapie n’ y sont plus explicitement abordées et il est urgent de poursuivre la recherche dans ce domaine.

Thérapie assistée par l’ animal

Le terme «interventions assistées par l’ animal» est considéré comme un terme générique.
Comme pour le professionnel, les animaux utilisés nécessitent une préparation professionnelle et intensive, ainsi qu’ une certification spéciale.
En général, les interventions assistées par l’ animal sont utilisées pour promouvoir les compétences sociales, émotionnelles, physiques et cognitives (39).
Il n’ y a actuellement pas de preuve d’efficacité concernant le traitement de l’ agitation.

Offres de conseil et travail avec les proches en cas de maladie d’ Alzheimer et d’autres formes de démence

Le conseil au patient et à son entourage est un élément clé du traitement de la démence et une condition préalable à une gestion appropriée de la maladie. Un conseil unique, par exemple au moment de l’ annonce du diagnostic, n’ est pas suffisant. Souvent, les questions essentielles concernant la maladie et la vie avec la maladie ne viennent à l’ esprit des personnes concernées qu’ après un certain temps. Une approche guidée dès le début, qui montre aux personnes malades et à leur famille quelles sont les informations pertinentes, quelles sont les possibilités de soutien et comment mener une vie épanouie malgré la démence, est essentielle, car elle permet de s’ orienter vers le soutien et l’ aide disponibles (40). Le travail avec les proches comprend également l’ enseignement des compétences nécessaires pour l’interaction avec les PAD, comme p.ex. concernant la communication et les SCPD.

La ligne directrice S3 recommande dès la présence de symptômes psychologiques légers, une thérapie cognitive-comportementale, ou une activation comportementale, ou une intervention multimodale en combinaison avec du conseil.Étant donné que les approches de conseil sont variées et donc difficilement comparables, il existe à ce jour peu d’ études portant sur l’ effet du conseil aux PAD au sens strict.

Case management et suivi personnalisé
Afin d’ éviter d’ une part les obstacles psychologiques dus à la stigmatisation encore présente des pathologies démentielles, et d’ autre part d’ accompagner les malades et leurs proches de manière adaptée à leurs besoins et à l’ évolution de la maladie, la gestion de cas spécifique à la démence, par exemple sous la forme d’un «suivi personnalisé», offre une approche judicieuse (41, 42). Dans ce sens, le Dementia Care Manager est de plus en plus demandé au niveau international, avec des preuves d’une réduction des complications et du retard des entrées en institution (43).

Centres de consultation
En Suisse, il existe différentes structures vers lesquelles les proches peuvent se tourner : les memory clinics, les médecins généralistes et spécialistes, les centres de consultation, les centres de formation ainsi que divers services de conseil pour les personnes âgées offerts par les communes. Certains d’ entre eux appartiennent à des organisations actives au niveau national comme Alzheimer Suisse et Pro Senectute ou se sont développés au niveau local. La plupart du temps, les premières consultations sont gratuites. En outre, les nombreuses ressources en ligne disponibles (p. ex. Alzheimer Berne: Alzheimer Berne (alzheimer-schweiz.ch) et (https://alzguide.ch/fr) peuvent être utiles en complément.

Soutien par les pairs
Le soutien par les pairs d’ autres aidants familiaux peut réduire le stress psychosocial des aidants familiaux et renforcer le réseau de soutien des personnes atteintes de démence.

Procédures interventionnelles

Différentes procédures interventionnelles ont été étudiées dans le cadre de la démence. Contrairement aux innovations médicamenteuses, dont la sécurité et l’ efficacité doivent être prouvées dans le cadre d’ une procédure d’ autorisation, les méthodes interventionnelles sont moins réglementées. Ainsi, il existe sur le marché de la santé en Suisse différentes procédures qui sont, certes certifiées CE et donc considérées comme suffisamment sûres, mais qui n’ ont pas encore pu démontrer leur efficacité dans des études de qualité suffisante et de grande envergure. Cette situation est particulièrement préoccupante, car certaines entreprises tentent déjà de commercialiser leurs produits pour le traitement des PAD.

Stimulation magnétique transcrânienne répétitive (SMTr)
La SMTr est une méthode neuromodulatrice qui peut générer un champ électrique en profondeur dans le cerveau par stimulation avec une bobine magnétique à la surface de la tête. Dans l’ ensemble, les données disponibles sont encore trop limitées pour pouvoir recommander une large utilisation dans la démence en dehors des études cliniques.

Stimulation transcrânienne par impulsions
La stimulation transcrânienne par impulsions doit permettre d’ exciter des structures cérébrales profondes depuis l’ extérieur à travers la boîte crânienne. Jusqu’ à présent, des études ont certes pu mesurer des effets sur certaines fonctions importantes pour la démence de type Alzheimer (44) mais elles ont été menées sans groupe contrôle. Dans l’ ensemble, les données disponibles sont encore insuffisantes et l’ utilisation en dehors des études cliniques ne peut pas être recommandée.

Stimulation électrique transcrânienne
La stimulation électrique transcrânienne peut être appliquée de différentes manières à la surface de la tête. Des données issues d’ études randomisées et contrôlées par placebo suggèrent une efficacité sur les symptômes principaux de la démence de type Alzheimer, comme les troubles de la mémoire épisodique (45). Les effets sont restés mesurables au-delà de la période de traitement proprement dite (46). Cependant, les données des études sont encore hétérogènes et préliminaires, de sorte qu’une utilisation en dehors des études cliniques n’ est pas recommandée.

Stimulation cérébrale profonde
La stimulation cérébrale profonde (deep brain stimulation, DBS) est une procédure invasive au cours de laquelle des électrodes sont placées en différents points cibles en profondeur dans le cerveau. Cette méthode est bien établie dans le traitement des personnes atteintes de la maladie de Parkinson et d’ autres troubles du mouvement. Cependant, cette méthode ne peut pas être recommandée à l’ heure actuelle pour les PAD, en dehors des études cliniques.

Soins palliatifs, Advance Care Planning (ACP)

La démence est un syndrome qui est le plus souvent l’ expression d’ une maladie incurable, qui raccourcit la vie et qui, avec les maladies qui l’ accompagnent, conduit finalement au décès, bien que les personnes puissent vivre avec la maladie pendant des années. Des soins palliatifs adéquats visent à améliorer la qualité de vie, à préserver les fonctions et à maximiser le bien-être tout au long de la maladie, et prennent également en compte les besoins des proches (47). Étant donné que la cognition, la capacité de communication et de jugement diminuent au cours de la maladie, une planification anticipée précoce (ACP) avec la personne atteinte de démence est importante, afin de consigner les préférences, les valeurs, les besoins et les attentes pour les phases ultérieures de la maladie (48).

Les mesures de traitement médicamenteuses et non médicamenteuses doivent être appliquées dans un esprit palliatif.
Au cours de la maladie, les troubles de santé nécessitent des décisions minutieuses concernant l’ objectif du traitement en tenant compte de l’ ACP, afin d’ éviter des hospitalisations et des interventions inutiles (49)

Thérapie médicamenteuse

Traitements médicamenteux symptomatiques

Toutes les approches thérapeutiques médicamenteuses autorisées jusqu’ à présent ont un effet symptomatique. Ils ne ciblent donc pas directement la neurodégénérescence à l’ origine de la maladie ou les dépôts de protéines pathologiques de la maladie d’ Alzheimer (tau et amyloïde) dans le cerveau. En général, ces médicaments améliorent d’ un point le score du Mini-Mental Status chez les personnes atteintes de la maladie d’ Alzheimer et il faut plusieurs semaines pour que l’ effet maximal soit observé. L’ amélioration des fonctions quotidiennes est souvent plus importante. Comme les médicaments sont disponibles depuis longtemps, les études d’ autorisation initiales ne répondent plus aux normes actuelles. Cela a conduit certains pays (p. ex. la France) à restreindre leur remboursement.
Pour toutes les substances, il est recommandé de procéder à une titration lente. Dans l’ ensemble, les substances sont bien tolérées.

Inhibiteurs de l’ AChE

Maladie d’ Alzheimer
L’ effet des trois inhibiteurs de l’ acétylcholinestérase (AChE-I), Donepezil, Rivastigmine et Galantamine, est modéré, mais reste significatif même en cas d’ utilisation prolongée, comme le montrent des travaux récents avec des données à long terme (50). Dans cette étude et dans d’ autres, les personnes atteintes de démence sous AChE-I ont également une mortalité globale réduite.
Les AChE-I figurent sur la liste des spécialités. Les limitations exigent la réalisation répétée du MMSE pour une évaluation du rapport bénéfice/risque. En cas de valeur inférieure à 10, les limitations exigent ainsi leur arrêt. En revanche, la ligne directrice S3 allemande et les données de l’ étude Domino-AD recommandent leur poursuite (51), mais celle-ci doit être justifiée (off-label). Au stade de limitations fonctionnelles importantes (p. ex. alitement et besoin de soins importants), le traitement devrait être arrêté.

Autres formes de démence
Le Donépézil ou la Rivastigmine devraient être proposés aux personnes atteintes d’ une démence légère à modérée liée à la maladie de Parkinson ou à une DCL. Dans cette indication, la Rivastigmine peut avoir un effet favorable sur les symptômes comportementaux (52). En Suisse, la Rivastigmine en capsules est autorisée pour la démence liée à la maladie de Parkinson ; dans les autres indications, il s’ agit d’ un traitement off-label.
Dans le cas d’ une démence purement vasculaire, la ligne directrice S3 recommande le Donepezil ou la Galantamine à haute dose, ainsi que la Mémantine pour le traitement de la cognition. Il convient également de prendre en compte que les démences chez les personnes très âgées sont majoritairement des formes mixtes. Les AChE-I ne sont pas indiqués en cas de démence due à une Dégénérescence lobaire fronto-temporale (DLFT).

Mémantine

Maladie d’ Alzheimer
La mémantine est autorisée pour la démence modérée à sévère due à la maladie d’ Alzheimer. En cas de démence modérée, il convient toutefois de donner la préférence aux AChE-I s’ils sont bien tolérés (NICE). Ici aussi, en cas de bonne tolérance, le traitement doit être administré avec une augmentation progressive jusqu’ à la dose maximale de 20 mg. Les limitations exigent en outre la réalisation répétée du MMSE et un score compris entre 3 et 19 points.

Autres formes de démence
Pour le traitement de la DCL, la mémantine est considérée comme un traitement de 2e choix après les AchE-I (voir ci-dessus). En cas de DLFT, il est recommandé de ne pas utiliser les deux groupes de substances. La mémantine a un effet sédatif plus marqué que les AchE-I.

Ginkgo biloba

Démence de type Alzheimer et démence vasculaire
La ligne directrice S3 allemande évalue positivement le ginkgo biloba à une dose de 240 mg par jour en ce qui concerne les «activités de la vie quotidienne» ainsi que les capacités cognitives. Son utilisation est recommandée en cas de maladie d’Alzheimer légère à modérée ou de démence vasculaire avec des symptômes comportementaux non psychotiques. Le degré de recommandation pour l’ amélioration de la cognition est toutefois inférieur à celui des inhibiteurs de l’ AChE. Plusieurs préparations sont disponibles, dont la composition chimique diffère légèrement. La plupart des études scientifiques ont été menées avec l’ extrait Egb 761. Dans l’ ensemble, le traitement peut être envisagé en cas de démence légère à modérée due à une maladie d’ Alzheimer, mais aussi à une démence vasculaire. Ceci est particulièrement vrai pour les personnes qui favorisent les phytothérapies ou pour lesquelles les autres AChE-I et la mémantine ne sont pas envisageables.

Trouble cognitif subjectif (SCD) et trouble cognitif léger (MCI)
En Suisse, l’ autorisation de ces substances est large («pertes de capacités mentales»). Ainsi, les préparations à base de ginkgo sont les seules substances qui peuvent également être utilisées au stade MCI. Toutefois, de grandes études randomisées n’ ont pas montré d’ effet significatif sur le développement d’ une démence (53, 54). En revanche, les données des registres de prescription montrent que les personnes sous ginkgo sont moins susceptibles de développer une démence (55). Cette divergence s’ explique probablement par des différences méthodologiques et la durée d’ observation. En résumé, un traitement au ginkgo peut être envisagé au stade SCD et MCI. Il devrait cependant toujours être accompagné de conseils détaillés sur les mesures de prévention de la démence (56).

Autres formes de démence
Il n’ existe aucune preuve d’ efficacité pour la démence parkinsonienne, la DCL et la DLFT.

Thérapies modifiant la maladie

Au moment de l’ élaboration des présentes recommandations thérapeutiques, des demandes d’ autorisation de mise sur le marché ont été déposées auprès de Swissmedic pour de nouveaux traitements modifiant la maladie, le Lecanemab et le Donanemab. Une décision à ce sujet est en attente. Ces médicaments ont montré dans de grandes études de phase III qu’ ils pouvaient réduire efficacement la charge amyloïde dans le cerveau des personnes aux stades cliniques précoces de la maladie d’ Alzheimer et qu’ ils avaient également des effets modérés sur la progression des symptômes cliniques.
Comme les présentes recommandations se limitent aux thérapies autorisées ou disponibles en Suisse, nous ne procédons pas (encore) à une évaluation plus approfondie de ces nouvelles thérapies. Nous vous renvoyons à des prises de position séparées qui seront publiées en temps voulu.

Révision critique d’autres thérapies ­médicamenteuses

Il est tout aussi important d’ utiliser des médicaments pour améliorer la cognition que d’ éviter ceux qui la détériorent. PRISCUS (57) et START-STOPP (58) sont des compilations de médicaments potentiellement inappropriés pour les personnes âgées (PIM).

Thérapies à base de substances / Compléments alimentaires
L’ utilisation de compléments alimentaires dans le cadre de la démence fait l’ objet de différentes approches thérapeutiques potentiellement efficaces, qui vont de l’ approvisionnement du cerveau en micronutriments neuroprotecteurs spécifiques, à l’ influence ciblée sur l’ inflammation cérébrale via la modification du microbiome (algues brunes), en passant par l’ amélioration énergétique au moyen d’ un régime cétogène. Compte tenu du caractère préliminaire des études scientifiques disponibles, aucune recommandation générale ne peut être formulée à l’ heure actuelle. Cela ne concerne pas le traitement de carences avérées ni les recommandations générales de la médecine gériatrique concernant la vitamine D.

Perspectives

Pénurie de personnel qualifié et couverture des coûts

Malgré les derniers développements de thérapies à base d’anticorps, la prise en charge et le traitement des pathologies démentielles resteront un défi sociétal. Ces défis s’ intensifient considérablement en raison du doublement attendu du nombre de cas d’ ici 2050 et de la pénurie de personnel spécialisé. Il ne semble actuellement pas réaliste d’ offrir aux personnes atteintes de démence un traitement optimal de manière uniforme. Bon nombre des recommandations formulées dans ce document doivent être adaptées en raison du manque d’ offres locales et de leur financement. Il est notamment nécessaire d’ engager une discussion sociétale sur le coût de la prise en charge de la démence et sur le niveau d’ intégration souhaité pour les PAD. La manière dont les nouvelles technologies telles que les robots sociaux ou les technologies cognitives informatisées peuvent être mises en œuvre au quotidien et utilisées à long terme (en particulier dans le contexte suisse) n’ a pas encore été suffisamment étudiée, ce qui explique le faible niveau de recommandation. Il est toutefois clair que les nouvelles technologies joueront un rôle plus important à l’ avenir.

Remerciements

Nous remercions senesuisse, association suisse d’établissements économiquement indépendante pour personnes âgées, et Soins de longue durée Suisse, association suisse des professionnels de l’ accueil et des soins de longue durée, pour leur participation à la procédure de consultation. Nous remercions Reto Kressig pour ses commentaires complémentaires. Nous remercions Nadège Barro-Belaygues pour ses commentaires sur la version française des recommandations. Nous remercions Sandra Habegger pour l’ édition du texte. Il s’ agit de la 1ère édition des recommandations thérapeutiques. Le secrétariat de SMC reçoit volontiers des suggestions pour une nouvelle édition.

Abkürzungen
ACP Advance Care Planning
DCL/MCL Démence/maladie à corps de Lewy,
Démence/maladie à corps de Lewy
DLFT Dégénérescence lobaire fronto-temporale
MCI Mild cognitive impairment
MT Musicotherapie
PAD Personnes atteintes de démence
PIM Potentially inappropriate medication
SCD Subjective cognitive impairment
SCPD Symptômes comportementaux et psychiques de la démence
SMC Swiss Memory Clinics

Histoire
Manuscrit soumis: 30.05.2024
Manuscrit accepté: 10.06.2024

Prof. Dr. med. Stefan Klöppel

Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie
Murtenstrasse 21
3008 Bern
Schweiz

Dr. med. Tatjana Meyer-Heim

Société Professionnelle Suisse de Gériatrie (SPSG)
Swiss Memory Clinics (SMC)

Dr. phil. Michael Ehrensperger

Association Suisse des Neuropsychologues (ASNP)
Swiss Memory Clinics (SMC)

RN, MScN Angelika Rüttimann 

Centre de compétence en soins et santé

Dr. phil. Isabelle Weibel 

Genossenschaft Alterszentrum Kreuzlingen
Leitung Pflegeentwicklung

Angela Schnelli 

Genossenschaft Alterszentrum Kreuzlingen
Leitung Pflegeentwicklung

Daniela Frehner

Physioswiss
GERONTOLOGIE CH Fachbereich Physiotherapie

Prof. HES-SOAnne-Gabrielle Mittaz Hager 

Physioswiss
GERONTOLOGIE CH Fachbereich Physiotherapie

MSc, MASFabienne Hasler

Ergotherapie-Verband Schweiz (EVS)

Ylena Fuchsberger

Ergotherapie-Verband Schweiz (EVS)

Fiona Haag

Konferenz der Schweizerischen Berufsverbände der Logopädinnen und Logopäden (K/SBL)

Rahel Roth-Sutter 

Zentrum für medizinische Bildung Bern (medi)

Manuela Röker 

Schweizerischer Verband der Aktivierungsfachpersonen (SVAT)

Franziska Wirz

Schweizerischer Verband der Aktivierungsfachpersonen (SVAT)
Zentrum für medizinische Bildung Bern (medi)

Prof. Dr. med. Julius Popp

Swiss Memory Clinics (SMC)
Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie (SGAP)

Department of Adult Psychiatry and Psychotherapy
University of Zürich
Lenggstrasse 31
CH-8032 Zürich

Dr. med. Stefanie Becker

Alzheimer Schweiz

Dr. Elisa Choudery 

Konferenz der Schweizerischen Berufsverbände der Logopädinnen und Logopäden (K/SBL)
Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Logopädie

Dr. med. Ansgar Felbecker 

Swiss Memory Clinics (SMC)
Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG)

Die Autorinnen und Autoren dieser Publikation haben alle relevanten Informationen über mögliche Interessenskonflikte offengelegt. Sollten Sie weitere Informationen zu diesem Thema wünschen, wenden Sie sich bitte an die Geschäftsstelle unter: info@swissmemoryclinics.ch.

Les auteurs de cette publication ont déclaré toutes les informations pertinentes concernant d‘éventuels conflits d‘intérêts. Si vous souhaitez obtenir de plus amples informations sur ce sujet, veuillez contacter le secrétariat à l‘adresse suivante: info@swissmemoryclinics.ch

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