Sprechen und Entscheiden bei schwerer Erkrankung

«Tag für Tag, so will es unser Pakt, geben wir uns in diesem Krankenhauszimmer terminologisch mit Details ab, unter Umgehung der unbeantwortbaren Fragen.

Die Bedeutung der Blutwerte, der T-Zellen-Zahl, des Vorhandenseins von Antigenen, die Eigenarten von Virusmutationen und körperlicher Reaktionen …» – so beschreibt der im Jahr 1996 an einem HIV-Infekt verstorbene amerikanische Schriftsteller Harold Brodkey in seinem Buch «Die Geschichte meines Todes» die Gespräche mit seinem ihm vertrauten Arzt drei Jahre vor seinem Tod (1). Und die unter einem metastasierenden Melanom leidende australische Journalistin Cory Taylor schildert in ihrem Buch mit dem Titel «Sterben – eine Erfahrung» ihre Wahrnehmung der medizinischen Betreuung im Spital folgendermassen: «In den Krankenhäusern sprechen wir nicht über den Tod, dort sprechen wir über Behandlungen. Ich gehe aus den Gesprächen immer mit dem Gefühl heraus, als sei meine Menschlichkeit, mein Menschsein durch die Begegnung gemindert, als ob man mich allein auf meine Krankheit reduziert hätte, als sei alles andere, das mich ausmacht, von mir abgefallen» (2).

Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen werden in der Regel von ärztlichen Fachpersonen über die Natur ihrer Erkrankung und entsprechende Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt. Immer wieder konnte allerdings gezeigt werden, dass sich Erkrankte kurz nach einer entsprechenden Information für oder gegen eine Behandlung entscheiden müssen und kaum eine Möglichkeit haben, die Informationen zu reflektieren oder nachzufragen. Wie Cory Taylor dies erlebt hat, geht es bei den Gesprächen überwiegend um Symptome und Behandlungsmöglichkeiten, kaum aber einmal um die von den Betroffenen oftmals nicht ausgesprochenen Sorgen und Ängste im Zusammenhang mit Sterben und Tod. Auch erwarten Patient/-innen in einem zunehmend fragmentierten und oftmals von technischen Untersuchungen dominierten Gesundheitssystem, dass alle an der Behandlung Beteiligten denselben Kenntnisstand haben. Zudem möchten sie wissen, wer die medizinische Hauptansprechperson ist. Schliesslich wünschen Betroffene, dass der Einbezug von nahestehenden Menschen diskutiert wird und dass diesen die Möglichkeit gegeben wird, eigene Fragen zu stellen (3). Trotz ärztlicher Aufklärung haben Menschen mit ernsten Erkrankungen oft keine richtige Vorstellung des Behandlungsziels und häufig allzu optimistische Erwartungen bezüglich der zu erwartenden Überlebenszeit (4, 5). Und nicht selten werden schwierige Nachrichten wohl übermittelt, was aber nicht bedeutet, dass sie auch aufgenommen und verstanden werden: So konnten sich von 200 Menschen mit einer angeborenen Herzkrankheit, deren Ärzt/-innen der Ansicht waren, mit ihnen über ihre Lebenserwartung, über Möglichkeiten der Gesundheitlichen Vorausplanung und über Reanimationswünsche gesprochen zu haben, nur insgesamt zwei an ein solches Gespräch erinnern (6).
Wenn Ärzt/-innen im Gespräch den Bedürfnissen von Menschen mit einer fortgeschrittenen Erkrankung gerecht werden möchten, empfiehlt sich hierfür ein strukturiertes Vorgehen (Abb. 1) (7).

Kranke Menschen als Palliativpatienten/-innen erkennen: Eine Aufgabe für Ärzt/-innen in der Grundversorgung

Noch immer ist auch in Fachkreisen die Ansicht weitverbreitet, dass ernstlich erkrankte Menschen dann zu Palliativpatienten/-innen werden, wenn sie sterbend sind und alle erdenklichen kurativen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Die Unsicherheit darüber, welche Menschen sich in einer palliativen Situation befinden, ist nach wie vor ein wesentliches Hindernis für den Zugang insbesondere zu allgemeiner und zu spezieller Palliative Care (8). Gemäss dem im Rahmen der Nationalen Strategie Palliative Care 2010–2015 entstandenen Dokument «Allgemeine Palliative Care – Empfehlungen und Instrumente für die Umsetzung» ergibt sich eine Palliativsituation aus den Bedürfnissen der Erkrankten und der ihnen nahestehenden Menschen. Diese Bedürfnisse bestehen oftmals schon in einer Phase, in der durchaus noch Behandlungen in kurativer Absicht angezeigt sind und auch vorgenommen werden: Konkret geht es um die Linderung belastender Symptome, das möglichst lange Bewahren der Autonomie, eine sorgfältige gesundheitliche Vorausplanung und die Unterstützung bei schwierigen Entscheidungen; zudem ist eine Koordination der an der Behandlung beteiligten Fachpersonen sowie der aktive Einbezug der nahestehenden Menschen angezeigt und nicht zuletzt auch schon frühzeitig eine Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod, dem Umgang mit Sterbewünschen und der Gestaltung der letzten Lebensphase (9).

Es gehört zu den Aufgaben von in der Grundversorgung tätigen Ärzt/-innen sowie Pflegenden, bei fortschreitenden Erkrankungen daran zu denken, dass eine Palliativsituation vorliegen könnte, und entsprechende Schritte einzuleiten. Am ehesten wird man bei einem Menschen mit einem fortgeschrittenen Tumorleiden daran denken, dass die oben genannten Bedürfnisse vordringlich werden; daran denken sollte man aber auch unter anderem bei Menschen mit einer höhergradigen chronischen Herzinsuffizienz, mit einer raschen atembedingten Erschöpfung bei einer COPD, gehäuften Stürzen bei einem Morbus Parkinson oder auch einem ungewollten nennenswerten Gewichtsverlust bei einer Demenzerkrankung.

Nicht selten möchten kranke Menschen oder auch die ihnen nahestehenden Personen wissen, wie lange die Betroffenen noch zu leben haben. Daher versuchen Fachpersonen, die zu erwartende Überlebenszeit zu prognostizieren. Abgesehen von der Tatsache, dass in solchen Situationen oft ein Best-Case-Szenario kommuniziert und die Möglichkeit eines ungünstigen Verlaufs ausgeklammert wird, bedeutet das Abschätzen der Prognose noch immer eine grosse Herausforderung. Einigermassen korrekt bestimmen Ärzt/-innen die zu erwartende Überlebenszeit von Menschen, die nur noch wenige Tage leben, und auch von Menschen mit einer Lebenserwartung von über einem Jahr; dies gilt nicht nur für Patienten/-innen mit Tumorerkrankungen, sondern auch für solche mit z.B. einer Demenzerkrankung. Viel schwieriger ist die Prognosestellung bei Menschen, die voraussichtlich mehr als Tage und weniger als Monate oder mehr als Wochen, aber weniger als ein Jahr überleben werden (10). Vor über 20 Jahren wurden hierzu mehrere Scores, wie z.B. die Palliative Performance Scale (PPS) und der Palliative Prognostic Score (PaP Score), entwickelt, die es Fachpersonen erleichtern sollen, die Überlebensprognose abzuschätzen (11, 12). Diese Instru­mente eigenen sich zur Beschreibung von Patientengruppen und dann insbesondere für Studienzwecke, nicht aber als Grundlage für ein Gespräch mit einem einzelnen kranken Menschen. Komorbiditäten und individuelle Besonderheiten werden in diesen Scores nicht berücksichtigt, was ihre Aussagekraft für das einzelne Individuum deutlich schmälert.

Die sogenannte Überraschungsfrage «Wäre ich überrascht, wenn mein Patient innerhalb der kommenden 6–12 Monate versterben würde?» eignet sich ohne weitere Abklärung ebenfalls nur sehr beschränkt zur Identifikation von Palliativpatient/-innen; in einer systematischen Review und Metaanalyse ergab sich für die Überraschungsfrage eine Sensitivität von 11.6–96.6 % und eine Spezifität von 13.8–98.2 % (13). Weitaus geeigneter sind Instrumente, welche die
– individuelle Krankheitssituation des kranken Menschen berücksichtigen;
– die Perspektive der Betroffenen selbst miteinbeziehen;
– ein multidimensionales Assessment ermöglichen;
– die palliativen Bedürfnisse erfassen
– und zugleich eine Unterstützung zur Kommunikation anbieten.

Bewährt zur Identifikation von Menschen mit palliativen Bedürfnissen haben sich der nur in englischer Sprache verfügbare Gold Standards Framework (GSF) https://www.goldstandardsframework.org.uk/, der insbesondere auch die Perspektive resp. den Überlebenswillen der Betroffenen miteinbezieht, sowie der an der Universität Edinburgh entwickelte und mittlerweile am Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin der Universität Hannover angepasste und in die deutsche Sprache übersetzte Supportive & Palliative Care Indicators Tool (SPICT) https://www.spict.org.uk/the-spict/spict-de/. Dieser SPICT-DETM ist ein Leitfaden zur Identifikation von Menschen, die von einer Palliativversorgung profitieren können und bei denen ein palliatives Basis-Assessment sowie eine gesundheitliche Vorausplanung angezeigt sind. Ein begleitender Anwendungsleitfaden ermöglicht die Einschätzung von Bedürfnissen der betroffenen Person und bietet zugleich Unterstützung und Tipps zur Einleitung von Gesprächen über die Verschlechterung der Gesundheit und für Gespräche zur vorausschauenden Versorgungsplanung (14).

Multidimensionales Basis-Assessment

Damit nach Identifikation eines Menschen als Palliativpatient/-in die Behandlungsziele und ein Behandlungsplan gemäss dem Willen der betroffenen Person definiert werden können, empfiehlt sich ein Basis-Assessment: Sehr geeignet ist hierfür das vor über zehn Jahren von S. Eychmüller entwickelte SENS-Modell (15):
– Symptommanagement
Was macht aktuell am meisten Sorgen (körperliche, psychische Symptome, soziale Stressoren)? Welche sind die persönlichen Ressourcen?
– Entscheidung bzw. vorausschauende Planung
Persönliche Vorgeschichte, spirituelle und kulturell bestimmte Bedürfnisse, Erwartungen und Ziele des erkrankten Menschen, anstehende Entscheidungen, individuelle Planung der kommenden Lebensphase
– Netzwerk
Aktuelle Lebensumstände, privates Netzwerk, Netzwerk der Fachpersonen
– Support

Sorgen um Angehörige, Belastbarkeit von Angehörigen und nahestehenden Personen, finanzielle Belastungen von Angehörigen und nahestehenden Personen
Je nach Zustand und Verfassung des erkrankten Menschen kann dieses Basis-Assessment mit ihm selbst oder auch mit ihm nahestehenden Personen oder involvierten Fachpersonen erfolgen.

Das Team des Universitären Zentrums für Palliative Care am Inselspital Bern hat für den alltäglichen Gebrauch des SENS-Modells eine sehr hilfreiche Pocket Card entwickelt https://sens-plan.com/wp-content/uploads/2023/02/SENS-Pocket-Card_DE.pdf. Das Modell eignet sich nicht nur als Basis-Assessment, sondern auch zur Vorbereitung eines «Runden Tisches» im interprofessionellen Team und von Diskussionen über die Bedürfnisse und Grenzen, aber auch über Ressourcen der Patient/-innen und ihrer Angehörigen, als Werkzeug zur Erstellung eines Behandlungsplans sowie als Grundlage für Fallbesprechungen und Unterricht.
Zur Abgabe an Betroffene, insbesondere zur Vorbereitung von Gesprächen, eignet sich das ebenfalls vom Palliative Care Team des Inselspitals entwickelte Arbeitsblatt (Prompt-Sheet): https://sens-plan.com/wp-content/uploads/2022/07/SENS_Prompt-Sheet_Betroffene_de.pdf

Der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch

Wenn ein erkrankter Mensch als Palliativpatient/-in identifiziert wurde und ein Basis-Assessment für angezeigt erachtet wird, geht es darum, den geeigneten Augenblick für ein entsprechendes Gespräch zu finden. Mittlerweile weiss man, dass es je nach Krankheitsbild und Verlauf eigentliche Schlüsselmomente gibt, die geeignet sind für Gespräche über die Natur der Erkrankung, die Prognose sowie die anstehenden Entscheidungen. Murray SA et al. lehnen sich in ihren Empfehlungen an die schon 1965 von Glaser und Strauss beschriebenen sogenannten death trajectories an (16, 17):

Krankheiten mit einer raschen funktionellen Verschlechterung kurz vor dem Lebensende

Diesen Verlauf beobachtet man typischerweise bei Erkrankten mit einem Tumorleiden. Zu einer Einschränkung ihres psychischen Wohlbefindens kommt es bei diesen Menschen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung, nach der Spitalentlassung im Anschluss an die erste Therapie, bei einem Fortschreiten der Erkrankung unter Behandlung und schliesslich Tage bis Wochen vor dem Lebensende. Das sind diejenigen Situationen, in denen die Betroffenen oftmals verunsichert sind und empfänglich für vertiefende Gespräche. Dann sind auch Diskussionen über den zu erwartenden Verlauf der Erkrankung mit eventuell vorwegzunehmenden Entscheidungen angezeigt. Dies gilt insbesondere auch für Stadien der Erkrankung, in denen noch ein kurativer Ansatz verfolgt wird.

Erkrankungen mit intermittierenden funktionellen ­Verschlechterungen

Es sind dies in der Regel Menschen mit chronischem Organversagen, wie zum Beispiel bei COPD, fortgeschrittener Herz- oder Niereninsuffizienz oder auch einer Leberinsuffizienz. Diese Erkrankten werden häufig nicht oder viel zu spät als Palliativpatienten/-innen identifiziert, weshalb im Gespräch oftmals nur Therapiemöglichkeiten besprochen werden und kaum einmal potenzielle Entscheidungen über das Unterlassen oder Erbringen von lebensverlängernden Massnahmen. Bei diesen Menschen bietet sich insbesondere der Moment nach einer Spitalentlassung an, um Gespräche über die Prognose und sich daraus ableitende Entscheidungen zu führen. Wichtig ist es auch in Erfahrung zu bringen, ob Patient/-innen bei einer erneuten Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes nochmals hospitalisiert werden möchten.

Erkrankungen mit einer allmählichen, oftmals sich über Jahre hinziehenden funktionellen Verschlechterung

Hierzu gehören Menschen mit einer Demenz, aber auch Patienten und Patientinnen mit einer chronisch fortschreitenden neurodegenerativen Erkrankung oder auch mit einer zunehmenden Invalidisierung aufgrund Erkrankungen des Bewegungsapparates. Auch diese Menschen werden häufig nicht oder viel zu spät als Palliativpatienten/-innen erkannt. Der entscheidende Augenblick für ein Gespräch über die Prognose der Erkrankung wird oft verpasst, weswegen insbesondere bei Menschen mit Demenzerkrankungen Entscheidungen stellvertretend für urteilsunfähige Menschen gefällt werden müssen. Bei diesen Erkrankten gilt es, Gespräche über das weitere Vorgehen bei eventuell ungünstigem Verlauf so früh als möglich anzusetzen.

Allerdings sind diese Gespräche sehr behutsam zu führen: Antizipierte Entscheidungen zu einem sehr frühen Zeitpunkt einer Demenzerkrankung sind oftmals geprägt durch die gesellschaftliche Stigmatisierung der Demenz. Daher ist in der Beratung das sogenannte Behinderungsparadoxon zu berücksichtigen und den Erkrankten darzulegen, dass viele Menschen trotz aller Widrigkeiten durchaus Lebensqualität empfinden können (18). Man weiss auch, dass Menschen sich in einem frühen Stadium einer Demenzerkrankung nicht mit der Möglichkeit auseinandersetzen möchten, eines Tages nicht mehr zur Nahrungsaufnahme in der Lage zu sein. Daher sind sie zum Zeitpunkt der Diagnosestellung mehrheitlich auch nicht bereit, Entscheidungen bezüglich künstlicher Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung zu fällen (19).

Das patientenzentrierte Vorgehen nach dem Prinzip «Hope for the best, and prepare for the worst»

Zur Strukturierung eines entsprechenden Gesprächs kann z.B. das an der Universität von Edinburgh entwickelte REDMAP-Konzept https://www.spict.org.uk/wp-content/uploads/2023/10/REDMAP-Framework-Sept-2023.pdf verwendet werden:

R = Ready
Können wir über Ihre Krankheit und die Behandlung sprechen? Wer soll sonst noch an diesem Gespräch teilnehmen?
E = Expect
Was wissen Sie über Ihre Erkrankung? Was hat sich möglicherweise verändert? Manche Menschen machen sich Gedanken darüber …
D = Diagnosis
Was wir wissen ist …; wir wissen aber nicht …; wir hoffen natürlich, machen uns zugleich aber Gedanken darüber …Gibt es von Ihrer Seite offene Fragen oder Sorgen über den möglichen Verlauf Ihrer Krankheit?
M = Matter
Was erachten Sie als wichtig für Sie und Ihre Familie? Wozu möchten Sie in Zukunft in der Lage sein? Wie möchten Sie behandelt und betreut werden? Gibt es Dinge, die Sie keinesfalls möchten? Was würde (eine Ihnen nahestehende Person) zu dieser Situation sagen, wenn wir sie fragen würden? Warum würde sie dies sagen?
A = Action
Was wir tun können, ist …; Möglichkeiten zur Unterstützung sind …; das wird kaum hilfreich sein, weil …; das wird nicht funktionieren, wenn …
P = Plan
Lassen Sie uns im Voraus planen für die Situation, dass …; eine sorgfältige Vorausplanung ist ein ganz wichtiges Element zur guten Gesundheitsversorgung.

Murray SA et al. (17) geben einige ganz konkrete Empfehlungen, wie ein solches Gespräch geführt werden könnte:
«Wenn einer meiner Patienten eine Erkrankung wie die Ihrige hat, führe ich in der Regel ein Gespräch mit ihm über die Prognose resp. die zu erwartenden Verläufe. Es ist ja erfreulich, dass die Therapie diesmal erfolgreich war; auf der anderen Seite mache ich mir Gedanken, was sein wird, wenn Ihre Krankheit eines Tages nicht mehr wirksam behandelt werden kann.»

«Möchten Sie mit mir allein darüber sprechen, oder sollen wir noch jemanden aus Ihrem Familien- oder Freundeskreis beiziehen?»

«In diesem Gespräch sollten wir erfassen, wozu Sie jetzt und in Zukunft in der Lage sein möchten; auch möchte ich mit Ihnen über Ihre aktuelle Situation sprechen, welche Informationen Sie zu Ihrer Krankheit benötigen und welche Gedanken und Sorgen Sie sich machen, wenn Sie an Ihre Zukunft denken.»

«Darf ich Sie fragen, was Ihnen bisher zu Ihrer Krankheit mitgeteilt wurde und wie ein möglicher Verlauf aussehen könnte?»

«Was ist Ihnen wichtig, im Voraus festzulegen resp. zu entscheiden?»

«Es ist mir ein Anliegen, dass Ihre Lebensqualität so gut als möglich ist; ich habe auch die Möglichkeit, zum Erreichen dieses Ziels einen Spezialisten auf dem Gebiet der Palliative Care beizuziehen.»

Wichtig ist es, in diesen Gesprächen die Hoffnung des kranken Menschen auf eine Verbesserung ihres Gesundheitszustandes nicht zu zerstören und ihn gleichzeitig auf einen möglicherweise ungünstigen Verlauf vorzubereiten. Das Prinzip «Hope for the best, and prepare for the worst» wurde erstmals im Jahr 2003 von A.L. Back, einem Onkologen aus Seattle, beschrieben (20). Im Verlauf dieses Gesprächs ist es von Bedeutung, immer wieder Pausen einzulegen, in denen Betroffene sich Fragen überlegen und Emotionen wie Angst und Wut zum Ausdruck bringen können.

Im medizinischen Alltag werden die Krankheitsverläufe immer weniger den oben beschriebenen klassischen death trajectories entsprechen, da vor allem ältere Menschen nicht nur unter einer Tumorerkrankung oder einer Organinsuffizienz oder einer zunehmenden Altersgebrechlichkeit leiden, sondern multimorbid sind mit einer Überlagerung der death trajectories. So werden Menschen mit einer fortgeschrittenen Organinsuffizienz oftmals auch gleichzeitig unter Beschwerden bei ausgeprägten degenerativen Veränderungen des Bewegungsapparates leiden, kognitiv beeinträchtigt sein und im Verlauf eine Schenkelhalsfraktur und eine Pneumonie erleiden. Neben diesen somatischen Problemen werden sie psychische Belastungen erleben, unter Umständen eine Depression oder eine Angststörung entwickeln, möglicherweise einen Umzug in eine Langzeitpflegeinstitution akzeptieren müssen und zugleich eine Veränderung ihrer Rolle und zunehmenden Kontrollverlust beklagen (7). Dies bedeutet auch, dass im Verlauf die multidimensionalen Behandlungsziele und -wünsche immer wieder neu zu klären sind und die Gesundheitliche Vorausplanung einem kontinuierlichen Prozess entsprechen sollte.

Auch gilt es zu berücksichtigen, dass der Verlauf von Tumorerkrankungen angesichts der neuesten therapeutischen Entwicklungen immer weniger regelhaft verlaufen wird. Gezielte onkologische Behandlungen, wie die Behandlung von fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungentumoren mit Tyrosinkinase-Inhibitoren oder auch von metastasierenden Melanomen mittels Immuntherapie, werden dazu führen, dass auch bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen gewisse Menschen eine sehr günstige Prognose haben, währenddem dies bei anderen nicht der Fall ist (21). Bei prognostischer Unsicherheit empfehlen sich zum Beispiel folgende Sätze (22):
– «Aktuell ist es ausgesprochen schwierig zu sagen, wie sich Ihre Erkrankung entwickeln wird; wäre es hilfreich für Sie, mit mir darüber zu sprechen, wie es Menschen in einer ähnlichen Krankheitssituation wie der Ihrigen ergangen ist?»
– «Können wir gemeinsam über den Umgang mit der Ungewissheit, wie der Verlauf Ihrer Erkrankung sein wird, reden?»

Gesundheitliche Vorausplanung – Advance Care Planning (ACP)

Die genannten Gespräche sind zugleich Grundlage und elementarer Bestandteil einer sorgfältigen Gesundheitlichen Vorausplanung. Aus den Diskussionen werden sich die Behandlungsziele ergeben: Was soll mit der Behandlung erreicht werden? Was steht dabei im Vordergrund – ein langes Überleben oder eine möglichst gute Lebensqualität? Welche Belastungen werden zur Erreichung des Behandlungsziels in Kauf genommen? Erst wenn kranke Menschen Gelegenheit hatten, mit einer Fachperson über ihre Erkrankung, die möglichen Verläufe, die Prognose und die infrage kommenden Behandlungen zu sprechen und Behandlungsziele zu definieren, soll über gewünschte oder nicht durchzuführende medizinische Massnahmen wie Wiederbelebung, Behandlung auf einer Intensivstation oder auch ganz konkret über den bevorzugten Ort der Behandlung bei sich verschlechternder Situation gesprochen und entschieden werden. Im Rahmen der Besprechung dieser potenziell lebenserhaltenden Massnahmen kann darauf eingegangen werden, was eine Reanimation oder auch eine Beatmung auf einer Intensivstation für diesen Menschen in der konkreten Krankheitssituation bedeutet und welche die Chancen und die Risiken sind.

Gemäss dem mittlerweile in vielen Regionen der Schweiz eingeführten Konzept der Gesundheitlichen Vorausplanung empfiehlt es sich, bei ernstenw fortgeschrittenen Erkrankungen neben einer Patientenverfügung auch eine sogenannte Ärztliche Notfallanordnung (ÄNO) und einen Behandlungsplan zu erstellen (23).

Eine Ärztliche Notfallanordnung kommt in einer lebensbedrohlichen Notfallsituation zur Anwendung, in der das medizinische Personal zur Lebensrettung oder Vermeidung ernsthafter Schäden sofort handeln muss. Die in einer Ärztlichen Notfallanordnung angeordneten Massnahmen orientieren sich an konkreten Behandlungszielen (Lebensverlängerung oder Leidenslinderung). Sowohl das Behandlungsziel wie auch die angeordneten Massnahmen müssen zwingend mit der betroffenen resp. der stellvertretend für sie entscheidenden Person in einem ärztlichen Gespräch festgelegt werden. Im Gegensatz zu einer Patientenverfügung, die sogenannt vertretungsfeindlich ist und daher nicht von einer Drittperson für einen urteilsunfähigen Menschen erstellt werden kann, kann eine Ärztliche Notfallanordnung auch von einer stellvertretend für einen urteilsunfähigen Menschen entscheidenden Person unterzeichnet werden. Selbstverständlich sind Ärztliche Notfallanordnung und Patientenverfügung inhaltlich aufeinander abzustimmen.

Koordination von Behandlung und ­Betreuung

Auch ein Behandlungsplan, der ebenfalls abgestimmt sein muss auf eine evtl. vorliegende Patientenverfügung und eine Ärztliche Notfallanordnung, kann von einer ärztlichen oder auch nicht ärztlichen Fachperson für urteilsfähige und auch für urteilsunfähige Menschen erstellt werden. Der Behandlungsplan dient über die Gesundheitliche Vo-­ rausplanung hinaus der Koordination und Kommunikation unter den verschiedenen an der Behandlung beteiligten Fachpersonen. Neben den Personalien des betroffenen Menschen enthält er Angaben zu den wichtigsten Bezugspersonen, zu den in die Behandlung involvierten Fachpersonen, den relevanten Diagnosen, den Behandlungszielen und -wünschen sowie den antizipierten Entscheidungen zu den lebenserhaltenden medizinischen Massnahmen; er enthält bei ernster Erkrankung aber auch Angaben zum gewünschten Betreuungsort (Sterbeort) bei Verschlechterung des Gesundheitszustandes und insbesondere auch Angaben zur Dauer- und zur Reservemedikation. Für die medizinische Behandlung in den zu erwartenden Notfallsituationen eignet sich ein sogenannter Notfallplan, der – nicht zu verwechseln mit der Ärztlichen Notfallanordnung – einem Extrakt aus dem Behandlungsplan entspricht mit den Angaben über im Notfall zu avisierende Bezugs- und Fachpersonen, über Wünsche betreffend Spitaleinweisung und über die wichtigsten Notfallmedikamente, die für diese Situationen bereitgestellt sein müssen und vom kranken Menschen selbst resp. den ihn betreuenden Fach- und Bezugspersonen verabreicht werden können. Ein Beispiel für einen Behandlungsplan mit entsprechenden Angaben zu Reservemedikamenten findet sich auf der Homepage von «Gesundheitliche Vorausplanung beider Basel»: https://www.gesundheitliche-vorausplanung-bb.ch/formulare

PD em Dr. med. Klaus Bally

Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH
Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel, uniham-bb
Kantonsspital Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Brodkey H. Die Geschichte meines Todes; Rowohlt Verlag Hamburg 1996
2. Taylor C. Sterben – eine Erfahrung; Ullstein Verlag Berlin 2016
3. Engel M, Kars MC, Teunissen SCCM, van der Heide A. Effective communication in palliative care from the perspectives of patients and relatives: A systematic review. Palliat Support Care. 2023 Oct;21(5):890-913
4. Jackson VA, Jacobsen J, Greer JA, Pirl WF, Temel JS, Back AL. The cultivation of prognostic awareness through the provision of early palliative care in the ambulatory setting: a communication guide. J Palliat Med. 2013 Aug;16(8):894-900
5. Young AL, Lee E, Absolom K, et al. Expectations of outcomes in patients with colorectal cancer. BJS Open. 2018;2(5):285–92
6. Tobler D, Greutmann M, Colman JM, Greutmann-Yantiri M, Librach LS, Kovacs AH. End-of-life in adults with congenital heart disease: a call for early communication. Int J Cardiol. 2012 Mar 22;155(3):383-7
7. Murray SA, Boyd K, Moine S, Kendall M, Macpherson S, Mitchell G, Amblàs-Novellas J. Using illness trajectories to inform person centred, advance care planning. BMJ. 2024 Mar 1;384
8. Radbruch, Lukas / Payne Sheyla (2011): Standards und Richtlinien für Hospiz- und Palliativversorgung in Europa: Teil 1 und 2. Weissbuch zu Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Palliative Care. In: Zeitschrift für Palliativmedizin 12, S. 224
9. Allgemeine Palliative Care. Empfehlungen und Instrumente für die Umsetzung. Bundesamt für Gesundheit BAG, Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK und palliative.ch 2015
10. Orlovic M, Droney J, Vickerstaff V, Rosling J, Bearne A, Powell M et al. Accuracy of clinical predictions of prognosis at the end-of-life: evidence from routinely collected data in urgent care records. BMC Palliat Care. 2023 Apr 26;22(1):51
11. Anderson F, Downing GM, Hill J, Casorso L, Lerch N. Palliative performance scale (PPS): a new tool. J Palliat Care. 1996 Spring;12(1):5-11
12. Maltoni M, Nanni O, Pirovano M, Scarpi E, Indelli M, Martini C et al. Successful validation of the palliative prognostic score in terminally ill cancer patients. Italian Multicenter Study Group on Palliative Care. J Pain Symptom Manage. 1999 Apr;17(4):240-7
13. White N, Kupeli N, Vickerstaff V, Stone P. How accurate is the ‚Surprise Question‘ at identifying patients at the end of life? A systematic review and meta-analysis. BMC Med. 2017 Aug 2;15(1):139.
14. Afshar, K., Feichtner, A., Boyd, K. et al. Systematic development and adjustment of the German version of the Supportive and Palliative Care Indicators Tool (SPICT-DE). BMC Palliat Care 17, 27 (2018)
15. Eychmüller S. SENS macht Sinn – Der Weg zu einer neuen Assessment-Struktur in der Palliative Care [SENS is making sense – on the way to an innovative approach to structure Palliative Care problems]. Ther Umsch. 2012 Feb;69(2):87-90
16. Glaser BG, Strauss AL. Awareness of dying; IL: Aldine Publishing Chicago 1965
17. Murray SA, Kendall M, Mitchell G, Moine S, Amblas Novellas G et al. Palliative care from diagnosis to death. BMJ. 2017;356
18. Albrecht GL, Devlieger PJ. The disability paradox: high quality of life against all odds. Soc Sci Med. 1999 Apr;48(8):977-88
19. Anantapong K, Barrado-Martín Y, Nair P, Rait G, Smith CH, Moore KJ et al. How do people living with dementia perceive eating and drinking difficulties? A qualitative study. Age Ageing. 2021 Sep 11;50(5):1820-1828
20. Back AL, Arnold RM, Quill TE. Hope for the best, and prepare for the worst. Ann Intern Med. 2003 Mar 4;138(5):439-43
21. Geijteman ECT, Kuip EJM, Oskam J, Lees D, Bruera E. Illness trajectories of incurable solid cancers. BMJ. 2024 Mar 1;384
22. Kimbell B, Murray SA, Macpherson S, Boyd K. Embracing inherent uncertainty in advanced illness. BMJ. 2016 Jul 18;354
23. Bundesamt für Gesundheit BAG und palliative.ch. Gesundheitliche Vorausplanung mit Schwerpunkt «Advance Care Planning». Nationales Rahmenkonzept für die Schweiz. Bern 2018

Herausforderung Ernährung in palliativen Situationen

Einleitung

Die Ernährung ist in allen Lebensphasen bedeutsam, die Nahrungsaufnahme gehört zu den grundsätzlichen menschlichen Aktivitäten (1) und ist für das menschliche Überleben unerlässlich. Essen berührt nicht nur die physische Dimension, sondern auch die soziale, spirituelle und psychische. Als soziales Ereignis ist es in den Alltag eingebettet. Es beinhaltet Aspekte wie Geselligkeit, Kommunikation, Zuwendung und Fürsorge für andere (2). Essgewohnheiten werden meist in der Familie erlernt und durch individuelle Werte, Routine, Traditionen und Rituale, die alle Teil unseres soziokulturellen und/oder religiösen Hintergrunds sind, geprägt (3). Essen ist für viele Menschen auch sinnlicher Genuss und somit Quelle für Lebensfreude und Lebensqualität.

Essen hat somit in unserem Leben oft eine zentrale Rolle, welche im Rahmen einer unheilbaren Erkrankung nochmals ganz anders Raum im Leben des Patienten/der Patientin und der Angehörigen einnehmen kann. Oftmals wird in dieser Situation das Essen mehr für seine Abwesenheit als für seine Anwesenheit bemerkt (4). Nicht selten entstehen vielfältige Ernährungsprobleme über alle Stadien des Krankheitsverlaufs hinweg (5).

Die in der Palliative Care etablierte Multidimensionalität, welche neben körperlichen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte von Leiden und Ressourcen erfasst, kommt auch bei Fragen rund um die Ernährung zum Tragen (6, 7).
Der Artikel beschreibt die möglichen Herausforderungen, mit welchen Menschen in palliativen Krankheitssituationen sowie auch ihre Angehörigen in Bezug auf Ernährung konfrontiert sind, den Prozess der klinischen Entscheidungsfindung und die Ziele der Ernährungstherapie.

Malnutrition

In der Literatur werden die Begriffe der Malnutrition und Mangelernährung synonym verwendet. Malnutrition ist eine Diagnose, welche sich auf verschiedene Kriterien stützt.

Prävalenz

Da chronische und/oder fortschreitende Erkrankungen verschiedenste Diagnosen mit einschliessen, lässt sich die Prävalenz der Malnutrition in palliativen Situationen nicht mit einer Zahl darstellen. Die Prävalenz ist neben der Grunderkrankung und deren Stadium auch von anderen Faktoren, wie z.B. Alter, soziale Situation und Funktionsstatus, abhängig. Zudem spielen die verwendete Definition für Malnutrition, die diagnostischen Kriterien und die verwendeten Assessmentinstrumente eine Rolle (8). Sicher ist aber, dass die Prävalenz für Malnutrition für Menschen in palliativen Situationen sehr hoch ist und aufgrund dessen bei der Betreuung immer mitgedacht werden sollte. Je nach Literatur und Krankheitssituation variiert sie von 20–80 % (9, 10, 11, 12).

Multifaktorielle Entstehung

Menschen in einer palliativen Situation haben ein hohes Risiko für eine multifaktorielle Malnutrition (9). Sie kann durch eine beeinträchtigte Zufuhr oder Aufnahme von Nährstoffen verursacht werden. Eine reduzierte Nahrungsaufnahme resultiert zum einen aus einer verminderten Aufnahme von Nährstoffen aufgrund malabsorptiver Störungen wie Kurzdarmsyndrom, Pankreasinsuffizienz oder durch Erkrankungen wie Ösophagusstrikturen, Gastroparese und intestinale Obstruktionen oder paralytischem Ileus. Zum anderen können gastrointestinale Beschwerden wie Dysphagie, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Obstipation und abdominelle Schmerzen oder eine schlechte Mundgesundheit, Nebenwirkungen von Medikamenten, Depression und eine unzureichende Ernährungsunterstützung die Nahrungsaufnahme beeinflussen. Aber auch krankheitsbedingte Veränderungen des Metabolismus mit erhöhtem Ruheenergieverbrauch und/oder erhöhtem Muskelabbau können (Mit-)Ursache sein (13).

Diagnosestellung

Bis 2019 gab es keine einheitlichen diagnostischen Kriterien für Malnutrition, und in der Literatur wurden unterschiedliche Definitionen verwendet (13, 14). Die Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM) erarbeitete einen zweistufigen Ansatz (Tab. 1). Nach einem Screening zur Ermittlung des Risikostatus mithilfe eines validierten Screening-Assessments folgt als zweiter Schritt die Bewertung bestimmter Kriterien zur Diagnose der Malnutrition und zur Einstufung des Schweregrads der Mangelernährung (13).

Folgen von Mangelernährung

Lebensqualität ist bei Menschen in palliativen Krankheitssituationen ein zentraler Teil des Therapieziels. Somit sind die potenziellen Folgen einer Malnutrition bei palliativen Patient/-innen relevant und müssen vom Behandlungsteam mitgedacht werden. Das Erkennen und Behandeln einer Malnutrition können den Funktionsstatus, die Behandlung der Grunderkrankung, das Auftreten von Komplikationen positiv beeinflussen und somit in den verschiedenen Phasen der Erkrankung zu einer möglichst guten Lebensqualität beitragen.

Folgen von Malnutrition können neben höheren Infektions- und Komplikationsraten auch Wundheilungsstörungen und eine veränderte Thermoregulation sein (17). Malnutrition führt zum Verlust von Muskel- und Fettmasse, einer Abnahme der Herz- und Atemfunktion und dadurch zu einer verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit, was die Selbstständigkeit beeinträchtigen kann (17, 12, 18). Zudem sind häufige und längere Krankenhausaufenthalte, eine höhere Mortalität und höhere Behandlungskosten potentielle Folgen von Malnutrition (12, 17, 18, 16, 19).

Entscheidungsfindung

Bei jeder medizinischen Intervention ist, unabhängig von der Diagnose und des Stadiums der Erkrankung, die Frage nach der «Angemessenheit» einer Invention im Prozess der Entscheidungsfindung zentral. Dies gilt auch für ernährungstherapeutische Interventionen.
In der Palliative Care wird darauf geachtet, dass die Entscheidungsfindung den verschiedenen Dimensionen des Leidens und der Ressourcen der Patient/-innen gerecht wird. So fliessen idealerweise neben den körperlichen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Aspekte in den Prozess der Entscheidungsfindung mit ein. Oft gelingt dies am besten, wenn die Geschichte des Patienten (auch was Essen für ihn bedeutet), seine Wünsche und seine Ziele (Therapien, Reisen …) genügend Raum im Prozess der Entscheidungsfindung erhalten.

Indikation

Behandlungsmassnahmen müssen immer mit Blick auf das bestimmte Therapieziel beurteilt werden. Es muss also zunächst die Wirksamkeit der Massnahme geprüft werden. Das heisst, ist die vom Patienten/von der Patientin gewünschte Massnahme in der Lage, das angestrebte Therapieziel zu erreichen? Wenn dies nicht der Fall ist, ist diese Massnahme nicht indiziert (20, 21), auch wenn diese vom Patienten/von der Patientin oder den Angehörigen gewünscht wird.
Kann die Massnahme das Therapieziel des Patienten/der Patientin erreichen, dann ist es notwendig, Nutzen und Schaden dieser Massnahme unabhängig vom Patientenwunsch zu bewerten. Darauf aufbauend muss die Person durch das Behandlungsteam über die Erreichbarkeit des Therapieziels und den Nutzen bzw. die Belastung der Massnahme informiert und aufgeklärt werden, damit sie für sich selbst Nutzen bzw. Schaden abwägen kann (20).

In der Palliative Care stellt sich die Frage nach der Angemessenheit einer Therapie hinsichtlich der ernährungstherapeutischen Behandlung vor allem dann, wenn es um die enterale Ernährung über eine Sonde, eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) oder Jejunostomie (PEJ) oder eine parenterale Ernährung bei fortgeschrittener, unheilbarer Erkrankung geht. Diese Ernährungsinterventionen sind medizinische Interventionen, werden zur ärztlichen Therapie gezählt (1) und bedürfen meist einer engen Begleitung durch die Ernährungsberatung. Voraussetzungen für eine dieser Therapieformen sind (1) eine Indikation für eine medizinische Behandlung, (2) die Definition eines zu erreichenden Therapieziels und (3) der Wille des Patienten/der Patientin beziehungsweise seine/ihre informierte Zustimmung (22).

Es bedarf also einer vorsichtigen Abwägung von Diagnose, Phase der Erkrankung, Prognose und Komorbiditäten. Zudem sollten die Therapieziele im Verlauf regelmässig überprüft und der geänderten Krankheits- und Behandlungssituation bzw. den geänderten Wünschen, Werten und Zielen des Patienten/der Patientin angepasst werden (21, 22).
Bei fehlender Indikation und Nichterreichen eines Behandlungsziels oder bei fehlender Einwilligung wird ein Abbruch der Ernährungstherapie empfohlen (22).

Therapieziel

Die Klärung des Therapieziels sollte als Prozess verstanden werden, an dem die betroffene Person und ihre Angehörigen aktiv beteiligt sind. Idealerweise handelt es sich also um eine partizipative Entscheidungsfindung, in der Konsens suchend vorgegangen wird (21). Ein solcher Prozess braucht Zeit – Zeit für Informationsvermittlung, Zeit für Gespräche, in denen die verschiedenen Aspekte der Entscheidung und deren potenzielle Folgen reflektiert werden können. Die Betroffenen benötigen eine wiederholte Aufklärung, um eine realistische Einschätzung ihrer Situation entwickeln zu können (20). Menschen in palliativen Situationen sind in komplexen Krankheitssituationen, was das Abwägen der verschiedenen Aspekte der anstehenden Entscheidung oft kompliziert macht (20). Die Entscheidungsfindung kann durch unterschiedliche Interpretationen eines angemessenen oder realistischen Therapieziels und damit der möglichen Indikation für verschiedene medizinische Interventionen erschwert werden. Selbst der mutmassliche Wille und das Wohl eines Patienten/einer Patientin können von den an der Entscheidung beteiligten Personen unterschiedlich interpretiert werden (22). Dies kann zu individuellen emotionalen und/oder ethischen Konflikten bei Familienangehörigen oder Teammitgliedern führen (22). Bei hoher Komplexität kann es hilfreich sein, die Situation mit anderen Personen aus dem Behandlungsteam zu besprechen. Die verschiedenen Blickwinkel können bei der Einschätzung der Situation, der Abwägung von Nutzen und Belastung einer ernährungstherapeutischen Massnahme und auch in der Beratung des kranken Menschen und der Angehörigen unterstützend sein (21).
Erschwerend kommt für die Patient/-innen oft eine hohe Symptomlast dazu, welche Einfluss auf das Denken/die Kognition und somit das Verstehen komplexer Zusammenhänge haben kann.

Prognose

Ob Ziele, wie zum Beispiel die Stabilisierung des Körpergewichts und die Verlangsamung des Kraftverlusts durch Ernährungsinterventionen, realisiert werden können, ist auch von der Phase der unheilbaren Erkrankung und somit von der Prognose abhängig. So werden die Empfehlungen für ernährungsmedizinische Interventionen in Bezug zur erwarteten Überlebenszeit genannt (14).

Geht man von einer Prognose von mehreren Monaten aus, zielen die Ernährungs- und Stoffwechselinterventionen darauf ab, die Nahrungsaufnahme aufrechtzuerhalten, das Körpergewicht zu stabilisieren, Stoffwechselstörungen abzumildern sowie die Muskelmasse und körperliche Leistungsfähigkeit zu erhalten. Das Decken des Protein- und Energiebedarfs steht an oberster Stelle, und es wird empfohlen, das gesamte Spektrum der ernährungsmedizinischen Massnahmen einzusetzen (1, 11, 14).

Bei einer Prognose von wenigen Monaten steht der Erhalt der Lebensqualität im Mittelpunkt (1). Eine bedürfnisorientierte Behandlung und eine individuell angepasste, nicht belastende Ernährungstherapie sind sinnvoll. Eine enterale Ernährung über eine Sonde oder eine parenterale Ernährung sind nicht ausgeschlossen. Für Personen mit einer Tumorerkrankung sollen beispielsweise Ernährungsinterventionen nur dann empfohlen werden, wenn gemeinsam mit dem Patienten/der Patientin die Prognose der Tumorerkrankung und der erwartete Nutzen für die Lebensqualität und das potenzielle Überleben als auch die mit der Intervention verbundenen Belastung abgewogen wurden. Es werden Massnahmen empfohlen, die weniger invasiv sind, und es soll der Beratung und den oralen Nahrungssupplementen der Vorzug gegeben werden (14, 23).

Wird die Prognose auf Tage bis wenige Wochen geschätzt, konzentriert sich die Behandlung auf die Symptomlinderung, einschliesslich Linderung von Hunger und Durst (1, 11, 21). Eine zusätzliche ernährungstherapeutische Intervention kann in dieser Phase mehr schaden als nutzen (14, 24).

Ergänzende Aspekte

Auch ethische Aspekte finden Eingang in den Prozess der Entscheidungsfindung. Unverhältnismässige Behandlungen müssen vermieden werden. Lebensverlängerung darf nicht das alleinige Ziel sein und muss immer im Verhältnis zum Wohlbefinden der Person gesetzt werden (22). Die ESPEN-Leitlinie zu ethischen Aspekten der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bietet eine kritische Zusammenfassung für die Behandlungsteams. Besondere Berücksichtigung finden auch Fragen zu palliativen Situationen inkl. Lebensende, zu Demenz und zu spezifischen Situationen in der Pflege oder auf Intensivstationen (22).

Auch kulturelle und spirituelle Aspekte beeinflussen die Entscheidungsfindung hinsichtlich Ernährungsinterventionen. Essgewohnheiten werden durch individuelle Werte, Traditionen und Rituale geprägt, die alle Teil unseres soziokulturellen und/oder religiösen Hintergrunds sind (3). Somit sollten Patient/-innen immer im Kontext der erreichbaren oder indizierten medizinischen Optionen sowie ihrer sozialen und kulturellen Werte betrachtet werden. Für die Gesundheitsfachpersonen ist ein Grundwissen über die verschiedenen Kulturen unerlässlich, und es ist wichtig, mit den Patient/-innen und den Angehörigen zu sprechen, um angemessene Informationen zu ihren kulturellen Werten zu erhalten. Dies muss vom Behandlungsteam respektiert werden, solange das kulturelle Autonomieverständnis den freien Willen des Patienten/der Patientin nicht beeinträchtigt (22).

Therapie

Menschen in palliativen Situationen haben oft individuelle, komplexe und sich im Verlauf der Erkrankung verändernde Bedürfnisse in Bezug auf ihre Ernährung. Da Malnutrition bei schwer kranken Menschen oft multifaktoriell ist, bedarf es meist auch einer Behandlung, welche möglichst viele der Faktoren berücksichtigt.
Von der European Society for Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) wird ein multimodales Therapiekonzept empfohlen. Dazu gehören unter anderem eine optimale medizinische Therapie der Grunderkrankung und der Begleitsymptome, ein frühzeitiger Einbezug der Ernährungsberatung, Anpassung/Anreicherung der oralen Kost und orale Nahrungsergänzungsmittel (ONS). Wenn orale Ernährungsmassnahmen nicht ausreichen, können eine enterale Ernährung über eine Sonde sowie eine parenterale Ernährung indiziert sein (11, 25, 26).

Behandlung von Begleitsymptomen

Ein wichtiger Teil in der Therapie der Malnutrition ist die Behandlung von potenziell die Malnutrition verstärkenden Faktoren. Beschwerden, welche die Nahrungsaufnahme und/oder den Appetit beeinträchtigen können, sollten somit stets mitgedacht und behandelt werden. Neben Nausea, Dyspnoe, Mundtrockenheit, Geschmacksveränderungen, Ulzerationen, Schluckstörungen und Dyspepsie (11, 27, 28, 29) können auch Probleme mit Zähnen/Zahnprothesen Ernährungsprobleme (mit-)verursachen. Auch mechanische Hindernisse, wie zum Beispiel eine gastrointestinale Obstruktion, Obstipation (1, 11) können sich auf die Nahrungsaufnahme auswirken. Aber auch psychische (z.B. Depression, psychosozialer Stress), medikamentöse (z.B. Polypharmazie) sowie altersbedingte Ursachen (z.B. soziale Isolation, geistige Beeinträchtigungen, eingeschränkte Mobilität, Beeinträchtigung der oberen Ex-
tremitäten, soziale Unterstützung) sollten eingeschätzt und nach Möglichkeit therapiert werden (1, 8, 13, 14, 30).

Ernährungstherapeutische Massnahmen

Das Therapieziel entscheidet, ob ernährungstherapeutische Massnahmen angeboten werden oder auf diese bewusst verzichtet wird. Ist das Ziel, den Ernährungszustand zu erhalten oder zu verbessern, steht ein breites Spektrum verschiedener
ernährungstherapeutischer Massnahmen zur Verfügung.

Das oberste Ziel der Ernährungstherapie besteht darin, die orale Ernährung zu erhalten, indem nahrungsmittelbedingte Beschwerden minimiert und der Genuss von Lebensmitteln maximiert wird. Deshalb kann eine Begleitung durch die Ernährungsberatung schon früh im Verlauf einer Erkrankung begonnen werden und ist auch im ambulanten Setting möglich (16, 18, 30). Im Vordergrund steht die Beratung, wie die orale Kost angepasst und angereichert werden kann. Hierfür werden das aktuelle Essensmuster und der Kalorienbedarf eingeschätzt sowie etwaige Geschmacks- oder Geruchsveränderungen beachtet. Die Ernährungstherapeut/-innen berücksichtigen ebenso individuelle Wünsche, Vorlieben und die Situation der Patient/-innen (30). Sie tragen häufig bei den Betroffenen zu einem besseren Verständnis für die Gesamtsituation und zu einer höheren Gesamtzufriedenheit bei (31). Auch über oralen Nahrungsergänzungsmittel (ONS) werden Patient/-innen und Angehörige durch die Ernährungsberatung informiert (30, 32). In der Praxis zeigt sich allerdings, dass ONS von den Patient/-innen oft nicht vertragen und verbraucht werden und sich dann zu Hause ansammeln (32). Dies kann unterschiedliche Ursachen haben, wie z.B. Magen-Darm-Nebenwirkungen, Geschmacksaversionen, Völlegefühl, und Anorexie erschwert ebenso die Einnahme von ONS (31).

Auch wenn die enterale Sondenernährung und die pa­renterale Ernährung gängige Therapieformen in der modernen Medizin sind, ist es insbesondere in der Palliative Care von grösster Bedeutung, ernährungstherapeutische Massnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse des Patienten/ der Patientin und die aktuelle Krankheitssituation abzustimmen. Neben den möglichen Vorteilen kann eine Sondenernährung auch mit schwerwiegenden Komplikationen verbunden sein. Dazu gehören u.a. gastrointestinale (z.B. Durchfall), infektiöse (z.B. Aspirationspneumonie) und metabolische Komplikationen (z.B. Refeeding-Syndrom) (14). Auch eine parenterale Ernährung birgt Risiken, wie z.B. katheterbedingte Komplikationen, Störungen der Substrat- und Elektrolytspiegel, Refeeding-Syndrom, Flüssigkeitsüberlastung sowie chronische Hepato- und Osteopathie (14, 24).

Die Entscheidung, eine Sonden- oder parenterale Ernährung anzubieten, ist häufig komplex und muss von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Grunderkrankung, Behandlung, voraussichtlichen Dauer und Reversibilität des Ernährungsdefizits, der Prognose und der Präferenzen der Patient/-innen entschieden werden. Ziel sollte stets die in der aktuellen Situation bestmögliche Lebensqualität sein (11, 18, 31).

Ernährung in palliativen Situationen

Allgemein

In der Praxis zeigt es sich heute immer noch, dass in der frühen Phase einer unheilbaren Erkrankung eine ernährungsmedizinische Betreuung häufig unterbleibt, und wenn die Erkrankung deutlich fortgeschritten ist und die klinischen Effekte einer Ernährungsintervention meist fraglich sind, kommt es dann zu einem unreflektierten Aktionismus mit entsprechender Überversorgung (1). Um zu ermöglichen, dass ernährungstherapeutische Massnahmen mit den Betroffenen diskutiert werden können, braucht das Gesundheitsfachpersonal gutes Fachwissen. Die Betroffenen sind darauf angewiesen, genügend Informationen zu erhalten, um Risiken, Vor- und Nachteile der Interventionen abwägen zu können (22). Hierzu gehören auch ganz praktische und personelle Voraussetzungen für die Verabreichung einer enteralen oder parenteralen Ernährung zu Hause.

Bei Gesprächen zur Entscheidungsfindung, insbesondere im Hinblick auf medizinische Entscheidungen am Ende des Lebens, muss eine angemessene, für den Betroffenen verständliche Terminologie gewählt werden. Worte prägen unser Denken, und unsere Gedanken leiten unsere Handlungen (22).
Bei Vorliegen einer lebenslimitierenden, unheilbaren Erkrankung ist das Ziel der Ernährungstherapie primär auf den Erhalt der Lebensqualität ausgerichtet. Ob und in welcher Form ein Patient von einer zur Verfügung stehenden Massnahme profitiert, muss jeweils für jede Krankheitssituation wieder neu abgewogen werden. Da dies sehr individuelle Entscheide sind, gibt es dazu keine allgemeingültigen Entscheidungskriterien oder Algorithmen (1).

In palliativen Situationen ist es wichtig, dass bei Beginn einer «künstlichen» Ernährung (über Sonde oder parenteral) auch über die Ziele dieser gesprochen wird. Oft ist es hilfreich, bei Beginn einer künstlichen Ernährung darüber zu sprechen, ob es Situationen gibt, in denen ein Abbruch der Ernährung evaluiert werden sollte (zum Beispiel Progress der Erkrankung, Prognose, Komplikationen, Nebenwirkungen, Aufwand) (11). Gelegentlich empfiehlt es sich, ein Ziel und einen Zeitraum zu definieren, in dem die künstliche Ernährung gegeben wird (22). So kann zum Beispiel nach einem Monat darüber nachgedacht werden, ob das Ziel «Kraftaufbau» erreicht wurde, und falls nein, ob die Ernährung weitergeführt werden soll.

Die zur Klärung des Therapieziels führenden Gespräche brauchen oft viel Raum und Zeit, ermöglichen aber eine auf die individuelle Patientensituation angepasste Therapie.
Wichtig ist, dass Gespräche zu Wünschen und vereinbartem Prozedere, insbesondere auch in Bezug auf künstliche Ernährung, nach Möglichkeit schriftlich in der gesundheitlichen Vorausplanung dokumentiert werden, dass diese für alle Behandler/-innen zugänglich sind. Das Ziel sollte sein, zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung den Wünschen und Bedürfnissen des Patienten/der Patientin möglichst gerecht zu werden.

Multidimensionalität

Die physischen Aspekte einer Malnutrition werden meist gut erkannt und in der Behandlung berücksichtigt. Psychische, soziale und spirituelle Aspekte werden oft weniger gut gesehen und finden selten Berücksichtigung im Behandlungskonzept. Im Sinne der in der Palliative Care etablierten Multidimensionalität sollten aber alle Dimensionen berücksichtigt werden.

Sich verändernde Essgewohnheiten und die daraus häufig resultierende unzureichende Nahrungszufuhr verursachen potenziell Angst und Stress bei den Patient/-innen (2, 3, 27, 33, 34) und ihren Angehörigen (2, 27, 33, 34). Dies beinhaltet die Sorge über negative Auswirkungen wie zunehmende körperliche Schwäche und vermehrte Abhängigkeit von anderen. Ebenso resultiert Angst durch die Vorstellung, dass aufgrund der eingeschränkten Nahrungsaufnahme der Tod beschleunigt werden könnte. Das veränderte Aussehen durch den Gewichtsverlust hat für manche einen negativen Einfluss auf ihr Körperbild und symbolisiert das Fortschreiten der Erkrankung (2, 27, 28). Manche Betroffene ziehen sich zurück und isolieren sich, um dem kontinuierlichen Fokus und dem Druck bzw. den Erwartungen der Angehörigen auszuweichen (3, 27). Es kann das Gefühl ausgelöst werden, konstant in einer Umgebung zu sein, in der das Essen im Fokus steht (2, 27, 33). Dadurch können Konflikte entstehen (27, 33, 35).

Angehörige fühlen sich möglicherweise inkompetent in ihrer Rolle als pflegende Angehörige, weil sie die Nahrungsaufnahme nicht beeinflussen und verbessern können (2, 33). Aber auch Gefühle wie Wut, Ärger, Betroffenheit und Bedauern werden von Angehörigen geäussert, wenn die veränderten Essgewohnheiten die Beziehungen, die für den Alltag wesentlich sind, stören (2). Angehörige erleben Hilflosigkeit und Schuldgefühle, weil sie die Patient/-innen nicht überzeugen können zu essen (33). Sie engagieren sich häufig bzgl. des Angebots und der Nahrungszubereitung. Sie berücksichtigen veränderte Essgewohnheiten, Vorlieben und Geschmacksveränderungen. Ebenso versuchen sie, mit unterschiedlichen Massnahmen (Grösse der Portionen, Zutaten, Geschmacksrichtungen, Konsistenz und Beschaffenheit der Nahrungsmittel) den Bedürfnissen der Patient/-innen zu entsprechen, um trotz der Beschwerden oder Einschränkungen eine ausreichende Nahrungsaufnahme zu erreichen (27, 36).
Eine Ernährungsberatung bzw. Beratungsgespräche durch andere Gesundheitsfachpersonen sollten auch die Angehörigen miteinbeziehen. Es ermöglicht ihnen, möglicherweise die Beschwerden, wie z.B. den Appetitverlust und dessen Auswirkungen, besser zu verstehen, sich nicht selbst die Schuld für die schlechte Nahrungsaufnahme des Patienten/der Patientin zu geben und den Schwerpunkt auf das Wohlbefinden und die mit den Familienmitgliedern verbrachte Zeit zu lenken (37). Denn Fürsorge kann auch durch Massnahmen erfolgen, die ausserhalb des Themas Essen liegen. Dies können z.B. das «Dasein», eine Massage und gemeinsame Aktivitäten sein (2, 27). Ziel ist es, die Zeit, die verbleibt, gemeinsam geniessen zu können und Konflikte möglichst zu vermeiden. Das Erleben der Betroffenen und ihrer Angehörigen zeigt, dass es ein multidimensionales Therapieangebot benötigt, um den verschiedenen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Sterbephase

In der Sterbephase können sich die Bedürfnisse der Betroffenen in Bezug auf Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nochmals stark verändern, und die Therapien/Angebote müssen entsprechend angepasst werden. Da die Kommunikation mit dem Patienten/der Patientin am Lebensende erschwert sein kann, ist es hilfreich, wenn die Wünsche des Patienten/der Patientin dem Behandlungsteam bekannt sind und dieses dadurch die Möglichkeit hat, auf diese Wünsche einzugehen und in den Behandlungsplan zu integrieren (38).

Essen kann für einen Menschen am Lebensende kräftezehrend und erschöpfend sein. Nicht selten ist aufgrund von Schwäche der Schluckakt beeinträchtigt, das Aspirationsrisiko erhöht. Sondennahrung kann am Lebensende zu belastenden Symptomen wie Nausea und/oder Völlegefühl führen, erhöht das Risiko für Aspiration (11) und geht mit einer für die aktuelle Krankheitsphase zu hohen Flüssigkeitsmenge einher. Das Lebensende verlangt somit auch im Sinne einer guten Symptomkontrolle eine Anpassung der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme.
Sterbende Patient/-innen sollten vor belastenden Massnahmen geschützt werden (22). Die intravenöse Flüssigkeitsgabe kann am Lebensende zu einem Lungenödem und somit zu einer Akzentuierung der Dyspnoe führen. Auch die Rasselatmung kann durch viel Flüssigkeitsgabe verstärkt werden (38). Da Angehörige oft Sorge haben, dass sie ihre Angehörigen verhungern und/oder verdursten lassen, bedarf es oft einer engen Begleitung und Information der Angehörigen (38), dass die veränderte oder gar fehlende Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsaufnahme am Lebensende Teil des natürlichen Prozesses des Sterbens sein kann.

MSc Silke Walter

Kantonsspital Baselland
Mühlemattstrasse 26
4410 Liestal

silke.walter@ksbl.ch

Dr. med. Christine Zobrist

Fachärztin für Innere Medizin
Leitende Ärztin Palliative Care am Kantonsspital Baselland, Liestal

Die Autorinnen haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Löser C. Ernährung am Lebensende – medizinische, ethische und juristische Grundsätze der palliativmedizinischen Ernährung. Aktuel Erährungsmed Klin Prax. 2013;38:46–66.
2. Hopkinson J B. Food connections: A qualitative exploratory study of weight- and eating-related distress in families affected by advanced cancer. Eur J Oncol Nurs. 2016;20:87–96.
3. Wallin V, Carlander I, Sandman P-O, Hakanson C. Meanings of eating deficiencies for people admitted to palliative home care. Palliat Support Care. 2015;13:1231–1239.
4. Hopkins K. Food for life, love and hope: an exemplar of the philosophy of palliative care in action. Proc Nutr Soc. 2004;63:427–429.
5. Hopkinson J, Wright D, McDonald J, Corner J. The Prevalence of Concern About Weight Loss and Change in Eating Habits in People with Advanced Cancer. J Pain Symptom Manage. 2006; 32(4):322–331.
6. Saunders, C. J. P. E. & Counseling 2000. The evolution of palliative care. 41, 7–13.
7. Saunders, C. & Clark, D., 2006. Cicely Saunders: Selected Writings 1958 – 2004. 1. Hrsg. Oxford; New York: Oxford University Press.
8. O’Keefe M, Kelly M, O‘Herlihy E, O’Toole P W, Kearney P M, Timmons S, et al. Potentially modifiable determinants of malnutrition in older adults: A systematic review. Clin Nutr. 2019;38:2477–2498.
9. Kiesswetter E, Colombo M G, Meisinger C, Peters A, Thorand B, Holle R, et al. Malnutrition and related risk factors in older adults from different health-care settings: an enable study. Pub Health Nutr. 2019;23(3):446–456.
10. Rasschaert M, Vandecandelaere P, Marechal S, D’hondt R, Vulsteke C, Mailleux M. Malnutrition prevalence in cancer patients in Belgium: The ONCOCARE study. Supp Care Cancer. 2024;32(135):1–9.
11. Arends J, Bachmann P, Baracos V, Barthelemy N, Bertz H, Bozzetti F, et al. ESPEN guidelines on nutrition in cancer patients. Clin Nutr. 2017;36:11–48.
12. Dávalos-Yerovi V, Marco E, Sáchez-Rodriguez D, Duran X, Meza-Valderrama D, Rodriguez D. Malnutrition According to GLIM Criteria is associated with Mortality and Hospitalizations in Rehabilitation Patients with Stable Chronic Obstrtuctive Pulmonary Disease. Nutrients. 2021;13(369):1-11.
13. Cederholm T, Jensen G L, Correia M I T D, Gonzalez M C, Fukushima R, Higashiguchi T, et al. GLIM criteria fort he diagnosis of malnutrition – A consensus report from the global clinical nutrition community. Clin Nutr. 2019;38:1–9
14. Arends J, Strasser F, Gonella S, Solheim T S, Madeddu C, Ravasco P, et al. Cancer cachexia in adult patients: ESMO Clinical Practice Guidelines. ESMO OPEN Cancer Horizons. 2021;6(3):1–18.
15. DGEM (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin E.V.) Übersicht empfohlener Instrumente. 2020 [Internet]. [abgerufen am 2. März 2024]. Verfügbar unter: Instrumente zur Erfassung des Ernährungszustands | DGEM
16. Keogh E, William E M. Managing malnutrition in COPD: A review. Respir Med. 2021;176:1–11.
17. Barker L A, Gout B S, Crowe T C. Hospital Malnutrition: Prevalence, Identification and Impact on Patients and the Healthcare System. Int J Environ Res Public Health. 2011;8:514–527.
18. Volkert D, Beck A M, Cederholm T, Cereda E, Cruz-Jentoft A, Goisser S, et al. Management of Malnutrition in Older Patients – Current Approaches, Evidence and Open Questions. J Clin Med. 2019;8(974):1–16.
19. Browne S, Geraghty A, Corish C. Advances in knowledge of screening practices and their use in clinical practice to prevent malnutrition. Proceedings of the Nutrition Society. 2022;81:41–48.
20. Winkler E C, Marckmann G. Therapieverzicht gegen den Patientenwillen? Eine ethische Orientierungshilfe. ÄBW. 2012;04:140–144.
21. Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, Langversion 2.2, 2020, AWMF-Registernummer: 128/001OL. [Internet]. [abgerufen am 15. März 2024]. Verfügbar unter:https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/palliativmedizin/
22. Druml C, Ballmer P, Druml W, Oehmichen F, Shenkin A, Singer P, et al. ESPEN guideline on ethical aspects of artificial nutrition and hydration. Clin Nutr. 2016;35:545-556.
23. Muscaritoli M, Arends J, Bachmann P, Baracos V, Barthelemy N, Bertz H, et al. ESPEN practical guideline: Clinical Nutrition in cancer. Clin Nutr. 2021;40:2898–2913.
24. Koretz R L, Lipman T O, Klein S. AGA Technical Review on Parenteral Nutrition. Gastroenterology. 2001;121:970-1001.
25. Volkert D, Beck A M, Cederholm T, Cruz-Jentoft A, Hooper L, Kiesswetter E, et al. ESPEN practical guideline: Clinical nutrition and hydration in geriatrics. Clin Nutr. 2022;958–989.
26. Wunderle C, Gomes F, Schuetz P, Stumpf F, Austin P, Ballestreros-Pomar M D, et al. ESPEN guideline on nutritional support for polymorbid medical inpatients. Clin Nutr 2023; 1545–1568.
27. Cooper C, Burden ST, Cheng H, Molassiotis A. Understanding and managing cancer related weight loss and anorexia: insights from a systematic review of qualitative research. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2015;6:99–111.
28. Theander K, Hasselgren M, Luhr K, Eckerblad J, Unosson M, Karlsson I. Symptoms and impact of symptoms on function and health in patients with chronic obstructive pulmonary disease and chronic heart failure in primary health care. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2014;9:785–794.
29. Collins P F, Yang I A, Chang Y-C, Vaughan, A. Nutritional support in chronic obstructive pulmonary disease (COPD): an evidence update. J Thorac Dis. 2019;11(Suppl 17):S2230-S2237.
30. Cotogni P, Stragliotto S, Ossola M, Collo A, Riso S. The Role of Nutritional Support for Cancer Patients in Palliative Care. Nutrients. 2021;13(306):1–16.
31. Childs D S, Jatoi A. A hunger for hunger: a review of palliative therapies for cancer-associated anorexia. Ann Palliat Med. 2019;8(1):50–58.
32. Browne S, Kelly L, Geraghty A A, Reynolds C ME, MccBean L, McCallum K, et al. Health care professionals’ perceptions of malnutrition management and oral nutrition supplement prescribing in the community: A qualitative study. Clin Nutr. 2021;44:415–423.
33. Amano K, Morita T, Koshimoto S, Uno T, Katayama H, Tatara R. Eating related distress in advanced cancer patients with cachexia and family members: a survey in palliative and supportive care settings. Support Care Cancer. 2019;27:2869–2876.
34. Del Rio M I, Shand B, Bonati P, Palma A, Maldonado A, Taboada P, et al. Hydration and nutrition at the end of life: a systematic review of emotional impact, perceptions, and decision-making among patients, family, and health care staff. Psychooncol. 2012;21:913–921.
35. Hopkinson J. Psychosocial impact of cancer cachexia. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2014; 5:89–94.
36. Hopkinson J, Corner J. Helping Patients with Advanced Cancer Live with Concerns About Eating: A Challenge for Palliative Care Professionals. J Pain Symptom Manage. 2006; 31(4):293–305.
37. Ehret C, Jatoi, A. Should Loss of Appetite be Palliated in Patients with Advanced Cancer? Curr Treat Options in Oncol. 2021;22:31.
38. Palliative ch. Betreuung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Version Fachpersonen. [Internet], [abgerufen am 16.02.2024]. Verfügbar unter: Broschuere_Empfehlung_Sterbephase_RL.indd (palliative.ch)

Dyspnoe bei Patienten in palliativen Situationen – das unsichtbare Symptom

Hintergrund und Definitionen

Dyspnoe ist bei Patient/-innen mit fortgeschrittenen malignen und nicht malignen Erkrankungen ein häufiges und belastendes Symptom, welches die Lebensqualität massiv einschränken kann. Die Prävalenz wird zwischen 10–70 % bei fortgeschrittenen malignen und 60–95 % bei fortgeschrittenen kardiorespiratorischen Erkrankungen beschrieben und nimmt am Lebensende zu (1–3). Dabei ist Dyspnoe nach der Definition der American Thoracic Society «eine subjektive Erfahrung einer unangenehmen Atmung, die in ihrer Ausprägung schwanken kann. Die Erfahrung wird von einem komplexen Zusammenspiel physischer, psychischer, sozialer und umweltbedingter Faktoren beeinflusst und kann sekundäre physiologische und verhaltensbezogene Reaktionen auslösen» (4). Angst und Panik können als Folge von Dyspnoe auftreten und diese wiederum die Dyspnoe verstärken.

Von refraktärer Dyspnoe wird gesprochen, wenn die Atemnot trotz adäquater Therapie anhält. Eine internationale Expertengruppe hat 2017 den Begriff «chronisches Atemnotsyndrom» oder «chronic breathlessness syndrome» für Patient/-innen mit therapierefraktärer Atemnot geprägt, wenn das Symptom trotz optimaler Behandlung der pathophysiologisch zugrunde liegenden Ursache fortbesteht und die Funktionsfähigkeit im Alltag einschränkt ist (5). Ziel ist es, den Krankheitscharakter des Symptoms darzustellen und damit den Zugang zu adäquater Behandlung zu fördern. Bei akuter Verschlechterung eines chronischen Atemnotsyndroms wird in der Literatur dementsprechend von «akuter auf chronische Dyspnoe» (acute-on-chronic dyspnea) gesprochen.

Dyspnoe kann als kontinuierliche Atemnot oder Atemnotattacken auftreten. Die kontinuierliche Atemnot beschreibt eine konstante Belastung durch Atemnot, die in ihrer Intensität üblicherweise variiert. Im Gegensatz dazu sind Atemnotattacken durch plötzliche und starke Anstiege der Atemnotsymptome gekennzeichnet. Diese Attacken können von wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Stunden dauern, treten intermittierend auf und können unabhängig von kontinuierlicher Atemnot auftreten. Die Auslöser für Atemnotattacken können vielfältig sein und reichen von körperlicher Anstrengung über emotionale Belastungen bis hin zu Umgebungsfaktoren (11, 12).
Obwohl die Prävalenz hoch und die Bedeutung von Dyspnoe bekannt sind, haben Gesundheitsfachpersonen Schwierigkeiten, das Symptom zu erkennen, einzuschätzen und adäquat zu behandeln. Patient/-innen mit chronischem Atemnotsyndrom haben wiederholte, ungeplante Spitaleintritte, jedoch kaum vorausschauende Behandlungsplanung (5–8, 3).

Es handelt sich also um ein komplexes Symptom, das nur von Patient/-innen selbst beschrieben werden und mit einer hohen und multidimensionalen Einschränkung der Lebensqualität einhergehen kann. Dabei betrifft es nicht nur die Patient/-innen selbst, sondern auch ihr soziales Umfeld und Gesundheitsfachpersonen.

Ätiologie

Die zugrunde liegende Ätiologie der Dyspnoe ist sehr vielfältig. Tabelle 1 zeigt Beispiele auf. Häufig, gerade bei Fortschreiten der Grunderkrankung liegen auch mehrere Ursachen vor (Tabelle 1).

Multidimensionales Modell bei ­komplexer Belastung

Die Intensität der subjektiv erlebten Dyspnoe lässt sich nicht zuverlässig aufgrund der Schwere der zugrunde liegenden Pathologie vorhersagen. Es kann eine hohe affektive Komponente bestehen, die durch persönliche, emotionale und erwartungsbezogene Faktoren beeinflusst wird (12, 15).
Das subjektive Erleben der Dyspnoe, die damit verbundene Funktionseinschränkung und multidimensionale Belastung begünstigen die Entstehung und den Erhalt eines Circulus vitiosus. Dieser komplexe Zusammenhang wird im Modell breathing–thinking–functioning (9, 10) anschaulich beschrieben und ermöglicht mit diesem Verständnis auch einen Behandlungsansatz:
Dyspnoe (breathing): führt zu dysfunktionalen Atemmustern mit Einsatz von Atemhilfsmuskulatur, Steigerung der Atemfrequenz, relativer Erhöhung des Totraumvolumens und Verringerung der alveolären Ventilation, was wiederum zu ineffizienter Atmung und erhöhter Atemarbeit führt.
Denken (thinking): Angst und Panik, die durch Dyspnoe ausgelöst werden, verstärken die Wahrnehmung der Dyspnoe und führen weiterhin zu einer Steigerung der Atemfrequenz und Erhöhung der Muskelspannung.
Funktionsfähigkeit (functioning): Um Dyspnoe zu vermeiden, reduzieren Patient/-innen häufig ihre körperliche Aktivität, dies führt zu muskulärer Dekonditionierung und begünstigt damit wiederum die Dyspnoe. Vermehrter Unterstützungsbedarf und soziale Isolation sind die Folgen und begünstigen ihrerseits das Vermeidungsverhalten.

Bedeutung für die Patient/-innen

Bei fortschreitender unheilbarer Erkrankung sowohl bei onkologischen als auch bei nicht onkologischen Erkrankungen gilt Dyspnoe als prognostisch ungünstiger Parameter.
Das Symptom wird häufig als massiv belastend und bedrohlich erlebt und ist mit Angst und Erstickungsängsten verbunden. Der Alltag der Patient/-innen ist stark durch die Limitationen der Dyspnoe geprägt und neben der Erschöpfung und eingeschränkten Mobilität hat das Symp­tom einen grossen Einfluss auf die eigene soziale Rolle, die nur eingeschränkt oder nicht mehr gelebt werden kann, und kann bis hin zur sozialen Isolation führen. Folgen können existenzielle Belastungssituationen, Hoffnungslosigkeit und Depression sein und sind gehäuft mit dem Wunsch einer palliativen Sedierung oder Sterbewunsch assoziiert (31).

Beurteilung und Erfassung, oder ­Dyspnoe ist das, was Patient/-innen sagen

In Anbetracht der massiven Auswirkungen der Dyspnoe auf die Lebensqualität und Lebenszeit der Patient/-innen ist die frühzeitige Erfassung und die individuelle Bedeutung der Dyspnoe von hoher Relevanz. Dennoch wird Dyspnoe beim chronischen Atemnotsyndrom oder bei akuter auf chronischer Atemnot als ein unterbehandeltes Symp­tom beschrieben, dessen Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Patient/-innen und deren Angehörigen, im Gegensatz zu Schmerzen, massiv unterschätzt und damit zum unsichtbaren Symptom wird (6, 8).

Da es sich gemäss Definition um eine subjektive Erfahrung handelt, soll dementsprechend eine subjektive Erfassung des Symptoms erfolgen. Weiterhin ist es wichtig, neben der physischen und funktionalen Dimension auch die affektive und soziale Dimension zu erfassen, um Faktoren, die die Dyspnoe verstärken, zu identifizieren. Die Erfassung soll dabei regelmässig wiederholt werden (Box 1).

Als einfache Instrumente im ambulanten Setting oder im Stationsalltag eignen sich kategoriale Instrumente wie die Visuelle-Analog-Skala, VAS (keine–leichte–moderate–schwere Dyspnoe), oder numerische wie die Numerische-Rating-Skala, NRS (0–10). Diese eignen sich auch, um den Behandlungserfolg von eingeleiteten Massnahmen zu überprüfen. Wenn Patienten kognitiv eingeschränkt sind, ist eine Fremdeinschätzung durch die Angehörigen oder die Gesundheitsfachpersonen im Versorgungsnetz relevant (3–5, 10, 12).

Leitfragen beim Assessment können sein:
– Wie schwer/stark ist Ihre Luftnot? Jetzt? In den letzten 24 Stunden? Bei Anstrengung?
– Leiden Sie unter Atemnotattacken? Wie stark sind diese? Wie häufig und in welchen Situationen treten sie auf?
– Wie stark/schwer sind mit der Luftnot unangenehme Gefühle (z. B. Angst, Panik) verbunden?
– Wie stark sind Sie durch die Luftnot in Ihrem täglichen Leben beeinträchtigt?

Offene empathische Fragen können das individuelle Bild der Dyspnoe vervollständigen, dabei kann es hilfreich sein, Redewendungen zu verwenden, wie «für Ihre Behandlung möchte ich besser verstehen, welche Belastungen bei Ihnen mit der Luftnot einhergehen» oder «Was ist besonders belastend für Sie?»:
– Wie sieht Ihr Alltag mit der Luftnot aus? Können Sie sich selbst versorgen? Können Sie an sozialen Aktivitäten teilnehmen?
– Haben Sie Situationen erlebt, in denen Sie Angst, Panik oder Erstickungsangst hatten?
– Haben Sie Sorge, durch die Luftnot und die damit verbundenen Einschränkungen Ihre Angehörigen zu belasten?

Wichtig ist neben den Belastungen und Defiziten, auch mögliche Strategien zu erfragen, die die Patient/-innen bereits als positiv erlebt haben.
– Gibt es Massnahmen, die Ihnen bereits geholfen haben?
Objektive Parameter, wie zum Beispiel Sauerstoffsättigung, Lungenfunktionstests oder Atemfrequenz korrelieren nur mässig mit dem subjektiven Erleben der Dyspnoe (12, 15).
Um eine adäquate Behandlungsplanung zu ermöglichen, ist es weiterhin bedeutend, Krankheitsverständnis und Behandlungswünsche der Patient/-innen zu erfragen (18–20, 32).
– Wurde die Prognose ausreichend verstanden?
– Welche Ängste und Sorgen bestehen?
– Welche Ziele sollen erreicht werden?
– Welche Belastungen durch Diagnostik und Therapie werden hierfür in Kauf genommen?

Behandlung und Management

Grundsätzlich sollte immer überlegt werden, welche Ursachen der Dyspnoe zugrunde liegen können und welche ursächlichen Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Tabelle 1 gibt einen Überblick möglicher Therapiemassnahmen.
Diagnostik und therapeutische Massnahmen sollen dabei immer auch die individuelle Situation und die Behandlungswünsche bzw. das gewünschte Therapieziel der Patient/-innen berücksichtigen. Gerade bei fortgeschrittener Erkrankungssituation oder am Lebensende sind die Belastungen, die mit Diagnostik und Therapie der Ursachen verbunden sind, sorgfältig abzuwägen (Box 2). So sind beispielsweise interventionelle Massnahmen bei einer Tage–Wochen dauernden Lebensdauer zu hinterfragen, ob die mit der Intervention verbundene Belastung überhaupt zumutbar ist und der mögliche Nutzen tatsächlich in der verbleibenden Lebenszeit erreichbar ist. Bei fortschreitender Erkrankung sollen die Behandlungswünsche in Bezug auf Diagnostik und Interventionen wie lebensverlängernde Massahmen regelmässig evaluiert werden. Symptomatische Therapiemassnahmen sind parallel empfohlen (12).

Die im folgenden genannten Therapieempfehlungen beziehen sich auf die symptomatische Linderung von therapierefraktärer Dyspnoe/chronischem Dyspnoesyndrom.
Aufgrund der oben beschriebenen multidimensionalen Belastung, die nicht notwendigerweise mit dem Ausmass der Pathologie korreliert, ist die alleinige Behandlung der ursächlichen Pathologie oft nicht ausreichend und ein multidimensionaler Therapieansatz von grundlegender Bedeutung, damit die Dyspnoe effektiv gelindert werden kann. Dabei sind allgemeine Massnahmen, nicht pharmakologische und pharmakologische Therapiemassnahmen zu berücksichtigen. Die Edukation von Patient/-innen zu Techniken und Verhaltensweisen, die ihnen ein Selbstmanagement der Dyspnoe ermöglichen, ist enorm wichtig. Durch die Fähigkeit, Situationen mit schwerer Atemnot oder Atemnotattacken zu kontrollieren, können Selbstvertrauen, Eigeninitiative und Sicherheitsgefühl gefördert und damit die Lebensqualität verbessert werden. Ausserdem sollen aufgrund der hohen affektiven Komponente der Dyspnoe Massnahmen zur Angstreduktion Teil des Therapiekonzeptes sein (16, 17).

Ziel ist es, eine gute Symptomkontrolle für die Patient/-innen zu ermöglichen und den oben beschriebenen Circulus vitiosus zu unterbrechen.
Es ist empfehlenswert, gemeinsam mit den Patient/-innen und Angehörigen einen Behandlungsplan für Notfallsituationen zu erstellen. Dieser Plan sollte neben medikamentösen Massnahmen auch allgemeine Massnahmen und ggf. einfach durchzuführende Übungen umfassen, die Patient/-innen allein oder mit Unterstützung von Angehörigen durchführen können (Box 3). Dies kann massgeblich zur Verbesserung der Symptomkontrolle und zu Verringerung von Hektik und Angst beitragen (10, 17, 20, 21).
Eine innovative Entwicklung in der multimodalen Behandlung von Atemnot ist die Einführung von sogenannten Atemnotservices oder Atemnotambulanzen, welche alle drei Pfeiler der Therapie (Allgemeinmassnahmen, nicht medikamentöse und medikamentöse Therapien) integrieren und individuell auf die Patient/-innen abstimmen (18–20).

Allgemeine und nicht pharmakologische Massnahmen (17, 22–24)

– Edukation und Information zu Selbstmanagement fördern Selbstwirksamkeit und können Ängste vermindern
– Anpassung Tagesplan mit Priorisierung von Aktivitäten und gutem Verhältnis von Aktivität und Pausen
– Selbst ruhig bleiben und Sicherheit für Patient/-innen und Angehörige vermitteln
– Kühlung des Gesichts durch frische Luft, Handfächer, Ventilator
– Erlernen von Atemtechniken
– Bequeme Sitz- oder Liegeposition finden
– Gehhilfen wir Rollator, Gehstock fördern zum einen die Mobilisierung und verlängern die Gehstrecke, vermutlich durch Unterstützung der Atemhilfsmuskulatur aufgrund Stabilisierung des Schultergürtels
– Entspannungsübungen zur Modulation der affektiven Komponente
– Erstellung Behandlungsplan/Notfallplan

Pharmakologische Massnahmen

Opioide

Derzeit sind Opioide die einzige Substanzgruppe mit ausreichender Evidenz in Studien zur symptomatischen Behandlung der therapierefraktären Dyspnoe bei Patient/-innen mit Tumoren oder ALS (25, 26). Dabei führen Opioide zu einer veränderten Wahrnehmung der Dyspnoe und zu einer Ökonomisierung der Atmung. Es gibt zahlreiche Studien, die die positive Wirkung von Opioiden bei der Linderung von Dyspnoe bei Patient/-innen mit malignen Erkrankungen belegen (28). Es gibt keinen Hinweis, dass eine adäquat durchgeführte Therapie der therapierefraktären Atemnot mit Opioiden zu einer klinisch relevanten Atemdepression führt (26, 27).

Bei Patient/-innen mit COPD oder Herzinsuffizienz war bislang auch von einem Benefit ausgegangen worden, der vor dem Hintergrund neuer Studien neu bedacht werden muss. So konnte gezeigt werden, dass es bei Patient/-innen mit COPD zwar eine Untergruppe von «Super-Respondern» gibt, die stark von der Opioidtherapie profitiert haben, andere jedoch keinen positiven Effekt bei Nebenwirkungen hatten (29). Für Patient/-innen mit Herzinsuffizienz konnte eine Metaanalyse zeigen, dass Opioide nicht zuverlässig wirken, keine der eingeschlossenen Studien zeigte eine signifikante Linderung der belastenden Atemnot durch Opio­ide, wobei keine Subgruppenanalyse der stark betroffenen Patient/-innen Stadium IV (NYHA) durchgeführt werden konnte (30). Für die Patient/-innen mit kardiorespiratorischen Erkrankungen und chronischem Atemnotsyndrom ergibt sich hieraus die Empfehlung einer sorgfältigen Patientenauswahl und vorsichtigem Titrationsversuch.

Die für die Linderung von Atemnot erforderlichen Opioiddosierungen sind in der Regel niedriger als in der Schmerztherapie. Übliche Anfangsdosierungen liegen bei 2.5 mg Morphin alle vier–sechs Stunden für Tumorpatienten und bei 1 mg alle vier–sechs Stunden für Nichttumorpatienten. Eine Symptomlinderung bei einer Tagesdosis von 10–20 mg Morphin p. o. kann für die Mehrheit der Patient/-innen erreicht werden (12) (Tabelle 2).

Gesundheitsfachpersonen und Patient/-innen können Sorge vor sedierender Nebenwirkung der Opioide haben, hier soll aktiv informiert werden, dass dies bei niedrigen Dosierungen und einer vorsichtigen Titration nicht zu erwarten ist.
Bei Atemnotattacken bzw. Verstärkung der Dyspnoe bei Belastung soll geprüft werden, ob eine Einnahme der Opioidreserve vor der (zu erwartenden) Belastung hilfreich sein kann.

Bei Patient/-innen mit Niereninsuffizienz muss auf Nebenwirkungen durch Kumulation der Morphinmetabolite geachtet werden. Es sollte die Wahl des Opioids anhand der klinischen Situation und dem Schweregrad der Niereninsuffizienz angepasst werden, wobei die Dosis reduziert und/oder das Dosierungsintervall verlängert werden kann. In der klinischen Praxis kann Hydromorphon für Patient/-innen mit Niereninsuffizienz empfohlen werden, wobei die Studienlage hier begrenzt ist (12).
Bei der Anwendung von Opioiden zur Linderung von Atemnot gelten die gleichen präventiven Massnahmen zur Vermeidung von Nebenwirkungen wie bei der Schmerztherapie. Dazu gehören beispielsweise eine dauerhafte Prophylaxe gegen Verstopfung und gegebenenfalls Antiemetika.

Benzodiazepine

Benzodiazepine wie Lorazepam und Midazolam werden seit Langem in der klinischen Praxis zur Behandlung von Atemnot bei fortgeschrittenen Erkrankungen eingesetzt und von vielen Therapierichtlinien empfohlen. Die klinische Erfahrung wird positiv bewertet, insbesondere bei Patient/-innen mit hoher affektiver Komponente. Jedoch konnte in einer systematischen Literaturübersicht und Metaanalyse keine statistisch signifikante Wirksamkeit nachgewiesen werden, obwohl eine Tendenz zur Linderung erkennbar ist (33). Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Benzodiazepine möglicherweise weniger die Intensität der Atemnot reduzieren (wie es in den Studien gemessen wurde), sondern eher den Umgang mit Atemnot verbessern.

Es besteht ein enger klinischer Zusammenhang zwischen Atemnot und Angst, und oft verbessert sich subjektiv die Atemnot nach einer Behandlung der Angst. Dies wird auch durch die gute Wirksamkeit von Entspannungstechniken zur Behandlung von Atemnotattacken bestätigt. Daher kann es sinnvoll sein, den oben beschriebenen Circulus vitiosus zwischen Angst und Atemnot, gerade bei Atemnotattacken, zu durchbrechen, indem man die Behandlung der Dyspnoe mit Opioiden mit Benzodiazepinen ergänzt. Dies ist auch in der fortgeschrittenen Krankheitssituation oder in der Sterbephase bei hoher affektiver Komponente sinnvoll. Prinzipiell sollten niedrige Startdosen gewählt werden und vorsichtig unter Berücksichtigung der Wirkung und möglichem sedierenden Effekt titriert werden. Am Lebensende sind, insbesondere bei gleichzeitig bestehender Unruhe, möglicherweise höhere Dosierungen notwendig (Tabelle 3).

Sauerstoff und Beatmung

Patient/-innen mit schwerer Hypoxämie, wie etwa in der Langzeittherapie der COPD, können von der Verabreichung von Sauerstoff profitieren. Derzeit wird der Benefit von hoch dosierten Sauerstoffgaben (high flow) untersucht. Die Indikation zur Sauerstoffgabe wird jedoch oft zu häufig und ohne genügende kritische Überlegung gestellt. Es konnte gezeigt werden, dass bei Krebspatient/-innen ohne Hypoxämie keine signifikanten Vorteile durch Sauerstoff im Vergleich zur Verwendung von Raumluft zur Symptomlinderung erreicht werden.

Die Entscheidung zur Sauerstofftherapie sollte strengen Kriterien folgen, da die Sauerstoffgabe auch potenzielle Nebenwirkungen wie Austrocknung der Schleimhäute, Bewegungseinschränkungen und unnötige Hospitalisierungen mit sich bringen kann. In der Sterbephase ist selten ein Benefit der Sauerstofftherapie zu erwarten. Es wird daher empfohlen, Sauerstoff, falls überhaupt, individuell bei jedem Patienten zu testen (34).
Manche Patientengruppen können von nicht invasiver Maskenbeatmung (beispielsweise COPD, ALS) profitieren, dies sollte in enger Zusammenarbeit mit den behandelnden Pneumologen evaluiert werden.

Dyspnoe in der Sterbephase

Dyspnoe und Angst stellen die häufigsten und äusserst belastende Symptome in der Sterbephase dar, sowohl für die Patienten selbst als auch für ihre Angehörigen und die Gesundheitsfachpersonen. Etwa 70–80 % der Patient/-innen mit fortgeschrittener Krebserkrankung leiden in den letzten Lebenstagen unter Dyspnoe (12, 14). Aufgrund der oft eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit in diesem Stadium ist die Einschätzung der Symptomlast durch Angehörige und Gesundheitsfachpersonen von entscheidender Bedeutung. Klinische Anzeichen wie Unruhe, Mimik, Schwitzen, erhöhte Atemfrequenz und Anstrengung sind wichtige Faktoren bei der Beurteilung. Es ist wichtig, die Angehörigen über normale Veränderungen der Atmung in der Sterbephase aufzuklären, wie z.B. Rasselatmung, und sie professionell zu unterstützen.
Bei Unruhezuständen ist es entscheidend, mögliche körperliche Ursachen wie Schmerzen, Harnverhalt, Obstipation und Delir zu identifizieren und gegebenenfalls zu behandeln. Informationen über die Biografie und Vorerkrankungen der Patient/-innen oder der Angehörigen können dabei wertvoll sein. Neben der Behandlung behebbarer Ursachen bei Angst- und Unruhezuständen ist es wichtig, für eine ruhige Umgebung, vertrauensvolle Kommunikation und Kontinuität in der Betreuung zu sorgen.
Die medikamentöse Therapie erfolgt in der Regel mit Opioiden sowie Benzodiazepinen bei Angst und Unruhe. Dabei soll die Dosis unter regelmässiger Evaluation der Wirkung und möglicher Nebenwirkungen titriert werden. Die Applikation erfolgt meist parenteral, entweder subkutan oder intravenös.
Patient/-innen mit Krankheiten, bei denen Dyspnoe am Lebensende wahrscheinlich ist, benötigen eine einfühlsame und offene Kommunikation im Vorfeld, dabei stehen die Ängste und Wünsche der Patient/-innen im Mittelpunkt. Information und Diskussion über die Möglichkeit einer palliativen Sedierung bei unaushaltbarem Leiden kann für die Patient/-innen und Angehörigen entlastend sein.

Dr. med. Sandra Eckstein

Abteilung für Palliative Care, Departement Theragnostik, Universitätsspital Basel, Basel

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Wee B, Browning J, Adams A, Benson D, Howard P, Klepping G, et al. Management of chronic cough in patients receiving palliative care: review of evidence and recommendations by a task group of the Association for Palliative Medicine of Great Britain and Ireland. Palliat Med. 2012;26(6):780-787. doi:10.1177/0269216311423793Palliat Med 2012; 26: 780-7 32.
2. Teunissen SC, Wesker W, Kruitwagen C, de Haes HC, Voest EE, de Graeff A. Symptom prevalence in patients with incurable cancer: a systematic review. J Pain Symptom Manage. 2007;34(1):94-104. doi:10.1016/j.jpainsymman.2006.10.015
3. Parshall MB, Schwartzstein RM, Adams L, Banzett RB, Manning HL, Bourbeau J, et al. An official American Thoracic Society statement: update on the mechanisms, assessment, and management of dyspnea. Am J Respir Crit Care Med. 2012;185(4):435-452. doi:10.1164/rccm.201111-2042ST
4. Johnson MJ, Yorke J, Hansen-Flaschen J, Lansing R, Ekström M, Similowski T, et al. Johnson, M.J., et al. Towards an expert consensus to delineate a clinical syndrome of chronic breathlessness. Eur Respir J. 2017;49(5):1602277. Published 2017 May 25. doi:10.1183/13993003.02277-2016
5. Ahmadi Z, Sandberg J, Shannon-Honson A, Vandersman Z, Currow DC, Ekström M. Is chronic breathlessness less recognised and treated compared with chronic pain? A case-based randomised controlled trial. Eur Respir J. 2018;52(3):1800887. Published 2018 Sep 15. doi:10.1183/13993003.00887-2018
6. Hutchinson A, Johnson MJ, Currow D. Acute-on-Chronic Breathlessness: Recognition and Response. J Pain Symptom Manage. 2019;57(5):e4-e5. doi:10.1016/j.jpainsymman.2019.01.012
7. Gysels M, Higginson IJ. Access to services for patients with chronic obstructive pulmonary disease: the invisibility of breathlessness. J Pain Symptom Manage. 2008;36(5):451-460. doi:10.1016/j.jpainsymman.2007.11.008
8. Spathis A, Booth S, Moffat C, Hurst R, Ryan R, Chin C, et al. The Breathing, Thinking, Functioning clinical model: a proposal to facilitate evidence-based breathlessness management in chronic respiratory disease. NPJ Prim Care Respir Med. 2017;27(1):27. Published 2017 Apr 21. doi:10.1038/s41533-017-0024-z
9. Booth S, Burkin J, Moffat C, et al. Managing breathlessness in clinical practice. London: Springer, 2014.
10. Simon ST, Higginson IJ, Benalia H, Gysels M, Murtagh FE, Spicer J, et al. Episodes of breathlessness: types and patterns – a qualitative study exploring experiences of patients with advanced diseases. Palliat Med. 2013;27(6):524-532. doi:10.1177/0269216313480255
11. Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung
Langversion 2.2 – 2020 (Internet).(abgerufen am 24.Februar 2024). Verfügbar unter: https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Palliativmedizin/Version_2/LL_Palliativmedizin_Langversion_2.2.pdf
12. Nuñez S, Hexdall A, Aguirre-Jaime A. Unscheduled returns to the emergency department: an outcome of medical errors?. Qual Saf Health Care. 2006;15(2):102-108. doi:10.1136/qshc.2005.016618
13. Pautex S Dyspnoe. In: Handbuch Palliativmedizin, Bern: Hogrefe; 2021. 101-106
14. von Leupoldt A, Balewski S, Petersen S, Taube K, Schubert-Heukeshoven S, Magnussen H, et al. Verbal descriptors of dyspnea in patients with COPD at different intensity levels of dyspnea. Chest. 2007;132(1):141-147. doi:10.1378/chest.07-0103
15. Booth S, Moosavi SH, Higginson IJ. The etiology and management of intractable breathlessness in patients with advanced cancer: a systematic review of pharmacological therapy. Nat Clin Pract Oncol. 2008;5(2):90-100. doi:10.1038/ncponc1034
16. Simon ST, Weingärtner V, Higginson IJ, Benalia H, Gysels M, Murtagh FEM et al. «I Can Breathe Again!» Patients’ Self-Management Strategies for Episodic Breathlessness in Advanced Disease, Derived From Qualitative Interviews. J Pain Symptom Manage. 2016;52(2):228-234. doi:10.1016/j.jpainsymman.2016.02.016
17. Bausewein C, Schunk M, Schumacher P, Dittmer J, Bolzani A, Booth S. Breathlessness services as a new model of support for patients with respiratory disease. Chron Respir Dis. 2018;15(1):48-59. doi:10.1177/1479972317721557
18. Booth S, Moffat C, Farquhar M, Higginson IJ, Burkin J. Developing a breathlessness intervention service for patients with palliative and supportive care needs, irrespective of diagnosis. J Palliat Care. 2011;27(1):28-36.
19. Higginson IJ, Bausewein C, Reilly CC, et al. An integrated palliative and respiratory care service for patients with advanced disease and refractory breathlessness: a randomised controlled trial. Lancet Respir Med. 2014;2(12):979-987. doi:10.1016/S2213-2600(14)70226-7
20. Booth S, Moosavi SH, Higginson IJ. The etiology and management of intractable breathlessness in patients with advanced cancer: a systematic review of pharmacological therapy. Nat Clin Pract Oncol. 2008;5(2):90-100. doi:10.1038/ncponc1034
21. Probst VS, Troosters T, Coosemans I, et al. Mechanisms of improvement in exercise capacity using a rollator in patients with COPD. Chest. 2004;126(4):1102-1107. doi:10.1378/chest.126.4.1102
22. Solway S, Brooks D, Lau L, Goldstein R. The short-term effect of a rollator on functional exercise capacity among individuals with severe COPD. Chest. 2002;122(1):56-65. doi:10.1378/chest.122.1.56
23. Bausewein C, Booth S, Gysels M, Higginson I. Non-pharmacological interventions for breathlessness in advanced stages of malignant and non-malignant diseases. Cochrane Database Syst Rev. 2008;(2):CD005623. Published 2008 Apr 16. doi:10.1002/14651858.CD005623.pub2
24. Barnes H, McDonald J, Smallwood N, Manser R. Opioids for the palliation of refractory breathlessness in adults with advanced disease and terminal illness. Cochrane Database Syst Rev. 2016;3(3):CD011008. Published 2016 Mar 31. doi:10.1002/14651858.CD011008.pub2
25. Ekström M, Bajwah S, Bland JM, Currow DC, Hussain J, Johnson MJ. One evidence base; three stories: do opioids relieve chronic breathlessness?. Thorax. 2018;73(1):88-90. doi:10.1136/thoraxjnl-2016-209868
26. Jennings AL, Davies AN, Higgins JP, Broadley K. Opioids for the palliation of breathlessness in terminal illness. Cochrane Database Syst Rev. 2001;(4):CD002066. doi:10.1002/14651858.CD002066
27. Johnson MJ, Abernethy AP, Currow DC. Gaps in the evidence base of opioids for refractory breathlessness. A future work plan?. J Pain Symptom Manage. 2012;43(3):614-624. doi:10.1016/j.jpainsymman.2011.04.024
28. Ekström M, Ferreira D, Chang S, Louw S, Johnson MJ, Eckert DJ, et al. Effect of regular, low-dose, extended-release morphine on chronic breathlessness in chronic obstructive pulmonary disease: the BEAMS randomized clinical trial. JAMA. 2022;328(20):2022–32.
29. Gaertner J, Fusi-Schmidhauser T, Stock S, Siemens W, Vennedey V. Effect of opioids for breathlessness in heart failure: a systematic review and meta-analysis. Heart. 2023;109(14):1064-1071. Published 2023 Jun 26. doi:10.1136/heartjnl-2022-322074.
30. Chochinov HM, Tataryn D, Clinch JJ, Dudgeon D. Will to live in the terminally ill. Lancet. 1999 Sep 4;354(9181):816-9. doi: 10.1016/S0140-6736(99)80011-7. PMID: 10485723.
31. Serious Illness Care Program, der Zukunftsdialog.(Internet).(abgerufen am 28.Februar 2024). Verfügbar unter: https://www.wuerdezentrum.de/wp-content/uploads/2023/03/Handbuch-Zukunftsdialog.
32. Simon ST, Higginson IJ, Booth S, Harding R, Weingärtner V, Bausewein C. Benzodiazepines for the relief of breathlessness in advanced malignant and non-malignant diseases in adults. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Oct 20;10(10):CD007354. doi: 10.1002/14651858.CD007354.pub3. PMID: 27764523; PMCID: PMC6464146.
33. Abernethy AP, McDonald CF, Frith PA, Clark K, Herndon JE 2nd, Marcello J, et al. Effect of palliative oxygen versus room air in relief of breathlessness in patients with refractory dyspnoea: a double-blind, randomised controlled trial. Lancet. 2010 Sep 4;376(9743):784-93. doi: 10.1016/S0140-6736(10)61115-4. PMID: 20816546; PMCID: PMC2962424
34. Gesundheitliche Vorausplanung beider Basel. (Internet). (abgerufen am 05.April 2024). Verfügbar unter: https://www.gesundheitliche-vorausplanung-bb.ch

Sterben, kann man das lernen?

Therefore, because death stirs people to seek answers to important spiritual questions, it becomes the greatest ­servant of humanity, rather than its most feared enemy (Lord Krishna to Arjuna, Bhagavad Gita) (1).

Einleitung

Das Thema Tod und Sterben begleitet uns in der Betreuung und Begleitung schwer kranker Patient/-innen und bewegt uns – bewusst oder unbewusst. Dennoch spricht man im klinischen Kontext kaum darüber. Für viele Patient/-innen ist es schwierig, über das eigene Ableben nachzudenken, mit Patient/-innen wird die Thematisierung des Lebensendes wenn möglich vermieden. Auch für Angehörige ist es schwierig, mit ihren Liebsten über den Tod zu sprechen. Mit Berufskolleg/-innen wird selten über die Bedeutung des Sterbens und des Todes für Patient/-innen und deren Angehörige sowie für die eigene berufliche Tätigkeit reflektiert. Lieber versucht man, über weitere Therapieoptionen nachzudenken aus Sorge, die Konfrontation mit dem Lebensende könnte die therapeutische Beziehung zu stark belasten (2). In den zeitlich eng getakteten Tagesabläufen tendiert man, dieses Thema aus Sorge vor Reaktionen und möglichen emotionalen Ausbrüchen der Patient/-innen zu meiden. Eine mangelnde Schulung und Erfahrung in der Gesprächsführung kann es ebenfalls erschweren, sich gegenüber dem Sterben und dem Tod im Gespräch mit Patient/-innen zu öffnen (3). Letztlich dient die Vermeidung von Endlichkeit, Sterben und Tod dem Selbstschutz vor starken Gefühlen und dem schmerzhaften Abschiednehmen von unseren Patient/-innen (4).

Die Auseinandersetzung mit dem Lebensende ist für schwer kranke Menschen in existenzieller Hinsicht schwierig. Viele scheuen sich, das nahende Lebensende und Ängste in Zusammenhang mit dem Sterben und dem Tod offen mit ihrem Arzt/Ärztin anzusprechen aus Furcht vor einem Abbruch der medizinischen Behandlung oder therapeutischen Beziehung (5). Viele kranke Menschen entwickeln aufgrund des Verschweigens des sich aufdrängenden und unausweichlichen Lebensendes diffuse Ängste, existenziellen Distress sowie Verleugnung (Denial) (6). Diese Angstbewältigung kann zu zwei diametral verschiedenen Phänomenen führen: einerseits zum Wunsch nach einem raschen Versterben, andererseits zur Entscheidung für aggressive und belastende Therapien am Lebensende, welche in der Folge mit hoher Symptomlast und eingeschränkter Lebensqualität einhergeht (7, 8). Beide Verhaltensweisen sind Ausdruck eines verzweifelten (dysfunktionalen) Bewältigungsversuchs. Auch pflegende Angehörige finden sich häufig in einem Zwiespalt zwischen Fürsorge und Sorge um die kranke Person und der Überforderung mit eigenen Gefühlen wieder. Sie sprechen kaum über ihr Erleben, ihre Sorgen und Ängste in Bezug auf das nahende Lebensende der geliebten Person (3). Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Tod und Sterben im Verlaufe einer komplexen medizinischen Behandlung kann dazu führen, dass auch Angehörige auf die Fortführung aggressiver Therapien am Lebensende drängen und das Gespräch über das nahende Lebensende erschwert wird (9).

Obwohl das Sterben Kernbestandteil des menschlichen Lebens ist, macht es uns Angst. Die Angst vor dem Tod ist universell und beschäftigt jede Person mit seiner latenten Präsenz und Bedrohung auf unterschiedliche Weise (10). Unterschiedliche wissenschaftliche Gebiete, darunter die Medizin, die Theologie, die Philosophie, die Rechts-, Natur- und Sozialwissenschaften, aber auch die Literatur, die Kunst und die Musik haben versucht, den Tod verständlich zu machen (11). Die Arbeit mit unseren Patient/-innen zeigt uns allerdings auf, dass es häufig nicht der Tod, sondern das Sterben ist, wovor sich die Menschen fürchten.

In diesem Artikel gehen wir unter Beleuchtung unterschiedlicher Perspektiven der Frage nach, warum wir uns vor dem Sterben und dem Tod fürchten, ob und wie man das Sterben lernen kann und wie eine Auseinandersetzung mit der Endlichkeit des Lebens gelingen kann. Wir verfolgen die These, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit einerseits unser Gesundheitsbewusstsein stärkt und die Verantwortung gegenüber dem Leben und die Fürsorge für sich selbst wie auch für andere fördert. Zudem kann die Anerkennung der eigenen Vulnerabilität sowie die Offenheit für die Unbeständigkeit des Lebens die Empathie gegenüber unseren Patient/-innen entscheidend vertiefen, wodurch sich die Beziehungsqualität, die Patientenzufriedenheit sowie die Lebensqualität verbessern. Dieser Artikel soll unsere Berufskolleg/-innen zur Selbstreflexion anregen und ermutigen, sich Gedanken über die eigene Endlichkeit und Vergänglichkeit zu machen, in der Hoffnung, sich in der Arbeit mit Patient/-innen und auch im privaten Leben gegenüber der Unbeständigkeit des Lebens zu öffnen und dadurch den Blick verstärkt auf das Wesentliche im Leben richten zu können.

Krankheit, Sterben und Tod

Krankheit, Sterben und Tod sind integrale Bestandteile des Lebens und betreffen nicht nur das hohe Alter, sondern auch Eltern mit kleinen Kindern, junge Erwachsene, Jugendliche oder Kinder. Das Erleben einer schweren Krankheit ist geprägt von Ängsten, Kontrollverlust, Verlust der körperlichen und psychischen Integrität, Schmerzen, Abhängigkeit, Autonomieverlust, Phasen der Zustandsverschlechterung, Krisenbewältigung, Fragen nach Sinn und Sinnlosigkeit des Daseins, Wunsch nach Weiterleben oder Resignation und kann einen tiefen Leidensdruck auslösen (12). Das Sterben hingegen beschreibt das Erlöschen der körperlichen Lebensvorgänge, den Prozess, den ein Organismus bis zum Eintreten des Todes durchläuft. Der Tod dagegen ist ein Zustand, das finale Ereignis, welches jedem Organismus ein unwiderrufliches Ende setzt (13).

Obwohl wir alle ein gewisses Grundverständnis von Tod und Sterben haben, bleibt unser Verständnis für die psychischen, spirituellen und transzendenten Erfahrungen während des Sterbeprozesses und nach dem Tod oft begrenzt. Sterben und Tod bleiben trotz allen Wissens über organische Zerfallsprozesse ein unbegreifliches Rätsel. Das Einzige, was man mit Bestimmtheit wissen kann, ist die Tatsache, dass der Tod irgendwann eintreten wird (14, S. 47). In einem evolutionsbiologischen Sinne hat der Tod zwei polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Funktionen, die sich nicht konfligieren, sondern ergänzen: Werden und Vergehen, Leid und Segen stehen sich gegenüber. Und wird der Tod gefürchtet, so kann er dennoch als erlösend erlebt oder sehnsüchtig erwartet werden (15).
Subjektiv betrachtet gibt es den Tod des anderen und den Tod, der uns betrifft. Der Tod des anderen wird häufig als schmerzhaft und bedrohlich wahrgenommen, denn er nimmt, was geschätzt oder geliebt wird (16). Wie bereits Mascha Kaléko bemerkte, muss es einem nicht bangen vor dem eigenen Tod, sondern nur vor dem Tod derer, die einem nahe sind (17). Was in der Umkehr bedeutet, dass viele sterbende Personen in Sorge um ihre Angehörigen sind. Im Gegensatz dazu bleibt der eigene Tod unvorstellbar und lehrt uns, vielleicht gerade deswegen, das Fürchten vor dem Nichts (18). Gleichzeitig widerspiegelt die Erfahrung des Todes anderer Menschen und die damit verbundene (oft unbewusste) Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit eine existenzielle Grenzerfahrung (19). Gedanken an den Tod erzeugen in uns Bilder, Vorstellungen und Gefühle, die von persönlichen und kulturellen Lebenserfahrungen geprägt sind. Ob wir ihn fürchten, uns gegen ihn auflehnen, ihn erwarten oder gar herbeisehnen, ob wir ihn als Gegner oder Begleiter des Lebens betrachten – die Wahrnehmungen über den Tod und das Sterben sind vielfältig (20, S. 248 –255).

Auch in der modernen Welt spielt die Frage der menschlichen Existenz und der zeitlichen Dimensionen des Lebens eine wichtige Rolle (11, S. 45). Geburt, Fortpflanzung, Reproduktionsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Hightechmedizin, Krankheit, Alter, Tod und Sterben konfrontieren uns dabei immer wieder mit den Grenzen des Lebens und der Frage, wie man die begrenzte Lebenszeit erfüllend und sinnvoll nutzen kann und wo die Grenzen sind (21). Die kontrovers verlaufende Diskussion über medizinische Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung und Erfüllung der Lebenszeit, aber auch die Versöhnung von existenziell unerfüllten Lebenswünschen am Lebensende, also dem «ungelebten Leben», widerspiegelt im Wesentlichen die Frage, was eigentlich einen Menschen, ein sinnvolles Leben und damit zusammenhängend ein würdevolles Sterben ausmacht (21).

Leben und Tod im 21. Jahrhundert – der verdrängte Tod

Die Lebenswelt und Lebensgestaltung von Menschen der (post-)modernen westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist durch die Idee der Selbstverwirklichung und ein unersättliches Streben nach Freiheit, Autonomie und Selbstbestimmung gekennzeichnet. Das Bestreben nach Selbstoptimierung sowie der Wunsch, gesünder, schöner, stärker, resilienter und vor allem länger zu leben (engl. longevity), beeinflussen unser Selbstverständnis von Körper und Geist sowie die Art und Weise, wie wir unsere sozialen Beziehungen pflegen (22). Körper und Psyche werden zum Instrument der Selbstoptimierung, welches die Funktion hat, die Angst vor der eigenen Endlichkeit zu verdrängen und den Glauben an die eigene Unsterblichkeit zu stärken (16, S. 9). Seit Kurzem wissen wir, wie man den Alterungsprozess partiell verlangsamen kann (23). Tatsächlich ist es Forschern gelungen, durch die Veränderung eines einzelnen Genes in Labormäusen die Lebensdauer um 20 % zu verlängern (24). Es stellt sich nun die Frage, was dies für den Menschen bedeutet und welche sozialen Konsequenzen daraus folgen, wenn wir in der Lage sind, die Lebensdauer von Menschen durch genetische Veränderungen zu manipulieren. Interessanterweise stellt Selbstoptimierung kein Phänomen des 21. Jahrhunderts dar. Der stetige Drang nach Wissen und Selbstverwirklichung sowie der Traum vom ewigen Leben lassen sich seit jeher in der Menschheitsgeschichte beobachten (25, S. 26).

Die hoch entwickelte moderne Medizin erschwert mit ihrem Heilungsversprechen, dass wir uns eigenverantwortlich nicht nur mit Fragen von Krankheit und Gesundheit, sondern auch mit denen des Todes und Sterbens auseinandersetzen. Obwohl wir alle bewusst oder unbewusst um die Unausweichlichkeit des Todes wissen, tendieren wir dazu, den Tod auszublenden und diesen aus unserem Leben zu verdrängen. In der modernen Welt wünscht sich der Mensch ein grösstmögliches Mass an Autonomie und Selbstbestimmung sowohl über sein Leben als auch über seinen Tod und die Art und Weise, wie er stirbt (26). Diese zentralen Anliegen prägen unser Verständnis, wie das Lebensende verlaufen sollte – mit maximaler Selbstbestimmung und bestmöglicher Lebensqualität bis zum Tod. Die Gründung von Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz hat sich als ein wichtiges Instrument zur Förderung dieser zentralen Anliegen erwiesen, ebenso wie das Recht, den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen zu dürfen (27, S. 16 ff.).
Obwohl Fortschritte in der Medizin sowie die Institutionalisierung und Medikalisierung des Lebensendes das Sterben einfacher und kontrollierbarer gemacht haben, ist uns durch diese Entwicklung der tiefere Sinn für das Sterben abhandengekommen. Das Lebensende wird vorwiegend als medizinisches Problem betrachtet, als ein Versagen der Hightechmedizin. Gleichzeitig entfernen wir uns zunehmend von traditionellen gesellschaftlichen und/oder religiösen Grundwerten, wodurch das Verständnis darüber, was es bedeutet, Mensch zu sein, in Vergessenheit gerät (28).

Der Übergang von Leben zu Tod findet oft im Krankenhaus oder in Pflegeeinrichtungen statt und ist weitgehend aus der unmittelbaren Verantwortung von Familien sowie der dörflichen oder kirchlichen Gemeinschaften gelöst und dem verwaltenden Staat und spezialisierten Berufen wie der Palliative Care übertragen worden (29). Noch nie starben Menschen so hygienisch wie heute, jedoch auch noch nie unter sozialen Bedingungen, welche die emotionale Einsamkeit der Sterbenden und ihrer Angehörigen in so hohem Masse fördern (16, S. 85). Rituale, Traditionen und auch die Sprache sind uns im Umgang mit Sterben, Tod, Verlust und Trauer teilweise verloren gegangen (16, S. 10, S. 29 ff.). Die Fähigkeit, die richtigen Worte mit Sterbenden und später mit den Angehörigen und Hinterbliebenen zu finden, wird nicht ausreichend geschult. Die Sterbebegleitung und die nachfolgende Trauerphase der Angehörigen finden zu grossen Teilen im Verborgenen statt. Das schweizerische Arbeitsrecht gewährt Personen nach dem Tod eines engen Familienangehörigen drei Tage Trauerzeit.1 Danach wird erwartet, dass die trauernde Person wieder arbeitsfähig ist . Dies verdeutlicht das Fehlen einer angemessenen Anerkennung der Belastung durch einen schweren Verlust sowie das Fehlen einer Trauerkultur.

Auch Arbeitgeber sind im Umgang mit schwerer Krankheit, Tod und Sterben sowie der Trauer von Angestellten häufig überfordert und wissen nicht, wie sie Angestellte in solchen Situation angemessen unterstützen können (30, 31). Die Förderung der Trauerkultur ist wichtig. Sie gibt praktische Handlungsanweisungen im Umgang mit Verstorbenen (Leichenpflege, Bestattung), für die soziale Ausgestaltung des krisenhaften Ereignisses (Unterstützung und Schutz durch die Gesellschaft) sowie bei der Bewältigung der psychischen Auswirkungen des Verlusts (Trauerarbeit) (32).

Fragen zur Förderung der Selbst­‑reflexion und Kultur der Endlichkeit und Vergänglichkeit

Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit in der Arbeit mit Patient/-innen ist sehr anspruchsvoll. Sie erfordert neben einer hohen sozialen Kompetenz eine vertiefte Selbstreflexion, Kenntnisse von Kommunikationstechniken sowie eine fundierte Schulung und Sensibilisierung bezüglich Fragen hinsichtlich Leben, Sterben, Tod, Verlust und Trauer. Diese Kenntnisse können erlernt werden, werden aber in der medizinischen und pflegerischen Aus-, Weiter- und Fortbildung nach wie vor zu wenig berücksichtigt.

Im Folgenden legen wir verschiedene Fragen vor, die zur Selbstreflexion anregen sollen und dazu beitragen können, eine Kultur der freundlichen Offenheit gegenüber der menschlichen Endlichkeit im klinischen Alltag als auch in der persönlichen Lebensgestaltung zu entwickeln. Diese Fragen dienen nicht nur als Leitfaden für die Kommunikationspraxis im medizinisch begleiteten Sterbeprozess, sondern sollen auch dazu anregen, dass jede/-r Einzelne sowie die Gesellschaft im Allgemeinen sich gegenüber Themen der Endlichkeit öffnen können.

Wie gelingt eine tiefgründige Auseinander­setzung mit der eigenen Endlichkeit?

Die Reflexion eigener Ängste vor dem Tod und dem Sterben sowie die Anerkennung der eigenen Vulnerabilität sind wichtige Voraussetzungen, um empathisch auf die Ängste, Gefühle, Verunsicherungen und Bedürfnisse der Patient/-innen einzugehen. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit eigenen Krankheits- oder Verlusterfahrungen sowie das Verständnis dafür, wie diese Erfahrungen die eigene psychische Gesundheit beeinflussen können. Die Anerkennung, dass das Leben nicht selbstverständlich und die Kontrolle über das Leben sehr beschränkt ist, richtet unsere Aufmerksamkeit auf das, was im Leben von Bedeutung ist. Sich immer wieder einmal die Zeit nehmen, innezuhalten, sich zu besinnen, auf das eigene Innenleben zu schauen und zu spüren, was jetzt gerade wichtig ist, ist eine wichtige Fähigkeit zur Unterstützung der Regeneration und Stärkung der Resilienz (33). Im Umgang mit schwerer Erkrankung empfiehlt es sich ebenfalls, immer wieder einmal die Frage zu stellen, was der Tod uns über das Leben lehrt. In Tabelle 1 sind Zitate aus der Lebens- und Praxiserfahrung von Palliativmediziner/-innen aus der Schweiz aufgeführt, welche die Selbstreflexion im Umgang mit der eigenen Endlichkeit anregen sollen.

Auch die von Harvey Chochinov entwickelte Dignity Therapy kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und Selbstreflexion fördern. Die Dignity Therapy wurde ursprünglich für Patient/-innen mit einer schweren fortgeschrittenen Erkrankung zur Linderung von existenziellem Leiden entwickelt. Durch Erzählen von Erinnerungen und bedeutungsvollen Momenten soll die Wertschätzung für das eigene Leben erhöht, die Sinnfindung unterstützt und die Bedeutung der eigenen Lebensgeschichte erkannt werden (34). Die Dignity Therapy kann aber in jeder Lebensphase ein wertvolles Instrument zur Förderung der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit darstellen, indem man sich besinnt, was man erreicht hat, auf was man besonders stolz ist, wann man sich am Lebendigsten fühlt und was man gern weitergeben möchte.

Vulnerabilität + Solidarität = Social Care
(Fürsorge gegenüber Patient/-innen wie sich selbst)

In der Behandlung und Begleitung von schwer kranken Menschen und ihren Angehörigen sind Gesundheitsfachpersonen stets angehalten, sich empathisch gegenüber den Ängsten, Nöten und Sorgen der Patient/-innen zu öffnen, wodurch sich das Risiko für die Entwicklung von stressbezogenen Krankheiten wie moralischen Distress, Burn-out oder Depression erhöht (35). Die Anerkennung der eigenen Grenzen sowie die Realisation, dass das Leben gegen gewisse Schicksalsschläge nicht abzuschirmen ist und ausserberufliche Ereignisse wie die Geburt eines Kindes, eine schwere Erkrankung, die Pflege eines kranken Angehörigen oder der plötzliche Verlust einer nahestehenden Person auch das eigene Leben betreffen und die Arbeits- und Beziehungsfähigkeit beeinflussen und/oder beeinträchtigen können, zeigt auf, wie wichtig die Aufrechterhaltung der eigenen Selbstfürsorge in der Arbeit mit kranken Menschen ist.

Die narrative Medizin ist ein wichtiges Instrument der Selbstfürsorge und ermöglicht Ärzten/Ärztinnen und Pflegefachkräften, in der komplexen Bedeutung ihrer Tätigkeit sowohl sich selbst als auch andere wiederzufinden und zu verorten. Sie stellt weniger die Krankheit als biologischen Prozess, sondern vielmehr die Krankheitserfahrung in den Vordergrund. Dabei wird der Tatsache Sorge getragen, dass wichtige Lebensereignisse, Übergänge von Gesundheit zu Krankheit, der Wechsel von Leben, Sterben und Tod oder die Erfahrung von Verlust und Trauer Rituale notwendig machen, um die entstandenen Lebenszäsuren zu verarbeiten und ihnen Sinn und Bedeutung zu geben. Die narrative Medizin versucht, das individuelle Erleben und die Gefühle von Gesundheitsfachpersonen zu erfassen, indem sie über Erzählungen, Essays, Bilder, Gedichte oder Geschichten die Selbstreflexion anregt und einen Zugang zum eigenen Erleben schafft. Sie öffnet einen Kanal, in dem man sich in der kompletten menschlichen Verwundbarkeit und der Ehrlichkeit unseres Seins in einem geschützten Rahmen begegnen kann. Die Selbstreflexion wirkt entschleunigend, stressreduzierend und schafft neue Einblicke und Erkenntnisse. Durch die narrative Medizin wird die Selbstfürsorge gefördert, die Resilienz gestärkt und die Fürsorge gegenüber unseren Patient/-innen vertieft (36, 37).

In der Behandlung von Menschen mit schweren Erkrankungen ist es wichtig, auf die eigene Gesundheit zu achten und sich immer wieder einmal zu fragen: «Wie geht es mir? Wie müde oder erschöpft bin ich? Achte ich auf meine Bedürfnisse, nehme ich mir regelmässig Auszeiten, und trete ich in einen fachlichen Austausch?» Die Teilnahme an Balint-Gruppen, Super- oder Intervision sind weitere wichtige Gefässe zur Förderung der Selbstreflexion und zur Stärkung der Resilienz.

Wie können philosophische Betrachtungen den Umgang mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit fördern?

Die Existenzphilosophie untersuchte die Gründe, weshalb wir uns vor dem Tod fürchten, was genau am Tod beängstigend ist und welche Bedeutung es für das Leben hat, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, wobei diese Diskussionen kontrovers verliefen (14, 38). Philosophische Reflexionen können die Entwicklung eines sinnvollen Verhältnisses zu verschiedenen Aspekten des Lebens unterstützen, darunter das Verständnis von Zeit und Zeitlichkeit, Freiheit, Individualität, Selbstverwirklichung, Verantwortung und Selbstfürsorge sowie die Art und Weise, wie wir unsere sozialen Beziehungen pflegen (14, 15). Heidegger betont die Wichtigkeit der Selbstverwirklichung und die Herausforderung, dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben (39, S. 141). Er unterstreicht auch die Bedeutung, den Tod bewusst in die Lebensgestaltung zu integrieren, da er dem Leben einen Horizont gibt und ein Zeit- und Grenzbewusstsein vermittelt (14, S. 86). Tugendhat sieht in der Todesangst eher eine Furcht vor dem Sterben. Er war überzeugt, dass es die Nähe zum Tod ist, welche uns auf die Bedeutung des Lebens aufmerksam macht. Die Todesfurcht sei Ausdruck der Erkenntnis, eine Chance verpasst zu haben, dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben und den Tod als guten Abschied zu verstehen (15, S. 44 ff.). Sartre hingegen betrachtet die Vorstellung des eigenen Todes als absurd und behindernd für die eigene Selbstverwirklichung (40, S. 23). Rosenzweig betont die Bedeutung der Liebe und der Beziehungen, um die Angst vor dem Tod zu überwinden, und verdeutlicht, dass Selbstverwirklichung nicht ohne Beziehung zu anderen Menschen erreicht werden kann (41). Kierkegaard wiederum sieht die unbeschränkten Möglichkeiten des Lebens als Ursache für menschliche Verzweiflung, da sie die Suche nach dem Sinn erschweren (18, S. 144 ff.). Tatsächlich ist das Leben nicht immer nur gut, wie von den Existenzphilosophen postuliert (38), sondern kann leidvoll erlebt werden. Manchmal ist es so unerträglich und der Leidensdruck so hoch, dass man sich den Tod herbeisehnt (15). Hamlets berühmte Frage «To be or not to be» stellt die existenzielle Ambivalenz des Lebens dar, in dem sowohl Freude als auch Leid existieren.
Die frühzeitige Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit kann helfen, dem Leben einen tieferen Sinn und Bedeutung zu verleihen, indem der Blick auf das gerichtet werden kann, was wirklich von Bedeutung ist. Erst die bewusste Integration des Todes ins Leben ermöglicht ein gelingendes Leben. Die Beschäftigung mit dem Tod und die Anerkennung, dass Sterben und Tod Kernbestandteile des menschlichen Lebens sind, macht uns für das Lebend offener, lebendiger und kreativer (42).

Was bedeutet es, ein erfülltes Leben zu führen?

Die Auseinandersetzung und Bewältigung der Todesangst sind eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die uns von der Kindheit an begleitet, in der Adoleszenz eintritt, uns später in der Lebensmitte erneut einholt und schliesslich im hohen Alter wieder begegnet (43, 44). Die Angst vor dem Tod in einer milden Ausprägung ist universell und gehört zur menschlichen Existenz. Sie widerspiegelt unser Bewusstsein für unsere Vulnerabilität, unsere soziale Angewiesenheit und das Wissen um unsere existenzielle Begrenztheit (45). Die Realisation, dass die Lebenszeit begrenzt ist, bewegt uns dazu, über unsere Entwicklungsaufgaben, den Lebenszyklus und unsere Lebensziele nachzudenken sowie darüber, was für das Leben von Sinn und Bedeutung ist. Das Stufenmodell von Erikson gliedert die psychosoziale Entwicklung in acht Stufen. Jede Stufe stellt eine Krise oder einen Konflikt dar, die oder den jeder Mensch für sich lösen muss, um eine gefestigte Persönlichkeit entwickeln zu können (46). Auch wenn dieses Stufenmodell immer wieder kritisiert wurde, zeigt es, dass wir uns im Verlaufe unseres Lebens unter Berücksichtigung der begrenzt verfügbaren Lebenszeit immer wieder mit Ängsten (Krisen) auseinandersetzen müssen.

Wenn es uns gelingt, diese zu überwinden, entstehen persönliche Reife und Weiterentwicklung (44). Eriksons Modell veranschaulicht ebenfalls, dass wir unser Verhalten unserem Alter und insbesondere unseren Entwicklungsaufgaben hingehend auszurichten haben. Sind wir uns des Lebenszyklus und der damit einhergehenden Aufgaben, Verantwortungen und Herausforderungen, aber auch Grenzen und Einschränkungen bewusst, lässt sich vermutlich auch ein besserer Umgang mit dem Tod und dem Sterben finden. Häufig reagiert der Mensch jedoch mit Abwehr und Verleugnung auf die Begrenztheit der eigenen Existenz. Im Schutze der Illusion, etwas Besonderes zu sein, fühlen sich viele Menschen unverletzbar und glauben, Krankheit und Leid blieben ihnen erspart (42). Diese neurotische Abwehr der Todesangst, die im Grunde genommen eine Lebensangst zum Ausdruck bringt (43, S. 117), kann in einem Teufelskreis enden und nicht nur die persönliche Entwicklung blockieren, sondern auch die Autonomie und Selbstverantwortung sowie die Beziehungs-, Liebes- und Genussfähigkeit einschränken (10). Um diesen existenziellen Ängsten zu begegnen, verwendet Irvin D. Yalom eine Art Gleichung. Er postuliert, je mehr ungelebtes Leben in uns steckt und je mehr wir bedauern, was wir nicht gelebt haben, desto mehr fürchten wir den Tod.

Die Auseinandersetzung mit dem Tod und der Begrenztheit des Lebens soll diesen Konflikt lösen und letzten Endes dazu beitragen, ein erfüllteres Leben zu führen. In der existenziellen Psychotherapie geht es nun darum, einen kreativen Umgang mit der Todesangst zu finden und dem Tod einen Platz im psychischen Raum zu geben, damit der Mensch trotz des Wissens um die Sterblichkeit ein persönlich erfülltes und sinnvolles Leben gestalten kann. Ein tägliches Bewusstsein dafür, dass das Leben kurz ist, soll helfen, authentisch und reflektiert zu leben und nichts anzuhäufen, was man am Lebensende bereuen würde (42, 47). Die Überwindung der Ängste vor dem Sterben kann als treibende Kraft zur persönlichen Entwicklung und sinnvollen Lebensgestaltung genutzt werden (43, S. 133).
Irvin D. Yalom ist zudem der Überzeugung, dass die verbleibende Lebenszeit sehr wichtig ist. Das Erlebte kann zwar nicht ungeschehen gemacht werden, die verbleibende Lebenszeit dagegen wird umso wichtiger und kann von jedem neu gestaltet werden. Der Blick darauf, was uns am Lebensende glücklich macht, soll als Massstab dafür dienen, die verbleibende Lebenszeit sinnvoll zu gestalten (42, 47).

Wie kann man Menschen (am Lebensende) helfen, Sinnfragen zu begegnen und ein ­würdevolles Sterben zu erreichen?

Spirituelle oder religiöse Rituale sowie transzendente Erfahrungen können am Lebensende wichtige Ressourcen im Umgang mit Sinnfragen, Ängsten oder existenziellen Nöten sein und auf das Lebensende und den Abschied vorbereiten, indem sie Trost vermitteln und die Verbundenheit zu Angehörigen stärken (48). Mit «spirituell» sind sinnstiftende Erfahrungen, Einstellungen und Rituale gemeint, die eine Person mit der Bedeutung des eigenen Lebens verbindet und können religiöser und nicht religiöser Natur sein (49). Religion und Spiritualität haben kulturübergreifend eine wichtige Aufgabe: Sie sollten die Angst vor dem Sterben und dem Tod lindern. Denn wenn der Tod nicht das Ende, sondern den Anfang markiert, gibt es keinen Grund, ihn zu fürchten. Schwindet jedoch dieser Glaube, nimmt die Angst zu (50).

Während die Ars moriendi im Mittelalter die Menschen aus Sorge um das Schicksal der Seele im Jenseits zu moralisch gutem Handeln anhielt (51), widerspiegeln moderne Interpretationen dieser Sterbekunst eine Lebensethik, die uns unter Einbezug der menschlichen Endlichkeit und Vergänglichkeit zur existenziellen Auseinandersetzung im Hier und Jetzt und zur persönlichen Entwicklung und Selbstverwirklichung ermutigt (52, S. 4–6). Es geht also weniger um die Vorbereitung der Seele auf einen heilsamen Tod als vielmehr darum, in der letzten Lebensphase nicht allein zu sein. Carlo Leget betont in seiner These zu einem erfüllten Leben und guten Sterben die Wichtigkeit, sich frühzeitig über die Dimensionen eines erfüllten Lebens und die damit zusammenhängenden Entscheidungen am Lebensende Gedanken zu machen. Dabei verweist er auf fünf existenzielle Themen, die einen individuellen Reflexionsprozess anregen und den Umgang mit der Endlichkeit und der Vergänglichkeit fördern sollen. Er ermutigt jeden Menschen, sich mit Fragen hinsichtlich eigener Autonomie, Position zu Leid und Schmerz, Abschied, unerledigter Dinge und Chance auf Erfüllung im Hier und Jetzt sowie innerer Wert- und Glaubensvorstellungen auseinanderzusetzen, damit dem Lebensende mit persönlicher Reife und mit innerem Frieden und Versöhnung entgegengeblickt werden kann (53). Die Offenheit gegenüber medizinischen, philosophischen und spirituellen Perspektiven ermöglicht diesen existenziellen Themen nicht nur am Lebensende, sondern im Leben generell mit Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu begegnen (54).

Durch die weltanschauliche Diversifizierung unserer Gesellschaft sind die Haltungen gegenüber dem Sterben und Tod beziehungsweise die damit verbundenen Überzeugungen in einem komplexen Wandel. In säkular geprägten Gesellschaften sind viele Menschen weniger um ihre Existenz nach dem Tod in Sorge, sondern vielmehr um den Weg zum Lebensende. Was bedeutet nun Lebensende, Sterben, Tod und Trauer, wenn der Glaube an ein Weiterleben im Jenseits schwindet? Religion und Spiritualität sind in schweren Lebenssituationen für etwa die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nach wie vor bedeutsam (55). Gesundheitsfachpersonen sollten in der Lage sein, offen, wertschätzend und empathisch auf existenzielle, spirituelle und transzendente Bedürfnisse und Erfahrungen einzugehen (56).

Besonders angesichts einer unheilbaren Erkrankung, infausten Prognose, terminalen Situation oder eines Krankheitsprogresses können Spiritualität oder Glaube wieder an Bedeutung gewinnen und die Entscheidungsfindung hinsichtlich lebenserhaltender Therapien beeinflussen. Kestenbaum et al. empfehlen Patient/-innen, nach spirituellen Bedürfnissen und Belastungen zu fragen sowie zu eruieren, welche spirituellen oder religiösen Überzeugungen wichtig sind, um Patient/-innen in der Entscheidungsfindung unterstützen zu können (57). Hierzu eignen sich die revidierte Version der Edmonton Symptom Assessment Scale (ESAS) («Erleben Sie spirituelles Leid oder Schmerzen?») (58) oder das FICA Spiritual Assessment Tool (59). Spirituelle und transzendente Erfahrungen, wie sie nicht selten in Todesnähe auftreten, können ferner einen wichtigen Faktor in der Auseinandersetzung mit Sinnfragen angesichts der eigenen Endlichkeit darstellen (48). Ein nützliches Instrument zur Erfassung von spirituellen Ressourcen und Belastungen am Lebensende ist der von Peng-Keller entwickelte «Spiritual Distress and Resources Questionnaire (SDRQ) (49). Der Leitfaden kann Gesundheitsfachpersonen helfen, spirituelle Aspekte oder Themen in Bezug auf die verbleibende Lebenszeit und bedeutsame Beziehungen anzusprechen.

Wie können Patient/-innen und ihre ­Ange­hörigen auf den Tod vorbereitet werden?

Gespräche über das Lebensende, Sterben und Tod in der Begleitung von Patient/-innen mit einer schweren unheilbaren Erkrankung und ihren Angehörigen sind eine zentrale Aufgabe der Palliative Care und helfen, die Patient/-innen und ihre Angehörigen auf das Lebensende und den Tod vorzubereiten. Dabei ist eine vertrauensvolle, verlässliche Beziehung zum/-r fallführenden Arzt/Ärztin sowie regelmässig stattfindende Gespräche für die Aufrechterhaltung der Kontinuität massgeblich. Der Einbezug der Palliative Care ist besonders in der letzten Lebensphase von Bedeutung, soll jedoch bereits im Verlauf einer chronischen oder schweren unheilbaren Erkrankung und parallel zu kurativen Behandlungsmassnahmen eingesetzt werden (13). Die Palliative Care hat zum Ziel, eine Kultur des Sterbens in unserer Gesellschaft zu etablieren und das Sterben auf eine selbstbestimmte und menschenwürdige Weise zu gestalten.

Cicely Saunders, Mitbegründerin der Palliative Care und Hospizbewegung, beschrieb in ihrem Model «Total Pain», dass das menschliche Leiden eine körperliche, eine psychische/emotionale, eine soziale, eine spirituelle und existenzielle Ebene hat, die sich gegenseitig überschneiden und beeinflussen (60). Aufgabe der Palliative Care ist es nun, dem menschlichen Leiden auf diesen Ebenen unter Einbezug von multiprofessionellen Diensten zu begegnen, um es zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehört neben der Krankheitsverarbeitung auch die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung und bei ethisch-rechtlichen Fragestellungen sowie die Organisation und der Aufbau eines Betreuungsnetzes mit spezialisierten Diensten für zu Hause (z.B. palliative Spitex, Mahlzeitendienst, psychiatrisches Home Care Treatment etc.). Offene Fragen wie «Was haben Sie von Ihrer Krankheit verstanden? Gibt es etwas, das Sie wissen möchten? Was bereitet Ihnen Sorgen, wenn Sie an die nahe Zukunft denken? Was ist Ihnen besonders wichtig, wenn sich Ihr Gesundheitszustand verschlechtern würde? Gibt es etwas, was ich wissen muss, um Sie bestmöglich zu begleiten? Wie kann man Ihre Angehörigen unterstützen?» sind entscheidend, um Patient/-innen mit einer schweren fortgeschrittenen Erkrankung entsprechend ihren Wünschen, Bedürfnissen und Behandlungspräferenzen zu begleiten und zu unterstützen (61). Letztlich gibt es Menschen, die bis zum Lebensende nicht bereit sind, über Sterben und Tod zu sprechen. Auch das gilt es, zu akzeptieren und Wege zu finden, diese Personen wie auch ihre Angehörigen dennoch empathisch und würdevoll begleiten zu können (62).

Wie gelingt es mir, die Resilienz von schwer kranken Menschen zu stärken?

Die Erfahrung einer schweren unheilbaren Erkrankung sowie die Konfrontation mit dem nahenden Lebensende und die damit zusammenhängende Ungewissheit und eingeschränkten Zukunftsperspektiven können Ängste, dramatische Sinnkrisen und den Wunsch nach einem raschen Versterben auslösen (8). In der Auseinandersetzung mit dem Lebensende spielt Hoffnung eine bedeutende Rolle und wirkt als wichtiger Schutzfaktor zur Stärkung der Resilienz im Umgang mit vielfältigen Einschränkungen (63). Hoffnung steht als Gegenbegriff zu Verzweiflung und kann Lebenskraft mobilisieren. Sie verkörpert einen starken Handlungsantrieb, richtet Menschen in ihrem Leid und Verzweiflung auf, stärkt ihre Willenskraft und ihr Selbstwertgefühl. Im Hoffen wirkt immer ein Wunschgedanke. Über die Hoffnung erschliessen sich Menschen neue Existenz- und Handlungsmöglichkeiten, die über den Tod hinaus wirken können, und bewahren dadurch die Handlungsfähigkeit, Autonomie und Selbstbestimmung (64). Was bedeutet es für uns Menschen zu hoffen? Wie hoffen Menschen, wenn sie sich ihrem Lebensende nähern? Was bedeutet Hoffnung für Angehörige? Wie können Gesundheitsfachpersonen mit der Hoffnung von Patient/-innen oder der Hoffnung der Angehörigen interagieren, um ihre Würde, Identität, Autonomie und Selbstbestimmung zu stärken und aufrechtzuerhalten? Die Erzählung (narrative Konstruktion) als komplexer Prozess der Sinnbildung hat eine wichtige Bewältigungsfunktion und spielt in der Aufrechterhaltung der Hoffnung und Resilienz eine wichtige Rolle. Die Selbsterzählung ermöglicht die Verarbeitung der schweren Erkrankung und kann helfen, die lebensgeschichtliche Ruptur langsam in die eigene Lebensgeschichte zu integrieren und eine neue stabilisierende Identität zu formen. Dabei kann besonders die Konzentration der positiven, bestärkenden Erfahrungen in der Biografie helfen, dem Funktions-, Kontroll- und Sinnverlust zu begegnen und dadurch die verletzte Würde wiederherzustellen (65). Die Aufrechterhaltung der Hoffnung und die Stärkung der Sinn- und Bedeutungsfindung am Lebensende durch palliative Fürsorge und stützende Gespräche können dazu beitragen, die Resilienz von schwer kranken Patient/-innen und ihren Angehörigen zu stärken. Ein besonderes Merkmal der Hoffnung ist, dass sie auch dann weiter bestehen kann, wenn sich Erwartungen und Wünsche nicht erfüllt haben, z.B. die Symptomlast nicht gebessert oder die Schwere der Erkrankung nicht gemildert werden kann. Das Wissen um die begrenzte Lebenszeit und andererseits die Hoffnung auf viele gute Tage oder auch ein Wunder stellen keinen Widerspruch dar. Diese Dualität im Denken (engl. double awareness) – auf das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereitet sein – widerspiegelt einen wichtigen Grundsatz der Palliative Care. Auch wenn die Hoffnung auf Heilung schwindet, kann Hoffnung weiter bestehen bleiben und als wichtige Ressource zur Stärkung der Resilienz angesichts des nahenden Lebensendes verwendet werden. Fragen wie «Was gibt Ihnen in schwierigen Zeiten Kraft weiterzumachen? Woraus schöpfen Sie Hoffnung, Kraft und Trost?» oder «Was hoffen Sie angesichts der verbleibenden Lebenszeit noch erleben zu dürfen?» können helfen, die Hoffnung auf eine resilienzstärkende Ressource auszurichten (66). Dies gelingt durch eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung, welche sich durch Empathie, Vertrauen, beidseitige Offenheit und die Bereitschaft über den Tod und das Sterben zu sprechen, auszeichnet (62). Die Aufgabe der Palliative Care besteht folglich nicht nur in der Symptomlinderung, sondern auch in der Förderung der Kommunikation mit Angehörigen, der Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen sowie der Unterstützung des persönlichen und spirituellen Wachstums, das aus dem Erleben von existenziellem Leiden und Konfrontation mit dem Lebensende entstehen kann.

Wie unterstütze ich trauernde Menschen, ­trauernde Angehörige?

Die Trauer ist eine häufige und natürliche Reaktion auf antizipierte oder erlebte Verlusterfahrungen und hat in der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit eine wichtige psychische Aufgabe. Sie fördert die Akzeptanz von unwiederbringlichen Veränderungen, von unerfüllten Lebensträumen und/oder Verlusten von wichtigen Bindungen und trägt nach erfolgter Trauerarbeit zur psychischen Entwicklung bei. Scheitern wir an dieser psychischen Arbeit, bleiben wir an innere Objekte aus der Vergangenheit gebunden, die frustriert erlebt werden. Das Resultat ist anhaltende Trauer, depressive Verstimmung, Ängste sowie ein fehlendes Gefühl von Sinn und Bedeutung im Leben (67). Sinnzentrierte Interventionen (z.B. Dignity Therapy (34)) können die Thematisierung von Lebensendthemen unterstützen und Patient/-innen und ihren Angehörigen helfen, Verluste zu akzeptieren und Sinn- und Bedeutungsfindung sowie die Aufrechterhaltung der Würde zu stärken. Auch wenn die Klärung von komplexen medizinischen Situationen und Therapiemöglichkeiten am Lebensende und das Auffangen der emotionalen Reaktionen von Patient/-innen und ihren Angehörigen Zeit und Energie kostet, können diese Gespräche sehr wertvoll sein, eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung aufzubauen und pathologische Formen der Trauer abzuwehren. Dieses Fundament hilft später, Gespräche sehr gezielt und fokussiert auf die wichtigsten Punkte zu lenken (68). Nach dem Tod einer nahestehenden Person können psychotherapeutische Gespräche helfen, Schmerzen zum Ausdruck zu bringen, den Verlust zu verarbeiten und die Trauer zu bewältigen. Die alleinige Anwesenheit eines wachsam zuhörenden, akzeptierenden und nicht wertenden Gegenübers kann dabei tröstend wirken. Auch Abschiedsgespräche mit dem fallführenden Arzt/Ärztin können trauernden Angehörigen helfen, die Trauerarbeit zu initiieren und bieten gleichzeitig Beistand, Orientierung und Halt. Dauert die Trauer nach einem schweren Verlust mehr als sechs Monate an, sollte eine anhaltende Trauerstörung evaluiert und eine Gesprächspsychotherapie gegebenenfalls kombiniert mit einer Psychopharmakotherapie aufgegleist werden (69).

Diskussion

Selbstreflexion und Selbstfürsorge

Ob man das Sterben lernen kann, ist besser in der Umkehr der Frage zu beantworten, nämlich was lehrt uns der Tod über das Leben oder was lehrt uns das Leben generell? Denn der Tod wie die Geburt ist integraler Bestandteil des Lebens. Kliniker/-innen oder Gesundheitsfachpersonen verfügen über ein Bewusstsein der Sterblichkeit und die Erfahrung, andere Menschen sterben zu sehen. Man hat gewisse Kenntnisse über das menschliche Leiden bei schwerer Erkrankung und weiss von der Belastung durch existenzielle Ängste, Einsamkeit, Versagen, Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Trauer am Lebensende von sterbenden Personen sowie ihren Angehörigen und kennt die klinischen Vorboten des Todes. Gleichzeitig hat der Tod der Patient/-innen einen bedeutenden Einfluss auf das Denken, Fühlen und Handeln von Gesundheitsfachpersonen. Die Erfahrung des Todes ist unweigerlich eine Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit, die Unbehagen auslösen kann. Jede Person entscheidet für sich, wie viel Nähe zum eigenen Tod ausgehalten und welche kreativen Lösungen gefunden werden können, um mit dieser Urangst umzugehen.

Das Thema Sterben und Tod aus einer gesundheitswissenschaftlichen Perspektive zu thematisieren, ist insofern relevant, weil durch die Akzeptanz der Endlichkeit nicht nur das Leben, sondern das «Er-Leben» des Lebens und damit auch das, was das Leben formt, nämlich die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, Gesundheit und Krankheit sowie Selbstachtung und die Fürsorge und Beziehung zueinander, in unser Blickfeld rückt. Jede/-r ist also zu einem sorgfältigen Umgang mit seiner begrenzten Lebenszeit angehalten sowohl in Bezug auf die Verwirklichung eigener Lebensprojekte als auch im Umgang mit ihren/seinen Beziehungen (14, S. 287). Die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit kann zu einer verstärkten Eigenverantwortung gegenüber dem eigenen wie auch dem Leben der anderen führen und dazu anhalten, das Leben auf möglichst befriedigende, selbstbestimmte und gesundheitsbewusste Weise zu leben und zu gestalten (11, S. 13–17). Aus den Reflexionen und Zitaten von Palliativmediziner/-innen wird verständlich, dass es gerade der Tod ist, der uns herausfordert, Sinn überhaupt erst zu suchen und in unserem Tun zu verwirklichen.

Umgang mit kranken Menschen und ihren ­Angehörigen

Die Perspektive ändert sich, wenn man sich plötzlich mit dem Lebensende konfrontiert sieht. Die Konfrontation mit dem Lebensende und der Verlust der körperlichen und ­seelischen Integrität, der Verlust von Sinn- und Bedeutung im Leben, der Verlust der eigenen Autonomie und Selbstständigkeit sowie die zunehmende Abhängigkeit können einen hohen Leidensdruck verursachen und den Wunsch nach einem raschen Versterben verstärken (34). Pflegende Angehörige dagegen haben häufig noch nie das Sterben eines nahen Menschen erlebt und haben oftmals unrealistische Vorstellungen bezüglich des Sterbeprozesses (13). Gerade im letzten Lebensabschnitt sowie im Hinblick auf die Trauerphase bedürfen schwer kranke Menschen und ihre Angehörigen einer fürsorglichen Begleitung und Unterstützung durch Fachdienste wie der Palliative Care, der Ethikberatung, der Psychoonkologie und der Seelsorge.

Wie ändert sich nun das Erleben von Zeit und Zeitlichkeit des Lebens, wenn der Tod akzeptiert und nicht verdrängt wird? Die klinische Erfahrung mit unseren Patient/-innen lehrt uns, dass die Konfrontation mit einer schweren unheilbaren Erkrankung und der eigenen Endlichkeit das Bewusstsein für die verbleibende, plötzlich wertvoll erscheinende Lebenszeit entscheidend beeinflussen kann (14, S. 49 ff.). Auf wundersame Weise kann die Nähe zum Tod durch eine schwere Erkrankung, eine Nahtoderfahrung oder der Verlust eines nahestehenden Menschen zu tiefgreifenden Veränderungen führen (10, 43). Erst das Erleben des mit dem Sterben verbundenen Leidens ermöglicht das Erleben unserer Urängste: die Angst vor der Einsamkeit, die Angst vor dem Leid und vor dem völligen Kontrollverlust (26). Durch Erfahrung unserer Vulnerabilität, existenziellen Begrenztheit und sozialer Angewiesenheit lässt sich unser Blick auf das richten, was uns wirklich wichtig ist im Leben. Dadurch lässt sich auch eine andere Perspektive auf das Sterben finden, was das Erleben von Transzendenz fördern kann (70). Durch die Erfahrung von schwerer Krankheit, Sterben, Tod, Verlust und Trauer werden Gespräche über den Sinn und die Bedeutung des vorangegangenen Lebens, der Erkrankung und des nahenden Lebensendes möglich. Die Erfahrung der Begrenztheit unseres Daseins bildet einen zentralen Bezugspunkt, wobei die Auseinandersetzung damit zu einer besseren Verortung des Selbst und zu einem tieferen Verständnis der eigenen Identität führt (21).

Fazit

Über den Tod sprechen ist wichtig. Nur so werden wir uns unserer Unvollkommenheit und beschränkten Möglichkeiten bewusst. Die Auseinandersetzung mit der Angst vor dem Tod und dem Sterben ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe. Sie erfordert unter Berücksichtigung der begrenzt verfügbaren Lebenszeit eine fortwährende Bewältigung im Verlaufe unseres Lebens, damit diese nicht blockiert, sondern als treibende Kraft zur persönlichen Entwicklung und sinnvollen Lebensgestaltung genutzt werden kann. Die Öffnung gegenüber der eigenen Endlichkeit führt zu einer verstärkten Eigenverantwortung für das eigene Leben und das der anderen und zu einer selbstbestimmten, gesundheitsbewussten und zufriedenen Lebensgestaltung. Die Offenheit gegenüber unserer eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit befähigt uns, mit unseren Patient/-innen über den Tod zu sprechen und sie und ihre Angehörigen empathisch und verlässlich bis zum Lebensende hin zu begleiten. Dadurch gelingt es auch schwer kranken Patient/-innen und ihren Angehörigen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Therapieentscheidungen zu treffen, die ihr Leiden lindern und die Lebensqualität verbessern.

Danksagung

Die Autorinnen und Autoren danken Professor Dr. med. Dr. phil. Ralf Jox für seine Reflexionen über Leben, Sterben und Tod.

Historie
Manuskript eingereicht: 08.04.2024
Angenommen nach Revision: 01.07.2024

PD Dr. phil. Annina Seiler

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care,
Universitätsspital Zürich

annina.seiler@usz.ch

PD Dr. med. Caroline Hertler

Klinik für Radio-Onkologie
Kompetenzzentrum Palliative Care
Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Sophia Rose Evstigneev

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Markus Schettle

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Prof. Dr. med. Steffen Eychmüller

Chefarzt
Universitäres Zentrum für Palliative Care
Inselspital Bern, SWAN Haus
Freiburgstrasse 38
3010 Bern

Prof. Dr. Jan Gärtner

Palliativzentrum, Universität Basel, Schweiz

Dr. med. Sandra Eckstein

Abteilung für Palliative Care, Departement Theragnostik, Universitätsspital Basel, Basel

KD Dr. med. Beat Müller

Schwerpunktabteilung Palliative Care, Luzerner Kantonsspita

PD Dr. med. Tanja Fusi-Schmidhauser

Clinica di Cure Palliative e di Supporto, Ente Ospedaliero Cantonale, Lugano e Bellinzona

Dr. med. Christa Hauswirth Siegenthaler

Zentrum für Palliative Care, Kantonsspital Winterthur

Prof. Dr. Brigitte Booth

Gemeinschaftspraxis Psychotherapie Bellevue, Zürich

Prof. Dr. Simon Peng-Keller

Professur für Spiritual Care, Theologische und Religionswissenschaftliche Fakultät, Universität Zürich

Prof. Dr. med. David Blum

Klinik für Radio-Onkologie, Kompetenzzentrum Palliative Care, Universitätsspital Zürich und Universität Zürich

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Bhagavad Gita: A new translation (S. Mitchell, Trans.). New York: Three Rivers Press; 2006.
2. Roberts TG, Jr., Goulart BH, Squitieri L, Stallings SC, Halpern EF, Chabner BA, et al. Trends in the risks and benefits to patients with cancer participating in phase 1 clinical trials. Jama. 2004;292(17):2130-40.
3. Lindtner-Rudolph H, Bardenheuer HJ. 13. Sprache am Lebensende: Chancen und Risiken ärztlicher Gesprächsführung in der Palliativemedizin. In: Albert B, Thomas S-F, editors. Handbuch Sprache in der Medizin. Berlin, München, Boston: De Gruyter; 2015. p. 333-47.
4. Salis Gross C. Der ansteckende Tod: eine ethnologische Studie zum Sterben im Altersheim. Frankfurt; Main: Campus Verlag; 2001.
5. Meerwein F. Das ärztliche Gespräch. Bern: Huber; 1986.
6. Pape E, Seiler A, von Känel R. Umgang mit Denial bei Tumorerkrankungen. Primary and Hospital Care: Allgemeine Innere Medizin. 2020;20.
7. Sinclair S, Chochinov H. Communicating with patients about Existential and Spiritual Issues: SACR-D work. Progress in Palliative Care. 2012;20:72-8.
8. Rodin G, Zimmermann C, Rydall A, Jones J, Shepherd FA, Moore M, et al. The desire for hastened death in patients with metastatic cancer. J Pain Symptom Manage. 2007;33(6):661-75.
9. Brownlee S, Chalkidou K, Doust J, Elshaug AG, Glasziou P, Heath I, et al. Evidence for overuse of medical services around the world. The Lancet. 2017;390(10090):156-68.
10. Fuchs T. Leiden an der Sterblichkeit. Formen neurotischer Todesverleugnung. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie 2003;1(51):41 − 50.
11. Schnabel P-E. Mit Tod und Sterben leben lernen. Ein Konzept zur Föderung von Überlebenskompetenz und Gesundheit. Weinheim & Basel: Beltz Juventa; 2013.
12. Chochinov H, McClement S, Hack T, McKeen N, Rach A, Gagnon P, et al. The Patient Dignity Inventory: Applications in the Oncology Setting. Journal of palliative medicine. 2012;15:998-1005.
13. Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Umgang mit Sterben und Tod. Basel: Gremper AG; 2019.
14. Birkenstock E. Heisst philosophieren sterben lernen? München: Alber; 1997.
15. Tugendhat E. 1.2 Über den Tod oder: Warum fürchten wir, bald zu sterben? In: Schmitt E, Eckart WU, editors. Handbuch Sterben und Menschenwürde De Gruyter; 2012. p. 31-50.
16. Elias N. Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen. Humana conditio. Frankfurt am Main: Suhrkamp; 2021, Erstausgabe 1982.
17. Kaléko M. Verse für Zeitgenossen. In: Zoch-Westphal G, editor.: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 1980. p. 9.
18. Kierkegaard S. Die Krankheit zum Tode. Ges. Werke. Düsseldorf/Köln: Diederichs; 1954.
19. Langthaler R, Hofer M. Existenzerhellung – Grenzbewusstsein – Sinn der Geschichte : dem Andenken an Karl Jaspers (1883-1969). Wien; Hamburg: Wiener Jahrbuch für Philosophie; 2020.
20. Freud S. Psychologie des Unbewußten. Conditio humana. Ergebnisse aus den Wissenschaften vom Menschen. Studienausgabe. Bd. 3 ed. Frankfurt am Main: S. Fischer; 1975.
21. Schweda M. Ethisches Spannungsfeld: Begrenzte und erfüllte Lebenszeit. In: Riedel A, Lehmeyer S, editors. Ethik im Gesundheitswesen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2022. p. 701-15.
22. Balandis O, Straub J. Selbstoptimierung und Enhancement. Journal für Psychologie. 2018;26(1):131-55.
23. Yang JH, Petty CA, Dixon-McDougall T, Lopez MV, Tyshkovskiy A, Maybury-Lewis S, et al. Chemically induced reprogramming to reverse cellular aging. Aging (Albany NY). 2023;15(13):5966-89.
24. Johnson AA, English BW, Shokhirev MN, Sinclair DA, Cuellar TL. Human age reversal: Fact or fiction? Aging Cell. 2022;21(8):e13664.
25. Fenner D. Selbstoptimierung und Enhancement. Ein ethischer Grundriss. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag GmbH & Co KG; 2019.
26. Caruso IA, Rubner A. Notizen zu einer Diskussion über den Tod. J Psychologie und Gesellschaftskritik. 1988;12:45-57.
27. Zimmermann M, Felder S, Streckeisen U, Tag B. Das Lebensende in der Schweiz. Basel: Schwabe; 2019.
28. Straub J, Sabisch-Fechtelpeter K, Sieben A. Homo modificans, Homo modificatus. Ein Vorwort zu aktuellen „Optimierungen des Menschen”. In: Sieben A, Sabisch-Fechtelpeter K, Straub J, editors. Menschen machen Die hellen und die dunklen Seiten humanwissenschaftlicher Optimierungsprogramme. Bielefeld transcript Verlag; 2012. p. 9-26.
29. Borasio GD. Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co; 2014.
30. Sutor P. Trauer am Arbeitsplatz. Sprachlosigkeit überwinden – Fürsorgepflicht wahrnehmen – Trauerkultur entwicklen. Ostfildern: Patmos Verlag der Schwabenverlag AG; 2020.
31. Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege [Internet]. 2021 [cited 07.03.2024]. Available from: https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/eo-msv/grundlagen-und-gesetze/betreuung-beeintraechtigte-kinder/faq-betreuende-angehoerige.html.
32. Sunderbrink B. Trauer – kulturhistorisch. In: Wittwer H, Schäfer, D., & Frewer, A. , editor. Handbuch Sterben und Tod Geschichte – Theorie – Ethik. 2. Auflage. Berlin: J.B. Metzler Verlag © Springer-Verlag GmbH; 2020. p. 241-5.
33. Frankl V. Zeiten der Besinnung. Gleichnisse. Zusammengestellt, ergänzt und kommentiert von Elisabeth Lukas München, Salzburg: Benevento Publishing; 2023.
34. Chochinov HM, Hack T, Hassard T, Kristjanson LJ, McClement S, Harlos M. Dignity therapy: a novel psychotherapeutic intervention for patients near the end of life. J Clin Oncol. 2005;23(24):5520-5.
35. Seiler A, Milliken A, Leiter RE, Blum D, Slavich GM. The Psychoneuroimmunological Model of Moral Distress and Health in Healthcare Workers: Toward Individual and System-Level Solutions. Compr Psychoneuroendocrinol. 2024;17:100226.
36. Charon R. Narrative MedicineA Model for Empathy, Reflection, Profession, and Trust. JAMA. 2001;286(15):1897-902.
37. Charon R. Narrative medicine in the international education of physicians. Presse Med. 2013;42(1):3-5.
38. Nagel T. Death. In: Mortal questions. Cambridge University Press. 2012:1-10.
39. Heidegger M. Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer Verlag; 1927.
40. Sartre J-P. L’être et le néant. Paris: Gallimard; 1943.
41. Rosenzweig F. Der Stern der Erlösung. Frankfurt: Surhkamp; 1988.
42. Yalom ID. Existenzielle Psychotherapie. Bergisch-Gladbach: EHP; 1980.
43. Grieser J. Der Tod und das Leben. Vergänglichkeit als Chance zur Entwicklung von Lebendigkeit. Giessen: Psychosozial Verlag; 2018.
44. Grieser J. Die Bewältigung des Todes in der psychischen Entwicklung (Coping with death in mental development). Forum der Psychoanalyse. 2019;35.
45. Riemann F. Grundformen der Angst. München: Ernst Reinhardt GmbH Verlag; 1961.
46. Erikson EH. Identity: youth and crisis. Oxford, England: Norton & Co.; 1968.
47. Yalom ID. Staring at the sun: Overcoming the terror of death. The Humanistic Psychologist. 2008;36(3-4):283-97.
48. Seiler A, Pelz S, Wolfensberger F, Hertler C, Schettle M, Schlögl M, et al. [End-of-Life Dreams and Visions]. Praxis (Bern 1994). 2023;112(5-6):297-303.
49. Peng-Keller S, Moergeli H, Hasenfratz K, Naef R, Rettke H, Hefti R, et al. Including the Spiritual Dimension in Multimodal Pain Therapy. Development and Validation of the Spiritual Distress and Resources Questionnaire (SDRQ). Journal of Pain and Symptom Management. 2021;62(4):747-56.
50. Luhmann N. Funktion der Religion. Frankfurt am Main: Suhrkamp; 1986.
51. Hilt A. Die Praxis der ars moriendi oder die Erfahrung, leben zu lernen und sterben zu können. Philosophische Rundschau. 2008;55(4):307-31.
52. Seneca LA. Epistulae morales 77. In: Giebel M, editor. Epistulae morales ad Lucilium Briefe an Lucilius über Ethik: Reclam; 2014. p. 19.
53. Leget C. Der innere Raum. Wie wir erfüllt leben und gut sterben können. Ostfildern: Patmos Verlag; 2021.
54. Peng-Keller S. Interprofessionelle und spezialisierte Spiritual Care. In: Anja Mehnert-Theuerkauf AL-L, ‎Annina Seiler, Josef Jenewein, editor. Psychoonkologie in der palliativen Versorgung – Ein Praxishandbuch. Stuttgart: Kohlhammer; 2022. p. 197-209.
55. Religion [Internet]. Sektion Demografie und Migration. 2024 [cited 08.04.2024]. Available from: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/sprachen-religionen/religionen.html.
56. Peng-Keller S. Sinnereignisse in der Todesnähe. Traum- und Wachvisionen Sterbender und Nahtoderfahrugen im Horizont von Spiritual Care. Berlin/Boston: De Gruyter; 2017.
57. Kestenbaum A, Fitchett G, Galchutt P, Labuschagne D, Varner-Perez SE, Torke AM, et al. Top Ten Tips Palliative Care Clinicians Should Know About Spirituality in Serious Illness. J Palliat Med. 2022;25(2):312-8.
58. Delgado-Guay MO, Chisholm G, Williams J, Frisbee-Hume S, Ferguson AO, Bruera E. Frequency, intensity, and correlates of spiritual pain in advanced cancer patients assessed in a supportive/palliative care clinic. Palliat Support Care. 2016;14(4):341-8.
59. Borneman T, Ferrell B, Puchalski CM. Evaluation of the FICA Tool for Spiritual Assessment. J Pain Symptom Manage. 2010;40(2):163-73.
60. Clark D. An annotated bibliography of the publications of Cicely Saunders–1: 1958–67. Palliative Medicine. 1998;12(3):181-93.
61. Why Doctors Need to Talk about Death. New England Journal of Medicine. 2024;390(7):e15.
62. Grieser J. Über den Tod sprechen [Talking about death]. Forum Der Psychoanalyse. 2023;39(2):189–203.
63. Peng-Keller S. Umgang mit Hoffnung. In: Bally K, et al., editor. Handbuch Palliativmedizin. 4., aktualisierte und ergänzte Auflage. Bern: Hogrefe; 2021. p. 291-7.
64. Leiter RE. The power of hope. Cell. 2023;186(8):1518-22.
65. Seiler A, Hertler C, Schettle M, Amann M, Jenewein J, Blum D. Die Würde generierende Kraft der Erzählung am Lebensende am Beispiel der Dignity Therapie. palliativech. 2022;4:13-7.
66. Anandarajah G, Hight E. Spirituality and medical practice: using the HOPE questions as a practical tool for spiritual assessment. Am Fam Physician. 2001;63(1):81-9.
67. Auchter T. Trauer. Giessen: Psychosozial-Verlag; 2019.
68. Götze H, Seiler A. Psychische Belastungen der Partner und Angehörigen. In: Mehnert-Theuerkauf/Lehmann-Laue/Seiler/Jenewein, editor. Psychoonkologie in der palliativen Versorgung – Ein Praxishandbuch: Verlag W. Kohlhammer; 2022. p. 102 – 23.
69. Rosner R. 7 Anhaltende Trauerstörung. 2018 2018/10/12. In: Praxisbuch Psychotraumatologie [Internet]. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG. 1. Auflage. Available from: http://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0038-163415.
70. Jung CG. Seele und Tod. In: Jung CG, editor. Schriften zu Spiritualität und Transzendenz. Ostfildern: Patmos; 1934. p. 229–39.

Formula-Diäten für den Gewichtsverlust – Chancen und Herausforderungen

Zusammenfassung:

Formula-Diäten können mit dem Einsatz von industriell hergestellten Mahlzeitenersatzprodukten zu einer effektiven und schnellen Gewichtsreduktion und Verbesserung von Übergewichts-assoziierten Komorbiditäten führen. Durch die spezifische Zusammensetzung der Mahlzeitenersatzprodukte wird die Einhaltung der Kalorienziele und die Versorgung mit essenziellen Nährstoffen während einer erheblichen Energierestriktion vereinfacht. Trotz vieler möglicher Anwendungsfelder, Wirkungsnachweisen aus randomisiert kontrollierten Studien und Einfachheit in der praktischen Umsetzung bestehen Herausforderungen. Eintönigkeit und soziale Einschränkungen erschweren das Durchhalten und die Akzeptanz. Der Einsatz von Formula-Diäten zum nachhaltigen Gewichtsverlust erfordert deren Integration in ein multimodales Behandlungskonzept mit dem Ziel einer langfristigen Änderung des Ess- und Bewegungsverhaltens. Dazu gehört eine begleitende Ernährungsberatung, Bewegungsförderung, Evaluation adjuvanter pharmakolgischer oder interventioneller Therapien, sowie psychologische Unterstützung. Durch die Entwicklung neuer Inkretin-basierter Adipositasmedikamente hat sich ein weiteres Anwendungsfeld für Formula-Produkte eröffnet. Optimierungspotenzial liegt in einer Ausweitung des Produkteangebots und der Kombination mit digitalen Anwendungen, womit die Akzeptanz gesteigert und eine grössere Patientengruppe angesprochen werden kann.

Formula-Diäten werden als voller oder teilweiser Mahlzeitenersatz in der Behandlung von Übergewicht und Adipositas eingesetzt, um einen vergleichsweisen schnellen Gewichtsverlust von 5-10% innert 3-6 Monaten zu erzielen (1-3) . Aufgrund der weltweit steigenden Prävalenz von Übergewicht und Adipositas mit Verdreifachung der Zahl der Menschen mit Adipositas in den letzten fünf Jahren (4) werden gezielte Ernährungsinterventionen, ggf. auch in Kombination mit pharmakologischen Therapien immer relevanter. Im folgenden Übersichtsartikel werden das Therapiekonzept der Formula-Diäten, deren klinische Anwendungsfelder, sowie die aktuelle Studienlage zu häufigen Einsatzgebieten vorgestellt. Zudem werden Herausforderungen in der Umsetzung und ein mögliches Entwicklungspotenzial für die Zukunft diskutiert.

Formula-Diäten – Definitionen und Hintergrund

Die Voraussetzung für einen Gewichtsverlust durch eine Ernährungsintervention ist eine Reduktion der Energiezufuhr mit dem Ziel eine negative Energiebilanz (d.h. Energiezufuhr unterschreitet Energieverbrauch) zu erreichen. Generell werden Energierestriktions-Diäten in «very low calorie diet» (VLCD) mit weniger als 800 Kilokalorien pro Tag (kcal/d) und «low calorie diet» (LCD) mit 800-1200 kcal/d unterteilt (5). Bei einem Energieumsatz von 2000 kcal/d bedeutet dies ein Energiedefizit von 50-60% täglich. Rechnerisch kann bei einem Kaloriendefizit von 1000-1200 kcal/d ein Gewichtsverlust von 1-1.2 kg pro Woche erzielt werden. Eine Formula-Diät ist eine VLCD oder LCD, bei welcher Mahlzeiten ganz oder teilweise durch industriell angefertigte Formula-Produkte ersetzt werden. Formula-Produkte, welche den täglichen Nährstoffbedarf bei vollständigem Mahlzeitenersatz (4-5 Produkte bei einem Energiegehalt von durchschnittlich 200-220 kcal/Produkt) abdecken, gelten als vollbilanziert, bei partieller Abdeckung als teilbilanziert. Formula-Produkte gelten als Diätprodukte mit medizinischer Zweckbestimmung (sog. Foods for Specific Medical Purposes), wobei gesetzliche Vorgaben in Bezug auf die Zusammensetzung einzuhalten sind (5).

Bei Verwendung von Formula-Produkten zum vollständigen Mahlzeitenersatz müssen die entsprechenden Vorgaben für Makro- und Mikronährstoffgehalt sichergestellt sein (6). Beispielsweise muss ein Cholingehalt von mindestens 400 mg und eine Mindestproteinmenge von 75 g eingehalten werden, wobei der Aminosäureindex (protein digestibility-corrected amino acid score, PDCAAS) als Nachweis einer adäquaten Eiweissqualität bei 1.0 liegen muss. Bei den essentiellen Fettsäuren wird nach kürzlich erfolgter Anpassung nur noch eine Mindestzufuhr von 0.8 g alpha-Linolensäure vorgegeben (7). Erfüllt der Hersteller mit seiner Mahlzeitenersatzdiät alle Vorgaben, können die Produkte als «vollständiger Mahlzeitenersatzdiät zur Gewichtskontrolle» (original: «total diet replacement for weight control») vermarktet werden. Die Dauer vollständigen Mahlzeitenersatzes ist nur für maximal acht Wochen (früher 12 Wochen) zugelassen, weshalb auch diese Information auf dem Produkt klar ersichtlich sein muss.

Historische Entwicklung

Die erste beschriebene Formula-Diät zur Behandlung einer Gesundheitsstörung war die „Karell-Diät“, die im Zusammenhang mit Herzerkrankungen im frühen 20. Jahrhundert eingeführt wurde (8). Diese, auf Milch basierende Diät, lieferte 500 bis 1000 kcal pro Tag und wurde für 5 bis 6 Tage verschrieben. Erste Studien zum Einsatz von Formula-Diäten zur Gewichtsabnahme wurden in den 1950er Jahren mit selbstgemischten Shakes berichtet, die Zucker, Maisöl, Milch und Wasser enthielten (9). Obwohl bei diesen ersten Untersuchungen die Gesamtenergiezufuhr 1500 kcal pro Tag überstieg und die Diät nur einen Monat lang durchgeführt wurde, verloren die Teilnehmer/-innen in dieser Studie bis zu 13.8 kg. Allerdings fielen 56% der Teilnehmer jedoch innerhalb von zwei Wochen wieder zurück auf ihr Ausgangsgewicht. Die meisten heute verwendeten Formula-Diät-Programme, wie Counterweight, Lighter Life oder die 1:1-Diät, basieren auf dem Cambridge Weight Plan, der in den 1970er Jahren vom Ernährungswissenschaftler Dr. Alan Howard entwickelt wurde (10).

Einsatz von Formula-Diäten in medizinisch begleiteten Abnehmprogrammen

Formula-Diäten werden idealerwiese medizinisch begleitet an spezialisierten Adipositaszentren durchgeführt. Vorgehend sollten Kontraindikationen für eine LCD oder VLCD (z.B. bestimmte angeborene Stoffwechselkrankheiten oder Schwangerschaft/Stillzeit) und sekundäre Adipositasursachen ausgeschlossen werden und ein detailliertes Ernährungsassessment erfolgen. Auch ist eine ärztliche Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und ggf. Instruktion von Begleitmassnahmen (z.B. Anpassungen von Ko-Medikationen wie Antihypertensiva oder Antidiabetika) angezeigt. Die Diät-Instruktion und Begleitung sollte durch eine qualifizierte Ernährungsfachperson erfolgen. Die Umsetzung orientiert sich in der Regel an einer klaren Struktur bestehend aus drei Phasen (Abb. 1) (5). Initial erfolgt ein vollständiger Mahlzeitenersatz (meist 8 Wochen), gefolgt von einer Übergangsphase mit teilweisem Mahlzeitenersatz und Abschluss mit einer Stabilisierungsphase zum Erhalt des erzielten Gewichtsverlustes.

Begleitend werden Massnahmen zur Bewegungsförderung, Erhöhung der Ernährungskompetenz und ggf. auch Verhaltenstherapie umgesetzt. Bei längeren Programmen oder komplexeren Patient/-innen werden auch ärztliche Zwischenuntersuchungen eingeplant. Ab Phase zwei (Wiedereinführung von Nahrungsmitteln mit einem schrittweisen Austausch von Formula-Produkten) wird die Gesamtenergiezufuhr wieder allmählich, angepasst an das Zielgewicht und Aktivitätsniveau, gesteigert und die Verwendung der Produkte auf einmal täglich reduziert. In der letzten Phase der Gewichtsstabilisierung, werden individuelle Energieziele mehrheitlich über Energie- und Nährstoff-definierte ausgewogene Mahlzeiten, auf Basis des erworbenen Ernährungswissens, eingehalten.

Eine Auswahl von Formula- Produkten verschiedenerer Hersteller ist in Tabelle 1 dargestellt. Oft werden dazugehörig auch spezifische Umsetzungsprogramme vorgeschlagen. Adipositaszentren können sich daran orientieren oder auch eigene Konzepte etablieren, da eine Bindung der Patient/-innen an spezifische Hersteller und kommerzielle Programme oft nicht erwünscht ist. Je nach Produktwahl, Kombination mit normalen Nahrungsmitteln und individuellen Nährstoffbedürfnissen ist durch eine Fachperson zu entscheiden, ob zusätzlich Supplemente wie zum Beispiel Mikronährstoffe oder Ballaststoffe erforderlich sind.

Die Kosten für Formula-Produkte liegen bei etwa 5 bis 5.50 CHF pro Portion, entsprechend betragen die Gesamtkosten bei drei bis fünf Produkten pro Tag 140 bis 155 CHF pro Woche. Es hängt vom Land ab, ob Krankenversicherungen die Kosten für Formula-Diäten und dazugehörige Abnehmprogramme übernehmen. In der Schweiz ist es nicht üblich, finanzielle Unterstützung von Krankenversicherungen zu erhalten, während in Großbritannien das NHS ein 12-wöchiges digitales Abnehmprogramm einschließlich der Anwendung von Formula-Produkten entwickelt hat und die Kosten dafür trägt (11).

Wirksamkeitsnachweis in klinischen Studien

Formula-Diäten und Gewichtsreduktion

Formula-Diäten wurden in verschiedenen klinischen Studien zur Gewichtsreduktion verwendet, wobei Unterschiede hinsichtlich Produktauswahl, Dauer und Umsetzungsprogramm bestehen. In einer Observationsstudie von 2012 wurden über 8000 Teilnehmer/-innen während ihrer Gewichtsreduktion mit dem Optifast 52 Programm begleitet. Nach einem Jahr lag der absolute Gewichtsverlust bei den knapp 4500 Teilnehmer/-innen, welche das Programm bis zum Abschluss der 52 Wochen durchführten, bei 21.2 kg. Das entspricht einem relativen Gewichtsverlust von 17.9%. Damit einhergehend kam es zu einer reduzierten Prävalenz des metabolischen Syndroms, einem geringeren Auftreten von arterieller Hypertonie und einer Verbesserung des Lipidprofils (12). Gemäss einer Übersichtsarbeit von 2017 kann mit einer Formula-Diät ein Gewichtsverlust von bis zu 20 kg innert zwölf Monaten erzielt werden (13).

In dieser Arbeit wurden sowohl VLCD als auch LCD mit über 800 kcal/Tag mit einer Interventionsdauer von 4-52 Wochen eingeschlossen. Es konnte zudem kein Unterschied in der Gewichtsabnahme bei Personen mit oder ohne Diabetes festgestellt werden. Im Vergleich zu einer reinen Lifestyle-Intervention zeigt sich jedoch eine zusätzliche mittlere Gewichtsabnahme von 3.9 kg (2). Auch langfristige Ergebnisse konnten bereits erfasst werden und bestätigen, dass nach initialer Verwendung einer VLCD ein anhaltender Gewichtsverlust von 3.4-4.2 kg nach bis zu fünf Jahren im Vergleich zum Ausgangsgewicht beibehalten werden kann.

Zwei neuere randomisierte Studien verglichen eine Formula-Diät mit vollständigem Mahlzeitenersatz für mindestens zwölf Wochen mit einer üblichen Diät. In der DROPLET-Studie ersetzten 138 Teilnehmer/-innen Mahlzeiten vollständig durch Formula-Produkte (Total Diet Replacement, TDR) mit 810 kcal/Tag über acht Wochen, gefolgt von einer Phase der Nahrungswiedereinführung (1). Die TDR-Gruppe erreichte innerhalb von 12 Monaten eine Gewichtsabnahme von 10,7 kg im Vergleich zu einer Gewichtsabnahme von 3,1 kg in der Gruppe mit üblicher Versorgung. 45% verloren mit der Formula-Diät mindestens 10% ihres Ausgangsgewichts, im Gegensatz zu 15% in der Kontrollgruppe. Die OPTIWIN-Studie zur Evaluation des OPTIFAST-Programms (OP) verglich als multizentrische randomisiert kontrollierte Studie die etablierte Formula-Diät mit einem auf Lebensmitteln basierenden Ernährungsplan mit einem Kaloriendefizit von 500-750 kcal (food-based, (FB)) (14).

Die 135 Teilnehmer/-innen der OP-Gruppe erhielten einen vollständigen Mahlzeitenersatz mit 800 kcal/Tag für 12-16 Wochen. Nach 26 Wochen betrug die durchschnittliche Gewichtsabnahme in der OP-Gruppe 12.4% im Vergleich zu 6% in der FB-Gruppe, und nach 52 Wochen 10.5% und 5.5%. 30% der Teilnehmer/-innen der OP-Gruppe erreichten nach einem Jahr eine Gewichtsabnahme von mehr als 15%. Zudem wurden weitere kardiovaskuläre Risikomarker erfasst und es zeigte sich eine signifikant höhere Abnahme des Taillenumfangs und der Gesamtkörperfettmasse in der OP-Gruppe, aber auch die Abnahme der Gesamtkörpermagermasse war ausgeprägter. Milde bis moderate Nebenwirkungen traten bei 76.8% der Teilnehmer/-innen in der OP Gruppe auf, gegenüber 62.7% in der FB Gruppe. Die häufigsten Nebenwirkungen in diesen beiden Studien waren Obstipation, Kopfschmerzen, Schwindel, Durchfall, Übelkeit und Fatigue.

Die teilweise Mahlzeitenersatzdiät ist eine weitere Option für Adipositasprogramme. Eine Studie hat gezeigt, dass bereits ein Mahlzeitenersatz pro Tag die kalorische Aufnahme um etwa 200 kcal reduzieren und innerhalb von 12 Wochen zu einer Gewichtsreduktion von 4.3% führen kann gegenüber der Kontrollgruppe mit Standarddiät und einem Gewichtsverlust von 0.3% (15).

Formula-Diäten für Diabetes-Remission

Eine Gewichtsreduktion durch eine Formula-Diät kann eine diabetische Stoffwechsellage nicht nur verhindern, sondern oft auch rückgängig machen. Im Jahr 2002 konnte das «Diabetes Disease Prevention Program» zeigen, dass eine multimodale Lebensstilintervention, einschließlich diätetischer Veränderungen, grosses Potenzial hat, die Inzidenz von Typ-2-Diabetes zu reduzieren (16). Gemäss einer aktuellen Übersichtsarbeit kann eine Diät mit initialer Anwendung einer VLCD in Form eines vollständigen Mahlzeitenersatzes innerhalb von einem Jahr bei im Mittel 54% der Patient/-innen eine Diabetesremission bewirken (17). Die durchschnittliche Diabetes-Dauer der Teilnehmer/-innen lag bei 3-5 Jahren und der durch die Formula-Diät erreichte mittlere Gewichtsverlust 10-12 kg nach 12 Monaten. Im Vergleich zu anderen Diätformen wie der mediterranen oder ketogenen Ernährung war die VLCD der effektivste Ansatz zur Initiierung einer Diabetesremission.

Jedoch zeigte auch bereits ein teilweiser Mahlzeitenersatz eine Remissionsrate von 11% bei begleitender Gewichtsreduktion von 8.6 kg innerhalb eines Jahres. Die Remissionsrate wurde auch in der 2018 veröffentlichten offenen, cluster- randomisierten DIRECT-Studie untersucht. Die Interventionsgruppe in dieser Studie mit 149 Teilnehmer/-innen mit Übergewicht und Diabetes (max. 6 Jahre) ohne Insulintherapie folgte dem Counterweight Plus Programme und wurde mit einer Kontrollgruppe verglichen, die ein übliches Gewichtsmanagement durchlief (3, 18). 77.9% der Interventionsgruppe und 94% der Kontrollgruppe nahmen an dem Assessment nach zwei Jahren teil. Dort wurde bei 41.1% der Teilnehmer/-innen der Interventionsgruppe im Vergleich zu 3.4% in der Kontrollgruppe eine Diabetes-Remission erreicht bei einem durchschnittlichen Gewichtsverlust in der Interventionsgruppe von 7.6 kg gegenüber 2.3 kg in der Kontrollgruppe. Die höchste Diabetes Remissionsrate wurde bei Teilnehmer/-innen mit einem Gewichtsverlust von mehr als 10 kg beobachtet (73%), bei 15 kg Gewichtsverlust lag die Remissionsrate sogar bei 86%. In der Analyse nach einem Jahr benötigten 74% der Patient/-innen in der Interventionsgruppe keine antidiabetische Pharmakotherapie mehr.

Im Vergleich nutzte die Look AHEAD Studie als eine der ersten randomisierten kontrollierten Studien, einen teilweisen Mahlzeitenersatz (2 Mahlzeitenersatzprodukte pro Tag; 1 normale Mahlzeit) in einem multimodalen Interventionsprogramm für Diabetespatienten/-innen. Über 5000 Teilnehmer/-innen mit Übergewicht und Diabetes wurden initial in die Studie eingeschlossen und in den Gruppen betrug die Follow-up Rate 94.1% in der Interventions- und 93.1% in der Kontrollgruppe. Nach vier Jahren hatte sich der HbA1c-Wert in der Interventionsgruppe signifikant um 0.36 Prozentpunkte gegenüber 0.09 Prozentpunkte in der Kontrollgruppe verbessert. Es mussten in der Interventionsgruppe über den Zeitraum von vier Jahren weniger Teilnehmer/-innen mit der Einnahme von antidiabetischen Medikamenten im Vergleich zur Kontrollgruppe starten (42% gegenüber 67%) und 9% konnten innerhalb der vier Jahre ihre orale antidiabetische Therapie stoppen (19). Auch eine Insulintherapie musste im Vergleich zur Kontrollgruppe in dem Zeitraum bei weniger Patient/-innen gestartet werden (7% gegenüber 12%) und nach vier Jahren konnten 23% ihre Insulintherapie stoppen.

Studien, welche Personen mit Diabetes und Insulintherapie einschlossen, dokumentierten keine erhöhte Rate an Hypoglykämien in Interventionsgruppen, welchen einen vollständigen Mahlzeitenersatz durchführten (20). Die Autor/-innen wiesen jedoch darauf hin, dass eine engmaschige Betreuung zur regelmässigen Anpassung der Insulindosis notwendig ist.

Formula Diäten zur präoperativen Gewichtsreduktion vor Adipositaschirurgie

Eine vorgeschriebene Gewichtsreduktion unmittelbar vor einer bariatrischen Operation ist in vielen chirurgischen Abteilungen üblich. Auch wenn die Studienlage nicht ganz eindeutig ist, gibt es Hinweise darauf, dass eine präoperative Gewichtsreduktion die perioperative Morbidität und/oder Mortalität reduzieren kann (21). Eine Übersichtsarbeit untersuchte die Machbarkeit und Effektivität eines präoperativen Mahlzeitenersatzes zur Verbesserung chirurgischer Outcomes bei Patient/-innen mit Adipositas (22). Unter den 15 eingeschlossenen Studien waren zwei randomisiert kontrollierte Studien enthalten (120 und 273 Teilnehmer/-innen), sowie zwei retrospektive Analysen. Es wurde eine hohe Akzeptanz und Adhärenz der Diät in diesem Setting festgestellt. Bei über 70% der Studien konnte ein Gewichtsverlust von 5% bei einer Diät-Dauer von im Mittel 4 Wochen (6-168 Tage) erreicht werden und bei der Hälfte der Studien von über 10% bei einer Interventionsdauer von einer bis 16 Wochen. Zudem zeigte sich eine Diät-induzierte Reduktion des Lebervolumens von 10%. Bezüglich der postoperativen Outcomes wurde eine Verbesserung metabolischer Risikofaktoren wie Blutglukose oder Lipidprofil, sowie in vier Studien eine Reduktion der Mortalitätsrate festgestellt.

Herausforderungen in der klinischen Praxis

Der Erfolg des Gewichtsverlusts durch diätetische Intervention hängt hauptsächlich von der Adhärenz der Patient/-innen während des Programms ab. Daher untersuchten viele Studien die Akzeptanz, Erfahrungen und Probleme während multimodaler Gewichtsverlustprogramme auf der Grundlage von Formula-Diäten. Die meisten teilnehmenden übergewichtigen Patient/-innen haben in der Vergangenheit schon viele erfolglose Diätversuche durchgeführt. Mit dem Wunsch nach einem nachhaltigen Gewichtsverlust für bessere Gesundheit und Aussehen, starten sie zunächst sehr motiviert in eine Formula-basierte diätische Intervention mit Erwartungen an den Therapieerfolg.

Eine gute Betreuung durch professionelle Berater/-innen und eine Unterstützung durch das soziale Umfeld sind wichtige Erfolgsfaktoren. Neben dem Gewichtsverlust trägt auch eine Verbesserung des körperlichen und psychischen Wohlbefindens oder eine Verbesserung der Diabeteseinstellung mit weniger Medikamentenbedarf zur anhalten Motivation bei. Während der Teilnahme an einem multimodalen Programm berichten Patient/-innen häufig, dass sie die Durchführung als einfacher empfinden, als erwartet und Vorteile darin sehen kein Essen vorbereiten oder einkaufen zu müssen. Als herausfordernd werden jedoch die sozialen Einschränkungen durch die fehlende Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten und auch die fehlende Abwechslung in der Ernährung empfunden. So entwickeln Patient/-innen häufig Strategien, um Herausforderungen und Versuchungen aus dem Weg zu gehen. Sie ziehen sich zum Essen in einem separaten Raum zurück, meiden Orte und Situationen, wo ihnen ein Verzicht schwerfallen könnte oder suchen sich aktiv eine Ablenkung, um Versuchungen zu wiederstehen. In Summe erleben Teilnehmer/-innen meist ein Überwiegen der positiven Effekte gegenüber Einschränkungen und Nebenwirkungen (23-25).

Ausblick und Entwicklungspotenzial

Die kurzfristige Wirksamkeit von Formula-Diäten im Rahmen von teilweisem oder vollständigem Mahlzeitenersatz konnte in Studien nachgewiesen werden. Herausforderungen bestehen vor allem in der Adhärenz und der langfristigen Gewichtsstabilisierung. Wie in vielen Diäten besteht ein hohes Risiko für eine erneute Gewichtszunahme, dem sogenannten Jojo-Effekt. Nachfolgend gehen wir auf das Entwicklungspotenzial und weitere Anwendungsfelder der Formula-Diäten ein.

Kombination mit Pharmakotherapie

Inkretin-basierte Medikamente sind in den letzten 3-5 Jahren zur Standardinterventionen in der Adipositasbehandlung geworden, wobei Kostenübernahme und Verfügbarkeit noch grosse Herausforderungen darstellen. Obwohl die Wirksamkeit erhältlicher Präparate noch nicht vergleichbar ist mit bariatrischer Chirurgie, erzielen die heute bereits eingesetzten Therapien in der Mehrheit der Fälle einen Gewichtverlust von 5-15% (26). Die Kombination einer Energierestriktionsdiät auf Basis von Formula-Produkten zur Initiierung des Gewichtsverlusts mit der Verwendung von Inkretin-Pharmakotherapie kann bei der Aufrechterhaltung der Gewichtsreduktion unterstützen (27). Die Hauptwirkung der neuen Medikationen besteht in einer Reduktion des Appetits und einem verstärkten Sättigungsgefühl. Bei Therapiebeginn treten in der Mehrheit der Fälle auch gastrointestinale Nebenwirkungen auf, womit es zu einer erheblichen Reduktion der Nahrungszufuhr kommt. Auch wenn hierdurch die gewünschte Gewichtsabnahme eingeleitet wird, besteht damit ein Risiko Nährstoffdefizite zu entwickeln. Hier können bilanzierte Formula- Produkte zu einer Mikronährstoff- und Proteinversorgung beitragen, ohne das Kaloriendefizit zu gefährden. Zudem stellen Formula-Produkte bei aktuell häufig auftretenden Lieferengpässen der Medikamente eine überbrückende Massnahme zum Erreichen individueller Gewichtsziele dar.

Zugänglichkeit und Telemedizin

Digitalisierung und telemedizinische Ansätze werden bereits in vielen medizinischen Bereichen eingesetzt, um die Datensammlung, Patientenversorgung und Therapieentscheidungen zu vereinfachen (28), womit auch ein großes Potenzial für deren Nutzung in der Adipositasbehandlung besteht. Wenn es möglich ist, diese standardmässig in die medizinische Versorgung zu integrieren, könnten Gesundheitsdienstleister mehr Informationen über das Ess- und Bewegungsverhalten ihrer Patient/-innen erhalten, sowie Probleme bei der Gewichtsreduktion während der Behandlung erkennen. Insbesondere die frühzeitige Erkennung von Zielabweichungen und Einleitung von präventiven oder korrektiven Massnahmen sind vorteilhaft. Formula-Diäten mit Übergang in optimierte Ernährungsweisen eignen sich folglich für App-basierte Ernährungsberatungen, welche auch das Monitorisieren von Mahlzeiten, Gewichtsverlauf und Nebenwirkungen ermöglichen. Auch die erleichterte Zugänglichkeit ohne Abhängigkeit von örtlichen Kapazitäten und die Möglichkeit der Betreuung grösserer Patientenzahlen können Vorteile sein.

Produktevielfalt, Zusammensetzung und begleitende Ernährungsunterstützung

Aktuell wird hauptsächlich Protein aus tierischen Quellen für Formula-Produkte verwendet, auch insbesondere bei industriellen Anfertigungen. Gleichwertige Proteinqualitäten können jedoch auch mit einer Kombination verschiedener pflanzlicher Quellen erreicht werden. Dies sollte im Hinblick auf die planetare Gesundheit und dem Ressourcenverbrach bei der Entwicklung neuer Produkte berücksichtigt werden (29-32). Zudem besteht weiteres Optimierungspotenzial in einer Erhöhung des Ballaststoffgehalts, welcher in den verfügbaren Produkten meist noch niedrig ausfällt. Das sollte im Rahmen der Intervention gemeinsam mit einer Fachperson besprochen werden. Dies kann ebenso zu einer verbesserten Adhärenz beitragen, wie ein Ausbau des Produktangebotes, sowie spezifische Rezeptvorschläge zur selbständigen Energie- und Nährstoff-definierten Mahlzeitenzubereitung.

Eine engmaschige Betreuung durch qualifizierte Ernährungsberater/-innen hat sich bereits als essenziell erwiesen und sollte weiter intensiviert werden und um gezielte Einkaufsempfehlungen ergänzt werden. Zudem ist oft auch eine gute Information der Patient/-innen hinsichtlich begleitender Ballaststoffpräparate, sowie ergänzender Einnahme von Multivitaminpräparaten notwendig. Je nach Produktauswahl, Menge und Begleiterkrankungen mit zum Beispiel vorbestehendem Mikronährstoffmangel, kann eine ergänzende Supplementation sinnvoll oder notwendig sein. Als Gesundheitsdienstleister/-innen sollten wir Möglichkeiten entwickeln, all diesen unterschiedlichen Anliegen Rechnung zu tragen und parallel die weitere Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet voranzutreiben.

Nele Endner

Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin & Metabolismus (UDEM)
Inselspital, Universitätsspital
Universität Bern

Prof. Dr. med. Dr. phil. Lia Bally

Leitende Ärztin, Leiterin Ernährungsmedizin, Metabolismus und Adipositas
Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin & Metabolismus (UDEM)
Inselspital, Universitätsspital Bern
Julie-von-Jenner-Haus
Freiburgstrasse 15
CH-3010 Bern

lia.bally@insel.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Da die Behandlungsoptionen für Adipositas zunehmen und Ausgangslagen und Therapieansprechen unterschiedlich sind, sind Ernährungsinterventionen wichtige Therapiekomponenten. Die aktuelle Evidenz legt nahe, dass Formula-Diäten, insbesondere vollständiger diätetischer Mahlzeitenersatz, das Potenzial haben, zu einem schnellen und erfolgreichen Gewichtsverlust zu führen und Begleiterkrankungen zu reduzieren. Diese kurze Übersicht und unsere eigenen Erfahrungen haben gezeigt, dass es notwendig ist, Formula-Diäten in ein multimodales, interdisziplinäres Programm zu integrieren, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Es gibt viele weitere Ansätze für die Implementierung von Formula-Diäten in Adipositasprogrammen. Eine Hauptherausforderung besteht in der Aufrechterhaltung eines erreichten Gewichtsverlusts nach Abschluss des Therapieprogrammes, wobei die Kombinationen mit Inkretin-basierten Adipositasmedikamenten unterstützen könnte – weitere Forschung ist erforderlich, um bestehende Wissenslücken zu schließen.

1. Astbury NM, Aveyard P, Nickless A, Hood K, Corfield K, Lowe R, et al. Doctor Referral of Overweight People to Low Energy total diet replacement Treatment (DROPLET): pragmatic randomised controlled trial. Bmj. 2018; 362: k3760.
2. Parretti HM, Jebb SA, Johns DJ, Lewis AL, Christian-Brown AM, Aveyard P. Clinical effectiveness of very-low-energy diets in the management of weight loss: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Obes Rev. 2016; 17(3): 225-34.
3. Lean ME, Leslie WS, Barnes AC, Brosnahan N, Thom G, McCombie L, et al. Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet. 2018; 391(10120): 541-51.
4. WHO. Obesity and overweight (11.08.2022). Available from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/obesity-and-overweight#:~:text=Worldwide%20obesity%20has%20nearly%20tripled,%2C%20and%2013%25%20were%20obese.
5. Bischoff SC, Schweinlin A. Obesity therapy. Clin Nutr ESPEN. 2020; 38: 9-18.
6. Council EPa. Commission Delegated Regulation (EU) 2017/1798 of 2 June 2017 supplementing Regulation (EU) No 609/2013 of the European Parliament and of the Council as regards the specific compositional and information requirements for total diet replacement for weight control (Text with EEA relevance)Text with EEA relevance. Official Journal of the European Union. 2017; 259.
7. Council EPa. Commission Delegated Regulation (EU) 2022/2182 of 30 August 2022 amending Delegated Regulation (EU) 2017/1798 as regards the lipid and magnesium requirements for total diet replacement for weight control. Official Journal of the European Union. 2022; 288.
8. Samuel W. Lambert MD. The Use of the Karell Diet in Heart Disease. The American Journal of the Medical Sciences. 1912; 5: 761-2.
9. FORMULA diet for weight reduction. Nutr Rev. 1958; 16(10): 292-4.
10. Biography of Dr Alan Howard (12.08.2022). Available from: https://www.howard-foundation.com/biography-of-dr-alan-howard/.
11. England N. The NHS Digital Weight Management Programme (13.09.2022). Available from: https://www.england.nhs.uk/digital-weight-management/#:~: text=The%20NHS%20Digital%20Weight%20Management%20Programme%20supports%20adults%20living%20with,online%20behavioural%20and%20lifestyle%20programme.
12. Bischoff SC, Damms-Machado A, Betz C, Herpertz S, Legenbauer T, Löw T, et al. Multicenter evaluation of an interdisciplinary 52-week weight loss program for obesity with regard to body weight, comorbidities and quality of life–a prospective study. Int J Obes (Lond). 2012; 36(4): 614-24.
13. Leslie WS, Taylor R, Harris L, Lean ME. Weight losses with low-energy formula diets in obese patients with and without type 2 diabetes: systematic review and meta-analysis. Int J Obes (Lond). 2017; 41(1): 96-101.
14. Ard JD, Lewis KH, Rothberg A, Auriemma A, Coburn SL, Cohen SS, et al. Effectiveness of a Total Meal Replacement Program (OPTIFAST Program) on Weight Loss: Results from the OPTIWIN Study. Obesity (Silver Spring). 2019; 27(1): 22-9.
15. Guo X, Xu Y, He H, Cai H, Zhang J, Li Y, et al. Effects of a Meal Replacement on Body Composition and Metabolic Parameters among Subjects with Overweight or Obesity. J Obes. 2018; 2018: 2837367.
16. Knowler WC, Barrett-Connor E, Fowler SE, Hamman RF, Lachin JM, Walker EA, et al. Reduction in the incidence of type 2 diabetes with lifestyle intervention or metformin. N Engl J Med. 2002; 346(6): 393-403.
17. Churuangsuk C, Hall J, Reynolds A, Griffin SJ, Combet E, Lean MEJ. Diets for weight management in adults with type 2 diabetes: an umbrella review of published meta-analyses and systematic review of trials of diets for diabetes remission. Diabetologia. 2022; 65(1): 14-36.
18. Lean MEJ, Leslie WS, Barnes AC, Brosnahan N, Thom G, McCombie L, et al. Durability of a primary care-led weight-management intervention for remission of type 2 diabetes: 2-year results of the DiRECT open-label, cluster-randomised trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 2019; 7(5): 344-55.
19. Wing RR. Long-term effects of a lifestyle intervention on weight and cardiovascular risk factors in individuals with type 2 diabetes mellitus: four-year results of the Look AHEAD trial. Arch Intern Med. 2010; 170(17): 1566-75.
20. Brown A, Dornhorst A, McGowan B, Omar O, Leeds AR, Taheri S, et al. Low-energy total diet replacement intervention in patients with type 2 diabetes mellitus and obesity treated with insulin: a randomized trial. BMJ Open Diabetes Res Care. 2020; 8(1).
21. Sun Y, Liu B, Smith JK, Correia MLG, Jones DL, Zhu Z, et al. Association of Preoperative Body Weight and Weight Loss With Risk of Death After Bariatric Surgery. JAMA Netw Open. 2020; 3(5): e204803.
22. Ross LJ, Wallin S, Osland EJ, Memon MA. Commercial Very Low Energy Meal Replacements for Preoperative Weight Loss in Obese Patients: a Systematic Review. Obes Surg. 2016; 26(6): 1343-51.
23. Astbury NM, Albury C, Nourse R, Jebb SA. Participant experiences of a low-energy total dietw replacement programme: A descriptive qualitative study. PLoS One. 2020; 15(9): e0238645.
24. Rehackova L, Araújo-Soares V, Adamson AJ, Steven S, Taylor R, Sniehotta FF. Acceptability of a very-low-energy diet in Type 2 diabetes: patient experiences and behaviour regulation. Diabet Med. 2017; 34(11): 1554-67.
25. Hemmingsson E, Johansson K, Eriksson J, Sundström J, Neovius M, Marcus C. Weight loss and dropout during a commercial weight-loss program including a very-low-calorie diet, a low-calorie diet, or restricted normal food: observational cohort study. The American Journal of Clinical Nutrition. 2012; 96(5): 953-61.
26. Wilding JPH, Batterham RL, Calanna S, Davies M, Van Gaal LF, Lingvay I, et al. Once-Weekly Semaglutide in Adults with Overweight or Obesity. N Engl J Med. 2021; 384(11): 989-1002.
27. Cifuentes L, Galbiati F, Mahmud H, Rometo D. Weight regain after total meal replacement very low-calorie diet program with and with-out anti-obesity medications. Obes Sci Pract. 2024; 10(1): e722.
28. Eze ND, Mateus C, Cravo Oliveira Hashiguchi T. Telemedicine in the OECD: An umbrella review of clinical and cost-effectiveness, patient experience and implementation. PLoS One. 2020; 15(8): e0237585.
29. Adhikari S, Schop M, de Boer IJM, Huppertz T. Protein Quality in Perspective: A Review of Protein Quality Metrics and Their Applications. Nutrients. 2022; 14(5).
30. Plate and Planet (08.09.2022). Available from: https://www.hsph.harvard.edu/nutritionsource/sustainability/plate-and-planet/.
31. Nations FaAOotU. Major cuts of greenhouse gas emissions from livestock within reach 2013 (cited 2023 30.06.). Available from: https://www.fao.org/news/story/en/item/197608/icode.
32. Nations FaAOotU. Sustainable and circular bioeconomy for food systems transformation (09.09.2022). Available from: https://www.fao.org/in-action/sustainable-and-circular-bioeconomy/resources/news/details/en/c/1507553/.

Körperliche Aktivierung bei Adipositas

Zusammenfassung:

Personen mit Adipositas, die sich operativer oder pharmakologischer Therapien unterziehen, erzielen bezüglich Gewichts- und kardiometabolischer Risikoreduktion gute Ergebnisse. Nicht selten setzen Betroffene das Ausmass der erreichten Gewichtsreduktion einem langfristigen Behandlungserfolg gleich. Dabei wird übersehen, dass neben der Adipositas auch die starke Gewichtsreduktion ein Sarkopenierisiko birgt. Sarkopenische Adipositas und Sarkopenie erhöhen wiederum das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen. Körperliche Aktivierung besitzt das Potenzial, dem durch Adipositas und Sarkopenie hervorgerufenen kardiometabolischen Erkrankungsrisiko entgegenzuwirken. Den hierfür zugrunde liegenden Mechanismus beherbergt das endokrine Organ Skelettmuskulatur. Durch Produktion und Aussendung von Myokinen kann dieses der sarkopenischen Adipositas und deren Folgeerkrankungen entgegenwirken. Um die Myokinproduktion in Gang zu setzen, bedarf es körperlicher Aktivierung. Ausdauer- und Krafttraining erweisen sich als eine sinnvolle Kombination. Um eine nachhaltige kardiometabolische Risikoreduktion zu erzielen, sollten Zielsetzungen und zeitlicher Ablauf der körperlichen Aktivierungsmassnahmen in zwei Phasen unterteilt werden, eine vorbereitende Phase und eine tatsächliche Gewichtsreduktionsphase.

Zugrunde liegende Mechanismen

Bariatrisch operative Interventionen oder pharmakologische Therapien reduzieren bei Personen mit Adipositas neben dem Körpergewicht auch das kardiometabolische Erkrankungsrisiko (1, 2). Nicht selten setzen Betroffene das Ausmass der erreichten Gewichtsreduktion einem langfristigen Behandlungserfolg gleich. Dabei wird übersehen, dass nicht nur die Adipositas, sondern auch eine starke Gewichtsreduktion ein Sarkopenierisiko birgt (3, 4). Sarkopenische Adipositas und Sarkopenie erhöhen wiederum das langfristige Risiko für kardiometabolische Erkrankungen (5–7). Nicht der Body-Mass-Index (BMI), sondern die Körperkomposition scheint hierfür von entscheidender Vorhersagekraft. Das viszerale Fettgewebe als Ursprungsort schädigender und das Organ Skelettmuskulatur als Produktionsort gesundheitsfördernder Zytokine stehen sich diesbezüglich als Hauptakteure gegenüber (8–17).

Ein zentrales Kennzeichen der Erkrankung Adipositas ist die übermässige viszerale Fettanhäufung. Günstigenfalls vermehren sich, häufig jedoch hypertrophieren viszerale Fettzellen, um die anflutenden Energiemengen abspeichern zu können. Durch das hohe Mass an abzuspeicherndem Energieüberschuss gelangen die viszeralen Fettzellen an ihre Kapazitätsgrenzen. Dies führt zum einen zu ektoper Fettansammlung und zum anderen zu einer Überbeanspruchung und Schädigung viszeraler Fettzellen. Das Immunsystem reagiert auf diese Schädigung mit einer Entzündungsreaktion mit Konsequenzen für den ganzen Organismus. Entzündungsfördernde Makrophagen setzen proinflammatorische Zytokine frei. Zusammen mit Adipozyten gelangen diese aus dem viszeralen Fettgewebe in den Organismus und sorgen für eine chronische subklinische systemische Entzündungslage. Diese bewirkt Beeinträchtigungen des kardiovaskulären Systems, von Zucker- und Fettstoffwechsel und führt zu entzündlich bedingten degenerativen Prozessen wie der Sarkopenie und letztendlich zu einem zunehmenden kardiometabolischen Erkrankungsrisiko (8–10).

Die Skelettmuskulatur hat das Potenzial, diesem entzündlich degenerativen Krankheitsgeschehen entgegenzuwirken. Als endokrines Organ besitzt sie die Fähigkeit, Zytokine, sogenannte Myokine, zu produzieren und für den gesamten Organismus verfügbar zu machen. Voraussetzung, um diesen Mechanismus in Gang zu setzen, ist körperliche Aktivierung.
Myokine wirken unter anderem antiinflammatorisch, regulieren Fett- und Zuckerstoffwechsel, sorgen für Muskelwachstum und -qualität und beeinflussen zentrale Steuerungsprozesse wie die Appetitregulation im Gehirn (11–17).

Wie in Abbildung 1 zu erkennen ist, kann das aktive Organ Skelettmuskulatur der übermässigen viszeralen Fettanhäufung, der daraus resultierenden chronischen subklinischen systemischen Entzündung und den damit verbundenen kardiometabolischen Risikofaktoren entgegenwirken.
In welcher Form und zeitlichen Abfolge körperliche Aktivierung optimale Wirksamkeit entfaltet, soll im Folgenden dargestellt werden.

Körperliche Aktivierung vor der ­Gewichtsreduktion (Phase 1)

In Phase 1 zielt die körperliche Aktivierung als vorbereitende Massnahme insbesondere auf die Steigerung der körperlichen Beanspruchbarkeit, die Reduktion der chronischen subklinischen systemischen Entzündung und die Verbesserung von Muskelquantität und -qualität ab. Um diese Zielsetzungen zu erreichen, werden regelmässige körperliche Aktivierungsmassnahmen, insbesondere Krafttraining in Form von Muskelaufbautraining und Ausdauertraining, benötigt. Unabdingbar ist eine begleitende Ernährungsberatung (18).
Zur Verlaufs- und Erfolgskontrolle sollten die Trainingsmassnahmen durch eine regelmässige Ermittlung der Körperkomposition, des Phasenwinkels (19) und der Handkraft (20) begleitet werden. Die tägliche Überprüfung der Herzratenvariabilität in Ruhe, zur Orientierung und bei Bedarf kurzfristig anzupassenden Belastungsgestaltung, erscheint sinnvoll (21, 22).

Muskelaufbautraining vor der Gewichts­reduktion (Phase 1)

In der ambulanten Adipositastherapie dienen Muskelaufbautrainingsprogramme im Allgemeinen dem Erhalt von Skelettmuskelmasse unter den Bedingungen einer Kalorienrestriktion. Ein schwieriges Unterfangen, da eine starke Gewichtsreduktion, z. B. im Rahmen einer bariatrischen Intervention, häufig mit einem deutlichen Verlust von Lean-Body-Mass (LBM) und damit verbunden Muskelmasse einhergeht (4).
Die Zielsetzung des vorbereitenden Muskelaufbautrainings in Phase 1 liegt nun darin, Muskelquantität und -qualität vor der Phase der eigentlichen Gewichtsreduktion zu optimieren. Dadurch soll der Verlust an LBM in der Gewichtsreduktionsphase minimiert werden. Zur Erfolgskontrolle dienen die Ermittlung der Handkraft und die bioelektrische Impedanz-analyse (BIA):
Die Handkraftstärke steht hierbei stellvertretend für den gesamten Körper, in positiver Korrelation mit einer günstigen Körperkomposition und in negativer mit dem Sarkopenie­risiko einer ungünstigen Körperkomposition (20).

Anhand der BIA kann Körperkomposition und Phasenwinkel ermittelt werden. Hierbei gibt der Phasenwinkel mittels elektrischer Widerstands- und Leitfähigkeitsmessung Auskunft über extrazelluläre und intrazelluläre Flüssigkeitsverteilung und Zellintegrität. Ein niedriger Phasenwinkel geht mit einer ungünstigen Flüssigkeitsverteilung, wie er bei einer übermässigen Fettansammlung vorzufinden ist, einher. Ein niedriger Phasenwinkel deutet aber auch auf den Verlust von LBM, eine schlechte Zellintegrität und eine chronische subklinische systemische Entzündungslage hin (19).
Im Zusammenhang mit bariatrischen Operationen haben präoperative Handkraft und präoperativer Phasenwinkel hohe Vorhersagekraft bezüglich langfristiger Effektivität und Qualität des postoperativen Gewichtsverlustes (20)!

Ein vorbereitendes Muskelaufbautraining besitzt das Potenzial, Handkraft und Phasenwinkel zu optimieren. Hierzu wird ein begleitendes Ernährungsprogramm primär nicht zur Kalorienreduktion, sondern durch eine geeignete Makronährstoffzusammenstellung und Energiezufuhrlenkung zur Verbesserung der Körperkomposition, insbesondere hinsichtlich Skelettmuskelquantität und -qualität, benötigt. Stokes et al. empfehlen im Rahmen von Krafttraining und einer isokalorischen Energiezufuhr 1.6–2.2 Gramm Proteinzufuhr, pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Die tägliche zuzuführende Proteinmenge sollte auf drei bis vier Mahlzeiten verteilt werden, um optimale Wirksamkeit zu erzielen (23).
Campa et al. (24) haben in einer kontrollierten randomisierten Studie mit Frauen mit Adipositas eine signifikante Verbesserung von Handkraft und Körperkomposition durch Muskelaufbautraining ohne Kalorienrestriktion belegen können.

Hierzu bedurfte es einem 24-wöchigen, jeweils dreimal wöchentlich stattfindenden Krafttrainings. Trainiert wurden alle grossen Muskelgruppen mit 8–12 Wiederholungen pro Trainingssatz und einer Intensität von 60–80% der maximalen konzentrischen Muskelkontraktionskraft (1-RM). Neben der Verbesserung von Handkraft und Körperkomposition konnten kardiometabolische Risikofaktoren wie Nüchternplasmaglukose, Insulin, HOMA-IR, HbA1c, Gesamtcholesterin, Triglyzeride und LDL-Cholesterin signifikant gesenkt werden (24).

Auch für die Verbesserung des Phasenwinkels erscheint ein Krafttraining in Form von Muskelaufbautraining über eine längere Trainingsdauer von ca. 12–24 Wochen, einer Trainingshäufigkeit von dreimal pro Woche und einer Intensität von ca. 60–80% der 1-RM bei etwa 8–12 Wiederholungen pro Trainingssatz als zielführend. Sardina und Rosa konnten dies im Rahmen ihrer Metaanalyse bestätigen (25). Sie führten die Verbesserung des Phasenwinkels einerseits auf eine Erhöhung der Glykogenspeicherkapazität und damit einhergehend erhöhten Flüssigkeitsspeicherkapazität in der Muskelzelle zurück. Durch die veränderte Flüssigkeitsverteilung im Körper verbesserte sich die Leitfähigkeit des Körperwassers. Dies führte zu einer Verringerung des ersten Teilwiderstands, der im Rahmen der BIA gemessen wird, der sogenannten Resistanz.

Die weitere Ursache sahen sie in der Verbesserung des intrazellulären Protein- und Zellstruktur-Remodelling und damit einhergehend der Integrität der Muskelzelle. Dies führte zu einer Erhöhung des zweiten Teilwiderstands, der im Rahmen der BIA an den Körperzellen gemessen wird, der sogenannten Reaktanz. Der Phasenwinkel, der das Verhältnis zwischen Leitfähigkeit des Körperwassers und Körperzellwiderstand beschreibt, wurde somit sowohl durch eine Erniedrigung der Resistanz als auch durch eine Erhöhung der Reaktanz verbessert (25).

Für die praktische Umsetzung des Muskelaufbautrainings in Phase 1 lassen sich daraus folgende Empfehlungen ableiten:
Eine Dauer von drei bis sechs Monaten mit einer Häufigkeit von drei Trainingseinheiten pro Woche an nicht aufeinanderfolgenden Tagen erscheint zielführend. Nach einer mindestens zweiwöchigen Einführungs- und Gewöhnungsphase sollte die Intensität in etwa 60–80% Prozent der 1-RM betragen. Dies spiegelt sich in einer Wiederholungszahl von 8–12 Wiederholungen pro Übungssatz bis zur jeweiligen Ausschöpfung der Muskelkraft wider.
Für Beginner ist zunächst ein Trainingssatz pro Übung und Trainingstag ausreichend. Die Anzahl der Trainingssätze pro Woche und Übung kann dann alle vier Wochen um einen Satz, bis zu zehn Sätzen pro Woche, gesteigert werden (26–28). Alle grossen Muskelgruppen sollten in das Muskelaufbautraining miteinbezogen werden. Für die obere Extremität sind dies insbesondere Brust-, breite Rücken- und Armmuskulatur, für den Rumpf Bauch- und autochthone Rückenmuskulatur und für die untere Extremität Gesäss-, vordere und hintere Oberschenkelmuskulatur und Wadenmuskulatur.

Neben dem Ganzkörpertraining kann entweder ein Zirkeltraining oder das Stationstraining als Organisationsform gewählt werden. Beide Varianten bieten Vor- und Nachteile.
Die diagnostische Kontrolle beruht auf der Ermittlung der Körperkomposition, des Phasenwinkels, der Handkraft und günstigenfalls auch der HRV in der Erholungsphase, um bei Bedarf tagesaktuelle Dosierungsanpassungen vornehmen zu können (29).

Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, geht dem eigentlichen Muskelaufbautraining eine Aufwärmphase voraus. Diese unterteilt sich in eine allgemeine Vorbereitung für das Herz-Kreislauf-System und eine spezifische für die beanspruchten Muskelgruppen und Gelenke. Danach erfolgt das eigentliche Muskelaufbautraining. Die Übungsreihenfolge sorgt dafür, dass es zu keiner vorzeitigen Ermüdung einzelner Muskelgruppen durch redundante Beanspruchung kommt. Am Ende des Trainings steht die Abwärmphase. Diese dient der Einleitung der Regenerationsphase, die für das Krafttraining mindestens einen Tag beansprucht. Erst in der Regenerationsphase finden die qualitativen und quantitativen Anpassungseffekte statt.

Tabelle 1 stellt beispielhaft die Kennziffern, Belastungsparameter und diagnostischen Massnahmen im Rahmen der praktischen Umsetzung der gesammelten Erkenntnisse dar. Trainiert wird jeweils an drei nicht aufeinanderfolgenden Tagen pro Woche. In den ersten Trainingswochen genügt ein Trainingssatz pro Übung mit 8–12 Wiederholungen bis zur jeweiligen Ermüdung der beanspruchten Muskelgruppe. Dies entspricht einer Trainingsintensität von 60–80 % des 1-RM. Die Anpassung des Trainingsgewichtes orientiert sich hierbei an der Wiederholungszahl. Das bedeutet, dass eine Beanspruchung von in etwa 80% erreicht wird, wenn 8 Wiederholungen unter muskulärer Auslastung durchgeführt werden können. Eine Beanspruchung von 60% der 1-RM entspräche dann 12 Wiederholungen unter muskulärer Auslastung.
Durch die tagesaktuelle Anpassung des jeweils möglichen Trainingsgewichts, die Möglichkeit der Modifikation der Wiederholungszahl pro Trainingssatz und die Steigerung um einen Trainingssatz alle vier Wochen bis zu maximal zehn Trainingssätzen pro Woche wird das erforderliche progressive Vorgehen berücksichtigt (26).

Moderates allgemeines aerobes Ausdauertraining vor der Gewichtsreduktion (Phase 1)

Ein allgemeines aerobes Ausdauertraining mit moderater Intensität verfolgt in dieser Anfangsphase der körperlichen Aktivierung mehrere Ziele. Zum einen soll die Herz-Kreislauf-Funktion verbessert und eine Optimierung der Mobilisation freier Fettsäuren bewirkt werden. Zum anderen dient das in Phase 1 durchgeführte moderate aerobe Ausdauertraining zum regenerativen Ausgleich gegenüber den notwendigen intensiven Krafttrainingseinheiten in dieser Phase und als Vorbereitung und Gewöhnung an höhere Intensitäten in Phase 2.

Für den Trainingsbeginner kann eine mehrmals wöchentlich stattfindende moderate Ausdauerbelastung von kurzer Zeitdauer (10–30 Minuten), z. B. in Form von Spazierengehen, Nordic Walking oder Fahrradfahren, durchaus ausreichend sein. Nach der Eingewöhnungsphase kann dann die Belastungsdauer je nach Beanspruchbarkeit, entsprechend den Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung von Pfeifer u. Rütten (30), auf 30–60 Minuten pro Bewegungseinheit gesteigert werden. In Ergänzung zu den genannten können Bewegungsformen wie Wassergymnastik, Schwimmen, Skilanglauf und weitere geeignete hinzukommen. Um die für diese Phase essenzielle moderate Belastung zu gewährleisten, sollte sich die Belastungsdosierung am subjektiven Belastungsempfinden anhand der Borg-Skala (31) und die Belastungsverträglichkeit an der täglich morgendlich zu messenden Herzratenvariabilität (HRV) in Ruhe (32) orientieren. Eine Belastungsdosierung anhand bekannter Herzfrequenzformeln könnte aufgrund der häufig in dieser Zielgruppe verabreichten Blutdruck- und Herzfrequenz senkenden Medikation zu einer Fehleinschätzung der Belastungsdosierung führen (33).
Eine moderate aerobe Belastungsform in Kombination mit geeigneten Ernährungsmassnahmen gewährleistet in dieser Phase auch die Optimierung von Zucker- und Fettstoffwechsel (34).

Die in Phase 1 geschaffenen Grundlagen beugen einer Überlastung und katabolen Situation (z. B. Eiweissabbau, Verlust an LBM), verursacht durch die notwendigen intensiveren Trainingseinheiten in Phase 2, vor (34–36).
Die in Tabelle 2 empfohlene Belastungsdosierung nach dem subjektiven Belastungsempfinden nach Borg (31) kann Anwendung in der praktischen Umsetzung eines moderaten allgemeinen aeroben Ausdauertrainings finden, wie es beispielhaft in Abbildung 3 dargestellt wird.


Beispiel 1 in Abbildung 3 beinhaltet bewusst moderate allgemeine Ausdauertrainingseinheiten von kurzer Zeitdauer. Diese niedrige Belastungsdosierung richtet sich an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter den Trainierenden, die als Bewegungsanfänger einzustufen sind. Sie stellt für diese Zielgruppe zunächst einen angemessenen Belastungsreiz dar (37). Mit zunehmender oder bereits bestehender Trainingserfahrung orientieren sich zeitliche Trainingsumfänge und Intensitäten dann an der gesteigerten Beanspruchbarkeit einer trainingserfahrenen Personengruppe (siehe Beispiel 2).

Körperliche Aktivierung zur Gewichts­reduktion (Phase 2)

In Phase 1 wurden die Voraussetzungen für eine langfristige Reduktion kardiometabolischer Risikofaktoren geschaffen. In Phase 2 gilt es nun, grundsätzlich zu unterscheiden, ob das körperliche Aktivierungsprogramm zur Unterstützung der medizinisch interventiv bewirkten Gewichtsreduktion, beispielhaft im Folgenden nach einer bariatrischen Operation, oder als eigenständiges Gewichtsreduktionsprogramm genutzt werden soll.

Muskelaufbautraining zur Gewichtsreduktion (Phase 2)

Für das Muskelaufbautraining gilt nun die zentrale Zielsetzung, dass die LBM, insbesondere in Form von Skelettmuskelmasse und -qualität, trotz Gewichtsreduktion erhalten werden kann (20).
Wird nun die Gewichtsreduktion durch eine deutliche Kalorienrestriktion bedingt, wie es nach einer bariatrischen Operation der Fall ist, muss diese Ausgangssituation in der Trainingsgestaltung Berücksichtigung finden. Neben den bekannten günstigen Konsequenzen erhöht sich durch die bariatrisch interventiv bewirkte starke Gewichtsreduktion das Risiko, aufgrund des Verlustes an LBM langfristig eine Sarkopenie zu entwickeln (38, 39). Unter den gegebenen katabolen Umständen ist es deswegen essenziell, einen erhöhten Skelettmuskelabbau und eine Erhöhung des viszeralen Fettanteils durch eine geeignete Trainingsdosierung und Energiezufuhrgestaltung zu verhindern. Eine Metaanalyse von Bellicha et al. bestätigt diesen Sachverhalt (40). In den darin vorgestellten Studien verbesserten postoperative Trainingsprogramme, meistens aus einer Kombination von Kraft- und Ausdauertraining bestehend, kardiometabolische Faktoren und Muskelkraft. In den meisten der in der Metaanalyse erfassten Studien gelang es allerdings nicht, den deutlichen Verlust von durchschnittlich 10 kg LBM innerhalb der ersten 12 Monate nach Gastric-Bypass-Operationen zu verhindern. Die Autoren begründeten diesen Sachverhalt mit einer unzureichenden Proteinzufuhr und einer zu kurzen Trainingsinterventionsdauer von höchstens viereinhalb Monaten. Nur in zwei im Rahmen der Metaanalyse vorgestellten Studien, hierbei handelte es sich jedoch bei der bariatrischen Intervention um keine Gastric-Bypass-Operation, konnte der Verlust von LBM gering gehalten werden. Zusätzlich konnte eine Verbesserung der Knochendichte nachgewiesen werden. Diese positiven Effekte schrieben die Autoren der langen Trainingsinterventionsdauer von 9 bzw. 24 Monaten zu, obwohl im Rahmen des Trainingsprogramms Krafttrainingseinheiten nur zweimal wöchentlich durchgeführt wurden (40).

Aufgrund der dargestellten Erkenntnisse sollte ein Muskelaufbautraining nach bariatrischer Operation langfristig angelegt werden und zwei Trainingseinheiten pro Woche beinhalten (siehe Tabelle 3). Dies entspricht auch den Vorgaben eines gesundheitsorientierten Krafttrainings (30). Eine ausreichende Eiweisszufuhr ist zum Erhalt der LBM essenziell (23).


Ist beabsichtigt, die Gewichtsreduktion ohne operative Intervention durch ein körperliches Aktivierungsprogramm in Begleitung zielführender Ernährungsmassnahmen herbeizuführen, kann dies variabel über Energieverbrauch, Energiezufuhr und Makronährstoffzusammenstellung gesteuert werden.
Im Rahmen einer kontrollierten randomisierten Untersuchung zur Gewichtsreduktion führten Frauen mit Adipositas ein Krafttraining unter reduzierter Kalorienzufuhr durch. Über einen Zeitraum von 24 Wochen wurden entweder eine oder drei Trainingseinheiten Muskelaufbautraining pro Woche mit entsprechender ernährungsgesteuerter Kalorien­restriktion begleitet. Trainiert wurde jeweils in vier Sätzen zu 8–12 Wiederholungen unter Einbezug aller grossen Muskelgruppen. Die Trainingsintensität richtete sich nach dem jeweils bewältigbaren Gewicht bei 10 Wiederholungen. Konnte das Gewicht mit 10 Wiederholungen leicht bewältigt werden, fand eine Trainingsgewichtserhöhung statt. Konnte das Gewicht mit 10 Wiederholungen nicht bewältigt werden, fand eine Reduktion des Ausgangsgewichtes statt.

Körpergewicht, Taillenumfang und prozentualer Fettanteil verringerten sich in beiden Gruppen signifikant. Im Rahmen der BIA verbesserten sich der kapazitive Widerstand zu Körperhöhe (Xc/h), als Zeichen der Zellintegrität, der Phasenwinkel, stellvertretend für LBM und Gesamtkörper-wasserverteilung, und die Handkraft, stellvertretend für Körperkomposition und Sarkopenierisiko, jedoch nur in der Gruppe, die dreimal wöchentlich trainierte (27).
Wie in Tabelle 4 ersichtlich ist, ergibt sich für die praktische Umsetzung des Muskelaufbautrainings im Rahmen der Gewichtsreduktion durch körperliche Aktivierung und ernährungsgesteuerter Kalorienrestriktion eine ähnliche Trainings- und Intensitätsgestaltung wie in Phase 1.

Allgemeines aerobes Ausdauertraining zur Gewichtsreduktion (Phase 2)

Als Unterstützung der erzielten Gewichtsreduktion nach ba­riatrischer Operation dient das aerobe Ausdauertraining weiterhin der kardiometabolischen Risikoreduktion, der Regeneration und der Rekrutierung von viszeralem Körperfett für die Energiebereitstellung. Längere Umfänge, mit moderaten und höheren Intensitäten im Wechsel, sind hierfür zielführend.

Bei der Gestaltung des Ausdauertrainings muss wie beim Muskelaufbautraining beachtet werden, dass eine deutliche Kalorienrestriktion, bedingt durch den bariatrischen Eingriff, bereits vorgegeben ist. Ein zusätzliches Kaloriendefizit durch körperliche Überlastung könnte sich deswegen als kontraproduktiv erweisen (35, 36). Aus diesem Grund wird, wie in Abbildung 4, Beispiel 1, dargestellt, die Trainingshäufigkeit des Ausdauertrainings auf drei Tage reduziert. Dies entspricht den Empfehlungen zu einem gesundheitsorientierten Ausdauertraining (30).
Im Rahmen der Ernährungsberatung muss nun darauf geachtet werden, dass eine Mangelversorgung bzgl. Mikronährstoffen und ein übermässiger Eiweissabbau, der Muskulatur und Immunsystem beeinträchtigen kann, verhindert wird.

Soll allein durch die körperliche Aktivierung in Kombination mit geeigneten Ernährungsmassnahmen, ohne bariatrisch operative Intervention, eine Gewichtsreduktion erzielt werden, ist es Aufgabe des Ausdauertrainings, einen möglichst hohen Kalorienverbrauch zu generieren. Bei der nun trainingserfahrenen und gut beanspruchbaren Zielgruppe können hierzu anstrengende aerobe Ausdauertrainingseinheiten von bis zu einer Stunde und kurzzeitige intensivste Trainingsbelastungen, wie beim High-Intensity-Intervall-Training (HIIT), genutzt werden.

Mendelson et al. (41) führten hierzu eine randomisierte Untersuchung mit 19 Teilnehmerinnen und 41 Teilnehmern durch. Es fand eine Aufteilung in drei Gruppen statt. Gruppe 1 führte ein moderates kontinuierliches Ausdauertraining auf dem Fahrradergometer für 45 Minuten nahe der maximalen Fettverbrennungsrate durch. Laut Autoren entspricht dies in etwa 50% der maximalen Sauerstoffaufnahme. Gruppe 2 absolvierte ein HIIT für die Dauer von 45 Minuten mit jeweils einer Minute Belastung und einer Minute Erholung, ebenfalls auf dem Fahrradergometer. Gruppe 3 absolvierte ein ähnliches Programm wie Gruppe 2, jedoch mit variabler Pausengestaltung von jeweils 30–120 Sekunden zwischen den Trainingsintervallen. Die Belastungsdauer wurde während der zweimonatigen Studie von 32 Minuten im Rahmen des kontinuierlichen Ausdauertrainings und von 16 Minuten im Rahmen der HIIT-Trainingsformen in der ersten Woche, auf 44 Minuten in der letzten Woche für alle drei Trainingsgruppen gesteigert. Taillenumfang, Gesamtfettmasse und abdominelle Fettmasse nahmen nur in der HIIT-Trainingsgruppe 2 signifikant ab. In Trainingsgruppe 1 konnten Insulin und HOMA2-IR signifikant gesenkt werden. Die Verbesserungen konnten ohne Kalorienrestriktion erzielt werden (41).

Hierzu ist anzumerken, dass ein anstrengendes aerobes Ausdauertraining oder ein intensives Intervalltraining grundsätzlich einen hohen Energiebedarf generiert. Obwohl dieser relativ gesehen über die aerobe oder anaerobe Verstoffwechs­lung eines hohen Kohlehydratanteils abgedeckt wird, kann bei trainierten Personen, wie es durch die Vorbereitungen in Phase 1 der Fall ist, im Rahmen dieser hohen Intensitäten absolut gesehen ein höherer Anteil an freien Fettsäuren oxidiert werden, als dies durch ein moderates Ausdauertraining möglich wäre. So z. B. im Kontext einer 60-minütigen aeroben Ausdauerbelastung in einer Intensität, mit der diese Beanspruchung gerade noch absolviert werden kann, oder im Rahmen eines 20-minütigen anaeroben Intervalltrainings. Ein trainierter Organismus oxidiert hierbei während der aeroben Ausdauerbelastung, während der Regenerationspausen zwischen den Intervallen eines Intervalltrainings, insbesondere aber auch in der Regenerationsphase nach den Belastungen, einen hohen Anteil freier Fettsäuren. Bei gleichzeitig stattfindender geeigneter Energiezufuhrlenkung kann dadurch eine Gewichtsreduktion mittels Abbaus viszeralen Fettgewebes erzielt werden (34, 42–46).

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse sollte in der praktischen Umsetzung zur Gewichtsreduktion sowohl ein anstrengendes aerobes Ausdauertraining von ca. 60 Minuten Dauer als auch das HIIT genutzt werden. Um die Zielsetzung der Gewichtsreduktion unter Beibehaltung von Muskelmasse und Reduzierung viszeralen Fettgewebes umsetzen zu können, muss die Ernährungsberatung neben der variabel an das Training anzupassenden Kalorienreduktion eine geeignete Energielenkung und Makronährstoffversorgung berücksichtigen. Dies bedeutet, dass der Zeitpunkt der Energiezufuhr und die Makronährstoffzusammensetzung so gewählt werden, dass die Mobilisierung von freien Fettsäuren, insbesondere aus dem Fettgewebe, nicht behindert wird. Hierfür ist es wichtig, dass das Speicherhormon Insulin dieser Mobilisierung während der Beanspruchung und in den Regenerationsphasen nicht im Wege steht. Nahrungskarenz vor der Beanspruchung und eine grundsätzliche Makronährstoffzusammenstellung mit niedriger glykämischer Last und Insulinwirkung scheinen hierfür sinnvoll. Anstelle des zu reduzierenden Zucker- und Stärkeanteils dienen Ballaststoffe, die Erhöhung des Eiweiss- und Fettanteils, insbesondere in Form von Olivenöl und marinen Omega-3-Fettsäuren, dem Erhalt der Muskelmasse, der Regeneration und der Unterstützung entzündungshemmender regulatorischer Prozesse (34, 43–48).

In Abbildung 4 ist beispielhaft jeweils eine Trainingswoche für ein Ausdauertraining zur Begleitung der durch eine bariatrische Intervention erzielten Gewichtsreduktion (Beispiel 1) oder als eigenständiges Trainingsprogramm zur Gewichtsreduktion (Beispiel 2) dargestellt. Die Belastungsdosierung orientiert sich an dem subjektiven Belastungsempfinden nach Borg (Tabelle 4).

Zusammenfassung und Ausblick

Auch wenn die Körpergewichtsreduktion häufig das primäre Ziel in der Therapie von Personen mit Adipositas darstellt, darf hierbei nicht übersehen werden, dass eine starke Gewichtsreduktion mit einem zunehmenden kardiometabolischen Erkrankungsrisiko einhergeht.
Dieser Sachverhalt erfordert zukünftig sowohl vonseiten der Betroffenen als auch der Betreuenden eine teilweise Neuausrichtung in der Priorisierung von Zielsetzungen und zusätzliche Anstrengungen bzgl. Strukturierung, Koordination und Umsetzung von Massnahmen.

Schwerpunkte bilden hierbei die vorbereitende Phase vor der eigentlichen Gewichtsreduktion, die enge Verknüpfung stationärer und ambulanter Massnahmen und die Strukturierung und Koordination der multimodalen ambulanten Betreuung rund um die Gewichtsreduktionsmassnahme.
Für eine nachhaltige kardiometabolische Risikoreduktion im Rahmen körpergewichtsreduzierender Interventionen sind neben einem intakten Herz-Kreislauf-System Skelettmuskelmasse, Muskelkraft und -qualität von richtungsweisender Bedeutung. Deshalb sollte der eigentlichen Gewichtsreduktionsmassnahme eine vorbereitende Phase, die eine Verbesserung von Muskelquantität und -qualität, und nicht die Gewichtsreduktion zum Ziel hat, vorgeschaltet werden.

Während der Gewichtsreduktionsphase sollte dann dem Erhalt dieser quantitativen und qualitativen Eigenschaften, neben der Reduktion des viszeralen Fettanteils, besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Um diese Zielsetzungen zu erreichen, ist eine dauerhafte Umsetzung von Kraft- und Ausdauertraining, kombiniert mit einer zielführenden Ernährungsstrategie, essenziell.
Zur Erfolgskontrolle sollten diagnostische Massnahmen Parameter berücksichtigen, die Aussagekraft bzgl. Körperkomposition, Muskelqualität und Herz-Kreislauf-Funktion besitzen.

Grundsätzlich darf das Ausmass der Gewichtsreduktion diese wesentlichen Zielsetzungen der Adipositastherapie nicht gefährden.
Um die erforderlichen Verhaltensmassnahmen dauerhaft
umzusetzen, sind Motivation und Modifikation von Bewertungsstrukturen vonseiten der Betroffenen erforderlich. Die hierfür notwendigen edukativen Massnahmen liegen genauso wie die Schaffung von strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine nachhaltige Umsetzung im Verantwortungsbereich der Betreuenden.

MA Ulrich Hamberger

Physiotherapeut, Gesundheitsmanager (MA)
Römerauterrasse 12
D-86899 Landsberg am Lech

uhamberger@ulrich-hamberger.de

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Courcoulas AP, Daigle CR, Arterburn DE. Long term outcomes of metabolic/bariatric surgery in adults. BMJ (Clinical research ed.) 2023;383:e071027.
2. Liu Y, Ruan B, Jiang H, Le S, Liu Y, Ao X, et al. The Weight-loss Effect of GLP-1RAs Glucagon-Like Peptide-1 Receptor Agonists in Non-diabetic Individuals with Overweight or Obesity: A Systematic Review with Meta-Analysis and Trial Sequential Analysis of Randomized Controlled Trials. The American journal of clinical nutrition 2023;118:614–26.
3. Ji T, Li Y, Ma L. Sarcopenic Obesity: An Emerging Public Health Problem. Aging and Disease 2022;13:379–88.
4. Pekar M, Pekarová A, Bužga M, Holéczy P, Soltes M. The risk of sarcopenia 24 months after bariatric surgery – assessment by dual energy X-ray absorptiometry (DEXA): a prospective study. Wideochirurgia i inne techniki maloinwazyjne = Videosurgery and other miniinvasive techniques 2020;15:583–87.
5. Damluji AA, Alfaraidhy M, AlHajri N, Rohant NN, Kumar M, Al Malouf C, et al. Sarcopenia and Cardiovascular Diseases. Circulation 2023;147:1534–53.
6. Wannamethee SG, Atkins JL. Sarcopenic Obesity and Cardiometabolic Health and Mortality in Older Adults: a Growing Health Concern in an Ageing Population. Current diabetes reports 2023;23:307–14.
7. Wei S, Nguyen TT, Zhang Y, Ryu D, Gariani K. Sarcopenic obesity: epidemiology, pathophysiology, cardiovascular disease, mortality, and management. Frontiers in Endocrinology 2023;14:1185221.
8. Hildebrandt X, Ibrahim M, Peltzer N. Cell death and inflammation during obesity: „Know my methods, WAT(son)“. Cell death and differentiation 2023;30:279–92.
9. Khanna D, Khanna S, Khanna P, Kahar P, Patel BM. Obesity: A Chronic Low-Grade Inflammation and Its Markers. Cureus 2022;14:e22711.
10. Chait A, Hartigh LJ den. Adipose Tissue Distribution, Inflammation and Its Metabolic Consequences, Including Diabetes and Cardiovascular Disease. Frontiers in Cardiovascular Medicine 2020;7:22.
11. Benatti FB, Pedersen BK. Exercise as an anti-inflammatory therapy for rheumatic diseases-myokine regulation. Nature reviews. Rheumatology 2015;11:86–97.
12. Gonzalez-Gil AM, Elizondo-Montemayor L. The Role of Exercise in the Interplay between Myokines, Hepatokines, Osteokines, Adipokines, and Modulation of Inflammation for Energy Substrate Redistribution and Fat Mass Loss: A Review. Nutrients 2020;12.
13. Grannell A, Kokkinos A, Le Roux CW. Myokines in Appetite Control and Energy Balance. Muscles 2022;1:26–47.
14. Severinsen MCK, Pedersen BK. Muscle-Organ Crosstalk: The Emerging Roles of Myokines. Endocrine reviews 2020;41:594–609.
15. Rai M, Demontis F. Muscle-to-Brain Signaling Via Myokines and Myometabolites. Brain plasticity (Amsterdam, Netherlands) 2022;8:43–63.
16. Leal LG, Lopes MA, Batista ML. Physical Exercise-Induced Myokines and Muscle-Adipose Tissue Crosstalk: A Review of Current Knowledge and the Implications for Health and Metabolic Diseases. Frontiers in physiology 2018;9:1307.
17. Graf C, Ferrari N. Metabolic Health-The Role of Adipo-Myokines. International Journal of Molecular Sciences 2019;20.
18. Willoughby D, Hewlings S, Kalman D. Body Composition Changes in Weight Loss: Strategies and Supplementation for Maintaining Lean Body Mass, a Brief Review. Nutrients 2018;10.
19. Cancello R, Brunani A, Brenna E, Soranna D, Bertoli S, Zambon A, et al. Phase angle (PhA) in overweight and obesity: evidence of applicability from diagnosis to weight changes in obesity treatment. Reviews in endocrine & metabolic disorders 2023;24:451–64.
20. Gerken ALH, Rohr-Kräutle K-K, Weiss C, Seyfried S, Reissfelder C, Vassilev G, et al. Handgrip Strength and Phase Angle Predict Outcome After Bariatric Surgery. Obesity surgery 2021;31:200–06.
21. Phoemsapthawee J, Prasertsri P, Leelayuwat N. Heart rate variability responses to a combined exercise training program: correlation with adiposity and cardiorespiratory fitness changes in obese young men. Journal of exercise rehabilitation 2019;15:114–22.
22. Dias RM, Moraes ÍAP, Dantas MTAP, Fernani DCGL, Fontes AMGG, Silveira AC, et al. Influence of Chronic Exposure to Exercise on Heart Rate Variability in Children and Adolescents Affected by Obesity: A Systematic Review and Meta-Analysis. International Journal of Environmental Research and Public Health 2021;18.
23. Stokes T, Hector AJ, Morton RW, McGlory C, Phillips SM. Recent Perspectives Regarding the Role of Dietary Protein for the Promotion of Muscle Hypertrophy with Resistance Exercise Training. Nutrients 2018;10.
24. Campa F, Maietta Latessa P, Greco G, Mauro M, Mazzuca P, Spiga F, et al. Effects of Different Resistance Training Frequencies on Body Composition, Cardiometabolic Risk Factors, and Handgrip Strength in Overweight and Obese Women: A Randomized Controlled Trial. Journal of functional morphology and kinesiology 2020;5.
25. Sardinha LB, Rosa GB. Phase angle, muscle tissue, and resistance training. Reviews in endocrine & metabolic disorders 2023;24:393–414.
26. Strasser B, Schobersberger W. Evidence for resistance training as a treatment therapy in obesity. Journal of Obesity 2011;2011.
27. Toselli S, Badicu G, Bragonzoni L, Spiga F, Mazzuca P, Campa F. Comparison of the Effect of Different Resistance Training Frequencies on Phase Angle and Handgrip Strength in Obese Women: a Randomized Controlled Trial. International Journal of Environmental Research and Public Health 2020;17.
28. Lopez P, Taaffe DR, Galvão DA, Newton RU, Nonemacher ER, Wendt VM, et al. Resistance training effectiveness on body composition and body weight outcomes in individuals with overweight and obesity across the lifespan: A systematic review and meta-analysis. Obesity Reviews 2022;23:e13428.
29. Marasingha-Arachchige SU, Rubio-Arias JÁ, Alcaraz PE, Chung LH. Factors that affect heart rate variability following acute resistance exercise: A systematic review and meta-analysis. Journal of Sport and Health Science 2022;11:376–92.