Gicht im klinischen Spektrum

Akuter Gichtanfall

Die häufigste klinische Manifestation der Gicht ist eine perakut auftretende und sehr schmerzhafte Monarthritis, bevorzugt an den unteren Extremitäten, klassisch und am häufigsten (in 50 %) am Grosszehengrundgelenk (Podagra) (Abb. 1), am zweithäufigsten ist das Kniegelenk befallen. Weitere typische Gelenke sind Sprunggelenk, Mittelfuss, die anderen Zehengrundgelenke sowie Hand- und Fingergelenke. Bei älteren Patienten und Frauen ist ein oligoartikulärer Befall der (degenerativ veränderten) Fingergelenke häufiger (aber auch hier natürlich in Form einer akuten Arthritis mit Rötung und Schwellung – bei von den Patienten oft rapportierten «Gichthänden der Grossmutter» handelt es sich meist um eine deformierende Fingerpolyarthrose). Andere Gelenke, wie z. B. Schulter, Hüftgelenk oder auch ISG oder Wirbelsäule, sind selten betroffen. Weitere typische Manifestationen sind akute Tenovaginitiden (vor allem der grossen Rückfusssehnen) oder Bursitiden (z. B. am Olecranon oder Kniegelenk).

Ein akuter Gichtanfall beginnt oft nachts bzw. in den frühen Morgenstunden, wenn sich sowohl die Körpertemperatur wie auch die endogene Cortisolproduktion auf dem zirkadianen Minimum befinden; auch Dehydratation und gesteigerter Purinmetabolismus bei Hypoxie (z. B. Schlafapnoesyndrom) werden verantwortlich gemacht. Anfall­auslösend oder -begünstigend sein können: Trauma, Ope­ration, Stress und Schwankung des Serumharnsäurespiegels sowohl nach oben (z. B. übermässiger Bierkonsum, purinreiche Mahlzeit wie Fleisch, Meeresfrüchte) wie auch nach unten (etwa Fasten oder auch bei Beginn einer harnsäuresenkenden Medikation) (Tab. 1).

Klinisch charakteristisch ist das perakute Auftreten der ausgeprägten Entzündung innert weniger Stunden mit begleitender, deutlicher Schwellung, Rötung und Überwärmung (oft über das betroffene Gelenk hinaus) und mit sehr starken Schmerzen, extremer Druckdolenz und Berührungsempfindlichkeit, was gelegentlich sogar von Fieber begleitet sein kann. Eisapplikation führt zur Schmerzlinderung. Unbehandelt dauert eine solche akute Arthritis mehrere Tage bis ein oder zwei Wochen und klingt dann meist wieder vollständig ab (Tab. 2).

Chronische Gichtarthropathie

Bei jahrelang bestehender oder ungenügend behandelter Hyperurikämie kann auch eine chronische (tophöse) Gichtarthropathie auftreten. Sie ist gekennzeichnet durch häufigere, auch oligoartikuläre, migratorische bis chronisch verlaufende Entzündungen. So können sich dann auch gichtspezifische erosive Gelenkveränderungen bilden (Abb. 2). Im Verlauf einer unbehandelten Hyperurikämie kommt es oft zu grösseren knotenförmigen Harnsäureablagerungen in Form von sogenannter Tophi, sei es in der Synovia oder auch extraartikulär, z. B. in Knochen, Sehnen, aber auch im Subkutangewebe (bevorzugt an den Ex­tremitäten streckseitig, z. B. Olecranon, oft auch an den Extremitäten akral) (Abb. 3), selten auch in inneren Organen. Unübliche Lokalisationen können auch die Herzklappen, der Carpaltunnel oder die Wirbelsäule (gemäss neueren Untersuchungen möglicherweise doch häufiger als bisher angenommen) sein. Tophi können reizlos und indolent bleiben, können sich aber auch entzünden oder exulzerieren (sodass sich dann weissliche, kreidige Harnsäuremassen entleeren) oder selten superinfizieren.

Nierenbefall bei chronischer ­Hyperurikämie

Nephrolithiasis: Bei Patienten mit Gicht bzw. einer Hyperurikämie besteht ein erhöhtes Risiko für Harnsäure-Nierensteine (reine Uratsteine machen 5–10 % aller Nierensteine aus). Die wichtigsten Risikofaktoren für die Bildung von Uratsteinen sind eine erhöhte Harnsäure-Ausscheidung, ein vermindertes Urinvolumen und ein tiefer Urin-pH.

Chronische Uratnephropathie: Niereninsuffizienz und Hyperurikämie sind sehr häufig miteinander vergesellschaftet – meistens wegen Erkrankungen, die beides begünstigen (arterielle Hypertonie, metabolisches Syndrom etc.). Zusätzlich kann es aber durch eine chronische Hyperurikämie und die konsekutive Ablagerung von Harnsäure im Interstitium auch zu einer interstitiellen Nephropathie (Uratnephropathie) kommen. Diese ist durch eine Niereninsuffizienz bei unauffälligem Urinsediment und eine Hyperurikämie, deren Ausmass durch die Niereninsuffizienz allein nicht erklärt werden kann, definiert.

Diagnose

Eine typische Anamnese und ein klassischer klinischer Befund machen die Diagnose zwar wahrscheinlich, die zweifelsfreie Diagnose erfordert aber den Nachweis von Uratkristallen – klassischerweise im Gelenkpunktat (Abb. 4). Gelegentlich kann dies an Punktionsschwierigkeiten oder der manchmal ungenügenden Sensitivität der kommerziellen Labors scheitern. Ebenso hilfreich, weil sehr spezifisch, ist heutzutage der eindeutige sonographische Nachweis von Harnsäureablagerungen auf dem hyalinen Knorpel (sogenanntes Doppelkonturzeichen – erfordert aber die entsprechende Erfahrung und eine hochauflösende Ul­traschallsonde!) (Abb. 5). In diagnostisch unklaren Situationen kann auch das Dual-Energy-CT (DECT) Klärung bringen, welches eine hohe Spezifität für den Nachweis von Harnsäuredepots hat (ein negatives DECT schliesst aber eine akute Gicht nicht aus, gerade im frühen Stadium einer Gicht, da kleine Harnsäuredepots dem Nachweis entgehen können). Konventionelle Röntgenbilder zeigen dagegen erst bei lang dauernder Erkrankung typische Veränderungen. Die Bestimmung der Serumharnsäure ist im akuten Anfall oft wenig nützlich, da sie dann sogar tief bis vielleicht normal sein kann! Allerdings ist bei anhaltend deutlich erhöhter Harnsäure die Wahrscheinlichkeit gross, dass es früher oder später zu Gichtanfällen kommt.

Differenzialdiagnose

Die wichtigste (und gefürchtetste) akute Entzündung, die von der akuten Gicht abgegrenzt werden muss, ist der Infekt. Eine Gelenk- oder Bursapunktion sollte deshalb nach Möglichkeit nicht nur zur Bestätigung der Verdachtsdia­gnose Gicht, sondern auch zum Ausschluss einer bakteriellen Infektion angestrebt werden. Eine septische Arthritis kann sich auch relativ rasch entwickeln (allerdings üblicherweise nicht derart akut wie eine Gichtarthritis) und sich ebenfalls mit starker, über das Gelenk hinausreichender Schwellung, Überwärmung und Schmerzen äussern.

Ein ähnliches Bild zeigen andere Kristallerkrankungen, insbesondere die akute Calciumpyrophosphat-Arthritis (CPPD), für die deshalb auch die Bezeichnung «Pseudogicht» verwendet wird. Klinisch kann eine akute CPPD-Arthritis kaum von einer Gichtarthritis unterschieden werden, sie hat allerdings ein etwas anderes Gelenkbefallsmuster. So sind bei der CPPD am häufigsten das Kniegelenk, die Handgelenke und die MCP-Gelenke II und III betroffen. Die Differenzierung erfolgt auch hier mit der Synovia-Analyse, in welcher die positiv doppelbrechenden, rhombenförmigen CPPD-Kristalle nachgewiesen werden können, oder mit dem Nachweis von typischen Verkalkungen im hyalinen oder faserigen Knorpel im hochauflösenden Ultraschall. Röntgenuntersuchungen mit Nachweis von typischen Knorpelverkalkungen können ebenfalls wegweisend für eine CPPD sein (schliessen aber eine gleichzeitig bestehende Gicht nicht aus).

Insbesondere bei einer Oligoarthritis an den unteren Extremitäten (speziell an den Zehengrundgelenken), kommen differenzialdiagnostisch auch akute Arthritiden aus dem Formenkreis der Spondyloarthritiden in Betracht, namentlich die Psoriasisarthritis oder allenfalls eine reaktive (Oligo-)Arthritis. Diese Arthritiden entwickeln sich aber meist langsamer, in der Regel über 2–3 Tage, und nicht innert 24 Stunden wie bei einem Gichtanfall.

Dr. med. Andreas Krebs

Rheuma- und Osteoporose-Zentrum Kloten
Kalchengasse 7
8302 Kloten

andreaskrebs@hin.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Auf Anfrage beim Verfasser.

Calcium Pyrophosphate Deposition (CPPD) Disease – mehr als nur «Pseudogicht»

Einleitung

Die Ablagerung von Calciumpyrophosphatkristallen in hyalinen oder Faserknorpel wird als Chondrocalcinose bezeichnet. Es ist weitgehender Konsens, dass eine Chondrocalcinose asymptomatisch ist und keinen Krankheitswert aufweist. Sie bildet aber die Vorstufe zur sogenannten Calcium Pyrophosphate Deposition (CPPD) Disease. Diese umfasst im Wesentlichen drei Entitäten: erstens die akute Calciumpyrophosphat (CPP)-Arthritis («Pseudogicht»), zweitens die chronische CPP-Arthritis («Pseudo-RA») und drittens die Arthrose mit Calciumpyrophosphatablagerungen (1).

Die Prävalenz der Chondrocalcinose wird bis auf 7 % geschätzt (2) und steigt im Alter über 60 Jahre mit jeder Dekade an. In einer Studie unter 191 CPPD-Patientinnen und -Patienten zeigten 59.5 % Zeichen eines Crowned-Dens- Syndroms, wobei das mediane Alter bei 78.5 Jahren lag (3). Es zeigte sich auch, dass die Mehrzahl vor Durchführung der Studie nicht bekannt war, was vermuten lässt, dass das Ausmass des spinalen CPPD-Befalls eher unterschätzt wird. Die Chondrocalcinose kann mit bildgebenden Verfahren wie Röntgen (bis 60 %), Ultraschall (bis 88 %) und CT bzw. Dual-Energy-CT (DECT, bis 100 %) mit zunehmend hoher Sensitivität nachgewiesen werden; die Spezifizität war in diesen Studien meist über 90 % (1). Trotzdem können mit den bildgebenden Verfahren weiterhin Calciumpyrophosphatkristalle nicht definitiv von Hydroxy­lapatitkristallen oder anderen calciumhaltigen Kristallen unterschieden werden; es gibt Hinweise, dass dies mittels DECT oder Multi-engergy spectral photon-counting-CT möglich sein könnte (4).

Pathophysiologie

Im Gegensatz zur Chondrocalcinose hat die CPP-Arthritis (akut oder chronisch) einen sehr hohen Krankheitswert. Die absolute Prävalenz der CPP-Arthritis ist aktuell unklar, im rheumatologischen Alltag stellt sie jedoch ein häufiges Problem dar.

Es bleibt unklar, welche Mechanismen letztlich dazu führen, dass intracartilaginäre CPP-Kristalle in den Gelenkraum gelangen und dort dann zur Entzündung führen. Infrage kommen neben funktionell wirksamer Mutationen des ANKH- und ENPP1-Gens (involviert im cartilaginären Phosphatmetabolismus) auch genetische (Hypophospha­tasie) oder metabolische (Hypomagnesiämie, Hyperferritinämie) Gründe einer Aktivitätsminderung der alkalischen Phosphatase (5). Ein Hyperparathyreodismus stellt ebenfalls einen Risikofaktor dar. Letztlich kommt es zu einem verminderten Abbau von Calciumpyrophosphat zu Phosphat, gefolgt von einer Kristallisation von CPP-Kristallen im Gelenk. Der frustrane Versuch von Neutrophilen und Makrophagen, diese Kristalle zu phagozytieren und zu lysieren, führt zu einer Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms (5).

In der Akutphase führt dies zur Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine wie IL-1-Beta und IL-18 sowie in der Folge zur IL-6-Stimulation und bisweilen stark erhöhten CRP-Werten. Lange wurden für die Diagnose einer CPPD die McCarty-Kriterien aus den 60er-Jahren verwendet, welche jedoch nie klinisch validiert wurden. Sie bestehen aus einer Trias aus Chondrocalcinose (z. B. Menisci des Kniegelenks), klinische Synovitis und Nachweis von positiv doppelbrechenden CPP-Kristallen. Da sich häufig keine Punktion des betroffenen Gelenks durchführen lässt (z. B. beim Crowned-Dens-Syndrom), sind diese Diagnosekriterien jedoch wenig praktikabel. Insbesondere eignen sie sich nicht als Klassifikationskriterien zur Durchführung von klinischen Studien. Vor diesem Hintergrund wurden im 2023 die ACR/EULAR-Klassifikationskriterien etabliert (6), welche sich aus vier klinischen, einem laborchemischen sowie drei radiologischen Domänen zusammensetzen. Hiermit kann, mittels Erreichen eines Punktescores, eine Erkrankung mit hinreichender Sicherheit als CPPD klassifiziert werden. Obwohl sich die Klassifikation als CPPD hiermit grösstenteils auf radiologische Kriterien stützen lässt, ist es wichtig, das Eintrittskriterium eines schmerzhaften bzw. geschwollenen Gelenks zu beachten (Abb. 1).

Klinische Bedeutung der CPP-Arthritis

Ähnlich wie bei der Gichtarthritis ist auch die CPP-Arthritis durch plötzliches Auftreten («wie angeworfen») im betroffenen Gelenk gekennzeichnet. Die Präsentation reicht von einer Monarthritis (Knie > Handgelenk) über polymyalgiforme Symptome bis zu einem Crowned-Dens- Syndrom. Der axiale Befall wird einigen Studien zufolge bis auf 24.3 % geschätzt (7) und sollte bei älteren Patienten als Differenzialdiagnose einer axialen Spondylarthritis gesehen werden. Gerade in hohem Alter finden sich im Akutstadium bisweilen CRP-Werte um 300 mg/l in Assoziation mit einer Minderung des Allgemeinzustands, Fieber und Delirium. Aufgrund dieser breiten und bisweilen dramatischen klinischen Präsentation sind die primären Differenzialdiagnosen beträchtlich (z. B. septische Arthritis, Riesenzellarteriitis, Meningitis).

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die chronische CPP-Arthritis als «confounding factor» einer Rheumatoiden Arthritis (RA), da sowohl die radiocarpalen Gelenke, MCP-Gelenke, aber auch Flexoren- und Strecksehnen betroffen sein können. Anders als bei der RA findet sich jedoch meist kein schubförmiger, sondern eher ein chronischer Verlauf. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass in einer neueren Studie bei 32.3 % der als seronegative RA-klassifizierten Patienten eine Chondrocalcinose bestand, während dies nur bei rund der Hälfte der seropositiven RA-Patienten der Fall war (8). Auch in der Studie von Codes-Mendez et al. erfüllten 18.9 % aller seronegativen RA-Patientinnen und -Patienten die 2023 ACR/EULAR-Kriterien für eine CPPD (9). Diese waren bei Symptombeginn mit 69.5 Jahren signifikant älter als die Vergleichsgruppe.

Dieser Aspekt scheint also sowohl numerisch als auch klinisch hoch relevant. Eine chronische CPP-Arthritis bzw. ein overlap zwichen RA und CPPD mit selbiger vermag das fehlende Ansprechen auf DMARD-Therapien und entsprechend häufige Therapiewechsel erklären. Bei RA-Patientinnen und -Patienten im höheren Alter und primärem Nichtansprechen auf DMARD mit verschiedenen «mode of action» sollte eine CPP-Arthritis also stets eine differenzialdiagnostische Überlegung sein und eine Punktion (zum Nachweis oder Ausschluss von CPP-Kristallen) angestrebt werden. Weitere und grössere Studien sind nötig, um das Ausmass und die Differenzierungsfaktoren dieses Problems bei Patientinnen und Patienten mit seronegativer RA noch besser zu erfassen.

Bedeutung jenseits der Arthritis

Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren zahlreiche Veröffentlichungen, die auf eine erhöhte, nicht fatale kardiovaskuläre Morbidität bei einer durchgemachten CPP-Arthritis hinweisen (10, 11). Konkret wiesen Patientinnen und Patienten mit mindestens einer CPP-Arthritis-Attacke in einer Follow-up-Untersuchung über 10 Jahre ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auf (11). Die Kon­trollgruppe (3810 Patienten) zeigte zwar teilweise Hinweise für eine Chondrocalcinose, hatte aber keine dokumentierte CPP-Arthritis. Auch nach Adjustierung für klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren war das Risiko in der CPP-Arthritis-Gruppe für MACE (major adverse cardiovascular events) innerhalb der ersten zwei Jahre nach einer CPP-Arthritis um 32 % erhöht. Nicht fatale kardiovaskuläre Ereignisse traten sogar bis zu 10 Jahren nach einer CPP-Arthritis mehr als doppelt so häufig auf.

Eine weitere Studie konnte zeigen, dass Patienten mit einer CPP-Arthritis ein deutlich erhöhtes Risiko für eine progrediente Arthrose und Totalendoprothesen in Knie und Hüftgelenk haben (12). Die reine Präsenz einer Chondrocalcinose hatte hingegen keinen signifikanten Einfluss auf die Progression einer Knie- oder Hüftarthrose (13) oder der Dauerhaftigkeit von Kniegelenkprothesen (14). Interessanterweise hatten dokumentierte CPP-Arthritis-Attacken langfristig auch anderweitige Auswirkungen auf die Knochengesundheit. Tedeschi et al. zeigte vor Kurzem, dass Patientinnen und Patienten mit mindestens einer Episode einer CPP-Arthritis auch über 15 Jahre ein deutlich gesteigertes Osteoporoserisiko haben verglichen mit Patientinnen und Patienten ohne CPP-Arthritis (15).

Therapie

Aus den oben genannten Beobachtungen lässt sich ableiten, dass die CPP-Arthritis nicht nur eine immobilisierende und mit hohem Leidensdruck verbundene Arthritis form darstellt, sondern – ähnlich wie die Gicht und andere rheumatologisch-entzündliche Erkrankungen – zunehmend als Systemerkrankung mit weitreichenden Folgen für das kardiovaskuläre Risiko und den Knochenmetabolismus gesehen werden muss. Konsequenterweise sollte sich eine Therapie entsprechend nicht nur auf die Behandlung der CPP-Arthritis beschränken, sondern auch die optimale Einstellung kardiovaskulärer Risikofaktoren sowie einer allfällig gesteigerten Knochenresorption beinhalten. Im Gegensatz zur klassischen Gicht existiert für die CPP-Arthritis/Pseudogicht jedoch keine ursächliche oder gar kurative Therapie, weswegen im Folgenden nur auf symptomatische Therapieansätze eingegangen werden kann.

Therapie der akuten CPP-Arthritis

Die Therapie einer akuten CPP-Arthritis unterscheidet sich nicht von der einer akuten Gichtarthritis. Infrage kommen in erster Linie eine intraartikuläre Glukokortikoidinfil­tration (mit gleichzeitiger Möglichkeit einer ausgeweiteten Diagnostik sowie Entlastung des betroffenen Gelenks), systemische Glukokortikoide, NSAR, Colchicin sowie andere IL-1-Beta-antagonisierende Therapien (16).
Colchicin stellt einen starken Entzündungshemmer dar, der auch eine regulierende Funktion auf das NLPR-3-Inflammasom und die Ausschüttung von IL-1-Beta und IL-18 hat. Ausserdem werden durch Hemmung der Mitose die Teilungsraten infiltrierender Neutrophiler stark reduziert. Colchicin kann, wie bei der akuten Gichtattacke, zunächst in der Dosis von 1 mg, gefolgt von 0.5 mg 1 Stunde später sowie im Anschluss 0.5 mg 2 x täglich bis zur Regredienz der Symptomatik gegeben werden. In einer neuen Studie konnte gezeigt werden, dass Colchicin in der Akutbehandlung vergleichbar effektiv zu Prednison ist (17).

Es ist angeraten, vor der Verschreibung einen Interaktionscheck mit anderen Medikamenten durchzuführen, da es insbesondere bei Medikamenten, welche durch Cytochrom P3A4 (z. B. Clarithromycin, Ketoconazol, Ritonavir) oder P-Glycoprotein (z. B. Ciclosporin) metabolisiert werden, zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen kann. Mögliche Interaktionen sind in Tab. 1 aufgeführt.

Bei Unverträglichkeiten (in der Regel Nausea oder Diarrhö), welche insbesondere bei Niereninsuffizienz vorkommen, sollte auf 0.5 mg täglich oder 2-täglich gewechselt werden. Im Verlauf sind Nebenwirkungen wie Rhabdomyolyse, Neurotoxizität und Myelotoxizität zu beachten. Hervorzuheben ist, dass für Colchicin, unabhängig von Kristallarthropathien, zahlreiche kardiovaskulär protektive Effekte beschrieben sind (siehe COLCOT-Studien) (18, 19). Aber auch bei Gicht gibt es mehrere Studien (20, 21), die in die gleiche Richtung deuten, weswegen im Analogieschluss ein kardioprotektiver Effekt bei Colchicin bei der Behandlung der CPP-Arthritis angenommen werden kann.

NSAR können bei fehlender Kontraindikation (z. B. Niereninsuffizienz, kardiovaskuläre Erkrankungen) ausdosiert ebenfalls zur Symptomminderung beitragen. Infrage kommt z. B. Naproxen 500 mg 12-stündlich oder in der Kombination mit Esomeprazol 500/20 mg 12-stündlich.
Systemische Glukokortikoide sollten jeweils im Kontext mit Komorbiditäten (z. B. Osteoporose, Glaukom, psychotische Erkrankungen, Diabetes mellitus etc.) evaluiert werden. Eine Dosierung von 0.5 mg/kg in der Akutphase mit schnellem Ausschleichen scheint hier vertretbar. Bei einer Monarthritis ist die intraartikuläre Glukokortikoidinfil­tration häufig vorzuziehen.

Der IL-1-Antagonist Anakinra hat in der Praxis häufig einen schnellen Effekt und nur wenig Nebenwirkungen. In einer Schweizer Studie war der Effekt von Anakinra während einer akuten CPP-Arthritis dem von systemischen Glukokortikoiden nicht unterlegen (16). Allerdings ist das Medikament in dieser Indikation in der Schweiz nicht zugelassen und daher meist nur im stationären Setting oder nach vorhergehender Kostengutsprache zu verordnen.

Therapie der chronischen CPP-Arthritis

Die Therapie der chronischen CPP-Arthritis gestaltet sich häufig schwierig, insbesondere wenn sie sich phänotypisch wie eine Rheumatoide Arthritis (RA) darstellt und von einer seronegativen LORA (Late Onset RA) nicht zuverlässig unterschieden werden kann bzw. in Kombination mit einer RA vorkommt.

Colchicin wird weithin als Therapie der ersten Wahl verwendet und ist hinsichtlich der wahrscheinlichen kardioprotektiven Effekte und der niedrigen Kosten auch über den rein antiinflammatorischen Effekt hinaus empfehlenswert. Bisweilen ist auch eine Kombination mit niedrig dosiertem Prednison effektiv und mit weniger Nebenwirkungen vergesellschaftet, wenn auch hinsichtlich Osteoporose etc. nicht wünschenswert. Weitere Therapiekonzepte zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass ihre Wirksamkeit nur in sehr kleinen und meist alten (1981–2002) Fallserien mit < 40 Teilnehmern untersucht wurden und daher nur fraglich als valid angesehen werden kann. Hierzu gehören Magnesiumsubstitution (auch bei normomagnesiämen Patienten) (24), Plaquenil (25) und Radiosynoviorthese (26). Methotrexat wird anekdotisch häufig als wirksam erachtet, eine kleine kontrollierte Studie von Finckh et al. von 2014 zeigte jedoch keinen Effekt in einem Crossover Setting (27).

In refraktären Fällen bzw. bei Kontraindikationen für die o. g. Therapien kommt auch eine dauerhafte oder bedarfsweise Gabe mit Anakinra infrage (23). Da die tägliche Gabe häufig mühsam und mit Lokalreaktionen und Immunogenizität vergesellschaftet ist, kann eine IL-1-Beta-Antagonisierung (nach vorgängiger Kostengutsprache) mit Canakinumab erwogen werden.

Ausblick

Die neuen ACR/EULAR-Kriterien für eine CPPD werden sicherlich die Anzahl klinischer Studien und damit die Hoffnung auf neue wirksame Therapien erhöhen. Es gibt bereits erste Ansätze neuartiger «targeted therapies». In einer Fallserie von 11 Patienten mit therapierefraktärer CPP-Arthritis konnte gezeigt werden, dass Tocilizumab 4 mg/kg – 8 mg/kg alle 4 Wochen (22) zu einer deutlichen Reduktion oder dem kompletten Ausschleichen einer dauerhaften Prednisontherapie geführt hat (28). Eine Erweiterung dieser Studie bei insgesamt 31 Patientinnen und Patienten zeigte ein gutes Ansprechen bei 23, wohingegen nur 2 nicht ansprachen (unpublizierte Daten). Aktuell ist eine randomisierte klinische Studie mit Tocilizumab gegen Placebo geplant.

Eine aktuelle Studie beschreibt das aktuelle Verschreibungsverhalten, die Sicherheit und die Therapietreue bei chronischer CPP-Arthritis in Europa. Überraschenderweise zeigen sich hierbei die Retentionsraten für Methotrexat und Tocilizumab höher als jene für Anakinra (29). Es bleibt hierbei anzumerken, dass häufig Kombinationstherapien eingesetzt wurden und nicht explizit beschrieben ist, wie viele Patienten auch für eine (überlappende) seronegative RA klassifizieren würden.

Ein weiterer neuartiger Ansatz könnten spezifische NLRP3-Inhibitoren wie Dapansutril sein, welche sich aktuell bereits in klinischen Studien zur Behandlung von Gichtarthritiden befinden (30). Da auch bei der CPP-Arthritis eine starke Induktion des NLRP3-Inflammasoms stattfindet, wäre diese Therapie im Analogieschluss zu Gicht zumindest wert, weiter evaluiert zu werden.

PD Dr. med. Tobias Manigold

Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie
Freiburgstrasse, Anna-Seiler Haus, Stock J
3010 Bern

tobias.manigold@insel.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Therapie der Gicht 2024

Antientzündliche Therapie und Prophylaxe

Antientzündliche Therapie des Gichtanfalls

Je rascher – idealerweise innerhalb Stunden – die Behandlung erfolgt, desto wirksamer ist sie. Intraartikulär injizierte Glukokortikoide bringen die schnellste und stärkste Linderung; bei einer Monarthritis sind sie die erste Wahl. Alternativ können kurzzeitig systemische Glukokortikoide (z. B. Prednison 20–50 mg/d) oder nichtsteroidale Antirheumatika (cave Niereninsuffizienz) gegeben werden (1–5), insbesondere bei einer Polysynovitis. Colchicin eignet sich wegen seines langsameren Wirkungseintritts und seiner hohen Toxizität nur bedingt. Es wird heute nur noch tief dosiert eingesetzt, da seine Wirkung nicht mit der Kumulationsdosis korreliert, sondern mit dem Maximum des erzielten Serumspiegels (6–7). Bei normaler Nierenfunktion empfiehlt sich, mit 1 mg gefolgt von 0.5 mg nach 1 h zu beginnen; nach frühestens 12 h kann die Behandlung mit 2 x 0.5 mg/d fortgesetzt werden. Colchicin ist kontraindiziert bei schwerer Niereninsuffizienz und unter starken CYP3A4- und P-Glykoprotein-Inhibitoren wie Ciclosporin, Clarithromycin, Verapamil und Ketoconazol (2, 8). Für Colchicin ist eine gute Compliance Voraussetzung, da es schon bei einer geringen Überdosis hoch toxisch ist; die Einnahme einer einzigen Originalpackung ist letal (cave Suizidalität).
Begleitend kann topisch Kälte (Eis) angewandt werden. Eine bereits etablierte harnsäuresenkende Therapie soll während einer Gichtattacke nicht unterbrochen werden, weil dies zu einer Schwankung des Harnsäurespiegels führt, die weitere Attacken provozieren kann (5) (Tab. 1).

Antientzündliche Prophylaxe weiterer Gichtanfälle

Zu Beginn einer harnsäuresenkenden Therapie kommt es nicht selten zu einer Häufung der Gichtschübe. Im Behandlungsverlauf werden die Schübe dann seltener und bleiben spätestens nach etwa einem Jahr aus. Solchen Schüben kann mit Colchicin, nichtsteroidalen Antirheumatika und/oder niedrig dosierten Glukokortikoiden entgegengewirkt werden (Tab. 2).

Colchicin (Colctab®) wird dafür typischerweise mit 2 x 0.5 mg dosiert. Besonders bei älteren Patienten kann es darunter zu einer Erhöhung der Stuhlfrequenz kommen. Die Dosierung soll dann auf 1 x 0.5 mg oder gar 0.5 mg jeden zweiten Tag reduziert werden. Bei einer Niereninsuffizienz im Stadium 3 (Kreatinin-Clearance von 30–60 ml/min) wird Colchicin mit 1 x 0.5 mg und im Stadium 4 (Kreatinin-Clearance von 15–30 ml/min) mit 0.5 mg alle 2–3 Tage dosiert. Bei der gleichzeitigen Anwendung von Colchicin und einem Statin ist Vorsicht geboten, weil beide Substanzen Substrate und Inhibitoren von Cytochrom P450 (CYP3A4) und P-Glykoprotein sind. Diese Interaktion erhöht das Risiko für eine Toxizität, insbesondere eine Myopathie und sogar eine schwere Rhabdomyolyse (2, 9).

Voraussetzung für eine Prophylaxe mit nichtsteroidalen Antirheumatika ist eine ausreichende Nierenfunktion. Erfahrungsgemäss kann die Hälfte der empfohlenen maximalen Tagesdosis des NSAR für die Prophylaxe noch wirksam sein. Zur Vorbeugung von Gichtschüben kommen auch niedrig dosierte Glukokortikoide infrage, z. B. Prednison 5 bis 7.5 mg/d.

Die antientzündliche Prophylaxe kann nach einer schubfreien Periode von 3–6 Monaten wieder aufgehört werden (2) (Tab. 2). Bei ungenügender Wirkung und Unverträglichkeit herkömmlicher Entzündungshemmer können Interleukin-1-Hemmer wie Anakinra (Kineret®, in der Schweiz in dieser Indikation nicht zugelassen) und Canakinumab (Ilaris®) als Off-Label-Use eingesetzt werden, wenn kein Infektionsverdacht besteht. Routinemässig lässt sich Canakinumab aufgrund der prolongierten Immunsuppression und hohen Kosten aber nicht empfehlen (2, 3).

Massnahmen zur Harnsäuresenkung

Diät

Die früher gängige purinarme Diät wird heute nicht mehr empfohlen. Sie kann die Serumharnsäure höchstens um etwa 60 µmol/l reduzieren und wird von den meisten Patienten nur schlecht akzeptiert (10).
Bei Adipositas ist eine langsame Gewichtsreduktion anzustreben nicht nur durch Diät, sondern auch durch vermehrte körperliche Aktivität (2). Fastenkuren sind ungeeignet, weil sie durch die Ketoazidose Anfälle provozieren.

Generell sind Zurückhaltung mit tierischen Eiweissen und vermehrter Konsum von Milchprodukten zu empfehlen. Fleisch und Innereien, aber auch Fisch und Meeresfrüchte enthalten viele Purine und sollten daher mit Zurückhaltung gegessen werden. Vermehrter Konsum von Milchprodukten senkt hingegen die Gichtinzidenz. Milchproteine (Casein, Lactalbumin) begünstigen die Ausscheidung der Harnsäure (11).
Die Trinkmenge sollte mindestens zwei Liter pro Tag betragen, um die Ausscheidung der Harnsäure zu unterstützen. Geeignet sind zuckerlose, nicht alkoholische Getränke (10).

Von den alkoholischen Getränken ist in erster Linie Bier zu meiden. In zweiter Linie sollte der Konsum von Spirituosen eingeschränkt werden. Alkohol erhöht die Harnsäureproduktion und hemmt vor allem die Harnsäureausscheidung; Bier (auch alkoholfreies) enthält zudem viele Purine. Moderater Weinkonsum hingegen erhöht die Gichtinzidenz nicht signifikant (12).

Den Harnsäurespiegel erhöhen alle Getränke, die Fruktose enthalten; dies betrifft sowohl Fruchtsäfte (z. B. Orangensaft, Süssmost, Multivitaminsäfte) als auch sämtliche Limonaden, die freie Fruktose bzw. Saccharose als Süssstoff enthalten (13).

Regelmässiger Kaffeekonsum (mehr als vier Tassen pro Tag) vermindert die Gichtinzidenz. Dies gilt in geringerem Ausmass auch für koffeinfreien Kaffee, nicht hingegen für Tee. Postuliert wird eine Hemmung der Xanthinoxidase durch Inhaltsstoffe des Kaffees (14).

Anpassung der Hypertonietherapie

Die essenzielle arterielle Hypertonie per se und die Anwendung von Diuretika sind assoziiert mit Hyperurikämie und Gicht. Die Serumharnsäure steigt unter tief dosierten Thiaziden aber nur relativ gering. Der Angiotensin-1-Antagonist Losartan (Cosaar®) hingegen vermag die Serumharnsäure durch einen urikosurischen Effekt zu senken; Voraussetzung ist natürlich eine ausreichende Nierenfunktion (15, 16). Generell ist zu empfehlen, in der Hypertonietherapie falls möglich auf Diuretika zu verzichten und bevorzugt Losartan einzusetzen (2).

Pharmakologische Harnsäuresenkung

Behandlungsindikationen sind mindestens zwei Anfälle pro Jahr, Tophi, konventionell radiologische Gelenkveränderungen, eine chronische artikuläre Entzündungsaktivität und eine assoziierte Niereninsuffizienz oder Nephrolithiasis (Tab. 3). Das Therapieziel ist eine Serumharnsäure unter 360 µmol/l. Ausnahme sind Patienten mit schwerer Gicht und insbesondere mit Tophi; bei diesen wird eine Harnsäure unter 300 µmol/l angezielt (2, 3).

Eine Hyperurikämie ohne sichere klinische Gichtmanifestationen ist generell keine Indikation für eine harnsäuresenkende Therapie (Tab. 3).

Urikostatika

Zur Harnsäuresenkung stehen die beiden Xanthinoxidasehemmer Allopurinol (Zyloric®) und Febuxostat (Adenuric®) zur Verfügung. Bei letzterem ist in der Schweiz die Limitatio (Spezialitätenliste) zu berücksichtigen, nämlich eine ungenügende Wirkung oder Unverträglichkeit von Allopurinol.

Allopurinol

Allopurinol hemmt die Xanthinoxidase, wodurch die Oxidation von Hypoxanthin in Xanthin und von Xanthin in Harnsäure vermindert wird. Dadurch stehen mehr Hypoxanthin und Xanthin zur Wiederverwertung im Purin-metabolismus zur Verfügung, was durch einen Feedback-Mechanismus die De-novo-Synthese von Purin herabsetzt. Nach Beginn mit Allopurinol sinkt die Serumharnsäure innerhalb von zwei Tagen und erreicht stabile Werte nach etwa zwei Wochen. Für den Erfolg einer Therapie mit Allopurinol sind ein langsames Einschleichen, eine Dosisanpassung an die Nierenfunktion und ein gezieltes Auftitrieren für eine optimale Harnsäuresenkung entscheidend. Früher wurde für Allopurinol eine Dosis von 300 mg/d empfohlen, und bei Niereninsuffizienz wurde die Dosierung nach Massgabe der geschätzten GFR angepasst (17). Der Serumharnsäure-Zielwert liess sich damit aber bei weniger als einem Drittel der Patienten erreichen (18). Heute werden niedrigere Anfangsdosierungen (Tab. 4) empfohlen (19), gefolgt von einem langsamen Auftitrieren in kleinen Schritten (max. 100 mg/d) von 3–4 Wochen bis etwa 800 mg/d. Auch bei Niereninsuffizienz dürfen so 300 mg/d überschritten werden. Es ist gut belegt, dass mit dieser Strategie mit «start low, go slow» das Risiko für ein Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom minimiert werden kann, auch wenn die Erhaltungsdosis höher als früher empfohlen ist (19, 20). Zudem kann mit «start low, go slow» auch die Häufigkeit von Schubrezidiven vermindert werden (Tab. 4).


Obwohl sich Allopurinol als stark toxisch erweisen kann, treten Nebenwirkungen generell selten auf. Wie unter allen harnsäuresenkenden Behandlungen kann es zu Beginn zu einer Häufung von Gichtschüben kommen, wenn keine antiinflammatorische Prophylaxe etabliert wird. Zu den milden, mit einer Häufigkeit von etwa 3–5 % bezifferten Nebenwirkungen gehören ein Exanthem, eine Leukopenie, eine Thrombopenie und eine Diarrhö. Schwere Reaktionen wie ein DRESS-Syndrom oder schwere Hautreaktionen sind sehr selten. Sie treten gehäuft auf bei Personen mit dem HLA-B*5801-Allel, chronischer Niereninsuffizienz und unter Thiazid- und Schleifendiuretika. Weitere schwere Nebenwirkungen umfassen eine Vaskulitis, ein Drug fever und eine interstitielle Nephritis (2, 3).

Schwere kutane Arzneimittelreaktionen (zum Beispiel toxische epidermale Nekrolyse, Stevens-Johnson-Syndrom und Epidermolyse) haben häufig Allopurinol als Ursache. Auch ein nur mildes Exanthem kann Vorbote einer Hypersensitivitätsreaktion auf Allopurinol sein. Zu Beginn einer Therapie sind die Patienten deswegen zu instruieren, sich beim Auftreten eines Hautausschlags rasch vorzustellen. Treten kurz nach Beginn einer Therapie mit Allopurinol ein Exanthem, eine Blasenbildung, Fieber, grippeartige Symptome (Myalgien, Arthralgien, Inappetenz, Fatigue), ein Angioödem, Photophobie, Mukositis oder eine periphere Eosinophilie auf, soll Allopurinol umgehend gestoppt werden. Die meisten Exantheme sind allerdings nur mild und klingen nach Dosisreduktion oder nach Aufhören von Allopurinol wieder ab. Die meisten mit Allopurinol assoziierten, schweren Hautreaktionen manifestieren sich innerhalb der ersten drei Monate; danach wird Allopurinol als Ursache unwahrscheinlich.

Allopurinol soll bei HLA-B*5801-positiven Patienten südostasiatischer (China, Thailand und Korea) und afrikanischer Herkunft vermieden werden, weswegen bei diesen Populationen eine genetische Testung vor Behandlungsbeginn empfohlen wird (2). Das DRESS-Syndrom ist eine Arzneimittelreaktion mit Eosinophilie und systemischen Symptomen, die ein erythematöses Exanthem, Fieber, Hepatitis, Eosinophilie und ein akutes Nierenversagen umfassen. Allopurinol ist die häufigste Ursache für ein DRESS-Syndrom; man spricht dann von einem Allopurinol-Hypersensitivitätssyndrom. Die Mortalität eines solchen reicht bis zu 25 %.

Bei Hautreaktionen wurden früher Desensibilisierungen vorgenommen; seit Febuxostat verfügbar ist, sind solche zumeist nicht mehr erforderlich. Allopurinol kann den immunsuppressiven und zytolytischen Effekt von 6-Mercaptopurin (Puri Nethol®) und Azathioprin (Imurek®) verstärken, welche partiell durch Xanthinoxidase metabolisiert werden. Allopurinol soll deswegen bei damit behandelten Patienten vermieden werden. Bei Patienten mit schwerer Gicht, die trotzdem Allopurinol benötigen, können diese Substanzen beginnend mit einem Viertel der empfohlenen Tagesdosis dennoch eingesetzt werden. Eine Knochenmarksuppression wurde auch bei Patienten unter alkylierenden Substanzen wie Cyclophosphamid beobachtet. Die gleichzeitige Anwendung von Aminopenicillinen erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein dadurch bedingtes Exanthem; insgesamt ist dieses Phänomen aber selten.

Febuxostat

Febuxostat (Adenuric®) hemmt ebenfalls die Xanthinoxidase. Begonnen wird mit maximal 40 mg/d. Bei Bedarf wird auf die zugelassene Tagesdosis von 80 mg/d erhöht. Falls nötig, kann weiter auf 120 mg/d gesteigert werden (Off-Label-Use). Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich.
Mögliche Nebenwirkungen von Febuxostat sind Leberfunktionsstörungen, Übelkeit, Arthralgien und sehr selten auch ein Exanthem (21). Vom Hersteller werden deswegen Kontrollen der Leberfunktion (Transaminasen) empfohlen. Hypersensitivitätsrektionen können auch unter Febuxostat auftreten; bei Patienten, die vorgängig eine Reaktion auf Allopurinol hatten, scheint das Risiko dafür höher zu sein.

In den klinischen Studien mit Febuxostat wurde eine höhere Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen beobachtet im Vergleich zu den Kontrollgruppen unter Allopurinol. Eine grosse, von der FDA verlangte Studie bei Patienten mit Gicht und einer kardiovaskulären Erkrankung ergab bei den beiden Studienarmen aber keinen Unterschied beim primären zusammengesetzten kardiovaskulären Endpunkt (22). Febuxostat ging im Vergleich zu Allopurinol aber mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Mortalität und Gesamtmortalität einher; es ergaben sich keine Unterschiede bei den drei anderen sekundären kardiovaskulären Outcomes (nicht letaler Myokardinfarkt, nicht letaler Stroke und Revaskularisation bei instabiler Angina).

Insgesamt ist die Interpretation aber schwierig (hohe Drop-out-Rate, keine unbehandelte Kontrollgruppe). Die FDA empfahl in der Folge, dass Febuxostat reserviert werden soll für Patienten, welche auf Allopurinol ungenügend ansprechen oder dieses nicht vertragen unter Berücksichtigung des kardiovaskulären Risikos. Die meisten Guidelines für die Gichttherapie haben dies übernommen. Weitere Post-Marketing-Studien konnten den Verdacht auf ein unter Febuxostat erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aber nicht erhärten.

Insbesondere ergab eine grosse europäische Post-Marketing-Studie bei über 60-jährigen Gichtpatienten, die unter Allopurinol standen, dass es nach einem Switch zu Febuxostat im Vergleich zur Fortsetzung von Allopurinol nicht zu einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos kam; ein Drittel dieser Patienten hatten die Anamnese eines vorangehenden kardiovaskulären Ereignisses (23). Dennoch nahm die FDA seither keine Änderung ihrer Warnung vor. Wegen der Kontroverse ist eine gemeinsame Entscheidungsfindung («shared decision making») wichtig, wenn Febuxostat bei Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren eingesetzt wird.

Die Therapiestrategie «start low, go slow» gilt auch für Febuxostat, da darunter – wie immer bei einer raschen Harnsäuresenkung – zu Beginn eine Häufung von Gichtschüben beobachtet wird.

Urikosurika

Probenecid (Santuril®) ist das einzige in der Schweiz verfügbare Urikosurikum. Für eine ausreichende Wirkung sollte die geschätzte GFR über 50 liegen. Bei einer Nephro­lithiasis ist Probenecid natürlich kontraindiziert. Ausgehend von 2 x 250 mg/d wird nach Massgabe des Harnsäurespiegels schrittweise langsam auf max. 2 x 1500 mg/d gesteigert. Unter der Therapie ist auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten (2, 3). Probenecid kann natürlich mit einem Xanthinoxidasehemmer kombiniert werden. Leicht urikosurisch wirken auch Losartan (Cosaar®) als einziger AT1-Antagonist, Atorvastatin (Sortis®) als einziges Statin, der Lipidsenker Fenofibrat (Lipanthyl®) und Vitamin C (über 500 mg/d) (16, 24, 25).

Urikolytika

In therapierefraktären schweren Fällen kann rekombinante Urikase eingesetzt werden. In der Schweiz ist aber nur ein Off-Label-Use von Rasburicase (Fasturtec®) möglich. Diese ist zugelassen für die Prophylaxe einer akuten Niereninsuffizienz bei Patienten mit hämatologischen Neoplasien und Risiko einer raschen Tumorlyse zu Beginn der Chemotherapie, welche den Harnsäurespiegel sehr rasch stark ansteigen lässt, was zur Ausfällung von Harnsäurekristallen in den Nierentubuli und dadurch zu einem Nierenversagen führt. Rasburicase katalysiert als sehr starkes Urikolytikum die enzymatische Oxidation von Harnsäure zum wasserlöslichen Allantoin, welches leicht über die Nieren ausgeschieden werden kann (26) (Tab. 5).

Management der Komorbiditäten

Bei Gicht ist die kardiovaskuläre Sterblichkeit erhöht (28), vor allem aufgrund der häufigen Komorbiditäten, nämlich Adipositas, Niereninsuffizienz, arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus und Dyslipidämien. Diese Begleiterkrankungen und auch ein allfälliger Alkoholabusus sind deswegen gezielt zu suchen und anzugehen (29).

Dr. med. Adrian Forster

Rheumatologie und Rehabilitation
Schulthess Klinik
Lengghalde 2
8008 Zürich

adrian.forster@kws.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Gicht und Ernährung

Einleitung

Die Gicht wird traditionellerweise mit extensiver Nahrungszufuhr, Fleischkonsum und Alkoholexzessen in Verbindung gebracht. Schon im 19. Jahrhundert wurde eine Reduktion der Purineinnahme sowie des Alkoholkonsums empfohlen.

Auch in den aktuellen Guidelines zum Management der Gicht werden Alkoholkarenz sowie Reduktion des Fleisch- und Meeresfrüchtekonsums empfohlen, zusätzlich beinhalten die Guidelines nun den Gewichtsverlust bei Übergewichtigen und die vermehrte Zufuhr von fettarmen Milchprodukten (1, 2).
Obwohl in den Guidelines enthalten, basieren die Richtlinien zur Ernährungsanpassung bei Gicht auf einer niedrigen Evidenzstufe. In den letzten Jahren wurden aber wichtige Forschungsarbeiten publiziert, die die Evidenz verbessern konnten (3).

Es ist zu bedenken, dass die Ernährung bei Patientinnen und Patienten mit Gicht bedeutend ist, weil die Gicht oft nur die Spitze des Eisbergs der bestehenden Krankheiten darstellt: Sehr häufig sind arterielle Hypertonie (75 %), Niereninsuffizienz (70 %), Übergewicht (53 %) und HerzKreislauf-Erkrankungen (10 %) sowie das metabolische Syndrom als Komorbiditäten zu finden (4).

Die Diät führt zwar bezüglich Harnsäuresenkung nur zu einer 10–15 %-igen Reduktion der Serumharnsäure (5), ist jedoch unter anderem aufgrund der Komorbiditäten eminent wichtig. In einer Metaanalyse, basierend auf 5 populationsbasierten Kohortenstudien, wurde der Effekt von einzelnen Nahrungsmitteln und Alkohol bzw. von Ernährungsformen wie die DASH-Diät auf die Harnsäuresenkung im Vergleich zu genetischen Varianten von häufigen gichtspezifischen Loci untersucht; hier ergab sich bei der DASH-Diät zwar eine signifikante Senkung der Serumharnsäure, jedoch in absoluten Zahlen nur eine Harnsäuresenkung von -0.72 μmol/l bzw. 0.38 %. Die häufigen genetischen Varianten von Gicht Loci trugen hingegen 23 % zur Harnsäuresenkung bei (6).

Allerdings spielen bei den bereits von Gicht betroffenen Patientinnen und Patienten noch andere Faktoren als der Serumharnsäurespiegel eine Rolle für die Aktivität der Erkrankung. Hier kann die Ernährungsadaptation zu positiven Effekten wie Verhindern der Entstehung von weiteren Harnsäurekristallen oder der Provokation von Schüben führen.

Die Assoziation des Mikrobioms des Darms und der Gicht wurde gezeigt (7). Das Mikrobiom wird massgeblich durch die Ernährungsform beeinflusst (8).

Noch immer ist die Gicht ungenügend behandelt und mit einer erhöhten Gesamtmortalität assoziiert (9). Neben der medikamentösen Therapie leistet die Ernährungsumstellung einen Beitrag zum günstigen Langzeitverlauf sowie kombiniert mit der medikamentösen Therapie zur Harnsäuresenkung und beeinflusst die oben beschriebenen Komorbiditäten positiv.

Ein weiterer Vorteil einer Ernährungsumstellung ist der direkte Einbezug von Patientinnen und Patienten in die Behandlung (patient empowerment).
Mittlerweile existieren mehrere Ernährungsformen, deren Vorteil bei Gicht gut belegt sind (10, 11). Allen diesen Di­äten ist eine vorwiegend vegetarische Ernährung gemein.

Da die Ernährungsumstellung bei Gicht immer mit der medikamentösen Therapie kombiniert wird, ist auf allfällige Interaktionen oder Nebenwirkungen zu achten. Komorbiditäten wie schwere Niereninsuffizienz oder Diabetes erfordern eine Adaptation der Ernährungsempfehlungen.
Ziel dieser Review ist es, kurz die neueren Erkenntnisse der Ernährung bei der Gicht zu beleuchten.

Die Rolle der Ernährung bei der ­Entstehung einer Gicht

Purine – Freund oder Feind

Purine sind wichtige Bausteine der Nukleinsäuren und werden vom menschlichen Körper selbst gebildet. Sie sind die molekularen Grundbausteine der zwei DNA-Basen Adenin und Guanin. Purin-Nukleotide sind Bausteine von signalübertragenden Stoffen wie cAMP oder cGMP, ferner von Energielieferanten wie ATP oder GTP.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Purine, die aus Nahrungsmitteln stammen, eine lebenswichtige Quelle von exogenen Nukleotiden und Harnsäure darstellen, unabdingbar für die Beibehaltung des Gleichgewichtes im Purin-Metabolismus der Säugetiere und somit auch des Menschen.

Der menschliche Organismus verfügt nicht mehr über die Fähigkeit, Purine zu Allantoin zu verstoffwechseln, da das Enzym Uricase im Verlauf der Evolution, wie bei anderen Primaten, verloren gegangen ist. Die Harnsäure ist somit das Endprodukt des Purinstoffwechsels, woraus höhere Harnsäurespiegel resultieren.
Somit sind einerseits die Purine lebensnotwendig und andererseits können sie bei vermehrtem Anfall via die Hyperurikämie zur Entstehung der Gicht beitragen.

Beitrag der Ernährung zur Hyperurikämie

Für die Entwicklung einer Hyperurikämie kann ein vermehrter Purinanfall ursächlich sein, entweder exogen durch alimentäre Faktoren oder zu zwei Dritteln endogen durch einen erhöhten Zellumsatz (12). Häufiger liegt jedoch eine verminderte Harnsäure-Exkretion, die zu ¾ renal bedingt ist, oder intestinal vor.

Exogener Purinanfall durch die Nahrung
Generell gilt: je zellreicher die Produkte, desto höher ist der Purinanteil. Ein vermehrter Konsum von tierischen Purinen (Fleisch und Fisch) führt zu einer erhöhten Prävalenz der Gicht, nicht aber ein erhöhter Konsum von pflanzlichen Purinen und Milchprodukten (13). Neuere Untersuchungen bez. unterschiedlichen Gehalts der Purinbasen haben Hinweise für die Ursachen dieser Unterschiede gefunden: Es ist entscheidend, welches Purin in den Nahrungsmitteln enthalten ist. Seit Längerem ist bekannt, dass Adenin und Hypoxanthin urikogener als Guanin und Xanthin sind. Mehr als 60 % aller Purine in pflanzlicher Nahrung und Milchprodukten setzen sich aus Adenin und Guanin zusammen, während Hypoxanthin > 50 % des Purinanteils in Fisch- und Fleischprodukten ausmacht (14).

Harnsäure-Exkretion
Via eine Reduktion der Insulinresistenz kann eine vorwiegend pflanzliche Diät die renale Clearance der Harnsäure verbessern.

Rolle der Ernährung bei der Entstehung der Harnsäurekristalle

Hier sind vor allem ein Milieu mit tiefem pH-Wert als Promoter einer Kristallisation anzusprechen; bez. der Ernährung ist der Alkoholkonsum ein Risikofaktor für eine Azidose (15).

Rolle des Mikrobioms

25 % der Harnsäure wird vom Darm exkretiert und durch das Darmmikrobiom weiter metabolisiert. Grosse Anstrengungen wurden unternommen, um die Verbindung zwischen Darmbakterien und Arthritis zu beleuchten. Bei der Gicht im Speziellen ist die Dysbiose der Darmbakterien und die folgende Immunreaktion gut untersucht. Die Ernährung hat einen direkten Einfluss auf die mikrobielle Zusammensetzung der Darmflora. So können Ernährungsformen, die reich an Fructose, Fett, Purinen oder Oxalsäure sind, zu Veränderungen der Zusammensetzung der Darmflora führen. Dies wurde in Tiermodellen sowohl bei Hyperurikämie wie bei Gicht gezeigt. Probiotika bzw. eine Ernährung, die zu einem gesunden Gleichgewicht der Darmbakterien führt, werden noch erforscht und könnten zukünftige Therapieansätze bilden (16).

Ungünstige Ernährungsformen

Fructosereiche Diät
Das Risiko, an Übergewicht, Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen und metabolischem Syndrom zu erkranken, steigt mit der erhöhten Zufuhr von gesüssten Getränken (17) oder anderen Nahrungsmitteln mit hohem Zuckeranteil.

Insbesondere die Fructose wurde in letzter Zeit mit der Hyperurikämie in Verbindung gebracht. Fructose ist ein Monosaccharid, das in Früchten, Gemüsen und Honig von Natur aus vorhanden ist.

Es ist aber auch ein in der Herstellung billiger und potenter Süssstoff, der von der Industrie häufig verwendet wird. Fructose enthält gleich viele Kalorien pro Gramm wie Glucose, ist aber doppelt so süss. Eine hohe Fructosezufuhr ist einer der Gründe für die hohe Prävalenz der Hyperuri­kämie und Gicht (Zunahme der Fructoseeinnahme z. B. in den USA von 25 g auf 80 g/Tag). Der Fructosemetabolismus aktiviert das Enzym Adenosin Monophosphat Deaminase, das eine Degradation der Purine zu Inosin und schlussendlich zur vermehrten Entstehung von Harnsäure führt. Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass mit Fructose gefütterte Tiere ein metabolisches Syndrom entwickelten, nicht aber mit Dextrose gefütterte Tiere.

Durch medikamentöse Senkung der Harnsäure konnte das metabolische Syndrom revertiert werden (18). Ein enger Zusammenhang zwischen Hyperurikämie, metabolischem Syndrom und Fructosezufuhr scheint zu bestehen. Die in den Früchten enthaltene Fructose ist als vorteilhafter zu betrachten, da weitere Nahrungsbestandteile wie Pflanzenfasern, Vitamine, Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe eine günstige Wirkung entfalten. Als vorteilhaft werden Äpfel, Birnen, Wassermelonen und Mangos beschrieben. Besonders ungünstig scheint die ungepaarte oder freie oder überschüssige Fructose ohne gleichzeitiges Vorhandensein von Glucose (Fructose und Glucose bilden das Disaccharid Saccharose) zu sein. In den aktuellen Süssgetränken (Quotient über 1.2 : 1) ist dies über das empfohlene Mass hinaus der Fall (19).

Ein übermässiger Fructosekonsum führt zudem zu einer Leptinresistenz, was das Sättigungsgefühl im Gegensatz zur Glucoseaufnahme reduziert.
Auch das relative Risiko, an einer Gicht zu erkranken, vergrösserte sich bei einer nur 5 %-igen Steigerung der Zufuhr an Kohlehydraten aus freier Fructose auf 2.1, bei entsprechender Steigerung der Gesamtfructose auf 1.52 (20).

Fettreiche Diät
Eine erhöhte Zufuhr von Fetten kann eine Anhäufung von Triglyceriden bewirken, die einen erhöhten Fettanteil der Gewebe und Übergewicht nach sich zieht. In einer Studie mit 14 000 Teilnehmern war Übergewicht/Adipositas in 60 % der Fälle mit Hyperurikämie verbunden, häufiger als Alkoholkonsum (21). Es wird angenommen, dass die Lipidstoffwechselstörung den Purinmetabolismus anfeuert, indem die Aktivität der Xanthin-Oxidase getriggert wird.

Die Harnsäure kann die Lebersteatose (NAFLD) und die Insulinresistenz mittels Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms verstärken (22).
Diäten mit hohem Fettanteil können mittels Freisetzung von freien Fettsäuren in Anwesenheit von Harnsäurekristallen zu vermehrten Gichtschüben via Freisetzung von Interleukin-1β führen (23). Eine Ernährung mit hohem Fettanteil resultiert ferner in einer Dysbiose der Darmflora, was ebenfalls zu einer Verschlechterung der Gichtarthritis führen kann.

Streng Purin-arme Diät
Seit nahezu 200 Jahren wurde bei Gicht eine purinarme Diät empfohlen. Es zeigte sich nun, dass dies Nachteile mit sich bringt, da das Ersetzen der proteinreichen Ernährung oft mit vermehrtem Kohlehydratkonsum, insbesondere mit hoher Fructosezufuhr und entsprechenden Nachteilen einhergeht.
Viel wichtiger als die absolute Menge an Purinen ist die günstige Zusammensetzung der Purinbasen. Purine aus tierischen Quellen sind reich an Hypoxanthin, welches urikogener ist als andere Purinbasen. Eine vorwiegend pflanzliche Ernährung bietet hier Vorteile.

Klassische westliche Diät
Diese Ernährungsweise enthält einen grossen Anteil tierischer Produkte und prozessierte Kohlenhydrate, ist jedoch arm an Vollkornprodukten, Früchten und Gemüse.

Erhöhter Alkoholkonsum
Alkohol kann zu einem Konzentrationsanstieg der Harnsäure führen, indem es den Purinstoffwechsel ankurbelt und die Exkretion der Harnsäure im Urin reduziert.

Aus Querschnittsuntersuchungen ist bekannt, dass erhöhter Alkoholkonsum, v. a. Bier (inklusive Malzgehalt), aber auch Spirituosen, den Harnsäurespiegel im Vergleich zu geringerem Alkoholkonsum erhöht, z. B. um 9.66 μmol/l bei einem zusätzlichen Drink pro Tag (6). Eine longitudinale Analyse von Registerdaten aus Japan zeigte hingegen nur eine sehr geringe Senkung des Harnsäurespiegels bei Reduktion oder Sistieren des Alkoholkonsums. Auch in dieser Studie wurde der stärkste Effekt bei der Reduktion des Bierkonsums gesehen (24).

Das Risiko, eine Gicht zu entwickeln, ist bei Patientinnen und Patienten mit Alkoholkonsum erhöht. In einer rezenten Metaanalyse ergab sich ein RR von 1.21 für jede 10 g Alkohol pro Tag (25).

Übergewicht und Adipositas
Die Reduktion des Übergewichts kann zu einer Reduktion der Serumharnsäure führen, ohne dass eine spezifische Gichtdiät befolgt wird (12). Studien zeigten ähnliche Resultate. Dies unterstützt die Evidenz, dass Patientinnen und Patienten mit Gicht und Übergewicht, zusätzlich zur Befolgung ihres Ernährungsplanes, eine Gewichtsreduktion anstreben sollten.

Eine kürzlich publizierte prospektive Beobachtungsstudie über 2 Jahre aus Norwegen konnte zeigen, dass Gichtpatientinnen und -patienten mit hohem Taillenumfang oder erhöhten LDL-Werten ein schlechteres Outcome bez. Erreichen der Harnsäurezielwerte oder Schüben hatten (26).

Ernährungsformen bei Gicht

Im Wesentlichen werden 2 Diäten bei Gicht empfohlen: einerseits die DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension), andererseits die Mittelmeerdiät (27) (Tab. 1). Beide sind charakterisiert durch einen hohen Anteil an frischen Gemüsen und Früchten, vermehrten Fasergehalt, Reduktion der gesättigten Fette und Erhöhung der ungesättigten Fette.

Merkmale der DASH-Diät
• viel Gemüse und Obst, fettarme Milchprodukte – weniger tierische Fette und Zucker
• Reduktion des Salzkonsums auf 1 Teelöffel pro Tag
• Verwendung von Vollkornprodukten
• Fleisch ist erlaubt, empfohlen werden aber pflanzliche Proteinlieferanten wie Hülsenfrüchte
Die Senkung der Serumharnsäure unter einer DASH-Diät konnte gezeigt werden (5). Die Senkung des Risikos, an einer Gicht zu erkranken, konnte anhand einer Analyse von 44 654 Männern (prospective Health Professionals Follow-up Study) gezeigt werden. Es wurde die DASH-Diät (eigentlich speziell auf die Behandlung von Bluthochdruck zugeschnittene Diät) angewendet, auf Alkohol verzichtet und keine Diuretika eingenommen. Mehr als 50 % des Neuauftretens von Gicht konnte verhindert werden (28). Allerdings traf dies nicht auf übergewichtige Patientinnen und Patienten zu, welche keine signifikante Risikoreduktion erreichten.

Merkmale der Mittelmeerdiät (10)
Im Mittelpunkt der Mittelmeerdiät stehen Getreide (Brot, Hafer, Vollkorngetreide, Grütze), Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte, die täglich verzehrt werden sollten. Diese Lebensmittel sind reich an Ballaststoffen und Antioxidantien (vor allem, wenn sie saisonal sind). Der Verzehr von Olivenöl ersetzt andere Formen von gesättigten Fetten wie tierische Butter und Margarine. Milchprodukte, insbesondere Joghurt und Käse, können in grosser Menge sogar täglich verzehrt werden, während der Verzehr von Fisch und Geflügel (magere tierische Produkte) bis zu zweimal pro Woche empfohlen wird. Eier können bis zu 4–7 pro Woche verzehrt werden. Wenn man in der Ernährungspyramide nach oben geht, gibt es Lebensmittel, die monatlich in kleinen Mengen verzehrt werden sollten, wie z. B. rotes Fleisch. Wenn keine anderen Probleme mit dem Alkoholkonsum verbunden sind, liegt die Obergrenze bei 2 Gläsern/Tag für Männer und 1 Glas/Tag für Frauen. Rotwein wird wegen seines Gehalts an Flavonoiden und Antioxidantien bevorzugt. In letzter Zeit wurde hier vor allem die Empfehlung, Alkohol zu konsumieren, kritisiert, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit Gicht.
Die ideale Gichtdiät sollte den Harnsäurespiegel senken, die Zahl der Gichtschübe reduzieren, das Körpergewicht im Auge behalten und der Prophylaxe von Gicht-assoziierten Erkrankungen dienen.

Dr. med. Barbara Ankli

Rheumazentrum Basel
Centralbahnstrasse 11
4051 Basel

b.ankli@hin.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Ernährung bei der Gicht ist komplex
• Reine Reduktion der Purineinnahme nicht ausreichend
• Aufgrund der Komorbiditäten Diätempfehlungen gerechtfertigt (kardiovaskuläre Erkrankungen)
• Die empfohlenen Diäten sind pflanzlich basiert.
• Das Mikrobiom unterscheidet sich bei Patientinnen und Patienten mit Gicht von Gesunden.
• Als ungünstige Diäten gelten mittlerweile die fructosereiche und die fettreiche Diät.
• Zentrale Rolle der Fructose bei der Hyperurikämie

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Bildgebung bei Kristallarthropathien

Einleitung

Die Verwendung radiologischer Methoden zur Diagnose von Kristallarthropathien reicht zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist seither laufend im Wandel. Waren es zu Beginn nahezu ausschliesslich Verkalkungen, welche als direkte Auswirkung von Kristalldeposition in Gelenken beschrieben wurde, beschränkte sich die Dia­gnostik zu Anfangszeiten daher auch auf die Detektion solcher Verkalkungen mittels konventioneller Radiographie. Beispielsweise beschrieb Calthrop bereits 1946 die Dia­gnose von Gicht mittels Röntgenbildgebung (1).

Die zunehmende Komplexität der bildgebenden sowie mikroskopischen Methoden führte insbesondere in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend dazu, dass sowohl verschiedene Arten von Kristalldepositionen in ein und demselben Gelenk nachweislich koexistent sein können als auch sehr subtile Weichteilveränderungen bereits lange vor bildgebender manifester Deposition makrosko­pischer Verkalkungen mittels moderner Radiodiagnostik detektiert werden. In Kombination mit rasenden Entwicklungen auf dem Gebiet der Therapie von Kristallarthropathien und ihren zugrunde liegenden Systemerkrankungen resultierte daher eine zunehmend differenzierte Ansicht und Interpretation an Bildbefunden, verglichen zum «State of the Art» noch vor wenigen Jahren. Erkenntnisse um verschiedene Gruppen führten dazu, dass reine Bildbefunde zunehmend im gesamten Kontext der Systemerkrankung gesetzt und so radiologisch interpretiert werden sollten. Eine Abhilfe zum besseren Verständnis von Kristallarthropathien und ihren radiologischen Befunden liefern die unregelmässig erscheinenden Guidelines und Empfehlungen hinsichtlich Bildgebung bei Gicht und anderen Kristall­arthropathien der European League Against Rheumatism (EULAR), an welchen jeweils ein breites Konsortium an rheumatologischen, radiologischen und anderen Autorinnen mitwirken. Die neuesten Empfehlungen aus dem Jahr 2023 beleuchten zunehmend auch die Relevanz neuartiger Modalitäten und unterstützender Mechanismen, beispielsweise auf multispektraler Schnittbildgebung (2).

In den nachfolgenden Kapiteln werden einerseits grund­legende technische Aspekte der verschiedenen radiologischen Modalitäten beleuchtet sowie andererseits Vorteile und Limitationen diskutiert. Abschliessend werden alle relevanten Subtypen von Kristallarthropathien gesondert diskutiert und diagnostische Möglichkeiten und typische Zeichen für die jeweilige Erkrankung erörtert. Abschliessend widmet sich dieser Artikel den neuesten Empfehlungen der European League Against Rheumatism (EULAR) und fasst diese einfach und mit Fokus auf praxisrelevante Informationen zusammen.

Radiologische Modalitäten bei ­Kristallarthropathien

Konventionelle Radiographie

Das konventionelle Röntgen bleibt die am weitesten verbreitete Bildgebungstechnik bei der Erstbeurteilung von Gelenkerkrankungen. Aufgrund der breiten Verfügbarkeit und guten Kosteneffizienz werden Röntgenbilder weiterhin in der Abklärung von Arthropathien üblicherweise frühzeitig und niederschwellig als erste bildgebende Me­thode eingesetzt. Die Röntgenbildgebung nutzt ionisierende Strahlung, um Bilder der inneren Strukturen des Körpers zu erstellen. Wenn Röntgenstrahlen den Körper durchdringen, werden sie je nach Dichte in unterschiedlichen Mengen von verschiedenen Geweben absorbiert. Knochen, die Kalzium enthalten, absorbieren mitunter den grössten Anteil der Strahlung und erscheinen auf Röntgenfilmen daher besonders deutlich, während Weichteile weniger absorbieren und in verhältnismässig ähnlichen Grautönen erscheinen. Dieser Kontrast ermöglicht die Visualisierung insbesondere von Skelettstrukturen und anderen kalziumbasierten Strukturen bzw. Gewebetypen mit hoher Ordnungszahl. Röntgenaufnahmen eignen sich besonders gut zur Aufdeckung fortgeschrittener, chronischer Gelenk­veränderungen, die von Kristallarthropathien betroffen sind (3). Typische Befunde chronischer Gelenkdegeneration sind u.a. eine Verengung des Gelenkraums und subchondrale Sklerose (erhöhte Knochendichte unter dem Knorpel). Bei Kristallarthropathien kann insbesondere die Deposition von röntgendichten Kristallen in Projektion auf den Gelenkspalt diagnostisch wegweisend sein. Hinzu kommen z. B. bei fortgeschrittenen Fällen der Gicht Weich­teilmassen, welche mit unterschiedlichem Verkalkungsgrad um Gelenke als sogenannte Tophi detektierbar sind.

Bei diagnostizierten Kristallarthropathien ist die langfristige Überwachung des Krankheitsverlaufs von entscheidender Bedeutung. Röntgenaufnahmen werden häufig verwendet, um das Fortschreiten von Gelenkschäden im Laufe der Zeit zu verfolgen. Regelmässige Bildgebung kann helfen, die Wirksamkeit von Behandlungen zu beurteilen, indem sie das Ausmass von Gelenkschäden und anderen strukturellen Veränderungen über Zeiträume hinweg vergleicht. Die strukturellen Erkenntnisse der Röntgenbildgebung helfen bei der Planung medizinischer oder chirurgischer Behandlungen. Beispielsweise kann eine erhebliche Gelenkschädigung Anlass zu Überlegungen zu einem chirurgischen Eingriff geben. Ebenso können Anzei­chen einer akuten Verschlechterung zu Anpassungen der pharmakologischen Behandlung führen, um die Krankheit besser zu bewältigen. Die Röntgenbildgebung bietet insge­samt mehrere Vorteile, die sie zu einem wertvollen Instrument bei der Behandlung von Kristallarthropathien macht. Röntgengeräte sind in medizinischen Einrichtungen allgegenwärtig und machen diese Form der Bildgebung für die meisten Patienten zugänglich. Die Auswertung und Interpretation sind quasi in Echtzeit möglich. Diese Modalität ist meist kostengünstiger als andere bildgebende Verfahren, was sie zu einer effizienten Option sowohl für Erstdiagnose als auch für Monitoring bzw. Nachsorge macht.

Diesen Vorteilen steht insbesondere die reduzierte Darstellungsmöglichkeit von Weichteilstrukturen entgegen. Röntgenstrahlen sind oft nicht in der Lage, frühe Stadien von Kristallablagerungen und Entzündungen zu erkennen, welche strukturellen Schäden vorausgehen. Hinzu ist formal in der wiederholten Exposition gegenüber Röntgenstrahlen mit ionisierender Strahlung Sparsamkeit geboten, da diese möglicherweise schädliche Wirkungen birgt und somit eine sorgfältige Abwägung der Häufigkeit der Applikation indiziert ist («As Low As Reasonably Achievable») (4). Insgesamt ist jedoch die angewandte Dosis im Rahmen von Röntgenuntersuchungen des Extremitätenskeletts verhältnismässig gering.

Ultraschall

Medizinischer Ultraschall oder Sonographie nutzt hochfrequente Schallwellen, in der muskuloskelettalen Bildgebung üblicherweise zwischen 12 und 24 MHz, um Bilder oberflächlicher Weichteilstrukturen zu erstellen. Die Schallwellen werden von einer Sonde ausgesendet und beim Auftreffen auf verschiedene Gewebe reflektiert. Dadurch können Organe, Muskeln und Gelenke sichtbar gemacht werden. Im Bereich der Rheumatologie ist Ultraschall aufgrund seiner Fähigkeit, Echtzeitbilder von Weichgewebe zu lie­fern, zu einem Werkzeug von immensem Wert geworden.

Kristallarthropathien sind durch die Ablagerung von Kristallen in und um die Gelenke gekennzeichnet. Diese Ablagerungen führen zu Entzündungen und degenerativen Veränderungen, die sich im Ultraschall hervorragend darstellen lassen. Seine hohe Auflösung ermöglicht die Visualisierung von diagnostischen Zeichen von Depositionen in und um Gelenke. Diese Merkmale werden typischerweise als echoreiche (helle) Verstärkungen auf Ultraschallbildern dargestellt. Über die Kristallerkennung hinaus hilft Ultraschall dabei, den Entzündungsgrad im Weichteilgewebe zu beurteilen. Eine Synovialhypertrophie, ein erhöhter Blutfluss durch das Dopplersignal und Gelenkergüsse können als Hinweise auf eine aktive Ent­zündung sichtbar gemacht werden (5). Im Laufe der Zeit führen wiederholte Entzündungen zu Gelenk- und Weich­teilschäden, die auch mittels Ultraschallbildgebung überwacht werden können. Der Einsatz von Ultraschall bei Kristallarthropathien geht allerdings über die Diagnostik hinaus. Er ist hilfreich bei gezielten Interventionen, z. B. Gelenkaspirationen und Injektionen. Die Echtzeitbildgebung ermöglicht eine präzise Platzierung der Nadeln, was die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Verfahren erhöht.

Während Röntgenstrahlen und MRT auch bei der Dia­gnose und Überwachung von Kristallarthropathien ein­gesetzt werden, bietet Ultraschall mehrere entscheidende Vorteile. Ultraschall liefert sofortiges visuelles Feedback, welches für die Beurteilung der dynamischen Gelenkfunktion und die Wahl der Behandlung von entscheidender Bedeutung ist. Im Gegensatz zu Röntgenstrahlen ­kommt beim Ultraschall keine ionisierende Strahlung zum Einsatz, was die wiederholte Anwendung sicherer macht und sich besonders für gefährdete Bevölkerungsgruppen wie schwangere Frauen und junge Menschen eignet. Die kostengünstige und mobile Verfügbarkeit ist ein klarer Vorteil gegenüber MRT- und CT-Geräten. Demgegenüber steht als besondere Herausforderung die Abhängigkeit der Untersuchungsqualität vom Bediener sowie die begrenzte Durchdringung in tiefere Gewebeschichten beispielsweise bei adipösen Patienten (6).

Computertomographie

Bei der Computertomographie (CT) werden mehrere Röntgenmessungen aus unterschiedlichen Winkeln kombiniert, um Querschnittsbilder des Körpers zu erstellen. Diese Bilder können dann digital zusammengesetzt werden, um ein dreidimensionales Bild der inneren Strukturen des Patienten zu erstellen. Diese Methode ermöglicht eine aussergewöhnliche Detailgenauigkeit, insbesondere der Knochen, und liefert gleichzeitig wichtige Einblicke in den Zustand des Gewebes rund um die Gelenke. Bei Kristallarthropathien ist die CT wertvoll, da sie winzige Veränderungen in der Knochenstruktur erkennen und Kristallablagerungen sichtbar machen kann, die auf Standardröntgenaufnahmen möglicherweise nicht erkennbar sind. CT-Scans sind effektiv bei der Identifizierung von Erosionen und Verkalkungen, die bei fortgeschrittenen Kristallarthropathien typisch sind (7). Selbst kleine Tophi und verkalkte Ablagerungen im Weichteilmantel können erkannt werden und so einen Hinweis auf das Ausmass einer Erkrankung geben.

Im Vergleich zum Röntgen bietet das CT eine bessere Beurteilung der Knochenintegrität und des Gelenkraums, insbesondere in komplexen anatomischen Regionen wie der Wirbelsäule und dem Becken, die bei Projektionsaufnahmen mittels Röntgen sonst durch Überlagerungen limi­tiert beurteilbar sind. Detaillierte CT-Bilder sind darüber hinaus bei Planung chirurgischer Eingriffe von hohem Wert, da dreidimensionale Rekonstruktionen helfen, die genaue anatomische Anordnung und das Ausmass der Schädigung zu verstehen, was für erfolgreiche chirurgische Ergebnisse von entscheidender Bedeutung ist. Die CT lie­fert detailliertere Bilder von Knochen und Weichteilgewebe als die herkömmliche Radiographie, was in komplexen Fällen, in denen präzise anatomische Details erforderlich sind, besonders nützlich ist. Moderne CT-Scans sind schnell durchgeführt und in der Schweiz gut verfügbar. Im Vergleich zum konventionellen Röntgen bedeuten CT-Untersuchungen signifikant höhere angewandte Strahlendosen, was bei wiederholter Anwendung ein theoretisches Risiko darstellt. Bei der Erkennung früher Weichteilveränderungen sind CT-Scans darüber hinaus technisch bedingt Methoden wie MRT und Ultraschall unterlegen. Hinzu kommt, dass CT-Scans im Allgemeinen teurer sind als Röntgenaufnahmen und in kleineren medi­zinischen Einrichtungen bzw. bei Erstdiagnostik kaum zum Einsatz kommen.

Dual-Energy-basierte und Photon-Counting-­Detektor Computertomographie

Fortschrittliche CT-bildgebende Verfahren verwenden unterschiedliche Röntgenenergiespektren, um zwischen Materialien ähnlicher Dichte, aber unterschiedlicher Atomzusammensetzung zu unterscheiden. Die sogenann­te Dual-Energy CT (DECT) kann Bilder erstellen, die von zwei unterschiedlichen Röntgenenergiespektren stammen. Mittels komplexer Nachbearbeitung und Spezialsoftware ist im Nachhinein möglich, Aussagen über die atomare Zusammensetzung von Materialien zu treffen (8, 9). Die DECT kann insbesondere urathaltige Ablagerungen von anderen, vorwiegend kalziumbasierten Verkalkungen unterscheiden, indem die Materialzusammensetzung anhand der Schwächungsprofile bei unterschiedlichen Energien charakterisiert wird. Diese sogenannte Möglichkeit der Materialdifferenzierung zwischen verschiedenen Arten von Kristallen und anderen Substanzen im Gewebe ist einzigartig für Multi-Energie-CT-Methoden. In jüngster Vergangenheit sind zusätzlich Photonenzähldetektoren (PCD) in der CT-Bildgebung (PCD-CT) als vielverspre­chende Technologie aufgekommen (10). Dadurch kann die Bildqualität im Vergleich zum herkömmlichen CT deutlich verbessert werden, sodass hochauflösende Bilder bei geringerer Strahlendosis produziert werden. Auch hier ist Materialdifferenzierung durch Auswertung von Bildern verschiedener Röntgenenergiespektren möglich (11).

Magnetresonanztomographie

Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein komple­xes Bildgebungsverfahren, das den Ansatz zur Diagnose und Behandlung verschiedener Erkrankungen des Bewegungsapparates, einschliesslich Kristallarthropathien, ebenfalls verändert hat. Die MRT nutzt starke Magnete und Radiowellen, um detaillierte Bilder von Organen und Geweben im Körper zu erzeugen. Im Gegensatz zu Röntgen- oder CT-Scans ist die MRT nicht auf ionisierende Strahlung angewiesen, was sie auch bei wiederholter Anwendung unbedenklich macht. Sie liefert hochauflösende Bilder von Weichgeweben wie Muskeln, Sehnen, Bänder und Knorpel sowie Knochenmark. Mit Hinblick auf Kristallarthropathien ist die MRT effektiv bei der Identifizierung früher und subtiler Veränderungen des periartikulären Weichteilgewebes, die mit diesen Erkrankungen einhergehen. Die Empfindlichkeit der MRT ermöglicht es, frühe entzündliche Veränderungen in Weichteilen und Syno­vialmembranen sowie Knochenmarködeme zu erkennen, lange bevor diese Veränderungen auf Röntgen- oder CT-Scans sichtbar werden. Diese Früherkennungsfähigkeit ist entscheidend für den Beginn einer Behandlung, bevor es zu erheblichen Gelenkschäden kommt. Mit der MRT können Ablagerungen von Kristallen wie Mononatrium­urat und Calciumpyrophosphat sichtbar gemacht werden. Während die Kristalle selbst nicht immer sichtbar sind, sind die Entzündungen und Gewebeveränderungen, die sie hervorrufen, auf MRT-Scans deutlich erkennbar und teils fast pathognomonisch (12). Die MRT eignet sich hervorragend zur Beurteilung der Integrität von Gelenkstrukturen, einschliesslich Knorpelverlust, Knochenerosion und Synovialproliferation. Diese Merkmale sind entscheidend für die Beurteilung der Schwere der Erkrankung und die Überwachung des Fortschreitens oder des Ansprechens auf die Behandlung.

Demgegenüber stehen primär die hohen Kosten von MRT-Untersuchungen sowie die verhältnismässig redu­zierte Verfügbarkeit von MRT-Geräten. Die Durchführung von MRT-Scans dauert ausserdem auch deutlich länger als andere Modalitäten und findet in einer engen langen Röhre im Liegen statt. Dies stellt insbesondere für Patienten, die Schmerzen oder Schwierigkeiten, ruhig zu bleiben, haben, ein Problem dar. Darüber hinaus ist die Anwendung bei bestimmten Patientengruppen, beispielsweise Trägern von Herzschrittmachern, aufgrund der starken Magnetfelder nur eingeschränkt möglich.

Bildgebung bei Kristallarthropathien

Gicht

Gicht ist die klinisch symptomatische Form einer längerfristigen Ablagerung von Uratkristallen (üblicherweise Mononatriumurat) in Gelenken und anderen Weichteilgeweben. Mit einer Prävalenz von etwa 1 bis 6 % mit vermehrter Häufigkeit in den westlichen Ländern sowie einzelnen Ethnien ozeanisch-pazifischer Herkunft stellt die Gicht die häufigste Form der entzündlichen Arthritis dar. Das aktuelle Stufenkonzept des Krankheitsverlaufs der Gicht versteht, dass Uratdeposition bereits vor der klinischen Manifestation einer Gicht inkl. typischen «Flares» und Tophus-Bildung stattfindet.

Daher und aufgrund des Fakts der häufigen Fehldiagnose oder verzögerten Diagnose einer Gicht respektive Hyperurikämie wird der Bildgebung seit knapp zwei Jahrzehnten eine immer wichtiger werdende Rolle in der Frühdiagnostik zugewiesen. Im Jahr 2016 erschienen mit einer EULAR- Richtlinie evidenzbasierte Empfehlungen für die Diagnose von Gicht, welche neben der Aspiration von Synovialflüssigkeit und klinischen Merkmalen auch bildgebenden Me­thoden zur Erkennung einen diagnostischen Stellenwert attestierten (13). Im Jahr 2018 sowie in den aktuellen Empfehlungen zur Verwendung von Bildgebung bei Kristallarthropathien wurden diese bildgebenden Kriterien weiter spezifiziert sowie neuere Methoden wie DECT explizit genannt (2, 13). Röntgenaufnahmen können in den frühen Stadien der Erkrankung unauffällig sein. Im fortgeschrittenen Stadium zeigen sich typische radiologische Zeichen wie gelenknahe Erosionen mit überhängenden Rändern, auch «rat bites» genannt. Diese Erosionen sind oft asymmetrisch und können von Weichteilschatten begleitet sein, die auf die Ablagerung von Tophi hinweisen. Tophi sind aggregierte Ablagerungen von Uratkristallen, die oft in den Weichteilen um die Gelenke herum sichtbar sind. Diese äussern sich meist durch wolkenartige Verdichtungen.

Der Ultraschall hingegen ist bereits sensitiv zur Detektion von Gicht in frühen Stadien. Ein charakteristisches Zei­chen ist das sogenannte Doppelkonturzeichen, bei dem eine hyperechogene Linie auf der Gelenkknorpeloberfläche zu sehen ist, die durch die Ablagerung von Uratkristallen verursacht wird (14). Zudem können Ultraschalluntersuchungen Tophi als hyperechogene, inhomogene Strukturen darstellen, oft mit posteriorer Schallauslöschung.

Die MRT ist besonders nützlich zur Beurteilung von Gicht, wenn die Diagnose unklar ist. Typische Befunde bei Gicht umfassen synoviale Hypertrophie und Entzündungen, die durch Uratkristallablagerungen verursacht werden und bei der keine anderen kausalen Gründe identifiziert werden können. Tophi erscheinen in der MRT als Läsionen mit variabler Signalintensität, häufig mit einer hypointensen Kapsel und zentraler T1- und T2-gewichteten Hyperintensität. Die MRT ist auch nützlich, um Komplikationen wie Sehnenrisse und Knochenmarködeme zu beurteilen.

Die CT ist besonders wertvoll zur Darstellung der knöchernen Veränderungen und Tophi bei Gicht. Eine typische CT-Aufnahme zeigt hyperdense, gut abgrenzbare Tophi, die sowohl intraartikulär als auch extraartikulär auftreten können. Die DECT zeigt nach entsprechender Nachbearbeitung Uratkristalle in den charakteristischen farbcodierten Karten in Grün an (Abb. 1).

CPPD

Die Diagnostik der Arthropathie durch Ablagerung von Kalziumpyrophosphat, der sogenannten Calcium Pyrophosphate Deposition Disease (CPPD), ist verhältnismässig noch komplexer im Vergleich zur Gicht. Dies führte unter anderem dazu, dass erst seit vergangenem Jahr eine evidenzbasierte Definition der Erkrankung existiert, welche von ACR und EULAR vertreten wird (15). Auch in der Diagnostik der CPPD spielen die bildgebenden Kri­terien eine zunehmend grösser werdende Rolle, sodass in den aktuellen Empfehlungen bildgebende Merkmale einen existenziellen Anteil an Punkten des empfohlenen Scoring-Systems bilden. Darüber hinaus wird die CPPD als erwiesen interpretiert, wenn ein positives Resultat im Aspirat von Synovialflüssigkeit vorliegt oder pathognomonische klinische und bildgebende Befunde ohne Vorhandensein von Exklusionskriterien vorliegen (15). Konventionelle Röntgenaufnahmen sind oft die erste diagnostische Massnahme bei Verdacht auf CPPD.

Diese Aufnahmen können Verkalkungen im Knorpel (Chondrocalcinose) und gelegentlich auch in den Weichteilen sichtbar machen. Chondrocalcinose zeigt sich typischerweise als lineare Verkalkungen im hyalinen Knorpel und im fibrillären Knorpel der Menisci und Bandscheiben. Häufig sind Kniegelenke, Handgelenke und Symphyse betroffen. Als weiteres diagnostisches Zeichen sprechen Knorpelschäden und knöcherne Veränderungen wie subchondrale Zysten und Osteophyten, aber auch subchondrale Sklerosen und eine eher diffuse Verengung des Gelenkraums für eine CPPD. Erosionen, sofern vorhanden, sind im Gegensatz in der Regel weniger klar definiert (Abb. 2).

Im Ultraschall hingegen äussern sich als Pendant zu den konventionell radiologischen Verkalkungen echogene, li­neare Strukturen im Knorpel, die oft parallel zur Oberfläche des Knorpels verlaufen. Das wichtigste Ultraschallmerkmal ist somit das Vorhandensein linearer oder punktförmiger echoreicher Signale im hyalinen Knorpel und Faserknorpel, bekannt als «Ultraschall-Chondrocalcinose». Die Sonographie kann auch kristallinduzierte Synovitiden und Bursitiden aufdecken. Die primäre Rolle der Computertomographie besteht in der Darstellung von Verkalkungen bei sekundär arthrotischen Gelenken, für welche ein chirurgischer Gelenkersatz geplant ist. Hinzu ist auch bei der CPPD die DECT hilfreich, um das Vorhandensein anderer Kristalle wie Harnsäurekristalle zu differenzieren. Ein typisches MRT-Merkmal bei CPPD ist eine niedrige bis mittlere Signalintensität von Verkalkungen in T1- und T2-gewichteten Sequenzen. Die MRT hilft insbesondere bei der Beurteilung von CPPD im Zusammenhang mit Knorpelschäden und anderen differenzial­diagnostischen intraartikulären Pathologien.

BCPD

Bei der Deposition von Basiskalziumphosphaten (BCP), wie z. B. Calciumhydroxyapatit, handelt es sich um eine weitere spezifische Form von Kristallarthropathien. Die BCPD wird erstmals meist mittels Röntgen diagnostiziert, wobei Verkalkungen in den Weichteilen, insbesondere um die Gelenke, sichtbar gemacht machen. Ein besonders häufiger Befund sind dichte, amorphe Verkalkungen um Sehnen und Bänder. Bei der Tendinitis calcarea, einer häufigen Manifestation der BCPD, manifestieren sich Depositionen am häufigsten im Bereich der distalen Supraspinatussehne. Der Ultraschall bietet eine hohe Sensitivität bei der Detektion von BCPD-Verkalkungen. Diese zeichnen sich durch echogene, dichte Strukturen mit posteriorer Schallauslöschung aus (Abb. 3). Diese Methode ist besonders nützlich für die Beurteilung der Schulter, wo die BCPD am häufigsten in der Rotatorenmanschette auftritt. In der MRT können BCP-Verkalkungen indirekt durch Signalintensitätsveränderungen und umgebende Entzündungsreaktionen identifiziert werden. Hierbei ist eine niedrige Si­gnalintensität der Verkalkungen in T1- und T2-gewichteten Sequenzen typisch. Dies ist besonders hilfreich bei der Beurteilung von BCPD im Zusammenhang mit Sehnenschäden und Enthesiopathien.

Die Computertomographie beurteilt hinsichtlich BCPD im Wesentlichen makroskopische Verkalkungen. In der Regel wird die CT jedoch hauptsächlich nur verwendet, wenn Röntgenaufnahmen unspezifisch sind oder wenn eine detailliertere Beurteilung von Verkalkungen erforderlich ist. Analog zum Prinzip bei zuvor genannten Kristalldepositionen kann die DECT auch im Fall der BCPD spezifisch angewandt werden, um diese z. B. von Harnsäurekristallen zu differenzieren. Ein essenzielles diagnostisches Zei­chen der BCPD ist das Fehlen von Knochenerosionen, was BCPD von anderen kristallinen Arthropathien wie der Gicht unterscheidet.

EULAR-Empfehlungen zur Verwendung von Bildgebung bei Kristallarthropathien

In den aktuellen Empfehlungen der EULAR konnte man sich auf grundlegende Prinzipien und Empfehlungen für die Verwendung von Bildgebung bei den jeweiligen Formen von Kristallarthropathien sowie zur generellen Anwendung von bildgebender Diagnostik festlegen. Die Bildgebung bei Kristallarthropathien gilt als komplex und anspruchsvoll. Während Bildgebung die Möglichkeit bietet, unabhängig von klinischer Symptomatik Aussagen über das Ausmass an Kristalldeposition, den Entzündungsgrad sowie die strukturellen ossären und Weichteilschäden zu machen, zeigt sie auch Abnormalitäten, die möglicherweise nicht in Zusammenhang mit der klinisch symptomatischen Mani­festation einer Kristallarthropathie stehen oder damit korrelieren. Daher sollten stets anamnestisch-klinische als auch laborchemische und (histo-)pathologische Befunde bei der radiologischen Diagnostik bereitstehen respektive in der Bildbefundung berücksichtigt werden. Aufgrund der Komplexität der Diagnostik ist ausserdem empfohlen, Bildgebung bei entsprechend ausgebildeten und erfahrenen Experten durchzuführen. Darüber hinaus sollten beim klinischen Verdacht einer Kristallarthropathie neben symptomatischen Regionen bzw. Gelenken auch krankheitstypische Lokalisationen untersucht werden wie Me­tatarsophalangealgelenke (Gicht), Knie- und Handgelenke (CPPD) sowie Schultern (BCPD).

Die Bildgebung von Gicht wird nunmehr mittels Ultraschall und DECT empfohlen, jedoch nicht mittels konventioneller Röntgenbildgebung. Neu besteht die Empfehlung, dass typische bildgebende pathognomonische Zeichen wie die «Doppelkontur» oder eindeutige Tophi im Ultraschall bzw. die positive Farbcodierung (grüne Spots) urathaltiger Weichteilformationen in verifizierten DECT-Analysetools als beweisend angenommen werden können und somit eine weitere Abklärung mittels Aspiration von Synovialflüssigkeit überflüssig wird. Hinsichtlich des Krankheitsmonitorings sind ebenfalls Ultraschall und DECT empfohlen. Im Fall von Verlaufsbildgebung könnten zusätzlich die Ausmessung von farbcodierten Ablagerungen in der DECT respektive die Volumetrie von Tophi im Ultraschall zukünftig für die Evaluierung und Vorhersage klinischer Flares relevant werden. Bei Nichtverfügbarkeit beider radiologischer Methoden ist ein Monitoring mittels konventionellen Röntgens möglich, um zumindest strukturelle ossäre Veränderungen zu detektieren.

Unabhängig von der Empfehlung zum Monitoring bleibt die Wahl des Intervalls der bildgebenden Verlaufskontrollen variabel, da der mannigfaltige klinische Verlauf bei diesen Erkrankungen keine Aussage zulässt über vernünftige Intervallzeiträume. Diese sollen daher in Abhängigkeit der klinischen Dynamik gewählt werden. Hinsichtlich Aspirationsdiagnostik von Synovialflüssigkeit wird aus­serdem empfohlen, US-gezielt zu punktieren, sofern die übliche Technik und Wahl der Punktionsstelle anhand anatomischer Merkpunkte frustran verläuft oder aufgrund diverser Umstände erschwert erscheint.

Zusammenfassung
Kristallarthropathien werden zunehmend durch die Verwendung von Bildgebung diagnostiziert sowie deren Verlauf unter Therapie kontrolliert. Neuartige bildgebende sowie pathologische und labordiagnostische Methoden resultierten in einem neuen Verständnis von Kristalldeposition in Gelenken. Insbesondere die immer häufiger bewiesene Koexistenz mehrerer Kristallsorten innerhalb eines Gelenks oder einer Person führt dazu, dass sich in den diagnostischen und therapeutischen Guidelines ein langsamer Paradigmenwechsel hin zu vermehrter non-invasiver Diagnostik abzeichnet. Damit werden die Diagnostik und Behandlung aber auch deutlich komplexer, was eine regelmässige Auseinandersetzung mit aktuellen Empfehlungen verlangt. Durch moderne diagnostische Methoden, wie z. B. PCD-CT im radiologischen Bereich, oder Raman-Spektroskopie im labormedizinischen Bereich, werden Gelenkbeteiligungen systemischer Erkrankungen immer früher erkannt werden, wodurch eine frühe Erkennung, noch vor einer klinischen Symptomatik, möglich wird. Fortschrittliche CT-Technologien wie DECT-CT und PCD-CT haben die Diagnoselandschaft für Kristallarthropathien erheblich verbessert. Durch die Bereitstellung detaillierter und differenzierter Bildgebungsfunktionen verbessern diese Technologien nicht nur die diagnostische Genauigkeit, sondern tragen auch zu effektiveren und gezielteren Behandlungsstrategien bei. Da sich diese Technologien weiterentwickeln und immer zugänglicher werden, wird erwartet, dass ihr Einfluss auf die Behandlung von Kristallarthropathien zunehmen wird.

Dr. med. univ. Florian Alexander Huber

Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie,
Universitätsspital Zürich

florian.huber@usz.ch

PD Dr. med. univ. Roman Guggenberger

Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

jonas.getzmann@usz.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Calthrop GT. X-ray diagnosis of gout. Rheumatism. 1946;3(3):43–49.
2. Mandl P, D’Agostino MA, Navarro-Compán V, et al. 2023 EULAR recommendations on imaging in diagnosis and management of crystal-induced arthropathies in clinical practice. Ann Rheum Dis. 2024;83(6):752–759. doi: 10.1136/ard-2023-224771.
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Besonderheiten der Palliative Care beim älteren Menschen

Einleitung

Palliative Care entwickelte sich primär in der Behandlung und Begleitung von Krebspatienten und fokussierte auf die letzte Krankheitsphase, in der keine onkologischen, krankheitsbeeinflussenden Massnahmen mehr möglich sind. In diesem Verständnis sind die Hauptziele der palliativen Behandlung die Linderung der Symptome am Lebensende, die Begleitung und Unterstützung des Patienten und der Angehörigen im Abschiedsprozess und die Organisation des Betreuungsnetzes, meistens mit Unterstützung durch spezialisierte Palliativdienste (stationär und ambulant).

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Palliative Care erweitert. Die Erkenntnis beginnt sich in verschiedenen Fachrichtungen durchzusetzen, dass Patienten und Angehörige von einem frühen Einbezug palliativer Ansätze profitieren, begleitend zu krankheitsmodifizierenden und partiell kurativen Therapien. Dieses Konzept wird in der Literatur als Early Palliative Care (1) beschrieben und bezieht sich nicht nur auf onkologische Diagnosen, sondern zunehmend auch auf neurologische oder internistische wie beispielsweise die Herzinsuffizienz, die COPD und ganz besonders auch auf die Multimorbidität alter Menschen.

Demografie und Medizin

Das Sterben und damit auch die letzte Lebensphase hat sich für den Grossteil der Menschen ins hohe Alter verschoben, wir leben immer länger und sterben später (2). Ein wichtiger Grund für diese Entwicklung ist der medizinische Fortschritt. Früher tödliche Krankheiten können heute erfolgreich so behandelt werden, dass wir noch viele Jahre mit ihnen leben können. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist die steigende Multimorbidität: Patienten überleben heute eine erste akute oder chronische Krankheit und erleben früher oder später eine zweite, überleben auch die zweite und erleben und überleben damit eine dritte und so fort (3).

Das fortgeschrittene Alter zusammen mit der Multimorbidität führen zu einer zunehmenden Gebrechlichkeit (frailty) und Pflegebedürftigkeit, weshalb über die Hälfte der über 65-Jährigen in der Schweiz das Lebensende in einem Pflegeheim erlebt und auch dort verstirbt. Und weil die Prävalenz der Demenzerkrankungen mit steigendem Alter zunimmt, sind rund ein Drittel der alten und meist multimorbiden Menschen in der letzten Lebensphase zusätzlich von einer Demenz betroffen.

Die Behandlung, Betreuung und Begleitung dieser geria­trischen Patienten erfordern ein adaptiertes und erweitertes Verständnis von Palliative Care. Sie wird nicht in einem spezialisierten Milieu geleistet, sondern liegt vor allem in den Händen der Hausärzte, zusammen mit den ambulanten Pflegediensten und dem Personal der Pflegeheime. Wie dieses Verständnis aussieht, wo und wie es sich vom ursprünglichen Konzept in der Onkologie unterscheidet und was bei alten Menschen in der Behandlung besonders zu beachten ist, wird in den folgenden Abschnitten ausgeführt.

Wann beginnt Palliative Care bei ­geriatrischen Patienten?

In den nationalen Leitlinien Palliative Care steht: «Palliative Care umfasst die Betreuung und die Behandlung von Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen und/oder chronisch fortschreitenden Krankheiten. Sie wird vorausschauend miteinbezogen, ihr Schwerpunkt liegt aber in der Zeit, in der die Kuration der Krankheit als nicht mehr möglich erachtet wird und kein primäres Ziel mehr darstellt (4).»

Gemäss dieser Definition wären alle multimorbiden Patienten Palliativpatienten. Diese Auffassung greift aber zu kurz. Alte Menschen mit Einschränkungen durch eine oder meist mehrere chronische, fortschreitende Krankheiten benötigen ein Miteinander von geriatrischen und palliativen Ansätzen. Der Geriater James Pacala hat dies auf den Punkt gebracht unter dem Titel «Is palliative care the ‹new› geriatrics? Wrong question – we are better together»(5). Er plädiert darin im Sinne der Early Palliative Care für einen frühen, integrativen Einsatz von palliativen Prinzipien statt dem verbreiteten sequenziellen Vorgehen mit kurativen Bemühungen so lange wie möglich und erst anschliessendem Wechsel auf ein palliatives Konzept. Im deutschsprachigen Raum ist für dieses integrative Konzept der Begriff der «Palliativen Geriatrie» entstanden. Die Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie FGPG umschreibt den Ansatz folgendermassen:

«Palliative Geriatrie ist ein umfassender, multiprofessioneller Betreuungsansatz für hochbetagte Menschen in ihrer oft langen letzten Lebensphase. Ziel ist es, den Betroffenen bis zu ihrem Tod ein gutes, ihren körperlichen und psychischen Bedürfnissen entsprechendes Leben zu ermöglichen und die An- und Zugehörigen in dieser schweren Zeit zu unterstützen. Dies gelingt durch das Zusammenführen der Prinzi­pien der Geriatrie mit jenen von Palliative Care. Es kommen sowohl kurative als auch rehabilitative und palliative Massnahmen zum Einsatz. Je näher das Lebensende rückt, desto deutlicher verschiebt sich das Angebot zugunsten hospizlich-palliativer Massnahmen. Palliative Geriatrie soll in allen Versorgungssettings verwirklicht werden, beispielsweise zu Hause, in der Wohngemeinschaft, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz (6).»

Die amerikanischen Kardiologen sprechen von einem «Tandem», das ab Beginn einer chronischen Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen soll (7): Mit der Diagnosestellung einer chronischen, unheilbaren Krankheit sind bereits palliative Ansätze mitzudenken. Dieses Bild können wir auch für den multimorbiden Menschen übernehmen (Abb. 1).

Individueller Strategiewechsel

Das Konzept von Palliative Care ist von den behandelnden Ärzten früh im Krankheitsverlauf mitzudenken und individuell zu integrieren. Leitend in der Behandlungsplanung wird es, wenn «die Kuration kein primäres Ziel mehr darstellt». Diese Formulierung in den nationalen Leitlinien (4) fordert: Das gemeinsame Behandlungsziel muss im Verlauf immer wieder reevaluiert werden im Gespräch mit dem Patienten (und meistens auch mit seinen Angehörigen) im Sinne des shared decision making. Der Zeitpunkt des Shifts zu einem vorwiegend palliativen Prozedere wird somit primär vom Patienten bestimmt. Bei Urteilsunfähigkeit im Rahmen einer Demenzerkrankung können wir uns idealerweise auf ein Dokument der gesundheitlichen Vorausplanung beziehen, sonst liegt die Entscheidung in der Hand der Vertretungspersonen gemäss Erwachsenenschutzrecht.

Den Entscheidungen vorausgehen muss immer eine offene Kommunikation mit dem Patienten und/oder seinen Angehörigen: «Eine verständliche und wiederholte, stufenweise Aufklärung versetzt den Patienten in die Lage, realistische Erwartungen zu entwickeln, und ermöglicht eine eigenständige Willensbildung und Entscheidung. Grundvoraussetzungen dazu sind Empathie und Wahrhaftigkeit gegenüber dem Patienten und die Bereitschaft, Möglichkeiten und Grenzen der kurativen wie der palliativen Behandlung offenzulegen (8).»

Letztlich entscheidet der autonome Patient, wie lange er gegen die Krankheiten ankämpfen will, auch wenn die Belastung durch die Therapien möglicherweise hoch und die Aussichten auf Erfolg klein sind. Wichtig ist, dass wir stets ehrlich über die Behandlungschancen und die begleitenden Belastungen informieren. Das beinhaltet auch, nur für diese Patientengruppe sinnvolle, indizierte Massnahmen vorzuschlagen; es ist ethisch nicht zu rechtfertigen, medizinisch aussichtslose Behandlungen (Futility) vorzuschlagen oder durchzuführen. Auf die Situation bei urteilsunfähigen Patienten wird weiter unten eingegangen.

Im Gegensatz zur Situation von onkologischen Patienten, wo die Krebserkrankung die prognosebestimmende Dia­gnose ist und ihr Überschreiten der Heilbarkeitsgrenze den Wechsel zur palliativen Phase markiert, ist es bei Multimorbidität und chronischem Organversagen ein kontinuierlicher Prozess, der mit jeder Krise einen Schritt mehr in ein palliatives Behandlungskonzept führt (Abb. 2). Nach jeder überstandenen Krise ist eine Standortbestimmung sinnvoll, um gemeinsam die aktuellen Behandlungsziele zu evaluieren, die Prognose zu thematisieren und die Behandlung allenfalls anzupassen.

Lebens- und Behandlungsziele

Das übergeordnete Behandlungsziel

Zielführender, als nur über einzelne Behandlungsoptionen zu diskutieren, ist das Gespräch über die aktuellen Lebensziele der Person. Was erhofft sich der alte Mensch noch vom Leben, was ist ihm wichtig ist für die verbleibende Lebenszeit? Das kann für den einen bedeuten, noch möglichst lange zu leben, auch unter Inkaufnahme von zunehmender Abhängigkeit. Für den anderen ist die Erhaltung von Fähigkeiten zu bestimmten Aktivitäten prioritär, zum Beispiel spazieren gehen zu können, selbständig zu bleiben bei der Körperpflege; beim Verlust dieser Funktionen möchte er lieber keine weiteren Interventionen zur Lebensverlängerung. Die Frage der Motivation einer Patientengruppe mit medianem Alter von 84 zu einem geplanten Aortenklappenersatz (TAVI) ergab folgende Ziele: Die Erhaltung der ability to do a specific activity war der Hauptgrund mit 48%, maintaining independence stand mit 30% an zweiter Stelle und staying alive war für nur 7% im Vordergrund (9). Für die meisten hochbetagten Menschen stehen ihre individuelle Lebensqualität im Vordergrund und der Erhalt der für sie persönlich wichtigen Funktionen. Ihre Lebensqualität hängt weniger von den verbleibenden oder nachlassenden Kräften ab (intrinsic capacity) als von der Erhaltung der Möglichkeiten (functional abilities), das sein und tun zu können, was ihnen wichtig ist (10).

Die Prioritäten der Patienten sind dem Hausarzt nicht in jedem Fall klar, wie eine Studie mit Schweizer Hausärzten gezeigt hat. In 55% der Fälle sahen die Hausärzte zwar das wichtigste oder zweitwichtigste Problem der Patienten im Vordergrund, aber bei 45% kannte der Hausarzt die für den Patienten prioritären Probleme nicht (11)! Die Versicherung, dass Arzt und Patient das gleiche Ziel verfolgen, muss im Behandlungsverlauf zwingend immer wieder Thema sein.

Aspekte der Zielklärung

Es ist grundsätzlich sinnvoll, mit älteren Menschen über ihre Lebensziele zu sprechen und davon abgeleitet über konkrete aktuelle und zukünftige Behandlungsziele und -grenzen. Je mehr wir über ihre Werte, Hoffnungen und Befürchtungen wissen, umso besser können wir konkrete Behandlungsvorschläge formulieren und mit den Betroffenen diskutieren. Dieser Prozess des Advance Care Planning (ACP) und die Festlegung der gewünschten Massnahmen bei einer akuten Gesundheitsstörung in einer ärztlichen Notfallanordnung (ÄNO), die verbindlich die erwünschten und unerwünschten Notfallmassnahmen regelt, werden im Beitrag von Klaus Bally in dieser Ausgabe ausgeführt.

Beim Eintritt in ein Pflegeheim ist es wichtig, gemeinsam mit Patient, Angehörigen und Pflegepersonal in einem Standortgespräch die Gesamtsituation zu besprechen und die aktuellen Ziele und Erwartungen, aber auch die Grenzen zu klären. Pflegeinstitutionen betreuen heute pflegebedürftige Menschen mit sehr unterschiedlichen Zielen. Eine wachsende Zahl der Eintritte erfolgt zur weiteren Rehabilitation nach Hospitalisation mit dem Ziel, wieder nach Hause zurückkehren zu können. Für andere Bewohner steht im Fokus, im Pflegeheim einen neuen Lebensabschnitt in guter Lebensqualität verbringen zu dürfen. Sie erwarten, dass gesundheitliche Probleme adäquat behandelt werden und ihre Funktionen soweit möglich erhalten bleiben. Die dritte Gruppe bilden Menschen mit einer fortgeschrittenen Krankheit, die unter belastenden Symptomen leiden und wissen, dass ihre Lebenserwartung begrenzt ist. Sie hoffen, dass sie gute Palliative Care erhalten, Lebensverlängerung ist kein prioritäres Ziel mehr. Die letzte Gruppe, die aufgrund der verkürzten Spitalaufenthalte deutlich gewachsen ist, sind Menschen, die zum Sterben ins Pflegeheim verlegt werden und oft nur noch wenige Tage oder Wochen leben. Sie benötigen eine gute end of life care.

Im Standortgespräch wird die medizinische Situation zusammengefasst, die Prognose erörtert und das prioritäre Ziel gemeinsam definiert, damit alle Beteiligten am gleichen Strick ziehen und Missverständnisse und Spannungen vermieden werden (Abb. 3).

Umgang mit Futility

Alte Menschen dürfen auch unrealistische Ziele haben. Die Hoffnung spielt dabei eine wesentliche Rolle, und sie kann durchaus auch palliative Wirkung entfalten. Ärztliche Aufgabe ist es, empathisch die unrealistischen Hoffnungen zu akzeptieren, aber nicht zu bekräftigen und sich nicht verleiten zu lassen, eine Übertherapie bzw. eine aussichtslose Behandlung anzubieten (12). Ist von einer höchstwahrscheinlichen Wirkungs- oder Aussichtslosigkeit einer Behandlung (quantitative Futility) auszugehen, entfällt die medizinische Indikation für deren Einsatz. Qualitative Futility ist eine individuelle Beurteilung: Eine Behandlung kann potenziell wirksam sein, aber ohne Aussicht darauf, das übergeordnete Therapieziel (z.B. Heilung, Weiterleben mit akzeptabler Lebensqualität) zu erreichen. Dann belastet sie den Patienten nur unnötig(13).
Fachpersonen können sich manchmal genötigt fühlen, Behandlungen durchzuführen, obwohl diese aus ihrer Sicht nicht dem Patientenwohl dienen. Dazu gehört eine explizite Erwartungshaltung respektive der Druck von Patient und Angehörigen (14). In diesen Situationen ist eine empathische Kommunikation gefragt, die kulturelle und religiöse Überzeugungen, Vorstellungen und Wissensstand der betroffenen Personen berücksichtigt und ihre Bedürfnisse, Wünsche und Befürchtungen soweit möglich einbezieht. Der Arzt orientiert sich dabei stets am Behandlungsziel und an der Chance, das Ziel zu erreichen unter Berücksichtigung der begleitenden Belastungen.

Umsetzung im Alltag

Jede laufende oder geplante medizinische Massnahme für einen multimorbiden alten Menschen muss daran gemessen werden, ob sie dem besprochenen Behandlungsziel dient oder nur den aktuellsten medizinischen Guidelines folgt. Das betrifft medikamentöse Behandlungen (auch präventive wie Statine), aber auch Abklärungen, Kontrollen, Interventionen, Überweisungen zu Spezialisten oder ins Spital. Ein regelmässiger Medikamentencheck mit der Frage, ob für jedes Medikament noch eine Indikation in Bezug auf das übergeordnete Behandlungsziel besteht und ob die belastendsten Probleme des Patienten adäquat behandelt werden, ist zu empfehlen (Abb. 4).

Bei Patienten im Pflegeheim ist es zusätzlich wichtig, im Gespräch mit den Pflegenden und Therapeuten regelmässig zu evaluieren, ob die pflegerischen und therapeutischen Massnahmen (noch) dem Behandlungsziel dienen. Wie lange ist es sinnvoll, die Mobilisation und das Selbsthilfetraining zu forcieren, wie häufig machen Blutzuckermessungen Sinn, was steht bei der Ernährung im Vordergrund (Protein­ergänzungsnahrung oder einfach essen, was Freude macht), ist die Trinkmenge noch relevant? Es braucht immer wieder eine kritische Überprüfung: Welches und wessen Behandlungsziel verfolgen wir? Leitet uns das Behandlungsziel des Patienten oder eher das der Angehörigen, der Therapeuten, der Pflege oder des Organspezialisten?

Herausforderungen im Entscheidungsprozess

Prognose

Multimorbide alte Menschen befinden sich meistens in einem sehr labilen Gleichgewicht, das infolge einer neuen gesundheitlichen Störung, eines Sturzes mit Verletzungsfolgen oder einer plötzlichen Verschlechterung sehr schnell kippen kann. Diese unsichere Prognose erschwert es den alten Menschen, ihre persönlichen Zielsetzungen zu finden: Kann ich noch Pläne machen, oder soll ich mich mehr mit dem Ende auseinandersetzen? Sie ist aber auch eine Herausforderung für die Angehörigen oder das Pflegepersonal. Wo soll der Schwerpunkt in der Betreuung gesetzt werden? Förderung der Selbsthilfe und Selbständigkeit (im Blick auf eine noch längere Zukunft) oder einfach gute Symptomlinderung und Verzicht auf funktionelle Förderung – die vom Patienten oft gar nicht so geschätzt wird – im Blick auf das bevorstehende Ende? In gemeinsamen Gesprächen über die Konsequenzen ist mit dem Patienten zu evaluieren, was ihm wichtiger ist.

Auch für medizinische Entscheidungen ist die Prognose zentral. Wie aggressiv soll abgeklärt werden bei neuen Problemen? Wie lange braucht es, bis der Patient von einer möglichen Intervention profitieren kann (time to benefit)? Wie gross ist die Chance, dass der Patient die Intervention mit einem Nutzen übersteht? Die Prognoseeinschätzung bei multimorbiden Patienten ist eine Herausforderung, und wir Ärzte tendieren dazu, die Prognose eher zu optimistisch einzuschätzen. Eine wichtige Hilfestellung ist die Einschätzung des Frailty-Grades, am besten mit der Clinical Frailty Scale (15). Bei einem Frailty-Grad eins bis drei kann von einer nur minimen Vulnerabilität ausgegangen werden mit hoher Chance auf ein gutes Outcome, bei Grad vier bis sechs sind die potenziellen Risiken bereits wesentlich grösser, und eine schlechtere Erholung ist zu erwarten. Diagnostizieren wir einen Frailty-Grad von sieben bis neun, ist eine hohe Vulnerabilität gegeben mit entsprechendem Risiko. Interventionen sind am ehesten noch zur Symptomlinderung beim Versagen anderer weniger invasiver Massnahmen in Betracht zu ziehen.

Hilfreich kann auch ein Prognoserechner sein, der entweder die Prognose des Arztes unterstützt oder ihn durch eine andere Berechnung auffordert, seine Einschätzung nochmals zu überdenken. Ein praxisorientierter Rechner, der online ausgefüllt werden kann, ist der eprognosis calculator (16), der auch mitberücksichtigt, ob der Patient zu Hause oder im Pflegeheim lebt.

Ambivalenz

Das Verhältnis der meisten Menschen zum Tod ist zwiespältig. Sterben und Tod sind eine nicht lernbare Grenzerfahrung. Sich vor ihnen zu fürchten, ist natürlich, denn sie stellen die wohl grösste Verunsicherung im Leben eines Menschen dar. Angesichts des drohenden Endes kommt es immer wieder vor, dass Menschen den Tod zwar akzeptieren im Sinne von «Schon, aber nicht gerade jetzt», das heisst, im Moment des möglicherweise kurz bevorstehenden Todes möchten sie ihn doch noch etwas hinauszögern. Der Medizinethiker Daniel Callahan schrieb dazu: «Anstatt zu denken […], dass dieser Tod jetzt besser sein kann als ein anderer späterer Tod, ist es die moderne Art, immer den späteren, anderen Tod zu bevorzugen» (17). Solche Ambivalenzen sind normal, auch bei Menschen, denen wir die Fähigkeit zu autonomem Leben und Handeln keineswegs absprechen würden. Sie stellen eine Herausforderung für selbstbestimmte Entscheidungen am Lebensende dar, weil sie nicht einfach aufzulösen sind, sondern vorerst einmal ausgehalten und besprochen werden müssen (18). Solange der Patient urteilsfähig ist, gilt sein aktueller Wunsch, auch wenn dieser früher festgehaltenen Willensäusserungen widerspricht.

Balance of Burden and Benefit

Entscheidungen für und mit alten, oft gebrechlichen Menschen sind komplex; sie nur auf medizinischen Guidelines zu basieren, ist zu eindimensional. Neben den persönlichen Zielen der Betroffenen und den Möglichkeiten der Medizin sind weitere Blickwinkel einzubeziehen. Was bringt die erwogene Massnahme an potenziellem Nutzen, aber auch an Belastungen und Risiken für diesen alten Menschen? Im gemeinsamen Entscheidungsgespräch mit Patient und Angehörigen können die persönlichen Sichtweisen aufgenommen und Vor- und Nachteile abgewogen werden (Abb. 5). Ärztliche Aufgabe ist es dabei, offen und ehrlich zu informieren, die eigene Meinung aber soweit möglich zurückzuhalten.

Bei den Entscheidungen zum weiteren Vorgehen geht es immer um die Frage, wie kurativ oder wie palliativ behandelt und wie lange das mögliche Sterben verhindert werden soll. Callahan bringt es auf den Punkt: «Bei jeder schweren Erkrankung – ganz besonders bei alten Menschen – sollte die Frage gestellt und die Möglichkeit geprüft werden: Kann diese Erkrankung die tödliche sein, oder – weil irgendeine Krankheit die tödliche sein muss – sollte man ihr bald erlauben, tödlich zu sein? Wenn ja, sollte ihr gegenüber umgehend eine andere Strategie ins Spiel kommen, das Bemühen um einen friedlichen Tod sollte wichtiger werden als der Kampf um eine Heilung»(17).

Sterbewünsche

Hochaltrige Menschen äussern häufig Gedanken zum Sterben. Diese Gedanken reichen vom Standpunkt «Es ist noch zu früh, ich will noch leben» bis zum konkreten Plan, das Leben zu beenden durch einen assistierten Suizid. Ralf Jox hat die unterschiedlichen Haltungen zum Ende folgendermassen kategorisiert (19):
– Ich bin nicht bereit für den Tod und akzeptiere ihn nicht.
– Ich bin nicht bereit für den Tod, aber akzeptiere ihn.
– Ich bin bereit für den Tod und akzeptiere ihn.
– Ich bin bereit für den Tod, akzeptiere ihn und wünsche mir, der Tod würde kommen.
– Ich denke darüber nach, meinen Tod zu beschleunigen, habe aber keinen bestimmten Plan.
– Ich denke darüber nach, meinen Tod zu beschleunigen und habe einen bestimmten Plan.

Für die Betroffenen sind Möglichkeiten, über ihr Sterben, ihre Ängste und mögliche Sterbewünsche zu sprechen, wichtig. Oft reden sie nicht von sich aus darüber, sie möchten ihren Arzt, die Pflegenden oder die Angehörigen nicht enttäuschen. Deshalb kann die Frage, ob sie manchmal ans Sterben denken, eine Türe öffnen, die Gespräche über den Lebenssinn und den Grad und den Grund von Sterbewünschen ermöglichen. Häufig sind es nicht so sehr Schmerzen oder körperliche Symptome, die zum Sterbewunsch führen, sondern Vereinsamung oder das Vermeiden eines Heimeintrittes und immer häufiger die Angst vor dem Verlust von Selbständigkeit und Würde. Der Wunsch nach ultimativer Autonomie kann auch die Kontrolle des Sterbezeitpunktes und der Todesumstände umfassen, was dann in die Planung eines assistierten Suizides münden kann.

Sterbewünsche sind auch Hilfeschreie und ein Wunsch nach einfühlsamer Kommunikation. Aktives Zuhören, gegenseitiges Verstehen und das Etablieren einer von Vertrauen getragenen Beziehung ermöglichen das richtige Deuten der Signale und bilden Ausgangspunkt und Vorbedingung für hilfreiche Angebote und Entscheidungen (20). Ergebnis der Gespräche kann sein, dass die Medikamente überprüft werden und alle lebenserhaltenden Massnahmen abgesetzt werden, dass man gemeinsam das Warten aushält und Leiden lindert oder dass der Patient doch den Entscheid für einen assistierten Suizid fällt. In diesem Falle ist es die persönliche Entscheidung des Arztes, ob und wie weit er sich an den vorbereitenden Schritten beteiligen will (21).

Symptomlinderung

Eine optimale Symptomkontrolle ist ein Grundanliegen von Palliative Care und erfordert eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Pflegenden bzw. zu Hause mit den Angehörigen. Die wichtigsten Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit oder Angst sind subjektive Empfindungen, die wir nicht messen oder objektivieren können, es zählt allein, was die Betroffenen darüber berichten. Ist die Kommunikation mit dem Patienten nicht mehr möglich, werden die Beobachtungen im Alltag durch die Angehörigen und die Pflegenden zur wichtigen Grundlage für die Planung palliativer Behandlungsschritte.

Worunter leiden alte Menschen?

Multimorbide alte Menschen leiden nicht nur unter den genannten Symptomen, sondern ebenso unter Funktionseinschränkungen, die ihre Lebensqualität vermindern können. Um das Leiden dieser Patienten zu erfassen und zu verstehen, braucht es offene Fragen wie «Was macht Ihnen aktuell am meisten Sorgen?» oder «Worunter leiden Sie in der aktuellen Situation am meisten?». Wird für das Assessment ein etabliertes Tool wie ESAS verwendet, ist es zu erweitern mit den funktionellen Beschwerden, die subjektiv als belastend empfunden werden (Abb. 6). Manchmal leiden betagte Menschen mehr darunter, dass sie inkontinent sind oder sich nicht mehr selbständig auf dem WC versorgen können wegen Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit als unter ihren Schmerzen oder der Atemnot.

Ziel des Assessments mit Quantifizierung des subjektiven Leidensdruckes ist es, die Prioritäten dort zu setzen, wo am meisten Leiden entsteht, weil wir nie alle Symptome und Probleme beheben können. Entsprechend werden dann Medikamente zur Symptomlinderung eingesetzt, ergänzt durch funktionelle Hilfsmittel, Physiotherapie oder das Erlernen von kompensatorischen alternativen Abläufen.

Die Symptome und deren Behandlungsmöglichkeiten bei alten Menschen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Standards der Palliativmedizin für jüngere Patienten. In anderen Beiträgen in dieser Ausgabe wird darauf eingegangen. Wegen der häufig vorliegenden Organinsuffizienzen sind jedoch Dosierungsanpassungen oder Kontraindikationen zu beachten.

Schmerztherapie

Chronische Schmerzen sind das häufigste Symptom alter Menschen, das sie auch in der Alltagsgestaltung einschränkt und oft täglich stark beeinträchtigt. Selten lassen sie sich vollständig beseitigen, wichtig für das Behandlungskonzept ist die Klärung eines realistischen Zieles: Schmerzfreiheit in Ruhe oder erträgliches Schmerzlevel bei Bewegung, Verhinderung von akuten Schmerzattacken. Die häufigsten Schmerzursachen liegen im Bewegungsapparat, nächtliche neuropathische Schmerzen werden gerne übersehen und als Schlafstörung behandelt. Primär ist eine kausale, gezielte Behandlung anzustreben wie Gelenksinfiltrationen oder -ersatz, in den meisten Fällen werden aber Analgetika notwendig werden. Welche Analgetika in welcher Dosierung bei geriatrischen Patienten eingesetzt werden können und was zu beachten ist, wird in (Tab. 1) zusammengefasst.

Total Pain

Chronische Schmerzen sind selten nur somatischen Ursprungs, sehr oft spielen Komponenten eines «Total Pain» mit. Dies gilt nicht nur für Schmerzen, sondern ebenso für andere Symptome. Im fortgeschrittenen Alter gibt es viele Facetten, die hinter chronischen Beschwerden stehen:
Seelischer Schmerz: Das hohe Alter ist gekennzeichnet durch die Zunahme von schmerzlichen Abschieden, z.B. von der Gesundheit, von der Lebenskraft, von der Mobilität, von geliebten Menschen und geliebten Umwelten, für viele auch vom eigenen Zuhause, vom sozialen Status und von der Unabhängigkeit. Biografische Erfahrungen können hochkommen und im hohen Alter Einfluss haben, wie körperliche Schmerzen erlebt und geäussert werden. Alte, verdrängte und nie aufgearbeitete Traumata können aus der Tiefe auftauchen und wiedererlebt werden.

Sozialer Schmerz: Viele Menschen sind im hohen Alter einsam, fühlen sich nutzlos in der Gesellschaft, haben Aufgaben und alle Freunde verloren. Diese Einsamkeit wird noch verstärkt durch einschränkende Massnahmen, wie sie während der Covid-19-Pandemie verordnet wurden. Und das Pflegeheim ist kein Prestigeort, sondern für viele ein schambesetzter Lebensort, an den sie nie hinwollten.

Spiritueller Schmerz: Gerade im hohen Alter stellt sich die Sinnfrage oft mit grosser Dringlichkeit. Einerseits sehen viele keinen Sinn mehr in ihrem Leben, wenn sie ins Heim umziehen müssen, andererseits wirft das absehbare Lebensende seine Schatten voraus und führt zu Gedanken der Lebensbilanz: «Was habe ich alles verpasst in meinem Leben, was habe ich falsch gemacht? Warum bin ich abhängig und andere in meinem Alter sind noch selbständig?»
Zu- und Hinhören, den Raum öffnen für persönliche Verletzungen und Ängste und das vorsichtige Erklären der Zusammenhänge können Ansätze sein, den Total Pain aufzulösen.

Palliative Care bei Demenz

Bis zu einem Drittel der Menschen über 80 Jahren leiden unter kognitiven Einschränkungen im Rahmen einer Demenzerkrankung. Dieser Umstand stellt besondere Herausforderungen an das Behandlungs- und Betreuungsteam bei der Vorausplanung, bei Entscheidungen und beim Symptommanagement. Deshalb ist es wichtig, eine kognitive Verschlechterung frühzeitig zu erkennen, um entsprechend zu planen und das Behandlungskonzept anzupassen. Für ein Screening auf kognitive Probleme eigenen sich folgende Tools: Uhrentest, MoCa-Test, DemTect-Test und bei schon etwas fortgeschrittener Demenz der MMS. Alle diese Tests findet man im Internet zum Herunterladen, sie sind lediglich Screenings und reichen nicht für die Diagnosestellung.

Vorausplanung

Bei einer unheilbaren somatischen Erkrankung machen sich die meisten Menschen Gedanken zum weiteren Verlauf und zu ihrem Ende und lassen sich auf eine Vorausplanung ein. Bei der Diagnose einer Demenzerkrankung beschäftigen sich die Betroffenen primär mit der unmittelbaren Zukunft («Wie lange darf ich noch Auto fahren?»), der Gedanke ans Lebensende ist noch weit weg. Wegen der im Verlauf zunehmenden Urteilsunfähigkeit ist es sehr wichtig, frühzeitig über die Wünsche und Behandlungsgrenzen in fortgeschrittenem Krankheitsstadium zu sprechen und sie schriftlich festzuhalten. Dies erfordert eine einfühlsame Kommunikation über die Prognose, die Erwartungen und mögliche Komplikationen im Krankheitsverlauf. Der Einbezug der Angehörigen ist dabei wichtig, damit auch sie die Gedanken und Wünsche des Patienten kennen und bei späteren schwierigen Entscheidungen darauf Bezug genommen werden kann.

Symptommanagement

Die häufigen Symptome können als individuelles subjektives Erleben nur im Gespräch mit dem Patienten erfahren werden. Wenn die Kommunikationsfähigkeit im Rahmen einer neurodegenerativen Erkrankung beeinträchtigt ist, werden Symptome oft nicht erkannt und bleiben unterbehandelt. Die Beobachtung der Patienten durch die ­Betreuenden wird zur wichtigen Quelle von Hinweisen auf Symptome. Verhaltensänderungen und -auffälligkeiten können Ausdruck von unbehandelten Symptomen sein, in erster Linie von Schmerzen. Pflegende und Angehörige sind aufzufordern, Verhaltensänderungen zu dokumentieren. Entsprechende Tools wie ECPA oder BESD sind in Pflegeheimen heute etabliert. Sie bilden die Grundlage für das interprofessionelle Gespräch zur Analyse, welche Probleme hinter dem Verhalten stehen könnten und wie sie angegangen werden können. Oft bringt erst die Einleitung einer probatorischen Analgetikatherapie und anschliessenden Beobachtung des Patienten die Antwort, ob ein Schmerzproblem hinter dem veränderten Verhalten steht. Opiate können vorsichtig dosiert auch bei einer Demenz eingesetzt werden. Langzeitanwendungen von Opiaten sind aber kritisch zu hinterfragen, und eine Dosisreduktion sollte regelmässig versucht werden.

Demenzkranke Menschen leiden nicht nur unter somatischen, sondern phasenweise auch unter neuropsychiatrischen Symptomen oder Verhaltensänderungen (BPSD) wie Angst, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Agitiertheit oder Aggressionen. Darunter leiden vor allem auch die Betreuenden. Psychopharmaka sind als palliative Massnahmen indiziert, wenn trotz Validation und Milieuanpassung keine Entspannung und Linderung erreicht werden können und körperliche Ursachen wie Harnverhalt, Obstipation, Schmerzen, Atemnot oder Delir ausgeschlossen sind. In (Tab. 2) wird eine Auswahl von bewährten Psychopharmaka aufgelistet.

Entscheidungsfindung

Mit fortschreitender Demenz wird das Behandlungsziel der Erhaltung von Lebensqualität zunehmend wichtiger als das Ziel der Lebensverlängerung. Ein regelmässiger Medikamentencheck hilft, die Indikation von einzelnen Medikamenten, wie z.B. Statine oder die Ziele der Blutdrucksenkung, zu hinterfragen. Eine optimale Einstellung des Blutzuckers mit regelmässigen Kontrollen und Nachspritzschema wird zunehmend unwichtiger, kann aber für den Patienten viel Stress bedeuten.

Bei Komplikationen stellt sich die Frage, wie aggressiv abgeklärt und behandelt werden soll. Für die Entscheidungsfindung ist es hilfreich, die Balance of Burden and Benefit gemeinsam mit den Angehörigen zu prüfen auf der Grundlage der vom Patienten früher geäusserten Wertvorstellungen, Ziele und Grenzen. Für die Familie ist es wichtig, sich der Progredienz der Krankheit bewusst zu sein und zu verstehen, dass die Demenz eine lebensbeendigende Krankheit sein kann. Entscheidungen haben immer auf dem mutmasslichen Willen des Patienten zu beruhen und nicht auf unrealistischen Hoffnungen oder Ängsten der Angehörigen, die ihren geliebten Patienten nicht verlieren möchten.

Sterbephase

Den Beginn der Sterbephase bei fortgeschrittener Demenz zu definieren, ist schwierig. Bei vielen Patienten beginnt sie mit verminderter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und entsprechendem Gewichtsverlust. Behandelbare Ursachen sind in einem ersten Schritt auszuschliessen. Den Angehörigen muss verständlich gemacht werden, dass der Patient weniger isst, weil sich die Krankheit dem Ende nähert und nicht, dass es ihm schlechter geht, weil er nicht mehr isst. Forcierte Nahrungszufuhr kann das Sterben nicht hinauszögern, eine Sondenernährung verlängert die Lebenserwartung nicht und verhindert auch keine Aspirationspneumonien (22), und beides dient nicht dem Wohlbefinden. Die Lieblingsnahrung zu riechen und zu schmecken, bietet mehr Lebensqualität als eine optimierte Kalorienzufuhr und ermöglicht den Angehörigen, Zuwendung zu schenken. Mundpflege mit dem Lieblingsgetränk lindert ein allfälliges Durstgefühl.

Die Ablehnung einer Medikamenteneinnahme ist als Willensäusserung zu respektieren, einzig symptomlindernde Medikamente (v.a. Opiate) sind als TTS oder als regelmässige subcutane Applikation weiterzuführen, entsprechende Reserveverordnungen sind frühzeitig zu hinterlegen.

Dr. med. Roland Kunz

Facharzt Innere Medizin FMH
Schwerpunkte Geriatrie und Palliativmedizin
Leitender Arzt Geriatrie, Departement Innere Medizin
Spital Herisau
Spitalstrasse 6
9100 Herisau

roland.kunz@svar.ch

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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