Reizhusten, Müdigkeit, Gewichtsverlust bei kardial voroperiertem Patienten

Anamnese und Befunde

Ein 62-jähriger Patient stellt sich mit seit 2 Jahren bestehendem trockenen Reizhusten, Gewichtsverlust von 10 kg und vermehrter Müdigkeit, ohne wesentliche Einschränkung in seinen Aktivitäten, beim Hausarzt vor. Weitere B-Symp­tome werden verneint. Der Patient ist therapeutisch antikoaguliert und in regelmässiger kardiologischer Kontrolle, da 13 Jahre zuvor aufgrund eines Sinus-Valsalvae-Aneurysmas mit schwerer Aortenklappeninsuffizienz ein Aortenwurzelersatz mit mechanischer Doppelflügelprothese erfolgte. Der Patient hat eine feste Lebenspartnerin und geht einer Bürotätigkeit nach. Als Freizeitbeschäftigung (Mountainbiking) hält er sich häufig im Wald auf und ist als Hobbyimker tätig. Als Haustier hält er eine Katze. Ein Zeckenstich ist nicht erinnerlich. Der Patient wurde bei oben beschriebenen Symptomen und den in Tab. 1 gezeigten Blutbild-/Laborveränderungen mit leichter Thrombopenie, stark erhöhter Blutsenkungsreaktion bei fast normalem CRP, leichter Hepatopathie und Paraproteinämie in die hämatologische Sprechstunde zugewiesen. Er präsentierte sich in gutem Allgemeinzustand mit normalen Vitalparametern. Klinisch fanden sich an den distalen unteren Extremitäten Effloreszenzen, passend zu einer Purpura pigmentosa progressiva (Abb. 1), anamnestisch seit 2 Jahren bestehend, welche vorgehend durch einen Dermatologen klinisch und bioptisch abgeklärt wurde. Ansonsten keine weiteren pathologischen wegweisenden Befunde.

Differenzialdiagnostische Überlegungen und Weg zur Diagnose

Symptome wie Müdigkeit, Gewichtsverlust, Leistungseinschränkung sind unspezifisch. Neoplasien, chronische Infektionen, rheumatologische Erkrankungen und Depressionen u. a. können alle mit solchen Symptomen einhergehen. Bei chronischer Symptomatik und fehlendem Fieber wäre eine akute Infektion hier sehr unwahrscheinlich. Eine Hepatitis-B-, -C- oder HIV-Infektion konnte serologisch ausgeschlossen werden. Die Blutkulturen zeigten kein Erregerwachstum. Die Paraproteinämie stellte sich als oligoklonal heraus, was auf einen chronischen Infekt hinweisend sein kann. Die ANA und ANCA waren negativ, die Komplementfaktoren C3 und C4 waren normal. Bei negativen ANA in der Immunfluoreszenz wurde der Nachweis von dsDNA-Antikörper von 23 IU/ml (cut-off 15 IU/ml) als unspezifisch gewertet.

In der CT-Hals/-Thorax/-Abdomen zur Infektfokussuche wurden einschmelzende, pathologisch vergrösserte Lymphknoten mediastinal rechts von max. 3 cm und eine Splenomegalie (Poldistanz 15 cm) festgestellt. Der grösste mediastinale Lymphknoten lag direkt neben dem Aorten­graft. Pulmonale Infiltrate, Raumforderungen oder Zeichen einer interstitiellen Pneumopathie zeigten sich nicht. In der bronchoskopischen Lymphknotenpunktion fanden sich zytologisch einzelne mehrkernige histiozytäre Riesenzellen. Eigentliche Granulome oder maligne Zellen wurden nicht festgestellt. Mikrobiologisch konnte im Lymphknotenpunktat wenig normale Mundflora nachgewiesen werden, einer Kontamination entsprechend. Mikroskopie, PCR und Kultur für Mycobakterien blieben negativ. Eine hiläre oder mediastinale Lymphknotenpunktion – oder falls diese nicht konklusiv, eine Lymphknotenexzi­­sion – dient der zytologischen/histologischen und mikrobiologischen Abklärung bei unklarer mediastinaler Lymph­adenopathie, primär zur Abklärung hinsichtlich Neoplasie inklusive Lymphom, Tuberkulose oder Sarkoidose.

Eine PET-CT zeigte eine mediastinal konfluierende Läsion um den Graft der Aorta ascendens mit moderater Stoffwechselsteigerung sowie flau aktive, nicht vergrösserte Lymphknoten paratracheal rechts. Eine PET-CT ist für die Suche nach metabolisch aktiven Veränderungen zur Abklärung von möglichen Neoplasien und/oder Infektionen (inklusive Prothesen-Endokarditis bei negativer Echokardiographie) geeignet.
Es folgte eine thorakoskopische Exzision des grössten Lymphknotens, der intraoperativ zur Aorta deutlich adhärent war. Die Histologie zeigte eine ausgedehnte plasmazellreiche und fokal chronisch-granulierende und xanthomatöse Entzündung mit vielen mehrkernigen Riesenzellen im Bereich der Lymphknotenadhärenz an die Aorta (Abb. 2). Hinweise auf Malignität oder eine IgG4-assoziierte Erkrankung fanden sich nicht. Aufgrund der vorliegenden Befunde wurde die Verdachtsdiagnose einer chronischen Aortengraftinfektion gestellt.

Gefässprotheseninfektionen werden überwiegend durch konventionell kultivierbare Erreger verursacht, zu ca. 80 % durch Staphylococcus aureus oder Koagulase-negative Staphylokokken. Enterokokken, Streptokokken, gramnegative Stäbchen (v. a. E. coli, Pseudomonas aeruginosa und Klebsiella spp.) und Pilze (v. a. Candida) sind deutlich seltener (1, 2, 3). Differenzialdiagnostisch muss bei «Kultur- negativen» Graftinfektionen an Infektionen durch Coxiella burnetii, Tropheryma whipplei, Bartonella henselae und (nicht tuberkulöse) Mycobacterien gedacht werden (4). Die häufigste Ursache für einen fehlenden kulturellen Erregernachweis ist eine vorgängige antibiotische Therapie. Eine empirische Antibiotikatherapie ist bei einem Patienten mit chronischen, unspezifischen Symptomen und ordentlichem Allgemeinzustand nicht gerechtfertigt und kann die weitere Erregersuche erheblich erschweren. Eine empirische Therapie sollte nur bei akuter und vital bedrohlicher Verschlechterung des Patientenzustandes in Betracht gezogen werden.

Eine genaue Expositionsanamnese kann helfen, die Wahrscheinlichkeit seltener Ursachen einer Graftinfektion einzugrenzen. Unser Patient besitzt eine Katze, sodass eine Infektion mit Bartonella henselae denkbar wäre. Auf gezieltes Nachfragen gibt er ausserdem an, dass er mehrmals pro Jahr in Südfrankreich in einem Ferienhaus verweile und gelegentlich lokale Rohmilchprodukte von einem Hofladen mit Schafen konsumiere. Damit besteht eine erhöhte Expositionswahrscheinlichkeit gegenüber Coxiella burnetii. Eine bakterielle Breitspektrum-PCR aus einem normalerweise sterilen Material kann bei hoher Erregerquantität zur Diagnose führen. Eine Breitspektrum-PCR ist aber deutlich weniger sensitiv als eine Erreger-spezifische PCR. Bei unserem Patienten war die bakterielle Breitspektrum-PCR sowie eine spezifische PCR für Bartonellen aus Lymphknotengewebe negativ. Serologien für Bartonella und Coxiella sind bei chronischen Infektionen aussagekräftig. Die Serologie auf Coxiella burnetii fiel stark positiv aus (Phase I IgG 1 : 262 144 [< 1 : 16 Titer] und Phase II IgG 1 : 262 144 [< 1 : 16 Titer]) und ist vereinbar mit einem chronischen Q-Fieber. Die Erreger-spezifische PCR für Coxiella burnetii aus dem thorakoskopisch entnommenen Lymphknotengewebe fiel positiv aus und beweist die aktive Graftinfektion durch diesen Erreger. Ein Quantiferon- oder Tspot-TB-Test ist hier wenig hilfreich, da diese weder einen Ausschluss einer aktiven Infektion mit Mycobacterium tuberculosis erlauben (nur als Test auf latente TBC geeignet) noch Infektionen mit nicht tuberkulösen Mycobakterien detektieren. Im Verlaufs-PET-CT nach 3 Monaten, noch vor Start der antibiotischen Therapie – in erster Linie mit Frage nach Progression der Infektion, Graftintegrität sowie Herzklappenbeteiligung –, war die metabolisch aktive mediastinale Weichteilmasse grössenprogredient (Abb. 3), und in der TEE erschien die Aortenwurzel verdickt und inhomogen aufgetrieben im Sinne einer beginnenden Abszedierung. Die Integrität des Grafts war erhalten und die Funktion der mechanischen Aortenklappenprothese einwandfrei. Zeichen einer Klappen-Endokarditis gab es keine.

Gemäss CDC-Kriterien (5) liess sich beim Patienten ein chronisches Q-Fieber diagnostizieren, bei bildgebend bestätigter Infektion des Aortengrafts, Nachweis von Coxiella burnetii mittels PCR aus dem histologischen Material aus dem periaortalen Infektionsherd sowie serologisch Nachweis eines Phase-I-IgG-Titers von ≥ 1 : 800 im IFA («Indirekter Immunfluoreszenz-Antikörper-Assay»).

Definitive Diagnose

Chronische Infektion des Aortengrafts durch Coxiella burnetii.

Therapie und Verlauf

Die antibiotische Therapie der 1. Wahl des chronischen Q-Fiebers bei Erwachsenen ist eine Kombinationstherapie von Doxycyclin mit Hydroxychloroquin. Doxycyclin plus Chinolone wäre die Therapie der 2. Wahl (6). Eine operative Sanierung bei einwandfreier Aortenklappenfunktion und erhaltener Graftintegrität war bei unserem Patienten nicht indiziert. Eine symptomatische Therapie wäre nur bei akutem oligosymptomatischem Q-Fieber ohne Komplikationen beim ansonsten gesunden Patienten zu erwägen. Die mediastinale Lymphadenopathie zeigte sich 7 Wochen nach Therapiestart mit Doxycyclin plus Hydroxychloroquin grössenregredient (Abb. 4). Weiterhin normalisierten sich CRP, Blutsenkung und das periphere Blutbild.

Diskussion

Coxiella burnetii sind gramnegative kokkoide Stäbchen und Auslöser des Q-Fiebers, einer weltweit verbreiteten Zoonose. Als Wirte fungieren Rinder, Schafe, Ziegen, Hunde, Katzen, einige Wildtiere sowie Zecken. Beim Menschen wird eine Infektion mehrheitlich durch das Einatmen von erregerhaltigem Staub oder direkten Kontakt mit infizierten Tieren verursacht. Seltener durch Kontakt oder Konsum von kontaminierten Lebensmitteln wie Rohmilchprodukte oder durch den Stich infizierter Zecken (7). Beim Menschen genügen für die aerogene Infektion 1 bis 10 lebensfähige Organismen, die als Sporenbildner auch in schwierigen Umweltbedingungen (Kälte, Wärme, Trockenheit) teilweise jahrelang überleben. Die Erkrankung verläuft bei bis zu 50 % der infizierten Patienten asymptomatisch oder mit milden Symptomen. Akute Manifestationsarten sind atypische Pneumonien, Hepatitiden, Meningoenzephalitiden oder Endo-/Myokarditiden. Chronisches Q-Fieber kann in 1–5 % der Patienten symptomatischen oder asymptomatischen akuten Infektionen folgen und kann sich noch Jahre nach einer Ansteckung manifestieren (8). Patienten mit Herzklappenerkrankungen, Gefässprothesen oder arteriellen Aneurysmata sowie Immunsupprimierte und Schwangere haben ein erhöhtes Risiko für chronisches Q-Fieber. Infektionen von Gefässprothesen und Aneurysmata gelten mit 9 % als zweithäufigste Form des chronischen Q-Fiebers nach der Endokarditis mit 78 % (9).

Patienten mit Q-Fieber-Graftinfektionen zeigen häufig Symptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Bauchschmerzen und Müdigkeit (9).
Bei Coxiella-Graftinfektionen wird eine antibiotische Therapie über 1.5–2 Jahre empfohlen (5). Coxiellen sind in­trazelluläre Bakterien, womit die Immunantwort primär T-Zell-mediiert ist und Antikörper somit schlechte Marker sind. Daher kann zum Therapiemonitoring und dem Festlegen der definitiven Therapiedauer, ausser dem klinischen und radiologischen Ansprechen, die Negativierung der PCR im Serum herangezogen werden (10). Retrospektiv konnte Letzteres bei unserem Fall aus noch asservierten Serumproben gezeigt werden: Während die PCR auf
C. burnetii aus einer Serumprobe 4 Monate nach Therapiebeginn positiv ausfiel, zeigt sich die PCR in einer Serumprobe 11 Monate nach Therapiebeginn negativ.

Eine rechtzeitige Entfernung einer infizierten Gefässprothese vor deren weitgehenden Destruktion kann das Patientenüberleben verbessern (5, 9, 11). Die Mortalität korrekt behandelter vaskulärer Q-Fieber-Infektionen liegt bei 25–33 % (9).

Ob die beim Patienten vorliegenden Hautveränderungen an beiden Unterschenkeln im Zusammenhang stehen mit dem Q-Fieber, ist nicht auszuschliessen, zumal kutane Veränderungen zumindest bei akuten Coxiellen-Infektionen beschrieben sind (12). Unter Therapie ist es bis anhin zu keiner Regredienz der purpurischen Hautveränderungen gekommen.

Kyriakos Marinakis 1, Annegret Meyer-Hari 2, Corina Dommann-Scherrer 3, Urs Karrer 4, Adrian Schmid 4

1 Klinik für Innere Medizin, Zentrum für Allgemeine Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur
2 Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Kantonsspital Winterthur
3 Institut für Pathologie, Kantonsspital Winterthur
4 Fachbereich Infektiologie und Spitalhygiene, Zentrum für Allgemeine Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur

Author Contributions Statement
Wir bestätigen, dass alle Autoren an der Konzeption und dem Design des Manuskripts oder der Analyse und Interpretation der Befunde des Patienten beteiligt waren und mit der Veröffentlichung einverstanden sind.

Historie
Manuskript eingegangen: 05.04.2024
Angenommen nach Revision: 24.03.2025

Verdankung
Die Autoren danken den Kolleginnen und Kollegen der Radiologie und Nuklearmedizin des Kantonsspitals Winterthur für die computertomographischen Aufnahmen und deren Befundung.

Dipl. med. Kyriakos Marinakis

Kantonsspital Winterthur
Zentrum für Intensivmedizin
Brauerstrasse 15, Postfach
8401 Winterthur

medpol@ksw.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Q-Fieber ist eine Zoonose, verursacht durch Coxiella burnetii, und kann eine chronische Infektion mit sehr ­unspezifischem klinischen Bild auslösen.
• Patienten mit Herzklappenerkrankungen, Gefäss­prothesen oder arteriellen Aneurysmata sowie ­Immunsupprimierte und Schwangere haben ein erhöhtes Risiko für chronisches Q-Fieber.
• Die antibiotische Therapie der Wahl des chronischen
Q-Fiebers bei Erwachsenen ist Doxycyclin und ­Hydroxychloroquin.
• Bei Patienten mit Herzklappenerkrankungen,
Gefässprothesen oder arteriellen Aneurysmata muss
eine operative Sanierung evaluiert werden.

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Unklare Bauchschmerzen als Hinweis auf ein schweres Leiden

Anamnese

Ein 60-jähriger Patient stellte sich im Juli 2021 bei seinem Hausarzt aufgrund rechtsseitiger Unterbauchschmerzen vor. Aus der Anamnese liess sich auf keine Erkrankungen schliessen, welche die Beschwerden erklären konnten. Sozialanamnestisch war auffällig, dass der Patient seit einem Unfall (Spondylodese Lendenwirbelkörper 5/Sakralwirbelkörper 1) bereits mehr als 10 Jahre nicht berufstätig ist, davor war er als Gärtner tätig gewesen. Als möglich relevante Noxe wurde vom Patienten ein fortgesetzter Nikotin­abusus (50 Packyear) berichtet. Die bis dahin vom Hausarzt veranlassten Untersuchungen (kleine Laboranalytik, Abdomensonographie) waren unauffällig, die Ätiologie der Bauchschmerzen blieb zunächst unklar. Da im August 2021 neben den unklaren Bauchschmerzen neu Hämoptysen und ein ungewollter Gewichtsverlust auftraten, erfolgte eine Zuweisung in die ambulante pneumologische Sprechstunde eines Zentrumsspitals (Luzerner Kantonsspital).

Befunde

Bei der Vorstellung im September 2021 in der pneumologischen Sprechstunde waren neben einem leicht blutig tingiertem Sputum die Inspektion, Palpation und Auskultation von Thorax und Abdomen unauffällig. Bei subfe­brilen Temperaturen und einem reduzierten Allgemeinzustand fand sich klinisch kein Infektfokus. Laboranalytisch bestand ein unklarer Entzündungszustand bei Nachweis einer Leukozytose (10.9 g/l), Neutrophilie (7.99 g/l), CRP-Erhöhung (113 mg/l) und Thrombozytose (303 g/l). Weiter auffällig war ein grenzwertiger Hämoglobinwert (Hämoglobin 128 g/l), mit Absinken des Hämoglobinwertes bis 59 g/l im Verlauf (Referenzwerte Luzerner Kantonsspital: Leukozyten 2.6–7.8 g/l, neutrophile Granulozyten 0.9–4.5 g/l, Hämoglobin 127–163 g/l, Thrombozyten 130–330 g/l).

Weitere Abklärungsschritte und ­differenzialdiagnostische Überlegungen

In der erstmals durchgeführten CT (Computertomographie) des Thorax (Abb. 1) wurden multiple bilaterale Lungenrundherde mit hämorrhagischen Komponenten unklarer Dignität mit hilärer Lymphadenopathie dargestellt. Bei Hämoptoe einhergehend mit systematischen Entzündungszeichen bestand bildmorphologisch und differenzialdiagnostisch (DD) zunächst der Vd. a. eine entzündliche Ätiologie, infektiöse Ätiologie, Vaskulitis oder Sarkoidose. Bei unklarem Entzündungszustand und Bauchschmerzen erfolgte weiter eine CT des Abdomens, in welcher ein abdomineller Infektfokus ausgeschlossen wurde, jedoch eine paraaortale Lymphadenopathie (32 x 18 x 40 mm) vor dem dritten Lendenwirbelkörper dargestellt wurde.

Weiter erfolgte eine breite laboranalytische Diagnostik (September bis Oktober 2021), zusammenfassend waren die Anti-MPO-Antikörper, Anti-PR3-Antikörper, die freien Leichtketten, Immunfixation, das Alpha-Fetoprotein, die Porphyrie (Urin), der Quantiferon-Test und die Kulturen der Bronchiallavage (BAL) sowie Blutkulturen auf Bakterien und Spross- und Schimmelpilze negativ, es wurden keine säurefesten Stäbchen, Pneumocystis jirovecii DNA, respiratorische Viren (Multiplex DNA), Coxiella burnetii, Brucella nachgewiesen. Im Tracheal-/Bronchialsekret wurde Staphylococcus aureus nachgewiesen, was als Besiedelung ohne Krankheitswert interpretiert wurde.

In der BAL vom 14.09.2021 wurden viele Makrophagen, keine Granulome oder auf maligne Neoplasie verdächtige Zellen nachgewiesen, der Befund war mit einem leichtgradigen alveolären Hämorrhagiesyndrom DD Vaskulitis vereinbar. Bronchoskopisch war eine Biopsie der beschriebenen Lungenläsionen aufgrund des hohen Blutungsrisikos nicht möglich. Bei initialem Vd. a. Vaskulitis wurde eine Fluordesoxyglucose(FDG)-PET(Positronen-Emissions-Tomographie)-CT durchgeführt. Hier wurden multiple, stark FDG aktive osteolytische/ossäre, pulmonale und kutane Herde dargestellt sowie insbesondere ein aktiver, hoch tumorverdächtiger Prozess dorsal der distalen Aorta abdominalis mit Vd. a. Infiltration der Aortenwand (Abb. 2).

Es erfolgte eine Biopsie (Feinnadelpunktion) einer ossären Läsion der Crista iliaca links am 20.09.2021, wobei der Befund als atypisches epithelioides Hämangiom des Knochens und somit als benigne Neubildung interpretiert wurde – was allerdings nicht zum klinischen Bild mit dem Vd. a. ein ossär metastasiertes Tumorleiden passte. Nach einer ersten Besprechung am Tumorboard (Sarkomboard) am 05.10.2021 und bei empfohlener Rebiopsie wurde eine Thorakoskopie mit Biopsie der Pleura und Lunge geplant. Bevor diese erfolgen konnte, stellte sich der Patient notfallmässig aufgrund massiver rechtsseitiger Thoraxschmerzen und Hämoptoe im Rahmen eines rechtsseitigen Hämatothorax vor (Abb. 3), weshalb neben einer Hämatomausräumung eine Pleurabiopsie und Wedge-Resektion des Mittellappens rechts und eine PleurX-Drainage-Einlage am 13.10.2021 erfolgten.

Der Patient hatte zudem rezidivierende Fieberschübe mit anhaltender CRP-Erhöhung und Leukozytose. Eine empirische antibiotische Therapie mit Piperacillin/Tazobactam wurde bei fehlender Wirkung und negativen Blutkulturen beendet. Ebenfalls zeigte ein Therapieversuch mit Prednison über eine Woche keine Auswirkung auf die Schmerzen oder den Entzündungszustand, welcher am ehesten als Tumorfieber bei Vd. a. Malignom interpretiert wurde.

Im kurzfristigen Verlauf zeigte sich computertomographisch ein deutlicher Progress der metastasenverdächtigen pulmonalen Läsionen und der abdominellen Raumforderung. Neu wurden kleine aktive Blutungsfoci in einer Lungenmetastase im rechten Oberlappen dargestellt. In den Biopsien (Pleura, Lunge) der am 13.10.2021 erfolgten Operation wurde histologisch eine epithelioidzellige vaskuläre Neoplasie nachgewiesen und die Diagnose eines aggressiven epithelioiden Angiosarkoms gestellt. In Zusammenschau der Befunde wurde auch das erste Biopsat als hochproliferative epithelioidzellige vaskuläre Neoplasie mit Pleomorphie und multiplen eosinophilen Granulozyten interpretiert.

Diagnose

Nach erneuter Besprechung am Sarkomboard (Swiss Sarcoma Board; www.swiss-sarcoma.net) vom 29.10.2021 wurde unter Berücksichtigung aller Befunde die Diagnose eines pulmonal, kutan und ossär metastasierten epithelioiden Angiosarkoms (retro-extraperitoneal im tiefen Weichteilgewebe) gestellt und eine palliative systemische Chemotherapie mit Paclitaxel wöchentlich empfohlen. Trotz diverser supportiver therapeutischer Massnahmen (Bluttransfusionen, Thoraxdrainagen bei Hämatothorax, antiinfektive Therapie) kam es im kurzfristigen Verlauf zu einer rapiden und unaufhaltsamen Verschlechterung des Allgemeinzustandes des Patienten. Zudem bestand im Verlauf computertomographisch auch der Vd. a. zerebrale Metastasen. Der Beginn einer Chemotherapie war unter diesen Umständen nicht möglich, sodass im Einvernehmen mit dem Patienten und dessen Angehörigen eine palliativmedizinische Komplexbehandlung eingeleitet wurde. Der Patient ist am 04.11.2021 verstorben. Aus religiösen Gründen wurde auf Wunsch des Patienten keine Autopsie durchgeführt.

Kommentar

Das Angiosarkom ist ein hochmaligner und seltener endothelialer Tumor (1 % aller Weichteilsarkome) (1) und ist häufig mit einer schlechten Prognose verbunden. Angiosarkome können primär oder sekundär auftreten, z. B. durch therapeutische Radiotherapie (mit einer Latenz von 8–10 Jahren), bei chronischem Lymphödem, oder in stark sonnenexponierter Haut entstehen (2). Die Ätiologie von Angiosarkomen, welche ohne diese Risikofaktoren entstehen, ist noch weitgehend unklar. Die häufigsten Lokalisationen betreffen den Kopf- und Halsbereich, gefolgt von thorakalen, viszeralen und kutanen Lokalisationen an den Extremitäten (3).

Die Diagnosestellung gestaltet sich bei den im Frühstadium der Erkrankung oft fehlenden oder unspezifischen Symptomen schwierig. Zur Diagnostik werden als bildgebende Verfahren die Sonographie, CT, PET und Magnetresonanztomographie eingesetzt. Die Diagnosebestätigung erfolgt immer histopathologisch unter Zuhilfenahme von Immunhistochemie und Molekularpathologie.

Die konventionellen therapeutischen Möglichkeiten bestehen in der chirurgischen Resektion, Radiotherapie und Chemotherapie und «targeted therapy». Insbesondere kutane Angiosarkome mit einem hohen tumor-mutational-burden (Tumormutationslast) sprechen gut auf Immuntherapien an (4, 5), wohingegen alle anderen Angiosarkome weiterhin schwierig zu behandeln sind und meist nur kurz auf eine Therapie ansprechen (6). Insgesamt haben Patienten mit einem Angiosarkom eine schlechte Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate zwischen 30 % und 54 % (7). Neben klinischen Parametern (Alter, Tumorgrösse, Erkrankungsstadium) sind prädiktive Faktoren für das Ansprechen auf Chemotherapie im Wesentlichen noch weitgehend unbekannt. Als möglich prädiktiver Parameter hinsichtlich Gesamtüberleben werden z. B. die Tumormutationslast, die PD-L1-Expression und die Neutrophilen-zu-Lymphoztyen-Ratio untersucht.

Bei dem geschilderten Fallbeispiel gestaltete sich die Diagnostik einerseits aufgrund der unspezifischen Symptome und Befunde kompliziert, andererseits durch die schwierig zu lesende Histologie auch nach Erhebung der klinischen Verdachtsdiagnose eines metastasierten Angiosarkoms. Im Zeitraum vom Symptombeginn bis zur Bestätigung der Diagnose hat sich der Zustand des Patienten so stark verschlechtert, dass ein Beginn der Chemotherapie nicht mehr möglich war.

Aktuelle Therapieansätze, Zukunfts­perspektiven

Zytostatische Chemotherapien (Doxorubicin, Paclitaxel, Gemcitabin-basierte Therapien) werden aktuell am häufigsten als Therapie bei Angiosarkomen eingesetzt. Als weitere Therapielinien werden orale zielgerichtete Krebstherapien (z. B. Pazopanib/Kinaseinhibitoren) auch bei limitiertem therapeutischem Benefit in Betracht gezogen sowie Immuntherapien. Als vielversprechend werden die «Next generation ‹Omic›, ‹Single cell sequencing› und ‹Spatial profiling›»-Technologien erforscht, welche eine Präzisionsonkologie bei Angiosarkomen ermöglichen sollen.
Checkpoint-Inhibitoren (z. B. anti-CTLA-4, PD-1) zeigen bei Weichteilsarkomen teilweise ein Ansprechen, sie regulieren kritische Inhibitionssignale der T-Zellen (z. B. PD-1, PD-L1, CTLA-4-Achsen) als Monotherapie oder in Kombination mit Chemotherapie.

Mehrere retrospektive Studien haben die Beziehung zwischen der Tumormutationslast und den Outcomes bei Therapien mit Checkpoint-Inhibitoren untersucht, so zeigte sich zum Beispiel, dass Pembrolizumab als Monotherapie bei einer hohen Tumormutationslast mit besserem Ansprechen assoziiert ist (8).

Mehrere Studien haben die Wirksamkeit von Immuntherapien bei Sarkomen untersucht, oder Sarkompatienten wurden in Basket-Studien zu Immuntherapien eingeschlossen. Hinsichtlich der Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren bei Angiosarkomen sind die Studienergebnisse vorsichtig zu interpretieren, da Angiosarkome auch in Sarkomstudien jeweils nur eine kleine Subgruppe ausmachen (von mehr als 100 verschiedenen Weichteilsarkom-Subtypen).

In der DART-Studie (multizentrische prospektive Studie), welche die Kombination von Ipilimumab und Nivolumab bei seltenen Malignomen untersuchte, zeigte sich ein gutes Gesamtansprechen bei Angiosarkomen von insgesamt 25 % und gar ein Ansprechen von 60 % bei kutanen Angiosarkomen (7, 9).

Eine Strategie zur Verstärkung der Immunantwort bei Weichteilsarkomen ist die Kombination von Chemotherapien oder niedermolekularen Inhibitoren wie Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) mit der Immuntherapie. Als weiterer Therapieansatz wird adoptiver Zelltransfer / adoptive Immuntherapie untersucht, die primäre Strategie liegt in der Erkennung von inadäquaten (Neo-)Antigenen durch konstruierte T-Zell-Rezeptoren (TCR), chimerische Antigen-Rezeptor(CAR)-T-Zelltherapie und Tumor-infiltrative Lymphozyten (TIL) (9). Weiter werden Krebsimpfstoffe (T-VEC) untersucht, es handelt sich hierbei um eine onkolytische virale Immuntherapie durch intratumorale Injektion (Antigenpräsentation und tumorspezifische T-Zellen) (10).

Lisa Stoilov 1, Veronika Blum 2, Beat Müller 3

1 Klinik für Innere Medizin, Luzerner Kantonsspital, Luzern
2 Medizinische Onkologie, Luzerner Kantonsspital, Luzern
3 Medizinische Onkologie und Palliative Care, Luzerner Kantonsspital, Luzern

Abkürzungen
Anti-MPO Antikörper gegen Myeloperoxidase
Anti-PR3 Antikörper gegen Proteinase 3
Anti-CTLA-4 Antikörper gegen cytotoxic T-lymphocyte-associated Protein 4
BAL Bronchiallavage
CAR chimärischer Antigen-Rezeptor
CRP C-reaktives Protein
CT Computertomographie
DART-Studie Dual Anti-CTLA-4 and Anti-PD-1-Blockade in Rare Tumors
DNA Desoxyribonukleinsäure
DD differenzialdiagnostisch/Differenzialdiagnose
FDG Fluordesoxyglucose
MRT Magnetresonanztomographie
PET Positronen-Emissions-Tomographie
PD-1 programmed cell death protein
PD-L1 programmed death-ligand 1
TCR T-Zell-Rezeptoren
TKI Tyrosinkinaseinhibitor
TIL tumor-infiltrative Lymphozyten
T-VEC Talimogen laherparepvec
T-Zellen T-Lymphozyten
Historie
Manuskript eingegangen: 20.11.2024
Angenommen nach Revision: 16.04.2025
Dr. med. univ. (AUT) Lisa Stoilov

Medizinische Onkologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse 16
6000 Luzern

Dr. med. Beat Müller

Medizinische Onkologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse 16
6000 Luzern

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Angiosarkome aggressive Subtypen der Weichteilsarkome mit einer schlechten Prognose und limitierten Therapieoptionen sind. Checkpoint-Inhibitoren können bei Angiosarkomen, insbesondere kutanen, wirksam sein. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung ist es kaum möglich, randomisierte Therapiestudien durchzuführen bzw. stellen Angiosarkome in Studien eine kleine Subgruppe dar, sodass es oftmals schwierig ist, Konklusionen für diese Entität zu ziehen. Trotzdem werden neue innovative Ansätze verfolgt, um die Therapie von Patienten mit Weichteilsarkomen, inklusive Angiosarkomen, zu erweitern, zu personalisieren und damit die Prognose zu verbessern (7).

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4. Vaia Florou, Andrew E. Rosenberg, Eric Wieder et al. Angiosarcoma patients treated with immune checkpoint inhibitors: a case series of seven patients from a single institution. J Immunother Cancer. 2019;7:213.
5. M. J. Wagner, Othus M, et al. Multicenter phase II trial (SWOG S1609, cohort 51) of ipilimumab and nivolumab in metastatic or unresectable angiosarcoma: a substudy of dual anti-CTLA-4 and anti-PD-1 blockade in rare tumors (DART). Journal for ImmunoTherapy of Cancer 2021;9:e00299.
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Verzögerte Knochenheilung nach Osteotomie – was die Familienanamnese verriet

Anamnese und Befunde

Eine 35-jährige Patientin klagte seit Jahren über Leistenschmerzen und Bewegungseinschränkungen der rechten Hüfte. Nachdem sich die Beschwerden während einer Schwangerschaft verschlechtert hatten, wurde letztlich die Diagnose einer Hüftdysplasie gestellt. Die Patientin unterzog sich daraufhin einer periacetabulären Umstellungsosteotomie (PAO). Der Eingriff verlief problemlos; die wegen starker postoperativer Schmerzen zunächst verzögerte Mobilisation konnte durch intensive Physiotherapie verbessert werden. Bei der radiologischen Kontrolle nach drei Monaten fiel eine verzögerte Knochenheilung auf (Abb. 1). Zusätzlich klagte die Patientin erneut über zunehmende Schmerzen.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Eine verzögerte Knochenheilung tritt nach PAO in bis zu 10 % der Fälle auf. Risikofaktoren sind Alter, genaue Lokalisation der Osteotomie und Ausprägung der zugrunde liegenden Hüftdysplasie (1). Zusätzlich unterliegt die Knochenheilung zahlreichen weiteren Einflussfaktoren. Unter anderem können eine zu frühe Belastung, Infektionen, chronischer Stress, Nikotinabusus, Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder Durchblutungsstörungen zu einer verzögerten Knochenheilung führen (2). Auch Medikamente, insbesondere Kortikosteroide, Chemotherapeutika, Immunsuppressiva (3), und endokrinologische Erkrankungen wie Hypothyreose, primärer Hyperparathyreoidismus oder Hypercortisolismus beeinflussen den Knochenstoffwechsel. Im Tiermodell gibt es Hinweise, dass Osteoporose ebenfalls einen Risikofaktor für Knochenheilungsstörungen darstellt. Eine Evidenz beim Menschen wurde bisher noch nicht nachgewiesen (4). Eine weitere Ursache ist die Osteomalazie, die definiert ist als generalisierte Knochenerkrankung mit verminderter Mineralisation. Die Ursachen hierfür sind vielfältig (5).
Häufigste Ursache der Osteomalazie ist ein Vitamin-D-Mangel, der meist durch ungenügende Sonnenlichtexposition oder nutritiv verursacht ist. Gelegentlich tragen Malabsorptions- und Malassimilationssyndrome mit verminderter Vitamin-D- und Kalziumaufnahme dazu bei. Ein funktioneller Vitamin-D-Mangel kann z. B. bei chronischer Niereninsuffizienz durch einen 1-α-Hydroxylase-Mangel, nephrotischem Syndrom mit Verlust von Vitamin-D-Bindungsproteinen oder Leberzirrhose mit verminderter 25-OH-Hydroxylierung entstehen. Genetische Ursachen, die die Aktivität der 1-α-Hydroxylase vermindern oder den Vitamin-D-Rezeptor betreffen, sind sehr selten (6, 7).

Auch ein Phosphatmangel kann eine Osteomalazie verursachen. Dieser kann durch eine verminderte gastrointestinale Resorption, z. B. bei nutritivem Mangel, Einnahme von Antazida oder eine gestörte renale Reabsorption auftreten. Erworbene Formen können durch paraneoplastische Phänomene oder sekundären Hyperparathyreoidismus, Multiples Myelom, Fanconi-Syndrom, Medikamente und Cadmiumexposition hervorgerufen werden (7).

Erkrankungen, die zu einer direkten Störung der Mineralisation führen, sollten ebenfalls in Betracht gezogen ­werden: Osteogenesis imperfecta, Aluminium- und Fluoridexposition, möglicherweise Bisphosphonate (z. B. Etidronat). Allerdings konnte für die aktuell gebräuchlichen Bisphosphonate kein hemmender Effekt auf die Knochenheilung nachgewiesen werden (4). Eine seltene Ursache ist die Hypophosphatasie mit im Gegensatz zu anderen Ursachen der Osteomalazie erniedrigter Aktivität der alkalischen Phosphatase (AP) im Serum.

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

Zunächst wurde im vorliegenden Kontext eine zu frühe postoperative Belastung in Kombination mit einem leichten Vitamin-D-Mangel bei einem Messwert von 39 nmol/l (30–50 nmol/l gelten bei Erwachsenen als suboptimale Versorgung) als Ursache für die Knochenheilungsstörung postuliert. Der Heilungsverlauf war jedoch, trotz angepasster Entlastung über sechs, statt der eigentlich vorgesehenen drei Monate und Vitamin-D-Substitution, weiterhin verzögert.

Anhand weiterer Laboruntersuchungen konnten eine endokrinologische Störung und ein Substratmangel ausgeschlossen werden: Parathormon, TSH, Phosphat- und Kalziumspiegel lagen im Normbereich. Der einzige auffällige Laborbefund war eine mit 33 IU/l (Normwerte bei Erwachsenen 40–120 IU/l) leicht erniedrigte Aktivität der AP.

Eine Knochendichtemessung zeigte eine lediglich leichte Osteopenie. Chronische Erkrankungen waren nicht vorbekannt, in der Vergangenheit aufgetretene Symptome waren eher unspezifisch: Die Patientin klagte über häufige Knieschmerzen, gelegentliche Muskelverspannungen im Nacken, und in der Kindheit wurde beidseitig ein Pes valgus diagnostiziert. Frakturen waren nie aufgetreten, Zahnprobleme bestanden keine.

Weitere differenzialdiagnostische Überlegungen

Eine erniedrigte Serumaktivität der AP ist ein seltener Befund, die Ursachen sind vielfältig und reichen von nutritiven oder resorptiven Mangelzuständen, Stoffwechselerkrankungen und schweren endokrinologischen Störungen bis hin zu seltenen Knochenerkrankungen. Zu erwähnen sind hier Hypomagnesiämie, Hämochromatose, Morbus Wilson (8), schwere Hypothyreose, M. Cushing, Multiples Myelom, schwere Anämie oder die Einnahme von Vitamin D, Kortikosteroiden oder Bisphosphonaten (9).

Weiterer Verlauf

Letztlich war im vorliegenden Fall die Familienanamnese wegweisend: Die Nichte der Patientin ist an einer schweren pränatalen Form der Hypophosphatasie erkrankt, die Schwester ist Träger einer heterozygoten Mutation im ALPL-Gen.

Nach längerem Heilungsverlauf und intensiver Physiotherapie war die Patientin ca. ein Jahr postoperativ beschwerdefrei.

Kommentar

Pathophysiologie

Die Hypophosphatasie (HPP) ist erblich und wird durch eine Mutation im ALPL-Gen, das die gewebeunspezifische alkalische Phosphatase (TNSAP) codiert, verursacht. Dies führt zu einer verminderten oder fehlenden Enzymaktivität. Die TNSAP ist das Schlüsselenzym des Knochenstoffwechsels (10) und macht ca. 95 % der im Serum messbaren Aktivität der alkalischen Phosphatase aus (7). Durch die Hydrolyse von Pyrophosphat (PPi) stellt sie Phosphat zur Bildung von Hydroxyappatit bereit und ist an der Regulation von Osteopontin und Osteo- sowie Myoprogenitorzellen beteiligt (10–12). Die verminderte Enzymfunktion und konsekutive Kumulation der Substrate, insbesondere PPi als potenter Inhibitor der Ossifikation (11, 13), führen zu einer Störung des Knochenstoffwechsels, die auch das Parodontium betreffen kann. Ablagerungen von PPi können zudem Pyrophosphat-Arthropathien und weitere entzündliche Prozesse mit Muskelschmerzen sowie Nephrokalzinose verursachen (14).

Aktives Vitamin B6 (Pyridoxal-5’-Phosphat, PLP) ist ein weiteres Substrat der TNSAP und ein wichtiger Kofaktor bei der Transmittersynthese im ZNS. Bei fehlender Dephosphorylierung kann es die Bluthirnschranke nicht überwinden, und ein konsekutiver Mangel im ZNS kann Krampfanfälle verursachen (11, 15).

Epidemiologie

Der geschilderte Fall ist typisch für die adulte Form der HPP. Sie manifestiert sich meist im mittleren Lebensalter durch unspezifische muskuloskelettale Beschwerden und Knochenheilungsstörungen sowie variabel erniedrigter Aktivität der AP und evtl. erhöhtem PLP-Spiegel mit ansonsten normalen Laborwerten. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und der häufig unspezifischen Manifestation wird die Diagnose meist verzögert gestellt (7). Die Prävalenz der adulten Form wird in Westeuropa mit 1/6370 angegeben, aber je nach Autor weit über 40-fach höher geschätzt. Milde Formen sind vermutlich noch häufiger und stark unterdiagnostiziert (8, 11, 16–18).

Symptome

Eine komplexe Genetik und die vielfältigen Funktionen der TNSAP führen zu einem breiten klinischen Spektrum von pränatal letalen Formen mit komplett fehlender Mineralisation bis zur leichten adulten Form mit milder Symptomatik (19). Bei Manifestation in der Kindheit kann der Verlauf der Erkrankung schwer und von Komplikationen geprägt sein. Je nach Klinik und Manifestationsalter hat sich eine Einteilung in unterschiedliche Formen etabliert (Tab. 1).


Bei der adulten Form sind schlecht heilende Stressfrakturen und muskuloskelettale Schmerzen v. a. an Hüfte und Oberschenkel häufig. Zudem können Pyrophosphat-Arthropathien auftreten (8, 20). Femorale Pseudofrakturen werden teilweise als pathognomonisch beschrieben (8, 16). Viele Betroffene berichten von frühem Milchzahnverlust, Karies oder rachitischen Beschwerden in der Kindheit (11, 16, 17). Auch extraskelettale Manifestationen wie Nephrokalzinose und neurologische Symptome, die bei der adulten Form u. a. Fatigue, Kopfschmerzen, Schwindel und Gangunsicherheit umfassen, sind möglich (8, 13).

Diagnosekriterien

Das charakteristische biochemische Merkmal der HPP ist eine anhaltend erniedrigte Aktivität der AP im Serum (16), oft in Kombination mit einem erhöhten PLP-Spiegel (13). Letzterer korreliert mit der Schwere der Erkrankung und hat eine gute diagnostische Sensitivität (8, 16).

Bezüglich der AP-Messung muss aufgrund der Fehleranfälligkeit auf eine korrekte Präanalytik geachtet werden (13). Die Beurteilung der Werte erfolgt unter Berücksichtigung von alters- und geschlechtsspezifischen Grenzwerten. Mögliche Ursachen für falsch hohe Messwerte wie Cholestase, aktive Frakturheilung oder Schwangerschaft, Knochenmetastasen, Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus, Leber- oder Pankreaserkrankungen müssen ausgeschlossen werden (16, 21). Differenzialdiagnosen erniedrigter AP-Werte sind oben aufgeführt.
Häufig wird ein Anstieg von Phosphoethanolamin im Urin beobachtet und kann als diagnostischer Parameter herangezogen werden (20).
Weitere laborchemische Parameter wie 25-OH-Vitamin- D, Calcium, Phosphat und Parathormon sind im Gegensatz zu anderen Ursachen einer Osteomalazie in der Regel normwertig.

Aktuell gibt es keine Leitlinien zur Diagnostik der HPP. Eine internationale Arbeitsgruppe hat anhand eines systematischen Reviews und Expertenmeinungen Diagnosekriterien für die HPP vorgeschlagen. Obligat ist eine persistierend erniedrigte AP-Aktivität, in Kombination mit klinischen Haupt- und Nebenkriterien (13) (Tab. 2).

Genetik

Genetische Abklärungen werden in der Regel bei wiederholt tiefen Messwerten der Serumaktivität der AP und passender Klinik sowie Anamnese durchgeführt. Insbesondere bei Kinderwunsch sollten eine genetische Abklärung zur Diagnosesicherung und Beratung in Betracht gezogen werden (16, 20). Ein fehlender Mutationsnachweis ist allerdings kein sicheres Ausschlusskriterium (8, 13). Aktuell sind über 400 Mutationen bekannt, mit zudem variabler Expressivität, Penetranz und unterschiedlichen Erbgängen (8, 16). Eine sichere Genotyp-Phänotyp-Korrelation ­konnte bisher nicht identifiziert werden (19). Die Symptomatik ist abhängig von der Restaktivität der TNSAP (16, 17) und kann selbst bei Patienten mit identischem Genotyp stark variieren (13).

Therapie

Bei Erwachsenen liegt der Schwerpunkt auf einer supportiven symptomatischen Therapie, die aus bedarfsorientierter Schmerz- und Physiotherapie besteht (17). Ein Screening auf mögliche zahnärztliche, nephrologische und orthopädische Komplikationen und Überwachung der Calcium-Homöostase sind notwendig (16). Eine Übersubstitution von Vitamin D und Calcium sollte wegen des hemmenden Effekts auf die TNSAP vermieden werden.

Seit 2015 ist eine Enzymersatztherapie mit Asfostase alfa, einer rekombinanten TNSAP, verfügbar. Indiziert ist diese zur Behandlung von Skelettmanifestationen bei Kindern und bei Erwachsenen mit drohender Invalidisierung und Manifestation im Kindes- und Jugendalter (11, 17). Bei erwachsenen Patienten kann je nach Symptomatik auch eine passagere Behandlung, z. B. bei schlecht heilenden Frakturen, in Betracht gezogen werden (17).

Teriparatid ist das Medikament der Wahl zur Behandlung einer allfälligen Osteoporose. Klinische Erfahrungen hierzu sind jedoch begrenzt. Bisphosphonate besitzen wegen ihrer strukturellen Ähnlichkeit zu PPi eine hemmende Wirkung auf die TNSAP und erhöhen möglicherweise das Risiko für atypische Femurfrakturen (16, 17, 20).

Historie
Manuskript eingegangen: 27.11.2025
Angenommen nach Revision: 04.06.2025

Dipl. med. Johanna Kuppinger

Hintere Gärten 8
8555 Müllheim

j.kuppinger@hin.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Bei Stressfrakturen, Knochenheilungsstörungen und chronischen Schmerzen auch an seltene Ursachen denken.
• Eine ausführliche Anamnese insbesondere bezüglich der Familie und früheren Beschwerden ist essenziell und oft wegweisend.
• Gut verfügbare Laboruntersuchungen sind in Kombination mit entsprechender Klinik für die HPP typisch: bei wiederholten Messungen erniedrigte Serumaktivität der AP, erhöhter PLP-Spiegel und normale Knochenstoffwechselparameter.
• Eine Genanalyse trägt zur Diagnosesicherung bei.

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Fieber, Tetraparese und Verwirrung

Anamnese und Befunde

Ein 40-jähriger Patient stellte sich aufgrund seit mehreren Tagen bestehenden Fiebers bis 39.6 °C, vorwiegend gastrointestinaler Beschwerden und positiver Umgebungsanam­nese auf der Notfallstation vor. Weder klinisch noch laborchemisch zeigten sich auffällige Befunde, sodass die Diagnose einer viralen Gastroenteritis gestellt und der Patient mit symptomatischer Therapie entlassen wurde. Am Folgetag wurde der Patient erneut vorstellig wegen eines akuten Harnverhaltes sowie zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustandes. In der klinischen Untersuchung konnten wiederum keine pathologischen Befunde erhoben werden, insbesondere war die perianale Sensibilität und der Sphinktertonus erhalten. Laborchemisch zeigten sich eine Hyponatriämie (128 mmol/l, Normalwert 136–145 mmol/l) und normwertige Entzündungsparameter. Nach Anlage eines Dauerkatheters erfolgte ein ambulantes Prozedere. Am nächsten Tag wurde der Patient vorstellig aufgrund lumbaler und paravertebral linksseitiger Rückenschmerzen, einer linksdominanten Beinschwäche sowie einer neu aufgetretenen Verwirrung.

In der klinischen Untersuchung zeigten sich folgende abnormen Befunde: Meningismus, linksbetonte Paraparese mit Hypästhesie und Hyperalgesie sub Th12 sowie Mastdarmstörung (fehlender Sphinktertonus) und qualitative Bewusstseinsstörung.

Die Blutuntersuchungen waren bis auf eine Hyponatriämie (130 mmol/l, Normalwert 136–145 mmol/l), Hypokaliämie (3.3 mmol/l, Normalwert 3.5–4.5 mmol/l) und ein minimal erhöhtes CRP (9 mg/l, Normalwert < 5 mg/l) unauffällig. Aufgrund der rasch aufsteigenden Tetraparese mit autonomen Symptomen im Sinne eines spinalen Notfalls mit zusätzlich qualitativer Bewusstseinsstörung war ein notfälliges MRI der spinalen Achse, des Schädels und in der Folge eine Lumbalpunktion indiziert. Während im MRI der Wirbelsäule eine langstreckige, unscharf begrenzte Signalstörung des zervikalen und thorakalen Myelons sowie des Conus medullaris mit assoziierter lineärer bis feinfleckiger Schrankenstörung imponierte, zeigte das cerebrale MRI eine hyperintense Signalstörung im Splenium des Corpus callosum mit assoziierter Diffusionsrestriktion (sog. CLOCC-Läsion) (Abb. 1). In der Lumbalpunktion zeigte sich ein entzündliches Liquorsyndrom mit ausgeprägter lymphozytärer Pleozytose. Das Krankheitsbild wurde syndromal als Enzephalomeningomyelitis eingeordnet.

Differenzialdiagnostische Überlegungen und Verlauf

Innerhalb zweier Tage nach stationärer Aufnahme kam es zu einer rasch aufsteigenden Querschnittsymptomatik mit Tetraplegie und Areflexie. Bei fehlendem Hustenstoss und kontinuierlicher Abnahme der bedside gemessenen Atemvolumina erfolgte eine Verlegung auf die Intensivstation zur Intubation. Es bestand eine schlaffe Tetraparese sub C4 mit sensiblem Niveau L1, die Hirnnerven waren nicht betroffen. Es erfolgte eine Diagnostik hinsichtlich infektiöser und nicht infektiöser Ursachen der ätiologisch offenen Enzephalomeningomyelitis.
Die bildgebenden Befunde erfüllen die Diagnosekriterien einer akuten longitudinalen transversen Myelitis (LETM) sowie einer milden Enzephalitis mit reversibler splenialer Läsion (MERS) (1).

MERS ist ein klinisch-radiologisches Syndrom, welches durch Enzephalopathie und transiente Läsionen im Splenium des Corpus callosum gekennzeichnet ist (2) – vergleiche Abb. 1C. Die LETM ist ein Subtyp der transversen Myelitis, bei welcher sich die Läsionen entlang des Rückenmarks über mindestens drei Level erstrecken – vergleiche Abb. 1A und B. Oft ist diese Erkrankung assoziiert mit Entitäten wie NMOSD (neuromyelitis optica spectrum disorder), MOGAD (myelin oligodendrocyte glycoprotein-associated disease) oder anderen autoimmunen/rheumatologischen Erkrankungen bzw. ADEM (acute disseminated encephalomyelitis) sowie Multipler Sklerose. MERS und LETM können assoziiert (para- bzw. postinfektiös) – aber nicht direkt ausgelöst – sein mit Infektionen durch Viren (Influenza, Enteroviren, Hepatitiden, Herpes simplex, VZV, HTLV, SARS-CoV-2, Röteln, Masern, Mumps, HIV, West Nile), atypische Bakterien (z. B. Borrelien, Treponema pallidum), Parasiten (z. B. Toxoplasma) und Pilze (z. B. Aspergillus fumigatus) (3, 4). Eine durch direkt pathogene nachweisbare Antikörper getriggerte Genese konnte nicht bewiesen werden (insb. MOG und AQ-4-AK negativ) (Tab. 1). Auch erschienen eine rheumatologische Grunderkrankung (Lupus erythematodes, Sjörgen-Syndrom, M. Behcet, Kollagenosen), Multiple Sklerose oder eine ­paraneoplastische Genese anhand der Anamnese (zuvor gesund) und Klinik (rasche Symptomentwicklung, gastrointestinale Beschwerden) unwahrscheinlich, weshalb auf entsprechende weiterführende Untersuchungen verzichtet wurde. Der Patient war nicht wissentlich immunsupprimiert, somit hielten wir opportunistische Erreger und insbesondere Pilzerkrankungen für unwahrscheinlich. Weitere klinisch wahrscheinliche Erreger wurden mittels PCR und Serologie nicht gefunden (Tab. 1). Initial wurde eine antiinfektive Therapie mittels Ceftriaxon und Aciclovir begonnen. Bei negativer infektiologischer Diagnostik wurde die Hypothese einer direkten infektiösen Genese verlassen und die Antiinfektiva gestoppt. Impfungen hatte der Patient keine erhalten. Aufgrund der klinischen Präsentation und der Infektanamnese wurde differenzialdiagnostisch an ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) gedacht. Dagegen sprach die ausgeprägte Pleozytose im Liquor (GBS: geringe Zellzahl, erhöhtes Protein im Sinne einer zytoalbuminären Dissoziation) sowie der positive Nachweis einer LETM im MRI der Wirbelsäule (GBS: unauffälliges Myelon oder Kontrastmittelaufnahme der Nervenwurzeln und der Cauda equina) (Tab. 2).

Metabolische (z. B. Vitamin B12, Kupfer, Vitamin E, Folsäure) bzw. toxische (im Rahmen Methotrexat, TNF-alpha-Blocker, Heroin) Myelopathien präsentieren sich zumeist mit einem schleichenden Verlauf (5). Anamnestisch nahm der Patient keine Medikamente oder andere Noxen zu sich. Im Blutbild zeigten sich keine Hinweise für eine Veränderung der Erythrozyten. Klinisch und anamnestisch bestand kein Hinweis auf eine Mangelernährung. Eine Kompression von aussen auf das Myelon und eine spinale Ischämie lag bildgebend nicht vor. Das neurologische Erscheinungsbild einer spinalen Ischämie wird weitgehend durch das betroffene Gefässgebiet bestimmt. Klinisch ergab sich kein Anhalt für ein Arteria-spinalis-anterior-Syndrom (rein motorische Symptomatik zu erwarten) und ein Brown-Séquard-Syndrom (keine dissoziierte Sensibilitätsstörung). Ebenso spricht der subakute Verlauf gegen eine ischämische Genese, hier wäre ein hochakutes Auftreten der Symptome zu erwarten (6).

Aufgrund des kontinuierlich steigenden Sauerstoffbedarfs und Nachweises einer Teilatelektase in der CT wurde eine Bronchoskopie und aufgrund massig vorhandenen putriden Sekrets eine Bronchiallavage durchgeführt.

Die initialen Symptome des Patienten liessen an eine virale Gastroenteritis denken. Trotz Ende der Grippesaison wurde aufgrund der positiven Umgebungsanamnese eine Testung auf Influenza durchgeführt. Es konnte Influenza B mittels PCR nachgewiesen werden, sodass nun von einer parainfektiösen Genese der Enzephalomeningomyelitis ausgegangen wurde. Ein entsprechender Virusnachweis im Liquor gelang bei parainfektiöser Genese erwartungsgemäss nicht.

Der Höhepunkt der Symptomatik war 10 Tage nach initialer Vorstellung und 16 Tage nach Symptombeginn erreicht. Wegen voraussehbarer längerer Beatmungspflicht wurde ein Tracheostoma sowie eine PEG-Sonde angelegt.

20 Tage nach Beginn der Infektsymptomatik war eine Rückkehr der Motorik in den oberen distalen Extremitäten zu beobachten, welche sich zunehmend nach proximal verbesserte. Die initiale enzephalopathische Komponente im Rahmen des MERS besserte sich rasch.
Nach Entwöhnung vom Respirator konnte der Patient nach 32 Tagen in eine Rehabilitationsklinik verlegt werden. Zu diesem Zeitpunkt war eine adäquate Kommunikation mit dem Patienten möglich. Hinsichtlich der Tetraplegie war der Patient motorisch weiter schwer beeinträchtigt (Muskelkraft obere Extremitäten M2–3, untere Extremitäten M0), während das sensible Niveau auf Höhe Th6 lag. Zudem persistierten eine ausgeprägte Dysphagie, welche die Entfernung der Trachealkanüle verunmöglichte, sowie Dysästhesien im Bereich der Beine.

Nach mehrwöchiger Neurorehabilitation zeigte der Patient signifikante Fortschritte. Aktuell liegt eine sensomotorisch inkomplette Paraplegie unterhalb von Th11 vor (Arme: M4–5, Beine: M0–1). Weiterhin bestehen neuropathische Schmerzen der Beine sowie Mastdarm- und Blasenentleerungsstörungen.

Diagnose und Therapie

Bei diesem Patienten kam es infolge einer Influenza-B-Infektion mit vorwiegend gastrointestinaler Symptomatik zu einer rasch aufsteigenden Tetraparese mit enzephalopathischen Symptomen. Wir gingen im Kontext der oben genannten Befunde von einer seltenen parainfektiösen Pathogenese der Myelitis im Rahmen der Influenza B aus.

Neben den klassischen respiratorischen und weniger häufigen gastrointestinalen Symptomen können Influenzaviren auch zu verschiedenen neurologischen Erkrankungen führen. Es sind direkt assoziierte neurologische Symptome wie bei der Influenza-assoziierten Enzephalopathie (IAE), die hauptsächlich bei Kindern beobachtet wird, möglich. Weiter kann es indirekt via immunologische Mechanismen zu neurologischen Manifestationen kommen, wie beispielsweise zum Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder wesentlich seltener zur milden Enzephalopathie mit reversibler splenialer Läsion (MERS) oder longitudinalen extensiven transversen Myelitis (LETM) (7). Influenzaviren wurden hierbei als ursächlich für diese Krankheitsbilder beschrieben, wenn auch das kombinierte Auftreten von MERS und LETM in diesem Kontext selten ist (8, 9).

Sowohl bei dem MERS als auch der LETM handelt es sich um eine immunologisch getriggerte Pathogenese. Beim MERS wird die isolierte Läsion im Splenium durch zytotoxische und intramyelinische Schwellung infolge einer Neuroinflammation vermutet, während beim LETM eine perivaskuläre Infiltration mit Monozyten und Lymphozyten zu Demyelinisierung und axonaler Schädigung führt. Klinisch treten beim MERS nach einer Phase mit Fieber als Prodromi am häufigsten Bewusstseinsstörungen, Kopfschmerzen und epileptische Anfälle auf, während bei der LETM motorische, sensorische und autonome Störungen im Vordergrund stehen. Zum Höhepunkt (Nadir zwischen 4 Stunden und 21 Tagen) der Erkrankung leidet etwa die Hälfte der Betroffenen an einer beinbetonten Paraplegie. Fast alle Erkrankten haben Blasenentleerungsstörungen. Die beschriebenen sensorischen Störungen sind typischerweise auf ein spezifisches Niveau begrenzt und umfassen Dysästhesien sowie neuropathische Schmerzen. Während es sich beim MERS in aller Regel um eine reversible Erkrankung handelt, weist die LETM eine signifikante Morbidität auf. Während ein Drittel der Erkrankten eine fast vollständige Erholung zeigt, bleibt bei einem Drittel eine moderate und bei einem weiteren Drittel eine schwere Einschränkung zurück. Die Ätiologie der LETM kann oft erst im Verlauf eruiert werden (10, 11). Oft findet sich bei der LETM kein auslösender Faktor (15–30 %) (12).

Therapeutisch wurde bereits bei Eintritt eine hoch dosierte Steroidtherapie mit Methylprednison (initial 500 mg 1 x bei unklarem Krankheitsmechanismus mit anschliessend 80 mg/Tag, bei definitiver Diagnosestellung am Tag 5 der Hospitalisation Erhöhung auf 1 g für 5 Tage, dann 6 Tage 125 mg und hiernach 1 mg/kgKG mit anschliessend veranschlagtem Tapering über ca. 2 Monate) begonnen. Zudem wurde im Kontext des schweren Krankheitsbildes und noch positiver Influenza-PCR Oseltamivir 75 mg 12-stündlich für 5 Tage verabreicht.

Bei der parainfektiösen LETM im Rahmen einer Influenzainfektion gibt es keine evidenzbasierten Therapiekonzepte. Hauptbestandteil der Therapie sind Kortikosteroide in hoher Dosierung sowie Oseltamivir. Ebenfalls wird der Einsatz von intravenösem Immunglobulin G oder Plasmapherese zusammen mit Cyclophosphamid berichtet. In Abwesenheit einer klaren Antikörper-vermittelten Pathologie und auch aufgrund des breiten immunsuppressiven Effektes erscheint eine hoch dosierte Steroidtherapie rational. Bei bekannter Ätiologie erfolgt die Therapie der Grunderkrankung (13, 14). Ein direkter Keimnachweis von Influenza im Liquor wurde bisher nicht beschrieben (15).

Elena Pletzer 1, Katia Boggian 2, Matthias Arnold 3, Claudia Schrag 4

1 Allgemeine Innere Medizin / Hausarztmedizin und Notfallmedizin, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
2 Klinik für Infektiologie, Infektionsprävention und Reisemedizin, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
3 Neurologie / Klinik Allgemeine Innere Medizin, Spital Nidwalden, Stans
4 Klinik für Intensivmedizin, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen

Author Contributions
Alle Autorinnen und Autoren haben das eingereichte Manuskript gelesen und sind für alle Aspekte des Werkes mitverantwortlich.

Verdankung
Wir bedanken uns bei Dr. Manuel Gubser, Netzwerk Radiologie, Kantonsspital St. Gallen.

Dr. med. (AT) Elena Pletzer

Allgemeine Innere Medizin / Hausarztmedizin und Notfallmedizin
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

elena.pletzer@h-och.ch

Die Autorinnen und Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• MERS und LETM können assoziiert sein mit Infektionen durch Viren (z. B. Influenza, Enteroviren, Herpes simplex, VZV, HTLV, West Nile, SARS-CoV-2, HIV), atypische Bakterien (z. B. Borrelien, Treponema pallidum, Mykoplasmen), Parasiten (z. B. Toxoplasma) und Pilze (z. B. Aspergillus fumigatus).
• Weitere demyelinisierende Erkrankungen oder andere autoimmun/rheumatologische Erkrankungen können MERS und LETM auslösen. Ebenso ist eine paraneoplastische Genese oder eine unerwünschte Wirkung im Rahmen von Impfungen möglich.
• Charakteristisch für die LETM ist die Entwicklung einer sensorischen, motorischen oder autonomen Funktionsstörung, die auf eine Störung im Rückenmark zurückzuführen ist. Es zeigt sich eine bilaterale Symptomatik, aber nicht zwingend symmetrisch mit eindeutigem sensiblen Niveau. Die Entzündung kann bildgebend mittels MRI und liqourzytologisch nachgewiesen werden.
• Die Diagnosestellung der LETM ist schwierig und eine regelmässige Überprüfung der Arbeitshypothese notwendig. Idealerweise kann eine Grunderkrankung identifiziert und behandelt werden.
• MERS bildet sich meist spontan zurück, LETM weist eine signifikante Morbidität auf.
• Neben immunsuppressiver Therapie, meist mit Kortiko­steroiden, ist eine adäquate Supportivtherapie essenziell.

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Herz und Psyche im Fokus – Eindrücklicher Fall aus der Rehabilitationsklinik

Hintergrund

Kardiologische Erkrankungen zählen zu den führenden Todesursachen in der industrialisierten Welt. Neben Schmerzen und Atemnot, die häufig mit Ängsten einhergehen, erleben Betroffene oft ein Gefühl der Hilflosigkeit (1). Depression, Angst und Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sind häufig, können Folge einer Herzerkrankung sein und sich negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. Eine frühe Erfassung psychischer Symptome ist daher wichtig. Die recht junge Disziplin der Psychokardiologie befasst sich mit dem Zusammenspiel kardialer und psychischer Veränderungen sowie mit den darauf einwirkenden psychosozialen Faktoren (2). Heute sind die Wechselbeziehungen psychosozialer und somatischer Vorgänge im Kontext von Herzerkrankungen gut belegt (3).

Anamnese und Befunde – kurze Anamnese mit Betonung des jetzigen Leidens

Wir beschreiben den Fall einer 55-jährigen Patientin, welche aus einem Universitätsklinikum nach Ersatz der Aorta ascendens und des Aortenbogens bei Aortendissektion Typ A (beginnend in der Aorta ascendens) mit schwerer Aortenklappeninsuffizienz in die Rehabilitationsklinik Oberwaid überwiesen wurde. In diesem Fallbericht konzentrieren wir uns im Wesentlichen auf die psychokardiologischen Aspekte der Patientin. Sie zeigte sich bei Aufnahme physisch und v. a. psychisch geschwächt und berichtete über Schmerzen im Brustkorb. Die Patientin wurde frühzeitig zur psychokardiologischen Mitbeurteilung vorgestellt. Sie wirkte bei Aufnahme gereizt, angespannt und ängstlich-depressiv. Im ersten psychokardiologischen Gespräch war sie einerseits offen und freundlich, andererseits misstrauisch. Sie redete viel, begleitet von affektiv weinerlichen Einbrüchen. Die Patientin berichtete, dass sie seit mehreren Monaten (November 2023) starke thorakale und in den Arm ausstrahlende Schmerzen bei Ärzten angegeben habe. Man habe ihr zunächst nicht hinreichend geholfen, sondern die Schmerzen als Verspannung gewertet. Erst im März 2024 seien ihre Beschwerden medizinisch weiter abgeklärt worden. Die Patientin gab an, dass sie im Mai 2023 wegen einer zervikalen Spinalkanalstenose operiert worden und daher immer wieder in medizinischer Behandlung gewesen sei. Vor allem das lange «nicht ernst genommen werden» durch medizinisches Personal belaste sie sehr. Sie beschreibt in Bezug auf die verzögerte Dia­gnosestellung und Therapie der Herzkrankheit wiederkehrende einschiessende Erinnerungen an Situationen in der Notaufnahme, neu aufgetretene Albträume, Stimmungsminderung, Ängste, sozialen Rückzug, Insuffizienz- und Schamgefühle sowie Gedanken von Lebensüberdruss. Sie vermeide, an die negativen Erlebnisse zu denken. Zudem würden sich Erinnerungen an Gewalt ausübende Personen aus der Kindheit und Gedanken an die aktuell wahrgenommene fehlende Hilfe im Krankenhaus in ihren Gedanken vermischen und sich immer wieder intensiv aufdrängen. So sehe sie sich am Boden liegend, niemand würde ihr helfen. Ihr komme der Satz «aufstehen, anziehen und nach Hause gehen» in den Sinn. Sie habe in diesen Situationen im Krankenhaus Angst, Ohnmacht und Wut verspürt, und diese Gefühle erlebe sie noch immer, wenn sie daran denke. In den folgenden psychokardiologischen Sitzungen wird sie immer wieder von starken Gefühlen überwältigt, wenn sie über die erlebten Geschehnisse berichtet. Sie habe sich «nicht gesehen gefühlt», habe teilweise lange in der Notaufnahme warten müssen und sei «einfach weggeschickt worden». An kardiovaskulären Risikofaktoren liessen sich neben einer arteriellen Hypertonie ein mit der Herzoperation sistierter Nikotinabusus und ein erhöhtes LDL-Cholesterin bei ansonsten geringer körperlicher Betätigung erfragen. Zur Vorgeschichte ist zu erwähnen, dass die Patientin in der Türkei zunächst bei den Grosseltern und dann bei Verwandten aufgewachsen sei. Die ersten zehn Jahre seien friedlich verlaufen, dann hätte sie wegen politischer Unruhen fliehen müssen. Sie hätte die meiste Zeit keinen festen Wohnsitz gehabt, sei «mal hier, mal dort» zur Schule gegangen. Die Patientin deutet sexuellen Missbrauch und körperliche Gewalt durch fremde Männer an. Sie erlebe Phasen, in welchen plötzlich verdrängte Erinnerungen aus dieser Zeit auftauchten und sie starke Angst und Ohnmacht verspüre. Nach dem Schulabschluss sei sie nach Deutschland gekommen. In den 1990er-Jahren habe sie ihren Ex-Mann kennengelernt. Dieser habe im Asyl in der Schweiz gelebt. Sie sei ihm dorthin gefolgt. Sie hätten eine gemeinsame Tochter. Vor mehr als 15 Jahren habe sie sich von ihrem Mann getrennt.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Bei der Patientin bestand neben der genannten kardialen Grunderkrankung die beschriebene psychische Begleitsymptomatik. Differenzialdiagnostisch zogen wir zunächst a) eine Anpassungsstörung mit Angst und depressiver Reaktion gemischt (F43.22), b) eine rezidivierende depressive Störung, ggw. mittelgradige Episode (F33.1) bei vorbeschriebenen depressiven Episoden und c) eine PTBS in Betracht (F43.1). Gemäss der ICD-10-Klassifikation der WHO (4) zählen im Wesentlichen zu den diagnostischen Kriterien von a) die identifizierbare psychosoziale Belastung von einem nicht aussergewöhnlichen oder katastrophalen Ausmass mit Beginn innerhalb eines Monats und Symptome oder Verhaltensstörungen, wie sie bei affektiven Störungen (F3) vorkommen (sowohl Angst als auch depressive Symptome sind vorhanden, jedoch nicht in grösserem Ausmass als bei Angst und depressiver Störung gemischt (F41.2) oder anderen gemischten Angststörungen [F41.3]). Zu den Symptomen von b) zählen eine gedrückte Stimmung, eine Verminderung von Antrieb und Aktivität, es treten wiederholte depressive Episoden auf. Die Fähigkeit zur Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit reduziert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind häufig beeinträchtigt. Betroffene haben meist grosse Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen. Nach der WHO-ICD-10 (4) wird die PTBS/c) (F43.1) den Reaktionen auf schwere Belastungen (z. B. körperliche Gewalt, aber auch schwere Erkrankung) zugeordnet. Intrusionen (inneres Wiedererleben), Vermeidung von Trauma-relevanten Stimuli und/oder die emotionale Taubheit sowie Hyperarousal (Übererregbarkeit) sind Kernsymptome einer PTBS. Diese Symptome verhindern eine erfolgreiche Bewältigung des Ereignisses und führen aufgrund dessen zu Schwierigkeiten in der sozialen Funktionsfähigkeit (1). Psychische Vorerkrankungen und Symptome begünstigen das Risiko für eine PTBS.

Weitere Abklärungsschritte und Diagnostik

Diagnostisch wurden die detaillierte Anamnese und weitere klinische Befunde (Tab. 1–3) erhoben sowie testpsychologische Untersuchungen (Tab. 4) bereits am Tag nach Eintritt durchgeführt. Vor dem Hintergrund des zunehmenden klinischen Eindrucks einer Traumafolgestörung wurde zusätzlich (auch) der «Primary Care – PTSD Screen»-Fragebogen eingesetzt, dessen Ergebnis zusammen mit der klinischen Diagnostik auf eine PTBS gemäss den gängigen Diagnosesystemen (ICD-10 und DSM-5) hinwies (5–7). Es imponierte neben der beschriebenen klinischen Symptomatik eine ausgeprägte, nicht allein somatisch erklärbare Erschöpfung.

Diagnose

In der Gesamtschau der Untersuchungsergebnisse waren bei der Patientin die Kriterien einer PTBS (F43.1) gemäss ICD-10 (4) erfüllt, sodass diese Diagnose gestellt werden konnte. Die Patientin war in der Vergangenheit wiederkehrenden und länger anhaltenden Ereignissen mit Gewalterfahrungen von aussergewöhnlicher Bedrohung ausgesetzt. Zudem zeigten sich bei ihr anhaltende Erinnerungen, Intrusionen und Flashbacks an die Ereignisse von damals, welche durch die nun für sie belastende Situation im Krankenhaus verstärkt auftraten und sich auch durch aufdringliche Nachhallerinnerungen und Träume äusserten. Bei der Patientin bestanden zudem eine Übererregbarkeit, erhöhte Wachsamkeit, eine Reizbarkeit sowie Konzentrations-, Ein- und Durchschlafstörungen. Es lag ein hoher Leidensdruck bei der Patientin vor. Zugrunde liegend für die sich manifestierenden PTBS sind unserer Ansicht nach die traumatischen biografischen Erfahrungen mit bereits in der Vorgeschichte immer wieder auftretenden Erinnerungen und Intrusionen.

Kommentar

Während der vierwöchigen stationären kardialen Rehabilitation fand eine intensive psychokardiologische Begleitung statt. Das allgemeine Therapieprogramm bestand aus der an die Leistungsfähigkeit der Patientin angepassten Physiotherapie (inkl. Atemgymnastik, Entspannung im Sitzen/Progressive Muskelrelaxation, Gymnastik, medizinische Trainingstherapie, Qigong im Sitzen), Ergotherapie und physikalischer Therapie mit Massagen. Des Weiteren nahm die Patientin an Vorträgen zu «Bewegung und Sport», «Herzgesunder Ernährung», «Herzinsuffizienz», «Herzrhythmusstörungen», «Koronarer Herzerkrankung», «Leben mit Herzerkrankung» und «Risikofaktoren» in der Gruppe teil. Neben der psychiatrisch-psychotherapeutischen Betreuung wurde die Patientin eingehend kardiologisch behandelt.

Die psychotherapeutische Behandlung wurde mittels Elementen der Trauma-fokussierten kognitiven Verhaltenstherapie durchgeführt. Inhalte waren u. a. die Therapievorbereitung, Alltagsbewältigung und die Ressourcenaktivierung. Ausserdem wurden für die Patientin schwierige Situationen durch Expositionen in sensu bearbeitet. Aufgrund der vorliegenden PTBS mit ängstlicher und depressiver Symptomatik (trotz nicht auffallender Werte in der Hospital Anxiety and Depression Scale) wurde zusätzlich zur psychotherapeutischen Behandlung bei fortbestehenden Beschwerden eine Psychopharmakotherapie mit einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Sertralin, grundsätzlich nach Abschluss der dualen Plättchenhemmung empfohlen. In einer Netzwerk-Metaanalyse erwiesen sich u. a. Paroxetin und Sertralin effektiver als Placebo. Dies vor dem Hintergrund, dass gemäss der Leitlinie für die PTBS (8) statistisch signifikante Befunde zur Wirksamkeit der SSRI vorliegen, allerdings mit geringen Effektstärken, die deutlich unter denen einer Trauma-fokussierten psychotherapeutischen Behandlung liegen. Für die trizyklischen Antidepressiva sind mehr kardiotoxische Nebenwirkungen bekannt als für die SSRI. An der eher zurückhaltenden Beurteilung der Pharmakotherapie bei der Behandlung der PTBS hat sich in den letzten Jahren wenig geändert. Die Trauma-fokussierte Psychotherapie ist die Methode der Wahl (8). Die empfohlene Medikation stand nach unserer Einschätzung nicht im Widerspruch zur somatischen Medikation (Tab. 5). Dieser Fallbericht zeigt auch, dass der klinische Eindruck von grosser Bedeutung ist und nicht allein auf die Ergebnisse von Fragebögen vertraut werden sollte. So zeigte sich bei der Raucheranamnese ein widersprüchlicher Befund. Die Patientin berichtete im klinischen Interview über einen Nikotinabusus mit 20 bis 25 Packungsjahre, während beim Fragebogen «nie geraucht» angekreuzt wurde. Abb. 1 zeigt eine Übersicht der durchgeführten Therapieelemente in Anlehnung an eine Übersichtsarbeit zur PTBS als Folge einer akuten Herz-Kreislauf-Erkrankung von Princip M. und Kollegen (9).

Die Arzt-Patient-Beziehung gestaltete sich gut. Die Symptome wie Flashbacks, Hyperarousal, Vermeidungsverhalten, verbunden mit Emotionen wie Angst, Wut und Trauer, waren bei Abschluss der Rehabilitation bereits rückläufig, wenn auch noch vorhanden. Die Patientin war zum Entlassungszeitpunkt psychisch stabil und konnte die Erlebnisse um ihre Herzerkrankung differenziert in Beziehung zu ihren früheren Erlebnissen setzen. Sie fühlte sich insgesamt in ihrer Alltagsgestaltung und im Umgang mit Mitmenschen deutlich sicherer und damit körperlich, emotional und sozial wohler. Eine erneute testpsychologische Untersuchung hielten wir aufgrund der deutlichen Besserung der klinischen Symptomatik und aufgrund der bei der Eintrittsuntersuchung auffallenden diskrepanten Ergebnisse nicht für indiziert.

Eine weiterführende psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung erachteten wir für notwendig. Die Patientin konnte in psychisch deutlich stabilerem Zustand nach Hause entlassen werden. Wir empfahlen der Patientin insbesondere eine ambulante psychiatrisch-psychotherapeutische Betreuung in Form der Trauma-fokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (8, 10). Die Patientin wird ambulant ebenso durch einen kardiologischen Kollegen engmaschig weiter betreut. Des Weiteren wurde die Fortführung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung bei einer ambulanten Kollegin in die Wege ­geleitet.

Traumafolgestörungen werden zu selten diagnostiziert, insbesondere dann, wenn die traumatischen Erfahrungen länger zurückliegen und die Symptomatik nicht dem klassischen Bild der PTBS entspricht (11). Der besondere Fall zeigt, dass psychosoziale Belastungen (niedrige soziale Unterstützung, akuter oder chronischer Stress, Depression, Angst, Mangel an sozialer Unterstützung und traumatische Erlebnisse in der Vorgeschichte) und psychische Begleiterkrankungen bei Herzpatienten routinemässig erfasst werden sollten, damit sich gezielt eine weiterführende Diagnostik und Therapie mit passendem Behandlungsangebot anschliessen können. Bei psychischer Komorbidität sollen psychotherapeutische Interventionen ggf. mit entsprechender medikamentöser Therapie angeboten (12) und der Arzt-Patienten-Kontakt nach den Prinzipien einer patientenzentrierten Kommunikation gestaltet werden (13). Patientinnen und Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen leiden häufig unter psychischen Beschwerden und kognitiven Dysfunktionen. Es treten besonders oft Angst, Panikstörung, PTBS und Depression auf. Für die Prognose ist die simultane Behandlung der kardiologischen und der psychischen Erkrankung von Bedeutung. Sie vergrössert die Chance auf eine erfolgreiche Rehabilitation deutlich. Die Psychokardiologie verfolgt dabei einen integrativen Ansatz, um das Zusammenspiel von somatischem und psychosozialem Status der Patienten zu würdigen (2). Die Herstellung einer sicheren, störungsfreien Gesprächsatmosphäre, die Berücksichtigung von spezifischen Kon­trollbedürfnissen, die aktive Erfragung der Symptome einer PTBS, die Vermittlung eines Erklärungsmodells für diese als eine normale menschliche Reaktion auf Extrembelastung (Psychoedukation) und das Benennen der Störung im Sinne einer posttraumatischen Diagnose führen in der Regel zur Entlastung der Betroffenen.

Ganz allgemein beeinflusst eine psychophysiologische Belastung einer PTBS nach einem Herzinfarkt bzw. kardialen Ereignis über dysregulierte Stressachsen, wie ein sympathovagales Ungleichgewicht und die Hyperaktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden/HPA-Achse, sowohl zentrale als auch periphere Mechanismen. Dies führt zu endothelialer Dysfunktion, erhöhter systemischer Inflammation und metabolischen Veränderungen, die klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Dyslipidämie und Insulinresistenz begünstigen und das langfristige kardiovaskuläre Risiko für betroffene Patientinnen erhöhen. Gleichzeitig wirkt sich die PTBS negativ auf das gesundheitsbezogene Verhalten aus, indem sie mit vermehrtem Substanzkonsum (z. B. Nikotin, Alkohol), gestörtem Schlafverhalten, reduzierter körperlicher Aktivität und eingeschränkter Therapieadhärenz einhergeht, wodurch sich atherosklerotische Prozesse weiter verstärken. Ein integrativer Behandlungsansatz, der sowohl die somatischen als auch die psychosozialen Dimensionen der PTBS adressiert, könnte daher helfen, kardiometabolische Dysregulationen zu reduzieren und die kardiovaskuläre Prognose der Patientinnen und Patienten zu verbessern (14, 15).

Psychische Symptome bei Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankung sind grundsätzlich gut behandelbar (16, 17). Bei einer PTBS ist die Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie, bei welcher der Schwerpunkt auf der Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis und/oder seiner Bedeutung liegt, also eine bevorzugte Behandlungsmethode. Gemäss S3-Leitlinie wird zwischen Trauma-fokussierter und nicht Trauma-fokussierter Intervention unterschieden. Ergänzend zu dieser sollen weitere Problem- und Symptombereiche abgeklärt und berücksichtigt werden (8). Die Trauma-fokussierte Therapie basiert auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie und beinhaltet als zentrale Trauma-fokussierte Techniken imaginative Exposition in Bezug auf die Traumaerinnerungen, narrative Exposition, Exposition in vivo und/oder kognitive Umstrukturierung in Bezug auf Trauma-bezogene Überzeugungen (8, 18, 19). Psychopharmakotherapie sollte weder als Mono- noch als primäre Therapie, sondern leitliniengerecht ergänzend eingesetzt werden (8).

Kunigunde Pausch 1, Uwe Grommas 1, Roland von Känel 2, Anke Schneiders 1, Doris Straus 1,
Gavin Brupbacher 1, 2

1 Klinik Oberwaid, St. Gallen, Schweiz
2 Universitätsspital Zürich, Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik, Zürich, Schweiz

Abkürzungen
ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems-10. Revision der Klassifikation
WHO World Health Organization
DSM-5 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

Historie
Manuskript eingegangen: 21.12.2024
Angenommen nach Revision: 20.03.2025

Dr. med. Kunigunde Pausch

Oberwaid AG
Rorschacherstrasse 311
9016 Sankt Gallen Schweiz

kunigunde.pausch@oberwaid.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Bei einer Herzerkrankung gezielt nach psychischen ­Symptomen zu fragen, ist prognostisch relevant.
• Die Notwendigkeit einer psychokardiologischen ­Begleitung sollte bereits zu Beginn der Behandlung einer kardialen Erkrankung evaluiert werden.
• Psychokardiologische Angebote in spezialisierten ­­
Akut- und Rehabilitationskliniken sind unerlässlich.

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Müdigkeit, Leistungsdefizit und Schnarchen als frühe Symptome einer systemischen Erkrankung

Anamnese

Ein 68-jähriger Patient klagte über seit zwei Wochen bestehende allgemeine Müdigkeit und Schwäche, die seine Alltagsaktivitäten beeinträchtigten. Zusätzlich berichtete er von einer verminderten Schlafqualität, die durch Schnarchen und nächtliches Erwachen geprägt war. Vor einem Monat hatte er eine Infektion der oberen Atemwege durchgemacht, die symptomatisch abgeklungen war. Zudem wurde wenige Wochen zuvor eine kurative Operation aufgrund eines Prostatakarzinoms durchgeführt. Weitere Beschwerden wie B-Symptomatik, Dyspnoe oder Angina pectoris wurden verneint. Eine Vormedikation lag nicht vor.

Befunde mit Status und Labordiagnostik
Die körperliche Untersuchung zeigte stabile Vitalparameter und einen unauffälligen klinischen Status. Das Blutbild sowie die Nieren-, Leber- und Schilddrüsenwerte lagen im Normbereich. Mangelzustände wie ein Vitamin-B12- oder Eisenmangel liessen sich nicht nachweisen. Die zur Beurteilung chronisch entzündlicher Prozesse durchgeführte Serumeiweisselektrophorese zeigte keine entsprechenden Hinweise. Der Laktat-Dehydrogenase-Wert (LDH) war unauffällig und zeigte als unspezifischer Marker keine Hinweise auf einen systemischen Krankheitsprozess. Zudem war das prostataspezifische Antigen nicht erhöht, wodurch ein Tumorrezidiv unwahrscheinlich erschien.

Kurze Anamnese mit Betonung des jetzigen Leidens
Der Patient berichtete über eine seit zwei Wochen bestehende körperliche Schwäche und Müdigkeit. Zudem klagte er über eine schlechte Schlafqualität mit häufigem nächtlichem Erwachen.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Das Leitsymptom war eine seit zwei Wochen bestehende allgemeine Müdigkeit und Schwäche, begleitet von einer gestörten Schlafqualität mit häufigem nächtlichem Erwachen und Schnarchen. Wir stellten folgende differenzialdiagnostischen Überlegungen (Tab. 1) an:
– Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)
– Prolongierte Infektkonstellation
– Postoperatives Fatigue-Syndrom
– Hypogonadismus – möglicher Testosteronmangel nach radikaler Prostatektomie
– Depressive Grundverstimmung nach Tumordiagnose

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

Erste klinische Verlaufskontrolle: Zum Zeitpunkt der Untersuchung zeigte sich die Symptomatik unverändert. Die Screeninguntersuchung auf eine schlafbezogene Atemstörung wies auf ein OSAS hin, weshalb eine fachärztliche Abklärung einschliesslich Schlaflabordiagnostik veranlasst wurde. Zwei Monate später stellte sich der Patient notfallmässig mit neu aufgetretener Dyspnoe vor. Die sofortige Diagnostik zeigte nun ein erhöhtes D-Dimer (802 ng/ml, Referenzwert: 0–500 ng/ml) und NT-proBNP (2302 ng/l, Referenzwert: 0–300 ng/l), während der high sensitive Troponinwert negativ blieb (Referenzwert: < 0.01 ng/ml). Dies deutete auf eine kardiale Belastung hin, während der negative Troponinwert gegen eine akute myokardiale Ischämie sprach. Eine Computertomographie (CT) des Thorax zeigte keine Hinweise auf eine Lungenembolie, dokumentierte jedoch bronchiolitische Veränderungen. Die erhöhte NT-proBNP-Konzentration deutete auf eine mögliche Herzinsuffizienz hin. Die Echokardiographie zeigte eine normale linksventrikuläre Funktion (65 %), eine diastolische Dysfunktion mit leichter Erhöhung des rechtsventrikulären systolischen Druckes (RVSP 44 mmHg, Referenzwert: 15–30 mmHg). Es fanden sich keine Klappenvitien oder Auffälligkeiten im Elektrokardiogramm (EKG). Es wurde eine Therapie mit einem Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer (ACE-Hemmer) und Schleifendiuretikum eingeleitet. Zur Klärung der Ätiologie der Herzinsuffizienz wurde eine kardiale Bildgebung veranlasst. Parallel dazu erfolgte eine pneumologische Untersuchung zur Abklärung der bronchiolitischen Veränderungen.

Kardiale Bildgebung

Zur weiteren Einordnung der Herzinsuffizienz zeigte die Kardio-MRT (Magnetresonanztomographie) Fibrosen und erhöhte T1-Mapping-Zeiten, was den Verdacht auf eine Amyloidose nahelegte. Auf Grundlage dieses Befundes wurden weiterführende Untersuchungen zur Abklärung einer Transthyretin-assoziierten Amyloidose (ATTR-Amyloidose) eingeleitet, da diese die häufigste Form der Amyloidose mit kardialer Beteiligung ist. Im pneumologischen Untersuchungsbefund zeigte sich als Nebenbefund eine leicht eingeschränkte Diffusionskapazität, die am ehesten im Zusammenhang mit der kardialen Dekompensation stand und keine Hinweise auf eine primär pneumologische Erkrankung lieferte. Die kardiologische Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) wurde durchgeführt, um potenzielle Anreicherungen von Tracern im Myokard zu identifizieren. Die Untersuchung zeigte jedoch nur diskrete Tracer-Akkumulationen, was eine ATTR-Amyloidose als Grunderkrankung weniger wahrscheinlich machte. Ein Perugini-Score von eins, der unter anderem zur Differenzierung der Amyloidoseformen verwendet wird, stützte diese Annahme (Abb. 1).

Im Rahmen der Differenzialdiagnose kardialer Speicherkrankheiten wurde nun die Amyloid-Leichtketten-Amyloidose (AL-Amyloidose) als naheliegendste Diagnose in Betracht gezogen. Die Serumeiweisselektrophorese mit Immunfixation zeigte laut labormedizinischer Beurteilung zunächst keine Hinweise auf eine monoklonale Erkrankung (Tab. 2).

Trotz unauffälligen Analysekommentars wies die Immunelektrophorese auffällige Veränderungen auf, die im klinischen Kontext verdächtig erschienen, sodass umgehend eine hämatoonkologische Abklärung erfolgte. Eine spätere wiederholte Immunelektrophorese bestätigte schliesslich das Vorliegen einer Non-IgM monoklonalen Gammopa­thie vom Typ IgG Lambda mit einem Wert von 4.8 g/l (Referenzbereich: 7–16 g/l) (Tab. 3).

Die nachfolgende Abklärung beinhaltete die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum und Urin. Es wurde eine Erhöhung der freien Leichtkette Lambda auf 299.0 mg/l (Referenz: 5.7–26.3 mg/l) festgestellt, während der Kappa-/Lambda-Quotient mit 0.02 (Referenz: 6–1.65) pathologisch war. Im Urin wurden Bence-Jones-Proteine des Typs Lambda nachgewiesen. Eine Positronen-Emissions- Tomographie (PET-CT) zeigte keine Hinweise auf einen lymphoproliferativen Prozess. Die Knochenmarkpunktion ergab ein Smouldering Plasmazelllymphom mit 30 % Infiltration. Die zytogenetische Analyse zeigte (6; 14) (p21; q32) del13q14, gain 4p16 ohne TP53/17p-Deletion, was auf ein Standardrisiko hindeutete.

Im weiteren Verlauf verschlechterte sich die Symptomatik zunehmend, begleitet von Gewichtsverlust, Diarrhöen, Hypotonien und Tachykardien bei Belastung. Das EKG zeigte eine Niedervoltage und verzögerte R-Progression. Kardiale Biomarker bestätigten eine fortschreitende Dekompensation (NT-proBNP 14.856 ng/l, Referenz: 0–300 ng/l). Positives Troponin deutete auf ein ischämisches Geschehen hin (Troponin 50 ng/l, Referenz: 0–30 ng/l), wobei invasive Verfahren keine behandlungsbedürftigen Befunde zeigten. Die Durchblutungsstörung wurde als Teil der Grunderkrankung eingeordnet.

Die hämatologischen Untersuchungen zeigten eine fortschreitende Anämie mit einem Hämoglobinwert von 10.4 g/dl (Referenz: 13–17.5 g/dl). Die Leukozyten- und Thrombozytenzahlen waren normal, die Nierenfunktion unverändert. Ein Anstieg der alkalischen Phosphatase und LDH wurde festgestellt. Es traten spontane Hauteinblutungen auf, möglicherweise durch Amyloidablagerungen in den Kapillaren oder einen Mangel an Faktor X, dessen Auftreten im fortgeschrittenen Stadium häufig ist (1) (Abb. 2 und Abb. 3).

Weiteres diagnostisches Vorgehen und Verlauf

Der Nachweis der freien Leichtketten, erforderlich für die onkologische Therapie, konnte mehrfach nicht erbracht werden. Die Bauchfettanalyse zeigte nur minimalen Amyloidnachweis, eine Typisierung war nicht möglich. Auch Knochenmark- und Hautbiopsien sowie Nachfärbungen der Gastro-/Koloskopiebiopsien von 2023 lieferten keinen spezifischen Nachweis von Amyloid. Diese Problematik verzögerte die Einleitung einer Therapie, welche auf Verdacht nicht möglich war und zu einem erheblichen Zeitverlust führte.

Diagnosestellung

16.09.2024: Der Patient wurde im weiteren Verlauf notfallmässig wegen des Verdachts auf eine perforierte Sigmadivertikulitis operiert. Während der laparoskopischen Exploration konnte ausgedehnt AL-Amyloid in der Bauchfettanalyse nachgewiesen werden, was zur Diagnose einer AL-Amyloidose im Rahmen des Smouldering Plasmazelllymphoms führte.
Zum Zeitpunkt der Diagnose war die Erkrankung weit fortgeschritten. Der postoperative Verlauf war komplikationsreich, und der Patient verstarb kurz darauf. Die geplante hämatoonkologische Therapie konnte nicht mehr eingeleitet werden.

Kommentar

Der Fall beschreibt den Verlauf eines 68-jährigen Patienten, der zunächst seit kurzem Zeitraum unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Schwäche und Schlafstörungen zeigte. Initial lagen laborchemisch, klinisch und anamnestisch keine Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung vor. Erst das Auftreten spezifischer Symptome wie Dyspnoe mehrere Wochen später führte zu weiterführenden Untersuchungen und schliesslich zur Diagnose einer Speichererkrankung. Zunächst wurde eine ATTR-Amyloidose vermutet, letztlich bestätigte sich jedoch eine AL-Amyloidose im Rahmen eines Smouldering Plasmazellmyeloms. Die verzögerte Diagnose der hämatoonkologischen Erkrankung und der späte Nachweis von Amyloid, der für die Therapieeinleitung erforderlich war, wirkten sich nachteilig auf die Prognose aus.

Die Abb. 4 veranschaulicht den Abklärungsprozess bei Verdacht auf Amyloidose. Eine Immunfixation bestimmt, ob die Diagnose einer AL- oder ATTR-Amyloidose weiter untersucht wird. Bei einem auffälligen Befund, der auf eine hämatoonkologische Erkrankung hindeutet, ist eine Gewebeprobe zum Nachweis von Amyloid erforderlich. Ein negativer Befund deutet auf eine ATTR-Amyloidose hin, deren Diagnose mittels Skelettszintigraphie erfolgt (2).

Der aggressive Verlauf einer AL-Amyloidose macht eine frühzeitige Diagnosestellung essenziell. Ein effektives Therapiekonzept besteht in der Kombination aus hoch dosiertem intravenösem Melphalan und autologer Stammzelltransplantation. Ziel ist eine zügige Reduktion der zirkulierenden Leichtkettenfragmente, um weitere Amyloidablagerungen zu verhindern (2, 3).

Limitationen:

Frühzeitige Berücksichtigung einer hämatoonkologischen Erkrankung
Die frühzeitige Erwägung einer hämatoonkologischen Erkrankung hätte eventuell trotz fehlender klinischer und laborchemischer Hinweise, der kurzen Beschwerdedauer und der breiten Differenzialdiagnosen möglicherweise eine schnellere Diagnose und dadurch verbesserte Prognose ermöglicht.

Verzögerung durch die konventionelle Eiweisselektro­phorese
Die Diagnosestellung wurde durch den anfänglichen Einsatz der konventionellen Eiweisselektrophorese im Rahmen eines allgemeinen Screeningverfahrens verzögert, da kleine Paraproteine, die bei dieser Methode übersehen werden können, nicht identifiziert wurden. Eine frühzeitige Durchführung der Eiweisselektrophorese mit Immunfixation hätte potenziell eine schnellere Diagnose erlaubt.

Engmaschige klinische Überwachung und wiederholte Laborkontrolle
Eine engmaschigere klinische Überwachung, insbesondere bei älteren Patienten mit unklarer Diagnose, hätte möglicherweise eine frühere Erfassung von klinischen Symptomen und laborchemischen Veränderungen ermöglicht. Es wäre besser gewesen, die Immunelektrophorese – bei persistierender Symptomatik – zu einem früheren Zeitpunkt zu wiederholen.

Bildgebende Verfahren und Priorisierung der ATTR-­Amyloidose
Die Priorisierung der ATTR-Amyloidose aufgrund ihrer höheren Prävalenz war nachvollziehbar, jedoch hätte eine parallele Untersuchung auf AL-Amyloidose eine frühere Diagnose der zugrunde liegenden hämatoonkologischen Erkrankung ermöglichen können.

Luzia Maria Gruber, Peter Kurz
Ärztezentrum Stäfa, Stäfa

Abkürzung
ACE-Hemmer Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer
AL-Amyloidose Amyloid-Leichtketten-Amyloidose
ATTR Transthyretin-Amyloidose
CT Computertomographie
EKG Elektrokardiogramm
IgG Immunglobulin G
LDH Laktatdehydrogenase
MRT Magnetresonanztomographie
NT-proBNP N-terminales pro B-type natriuretic peptide
OSAS Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
PET-CT Positronen-Emissions-Tomographie-Computertomographie
RVSP Rechtsventrikulärer systolischer Druck
SPECT Single-Photon-Emissions-Computertomographie

Historie
Manuskript eingegangen: 06.01.2025
Angenommen nach Revision: 18.03.2025

Dr. med. Peter Kurz

Ärztezentrum Stäfa
Häldelistrasse 9
8712 Stäfa

peter.kurz@aerztezentren.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Daran denken: Es ist wichtig, bei unspezifischen Symp­tomen wie Müdigkeit und allgemeiner Schwäche auch ohne eindeutige Befunde, fehlender «red flags» und ­Vorliegen plausibler Differenzialdiagnosen eine hämato­onkologische Erkrankung oder Amyloidose in Betracht
zu ziehen.
• In solchen Fällen sollte ein direktes Screening durch Immunfixationselektrophorese erfolgen, da die konventionelle Eiweisselektrophorese kleinere Paraproteine möglicherweise nicht erfasst. Bei weiterhin bestehendem Verdacht ist zusätzlich die Bestimmung der freien ­Leichtketten im Serum und Urin notwendig (4, 5).
• Bei anhaltenden Beschwerden trotz unauffälliger Erstbefunde ist eine erneute Laborkontrolle wie die Wiederholung der Immunelektrophorese wichtig, um frühe pathologische Veränderungen zu erkennen.
• Die frühe Therapieeinleitung bei AL-Amyloidose ist ­entscheidend für den Therapieerfolg und erfolgt durch die Behandlung der Grunderkrankung.

1. Fotiou D, Tsiara A, Dimopoulos M, et al. Thrombotic and bleeding complications in patients with AL amyloidosis. Br J Haematol. 2024;204(5):1816-24. doi: 10.1111/bjh.19331.
2. Schwotzer R, Djerbi N, Vetter F. Neues zur Diagnostik und Therapie der AL-Amyloidose. Schweiz Z Onkol. 2022;2:6-12
3. Palladini G, Milani P, Merlini G. How I treat AL amyloidosis. Blood. 2021;139(19):2918-2929. doi:10.1182/blood.2020008737
4. Silva M, Figueiredo A, Santos I, et al. Light-chain multiple myeloma: A diagnostic challenge. Cureus. 2021;13(10):e19131. doi: 10.7759/cureus.19131.
5. Vaxman A, et al. When to suspect a diagnosis of amyloidosis. Acta Haematol. 2020;143(4):304-11. doi:10.1159/000506617