Blick-Diagnose – Was rote Augen mit der Niere zu tun haben können

Anamnese und Befunde

Eine 44-jährige Frau ohne Vorerkrankungen litt an grippalen Symptomen; Aspirin hätte nur passager Linderung gebracht. Aufgrund zusätzlicher Adynamie und Tagesmüdigkeit erfolgte eine hausärztliche Vorstellung. Im Urinstix zeigte sich eine Leukozyturie, unter Vermutung eines Harnwegsinfekts erfolgte eine 3-tägige Antibiotikatherapie mit Ciprofloxacin. In der Verlaufskontrolle zeigte sich ein erhöhtes Kreatinin von 200 µmol/l (Referenzbereich: < 95 µmol/l), zudem kam es zu einer Rötung beider Augen, sodass eine Hospitalisation erfolgte.

Bei einer 15-jährigen Jugendlichen wurde aufgrund eines geröteten schmerzhaften Auges links eine Uveitis anterior diagnostiziert und topisch mit Steroiden begonnen. Anam­nestisch litt die Patientin seit Längerem an Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Wegen Rückenschmerzen hatte sie gelegentlich Ibuprofen eingenommen. Aufgrund eines erhöhten Kreatinins erfolgte die Zuweisung an die Kindernephrologie.

Der Status bei der 44-jährigen Patientin war bis auf die geröteten Augen unauffällig. Das Kreatinin lag bei 226 µmol/l. Die Elektrolyte waren normwertig. Das Urinsediment zeigte eine Leukozyturie, der Protein-Kreatinin-Quotient lag bei 26 mg/mmol (Referenzbereich: < 11 mg/mmol), der Albumin-Kreatinin-Quotient bei 2 mg/mmol (Referenzbereich: < 3 mg/mmol), zudem bestand eine eu­glykäme Glukosurie. Eine Urinkultur blieb steril. Die Nierensonographie war bis auf vergrösserte Nieren beidseits unauffällig. Virale Serologien (HIV, Hepatitis B und C) sowie immunologische Marker (ANA, ANCA, anti-GBM) waren negativ. Das Röntgenbild zeigte keine mediastinale Lymphadenopathie. Eine ophthalmologische Beurteilung diagnostizierte eine bilaterale Uveitis anterior (Abb. 1).

Bei der 15-jährigen Patientin war der Status bis auf eine Augenrötung ebenfalls unauffällig. Das Kreatinin lag bei 103 µmol/l, Blutzucker und Elektrolyte waren normwertig. Im Urinstix zeigte sich eine Glukosurie; eine Leukozyturie lag nicht vor. Im Spoturin fand sich ein Protein-Kreatinin-Quotient von 103 mg/mmol, der Albumin-Kreatinin-Quotient betrug 13 mg/mmol. Die Nierensonographie war bis auf eine etwas verminderte kortikomedulläre Differenzierung unauffällig. Auf serologische Abklärungen wurde verzichtet.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Bei geröteten Augen und systemischen Beschwerden wie Müdigkeit sollten neben lokalen Infektionen und Allergien auch systemische Erkrankungen berücksichtigt werden. Zu den Differenzialdiagnosen zählen infektiologische (wie Tuberkulose, Lues, Borreliose, Chlamydien, Viren) und immunologische (wie Spondyloarthropathien, Sarkoidose, juvenile idiopathische Arthritis) Erkrankungen.

Befunde wie tubuläre Proteinurie, euglykäme Glukosurie und sterile Leukozyturie sind typisch für eine tubuläre Dysfunktion und deuten, zusammen mit erhöhtem Serumkreatinin, auf eine interstitielle Nephritis hin. Häufige Ursachen sind Medikamente (wie NSAR, Antibiotika), Infektionen (wie Mykobakteriosen, Leptospiren) und Autoimmunkrankheiten (wie Sarkoidose, Sjögren-Syndrom, Lupusnephritis). Wenn sowohl eine Nierenschädigung als auch eine Uveitis zeitlich assoziiert, sollte auch an das TINU-Syndrom (Tubulointerstitielle Nephritis und Uveitis) gedacht werden.

Weitere Abklärungsschritte

In beiden Fällen erfolgte eine Nierenbiopsie. Bei der 44-jährigen Patientin zeigte die Biopsie eine akute interstitielle Nephritis (AIN) ohne Granulome und unauffällige Glomerula (Abb. 2). Die Biopsie der 15-jährigen Patientin ergab ebenfalls eine tubulointerstitielle Entzündung mit fokaler Tubulitis.

Diagnose

Bei beiden Patientinnen wurde ein TINU-Syndrom (Tubulointerstitielle Nephritis und Uveitis) diagnostiziert, basierend auf der zeitlichen Korrelation zwischen der Uveitis anterior und der interstitiellen Nephritis.

Verlauf

Bei der 44-jährigen Patientin wurde eine hoch dosier­te Steroidtherapie (1 mg pro Kilogramm Körpergewicht) etabliert. Parallel erfolgte eine topische Therapie mit steroidhaltigen Augentropfen. Die Augensymptome sowie die Kopfschmerzen zeigten sich darunter zügig vollständig regredient. Die tubuläre Proteinurie zeigte sich bereits nach drei Wochen vollständig regredient. Die Nierenfunktion erholte sich über vier Monate partiell auf eine eGFR um 60 ml/min/1.73m2. Die Steroide wurden schrittweise bis auf 5 mg reduziert, dann aber von der Patientin selbstständig abgesetzt. Das Serumkreatinin zeigte sich anschliessend auf leicht erhöhtem Niveau stabil, jedoch fanden sich erneut Hinweise auf eine proximal-tubuläre Dysfunktion (eu­glykäme Glukosurie, tubuläre Proteinurie, grenzwertige Hypokaliämie); die Patientin lehnte eine erneute Therapie jedoch ab und entzog sich weiteren Kontrollen.

Bei der 15-jährigen Patientin erfolgte zuerst eine Behandlung mit steroidhaltigen Augentropfen über die ambulante Ophthalmologin. Nach der Vorstellung auf der Nephrologie wurde aufgrund der eindrücklichen Dynamik des Kreatinins eine Methylprednisolon-Stosstherapie mit nachfolgender peroraler Prednisontherapie etabliert. Innerhalb von Wochen verschwanden die Symptome vollständig, die Nierenfunktion sowie die Proteinurie normalisierten sich, und die Patientin ist gemäss behandelnden Kolleg/-innen drei Jahre später weiterhin asymptomatisch und hat eine normale Nierenfunktion.

Kommentar

Das TINU-Syndrom wurde 1975 erstmalig beschrieben als das Auftreten einer tubulointerstitiellen Nephritis (TIN) und einer Uveitis (U), in Abwesenheit anderer potenziell erklärender Erkrankungen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung; pathophysiologisch wird eine T-Zell-vermittelte, CD4+-dominante, verzögerte Hypersensitivitätsreaktion postuliert. Diese kann zur Bildung von entzündlichen, nicht verkäsenden Granulomen führen, was die Differenzierung von anderen granulomatösen Erkrankungen schwierig macht. Vermutet wird ein bislang unbekanntes Antigen, welches sowohl in den Nierentubuli als auch in der Uvea vorkommt. Ähnlich wie bei einem pulmorenalen Syndrom mit Antikörpern gegen dasselbe Antigen in der alveolären wie glomerulären Basalmem­bran kommt es zu einem Syndrom mit entzündlichen Vorgängen in den Nieren und Augen. Es wird vermutet, dass NSAR und Antibiotika ein TINU-Syndrom provozieren können, wobei diese Substanzklassen auch als Risikofaktoren für die klassische interstitielle Nephritis bekannt sind. Auch verschiedene Infektionen wurden mit dem Auftreten eines TINU-Syndroms in Verbindung gebracht. In Fallberichten werden vor allem respiratorische Infektionen und Virusinfekte diskutiert (z. B. Hantavirus, EBV, HIV) (1).

Gemäss einem Systematic Review wurden bis März 2020 kumuliert 592 TINU-Fälle beschrieben (2). Das mediane Alter betrug bei Diagnose 17 Jahre (Interquartilsabstand 13–46 Jahre) mit weiblicher Prädominanz. Meistens kam es zeitlich nach dem Auftreten einer Nephritis zu einer bilateralen Uveitis, welche meist einer Uveitis anterior entsprach. Bei pädiatrischen Patient/-innen wurde eine asymp­tomatische Uveitis gelegentlich erst diagnostiziert, wenn eine Nephritis zu einer ophthalmologischen Vorstellung führte. Eine plötzlich auftretende bilaterale Uveitis in pädiatrischen Patient/-innen war zudem in bis zu einem Drittel der Fälle mit der Diagnose einer tubulointerstitiellen Nephritis verbunden. Kinder und Jugendliche tendieren eher zu einer rezidivierenden Uveitis, während bei Erwachsenen das Risiko für eine akute Nierenfunktionseinschränkung und einen chronischen Nierenschaden im Vordergrund steht. Die Gründe für diese Diskrepanz im Phänotyp sind nicht abschliessend geklärt.

Das ophthalmologische Bild des TINU-Syndroms präsentiert sich als akut auftretende, nicht granulomatöse Uveitis. Klassische Symptome sind Augenrötung, -schmerzen und Photophobie, eine Visusverschlechterung kann auch vorliegen. Die Symptome treten akut innerhalb von Tagen auf und sind häufig direkt bilateral vorhanden. Okuläres wässriges Sekret oder morgendliche verklebte Augen, wie sie klassisch bei einer viralen Konjunktivitis der Fall sind, finden sich nicht. Bereits die makroskopische Beurteilung, wie sie auch in der Hausarztpraxis erfolgen kann, zeigt eine ausgeprägte konjunktivale Injektion. Eine entrundete Pupille (Abb. 1) kann als Folge eines Entzündungsreizes mit Verklebung der Iris mit der anterioren Linsenkapsel (Abb. 3) vorkommen und muss insbesondere bei Patient/-innen ohne vorherige intraokulare Operation an eine intraokulare Entzündung denken lassen. Weitere Befunde des Vorderkammerreizes sind ohne fachärztliche Untersuchung mittels Spaltlampe nicht zu eruieren. Diese Augenbefunde sind oftmals unspezifisch und können meist nicht eindeutig einer Ätiologie zugeordnet werden.

Nephrologisch findet sich typischerweise das Bild einer AIN mit steriler Leukozyturie, tubulärer Proteinurie und Nierenfunktionseinschränkung. Andere Zeichen der proximalen Tubulopathie wie euglykäme Glukosurie, Phosphaturie und metabolische Azidose können vorkommen. Auch das histologische Bild in der Nierenbiopsie entspricht dem einer AIN mit lymphozytärem Infiltrat und interstitiellem Ödem. Granulome können vorkommen, während Glomerula und Gefässe typischerweise unauffällig sind. Teilweise lassen sich Granulome auch in Lymphknoten und Knochenmark finden. Insbesondere die Abgrenzung zur Sarkoidose kann dann schwierig sein, wenn keine andere Organbeteiligung vorliegt. Es existieren keine gut validierten Laborparameter, die spezifisch sind für das TINU-Syndrom – BSG und CRP können erhöht sein, wie bei anderen Erkrankungen. Antikörper gegen modifiziertes C-reaktives Protein (mCRP, ein sowohl in Uvea und Tubuluszellen vorkommendes Antigen) scheinen beim TINU-Syndrom erhöht zu sein im Gegensatz zum Sjögren-Syndrom, zu medikamenteninduzierter interstitieller Nephritis und gesunden Kontrollen, jedoch ist dieser Test nicht kommerziell erhältlich. Eine reduzierte eGFR wird in 40 % der betroffenen Patient/-innen nach 12 Monaten beschrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass teilweise wahrscheinlich eine zuvor unbekannte, bereits eingeschränkte Nierenfunktion vor der Diagnose der Nephritis bestanden hatte. Bei den pädiatrischen Patient/-innen besteht ein besseres Outcome mit einer reduzierten eGFR in 20 % der Betroffenen nach 12 Monaten.

Analog zur Behandlung einer akuten interstitiellen Ne­phritis wird eine Therapie mit Kortikosteroiden empfohlen. Die optimale Dosierung wurde bislang nicht in prospektiven Studien untersucht, bezüglich der Therapiedauer wird in Fallserien ein eher längeres Fenster (12–24 Monate) gewählt. Entsprechend werden steroidsparend Mycophenolat oder Azathioprin eingesetzt. Bezüglich Uveitis ist eine Behandlung mit lokalen steroidhaltigen Augentropfen indiziert. Beim TINU-Syndrom ist die Uveitis meist mild bis moderat ausgeprägt und spricht in der Regel gut auf eine Lokaltherapie an (3).

Abkürzungen
AIN Akute interstitielle Nephritis
ANA Antinukleäre Antikörper
ANCA Anti-Neutrophile cytoplasmatische Antikörper
Anti-GBM Anti-Glomeruläre Basalmembran
BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit
CRP C-reaktives Protein
EBV Epstein-Barr-Virus
eGFR geschätzte glomeruläre Filtrationsrate
HIV Human Immunodeficiency Virus
mCRP modifiziertes C-reaktives Protein
TINU tubulointerstitielle Nephritis und Uveitis

Historie
Manuskript eingegangen: 30.09.2024
Angenommen nach Revision: 12.03.2025

Pascal Gantenbein 1,
sabelle Binet 1
Regula Laux 2
Sascha Mathias Jung 3
Annette Enzler-Tschudy 4
Christian Kuhn 1

1 Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
2 Nephrologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen
3 Klinik für Ophthalmologie, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
4 Institut für Pathologie, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen

Dr. med. Christian Kuhn

Klinik für Nephrologie und Transplantationsmedizin
HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Str. 95/Haus 10
9007 St. Gallen

christian.kuhn@h-och.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Eine Augensymptomatik, die an eine Uveitis erinnert, muss gerade bei jungen Patient/-innen weiter abgeklärt werden. Unter anderem soll die Nierenfunktion mittels Kreatininbestimmung im Serum, Urinstix sowie Protein­urie und Albuminurie mittels Urin-Kreatinin-Ratio bestimmt werden.
• Umgekehrt soll auch eine nicht erklärte, neu aufgetretene Nierenfunktionseinschränkung abgeklärt werden. Erbringt die Basisdiagnostik keine Diagnose, soll eine Zuweisung zum Spezialisten erwogen werden.
• Bei gleichzeitiger oder in enger Korrelation auftretender Nierenfunktionseinschränkung und ophthalmologischer Beschwerden sollte eine Uveitis respektive eine Nephritis ausgeschlossen werden.
• Das TINU-Syndrom ist selten, aber eine verpasste oder verzögerte Diagnose mit erheblicher Morbidität verbunden.

1. Okafor LO, Hewins P, Murray PI, Denniston AK. Tubulointerstitial nephritis and uveitis (TINU) syndrome: a systematic review of its epidemiology, demographics and risk factors. Orphanet J Rare Dis. 14. Juli 2017;12(1):128
2. Regusci A, Lava SAG, Milani GP, Bianchetti MG, Simonetti GD, Vanoni F. Tubulointerstitial nephritis and uveitis syndrome: a systematic review. Nephrol Dial Transplant. 1. Mai 2022;37(5):876–86.
3. Mackensen F, Smith JR, Rosenbaum JT. Enhanced recognition, treatment, and prognosis of tubulointerstitial nephritis and uveitis syndrome. Ophthalmology. Mai 2007;114(5):995–9.

Rare entité d’un lymphome gastrique

Anamnèse et investigations

Une patiente de 36 ans, d’origine somalienne, mère de 2 enfants, consulte dans notre service des urgences pour des épigastralgies avec nausées et vomissements. Elle décrit aussi des épisodes d’hématémèse et de méléna. Selon ses dires elle avait perdu 20 kg en quelques semaines. Facteurs de risque: un tabagisme actif (15UPA) et une consommation de cannabis, à but anxiolytique. Elle était sous traitement par Pantoprazole et Primpéran par son médecin traitant. À l’examen clinique, l’abdomen est souple avec une douleur à l’épigastre sans défense ni détente. Les paramètres vitaux étaient dans la norme.

Un mois auparavant, une OGD à l’extérieur avait mis en évidence une pangastrite, Hélicobacter pylori positif et un grand ulcère (Forrest IIc) s’étendant entre le bulbe duodénal et l’antre de l’estomac. Un traitement par Pyléra 3-3-3 pour 10 jours avait été instauré, accompagné par Pantoprazole pour un mois. Une OGD de contrôle deux mois plus tard montra une légère régression de l’ulcère. Des biopsies révélèrent une négativité pour Hélicobacter pylori sans signes de dysplasie ni de malignité. Le test à l’uréase revenait négatif. Pour écarter un syndrome de Zollinger-Ellison, la gastrine fut dosée donnant une valeur de 99.6 (< 150) pmol/l, soit dans la norme ; et pour écarter une tumeur neuro-endocrinienne, la chromogranine A se trouva légèrement élevée à 238 (< 94) ug/l. Par la suite, la patiente était hospitalisée plusieurs fois pour des épigastralgies et vomissements. Son hémoglobine était normale et stable avec des valeurs > 160 g/l. Le laboratoire montrait une légère hypokaliémie (3.3 mmol/l) et une légère perturbation des tests hépatiques (ASAT 73 U/l, ALAT 83 U/l) sans choléstase ni syndrome inflammatoire. Un CT thoraco-abdominal n’a montré qu’un épaississement pariétal modéré de l’estomac, mais pas d’autres pathologies. Des traitements par Pantoprazole i.v. et p.o. ont été poursuivis. Parallèlement, un traitement nutritif (2 x Fresubin/jour) a été prescrit. À noter dans l’anamnèse de patiente aussi des antécédents de troubles de l’adaptation avec des symptômes anxio-dépressifs et des troubles alimentaires à l’âge de 20 ans. Un accompagnement psychiatrique incl. médication par Mirtazapine 15 mg/jour fut établi.

À la dernière hospitalisation, 4 mois après la 2ième OGD, elle ne pesait qu’encore 41 kg, mais cette fois aussi son Hb est à la baisse avec une valeur initiale de 108 g/l, le lendemain même à 96 g/l. De plus, nous trouvons un syndrome inflammatoire avec une leucocytose à 27.7 g/l et une CRP à 59 mg/l. En plus des épigastralgies, nous constatons aussi des ganglions axillaires et inguinaux, indolores. Un 2ème scanner abdominal montre toujours un épaississement pariétal de la partie basse de l’estomac et de la région du pylore (Fig. 1). Une sérologie virale et un test quantiferon reviennent négatifs. Une 3ième gastroscopie sous intubation protective (risque de broncho-aspiration) montre une grande ulcération antrale et intra-pylorique (Fig. 2), sténosante, très suspecte d’une néoplasie, ainsi que des signes d’une hémorragie digestive haute avec 350 ml d’hématine dans l’estomac. Des biopsies sont prélevées.

Diagnostic

Lymphome (MALT gastrique) a cellules T, ALK négatif, CD30 positif. (Fig. 3)

Discussion

La patiente fut transférée au service d’oncologie à l’Inselspital de Bern, notre centre de référence.

Le bilan extensif (CT, ponction de la moelle osseuse) n’a pas montré d’autres manifestations du lymphome. Mais un carcinome papillaire de la vessie urinaire, asymptomatique, a été découvert fortuitement, traite par TUR-B. Concernant le lymphome T, la patiente a bénéficié d’un traitement de chimiothérapie par CHOEP et A-CHP avec une bonne réponse. Une année plus tard, elle est en rémission complète et a gagné 12 kg de poids.

Les lymphomes gastriques primaires sont rares. Ils repré- sentent moins de 5 % de tous les cancers gastriques (1). La physiopathologie des lymphomes gastriques n’est pas com- plétement élucidée, mais le rôle primordial de l’infection à H. pylori est bien reconnu (1, 2). Une gastrite chronique à H. pylori génère par son antigénicité un recrutement des lymphocytes T et ensuite une prolifération de lympho- cytes B, sous influence de plusieurs cytokines et de facteurs pro-inflammatoires (NF-KB) (1, 2).

Les symptômes sont souvent aspécifiques comprenant nausée et vomissements, épigastralgie, perte pondérale jusqu’à des saignements gastrointestinaux occults (1). Les aspects endoscopiques ne sont pas forcément spécifiques non plus. Entre un érythème de la muqueuse suggérant une gastrite érosive et des ulcères de différentes tailles, parfois grandes, tout est possible (1, 2).

Le bilan biologique peut montrer une anémie, une élec- trophorèse des protéines pathologique, et une LDH et une béta-2 microglobuline élevées. Les sérologies virales (HIV, hépatites B et C) sont conseillées sous l’hypothèse d’une association entre infections virales chroniques et les lym- phomes (1). Le bilan extensif se fait par CT thoraco-abdo- mino-pelvien, evtl. IRM (1).

La première ligne de traitement des MALT gastriques est le traitement par éradication de H. pylori qui peut amener une rémission (1, 2). Tout de même il existe aussi une entité de lymphomes gastriques qui sont H. pylori négatifs (3, 4). Dans ces cas une radiothérapie ou chimiothérapie est indiquée. Le pronostic des MALT gastriques est très bon, avec une survie globale de 80% à 5 ans (1).

Historique:
Manuscrit reçu le: 12.12.2025
Accepté après révision: 26.02.2025

Remerciement
Nous remercions Pr Dr. MA Ortner pour toutes les informations concernant les 2 premières OGD et des analyses complémentaires et le Dr K. Houegnifiouh dans la coordination de la prise en charge de la patiente lors de ses hospitalisations. Photos cliniques avec l’aimable autorisation de l´Institut de radiologie de l´hôpital St-Imier et l´Institut de pathologie de l´Inselspital de Berne.

Polyxeni Lampropoulou 1
Elena-Cristina Fantana 2
Nathalie Marnas 3
Janina Wolf 4,
Marie-Noëlle Kronig 5
Solange Porret 2
Uwe Schiemann 1

1 Service de médecine interne, Hôpital de St-Imier, Réseau de l’Arc
2 Service d’anésthésie, Hôpital de St-Imier, Réseau de l’Arc
3 Institut de radiologie, Hôpital St-Imier, Réseau de l’Arc
4 Institut de pathologie, Inselspital, Berne
5 Service d’oncologie, Inselspital, Berne

Prof. Dr. med. Uwe Schiemann

Médecin-chef du service de médecine et gastroentérologie,
Hôpital du Jura bernois SA
Rue des Fontenayes 17
2610 St-Imier

uwe.schiemann@bluewin.ch

Les auteurs n’ont déclaré aucun conflit d’intérêts en rapport avec cet article.

Un ulcère gastrique, Hélicobacter pylori positif, réfractaire après une thérapie d’éradication, doit faire penser à la rare entité d’un lymphome gastrique. À noter également que l’incidence des lymphomes gastriques, Hélicobacter pylori négatifs, est en augmentation, ce qui suggère d’autres pa-thogènes ou antigènes dans la physiopathogénèse.

1. Matysiak- Budnik T. et. al. Gastrointestinal lymphomas : French Intergroup clinical practice recommandations for diagnosis, treatment and follow-up. Dig Liver Dis 2018 feb ;50 (2) :124-131,
2. Nakamura S.et al., Diagnosis and Treatment for Gastric Mucosa-Associated Lymphoid Tissue (MALT) Lymphoma, J Clin Med. 2023 Jan; 12(1): 120
3. Gu SX et al. Helicobacter pylori–negative mucosa-associated lymphoid tissue (MALT) lymphoma of the stomach: A clinicopathologic analysis, Am J Clin Pathol. 2023 Dec; 160(6): 612–619
4. Lemos FFB et al. Role of non-Helicobacter pylori gastric Helicobacters in helicobacter pyloris negative gastric mucosa-associated lymphoid tissue lymphoma. World J Gastroenterol 2023 Aug28;29 (32):4851-4859

Akutes oligurisches Nierenversagen – Bauchgefühl gegen Bildgebung

Anamnese und Befunde

Beschwerden

Die notfallmässige Zuweisung des 68-jährigen Patienten erfolgte aus der urologischen Sprechstunde bei Auftreten einer akuten Nierenkrankheit mit dialysepflichtiger Hyperkaliämie. Der Patient berichtete über eine abnehmende Urinmenge während der letzten zwei bis drei Tage, wobei er am Vorstellungstag gar keinen Urin mehr habe lösen können. Zudem bemerkte er eine zunehmende Müdigkeit seit ca. einer Woche. Seit ca. acht Wochen litt er an beidseitigen, intermittierenden Flankenschmerzen sowie einer Drangproblematik mit Pollakisurie, was zu einer externen urologischen Vorstellung und seither regelmässigen Einnahme nicht steroidaler Antirheumatika (NSAR) geführt hatte.

Zehn Tage vor Hospitalisation war extern mittels TUR-B die Diagnose eines muskelinvasiven und ungünstig differenzierten Urothelkarzinoms der Harnblase gestellt worden, wobei die Ureterostien als nicht darstellbar dokumentiert wurden.

An weiteren Diagnosen waren eine arterielle Hypertonie sowie eine nicht behandelte Schlafapnoe bekannt, zudem bestand ein Status nach Ablation einer AV-Knoten-Reentry-Tachykardie. Die Dauermedikation bestand aus Hydrochlorothiazid 25 mg/Tag sowie neu seit acht Wochen aus Diclofenac bis 3 x täglich 50 mg, Pantoprazol 20 mg, Solifenacin und Mirabegron 25 mg.

Status

Die klinische Untersuchung des euvolämen Patienten war, bis auf hypertensive Blutdruckwerte von 180/106 mmHg, unauffällig. Es bestand insbesondere keine abdominale Druckdolenz und keine Klopfdolenz über den Nierenlogen.

Labordiagnostik

Vier Wochen vor Hospitalisation war zuletzt ein Kreatinin von 95 µmol/l gemessen worden. Nun zeigte sich im Eintrittslabor eine akute Nierenkrankheit mit einem Kreatinin von 1376 µmol/l (94–97 µmol/l) mit folgenden Komplikationen: Hyperkaliämie von 7.0 mmol/l (3.6–4.8 mmol/l), Hyperphosphatämie von 2.96 mmol/l (0.8–1.50 mmol/l), metabolische Azidose mit pH venös 7.26 (7.38–7.43), Bikarbonat 15.2 mmol/l (21–28 mmol/l) und pCO₂ 4.47 kPa (4.90–6.70 kPa). Im grossen Blutbild zeigten sich keine relevanten Veränderungen. Das Urinsediment war pathologisch mit einer Leukozyturie sowie einer nicht glomerulären Mikrohämaturie (45 Erythrozyten/Gesichtsfeld, normal 0–5). Die geringe Proteinurie von ca. 140 mg/Tag (davon 80 mg/Tag Albuminurie) beurteilten wir als nicht relevant. Die Urinindizes sprachen für ein renales Nierenversagen (Fe-Natrium 3.4 % , Fe-Harnstoff 54 %).

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Aufgrund der Anamnese mit rezentem urologischem Eingriff (TUR-B, dabei nicht einsehbare Ureterostien) und postinterventionell einsetzender Oligurie stand eine postrenale Ätiologie differenzialdiagnostisch im Vordergrund. Ebenso möglich waren eine akute interstitielle Nephritis auf die seit mehreren Wochen eingenommenen NSAR und/oder das Pantoprazol. Eine prärenale Ätiologie sahen wir bei anamnestisch fehlendem Volumenverlust, klinischer Euvolämie sowie Hypertonie und Normokardie als unwahrscheinlich an, zudem sprachen die Urinindizes dagegen (Tab. 1). Allerdings hätte die achtwöchige NSAR-Einnahme, über den Effekt einer Vasokonstriktion am glomerulären Vas afferens, ein Nierenversagen anderweitiger Ätiologie zusätzlich verschärfen können.

Weiteres diagnostisches Vorgehen und Therapie

Zur Korrektur der schweren Hyperkaliämie mit spitzen T-Wellen im EKG erfolgte eine notfallmässige Hämodialyse über einen jugulären Dialysekatheter. Eine Bedside-Sonografie auf der Notfallstation zeigte normal grosse Nieren ohne Nierenbeckenkelchektasie und eine nahezu leere Blase. Trotz sonografisch fehlender Nierenstauung wurde, aufgrund der suggestiven Anamnese für ein postrenales Nierenversagen, für den Folgetag eine CT-gesteuerte, perkutane Nephrostomie-Einlage rechts mit gleichzeitiger Nierenbiopsie geplant. Für den Fall, dass danach eine relevante Diurese einsetzen sollte, war zusätzlich die Einlage auf der Gegenseite angedacht. Die Nephrostomie-Einlage erwies sich jedoch als technisch schwierig – bei fehlender Erweiterung des Nierenbeckens gelang die korrekte Platzierung der Nadel im ersten Versuch nicht. Bei deutlicher Blutung durch die Interventionsnadel während des zweiten Versuchs musste die Einlage abgebrochen werden. Die periinterventionell gewonnene Nierenbiopsie zeigte einen geringen und potenziell reversiblen Tubulusschaden, der ätiologisch nicht weiter zugeordnet werden konnte. Es bestanden wenig chronische Schäden und keine Hinweise für eine interstitielle Nephritis oder Glomerulonephritis, wobei die Aussagekraft bzgl. Letzterem bei nur drei getroffenen Glomeruli eingeschränkt war.

Wenige Tage nach der frustranen Nephrostomie-Einlage und nach einer weiteren Hämodialyse setzte die Diurese spontan wieder ein, sodass wir von einer Erholung des unklaren Tubulusschadens ausgingen. Parallel zeigten sich die Nierenretentionswerte deutlich rückläufig. Innert zweier Tage sank das Kreatinin bis auf 278 µmol/l, so- dass eine postrenale Ätiologie unwahrscheinlich schien (Abb. 1). Nur zwei Tage später kam es jedoch erneut zum Einbruch der Diurese (320 ml/Tag) mit täglichem Anstieg des Kreatinins bis auf maximal 1133 µmol/l – der Patient musste ein drittes Mal dialysiert werden. Wir wiederholten die Sonografie, die weiterhin keine Nierenstauung zeigte, und schlossen eine Makroperfusionsstörung duplexsonografisch aus. Im Urinsediment zeigte sich unverändert eine nicht glomeruläre Mikrohämaturie und in der Urin-Protein-Differenzierung neu eine ausgeprägte glomeruläre Proteinurie im nephrotischen Bereich mit total 4 g/Tag (Protein-/Kreatinin-Quotient im Spoturin 413 mg/mmol), wovon Albumin, IgG und Transferrin 90 % der Gesamtproteinurie ausmachten. Proteine tubulären oder postrenalen Ursprungs (α1-Mikroglobulin und retinolbindendes Protein bzw. α2-Makroglobulin) fanden sich nicht. Die Urinindizes sprachen, analog zur ersten Episode, für eine renale Problematik.

Bei unklarer Ätiologie des erneut dialysepflichtigen Nierenversagens und Entwicklung einer Proteinurie im nephrotischen Bereich erfolgte eine Rebiopsie der Nieren. Diese brachte jedoch keinen Erkenntnisgewinn. Wieder zeigte sich ein Tubulusschaden unbekannter Ätiologie bei glomerulärem Normalbefund und somit ohne Korrelat für die ausgeprägte Proteinurie. Eine prärenale und renale Ätiologie des Nierenversagens war nun klinisch, (duplex-)sonografisch und bioptisch nahezu ausgeschlossen worden, sodass wir die Diagnostik eines postrenalen Nierenversagens forcierten, auch aufgrund des raschen Wechsels oligurischer und polyurischer Phasen. Zehn Tage nach Hospitalisation gelang schliesslich die Nephrostomie-Einlage rechts und bei sofort einsetzender Diurese bzw. Polyurie (Diurese von 3.6 Liter innert zwölf Stunden) am Folgetag auch links. Dabei waren beide Nierenbecken während der CT-gesteuerten Punktion weiterhin nicht erweitert (Abb. 2).

Diagnose

Obstruktives Nierenversagen ohne Hydronephrose

Weiterer Verlauf

Nach beidseitiger perkutaner Nephrostomie-Anlage kam es zu einer raschen und andauernden Verbesserung der Nierenfunktion. Drei Tage postinterventionell hatten sich die Kreatininwerte bereits auf 87 µmol/l erholt und entsprachen damit den Ausgangswerten. Die Nephrostomien wurden belassen und das Harnblasenkarzinom mit neoadjuvanter Chemotherapie und im Verlauf Zystoprostatektomie behandelt.

Kommentar

Postrenale Nierenfunktionsverschlechterungen gehen in aller Regel mit einer bildgebend sichtbaren Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems und/oder Ureters einher. In ca. 5 % kommt es jedoch zum Auftreten einer «non-dilated obstructive nephropathy». Die Ursachen sind vielfältig, am häufigsten ist aber eine Assoziation mit Tumoren des kleinen Beckens. Weniger häufig sind retroperitoneale Raumforderungen (Lymphome, Retro­peritonealfibrose), die die Ureteren ummauern und eine Ureterdilatation damit verhindern. Die fehlende Entwicklung einer Hydronephrose kann auch durch eine Abnahme der glomerulären Filtration anderweitiger Ursache (z. B. schwere Hypovolämie) mit bedingt sein (2, 3). Das Auftreten einer unselektiven, glomerulären Proteinurie ist bei postrenalem Nierenversagen sicherlich ungewöhnlich. Bei histologisch unauffälligen Glomeruli muss die Ursache in einer Veränderung der intraglomerulären Druckverhältnisse liegen. In Anbetracht der stark schwankenden Diurese mit oligo- und polyurischen Phasen halten wir eine undulierende ein- oder beidseitige Hyperfiltration für die wahrscheinlichste Ätiologie der glomerulären Proteinurie (4). Das Ausmass der Protein­urie muss bei Bestimmung mittels Protein-/Kreatinin-Quotient im Spoturin kritisch beurteilt werden. Bei zum Zeitpunkt des Auftretens schwankender Nierenfunktion und Diurese sowie einem eher tiefen Urinkreatinin um 3.5 mmol/l kann eine Überschätzung der Proteinurie nicht ausgeschlossen werden.

Abkürzungen
Bx Biopsie
CT Computertomografie
EKG Elektrokardiogramm
Fe-Natrium/Fe-Harnstoff Fraktionierte Natrium-/Harnstoffexkretion
NSAR Nicht steroidale Antirheumatika
PNS Perkutane Nephrostomie
TUR-B Transurethrale Blasenresektion

Historie
Manuskript eingereicht: 19.09.2024
Angenommen nach Revision: 18.12.2024

Susanne Winkler

Klinik für Transplantationsimmunologie und Nephrologie
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel

susanneandrea.winkler@usb.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Ein postrenales Nierenversagen lässt sich bildgebend nie gänzlich ausschliessen. Bei klinisch hochgradigem Verdacht sollte diese Verdachtsdiagnose, ungeachtet einer unauffälligen Bildgebung, interventionell mittels ante- oder retrograder Pyelografie weiter abgeklärt werden. Der typische Patient für eine «non-dilated obstructive nephro­pathy» ist 50–70 Jahre alt, männlich, hat eine akut einsetzende Oligo-/Anurie mit rapidem Kreatininanstieg und einen abdominopelvinen Tumor in der Vorgeschichte. Eine rasche Diagnosestellung und Intervention sind entscheidend, um eine vollständige Erholung der Nierenfunktion nach Dekompression zu ermöglichen.

1. Ambühl, Patrice M. Ursachen und Pathogenese des akuten Nierenversagens. SMF 2001. https://smf.swisshealthweb.ch/fileadmin/assets/SMF/2001/smf.2001.04062/smf-2001-04062.pdf; letzter Zugriff: 14.09.2024.
2. Rascoff JH, Golden RA, Spinowitz BS, Charytan C. Nondilated obstructive nephropathy. Arch Intern Med. 1983;143:696–8. doi:10.1001/archinte.1983.00350040086011.
3. Feliciangeli V, Noce A, Montalto G, Germani S, Miano R, Asimakopoulos AD. Non-dilated obstructive nephropathy. Clin Kidney J. 2024. sfae249. doi: https://doi.org/10.1093/ckj/sfae249
4. Everaert K, Hoebeke P, Delanghe J. A review on urinary proteins in outflow disease of the upper urinary tract. Clin Chim Acta. 2000;297:183-9. doi: 10.1016/s0009-8981(00)00245-x. PMID: 10841920.

Mit dem Delir auf Irrwegen

Anamnese und Befunde

Ein 75-jähriger Patient stürzte auf der Treppe. Nach Ausschluss schwerer Verletzungen wurde der Patient zur geriatrischen Akutrehabilitation und Sturzabklärung aufgenommen. Auf der Notfallstation wurden ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma, diverse Kontusionen sowie Elektrolytstörungen (Hyponatriämie 132 mmol/l, Hypokali­ämie 2.8 mmol/l) diagnostiziert. Zudem zeigten sich erhöhte Creatin-Kinase- (509 U/l, Referenz < 200 U/l) und erhöhte Myoglobinwerte (189 µg/l, Referenz < 140 µg/l). Bekannte Vorerkrankungen waren eine Hepatitis-B-bedingte, kompensierte Leberzirrhose Child Pugh A, eine chronische Bronchitis, eine arterielle Hypertonie, ein Diabetes mellitus Typ 2 und rezidivierende Lumbago. Bei Übertritt in die Geriatrie fanden wir keine weiteren Verletzungen. Fremdanamnese und kognitive und psychiatrische Tests ergaben eine leichte Beeinträchtigung (MMS 25/30, UT 2/7), jedoch keine affektive Störung (Geriatric Depression Scale [GDS]). Der Medikationsplan zeigte eine Polypharmazie mit Tiotropium, Budesonid Nasenspray, Acetylcystein, Losartan, Hydrochlorothiazid, Torasemid, Metoprolol, Amlodipin, Gliclazid, Tenofovir, Zolpidem und Lorazepam.

Aufgrund der Anamnese, klinischer Untersuchung, repetitiv normwertiger Blutzuckerwerte, unauffälliger Schädel-CT und unauffälligem EKG erschien uns ein zentraler oder peripher Schwindel sowie kardiale, metabolische oder neurologische Ursachen trotz leichter orthostatischer Dysregulation in der Schellong-Untersuchung unwahrscheinlich. Die erhöhten Creatin-Kinase- und Myoglobinwerte schrieben wir den Kontusionen und der Nierenfunktionsstörung und den Elektrolytstörungen der diuretischen Therapie zu.

Die erste Woche des Krankenhausaufenthalts verlief ereignislos. In der Nacht zum 8. Tag war der Patient motorisch unruhig mit gesteigertem Antrieb und nestelndem Verhalten. Er war rasch reizbar, abschweifend, sprunghaft, zeitlich desorientiert und litt unter Schlaflosigkeit. Am folgenden Tag klagte er über Rückenschmerzen und stromschlagartigen Missempfindungen in den Oberschenkeln ohne Dermatombezug. Die Symptome blieben über den Tag stabil.

Erste differenzialdiagnostische Über­legungen

Wir stellten die Verdachtsdiagnose eines hyperaktiven Delirs, wofür die einzige Therapie die Ursachenbehebung darstellt. Daher sollten rasch eine strukturierte Ursachensuche mit Anamnese und Fremdanamnese, insbesondere zu Alkohol, Suchtmitteln und Medikamenten, sowie eine fokussierte neurologisch-psychiatrische körperliche Untersuchung erfolgen. Vervollständigt wird diese mit den notwendigsten apparativen Tests. Ziel ist das rasche Erkennen behebbarer Ursachen wie Entzugssyndrome, Fehlmedikationen, Harnverhalt, Obstipation oder metabolischen, kardialen und zentralnervösen Störungen. Eine Überdiagnostik ist häufig und sollte vermieden werden (1). Wir konnten keine erklärende Ursache finden. Aufgrund der starken Agitation verschrieben wir niedrig dosiert Quetiapin.

Weiterer Verlauf

Am folgenden Abend traten tonisch-klonische Krampfanfälle auf, die wir mit Midazolam durchbrachen. Ein EEG zeigte keine epilepsietypischen Potenziale. Zur Prophylaxe weiterer Krampfanfälle verordneten wir Clobazam. Die geplante Schädel-MRT mussten wir wegen des Verdachts auf Aspiration kleiner Magneten von der Magnettafel im Patientenzimmer absagen. Die Magnete waren in Thorax- und Abdomen-Röntgen nicht nachweisbar.

Die nun erst geführte Fremdanamnese ergab eine bisher unbekannte Einnahme von Amitriptylin (Saroten retard®, mindestens 150 mg täglich). Die Indikation und der Bezugsweg blieben trotz Nachfragen beim Gastroenterologen (gleichzeitig Hausarzt), Chiropraktiker und lange nicht konsultierten Psychiater unklar. Der behandelnde Psychologe war nicht erreichbar. Fremdanamnestisch wurde eine unipolare Depression vermutet.

Diagnose

Wir revidierten die Diagnose eines hyperaktiven Delirs. Retrospektiv war das Diagnosekriterium der Fluktuation der Symptome nicht erfüllt. Die anderen Kriterien, nämlich plötzlicher Beginn, Aufmerksamkeits-, Bewusstseins- und kognitiv-emotionale Störungen, waren vorhanden (1).
Wir diagnostizierten ein Antidepressiva-Entzugssyndrom (ADS) nach abruptem Absetzen von Amitriptylin. Die Krampfanfälle interpretierten wir als akute symptomatische Anfälle durch die hohe Amitriptylin-Dosis, den plötzlichen Stopp und das neu eingeführte Quetiapin. Zu diskutieren bleibt eine unzureichende Lorazepam-Dosierung und Abgabe. Aufgrund der Anfallsfreiheit, fehlender fokal-neurologischer Defizite, normalisierter Laborwerte und unauffälligem cCT am Eintrittstag verzichteten wir auf eine Schädel-MRT. Im weiteren Verlauf normalisierte sich das Verhalten, und es trat keine affektive Störung auf, sodass Amitriptylin nicht erneut verabreicht wurde. Wir konnten den Patienten nach Hause entlassen. Der zeitliche Ablauf ist in Abb. 1 dargestellt.

Kommentar

Ein ADS kann nach Absetzen der meisten Antidepressiva (AD) auftreten (2), mit dem grössten Risiko bei MAO-Hemmern, trizyklischen Antidepressiva (TZA), Paroxetin und Venlaflaxin (3, 4). Die Inzidenz liegt etwa bei 15 %, davon entwickeln ca. 3 % schwerwiegende Symptome (5). Häufigkeit, Schwere und Dauer eines ADS könnten allerdings unterschätzt werden (6). Begünstigende Faktoren sind in Tab. 1 zusammengefasst. Symptome treten meist innert der ersten 7 Tage nach Absetzen auf (3, 4).

Das Akronym «FINISH» (flu-like symptoms, insomina [with vivid dreams and nightmares], nausea, imbalance, sensory disturbances, hyperarousal) fasst die häufigsten Symptome zusammen (4). Der Patient beschrieb stromschlagartige Missempfindungen in den Beinen («body zaps»/»brain zaps»), die typischerweise mit dem Absetzen von SSRI assoziiert sind (3, 4). Eine Nennung im Zusammenhang mit dem Absetzen eines TZA konnten wir in der Literatur nicht finden. Das ADS ist meistens selbstlimitierend und dauert typischerweise ca. 2 Wochen (3, 6), kann jedoch auch Monate bis Jahre andauern (2, 6, 7).

Krampfanfälle werden in der Literatur nicht direkt mit einem ADS in Verbindung gebracht. Depression (8) und die Einnahme von Antidepressiva (AD) erhöhen jedoch das Risiko für Krampfanfälle, wobei unklar bleibt, welche AD das höchste Risiko bergen (9, 10). Ein erhöhtes Risiko besteht besonders kurz nach Beginn oder Absetzen der Medikation (10).

Ein ADS wird oft als Rezidiv der psychiatrischen Grunderkrankung oder als Therapieversagen fehlinterpretiert. Bei unipolaren Störungen kann dies fälschlicherweise zur Diagnose einer bipolaren Störung führen, wenn das ADS hypomanische oder manische Symptome zeigt (3). Diagnosekriterien des ADS nach DSM-5 sind in Tab. 2 zusammengefasst. Zur Unterscheidung zwischen ADS und Grunderkrankung ist die Beurteilung der Symptomverläufe nach Absetzen und Wiederaufnahme der Medikation hilfreich. Ein ADS tritt meist innerhalb von zwei Wochen auf, während eine depressive Episode eher nach 4–8 Wochen einsetzt (11). Zusätzlich zu den psychischen Symptomen sind körperliche Beschwerden (7) oder exzessives Träumen oder Albträume (4) häufig. Die Symptome zeigen typischerweise einen wellenförmigen Verlauf (7). Bei einem Rezidiv ähneln die Symptome der Grunderkrankung und gehen meist mit weniger körperlichen Beschwerden einher. Nach erneuter Einnahme der abgesetzten Medikamente klingt ein ADS typischerweise innerhalb weniger Tage ab (2, 3, 7).

Ein langsames Ausschleichen des AD über mindestens 4 Wochen oder über Monate kann das Risiko eines ADS möglicherweise reduzieren (4, 7, 11). Die Geschwindigkeit sollte individuell angepasst werden, basierend auf Wirkstoffklasse, Dosierung, Erfahrung des Patienten und Risikofaktoren (Tab. 1) (3). Fluoxetin birgt, aufgrund seiner langen Halbwertszeit, das geringste ADS-Risiko. Bei hohem ADS-Risiko können ein Wechsel zu Fluoxetin vor dem Absetzen eines SSRI oder Venlafaxin und anschliessendes Ausschleichen sinnvoll sein (4, 7). Ein ADS kann jedoch nach dem Ausschleichen von Fluoxetin auch verzögert auftreten (6, 7).

Eine Therapie ist aufgrund der häufig milden und selbstlimitierenden Symptome selten notwendig. Kurzfristig können symptomatisch Benzodiazepine oder nach TZA-Stopp Anticholinergika eingesetzt werden. Bei starken ADS-Symptomen kann das AD wieder gestartet werden (3, 4). Zur Vermeidung von Fehldiagnosen und Übertherapie sollten das ADS frühzeitig thematisiert und ein Therapieplan erstellt werden (2, 4).

Beim Absetzen eines AD in der Behandlung einer unipolaren Depression sollten ein Rezidiv als auch ein ADS frühzeitig erfasst und entsprechende Massnahmen ergriffen werden (12–14). Eine Idee, wie das Absetzen durchgeführt werden könnte, findet sich in Tab. 3.

Dieser Fallbericht betont die Wichtigkeit einer vollständigen Anamnese und Fremdanamnese für die Differenzialdiagnose sowie die Herausforderungen bei Multimorbidität und Polypharmazie. Durch eine frühzeitige und umfassende Anamnese hätten wir das ADS bei unserem Patienten möglicherweise verhindern können.

Eine korrekte Medikamentenanamnese und ein vollständiger Medikationsplan sind essenziell für die Patientensicherheit. Die Stiftung Patientensicherheit schätzt, dass jährlich 20 000 Spitalaufenthalte auf medikamentenbedingte Probleme zurückzuführen sind (15). Insbesondere an Schnittstellen (z. B. Wechsel von ambulant zu stationär) kommt es zu Medikamentenfehlern (15). Ein vollständiger Medikationsplan umfasst verschriebene, alternativmedizinische und nicht verschreibungspflichtige Medikamente sowie unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und Allergien. Handschriftliche Pläne erhöhen das Risiko für Medikamentenfehler (16). Die Medikamentenanamnese ist am sichersten, wenn der Plan mit Patienten, Angehörigen und dem Behandlungsteam besprochen und mit der Patientengeschichte abgeglichen wird. Nach Schnittstellenereignissen ist eine zeitnahe Überprüfung sinnvoll. Medikationspläne sollten aktuell gehalten und den Patienten mitgegeben werden. Veraltete Versionen sollten vernichtet werden (17).

Die Polypharmazie, definiert als die Einnahme von fünf oder mehr Medikamenten, steigert das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von potenziell inadäquater Medikation (PIM). Es sollte regelmässig geprüft werden, ob Medikamente indiziert sind, ihr Nutzen den Schaden überwiegt (18) und ein Deprescribing möglich ist. Deprescribing beschreibt einen systematischen Vorgang zur Medikamentenreduktion. Es erfordert regelmäßige Planbewertung und Identifikation von PIM gemeinsam mit dem Patienten (17). Entscheidungshilfen wie Beers-, Priscus- oder START-/STOP-Listen sowie Online-tools wie acbcalc.com oder medstopper.com unterstützen den Prozess.

Ob Polypharmazie ein eigenständiger Risikofaktor für ein ADS ist, bleibt unklar. Sie könnte jedoch durch vermehrte Medikamenteninteraktionen das Risiko erhöhen. Weitere gezielte Forschung ist erforderlich, um den Einfluss der Polypharmazie auf das Auftreten eines ADS eindeutig zu bestimmen (14).

Abkürzungen
MMS Mini-Mental-Status
UT Uhrentest
GDS Geriatrische Depressionsskala
EKG Elektrokardiogramm
EEG Elektroenzephalographie
MRT Magnetresonanztomographie
ADS antidepressant discontinuation syndrome
cCT Craniale Computertomographie
AD Antidepressivum
TZA Trizyklisches Antidepressivum
DSM-V diagnostic and statistical manual of mental disorders
UAW unerwünschte Arzneimittelwirkung
PIM potenziell inadäquate Medikation
DIA-S Depression-im-Alter-Skala
HAMD Hamilton Depressionsskala
BDI II Beck-Depressions-Inventar II
CSDD Cornell-Skala für Depression bei Demenz

Wann und wo sich der Fall zugetragen hat
2019, Kantonsspital Winterthur, Klinik für Akutgeriatrie

Historie
Manuskript eingegangen: 02.09.2024
Angenommen nach Revision: 23.12.2024

Benjamin Hutter

Medbase Wil
Friedtalweg 18
9500 Wil

benjamin.hutter@medbase.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

– Ein Antidepressiva-Absetzsyndrom tritt in ca. 15 % der Fälle unabhängig des verwendeten Antidepressivums auf.
– Die Symptome, die Symptomdauer und die Symptomintensität sind äusserst variabel, häufig aber meist mild und selbstlimitierend.
– Zur Prophylaxe eines Antidepressiva-Absetzsyndroms ist die Aufklärung der Patienten sowie ein vorsichtiges Ausschleichen sinnvoll.
– Die Indikation von Medikamenten ist stets kritisch zu prüfen. Die Möglichkeit eines Deprescribing sollte regelmässig geprüft werden.

1. Maschke M, et al. Delir und Verwirrtheitszustände inklusive Alkoholentzugsdelir, S1-Leitlinie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 2020. register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-006;letzter Zugriff: 11.06.2024.
2. Fornaro M, Cattaneo CI, De Berardis D, Ressico FV, Martinotti G, Vieta E. Antidepressant discontinuation syndrome: A state-of-the-art clinical review. European Neuropsychopharmacology. 2023;66:1–10.
3. Haddad PM, Anderson IM. Recognising and managing antidepressant discontinuation symptoms. Adv psychiatr treat. 2007;13(6):447–57.
4. Henssler J, Heinz A, Brandt L, Bschor T. Antidepressant Withdrawal and Rebound Phenomena. Deutsches Ärzteblatt international. 2019. www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.2019.0355; letzter Zugriff 07.04.2024
5. Henssler J, Schmidt Y, Schmidt U, Schwarzer G, Bschor T, Baethge C. Incidence of antidepressant discontinuation symptoms: a systematic review and meta-analysis. The Lancet Psychiatry. 2024;11(7):526–35.
6. Davies J, Read J. A systematic review into the incidence, severity and duration of antidepressant withdrawal effects: Are guidelines evidence-based? Addictive Behaviors. 2019;97:111–21.
7. Horowitz MA, Taylor D. Distinguishing relapse from antidepressant withdrawal: clinical practice and antidepressant discontinuation studies. BJPsych advances. 2022;28(5):297–311.
8. Steinert T, Baier H, Fröscher W, Jandl M. Epileptische Anfälle unter der Behandlung mit Antidepressiva und Neuroleptika. Fortschr Neurol Psychiatr. 2011;79(03):138–43.
9. Hill T, Coupland C, Morriss R, Arthur A, Moore M, Hippisley-Cox J. Antidepressant use and risk of epilepsy and seizures in people aged 20 to 64 years: cohort study using a primary care database. BMC Psychiatry. 2015;15(1):315.
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11. Lee EA, Wong CA, Barrio L, Godoy ER, Hackett D, Thompson N, et al. An Approach to Deprescribe Antidepressants for Depression in Older Adults: Consensus, Multidisciplinary Practice Recommendations. TPJ. 2023;27(2):1–8.
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13. Holsboer-Trachsler E, Hättenschwiler JA, Beck J, Brand S, Hemmeter UM, Keck ME, et al. Erhaltungstherapie und Rezidiv­prophylaxe unipolarer depressiver Störungen. Swiss Med Forum. 2016. doi.emh.ch/smf.2016.02705; letzter Zugriff: 19.08.2024
14. Hatzinger M, Hemmeter U, Hirsbrunner T, Holsboer-Trachsler E, Leyhe T, Mall JF, et al. Empfehlungen für Diagnostik und Therapie der Depression im Alter: Therapy Recommendations for Diagnosis and Treatment of Depression in Old Age. Praxis. 2018;107(3):127–44.
15. Bestmögliche Medikationsanamnese bei Spitaleintritt. 2017. www.youtube.com/watch?v=pIDKgPAfG4o; letzter Zugriff: 08.11.2024
16. FitzGerald RJ. Medication errors: the importance of an accurate drug history. Brit J Clinical Pharma. 2009;67(6):671–5.
17. Kühlein T, Van Der Wardt V, Viniol A. Das Absetzen von Medikamenten. CME. 2022;19(12):8–11.
18. Lee EA, Brettler JW, Kanter MH, Steinberg SG, Khang P, Distasio CC, et al. Refining the Definition of Polypharmacy and Its Link to Disability in Older Adults: Conceptualizing Necessary Polypharmacy, Unnecessary Polypharmacy, and Polypharmacy of Unclear Benefit. TPJ. 2020;24(1):18.212.
19. American Psychiatric Association, American Psychiatric Association, Herausgeber. Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-5. 5th ed. Washington, D.C: American Psychiatric Association; 2013. 947 S.

Die etwas andere Embolie

Fallbericht

Ein 79-jähriger Patient wurde aufgrund einer fortgeschrittenen, symptomatischen Coxarthrose zur elektiven Implantation einer Hüftprothese in unser Spital aufgenommen. An relevanten Vorerkrankungen lagen eine arterielle Hypertonie, eine Hypercholesterinämie, ein Vorhofflimmern sowie ein Status nach ischämischem Kleinhirninfarkt links vor zwei Jahren vor. Die Dauermedikation bestand aus Rivaroxaban 20 mg, Valsartan 160 mg und Rosuvastatin 20 mg.

Die Operation verlief am Aufnahmetag planmässig. Dem Patienten wurde eine zementierte Hüfttotalprothese nach vorherigem Einsetzen einer Markraumsperre implantiert.

Unmittelbar nach dem Eingriff zeigte sich der Patient wach, orientiert und gab abgesehen von Hüftschmerzen keine Beschwerden an. In der folgenden Nacht fiel jedoch eine psychomotorische Verlangsamung auf, die weitere neurologische Untersuchung zeigte zudem eine Desorientierung, eine Dysarthrie und ein Absinken im Armhalteversuch rechts (NIHSS: 8 Punkte). Die Vitalparameter waren mit einem Blutdruck von 132/79 mmHg sowie einer Pulsfrequenz von 92/min im Normbereich. Die Sauerstoffsättigung betrug minimal 91 %. In der internistischen Untersuchung fanden sich an den Händen subunguale Hämorrhagien bei sonst unauffälligen Befunden.

Laborchemisch zeigte sich eine Anämie von 9.3g/dl sowie eine milde Thrombozytopenie von 142 × 10⁹/l. Der Blutzucker war mit 5.4 mmol/l normwertig.

Als Ursache der akuten neurologischen Symptome wurde primär ein Schlaganfall bei bekanntem Vorhofflimmern und pausierter oraler Antikoagulation vermutet. Differenzialdiagnostisch standen unter anderem protrahierte medikamentöse Nebenwirkungen nach Vollnarkose oder ein postiktaler Zustand nach möglichem unbeobachtetem Anfall zur Diskussion (Tab. 1).

In der notfallmässigen Schädel-CT mit Angiographie und Perfusion zeigte sich ein normaler Befund ohne Hinweise auf eine intrakranielle Blutung, eine frische Ischämie oder einen Gefässverschluss. Am Folgetag wurde eine erweiterte Diagnostik mit MRT des Kopfes und EEG durchgeführt. Letzteres zeigte ein enzephalopathisches Bild ohne epilepsietypische Potenziale. In der MRT konnten diffuse, im Grosshirn verteilte, punktförmige Ischämien wie auch Mi­kroblutungen nachgewiesen werden (Abb. 1 und Abb. 2). Aufgrund des charakteristischen radiologischen Bildes («starfield pattern») ergab sich der Verdacht auf eine zerebrale Fettembolie. Aufgrund negativer Duke-Kriterien galt eine aufgrund des MRT-Befundes differenzialdiagnostisch evaluierte Endokarditis als unwahrscheinlich. Eine Thorax-CT mit Angiographie schloss eine Lungenembolie oder anderweitige pulmonale Auffälligkeiten aus.

Es erfolgte eine rein supportive Therapie. Abgesehen von einer intensiven physio- und ergotherapeutischen sowie logopädischen Betreuung wurden keine weiteren spezifischen Massnahmen ergriffen. Im Verlauf der nächsten 14 Tage kam es darunter zu einer kompletten Rückbildung der neurologischen Symptome. Am zweiten postoperativen Tag wurde eine prophylaktische Antikoagulation mittels Rivaroxaban 10 mg begonnen. Die ursprüngliche Dosierung von 20 mg wurde am 15. postoperativen Tag wiederaufgenommen.

Diskussion

Eine Fettembolie (FE) beschreibt den Verschluss kleiner Gefässe durch im Blut transportierte Fettpartikel. Dabei sind insbesondere die Präkapillaren und Kapillaren der Lunge betroffen. Gelangen einzelne Fettpartikel durch die Lunge in den arteriellen Kreislauf und verschliessen dort die kleineren Gefässe, etwa in der Niere, der Haut oder im Gehirn, spricht man von einer arteriellen FE. Treten klinische Symptome auf, wird dies als Fettembolie-Syndrom (FES) bezeichnet (1).

Das FES, erstmalig 1861 beschrieben, besteht klassischerweise aus der Trias von akuter respiratorischer Insuffizienz, zerebraler Dysfunktion und Petechien. Hauptsächlich tritt das FES im Zusammenhang mit Frakturen langer Knochen, insbesondere des Femurs oder des Beckens, auf.
Die Inzidenz einer asymptomatischen FE liegt bei Traumapatienten bei bis zu 90 %, während die Inzidenz eines FES bei Patienten mit einer Fraktur eines langen Knochens zwischen 0.5 und 2 % variiert. Bei multiplen Knochenfrakturen steigt sie auf 5–10 %. Die Mortalität liegt in diesen Fällen zwischen 1 und 20 % (1, 2, 3), wobei bei Patienten, welche Symptome innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem auslösenden Ereignis entwickeln, eine deutlich höhere Mortalität besteht. Ein milderer Verlauf wird entsprechend beschrieben, wenn sich die Symptome erst nach 24 bis 72 Stunden entwickeln (3).

Die Pathogenese der Fettembolisation bzw. des Fettembolie-Syndroms ist nicht vollständig geklärt. Es bestehen drei pathophysiologische Theorien, wobei auch eine Kombination daraus möglich ist:

1. Die mechanische Theorie postuliert, dass anlässlich eines Knochentraumas Fett aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf übertritt. Bei einem Trauma grosser Knochen mit höherem Knochenmarkanteil kann es zu Verletzungen oder Abrissen der am Knochen anliegenden Venen kommen. Dadurch können Knochenmarkbestandteile leichter in den Blutkreislauf eindringen. Während orthopädischer Operationen können die Manipulation der Knochen oder das Einbringen von Marknägeln oder Markraumsperren den intramedullären Druck erhöhen, wodurch das Eindringen von intramedullärem Fett in den Kreislauf begünstigt wird.

2. Gemäss einer biochemischen Hypothese kommt es nach einem Trauma zu einer Freisetzung von freien Fettsäuren in Form von Chylomikronen, Low Density Lipoproteinen (LDL) und Liposomen. Durch eine Agglutination mit Akute-Phase-Proteinen kann es zu einer Embolisierung kommen (4, 12).

3. Eine weitere These geht davon aus, dass es bei Frakturen grosser Knochen zu einer Freisetzung von Thromboplastin kommt, wodurch die Aktivierung des Komplementsystems sowie der extrinsischen Koagulationskaskade ausgelöst wird (6).

Eine Fettembolie kann durch Obstruktion pulmonaler Kapillaren respiratorische Symptome hervorrufen. Ist sie ausgeprägt, führt ein Ventilations-Perfusions-Mismatch zu einer ausgeprägten Hypoxämie, welche ein schweres Rechtsherzversagen zur Folge haben kann (4). Darüber hinaus kann eine FE durch eine paradoxe Embolie (z.B. über ein offenes Foramen ovale) oder eine Mikroembolisation in den arteriellen Kreislauf gelangen (5). In einem solchen Fall können neurologische Symptome und Petechien auftreten. Die neurologischen Symptome entstehen vermutlich durch zwei Mechanismen: durch die Obstruktion kleiner cerebraler Arteriolen und durch die zytotoxische Wirkung freigesetzter Fettsäuren, welche eine erhöhte kapilläre Permeabilität und damit einhergehend zerebrale Mikroinfarkte und Mikroblutungen verursachen (6).

Typischerweise manifestiert sich ein FES 24–72 Stunden nach dem auslösenden Trauma. Respiratorische Symptome, beispielsweise Dyspnoe, Tachypnoe und Hypoxämie, sind häufig die ersten klinischen Anzeichen. Eine Hypoxämie tritt bei bis zu 96 % der betroffenen Patienten auf (3). Zusätzlich können neurologische Ausfälle auftreten.

bis hin zu schweren fokalen Ausfällen (7). Im Falle einer primär neurologischen Symptomatik wird von einer zerebralen Fettembolie (ZFE) gesprochen – einer seltenen Form, die etwa 10 % der FE-Fälle ausmacht (8). In einem Drittel der Fälle treten zudem Petechien auf, die durch eine Embolisation kleinerer Hautgefässe ausgelöst werden. Petechien zeigen sich typischerweise 36 Stunden nach dem auslösenden Ereignis und sind nach sieben Tagen in der Regel nicht mehr nachweisbar. Unspezifische Manifestationen des FES können ferner Fieber, Tachykardie oder laborchemische Auffälligkeiten wie eine Thrombozytopenie oder Anämie sein. In den meisten Fällen ist ein FES innerhalb weniger Tage vollständig reversibel (6).

Die Diagnose des FES wird primär klinisch gestellt. Es existieren verschiedene Diagnosekriterien, welche allerdings nicht validiert oder universell akzeptiert sind (9) (10). Die Gurd-Kriterien, die später von Wilson modifiziert wurden, werden am häufigsten verwendet (Tab. 2). Für die Diagnose eines FES müssen entweder zwei Hauptkriterien oder ein Haupt- und vier Nebenkriterien erfüllt sein (7, 11). Obwohl die Diagnose primär klinisch gestellt wird, können bildgebende Verfahren, insbesondere beim ZFE, eine wertvolle Unterstützung bieten.

fusionsgewichteten Sequenzen der Nachweis eines «starfield pattern», welches durch multiple kleine, nicht konfluierende, hyperintense Läsionen gekennzeichnet ist (Abb. 1)(12). Das «starfield pattern», erstmalig 2001 von Parizel et al. beschrieben, ist als unspezifisch charakterisiert und ein Zeichen von diffusen, subkortikalen Mikroembolien (13). Ein wichtiges Zusatzkriterium sind subkortikale Mikroblutungen in den SWI- und T2-Sequenzen, welche ebenfalls diffus verteilt auftreten und eine einheitliche Grösse haben (Abb. 2). Typischerweise liegen diese in einem «walnut kernel pattern» vor (14). Laborchemische Untersuchungen sowie Sputum- oder Urinanalysen zum Nachweis von Fettpartikeln gelten hingegen als unspezifisch. Da die oben genannten diagnostischen Kriterien vor der Einführung der MRT entwickelt wurden, ist die MRT in den bisherigen Kriterien noch nicht als wichtiges diagnostisches Mittel verankert.

Die Therapie des FES erfolgt symptomorientiert. Im Vordergrund stehen eine adäquate Oxygenierung, Stabilisierung der Hämodynamik und Volumensubstitution (7, 12). Als mögliche weitere Therapie wird der Einsatz von Kortikosteroiden diskutiert, welche durch eine Stabilisierung der pulmonalen Kapillarmembran, die Unterbindung einer Entzündungsreaktion und die Verzögerung einer Plättchenadhäsion ein FES verhindern sollen. Eine Metaanalyse, die 389 Patienten aus sechs Studien einschloss, zeigte, dass die Gabe von Kortikosteroiden das Risiko eines FES um 80 % reduzieren konnte. Einflüsse auf die Mortalität konnten hingegen nicht nachgewiesen werden (1, 15). Die Anwendung von Kortikosteroiden ist weiterhin umstritten, da sie insbesondere die Erhöhung des Infektionsrisikos bedingen kann (16). Sonstige medikamentöse Massnahmen, etwa die Gabe von Heparin, Albumin oder Aspirin, zeigten in den Studien keinen nachweisbaren Nutzen.
Wichtige präventive Massnahmen zur Vermeidung eines FES umfassen die frühzeitige Reponierung von Frakturen sowie die Begrenzung des intraossären Drucks während orthopädischer Eingriffe.

Zusammenfassend hat es sich bei dem beschriebenen Patientenfall um eine isolierte zerebrale Fettembolie gehandelt, da die Kriterien für eine FES letztlich nicht eindeutig erfüllt waren. Die Diagnose der ZFE wurde im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang mit der OP sowie der MRT-Bildgebung gestellt.

Abkürzungen:
CT Computertomographie
EEG Elektroenzephalogramm
FE Fettembolie
FES Fettembolie-Syndrom
LDL Low Density Lipoprotein
MRT Magnetresonanztomographie
NIHSS National Institutes of Health Stroke Scale
ZFE Zerebrale Fettembolie

Historie
Manuskript eingegangen: 05.11.2024
Angenommen nach Revision: 22.01.2025

Sebastian Axmann

Klinik für Allgemeine Innere Medizin
Spitäler Schaffhausen
Geissbergstrasse 81
8208 Schaffhausen

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Fettembolien können nach Traumen oder nach orthopädischen Operationen auftreten und sind meistens asymptomatisch. Wichtig ist jedoch, im Falle einer akuten neurologischen Verschlechterung nach Frakturen grosser Knochen oder orthopädischen Eingriffen differenzial­diagnostisch an ein Fettembolie-Syndrom zu denken.
• Das Fettembolie-Syndrom wird durch die Trias von respiratorischen und neurologischen Symptomen sowie Petechien definiert. Meist treten die Symptome 24–72 Stunden nach dem auslösenden Ereignis auf. Die Diagnose wird primär klinisch gestellt, wobei die Bildgebung wertvolle diagnostische Unterstützung bietet.
• Die Pathogenese des Fettembolie-Syndroms ist vermutlich multifaktoriell mit mechanischen, biochemischen und gerinnungsbeeinflussenden Faktoren.
• Eine ursächliche Behandlung existiert nicht, die Therapie erfolgt supportiv. Als präventive Massnahmen werden eine zügige operative Versorgung von Frakturen sowie eine Limitierung des intraossären Drucks bei orthopädischen Eingriffen empfohlen.

1. C. Forster, M. Jöhr und J.-O. Gebbers, «Fettembolie und Fettembolie-Syndrom,» Schweiz Med Forum Nr. 28, pp. 673-678, 2002.
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Oropouche-Virus nach Kuba-Reise

Anamnese

Ein 75-jähriger Mann stellte sich Ende Juni 2024 mit starken Kopfschmerzen, retrobulbären Augenschmerzen, orthostatischem Schwindel, Appetitlosigkeit, Nausea sowie Müdigkeit und Kraftlosigkeit auf unserer Notfallstation vor. Er berichtete, dass die Beschwerden vor etwa drei Tagen schleichend begonnen hätten. Vor zwei Tagen sei er mit seiner Partnerin von einer Reise aus Kuba zurückgekehrt, er habe sich in der Provinz Santiago de Cuba aufgehalten und sei von vielen Mücken gestochen worden. Zudem habe er vor etwa einer Woche für drei Tage ähnliche Symptome verspürt: Fieber, Nausea mit Emesis und Gliederschmerzen. Da die Symptome auf eine symptomatische Behandlung gut ansprachen, konnte er den Rückflug beschwerdefrei antreten.

Seine Partnerin erfuhr in der Vorwoche ähnliche Symptome (Fieber, Gliederschmerzen, Nausea), weitere Personen im nahen Umfeld sind nicht erkrankt. Die Partnerin des Patienten informierte uns im Verlauf über einen aktuellen Ausbruch des Oropouche-Fiebers in der bereisten Region in Kuba.

Nebendiagnostisch seien ein intermittierendes Vorhofflimmern und eine Prostatahyperplasie bekannt, regelmässig nehme er ASS Cardio und Tamsulin ein.

Status

Klinisch präsentierte sich der Patient hämodynamisch stabil, subfebril mit 37.5 °C. Er war zu allen Qualitäten orientiert und kooperativ, jedoch objektiv verlangsamt und mit einer Konzentrationsschwäche. Die Herz- und Lungenauskultation ergaben keine pathologischen Befunde. Es bestanden weder Meningismus noch fokal-neurologische Auffälligkeiten. An den Unterschenkeln hatte er viele reizlose Mückenstiche.

Befunde

Laborchemisch bestand bei Eintritt eine Thrombozytopenie 73 10E3/μl (Norm: 150–370 10E3/μl), normale Leukozyten 4.85 10E3/μl (3.6–10.5 10E3/μl), mit tiefen Lymphozyten 0.85 10E3/μl (1.1–4 10E3/μl) bzw. 17.5 % (20–44 %) und prozentual erhöhten Monozyten von 16.7 % (2–9.5 %). Das C-reaktive Protein (CRP) war 1.3mg/l (≤ 5 mg/l), die Alanin-Aminotransferase (ALT) leicht erhöht mit 91 U/l (≤ 35 U/l), die Aspartat-Aminotransferase (AST) normwertig.

In der durchgeführten Lumbalpunktion zeigte sich der Liquor klar mit erhöhten Leukozyten von 36/μl (≤ 5/μl), davon 25/μl mononukleäre und 11/μl polynukleäre. Die Multiplex-PCR-Analyse für neuroinvasive Erreger fiel negativ aus.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Aufgrund der Reiseanamnese veranlassten wir Serologien für das Dengue- (inklusive Dengue-NS1-Antigen), Zika- und Chikungunya-Virus. Kuba gilt als malariafrei. Für eine spezifische rt-PCR-Untersuchung auf das Oropouche-Virus wurde EDTA-Blut und Liquor an die Virologie des Unispitals Genf (HUG) gesandt.

Verlauf

Auf der Notfallstation begannen wir mit einer symptomatischen und empirischen intravenösen antibiotischen Therapie mit Amoxicillin und Ceftriaxon. Das Amoxicillin sistierten wir nach Erhalt des negativen Befundes für Listerien in der Multiplex-PCR aus dem Liquor. Nach Erhalt der positiven PCR-Serologie für das Oropouche-Virus am dritten Hospitalisationstag sistierten wir noch vor Erhalt des negativen Liquor-Serum-Indexes für Borrelien auch die Therapie mit Ceftriaxon. Im Verlauf bestätigte sich das Oropouche-Virus ebenfalls im Liquor. Die weitere
Behandlung erfolgte symptomatisch.

Bis zum Austritt persistierten Kopfschmerzen, eine starke Müdigkeit und rezidivierende Fieberschübe bis 38.5 °C. Die neurologischen Untersuchungen waren weitgehend unauffällig. Wegen passagerer Wortfindungsstörungen wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Schädels veranlasst, welche keine entzündlichen Veränderungen meningoenzephal und keine akute Ischämie zeigte. Die Thrombopenie persistierte bis zum Spitalaustritt, mit leicht steigender Tendenz auf 88 10E3/μl (150–370 10E3/μl). Bei anhaltender Erschöpfung wurde eine Neurorehabilitation aufgegleist, wobei sich der Patient gut erholen konnte. Zehn Tage nach dessen Austritt berichtete der Patient subjektiv, ca. 80 % der vorbestehenden Leistungsfähigkeit wiedererlangt zu haben.

Detaillierte Diagnose

Unseres Wissens ist es der erste gemeldete Fall einer Oropouche-Virus-Infektion in der Schweiz. Zwei weitere Fälle wurden Ende Mai / Anfang Juni 2024 in Italien bei Reiserückkehrern aus Kuba diagnostiziert (1). Gern unterstreichen wir die Wichtigkeit der Reiseanamnese sowie das Verbreitungsgebiet des Oropouche-Virus auf Mittel-/Südamerika, Kuba und andere karibische Länder auszuweiten.

Das Oropouche-Virus wird durch Mückenstiche auf den Menschen übertragen. Am 27. Mai 2024 meldete das Gesundheitsministerium Kubas Ausbrüche des Oropouche-Virus-Fiebers in zwei Provinzen: Santiago de Cuba und Cienfuegos (Abb. 1) (2). Das Virus ist in vielen südamerikanischen Ländern, sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten, endemisch. Periodische Ausbrüche werden in Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Französisch-Guayana, Panama, Peru und Trinidad und Tobago gemeldet (Abb. 2) (3).

Die Inkubationszeit der Oropouche-Virus-Infektion beträgt nach dem infektiösen Stich zwischen drei und zehn Tagen. Die Krankheit äussert sich meistens durch Fieber, Kopfschmerzen, Muskel- und Gliederschmerzen, seltener mit anhaltender Übelkeit und Erbrechen, einem Hautausschlag und dauert in der Regel drei bis sechs Tage. Ein Rückfall der Symptome tritt nach sieben bis vierzehn Tagen bei bis zu 60 % der Fälle auf (2, 4, 5). Laut den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) entwickeln bis zu 4 % der Patienten neurologische Symptome wie Meningitis/Enzephalitis nach der initialen fieberhaften Erkrankung (4). Die genauen Mechanismen des biphasischen Verlaufs sind noch nicht vollständig verstanden. Einerseits könnte das Oropouche-Virus in immunprivilegierten Geweben oder solchen mit schlechter Virusclearance persistieren und eine zweite Freisetzung von Viruspartikeln bewirken. Ferner könnte eine überschiessende Reaktion der entzündungsfördernden Zytokine die zweite Krankheitsphase auslösen.

Die klinische Diagnose des Oropouche-Fiebers ist aufgrund der Ähnlichkeit der Krankheitssymptome, die durch andere mückenübertragene Viren wie Dengue, Zika und Chikungunya verursacht werden, nicht möglich. Der Nachweis des Virus kann in Serumproben während der ersten Infektionswoche erfolgen. Das Virus lässt sich in den ersten Tagen der Infektion leicht kultivieren und wird in der Regel nach dem fünften Tag nicht mehr nachgewiesen. Allerdings kann virale RNA noch einige Tage lang nachgewiesen werden, nachdem das Virus nicht mehr vorhanden ist. Gegen Ende der ersten Krankheitswoche bilden sich IgM-Antikörper, gefolgt von IgG-Antikörpern. Wobei es unseres Wissens nach zurzeit keine kommerzielle Serologie gibt. Ebenso gibt es keine spezifische antivirale Behandlung oder Impfung zur Verhinderung der Oropouche-Virus-Infektion (4, 5).

Abkürzungen:
ALT Alanin-Aminotransferase
ASS Acetylsalicylsäure
AST Aspartat-Aminotransferase
CRP C-reaktives Protein
EDTA Ethylendiamintetraazetat
HUG Hôpitaux Universitaire Genève
MRT Magnetresonanztomographie
(rt-)PCR (Reverse Transkriptase) polymerase chain reaction

Historie
Manuskript eingegangen: 02.09.2024
Angenommen nach Revision: 26.02.2025

Danksagung
Wir bedanken uns bei PD Dr. med. A. Neumayr, Leiter des Zentrums für Tropen- und Reisemedizin Basel, für die akademische Unterstützung sowie bei Alissa Schneller und Riccarda Capaul des Zentrallabors des KSGRs sowie Dr. Francisco Perez Rodriguez der Virologie des Unispitals Genf für deren Unterstützung bezüglich des Oropouche-Nachweises für den ersten Schweizer Fall.

PD Dr. med. Alexia Cusini

Leitende Ärztin für Infektiologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

alexia.cusini@ksgr.ch

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

• Eine Infektion mit dem Oropouche-Virus präsentiert sich mir Fieber/Schüttelfrost, häufig retrobulbären Kopfschmerzen, Muskel-/Gliederschmerzen und mittels Exanthem oder Nausea/Emesis. Etwa die Hälfte der Patienten zeigt nach ein bis zwei Wochen einen zwei­gipfligen Krankheitsverlauf.
• Wir empfehlen, an diese (noch) seltene virale Infektion bei Reiserückkehrern aus den Endemiegebieten mit Fieber zu denken, falls die Diagnostik für die Viren Dengue (Serologie und Dengue-NS1-Antigen) und die Serologie für Zika und Chikungunya negativ ausfällt. Die entsprechende Diagnostik für das Oropouche-Virus erfolgt mittels PCR aus dem Blut. Eine kommerzielle Serologie gibt es zurzeit (noch) nicht.
• Es gibt keine spezifische antivirale Behandlung oder Impfung zur Verhinderung der Oropouche-Virus-Erkrankung.
• Reisende in die Tropen sollen über Präventionsmassnahmen aufgeklärt werden: Mückenschutzmittel und -netze verwenden, helle und langärmlige Kleidung tragen.

1. Castilletti C, Mori A, Matucci A, Ronzoni N, Van Duffel L, Rossini G, et al. Oropouche fever cases diagnosed in Italy in two epidemiologically non-related travellers from Cuba, late May to early June 2024. Euro Surveill. 2024;29(26).
2. World Health Organization. Disease Outbreak News; Oropouche virus disease in Cuba [Internet]. 2024 June 11. Available from: https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2024-DON521
3. World Health Organization. Epidemiological alert: Oropouche in the Region of the Americas. Geneva: World Health Organization; 2024 May 9. Available from: https://www.paho.org/en/documents/epidemiological-alert-oropouche-region-americas-9-may-2024
4. Centers for Disease Control and Prevention. Oropouche virus disease: Clinical overview [Internet]. Atlanta (GA): CDC; [cited 2025 Jan 14]. Available from: https://www.cdc.gov/oropouche/hcp/clinical-overview/index.html
5. Zhang Y, Liu X, Wu Z, Feng S, Lu K, Zhu W, et al. Oropouche virus: A neglected global arboviral threat. Virus Res. 2024;341:199318.