Albert Einstein: Tennisballgrosses Bauchaortena­neurysma

Einstein klagte im Lauf seines Lebens über verschiedene gesundheitliche Probleme wie starke Kopfschmerzen, Atemwegserkrankungen, Schlafstörungen. In seinen späteren Jahren kämpfte er vor allem mit Magen-Darm-Beschwerden. Er litt an kolikartigem, rechtsseitigem Oberbauchschmerz, der als Indiz für einen ­Verdacht auf ein Bauchaortenaneurysma galt.

Patient: Albert Einstein * 14. März 1879 in Ulm, Württemberg, Deutschland † 18. April 1955, im Krankenhaus in Princeton, New Jersey, USA

Als die Grossmutter den neugeborenen Albert Einstein zum ersten Mal sah, soll sie mehrmals gesagt haben: «Viel zu dick, viel zu dick.» Beunruhigt war seine Familie über den Umstand, dass Albert erst sehr spät sprechen lernte. Im Primarschulalter neigte Albert zu Jähzornausbrüchen. Seine Schwester Maja berichtet in «Albert Einstein – Beitrag für sein Lebensbild»: «In solchen Momenten wurde er im Gesicht ganz gelb, die Nasenspitze aber schneeweiss, und er war nicht mehr Herr seiner selbst. Bei irgend einer solchen Gelegenheit ergriff er einmal einen Stuhl und schlug damit nach der Lehrerin, die einen Schock erlitt und entsetzt fortlief …» Seinem Schwesterchen warf er ein andermal eine Kegelkugel an den Kopf und ein drittes Mal diente ihm eine Kinderhacke dazu, ihr eine Wunde in den Kopf zu schlagen. Am Gymnasium in München war ihm die Art des Unterrichts zuwider, und er stritt oft mit dem Klassenlehrer, bevor er das Luitpold-Gymnasium ohne Abschluss verliess und seiner Familie nach Italien folgte, wo sie sich niederliess.

Krampfadern und Plattfüsse

Erst im zweiten Anlauf bestand Einstein 1895 die Aufnahmeprüfung zum Eidgenössischen Polytechnikum, der späteren ETH. Er war ein mittelmässiger Student und bewarb sich nach dem Diplom eines Fachlehrers für Mathematik und Physik erfolglos um eine Assistentenstelle am Polytechnikum.

Einstein wurde im Februar 1901 Schweizer Bürger und einen Monat später von den Militärbehörden zur Musterung einberufen. Bei der medizinischen Untersuchung am 13. März 1901 wurden bei Einstein Krampfadern, Plattfüsse und Fussschweiss festgestellt. Daraufhin erklärte ihn die Untersuchungskommission für «Untauglich A». Das «A» besagte, dass er nur für «Hülfsdienste und Platzdienst» eingesetzt werden konnte. Die Schweizer Armee berief Einstein aber nie zur Ableistung dieser Dienste ein. In seinem Dienstbüchlein von 1901 wurde Einsteins Körpergrösse mit 171.5 cm angegeben. In seinem Reisepass von 1923 findet sich die Angabe von 175 cm.

Durch Vermittlung eines ehemaligen Kommilitonen bewarb sich Einstein um eine Stelle am Berner Patentamt, wo er zur Probe eingestellt und ab dem 23. Juni 1902 technischer Experte dritter Klasse wurde. Nebenbei arbeitete er auf dem Gebiet der theoretischen Physik. Im April 1905 reichte er an der Universität Zürich seine Dissertation «Eine neue Bestimmung der Molekulardimensionen» ein, die im Juli 1905 akzeptiert wurde. Im gleichen Jahr ­publizierte er vier bahnbrechende Arbeiten, die die Grundlagen der Physik revolutionierten. Anfang 1906 veröffentlichte er erstmals seine Quantentheorie mit der berühmten Formel E = mc2. Von 1906 bis 1916 arbeitete er an einer Verallgemeinerung der speziellen Relativitätstheorie, die 1916 unter dem Titel «Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie» erschien.

Allgemeine Schwäche, Bettlägrigkeit

Im Kontrast zu seinem beruflichen Aufstieg traten vermehrt Probleme in seinem Privatleben und mit seiner Gesundheit auf. Seine Frau Mileva zog 1917 mit ihren beiden gemeinsamen Söhnen wieder nach Zürich zurück. Ab 1917 litt Einstein unter verschiedenen Krankheiten, unter einer allgemeinen Schwäche und war oft bettlägrig. 1919 wurde er von seiner Frau Mileva geschieden. Während dieser Schwächeperiode, die bis 1920 andauerte, wurde Einstein von seiner Cousine Elsa Löwenthal gepflegt. Die beiden kamen sich näher, und am 2. Juni 1919 heiratete er Elsa, die ihre Töchter Ilse und Margot mit in die Ehe brachte. Nach der Hochzeit wohnte die Familie in Berlin an der Haberlandstrasse 5. Infolge körperlicher Überanstrengung zog sich Einstein 1928 eine Herzerkrankung zu, deren Genesungsprozess fast ein Jahr dauerte.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 beschloss Einstein, in den USA zu bleiben, wo er auf einer Vortragsreise war. Im Jahr 1939 starb seine Frau Elsa. Im gleichen Jahr zog seine Schwester Maja zu ihm in sein Haus an die Mercer Street 112 in Princeton, New Jersey. Einstein und seine Schwester hatten zeitlebens ein sehr gutes Verhältnis, und Maja blieb bis zu seinem Tod 1955 bei ihm.
Maja sorgte sich um die Gesundheit ihres Bruders und schaute darauf, dass er sich ihrer Ansicht nach ausgewogen ernährte – nicht immer mit Erfolg. In Sorge war sie auch, wenn der leidenschaftliche Segler auf dem Wasser unterwegs war: Einstein war Nichtschwimmer. Alkohol trank Einstein sehr wenig, höchstens ein Glas Wein oder ein Gläschen Cognac. Trotz Verbots seiner Schwester und seiner Ärzte rauchte er Zigarre und Pfeife. Einstein war kein Feinschmecker, sondern ein Freund gutbürgerlicher Küche, von Hausmannskost. Besonders gut schmeckten ihm Linsensuppe, Eier, Spaghetti, Steinpilze, Gurkensalat, Schweinefilet und Steak (gut durchgebraten). Wenn ihm das Fleisch zu blutig war, reklamierte er. Nach Aussage seiner Haushälterin Herta Schiefelbein, erklärte er: «Ich bin doch kein Tiger»

Tennisballgrosses Bauchaortenaneurysma

Im Dezember 1948 wurde am Brooklyn Jewish Hospital bei Einstein eine explorative Laparatomie vorgenommen. Grund waren seit Jahren immer wieder auftretende Bauchbeschwerden mit Erbrechen. Während der Operation entdeckte der Chirurg Rudolph Nissen ein Bauchaortenaneurysma in der Grösse eines Tennisballs. Die damals einzig wirkungsvolle Behandlungsmethode war, die Aortenwand mit Cellophan zu umhüllen, um eine Raptur möglichst hinauszuzögern. Diese Operationsmethode war gerade erst entwickelt worden, nachdem verschiedene Kunststofffolien neu auf dem Markt waren. Die Operation schenkte Einstein noch mehr als sechs produktive Jahre.
Am 12. April 1955 traten bei dem 76-Jährigen erneut schwere Bauchschmerzen auf. Den Ärzten war klar, was passieren konnte: das Bauchaortenaneurysma drohte zu zerreissen. Der Chef-Chirurg des New York Hospital Cornell Medical Center Franz Glenn erklärte: «Die Untersuchung ergab, dass er ein sich vergrösserndes abdominales Aneurysma hatte. Eine Operation war dringend angezeigt.» Gemäss Glenn sagte Einstein: «Ich möchte gehen, wann ich will. Es ist geschmacklos, das Leben künstlich zu verlängern. Ich habe meinen Beitrag geleistet, nun ist es Zeit zu gehen. Ich werde das auf elegante Art und Weise tun.» Einstein starb um 01.15 Uhr des 18. April 1955. Die Autopsie bestätigte das Existieren eines grossen Bauchaortenaneurysmas.

Wenige Stunden nach seinem Tod wurde von Thomas S. Harvey die Autopsie durchgeführt und das Gehirn entfernt, ohne dass Einstein zu Lebzeiten dazu die Einwilligung gegeben hatte. Als die Hinterbliebenen davon erfuhren, gaben sie nachträglich die Genehmigung zur Entnahme und zur wissenschaftlichen Untersuchung von Einsteins Gehirn. Auf Wunsch Einsteins wurde sein Leichnahm noch am selben Tag eingeäschert und seine Asche zwei Wochen später, nach einer schlichten Trauerfeier, an einem unbekannten Ort verstreut.

Jörg Weber

Quellen:
J.J Chandler: The Einstein Sign.The clinical picture of acute cholecystitis caused by ruptured abdominal aortic aneurism. New England Journal of Medicine (NEJM), Vol. 310:1538, 1984
Thomas Meissner: Der prominente Patient. Springer, Berlin, 2019 Et al.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Abdominalschmerzen «out of proportion» bei einem jungen, gesunden Patienten

Anamnese und Befunde

Ein 29-jähriger Patient stellte sich, nach hausärztlicher Zuweisung, mit Verdacht auf akute Appendizitis auf unserer Notfallstation vor. Er klagte über spontan aufgetretene, starke abdominale Schmerzen (7/10 auf der numerischen Schmerzskala; NRS), welche vom rechten Unterbauch auszugehen schienen und welche vor wenigen Stunden begonnen hatten. Übelkeit und Erbrechen wurden verneint. Die Stuhlanamnese war in Bezug auf Frequenz, Konsistenz sowie Farbe unauffällig, der letzte Stuhlgang erfolgte ein paar Stunden vor Eintritt. Auf Nachfrage gab der Patient an, vor einer Woche während zweier Tage an Diarrhö gelitten zu haben. Im engen Umfeld gab es keine akut erkrankten Personen, insbesondere nicht mit gastrointestinalen Symp­tomen. Ein kürzlicher Auslandsaufenthalt wurde verneint. Beim Patienten waren keine Vorerkrankungen bekannt. Es bestand eine Hymenopterengiftallergie, ansonsten lagen keine Allergien vor. Abdominelle Voroperationen, wesentliche abdominelle Infekte sowie abdominelle oder pelvine Traumata wurden verneint.
Im Status zeigte sich ein afebriler, kardiopulmonal kompensierter Patient mit normalem Ernährungszustand. Die Darmgeräusche waren spärlich, insbesondere im rechten unteren Quadranten. Das Abdomen war insgesamt weich, im linken/mittleren unteren Quadranten fand sich eine lokale Druckdolenz ohne Peritonismus. Es lagen keine Druckdolenzen im McBurney- und Lanz-Punkt vor, das Psoas-Zeichen war ebenfalls negativ. In der durchgeführten Sonographie zeigte sich eine angedeutete Pendelperistaltik sowie erweiterte Dünndarmschlingen im linken Unterbauch. Die Appendix konnte nicht dargestellt werden. Laborchemisch ergaben sich keine pathologischen Befunde, insbesondere keine Entzündungszeichen und normale Laktatwerte.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Mit einem Alvarado-Score von 0 Punkten, unauffälligen Laborwerten und keiner Druckdolenz im rechten Unterbauch war eine Appendizitis sehr unwahrscheinlich. Obwohl eine infektiöse Ursache der Beschwerden nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (CAVE: unauffällige Laborwerte in den ersten Stunden sind möglich), passte die rasch entstandene und ausgeprägte Schmerzsymptomatik nicht dazu. Basierend auf dem sonographischen Befund, der Hinweise auf eine mechanische Obstruktion zeigte, wurde, trotz fehlender Voroperationen, ein Ileus als Ursache der Beschwerden in Erwägung gezogen. Nicht dazu passend war jedoch das Fehlen von Übelkeit und/oder Erbrechen. Eine mesenteriale Ischämie wurde in Betracht gezogen, allerdings aufgrund des Alters und fehlender Komorbiditäten als sehr unwahrscheinlich eingestuft.

Weitere Abklärungsschritte

Aufgrund der anhaltenden ausgeprägten Schmerzpro­blematik mit NRS 7/10, trotz Verabreichung einer intravenösen basisanalgetischen Therapie mit Paracetamol/Metamizol und kumulativ 16 mg Morphin i.v. («pain out of proportion»), wurde die Indikation zur computertomographischen Diagnostik gestellt.

Diagnose und Verlauf

In der durchgeführten Computertomographie (CT) fand sich das Bild einer Closed Loop Obstruction (CLO) des distalen Ileums im mittleren Unterbauch (links paramedian), bei sonst normalkalibrigem, reizlosem Intestinum ohne Passagestörung (Abb. 1). Intraoperativ, ca. 70 cm ab Ileozökalklappe, fand sich eine Omentumbride, welche problemlos gelöst werden konnte, die vollständige Dünndarmrevision zeigte keine nekrotischen Anteile (Abb. 2). Es zeigte sich ein problemloser postoperativer Verlauf. Der Patient konnte das Spital am 2. post-operativen Tag in gutem Allgemeinzustand und funktionierender Darmpassage verlassen.

Kommentar

Die häufigste Ursache für eine CLO ist eine postoperative Bride, in seltenen Fällen, wie in unserem Fall beschrieben, kann es jedoch auch bei nicht abdominell voroperierten Patienten zu einer CLO kommen. Die Trias mit stärksten Schmerzen, ein klinischer Befund, der nicht zum Schmerz passt («pain out of proportion»), und das Vorhandensein einer abdominellen Narbe wurden als Hinweis für eine CLO beschrieben (1). Goldstandard in der Diagnostik stellt aktuell die CT mit einer Sensitivität von 90–96 % und einer Spezifität von 96 % dar (2). Bei jungen Personen muss, aufgrund der Strahlenexposition, die Indikation einer computertomographischen Untersuchung allerdings kritisch evaluiert werden. Aufgrund der guten diagnostischen Performance des Ultraschalls (3) wird von der europäischen Gesellschaft für Ultraschall (EFSUMB) die Anwendung des Ultraschalls (US) empfohlen, um eine Darmobstruktion zu detektieren (4). Die CT wird bei nicht konklusiver Abdomensonographie als nächster Schritt empfohlen (5) bzw. bei positivem US-Befund, um die Ursache des Ileus zu eruieren, die Perfusion des Darms zu prüfen und schlussendlich die OP-Indikation zu überprüfen. In unserem Fall lag zwar kein akutes Abdomen vor, aber aufgrund des fehlenden Ansprechens auf die intravenöse analgetische Therapie mit ausgeschöpfter basisanalgetischer Therapie und einer verabreichten Morphindosis von insgesamt 16 mg wurde der Entscheid zur CT-Untersuchung gefällt. Normale Laborwerte schliessen das Vorhandensein eines Ileus nicht aus, liegen jedoch erhöhte Entzündungswerte und/oder ein erhöhtes Laktat bzw. eine metabolische Azidose vor, dann können dies bereits Zeichen der Darmischämie und -nekrosen sein. Es ist deshalb empfohlen, diese zu bestimmen (1, 6) sowie auch die Elektrolyte. Eine Elektrolytverschiebung muss korrigiert werden.
Beim Dünndarmileus sollte, gemäss den Bologna-Leitlinien 2017, zunächst nach einer Adhäsionsursache gesucht werden und eine Ischämie/Strangulation ausgeschlossen werden, bevor ein konservativer Therapieversuch angestrebt werden kann. Neben den klinischen Zeichen wie dem Peritonismus spielt die CT eine wichtige Rolle sowohl zur Abklärung ggf. anderer Ursachen als Adhäsionen als auch zur Beurteilung der Darmperfusion. Bei negativer Verlaufskontrolle im konservativen Prozedere (kein Nachweis von KM im Kolon nach 24–36 h), anhaltender Ob­struktion > 72 h oder Auftreten von Ischämie-/Peritonitiszeichen erfolgt die chirurgische Exploration. Liegen bereits initial direkte oder indirekte Ischämie-/Strangulationszeichen, insbesondere auch Zeichen einer CLO, vor, erfolgt das chirurgische Vorgehen unmittelbar (7).
Intraoperativ zeigte sich in unserem Fall eine Omentumbride, vom Omentum zum Meso hinziehend, mit einem dilatierten Dünndarmkonvolut, was zur Kompression des Dünndarms an einer zweiten Stelle führte und somit zur Beeinträchtigung der vaskulären Versorgung; zum Operationszeitpunkt zeigten sich glücklicherweise jedoch noch keine ischämischen Zeichen. Aufgrund dieser Konstellation wäre ein konservativer Versuch in unserem Fall auch retrospektiv wenig sinnvoll gewesen. Interessant jedoch bezüglich der aktuell gegebenen OP-Indikation bei einer CLO ist sicherlich eine kleine Serie aus Israel mit 18 nicht voroperierten Patienten mit CLO, in welcher bei 6 Patienten (33 %) während der diagnostischen Laparoskopie/Laparotomie keine Intervention notwendig war (nicht therapeutische Exploration) (8). Es stellt sich hier die Frage, ob es sich bei diesen Patienten tatsächlich um eine CLO oder um einen «normalen» mechanischen Ileus gehandelt haben könnte. In zwei weiteren systematischen Reviewarbeiten über Darmobstruktion bei nicht voroperierten Patienten wurden die Patienten mit CLO jeweils ausgeschlossen (9, 10). Ob eine CLO in bestimmten Fällen konservativ behandelt werden kann, bleibt eine offene Frage für die Zukunft.

Key Messages

• Eine CLO kann auch bei abdominell nicht voroperierten Patienten auftreten.
• Klinisch zeigen sich stärkste abdominelle Schmerzen, eventuell nicht passend zur klinischen Präsentation.
• Die Sonographie kann als Rule-In-Strategie angewendet werden, insbesondere bei jungen Patienten; die Diagnostik erfolgt grundsätzlich mittels CT.
• Die Therapie ist chirurgisch.

Sabine Fischbacher 1, Larissa C. Vines 2, Bruno Minotti 3

1 Notfallzentrum, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
2 Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Endokrin- und Transplantationschirurgie, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
3 Notfallzentrum, Universitätsspital Basel, Basel

Interessenkonflikte
Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

DOI: https://doi.org/10.23785/PRAXIS.2025.05.009

Abkürzungen
NRS Numerical (Pain) Rating Scale
CLO Closed Loop Obstruction
CT Computertomographie

Dr. med. Bruno Minotti

Notfallzentrum
Universitätsspital Basel
Petersgraben 2
4031 Basel

Key Messages
• Eine CLO kann auch bei abdominell nicht voroperierten Patienten auftreten.
• Klinisch zeigen sich stärkste abdominelle Schmerzen, eventuell nicht passend zur klinischen Präsentation.
• Die Sonographie kann als Rule-In-Strategie angewendet werden, insbesondere bei jungen Patienten; die Diagnostik erfolgt grundsätzlich mittels CT.
• Die Therapie ist chirurgisch.

Literatur
1. Tong JWV, Lingam P, Shelat VG. Adhesive small bowel obstruction – an update. Acute Med Surg. 2020;7(1):e587.
2. Mbengue A, Ndiaye A, Soko TO, Sahnoun M, Fall A, Diouf CT, et al. Closed loop obstruction: pictorial essay. Diagn Interv Imaging. 2015;96(2):213-20.
3. Gottlieb M, Peksa GD, Pandurangadu AV, Nakitende D, Takhar S, Seethala RR. Utilization of ultrasound for the evaluation of small bowel obstruction: A systematic review and meta-analysis. Am J Emerg Med. 2018;36(2):234-42.
4. Hollerweger A, Maconi G, Ripolles T, Nylund K, Higginson A, Serra C, et al. Gastrointestinal Ultrasound (GIUS) in Intestinal Emergencies – An EFSUMB Position Paper. Ultraschall Med. 2020;41(6):646-57.
5. Sinz S, Schmied B, Ukegjini K. Diagnostik und Behandlung des akuten Abdomens. Swiss Med Forum. 2021;21(4748):803-9.
6. Rosano N, Gallo L, Mercogliano G, Quassone P, Picascia O, Catalano M, et al. Ultrasound of Small Bowel Obstruction: A Pictorial Review. Diagnostics (Basel). 2021;11(4).
7. Ten Broek RPG, Krielen P, Di Saverio S, Coccolini F, Biffl WL, Ansaloni L, et al. Bologna guidelines for diagnosis and management of adhesive small bowel obstruction (ASBO): 2017 update of the evidence-based guidelines from the world society of emergency surgery ASBO working group. World J Emerg Surg. 2018;13:24.
8. Blich O, Nesher G, Tankel J, Boaz E, Dagan A, Reissman P, et al. Small Bowel Obstruction in Patients without Prior Abdominal Surgery: To Operate or Not? World J Surg. 2022;46(12):2919-26.
9. Hew N, Ng ZQ, Wijesuriya R. Non-operative management of small bowel obstruction in virgin abdomen: a systematic review. Surg Today. 2021;51(10):1558-67.
10. Yang TWW, Prabhakaran S, Bell S, Chin M, Carne P, Warrier SK, et al. Non-operative management for small bowel obstruction in a virgin abdomen: a systematic review. ANZ J Surg. 2021;91(5):802-9.

Grosse retroperitoneale Raumforderung beim jungen Patienten

Anamnese und Befunde

Ein 24-jähriger Patient stellte sich im Dezember letzten Jahres in der Notfallpraxis unseres Kantonsspitals vor. Er klagte zum Zeitpunkt über eine seit drei Wochen bestehende, palpable Masse im linken oberen Hemiabdomen. Auf Nachfrage verneinte er weitere Beschwerden. Der Patient fühlte sich zum Zeitpunkt der Konsultation unverändert fit und leistungsfähig. Die persönliche Krankengeschichte des Patienten war bis zu diesem Zeitpunkt blande. In der klinischen Untersuchung zeigte sich eine derbe, nicht verschiebliche Masse von rund 10 x 10 cm Ausdehnung. Auf Druck zeigte sich die Masse indolent. Die darüberliegende Haut zeigte keine Auffälligkeiten. Differenzialdiagnostisch gingen wir bei fehlenden Infektzeichen nicht von einer infektiologischen Ursache, insbesondere einem Abszess, aus. Aufgrund der Indolenz und des raschen Wachstums musste an eine maligne Erkrankung gedacht werden. Wir gingen am ehesten von einer Metastase aus. Zur Diskussion standen insbesondere lymphatische Malignome oder Hodenkarzinome. In der durchgeführten Bedside-Sonographie zeigte sich ein 9 x 10 cm grosser, inhomogener Tumor retroperitoneal (Abb. 1).

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

Zur weiteren Abklärung erfolgte ergänzend eine Sonographie des restlichen Abdomens ohne weitere Pathologien sowie eine Sonographie des Hodens mit Nachweis eines möglichen Primärtumors im linken Hoden (Abb. 2).
Wir führten eine erweiterte Diagnostik mit Bestimmung der Tumormarker durch. Hierbei zeigte sich ein deutlich erhöhtes Beta-HCG von 124 IU (Normal < 2.0 IU) sowie AFP von 11 150 mcg/l (Normal < 7 mcg/l). Bei erhöhtem AFP gingen wir am ehesten von einem Keimzelltumor mit nicht seminomatösem Anteil aus.

Diagnose

In der ergänzend durchgeführten Computertomographie des Thorax und Abdomens wurde der sonographisch und laboranalytische Verdacht im Sinne eines Hodentumors mit grosser retroperitonealer Lymphknotenmetastase bestätigt und der Patient den Kollegen der Urologie und Onkologie zugewiesen.

Therapie

Im Verlauf erfolgte initial die Kryokonservation der Spermien und die inguinale Orchiektomie. In der histologischen Aufarbeitung ergab sich entgegen der serologischen Marker ein Befund passend zu einem klassischen Seminom. Trotz dieser Diskrepanz muss bei erhöhtem AFP die Diagnose eines Nichtseminoms gestellt werden, da reine Seminome kein AFP produzieren und Nichtseminome die schlechtere Prognose besitzen. Dies hat wiede­rum Einfluss auf die Therapie. Bei initialem Stadium IIIC, IGCCCG pT1cN3M0S3 mit retroperitonealen Lymphknotenmetastasen und Poor-Risk-Group wurde am Tumor-
board die Durchführung einer Chemotherapie mit 4 Zyklen Cisplatin, Etoposid und Bleomycin empfohlen. Der Patient tolerierte die Chemotherapie bis auf leichte Nausea, Inappetenz und Müdigkeit sowie intermittierenden Tinnitus gut. Die Tumormarker sanken stufenweise, jedoch nicht vollständig. Erst nach der Entfernung der verbleibenden retroperitonealen Masse mittels roboterassistierter retroperitonealer Lymphadenektomie zeigte sich eine Komplettremission mit normalisierten Tumormarkern. Histologisch zeigte sich ein Befund, der zu einem Teratom passt und die laboranalytische Konstellation eines Nichtseminoms erklärt. Nun erfolgte die Nachsorge mit klinischer und laboranalytischer Kontrolle alle 3 Monate sowie zusätzlicher Magnetresonanztomographie des Abdomens und Computertomographie des Thorax alle 6 Monate und Ultraschall des kontralateralen Hodens nach 12 Monaten für das erste Jahr gemäss dem Nachsorgeschema der schweizerischen interdisziplinären Arbeitsgruppe für Hodentumore (1).
Diskussion

Der Keimzelltumor ist bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Tumorerkrankung. Der Anteil an allen malignen Erkrankungen in dieser Altersspanne beträgt etwa 25 %. In den letzten Jahren konnte in allen industrialisierten Ländern eine Zunahme der Diagnose von Keimzelltumoren beobachtet werden (2). Die Inzidenz in der Schweiz betrug 2016 etwa 12/100 000, womit die Schweiz zu den Ländern mit der höchsten Inzidenz gehört (3). Zwischenzeitlich zeigte sich 2021 eine Zunahme der Inzidenz in anderen europäischen Ländern. Im Durchschnitt erkrankten zwischen 2013 und 2017 pro Jahr rund 470 Männer an Hodenkrebs (4). Bekannte Risikofaktoren sind etwa der Maldeszensus testis, Unfruchtbarkeit oder eine positive Familienanamnese (5, 6). Gemäss den deutschen Leitlinien wird ein routinemässiges Screening nicht empfohlen, ausser bei entsprechenden Risikofaktoren oder auffälligen Veränderungen bei der Selbstuntersuchung (7). Bei entsprechendem klinischen Verdacht empfehlen die deutschen S3-Leitlinien die bilaterale Hodensonographie mit einer planaren Sonde mit mindestens 7.5 MHZ (S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens, Februar 2020). Ergänzend sollte ein CT Thorax-Abdomen-Becken zum Staging durchgeführt werden. Die S3-Leitlinien empfehlen zusätzlich die Abnahme der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH sowohl präoperativ wie auch postoperativ zur Therapiekontrolle und Bestimmung des für die Stadieneinteilung wichtigen postoperativen Nadirs (7). Bei rund der Hälfte der Patienten sind Tumormarker erhöht (8). Die Tumormarker dienen dabei nicht nur der Stadieneinteilung, sondern auch der Unterscheidung zwischen Chorionkarzinomen, reinen Seminomen und Nichtseminomen. So spricht etwa das Vorliegen erhöhter AFP-Werte wie in unserem Fall gegen das Vorliegen eines reinen Seminoms (9). LDH hingegen ist unspezifisch, korreliert jedoch mit der Prognose. LDH ist in 80 % aller Patienten mit fortgeschrittenen, metastasierten Keimzelltumoren erhöht (7).
Die Überlebensrate ist im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen sehr gut. Die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt bis 95 % (2). Bei metastasierten Tumoren in der Poor-Pro­gnosis-Group liegt die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei 48–64 % (10, 11). Zusammenfassend ist es wichtig, bei entsprechendem klinischen Verdacht eine umfassende Untersuchung und Organisation der Behandlung einzuleiten. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kollegen der Onkologie und Urologie ist dabei von zentraler Bedeutung. Der Fall repräsentiert deutlich auch den Stellenwert der Sonographie für die Notfall- wie auch Hausarztmedizin.

Key Messages

• Keimzelltumoren stellen bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Erkrankung dar.
• In der Schweiz gehören die Sonographie der Hoden sowie die Bestimmung der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH zum diagnostischen Standard.
• Eine rasche Einberufung eines interdisziplinären Tumorboards sowie die zügige Einleitung der entsprechenden Behandlung sind essenziell.
• Durch eine Kombination aus Orchiektomie, adjuvanter Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sowie gegebenenfalls Metastasenentfernung und retroperitonealer Lymphadenektomie konnte selbst in der Poor-Prognosis-Gruppe eine signifikant verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden.

Abkürzungen
Beta-HCG Beta-Humanes Choriongonadotropin
AFP Alpha-Fetoprotein
IGCCCG International Germ Cell Cancer Collaborative Group
MHZ Megahertz
FDG-PET/CT Fluorodeoxyglucose-Positronenemissionstomographie/Computertomographie
LDH Laktatdehydrogenase

Kilian Meier 1, Daniela Weiler 2
1 Interdisziplinäres Notfallzentrum, Kantonsspital Luzern
2 Klinik für Onkologie, Kantonsspital Luzern

Historie
Manuskript eingegangen: 18.09.24
Angenommen nach Revision: 19.03.25

Pract. med.Kilian Meier

Interdisziplinäres Notfallzentrum
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse 34
6004 Luzern

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Key Messages
• Keimzelltumoren stellen bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Erkrankung dar.
• In der Schweiz gehören die Sonographie der Hoden sowie die Bestimmung der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH zum diagnostischen Standard.
• Eine rasche Einberufung eines interdisziplinären Tumorboards sowie die zügige Einleitung der entsprechenden Behandlung sind essenziell.
• Durch eine Kombination aus Orchiektomie, adjuvanter Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sowie gegebenenfalls Metastasenentfernung und retroperitonealer Lymphadenektomie konnte selbst in der Poor-Prognosis-Gruppe eine signifikant verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden.

Literatur
1. Cathomas R. (2011). Interdisciplinary Evidence-Based Recommendations for the Follow-Up of Testicular Germ Cell Cancer Patients. Onkologie. 34 (1-2): 59-64
2. Bertz J., A. P. (2017). Epidemiologie bösartiger Hodentumore in Deutschland. Der Onkologe. 230-96
3. Schweizerischer Krebsbericht (2015)
4. Schweizerischer Krebsbericht (2021)
5. Dieckmann K.P., H. J. (2008). Tallness is associated with risk of testicular cancer: evidence for the nutrition hypothesis. BR J Cancer, 99(9): 1517-21
6. Behre H.M., K.S. (1995). Clinical relevance of scrotal and transrectal ultrasonography in andological patients. Int J Androl, 18 Suppl 227-31
7. S3 Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens (02/2020)
8. Germà-Lluch J.R., X.G. (2002) Clinical pattern and therapeutic results achieved in 1490 patients with germ-cell tumours of the testis: the experience of the Spanish Germ-Cell Cancer Group. Eur. Urol. 42(6): 553-62, discussion 562-3
9. Yacoub J.H., A.O. (2016): ACR Appropriateness Criteria Staging of Testicular Maglignancy. J AM Coll Radiol. 13(10):1203-1209
10. Kier M.G., J.L. (2017): Prognostic Factors and Treatment Results After Bleomycin, Etoposide, and Cisplatin in Germ Cell Cancer: A Population-based Study. Eur Urol. 71(2):290-298
11. International Germ Cell Consensus Classification 2017

Vincent van Gogh: Genie und Wahnsinn

Kreativität und Krankheit: Vincent van Gogh kannte beides. Auf Episoden geistiger Klarheit folgten dramatische ­Höhen und Tiefen, kurze und heftige Krankheitsschübe mit akustischen und optischen Halluzinationen, Depressionen, epileptischen Anfällen und Desorientierung. Zahlreiche Forscher gehen primär von psychischen Erkrankungen aus, andere von somatischen Ursachen. Letztlich bleibt unklar, an welche(n) Erkrankung(en) van Gogh litt.

Patient: Vincent van Gogh
Geboren: 30. März 1853 in Groot-Zundert, Niederlande
Gestorben: 29. Juli 1890 in Auvers-sur-Oise, Frankreich

Ärzte und Psychologen stellten zu Lebzeiten und posthum bei van Gogh verschiedenste Diagnosen seiner Krankheit(en), die im dritten Lebensjahrzehnt einsetzten. Von einer Epilepsie über Schizophrenie bis zur Menière-Erkrankung, von der bipolaren Störung bis hin zu Syphilis wurden diverse Leiden vermutet. Gegen primär psychiatrische Diagnosen sprach, dass die psychotischen Episoden erst spät in van Goghs Leben auftraten und nur relativ kurz anhielten. Zudem lagen Anzeichen für eine organisch bedingte Psychose vor, etwa fokalneurologische Symptome, epileptische Anfälle, Gedächtnisstörungen und optische Halluzinationen. Von den somatischen Differenzialdiagnosen deckten vor allem die Temporallappenepilepsie und die akute intermittierende Porphyrie (AIP) van Goghs psychiatrisch-neurologische Symptome ab. Sein übermässiger Alkoholkonsum hat beide Erkrankungen möglicherweise aggravieren und zu einem Alkoholentzugsdelir führen können.

Stress, Alkohol, Hunger, Tabakkonsum

Van Gogh quälten immer wieder starke Magenschmerzen. Forscher interpretierten diese Beschwerden gemeinsam mit der Psychose und epileptischen Anfällen als mögliche Manifestation einer akut intermittierenden Porphyrie. Häufig manifestiert sich die AIP um das 30. Lebensjahr latent, bis äussere Einflussfaktoren einen und akuten Schub auslösen. Dazu gehören Stress, Alkohol, Hungern und Tabakkonsum. All diese Aspekte trafen auf van Gogh zu: In seinen exzessiven Schaffensphasen konsumierte er während der Arbeit regelmässig Alkohol, vor allem Cognac und Absinth, und ass tagelang fast nichts, um das Geld für Malfarben zu sparen. «Wenn der Sturm in mir zu laut brüllt, trinke ich ein Glas zu viel, um mich zu betäuben», schrieb er seinem Bruder und Vertrauten Theo, der als Kunsthändler in Paris arbeitete, zwei Jahre vor seinem Tod. Auch das Nervengift Alpha-Thujon, das im Absinth enthalten ist, könnte zu AIP-Schüben geführt haben.

Zeitgenossen berichteten, van Gogh habe unter tonischen Spasmen der Hand gelitten und oft abwesend vor sich hin gestarrt. Für die Dauer dieser Episoden habe eine Amnesie bestanden. Van Gogh konnte sich etwa nicht daran erinnern, dass er Gaugin bei seinem Besuch in Arles bedroht oder sich ein Ohr abgeschnitten hatte. Seine Ärzte gingen von einer Epilepsie aus und behandelten ihn mit Kaliumbromid, einem der ersten Antikonvulsiva. Danach soll sich der Zustand des Malers nach eigenen Angaben deutlich gebessert haben. Dennoch setzten die weiterbehandelnden Ärzte das Medikament aus unbekannten Gründen wenig später wieder ab.

«Ich habe nicht weniger als 10 Zähne verloren»

Van Gogh ging regelmässig in Bordelle und war zeitweise mit einer Prostituierten liiert. Daher wurde von einigen Forschern auch eine Neurosyphilis als mögliche Ursache seiner Symptomatik diskutiert; diese konnte sowohl zu epileptischen Anfällen als auch zu psychotischen Störungen führen. Allerdings zeigte van Gogh keine weiteren Lues-IV-Symptome wie Ataxie, Hirnnervenausfälle oder Sensibilitätsstörungen.

– Der Maler galt als starker Raucher. Sich selbst porträtierte er oft mit Pfeife. Seinem Bruder schrieb er in einem seiner vielen Hundert Briefe an ihn, dass er vermehrt rauche, um «den leeren Bauch nicht spüren» zu müssen.

– In van Goghs Familie gab es zahlreiche psychiatrische Erkrankungen. Bei van Goghs Vater und seinen Geschwistern traten neben neurologisch-psychiatrischen Symptomen wie Wahnvorstellungen auch Lähmungserscheinungen auf. Forscher sahen in dieser Familienanamnese Anzeichen für eine autosomal-dominant vererbte AIP.

– Eine Bleivergiftung könnte zu einer Enzephalopathie und starken Bauchschmerzen geführt haben. Die mögliche Giftquelle: die bleihaltigen Ölfarben des Künstlers. Auch Frida Kahlo, Peter Paul Rubens und Michelangelo Caravaggio sollen an einer chronischen Bleivergiftung gelitten haben. Seinem Bruder Theo schrieb van Gogh 1886: «Ich habe nicht weniger als zehn Zähne verloren», was sich wie auch seine Darmkoliken, die Anämie, seine Verwirrtheit und Schlaflosigkeit mit einer chronischen Bleivergiftung erklären liesse. Auch wegen van Goghs Verwirrtheit, Schlaflosigkeit oder Aggressivität gegen Gaugin vermuteten Forscher eine chronische Bleivergiftung. Neben Bauchkoliken, blauschwarzem Zahnfleischsaum und Fallhand wurde eine hypochrome Anämie durch den Verdacht auf eine Bleivergiftung als Ursache vermutet.

– Die Fastenperioden und der Alkoholkonsum könnten auch zu einem chronischen Vitaminmangel geführt haben. Das Fehlen von Vitamin B12 etwa, könnte sich in neuropsychiatrischen Symptomen wie Antriebslosigkeit, gedrückter Stimmung oder einer Psychose manifestiert haben. Neben der erwähnten Anämie finden sich in van Goghs Briefen auch Hinweise auf vegetative Folgeerscheinungen eines möglichen Vitamin-B12-Mangels wie Impotenz. Ein Vitamin-B3-Mangel aufgrund des Alkoholabusus könnte bei van Gogh zu psychischen Auf­fälligkeiten, Desorientierung oder Aggression geführt haben. Ebenfalls iatrogene Ursachen kommen infrage: Digitalis-Intoxikationen könnten bei van Gogh neben Übelkeit und Bauchschmerzen mit einem visuell wahrgenommenen Gelb- und Grünstich einhergegangen sein, wie man ihn von van Goghs berühmten Sonnenblumen kennt. Auch die These, dass der Maler an der erblichen Stoffwechselkrankheit Porphyrie gelitten haben könnte, die einen Einfluss auf die Lichtwahrnehmung des Künstlers hatte, diente einigen Forschern als Erklärung für van Goghs eigenwillige Farbkompositionen.

Höchst produktive Zeit im «Asyl für Geisteskranke»

Vincent van Gogh litt an akustischen Halluzinationen und 1879 wurde erstmals die Theorie vertreten, dass der Künstler an Morbus-Menière-Schwindel gelitten habe. Ein damit einhergehender unerträglicher Tinnitus könnte die Erklärung für van Goghs Attacke in Arles in der Nacht vom 23. Dezember 1888 aufs eigene Ohr sein, an der er, fast verblutet, am nächsten Morgen in seinem Bett gefunden und ins Krankenhaus von Arles eingeliefert wurde.

Nach diesem Vorfall fürchteten sich die Nachbarn van Goghs noch mehr vor dem «Fou roux» und leiteten eine Unterschriften­aktion ein, um ihn einsperren zu lassen. 1889 begab sich van Gogh freiwillig in das «Asyl für Geisteskranke» Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy, wo er während eines Jahres behandelt wurde. Es wurde eine der produktivsten Zeiten des Malers überhaupt. Umgeben von riesigen Pinien und grünen Zypressen, entstanden unter vielen anderen Bildern die weltbekannten Grosswerke «Sternennacht» oder «Weizenfeld mit Zypressen». Im Mai 1890 zog er zu seinem Arzt Dr. Paul Gachet nach Auvers-sur-Oise bei Paris. Am 29. Juli 1890 schoss der Künstler auf sich selbst und erlag zwei Tage danach den Verletzungen. Eine Autopsie unterblieb.

Jörg Weber

Quellen:
– Arnold W.: Ein Leben zwischen Kreativität und Krankheit. Birkhäuser Basel/Boston/Berlin, 1993
– Decker G.: Vincent van Gogh – Pilgerreise zur Sonne. Biografie. Matthes & Seitz Berlin, 2009

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Risikofaktoren und Behandlung von krebsassoziierten Schlaganfällen

Das Risiko von thromboembolischen Ereignissen wie unter anderem ischämischen Schlaganfällen ist bei Krebspatienten bekanntermassen signifikant erhöht. Eine paraneoplastische Gerinnungsstörung wird bei onkologischen Patienten häufig als primäre Ursache für Schlaganfälle, tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien angesehen. Neben dieser paraneoplastischen Thrombusbildung trägt auch das Vorhandensein klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren, die Krebs- und Schlaganfallpatienten gemeinsam haben, erheblich zum Auftreten von Schlaganfällen bei Krebspatienten bei. Bestimmte Chemo-, Hormon- und Immuntherapien sowie Strahlentherapien im Bereich des Halses und des Gehirns erhöhen ebenso das Schlaganfallrisiko bei Krebspatienten. Es ist daher wichtig, die entsprechenden Krebspatienten mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko zu erkennen und entsprechend zu sensibilisieren.

The risk of thromboembolic events is known to be increased in cancer patients. This also applies to cerebrovascular events such as strokes. Paraneoplastic coagulopathy is often regarded as the main cause of strokes and other thromboembolic events (venous thrombosis and pulmonary embolism) in cancer patients. In addition to paraneoplastic coagulopathy, the presence of classic cardiovascular risk factors, which cancer and stroke patients have in common, also contributes significantly to the occurrence of strokes in cancer patients. Certain chemo-, hormone- and immunotherapies and radiotherapy to the neck and brain also increase the risk of stroke in cancer patients. It is therefore crucial to be able to identify and provide care for cancer patients at increased risk of stroke.
Key words: Cancer-associated stroke, Hypercoagulability, Paraneoplastic coagulopathy, Secondary prevention, Anticoagulation therapy

Fallbericht

Eine 68-jährige Patientin wurde mit Verdacht auf einen Schlaganfall mit einer schweren Aphasie, einer leichtgradigen motorischen Hemiparese rechts und einer deutlichen Vernachlässigung (Neglekt) der linken Körperseite in ein Zentrumsspital eingeliefert. Einige Monate zuvor war bei der Patientin ein metastasierendes Bronchialkarzinom diagnostiziert worden. Bildgebende Untersuchungen zeigten das Vorliegen multipler zerebraler Infarkte in verschiedenen zerebralen Versorgungsgebieten, was auf eine proximal-embolische Genese schliessen liess (Abb. 1).
Die laborchemische Untersuchung zeigte eine ausgeprägte Gerinnungsaktivierung mit stark erhöhten D-Dimer-Werten von 9835 µg/L (Referenzbereich <500 µg/L), die nach Ausschluss einer tiefen Beinvenenthrombose und Lungen­embolie auf das Vorliegen einer paraneoplastischen Gerinnungsstörung zurückgeführt wurde. Auch das C-reaktive Protein (CRP) war mit 48 mg/L (Referenzbereich <5 mg/L) signifikant erhöht. In Abwesenheit weiterer Hinweise auf eine Infektion oder systemische Entzündung wurde dieser Anstieg ebenfalls im Kontext der zugrundeliegenden aktiven Krebserkrankung interpretiert. Zusätzlich wurde eine Anämie mit einem Hämoglobinwert von 108 g/L (Norm: 121-154 g/L) festgestellt, die mangels Anzeichen einer akuten Blutung als chronische Anämie gewertet und höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Krebserkrankung gesehen wurde.
Im Rahmen der ätiologischen Abklärung des Schlaganfalls konnten keine alternativen Ursachen festgestellt werden. Insbesondere fanden sich keine Hinweise auf eine kardiale Emboliequelle, welche häufig ein ähnliches multiterritoriales Verteilungsmuster der Schlaganfälle aufweist. Der Schlaganfall wurde letztlich ätiologisch der Krebserkrankung zugeschrieben. Als Sekundärprävention wurde nach 6 Tagen eine therapeutische Antikoagulation mit niedrigmolekularem Heparin (Clexane) in voller Dosierung eingeleitet.
Da die tägliche subkutane Injektion für die Patientin unangenehm war, entschied sie sich nach zwei Wochen, selbstständig die Antikoagulation abzusetzen. In der darauffolgenden Konsultation in der hausärztlichen Praxis wurde eine blutverdünnende Therapie mit Eliquis initiiert und diesmal konsequent fortgeführt.

Risikofaktoren für krebsassoziierte
Schlaganfälle

Krebsassoziierte Schlaganfälle werden neben allgemeinen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische Risikofaktoren beeinflusst, die sowohl mit der Tumor­erkrankung selbst als auch mit den therapeutischen Massnahmen zusammenhängen (Tab. 1).
Dabei treten die Schlaganfälle häufig innerhalb des ersten Monats nach der Krebsdiagnose auf, wobei das Risiko insbesondere in den ersten drei Monaten nach Diagnosestellung signifikant erhöht ist und anschliessend wieder abnimmt (1).

Hyperkoagulabilität und Krebs

Bestimmte Krebserkrankungen wie Lungen-, Pankreas-, Gastrointestinal- und Ovarialkarzinome, insbesondere in lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Stadien, sind eng mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden. Darüber hinaus weisen vor allem histologische Adenokarzinome eine deutliche Assoziation mit thromboembolischen Ereignissen auf (2–5). Es wird angenommen, dass alle diese spezifischen und fortgeschrittenen Krebsformen zu einer Hyperkoagulabilität führen, indem prothrombotische Elemente (z. B. von Willebrand-Faktor, Tissue Factor, Tumorantigene, zirkulierende Tumorzellen und entzündungsfördernde Zytokine) in den Kreislauf freigesetzt werden (3, 6, 7).
Diese prothrombotischen Prozesse führen zu einer verstärkten Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin sowie zu einer erhöhten Thrombinaktivität wodurch die Thrombusbildung begünstigt wird (4, 8–10). D-Dimere, Abbauprodukte von Fibrin, werden daher häufig als Marker für eine Hyperkoagulabilität verwendet und sind bei Krebspatienten mit Schlaganfällen deshalb oft stark erhöht (5). Auch die mikroskopische Zusammensetzung von krebs­assoziierten Thromben weist entsprechend oft einen höheren Fibringehalt auf als bei anderen Schlaganfallursachen (11). Der detaillierte Pathomechanismus der paraneoplastischen Gerinnungsstörungen ist jedoch insgesamt noch zu wenig verstanden und weitere Studien sind notwendig, um konkrete Behandlungsansätze zu entwickeln.

Krebstherapie als Risikofaktor für Schlaganfall

Krebstherapien können das Schlaganfallrisiko erhöhen, da sie prothrombotische Nebenwirkungen haben und die Blutgefässe schädigen können (12–15). Dabei ist auch bei diesem Prozess weitere Forschung zum genauen Verständnis der Pathophysiologie notwendig.

1. Chemotherapie: Gewisse Chemotherapeutika (Cisplatin, Bevacizumab, Thalidomid) können eine prokoagulierende Aktivität oder Erhöhung der Blutviskosität verursachen und erhöhen daher das Risiko eines Schlaganfalls (16). Darüber hinaus sind einige Chemotherapeutika (Doxorubicin, Cyclophosphamid) direkt toxisch für das Gefässendothel, was die lokale Bildung von Thromben fördern kann.
Ebenso können die kardiotoxischen Nebenwirkungen verschiedener Chemotherapien (z.B. Anthrazykline oder Trastuzumab) durch die Entstehung einer akuten und/oder chronischen Kardiomyopathie oder Herzrhythmusstörungen zu Schlaganfällen führen (17).
2. Immuntherapien: Checkpoint-Inhibitoren (z. B. Pembrolizumab, Nivolumab) können durch beschleunigte Zunahme von Atherosklerose thrombotische Ereignisse begünstigen. CAR-T Cell Therapien wurden ebenfalls mit Schlaganfällen assoziiert, aber der Mechanismus ist derzeit noch nicht geklärt (18, 19).

3. Hormontherapien: Bei bestimmten Krebsarten, insbesondere Brust- und Prostatakrebs, werden häufig Hormontherapien eingesetzt. Diese Therapien (z.B. Tamoxifen, Aromatasehemmer [z. B. Anastrozol, Letrozol] und LHRH-Agonisten [z. B. Goserelin, Leuprolid]) stören das hormonelle Gleichgewicht und können dadurch einen prothrombotischen Zustand induzieren.
4. Strahlentherapie: Strahlentherapie bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich kann zur direkten Schädigung der zerebralen Gefässe führen und weiterhin auch atherosklerotische Gefässveränderungen durch Entstehung von Plaques begünstigen. Beide Phänomene erhöhen langfristig das Schlaganfallrisiko.

Kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Krebsassoziierten Schlaganfällen

Neben der direkten Wirkung des Tumors und seiner Therapie spielen klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren eine erhebliche Rolle bei der Entstehung von Schlaganfällen bei Krebspatienten. Patienten mit Krebs haben häufig eine Reihe zusätzlicher «gemeinsamer» Risikofaktoren mit Schlaganfallpatienten, die das Schlaganfallrisiko weiter erhöhen (20, 21). Hierbei sind vor allem Hyper­lipidämie, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Alkoholkonsum und Nikotinabusus aufzuführen.

Akuttherapeutische Möglichkeiten bei krebsassoziierten Schlaganfällen

Die Behandlung akuter Schlaganfälle bei Krebspatienten stellt eine besondere klinische Herausforderung dar, da die Hyperkoagulabilität und die vorliegenden kardiovaskulären Risikofaktoren dieser Patienten das Risiko von neuen thromboembolischen Ereignissen, Blutungen als auch von peri- und postinterventionellen Komplikationen erhöhen können (4, 13).

Intravenöse Thrombolyse

Studien haben gezeigt, dass die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs im Thrombolysezeitfenster sicher durchgeführt werden kann. Krebspatienten zeigten nach einer Thrombolysebehandlung eine Verbesserung der Schlaganfall-Symptome. Allerdings besteht bei diesen Patienten ein erhöhtes Risiko für Nachblutungen, insbesondere bei metastatischen Erkrankungen oder bei fortgeschrittenem Tumorstadium (22, 23). Dabei wurde jedoch kein Unterschied zwischen symptomatischen intrakraniellen Nachblutungen nachgewiesen (24). Zusammenfassend ist die intravenöse Thrombolyse bei Schlaganfallpatienten mit Krebs eine sichere Behandlung, wobei jedoch aufgrund eines erhöhten Nachblutungsrisikos eine sorgfältige Abwägung der Risiken und Nutzen erforderlich ist.

Mechanische Thrombektomie

Im Allgemeinen haben Studien gezeigt, dass die Behandlung mittels mechanischer Thrombektomie von Schlaganfallpatienten mit Krebs sicher ist. Die langfristig
verbleibenden Defizite nach einer mechanischen Thrombektomie bei Schlaganfallpatienten mit Krebs waren
jedoch schlechter als bei Patienten ohne Krebs. Dieser Unterschied scheint aber hauptsächlich auf die Krebserkrankung selbst zurückzuführen zu sein und nicht primär auf das Ergebnis der mechanischen Thrombektomie an sich (25).

Prävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Primäre Prävention bei Krebspatienten zur Vermeidung von Schlaganfällen ist derzeit nicht indiziert (26, 27). Eine kürzlich veröffentlichte Literaturübersicht und eine Metaanalyse zeigten keine Reduktion der arteriellen Thrombosen (einschliesslich Schlaganfälle) bei Krebspatienten unter systemischer Therapie, die zur Primärprävention mit Antikoagulanzien behandelt wurden. Thrombozytenaggregationshemmer spielen eine Rolle bei der Primärprävention von arteriellen Thrombosen bei myelo­proliferativen Erkrankungen, werden aber nicht generell zur Primärprävention von Schlaganfällen empfohlen.

Sekundärprävention von krebsassoziierten Schlaganfällen

Post-hoc-Analysen von randomisierten klinischen Studien haben ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und Aspirin in der Sekundärprävention bei Schlaganfallpatienten mit Krebs gibt (28). Aufgrund der jeweiligen Studiengestaltung sind diese Ergebnisse allerdings nicht ausreichend, um evidenzbasierte Empfehlungen zur Sekundärprävention abzugeben.
Aktuell werden basierend auf der Annahme ihrer Wirksamkeit auf die paraneoplastische Hyperkoagulabilität bei Krebspatienten zumeist DOAKs nach krebsassoziiertem Schlaganfall als Sekundärprävention eingesetzt. Eine Studie hat gezeigt, dass eine Senkung des D-Dimer-Spiegels durch Antikoagulanzien mit einer reduzierten 1-Jahres-Mortalität verbunden ist, was diese Hypothese unterstützt (29, 30).
Die Langzeitdurchführung einer Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin hingegen wurde aufgrund der unzureichenden Patienten-Compliance infrage gestellt (31). Die Anwendung von DOAKs gilt als sicher, erfordert jedoch weitere Evidenz (32). Generell ist bei der Wahl der Sekundärprävention das spezifische Blutungsrisiko des individuellen Patienten zu berücksichtigen (33).
Ebenso kommt auch der Behandlung von generellen kardiovaskulären Risikofaktoren eine wichtige Bedeutung zu, um das Schlaganfallrisiko insgesamt zu reduzieren.

Fazit für die ärztliche Praxis

Krebsassoziierte Schlaganfälle sind eine erhebliche Herausforderung in der klinischen Praxis, insbesondere aufgrund der komplexen Wechselwirkungen zwischen Krebserkrankungen und thromboembolischen Ereignissen.
Dabei werden krebsassoziierte Schlaganfälle neben gemeinsamen kardiovaskulären Risikofaktoren auch durch spezifische krebsbedingte Einflüsse verursacht. Besonders Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten Tumoren weisen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf. Das Schlaganfallrisiko ist hierbei insbesondere in den ersten Monaten nach der Krebsdiagnose erhöht.
Zudem können bestimmte Krebsbehandlungen prothrombotische Zustände begünstigen. Hinsichtlich der Akutbehandlung gelten sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie bei Krebspatienten als sicher durchführbar. Entsprechend ist eine schnelle notfallmässige Vorstellung auf einer Notfallstation beim Auftreten von Schlaganfallsymptomen von entscheidender Bedeutung.
Eine Primärprophylaxe von krebsassoziierten Schlaganfällen ist aktuell nicht indiziert.
Die Wahl der Sekundärprophylaxe in Abwesenheit klarer Richtlinien bleibt oft in der Entscheidung des behandelnden Arztes. Während DOAKs bei vielen Patienten aufgrund der zugrundeliegenden Hyperkoagulation bevorzugt werden, zeigen aktuelle Studien keine klare Überlegenheit gegenüber Thrombozytenaggregationshemmer.

Dr. med. Moritz Kielkopf

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

Prof. Dr. med. Hakan Sarikaya

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

Dr. med. Morin Beyeler

Universitätsklinik für Neurologie
Inselspital Bern
Rosenbühlgasse 25
3010 Bern

  • Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten
    Tumoren haben ein signifikant erhöhtes Risiko für Schlag­anfälle, insbesondere in den ersten drei Monaten nach der Krebs­diagnose. Diese sind oft durch paraneoplastische Gerinnungsstörungen verursacht.
  • Krebsassoziierte Schlaganfälle werden durch prothrombo­tische Mechanismen begünstigt, die von fortgeschrittenen Krebsformen ausgelöst werden, wie die Freisetzung von Tissue Factor und anderen entzündungsfördernden Faktoren. Stark erhöhte D-Dimer-Werte sind ein häufiger Marker für diese Prozesse.
  • Gewisse Chemotherapien, Immuntherapien, Hormon­therapien sowie Strahlentherapie können durch prothrombotische Nebenwirkungen und Gefässschädigungen das Schlaganfallrisiko erhöhen.
  • Sowohl die intravenöse Thrombolyse als auch die mechanische Thrombektomie sind bei krebsassoziierten Schlagan­fällen sicher, erfordern jedoch eine sorgfältige Abwägung der Risiken aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos bei meta­stasierten Tumoren.
  • Während DOAKs häufig zur Sekundärprävention bei krebs­assoziierten Schlaganfällen eingesetzt werden, gibt es keine klaren evidenzbasierten Empfehlungen. Eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung, einschliesslich des Blutungs­risikos und der Patienten-Compliance, ist entscheidend.

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