Fetale Neurosonographie im 2. Trimenon – ein praxisnaher Überblick

Die fetale Neurosonographie im zweiten Trimenon ermöglicht eine gezielte Darstellung zentralnervöser Strukturen zur früh­zeitigen Erkennung von Fehlbildungen. Dieser Artikel vermittelt praxisnah die Grundlagen der standardisierten Schnitt­führung in drei transversalen Ebenen und erläutert ergänzende koronare und sagittale Ebenen bei Verdachtsbefunden. Typische ­Pathologien wie Plexus choroideus-Zysten, Corpus-callosum-Agenesie, Ventrikulomegalie und Anomalien der hinteren Schädel­grube werden differenziert dargestellt.

Fetal neurosonography in the second trimester allows systematic imaging of central nervous system structures to detect anomalies early. This article provides a practical overview of standard transverse imaging planes and discusses coronal and sagittal extensions in selected cases. Key CNS pathologies such as choroid plexus cyst, agenesis of the corpus callosum, ventriculomegaly and posterior fossa anomalies are addressed.

Keywords: fetale Neurosonographie, ZNS, Routinescreening, erweiterte Untersuchung, Anomalien

Einleitung

Die fetale Neurosonographie ist ein fester Bestandteil der pränatalen Diagnostik (1, 2, 5). Im zweiten Organscreening (SSW 20+0 bis 23+0) liegt der Fokus auf der strukturierten Darstellung zentralnervöser Strukturen zur frühzeitigen Detektion von Auffälligkeiten, denn ZNS-Anomalien zählen, neben Herzfehlern, zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen (7). Grundlage der Untersuchung sind drei definierte transversale Ebenen: transthalamisch, transventrikulär und transzerebellär (1, 2, 7, 12). Bei auffälligen Befunden oder erhöhtem Risiko werden ergänzend sagittale und koronare Schnitte empfohlen (2, 5). Die Untersuchung erfolgt vorzugsweise transabdominal, bei speziellen Fragestellungen auch transvaginal. Entscheidend ist ein systematisiertes Vorgehen unter Berücksichtigung der fetalen Lage und fundierter Kenntnisse der normalen Sonoanatomie.

Standardschnittebenen

Folgende drei Ebenen des Kopfs, nebst Beurteilung der Wirbelsäule im Längs- und Querschnitt, sind Bestandteil des Routine-Screenings jeder risikoarmen Schwangerschaft (1, 2, 6).

Die transthalamische Ebene zeigt eine ovale Schädelform, das Cavum septi pellucidi (CSP), zwei symmetrische Thalami und die zentrale Falx (1, 2, 5, 12). Das Cerebellum darf dabei nicht sichtbar sein. In dieser Ebene werden Biparietal-Durchmesser (BPD), Okzipito-frontaler Durchmesser (OFD) und Kopf­umfang (HC) gemessen (Abb. 1a).

Die transventrikuläre Ebene dient der Beurteilung der Seiten­ventrikel (1, 3, 12). Die Weite des Atriums wird zwischen den inneren Rändern (innen-innen), 90° zum Verlauf des Ventrikels und auf Höhe des Sulcus parieto-occipitalis gemessen. Werte <10 mm gelten als unauffällig. Zusätzlich werden die Hemisphärenbreite und die Lage der Plexus choroidei beurteilt. Dabei ist die orthogonale Ausrichtung zur Mittellinie essenziell (Abb. 1b).

Die transzerebelläre Ebene zeigt das Kleinhirn und die Cisterna magna (1, 5, 12). Wichtig sind die Darstellung des Vermis, der Hemisphären sowie des CSP. Der transzerebelläre Durchmesser (TCD) korreliert mit der Schwangerschaftswoche. Eine Cisterna magna >10 mm gilt als auffällig und erfordert eine weiterführende Abklärung (Abb. 1c).

Erweiterte Untersuchung

Bei auffälligen Befunden oder Risikokonstellationen, wie familiärer Belastung, Infektionen (z. B. Zytomegalie, Toxoplasmose, Zikavirus) oder auffälliger Genetik, sollte eine weiterführende sonographische Beurteilung erfolgen. Ergänzend werden sagittale und koronare Ebenen eingesetzt, die eine differenzierte Darstellung zentraler Hirnstrukturen ermöglichen (2, 5, 9).

Die mittsagittale Ebene erlaubt die direkte Darstellung des Corpus callosum. Der Verlauf der Arteria pericallosa kann mittels Farbdoppler beurteilt werden: Bei normaler Ausprägung verläuft sie bogenförmig oberhalb des Balkens. Ebenfalls beurteilbar sind Position, Grösse und Form des Vermis, Lage des Tentoriums und deren Winkel zum Hirnstamm. Diese sind entscheidend, um die Differenzialdiagnosen Blake-Pouch-Zyste, Vermishypoplasie und Dandy-Walker-Malformation abzugrenzen (5, 9) (Abb. 2a und 2b).

Koronare Ebenen ermöglichen die Beurteilung der kortikalen Reifung (Gyrierung), Symmetrie der Hemisphären sowie der lateralen Ventrikelsysteme. Auffälligkeiten wie Asymmetrien oder Hinweise auf Migrationsstörungen lassen sich so frühzeitig erfassen (Abb. 3).

Typische auffällige ZNS-Befunde

Plexus choroideus-Zysten treten bei 1–2 % der Schwangerschaften auf (3, 5). Sie erscheinen als anechogene Strukturen im Plexus choroideus, meist bilateral. Überwiegend sind es transiente Befunde ohne klinische Relevanz. Entscheidend ist die detaillierte Sonographie inklusive Neurosonographie zum Ausschluss assoziierter Fehlbildungen und einer möglichen Assoziation zu Chromosomenstörungen, vor allem zu einer Trisomie 18. Bei ansonsten unauffälligem Ultraschallbefund und unauffälliger, vollständiger Ersttrimesterdiagnostik ist eine invasive Diagnostik oder NIPT nicht zwingend erforderlich. (1, 3, 5) (Abb. 4a).

Corpus-callosum-Agenesie ist eine der häufigsten pränatal diagnostizierten ZNS-Fehlbildungen (3–7/1000) (3, 5). Neben indirekten Zeichen wie Kolpozephalie, divergierenden Seitenventrikeln und fehlendem CSP in der transversalen Ebene ist die sagittale Darstellung des Fehlens des Corpus callosum entscheidend. Die Farbdoppleruntersuchung kann durch den Nachweis oder das Fehlen des bogenförmigen Verlaufs der Arteria ­pericallosa oberhalb des Corpus callosum zur Diagnose beitragen. Die Prognose der Balkenagenesie hängt im Wesentlichen von intra- und extracerebralen Begleitfehlbildungen und etwaigen genetischen Auffälligkeiten ab; ergänzend wird deswegen die genetische Diagnostik empfohlen sowie im Verlauf auch eine fetale Magnetresonanztomografie (MRT) (3, 5, 9) (Abb. 4b).

Ventrikulomegalie ist mit einer Prävalenz von 3–5/1000 eine der häufigsten ZNS-Anomalien (3, 5). Die Diagnose erfolgt in der transventrikulären Ebene anhand der präzisen Messung der Ventrikelweite: mild (10–12 mm), moderat (12–15 mm), schwer (>15 mm). Differenzialdiagnostisch kommen Infektionen, Migrationsstörungen, genetische Syndrome und Obstruktionen, Blutungen infrage (3, 5, 9). Die Prognose korreliert mit der Ventrikelweite und ist von der Ursache der Ventrikulomegalie abhängig (Abb. 4c).

Anomalien der hinteren Schädelgrube reichen von Normvarianten bis zu komplexen Fehlbildungen (3, 5, 8). Häufige Diagnosen sind die Dandy-Walker-Malformation (Abb. 4d) und die Vermis-Hypoplasie sowie die prognostisch benigneren Befunde wie die Blake-Pouch-Zyste, oder die isolierte Megacisterna magna. Die sonografische Beurteilung erfolgt vorrangig in der transzerebellären und midsagittalen Ebene (9). Tab. 1 fasst die wichtigsten sonografischen Merkmale und Unterschiede zusammen (Ref. 8–11). Ergänzend können 3D-Sonografie oder fetale MRT zur weiteren Diagnostik beitragen (1, 5, 8, 9).

Quellenangabe Abbildungen
Abbildung 1 oben links und Abbildung 3 links stammen aus den ISUOG-Guidelines (Quellen 1 und 2).
Alle weiteren Ultraschallbilder stammen aus der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Hannah Edenhofer-Brogna

Gyn. Sonographie und Pränataldiagnostik – Frauenklinik
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4001 Basel

Prof. Dr. med.Gwendolin Manegold-Brauer

Gyn. Sonographie und Pränataldiagnostik – Frauenklinik
Universitätsspital Basel
Spitalstrasse 21
4001 Basel

gwendolin.manegold-brauer@usb.ch

Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Eine strukturierte Darstellung der drei transversalen Ebenen (transthalamisch, transventrikulär und transzerebellär) ist die Grundlage jeder fetalen ZNS-Sonographie.
  • Bei auffälligen Befunden werden ergänzend sagittale und koronare Ebenen eingesetzt.
  • Die sagittale Ebene mit ggf. Farbdoppler ist essenziell für die Beurteilung des Corpus callosum und der Differentialdiagnose der Strukturen der hinteren Schädelgrube.
  • Plexus choroideus-Zysten zeigen sich, wenn isoliert, meist als transiente Befunde ohne klinische Relevanz, die sich im weiteren Schwangerschafts­verlauf spontan zurückbilden – wichtig ist der Ausschluss weiterer sonographischer Auffälligkeiten und ggf. eine genetische Diagnostik.
  • Eine Cisterna magna >10 mm in der transzerebellären Ebene sollte eine fetale Neurosonografie mit Einstellung der mittleren Sagittal­ebene zur Beurteilung von Vermis und Tentorium nach sich ziehen.

1. Malinger G et al. ISUOG Practice Guidelines: CNS Part 1. Ultrasound Obstet Gynecol. 2020;56(3):476–484.
2. Malinger G et al. ISUOG Practice Guidelines: CNS Part 2. Ultrasound Obstet Gynecol. 2020;56(3):485–500.
3. Karl K et al. Sonografische Differenzialdiagnose bei ZNS-Anomalien. Ultraschall Med. 2011;32(4):342–361.
4. Manegold-Brauer G. Fetale Neurosonographie im ersten Trimenon. info@gynäkologie 01/2017.
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9. Katrin Karl, Annegret Geipel, Fehlbildungen des Gehirns, (Kapitel 21.1, 21.2, 21.3 und 21.5), Kursbuch Ultraschall in der Gynäkologie und Geburtshilfe, Thieme; 2022.
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12. Annegret Geipel, Kapitel 6 Normale Sonoanatomie im 2. Trimenon, Kursbuch Ultraschall in der Gynäkologie und Geburtshilfe, Thieme; 2022.

Albert Einstein: Tennisballgrosses Bauchaortena­neurysma

Einstein klagte im Lauf seines Lebens über verschiedene gesundheitliche Probleme wie starke Kopfschmerzen, Atemwegserkrankungen, Schlafstörungen. In seinen späteren Jahren kämpfte er vor allem mit Magen-Darm-Beschwerden. Er litt an kolikartigem, rechtsseitigem Oberbauchschmerz, der als Indiz für einen ­Verdacht auf ein Bauchaortenaneurysma galt.

Patient: Albert Einstein * 14. März 1879 in Ulm, Württemberg, Deutschland † 18. April 1955, im Krankenhaus in Princeton, New Jersey, USA

Als die Grossmutter den neugeborenen Albert Einstein zum ersten Mal sah, soll sie mehrmals gesagt haben: «Viel zu dick, viel zu dick.» Beunruhigt war seine Familie über den Umstand, dass Albert erst sehr spät sprechen lernte. Im Primarschulalter neigte Albert zu Jähzornausbrüchen. Seine Schwester Maja berichtet in «Albert Einstein – Beitrag für sein Lebensbild»: «In solchen Momenten wurde er im Gesicht ganz gelb, die Nasenspitze aber schneeweiss, und er war nicht mehr Herr seiner selbst. Bei irgend einer solchen Gelegenheit ergriff er einmal einen Stuhl und schlug damit nach der Lehrerin, die einen Schock erlitt und entsetzt fortlief …» Seinem Schwesterchen warf er ein andermal eine Kegelkugel an den Kopf und ein drittes Mal diente ihm eine Kinderhacke dazu, ihr eine Wunde in den Kopf zu schlagen. Am Gymnasium in München war ihm die Art des Unterrichts zuwider, und er stritt oft mit dem Klassenlehrer, bevor er das Luitpold-Gymnasium ohne Abschluss verliess und seiner Familie nach Italien folgte, wo sie sich niederliess.

Krampfadern und Plattfüsse

Erst im zweiten Anlauf bestand Einstein 1895 die Aufnahmeprüfung zum Eidgenössischen Polytechnikum, der späteren ETH. Er war ein mittelmässiger Student und bewarb sich nach dem Diplom eines Fachlehrers für Mathematik und Physik erfolglos um eine Assistentenstelle am Polytechnikum.

Einstein wurde im Februar 1901 Schweizer Bürger und einen Monat später von den Militärbehörden zur Musterung einberufen. Bei der medizinischen Untersuchung am 13. März 1901 wurden bei Einstein Krampfadern, Plattfüsse und Fussschweiss festgestellt. Daraufhin erklärte ihn die Untersuchungskommission für «Untauglich A». Das «A» besagte, dass er nur für «Hülfsdienste und Platzdienst» eingesetzt werden konnte. Die Schweizer Armee berief Einstein aber nie zur Ableistung dieser Dienste ein. In seinem Dienstbüchlein von 1901 wurde Einsteins Körpergrösse mit 171.5 cm angegeben. In seinem Reisepass von 1923 findet sich die Angabe von 175 cm.

Durch Vermittlung eines ehemaligen Kommilitonen bewarb sich Einstein um eine Stelle am Berner Patentamt, wo er zur Probe eingestellt und ab dem 23. Juni 1902 technischer Experte dritter Klasse wurde. Nebenbei arbeitete er auf dem Gebiet der theoretischen Physik. Im April 1905 reichte er an der Universität Zürich seine Dissertation «Eine neue Bestimmung der Molekulardimensionen» ein, die im Juli 1905 akzeptiert wurde. Im gleichen Jahr ­publizierte er vier bahnbrechende Arbeiten, die die Grundlagen der Physik revolutionierten. Anfang 1906 veröffentlichte er erstmals seine Quantentheorie mit der berühmten Formel E = mc2. Von 1906 bis 1916 arbeitete er an einer Verallgemeinerung der speziellen Relativitätstheorie, die 1916 unter dem Titel «Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie» erschien.

Allgemeine Schwäche, Bettlägrigkeit

Im Kontrast zu seinem beruflichen Aufstieg traten vermehrt Probleme in seinem Privatleben und mit seiner Gesundheit auf. Seine Frau Mileva zog 1917 mit ihren beiden gemeinsamen Söhnen wieder nach Zürich zurück. Ab 1917 litt Einstein unter verschiedenen Krankheiten, unter einer allgemeinen Schwäche und war oft bettlägrig. 1919 wurde er von seiner Frau Mileva geschieden. Während dieser Schwächeperiode, die bis 1920 andauerte, wurde Einstein von seiner Cousine Elsa Löwenthal gepflegt. Die beiden kamen sich näher, und am 2. Juni 1919 heiratete er Elsa, die ihre Töchter Ilse und Margot mit in die Ehe brachte. Nach der Hochzeit wohnte die Familie in Berlin an der Haberlandstrasse 5. Infolge körperlicher Überanstrengung zog sich Einstein 1928 eine Herzerkrankung zu, deren Genesungsprozess fast ein Jahr dauerte.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 beschloss Einstein, in den USA zu bleiben, wo er auf einer Vortragsreise war. Im Jahr 1939 starb seine Frau Elsa. Im gleichen Jahr zog seine Schwester Maja zu ihm in sein Haus an die Mercer Street 112 in Princeton, New Jersey. Einstein und seine Schwester hatten zeitlebens ein sehr gutes Verhältnis, und Maja blieb bis zu seinem Tod 1955 bei ihm.
Maja sorgte sich um die Gesundheit ihres Bruders und schaute darauf, dass er sich ihrer Ansicht nach ausgewogen ernährte – nicht immer mit Erfolg. In Sorge war sie auch, wenn der leidenschaftliche Segler auf dem Wasser unterwegs war: Einstein war Nichtschwimmer. Alkohol trank Einstein sehr wenig, höchstens ein Glas Wein oder ein Gläschen Cognac. Trotz Verbots seiner Schwester und seiner Ärzte rauchte er Zigarre und Pfeife. Einstein war kein Feinschmecker, sondern ein Freund gutbürgerlicher Küche, von Hausmannskost. Besonders gut schmeckten ihm Linsensuppe, Eier, Spaghetti, Steinpilze, Gurkensalat, Schweinefilet und Steak (gut durchgebraten). Wenn ihm das Fleisch zu blutig war, reklamierte er. Nach Aussage seiner Haushälterin Herta Schiefelbein, erklärte er: «Ich bin doch kein Tiger»

Tennisballgrosses Bauchaortenaneurysma

Im Dezember 1948 wurde am Brooklyn Jewish Hospital bei Einstein eine explorative Laparatomie vorgenommen. Grund waren seit Jahren immer wieder auftretende Bauchbeschwerden mit Erbrechen. Während der Operation entdeckte der Chirurg Rudolph Nissen ein Bauchaortenaneurysma in der Grösse eines Tennisballs. Die damals einzig wirkungsvolle Behandlungsmethode war, die Aortenwand mit Cellophan zu umhüllen, um eine Raptur möglichst hinauszuzögern. Diese Operationsmethode war gerade erst entwickelt worden, nachdem verschiedene Kunststofffolien neu auf dem Markt waren. Die Operation schenkte Einstein noch mehr als sechs produktive Jahre.
Am 12. April 1955 traten bei dem 76-Jährigen erneut schwere Bauchschmerzen auf. Den Ärzten war klar, was passieren konnte: das Bauchaortenaneurysma drohte zu zerreissen. Der Chef-Chirurg des New York Hospital Cornell Medical Center Franz Glenn erklärte: «Die Untersuchung ergab, dass er ein sich vergrösserndes abdominales Aneurysma hatte. Eine Operation war dringend angezeigt.» Gemäss Glenn sagte Einstein: «Ich möchte gehen, wann ich will. Es ist geschmacklos, das Leben künstlich zu verlängern. Ich habe meinen Beitrag geleistet, nun ist es Zeit zu gehen. Ich werde das auf elegante Art und Weise tun.» Einstein starb um 01.15 Uhr des 18. April 1955. Die Autopsie bestätigte das Existieren eines grossen Bauchaortenaneurysmas.

Wenige Stunden nach seinem Tod wurde von Thomas S. Harvey die Autopsie durchgeführt und das Gehirn entfernt, ohne dass Einstein zu Lebzeiten dazu die Einwilligung gegeben hatte. Als die Hinterbliebenen davon erfuhren, gaben sie nachträglich die Genehmigung zur Entnahme und zur wissenschaftlichen Untersuchung von Einsteins Gehirn. Auf Wunsch Einsteins wurde sein Leichnahm noch am selben Tag eingeäschert und seine Asche zwei Wochen später, nach einer schlichten Trauerfeier, an einem unbekannten Ort verstreut.

Jörg Weber

Quellen:
J.J Chandler: The Einstein Sign.The clinical picture of acute cholecystitis caused by ruptured abdominal aortic aneurism. New England Journal of Medicine (NEJM), Vol. 310:1538, 1984
Thomas Meissner: Der prominente Patient. Springer, Berlin, 2019 Et al.

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

Abdominalschmerzen «out of proportion» bei einem jungen, gesunden Patienten

Anamnese und Befunde

Ein 29-jähriger Patient stellte sich, nach hausärztlicher Zuweisung, mit Verdacht auf akute Appendizitis auf unserer Notfallstation vor. Er klagte über spontan aufgetretene, starke abdominale Schmerzen (7/10 auf der numerischen Schmerzskala; NRS), welche vom rechten Unterbauch auszugehen schienen und welche vor wenigen Stunden begonnen hatten. Übelkeit und Erbrechen wurden verneint. Die Stuhlanamnese war in Bezug auf Frequenz, Konsistenz sowie Farbe unauffällig, der letzte Stuhlgang erfolgte ein paar Stunden vor Eintritt. Auf Nachfrage gab der Patient an, vor einer Woche während zweier Tage an Diarrhö gelitten zu haben. Im engen Umfeld gab es keine akut erkrankten Personen, insbesondere nicht mit gastrointestinalen Symp­tomen. Ein kürzlicher Auslandsaufenthalt wurde verneint. Beim Patienten waren keine Vorerkrankungen bekannt. Es bestand eine Hymenopterengiftallergie, ansonsten lagen keine Allergien vor. Abdominelle Voroperationen, wesentliche abdominelle Infekte sowie abdominelle oder pelvine Traumata wurden verneint.
Im Status zeigte sich ein afebriler, kardiopulmonal kompensierter Patient mit normalem Ernährungszustand. Die Darmgeräusche waren spärlich, insbesondere im rechten unteren Quadranten. Das Abdomen war insgesamt weich, im linken/mittleren unteren Quadranten fand sich eine lokale Druckdolenz ohne Peritonismus. Es lagen keine Druckdolenzen im McBurney- und Lanz-Punkt vor, das Psoas-Zeichen war ebenfalls negativ. In der durchgeführten Sonographie zeigte sich eine angedeutete Pendelperistaltik sowie erweiterte Dünndarmschlingen im linken Unterbauch. Die Appendix konnte nicht dargestellt werden. Laborchemisch ergaben sich keine pathologischen Befunde, insbesondere keine Entzündungszeichen und normale Laktatwerte.

Differenzialdiagnostische Überlegungen

Mit einem Alvarado-Score von 0 Punkten, unauffälligen Laborwerten und keiner Druckdolenz im rechten Unterbauch war eine Appendizitis sehr unwahrscheinlich. Obwohl eine infektiöse Ursache der Beschwerden nicht sicher ausgeschlossen werden konnte (CAVE: unauffällige Laborwerte in den ersten Stunden sind möglich), passte die rasch entstandene und ausgeprägte Schmerzsymptomatik nicht dazu. Basierend auf dem sonographischen Befund, der Hinweise auf eine mechanische Obstruktion zeigte, wurde, trotz fehlender Voroperationen, ein Ileus als Ursache der Beschwerden in Erwägung gezogen. Nicht dazu passend war jedoch das Fehlen von Übelkeit und/oder Erbrechen. Eine mesenteriale Ischämie wurde in Betracht gezogen, allerdings aufgrund des Alters und fehlender Komorbiditäten als sehr unwahrscheinlich eingestuft.

Weitere Abklärungsschritte

Aufgrund der anhaltenden ausgeprägten Schmerzpro­blematik mit NRS 7/10, trotz Verabreichung einer intravenösen basisanalgetischen Therapie mit Paracetamol/Metamizol und kumulativ 16 mg Morphin i.v. («pain out of proportion»), wurde die Indikation zur computertomographischen Diagnostik gestellt.

Diagnose und Verlauf

In der durchgeführten Computertomographie (CT) fand sich das Bild einer Closed Loop Obstruction (CLO) des distalen Ileums im mittleren Unterbauch (links paramedian), bei sonst normalkalibrigem, reizlosem Intestinum ohne Passagestörung (Abb. 1). Intraoperativ, ca. 70 cm ab Ileozökalklappe, fand sich eine Omentumbride, welche problemlos gelöst werden konnte, die vollständige Dünndarmrevision zeigte keine nekrotischen Anteile (Abb. 2). Es zeigte sich ein problemloser postoperativer Verlauf. Der Patient konnte das Spital am 2. post-operativen Tag in gutem Allgemeinzustand und funktionierender Darmpassage verlassen.

Kommentar

Die häufigste Ursache für eine CLO ist eine postoperative Bride, in seltenen Fällen, wie in unserem Fall beschrieben, kann es jedoch auch bei nicht abdominell voroperierten Patienten zu einer CLO kommen. Die Trias mit stärksten Schmerzen, ein klinischer Befund, der nicht zum Schmerz passt («pain out of proportion»), und das Vorhandensein einer abdominellen Narbe wurden als Hinweis für eine CLO beschrieben (1). Goldstandard in der Diagnostik stellt aktuell die CT mit einer Sensitivität von 90–96 % und einer Spezifität von 96 % dar (2). Bei jungen Personen muss, aufgrund der Strahlenexposition, die Indikation einer computertomographischen Untersuchung allerdings kritisch evaluiert werden. Aufgrund der guten diagnostischen Performance des Ultraschalls (3) wird von der europäischen Gesellschaft für Ultraschall (EFSUMB) die Anwendung des Ultraschalls (US) empfohlen, um eine Darmobstruktion zu detektieren (4). Die CT wird bei nicht konklusiver Abdomensonographie als nächster Schritt empfohlen (5) bzw. bei positivem US-Befund, um die Ursache des Ileus zu eruieren, die Perfusion des Darms zu prüfen und schlussendlich die OP-Indikation zu überprüfen. In unserem Fall lag zwar kein akutes Abdomen vor, aber aufgrund des fehlenden Ansprechens auf die intravenöse analgetische Therapie mit ausgeschöpfter basisanalgetischer Therapie und einer verabreichten Morphindosis von insgesamt 16 mg wurde der Entscheid zur CT-Untersuchung gefällt. Normale Laborwerte schliessen das Vorhandensein eines Ileus nicht aus, liegen jedoch erhöhte Entzündungswerte und/oder ein erhöhtes Laktat bzw. eine metabolische Azidose vor, dann können dies bereits Zeichen der Darmischämie und -nekrosen sein. Es ist deshalb empfohlen, diese zu bestimmen (1, 6) sowie auch die Elektrolyte. Eine Elektrolytverschiebung muss korrigiert werden.
Beim Dünndarmileus sollte, gemäss den Bologna-Leitlinien 2017, zunächst nach einer Adhäsionsursache gesucht werden und eine Ischämie/Strangulation ausgeschlossen werden, bevor ein konservativer Therapieversuch angestrebt werden kann. Neben den klinischen Zeichen wie dem Peritonismus spielt die CT eine wichtige Rolle sowohl zur Abklärung ggf. anderer Ursachen als Adhäsionen als auch zur Beurteilung der Darmperfusion. Bei negativer Verlaufskontrolle im konservativen Prozedere (kein Nachweis von KM im Kolon nach 24–36 h), anhaltender Ob­struktion > 72 h oder Auftreten von Ischämie-/Peritonitiszeichen erfolgt die chirurgische Exploration. Liegen bereits initial direkte oder indirekte Ischämie-/Strangulationszeichen, insbesondere auch Zeichen einer CLO, vor, erfolgt das chirurgische Vorgehen unmittelbar (7).
Intraoperativ zeigte sich in unserem Fall eine Omentumbride, vom Omentum zum Meso hinziehend, mit einem dilatierten Dünndarmkonvolut, was zur Kompression des Dünndarms an einer zweiten Stelle führte und somit zur Beeinträchtigung der vaskulären Versorgung; zum Operationszeitpunkt zeigten sich glücklicherweise jedoch noch keine ischämischen Zeichen. Aufgrund dieser Konstellation wäre ein konservativer Versuch in unserem Fall auch retrospektiv wenig sinnvoll gewesen. Interessant jedoch bezüglich der aktuell gegebenen OP-Indikation bei einer CLO ist sicherlich eine kleine Serie aus Israel mit 18 nicht voroperierten Patienten mit CLO, in welcher bei 6 Patienten (33 %) während der diagnostischen Laparoskopie/Laparotomie keine Intervention notwendig war (nicht therapeutische Exploration) (8). Es stellt sich hier die Frage, ob es sich bei diesen Patienten tatsächlich um eine CLO oder um einen «normalen» mechanischen Ileus gehandelt haben könnte. In zwei weiteren systematischen Reviewarbeiten über Darmobstruktion bei nicht voroperierten Patienten wurden die Patienten mit CLO jeweils ausgeschlossen (9, 10). Ob eine CLO in bestimmten Fällen konservativ behandelt werden kann, bleibt eine offene Frage für die Zukunft.

Key Messages

• Eine CLO kann auch bei abdominell nicht voroperierten Patienten auftreten.
• Klinisch zeigen sich stärkste abdominelle Schmerzen, eventuell nicht passend zur klinischen Präsentation.
• Die Sonographie kann als Rule-In-Strategie angewendet werden, insbesondere bei jungen Patienten; die Diagnostik erfolgt grundsätzlich mittels CT.
• Die Therapie ist chirurgisch.

Sabine Fischbacher 1, Larissa C. Vines 2, Bruno Minotti 3

1 Notfallzentrum, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
2 Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Endokrin- und Transplantationschirurgie, HOCH Health Ostschweiz, Kantonsspital St. Gallen, St. Gallen
3 Notfallzentrum, Universitätsspital Basel, Basel

Interessenkonflikte
Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

DOI: https://doi.org/10.23785/PRAXIS.2025.05.009

Abkürzungen
NRS Numerical (Pain) Rating Scale
CLO Closed Loop Obstruction
CT Computertomographie

Dr. med. Bruno Minotti

Notfallzentrum
Universitätsspital Basel
Petersgraben 2
4031 Basel

Key Messages
• Eine CLO kann auch bei abdominell nicht voroperierten Patienten auftreten.
• Klinisch zeigen sich stärkste abdominelle Schmerzen, eventuell nicht passend zur klinischen Präsentation.
• Die Sonographie kann als Rule-In-Strategie angewendet werden, insbesondere bei jungen Patienten; die Diagnostik erfolgt grundsätzlich mittels CT.
• Die Therapie ist chirurgisch.

Literatur
1. Tong JWV, Lingam P, Shelat VG. Adhesive small bowel obstruction – an update. Acute Med Surg. 2020;7(1):e587.
2. Mbengue A, Ndiaye A, Soko TO, Sahnoun M, Fall A, Diouf CT, et al. Closed loop obstruction: pictorial essay. Diagn Interv Imaging. 2015;96(2):213-20.
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5. Sinz S, Schmied B, Ukegjini K. Diagnostik und Behandlung des akuten Abdomens. Swiss Med Forum. 2021;21(4748):803-9.
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Grosse retroperitoneale Raumforderung beim jungen Patienten

Anamnese und Befunde

Ein 24-jähriger Patient stellte sich im Dezember letzten Jahres in der Notfallpraxis unseres Kantonsspitals vor. Er klagte zum Zeitpunkt über eine seit drei Wochen bestehende, palpable Masse im linken oberen Hemiabdomen. Auf Nachfrage verneinte er weitere Beschwerden. Der Patient fühlte sich zum Zeitpunkt der Konsultation unverändert fit und leistungsfähig. Die persönliche Krankengeschichte des Patienten war bis zu diesem Zeitpunkt blande. In der klinischen Untersuchung zeigte sich eine derbe, nicht verschiebliche Masse von rund 10 x 10 cm Ausdehnung. Auf Druck zeigte sich die Masse indolent. Die darüberliegende Haut zeigte keine Auffälligkeiten. Differenzialdiagnostisch gingen wir bei fehlenden Infektzeichen nicht von einer infektiologischen Ursache, insbesondere einem Abszess, aus. Aufgrund der Indolenz und des raschen Wachstums musste an eine maligne Erkrankung gedacht werden. Wir gingen am ehesten von einer Metastase aus. Zur Diskussion standen insbesondere lymphatische Malignome oder Hodenkarzinome. In der durchgeführten Bedside-Sonographie zeigte sich ein 9 x 10 cm grosser, inhomogener Tumor retroperitoneal (Abb. 1).

Weitere Abklärungsschritte und Verlauf

Zur weiteren Abklärung erfolgte ergänzend eine Sonographie des restlichen Abdomens ohne weitere Pathologien sowie eine Sonographie des Hodens mit Nachweis eines möglichen Primärtumors im linken Hoden (Abb. 2).
Wir führten eine erweiterte Diagnostik mit Bestimmung der Tumormarker durch. Hierbei zeigte sich ein deutlich erhöhtes Beta-HCG von 124 IU (Normal < 2.0 IU) sowie AFP von 11 150 mcg/l (Normal < 7 mcg/l). Bei erhöhtem AFP gingen wir am ehesten von einem Keimzelltumor mit nicht seminomatösem Anteil aus.

Diagnose

In der ergänzend durchgeführten Computertomographie des Thorax und Abdomens wurde der sonographisch und laboranalytische Verdacht im Sinne eines Hodentumors mit grosser retroperitonealer Lymphknotenmetastase bestätigt und der Patient den Kollegen der Urologie und Onkologie zugewiesen.

Therapie

Im Verlauf erfolgte initial die Kryokonservation der Spermien und die inguinale Orchiektomie. In der histologischen Aufarbeitung ergab sich entgegen der serologischen Marker ein Befund passend zu einem klassischen Seminom. Trotz dieser Diskrepanz muss bei erhöhtem AFP die Diagnose eines Nichtseminoms gestellt werden, da reine Seminome kein AFP produzieren und Nichtseminome die schlechtere Prognose besitzen. Dies hat wiede­rum Einfluss auf die Therapie. Bei initialem Stadium IIIC, IGCCCG pT1cN3M0S3 mit retroperitonealen Lymphknotenmetastasen und Poor-Risk-Group wurde am Tumor-
board die Durchführung einer Chemotherapie mit 4 Zyklen Cisplatin, Etoposid und Bleomycin empfohlen. Der Patient tolerierte die Chemotherapie bis auf leichte Nausea, Inappetenz und Müdigkeit sowie intermittierenden Tinnitus gut. Die Tumormarker sanken stufenweise, jedoch nicht vollständig. Erst nach der Entfernung der verbleibenden retroperitonealen Masse mittels roboterassistierter retroperitonealer Lymphadenektomie zeigte sich eine Komplettremission mit normalisierten Tumormarkern. Histologisch zeigte sich ein Befund, der zu einem Teratom passt und die laboranalytische Konstellation eines Nichtseminoms erklärt. Nun erfolgte die Nachsorge mit klinischer und laboranalytischer Kontrolle alle 3 Monate sowie zusätzlicher Magnetresonanztomographie des Abdomens und Computertomographie des Thorax alle 6 Monate und Ultraschall des kontralateralen Hodens nach 12 Monaten für das erste Jahr gemäss dem Nachsorgeschema der schweizerischen interdisziplinären Arbeitsgruppe für Hodentumore (1).
Diskussion

Der Keimzelltumor ist bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Tumorerkrankung. Der Anteil an allen malignen Erkrankungen in dieser Altersspanne beträgt etwa 25 %. In den letzten Jahren konnte in allen industrialisierten Ländern eine Zunahme der Diagnose von Keimzelltumoren beobachtet werden (2). Die Inzidenz in der Schweiz betrug 2016 etwa 12/100 000, womit die Schweiz zu den Ländern mit der höchsten Inzidenz gehört (3). Zwischenzeitlich zeigte sich 2021 eine Zunahme der Inzidenz in anderen europäischen Ländern. Im Durchschnitt erkrankten zwischen 2013 und 2017 pro Jahr rund 470 Männer an Hodenkrebs (4). Bekannte Risikofaktoren sind etwa der Maldeszensus testis, Unfruchtbarkeit oder eine positive Familienanamnese (5, 6). Gemäss den deutschen Leitlinien wird ein routinemässiges Screening nicht empfohlen, ausser bei entsprechenden Risikofaktoren oder auffälligen Veränderungen bei der Selbstuntersuchung (7). Bei entsprechendem klinischen Verdacht empfehlen die deutschen S3-Leitlinien die bilaterale Hodensonographie mit einer planaren Sonde mit mindestens 7.5 MHZ (S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens, Februar 2020). Ergänzend sollte ein CT Thorax-Abdomen-Becken zum Staging durchgeführt werden. Die S3-Leitlinien empfehlen zusätzlich die Abnahme der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH sowohl präoperativ wie auch postoperativ zur Therapiekontrolle und Bestimmung des für die Stadieneinteilung wichtigen postoperativen Nadirs (7). Bei rund der Hälfte der Patienten sind Tumormarker erhöht (8). Die Tumormarker dienen dabei nicht nur der Stadieneinteilung, sondern auch der Unterscheidung zwischen Chorionkarzinomen, reinen Seminomen und Nichtseminomen. So spricht etwa das Vorliegen erhöhter AFP-Werte wie in unserem Fall gegen das Vorliegen eines reinen Seminoms (9). LDH hingegen ist unspezifisch, korreliert jedoch mit der Prognose. LDH ist in 80 % aller Patienten mit fortgeschrittenen, metastasierten Keimzelltumoren erhöht (7).
Die Überlebensrate ist im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen sehr gut. Die 10-Jahres-Überlebensrate beträgt bis 95 % (2). Bei metastasierten Tumoren in der Poor-Pro­gnosis-Group liegt die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei 48–64 % (10, 11). Zusammenfassend ist es wichtig, bei entsprechendem klinischen Verdacht eine umfassende Untersuchung und Organisation der Behandlung einzuleiten. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kollegen der Onkologie und Urologie ist dabei von zentraler Bedeutung. Der Fall repräsentiert deutlich auch den Stellenwert der Sonographie für die Notfall- wie auch Hausarztmedizin.

Key Messages

• Keimzelltumoren stellen bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Erkrankung dar.
• In der Schweiz gehören die Sonographie der Hoden sowie die Bestimmung der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH zum diagnostischen Standard.
• Eine rasche Einberufung eines interdisziplinären Tumorboards sowie die zügige Einleitung der entsprechenden Behandlung sind essenziell.
• Durch eine Kombination aus Orchiektomie, adjuvanter Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sowie gegebenenfalls Metastasenentfernung und retroperitonealer Lymphadenektomie konnte selbst in der Poor-Prognosis-Gruppe eine signifikant verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden.

Abkürzungen
Beta-HCG Beta-Humanes Choriongonadotropin
AFP Alpha-Fetoprotein
IGCCCG International Germ Cell Cancer Collaborative Group
MHZ Megahertz
FDG-PET/CT Fluorodeoxyglucose-Positronenemissionstomographie/Computertomographie
LDH Laktatdehydrogenase

Kilian Meier 1, Daniela Weiler 2
1 Interdisziplinäres Notfallzentrum, Kantonsspital Luzern
2 Klinik für Onkologie, Kantonsspital Luzern

Historie
Manuskript eingegangen: 18.09.24
Angenommen nach Revision: 19.03.25

Pract. med.Kilian Meier

Interdisziplinäres Notfallzentrum
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse 34
6004 Luzern

Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Key Messages
• Keimzelltumoren stellen bei Männern zwischen 20 und 44 Jahren die häufigste maligne Erkrankung dar.
• In der Schweiz gehören die Sonographie der Hoden sowie die Bestimmung der Tumormarker Beta-HCG, AFP und LDH zum diagnostischen Standard.
• Eine rasche Einberufung eines interdisziplinären Tumorboards sowie die zügige Einleitung der entsprechenden Behandlung sind essenziell.
• Durch eine Kombination aus Orchiektomie, adjuvanter Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sowie gegebenenfalls Metastasenentfernung und retroperitonealer Lymphadenektomie konnte selbst in der Poor-Prognosis-Gruppe eine signifikant verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden.

Literatur
1. Cathomas R. (2011). Interdisciplinary Evidence-Based Recommendations for the Follow-Up of Testicular Germ Cell Cancer Patients. Onkologie. 34 (1-2): 59-64
2. Bertz J., A. P. (2017). Epidemiologie bösartiger Hodentumore in Deutschland. Der Onkologe. 230-96
3. Schweizerischer Krebsbericht (2015)
4. Schweizerischer Krebsbericht (2021)
5. Dieckmann K.P., H. J. (2008). Tallness is associated with risk of testicular cancer: evidence for the nutrition hypothesis. BR J Cancer, 99(9): 1517-21
6. Behre H.M., K.S. (1995). Clinical relevance of scrotal and transrectal ultrasonography in andological patients. Int J Androl, 18 Suppl 227-31
7. S3 Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens (02/2020)
8. Germà-Lluch J.R., X.G. (2002) Clinical pattern and therapeutic results achieved in 1490 patients with germ-cell tumours of the testis: the experience of the Spanish Germ-Cell Cancer Group. Eur. Urol. 42(6): 553-62, discussion 562-3
9. Yacoub J.H., A.O. (2016): ACR Appropriateness Criteria Staging of Testicular Maglignancy. J AM Coll Radiol. 13(10):1203-1209
10. Kier M.G., J.L. (2017): Prognostic Factors and Treatment Results After Bleomycin, Etoposide, and Cisplatin in Germ Cell Cancer: A Population-based Study. Eur Urol. 71(2):290-298
11. International Germ Cell Consensus Classification 2017