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Angiodysplasie bei älteren Menschen

Gastrointestinale Angiodysplasien sind Gefässanomalien, die für Blutungen im oberen, manchmal auch im unteren Verdauungstrakt oder für Anämie aufgrund von Eisenmangel verantwortlich sein können. Die Endoskopie spielt eine diagnostische und therapeutische Schlüsselrolle. Die Standardtherapie ist die Argonplasma-Koagulation. Bei Versagen werden medikamentöse Therapien evaluiert.



Gastro-intestinal angiodyplasia can lead to upper or less likely lower bleeding and iron deficiency anemia. Endoscopy has a key role for diagnosis and therapy. Reference treatment is argon plasma coagulation. If unsuccessful, pharmacological treatments are assessed.
Key Words: Angiodysplasia, gastrointestinal bleeding, anemia, capsule endoscopy, argon plasma coagulation

Einleitung

Angiodysplasien sind häufige vaskuläre Anomalien im Verdauungstrakt, die ein Blutungsrisiko darstellen. Die diagnostische Abklärung und die Behandlung werden in diesem Artikel ausführlich beschrieben.

Pathophysiologie: Was ist eine Angiodysplasie?

Die gastrointestinale Angiodysplasie ist eine meist erworbene, manchmal auch angeborene Anomalie im Zusammenhang mit der Rendu-Osler-Krankheit. Es handelt sich um einen degenerativen und ischämischen Prozess, der sich zu einer venösen Stauung entwickelt. Die Angiodysplasie tritt in Form einer oberflächlichen, meist kleiner als 1 cm grossen vaskulären Läsion auf, die sich in der Schicht der Mukosa oder der Submukosa entwickelt hat. Sie tritt als rote, manchmal leicht erhabene Läsion mit unregelmässigen Konturen auf (Abbildung 1).

Epidemiologie

Die Prävalenz von Angiodysplasien ist bei älteren Menschen höher. 73% der Patienten mit kolikartigen Angiodysplasien sind 60 Jahre oder älter (1). Die Hauptlokalisation ist im Caecum und im aufsteigenden Kolon. Im Zusammenhang mit Blutungen im oberen Verdauungstrakt machen sie 4% der Blutungsursachen aus und befinden sich dann im Magen und/oder im Zwölffingerdarm (2). Das Vorhandensein von Angiodysplasien im oberen Verdauungstrakt ist ein Prädiktor für jejunale Angiodysplasien, die mittels Kapsel-Endoskopie nachgewiesen werden könnten. Bei Anämie durch Blutverlust, schliesslich, deren Ursache bei der Gastroskopie und Koloskopie nicht festgestellt werden konnte (engl. «spoliative anemia»), lassen sich mittels Kapseluntersuchung in 40-60% der Fälle Dünndarm-Angiodysplasien nachweisen, am häufigsten im proximalen Dünndarm (3, 4). Die Dünndarm-Kapselendoskopie hat eine höhere diagnostische Leistung bei Patienten im Alter von > 70 Jahren und ermöglicht die Diagnose von Angiodysplasien in 42,5% der Fälle (5). Faktoren, die mit dem Vorhandensein von Angiodysplasien in Verbindung gebracht werden, sind Aortenstenose (das Heyde-Syndrom bezeichnet die Assoziation von Aortenklappenstenose und gastrointestinalen Angiodysplasien), chronische Niereninsuffizienz und das Von-Willebrand-Syndrom.

Klinisches Erscheinungsbild

Am häufigsten manifestieren sich Angiodysplasien als Anämie ohne äusserlich sichtbare Blutung (engl. «spoliative anemia»), manchmal durch Meläna und selten durch massive Blutungen im Verdauungstrakt. In 40 bis 45% der Fälle kommt eine gastrointestinale Blutung spontan zum Stillstand (6).

Die Sterblichkeitsrate ist niedrig und wird im stationären Spitalbereich auf 2,1% geschätzt (7).

Diagnose

In erster Linie werden endoskopische Untersuchungen durchgeführt. Bei Meläna wird eine Öso-Gastro-Duodenal-Endoskopie vorgeschlagen. Eine Koloskopie wird auch durchgeführt, wenn keine Ätiologie oberhalb des Treitz’schen Winkels vorliegt und wenn eine Anämie aufgrund von Eisenmangel abgeklärt wird. Sind diese Untersuchungen normal, besteht eine Indikation für eine Untersuchung des Dünndarms. Diese kann entweder durch eine Kapselendoskopie des Dünndarms, eine Push-and-pull-Enteroskopie oder mittels Single- oder Doppelballon-Enteroskopie vom unteren und/oder oberen Gastrointestinaltrakt her erfolgen. Die Dünndarm-Kapseluntersuchung erfordert vorab eine Kostenübernahme-Vereinbarung mit der Krankenversicherung des Patienten. Sie hat den Vorteil, dass sie keine invasive Untersuchung ist und sie ermöglicht eine hohe Rate an vollständigen Untersuchungen des Dünndarms (> 90%) mit einer guten diagnostischen Leistung von etwa 60%. Unter den verschiedenen invasiveren Endoskopietechniken des Dünndarms, die eine Vollnarkose erfordern, wird am CHUV die einfache Ballonenteroskopie via Magen oder via Dickdarm verwendet, und zwar nach Bestätigung des Vorhandenseins von Angiodysplasien bei der Kamerakapsel-Untersuchung. Die meisten Angiodysplasien des Dünndarms befinden sich im proximalen Dünndarm, so dass die Enteroskopie von oben her die Untersuchung der ersten Wahl ist, während die Enteroskopie von unten her für sehr distale Läsionen reserviert ist.

Radiologische bildgebende Verfahren können eine Alternative zur endoskopischen Untersuchung darstellen, wie z.B. Entero-CT, Entero-MRT, Angiographie oder Szintigraphie mit Technetium-99-markierten roten Blutkörperchen.

Die Dünndarm-Kapselenteroskopie sollte die Untersuchung der ersten Wahl bleiben.

Behandlung

Angiodysplasien sollten nur behandelt werden, wenn sie die Ursache einer potenziellen Blutung sind, das heisst, bei nachgewiesener Blutung oder im Rahmen einer okkulten Blutung des Verdauungstrakts nach Ausschluss anderer Blutungsursachen. Bei einer zufälligen Entdeckung von Angiodysplasien besteht keine Indikation für deren Behandlung, auch nicht zur Verhinderung einer potenziellen späteren Blutung.

Die Behandlung erfolgt in erster Linie endoskopisch. Die Standardbehandlung ist die Argonplasma-Elektrokoagulation, eine thermische Methode zur Blutstillung, bei der ionisiertes Argon über eine Sonde versprüht wird (Abbildung 2).
Die Hauptkomplikation ist die Perforation, die auf <0,5% geschätzt wird (8).

Es können auch andere Methoden angewendet werden, z.B. andere thermische Koagulationsmethoden, das Anbringen von Clips, Ligaturen oder Sklerotherapie-Methoden.
Das Rezidivrisiko ist nicht unerheblich und liegt nach drei Jahren bei etwa 45%. (9)

Die endoskopische Behandlung kann unzureichend sein, insbesondere bei ausgedehnten und schwer zugänglichen Läsionen, beispielsweise im mittleren oder distalen Ileum. In diesen Fällen kann eine pharmakologische Behandlung vorgeschlagen werden.

Somatostatin-Analoga sind die Behandlung der ersten Wahl, da sie in zahlreichen retrospektiven und prospektiven Studien zu einem Anstieg des Hämoglobins und einer Verringerung des Transfusionsbedarfs führten. Trotz der hohen Kosten dieser Behandlung sprechen die Kosten-Nutzen-Analysen aufgrund der geringeren Anzahl an Krankenhaus-Aufenthalten und Transfusionen für diese Behandlung. Die vorgeschlagenen Dosierungen sind für Somatostatin 20 mg/4 Wochen (10).
Thalidomid oder das besser verträgliche Lenalidomid wurden ebenfalls untersucht und zeigten eine Wirksamkeit mit einer 30%igen Verringerung des Rückfallrisikos (11).

Bei aktiven Blutungen und hämodynamischer Instabilität, bei denen die endoskopische Behandlung versagt, sollte eine perkutane radiologische Embolisation in Betracht gezogen und angeboten werden.

Schliesslich sollte eine chirurgische Strategie als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden, wenn die nicht-invasiven Behandlungsmethoden versagen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Sarra Oumrani

Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne

sarra.oumrani@chuv.ch

Dr. med. Sébastien Godat

Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie
Centre Hospitalier Universitaire Vaudois
Rue du Bugnon 46
1011 Lausanne

sebastien.godat@chuv.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Angiodysplasien sind eine häufige erworbene Gefässanomalie des
Verdauungstrakts, deren Prävalenz bei älteren Menschen höher ist.
◆ Sie können zu Blutungen im Verdauungstrakt oder zu Eisenmangel
mit oder ohne Anämie führen.
◆ Die Endoskopie ist der Goldstandard sowohl auf diagnostischer Ebene durch die klassische Abklärung (Gastroskopie, Koloskopie) und die Dünndarm-Kapselendoskopie als auch auf therapeutischer Ebene.
◆ Die Behandlung der Wahl ist die Argonplasma-Koagulation, die bei einer Gastroskopie, Koloskopie oder Enteroskopie durchgeführt wird.
◆ Pharmakologische Alternativen wie Somatostatin-Analoga sind nicht
zu vernachlässigen, wenn die endoskopische Behandlung nicht
erfolgreich sind.

1. Diggs NG. Factors that contribute to blood loss in patients with colonic angiodysplasia from a population-based study. Clin Gastroenterol Hepatol. 2011 May;9(5):415-20.
2. Moreto M, Vascular Malformations of the Stomach and Duodenum: An Endoscopic Classification. Endoscopy 1986; 18(6): 227-229.
3. Lecleire S. Yield and impact of emergency capsule enteroscopy in severe obscure-overt gastrointestinal bleeding. Endoscopy 2012; 44(04): 337-342.
4. Bollinger E. Distribution of bleeding gastrointestinal angioectasias in a Western population. World J Gastroenterol. 2012 Nov 21;18(43):6235-9.
5. Urgesi R. Is capsule endoscopy appropriate for elderly patients? The influence of ageing on findings and diagnostic yield: An Italian retrospective study. Dig Liver Dis. 2015 Dec;47(12):1086-8.
6. Höchter, W. Angiodysplasia in the Colon and Rectum. Endoscopy 1985; 17(5): 182-185.
7. Cappell MS. Changing epidemiology of gastrointestinal angiodysplasia with increasing recognition of clinically milder cases: angiodysplasia tend to produce mild chronic gastrointestinal bleeding in a study of 47 consecutive patients admitted from 1980-1989. Am J Gastroenterol. 1992 Feb;87(2):201-6.
8. Becq A. Hämorrhagic angiodysplasia of the digestive tract: pathogenesis, diagnostic and management. GIE. 2017
9. Gerson LB. Long-term outcomes after double-balloon enteroscopy for obscure gastrointestinal bleeding. Clin Gastroenterol Hepatol 2009;7:664-9.
10. Jackson C.S. Management of gastrointestinal angiodysplastic lesions (GIADs): a systematic review and meta-analysis. Am J Gastroenterol, 2014; 109 (2014), pp. 474-483.
11. Boey J.P. Thalidomide in angiodysplasia-related bleeding. Intern Med J, 2015; 45, pp. 972-976.