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16. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD)

Angst und Depression in der digitalen Welt

Das 16. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression fand am 15. Mai am Flughafen Zürich statt. Den Vorsitz führten Prof. em. Dr. Martin Hatzinger, Dr. Joe Hättenschwiler und Prof. Erich Seifritz. Für die Organisation vor Ort war Frau Sonia Fröhlich de Moura zuständig. Die Organisatoren hatten mit «Angst und Depression in der digitalen Welt» ein spannendes und sehr aktuelles Programm mit hervorragenden Referenten zusammengestellt. Prof. Hatzinger, der Präsident der SGAD, durfte sich denn auch über ein zahlreiches Publikum in einem vollen Hörsaal freuen.



Neue Prinzipien in der Therapie affektiver Störungen


Zur Therapie affektiver Störungen sprach Prof. Rainer Rupprecht aus Regensburg. Er schilderte zunächst die Entwicklungsgeschichte der Antidepressiva. Der Beginn geht mit der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) auf das Jahr 1938 zurück. Es folgten die Monoaminooxidasehemmer (MAOI) und die trizyklischen Antidepressiva (TCAs) in den 1950er Jahren, 1957 dann Imipramin und Iproniazid. 1964 wurde die Noradrenalin-Hypothese der Depression beschrieben, die besagt, dass ein Mangel an Noradrenalin im Gehirn eine Rolle bei der Entstehung von Depressionen spielt. Die Serotonin-Hypothese (1969) der Depression geht davon aus, dass ein Serotonin-Mangel Depressionen auslösen kann.

Die 1975 formulierte Dopamin-Hypothese besagt, dass ein Mangel des mit Motivation und Freude assoziierten Neurotransmitters Dopamin eine Rolle bei der Entstehung von Depressionen spielt. In den 1980er Jahren wurden die SSRIs eingeführt, 1982 Zimeldin und 1988 Fluoxetin. In derselben Periode kamen die Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer auf den Markt. Zwischen 1990 und 2009 folgten die noradrenergen und spezifisch serotonergen Antidepressiva (NASSA), die SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) sowie die NARI (Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer). Im Jahr 2009 kamen Behandlungen mit 5-HAT (Serotonin) und TMS (transkranielle Magnetstimulation) hinzu.

Antidepressiva sind zwar das Mittel der Wahl, aber bei 30 % der depressiven Patienten besteht eine Non-Response auf Antidepressiva, die Remissionsraten sind unzureichend, es gibt eine lange Wirklatenz und sie haben Nebenwirkungen, so der Referent.

Prof. Rupprecht ging dann auf den Wirkmechanismus der Antidepressiva, die Biosynthese der Neurosteroide und ihre antidepressive Wirkung ein.

Die Anforderungen an neue Anxiolytica und Antidepressiva sind eine gute Wirksamkeit und ein rascher Wirkungseintritt sowie ein günstiges Nebenwirkungsprofil. Und eine fehlende Toleranzentwicklung.

Das Translokator Protein 18kDa (TSPO)

Das Translokatorprotein (18 kDa) (TSPO) ist vor allem in der äusseren Mitochondrienmembran von steroidsynthetisierenden Zellen lokalisiert, einschliesslich derjenigen im zentralen und peripheren Nervensystem. Eine seiner Hauptfunktionen ist der Transport des Substrats Cholesterin in die Mitochondrien, eine Voraussetzung für die Steroidsynthese. Die TSPO-Expression könnte ein Biomarker für Hirnentzündungen und reaktive Gliose sein, der mit Hilfe von TSPO-Liganden als Neuroimaging-Mittel überwacht werden könnte. Darüber hinaus haben klinische Versuche darauf hingedeutet, dass TSPO-Liganden bei der Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen von Nutzen sein könnten. Prof. Rupprecht und sein Team fanden heraus, dass der Translokatorprotein (18 kD)-Ligand XBD173 die Gamma-Aminobuttersäure-vermittelte Neurotransmission verbessert und induzierten Panikattacken bei Nagetieren entgegenwirkt, ohne dass es zu einer Sedierung oder Toleranzentwicklung kommt. Auch beim Menschen wirkte XBD173 antipanisch und verursachte im Gegensatz zu Benzodiazepinen keine Sedierung oder Entzugssymptome. Somit sind Liganden des Translokatorproteins (18 kD) vielversprechende Kandidaten für schnell wirkende Anxiolytika mit weniger schweren Nebenwirkungen als Benzodiazepine. Klinische Studien deuten darauf hin, dass TSPO-Liganden ein vielversprechendes Potenzial zur Behandlung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen besitzen. Prof. Rupprecht und sein Team zeigten, dass der TSPO-Ligand XBD173 die GABAerge Neurotransmission verstärkt und in Tiermodellen Panikattacken entgegenwirkt – ohne sedierende Effekte oder Toleranzentwicklung. Auch beim Menschen zeigte XBD173 anxiolytische Effekte, ohne die für Benzodiazepine typischen Nebenwirkungen wie Sedierung oder Entzugssymptome hervorzurufen. Damit stellen TSPO-Liganden eine potenziell schnell wirksame Alternative zu klassischen Anxiolytika mit einem günstigeren Nebenwirkungsprofil dar. In einem Exkurs thematisierte Prof. Rupprecht zudem die Wirkmechanismen der TSPO-Liganden im zentralen und peripheren Nervensystem sowie deren therapeutisches Potenzial für die Diagnostik und Behandlung neuropsychiatrischer Erkrankungen. Zum Abschluss stellte er bekannte Substanzen mit TSPO-Affinität vor – darunter Etifoxin, Brexanolon sowie Neurosteroide wie Zuralonon – und präsentierte dazu eine Vielzahl relevanter Studienergebnisse. Der Vortrag endete mit einem Ausblick auf eine derzeit laufende Proof-of-Concept-Studie.

GLP-1 Rezeptor-Agonisten und psychische Störungen – Therapeutisches Potential, ­Wirkungen und Nebenwirkungen


In Europa sind etwa 53 % der Bevölkerung übergewichtig – eine Pandemie, die Betroffene durch zahlreiche Komorbiditäten belastet. Die Entdeckung, dass der Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1)-Rezeptor-Agonist Semaglutid (Ozempic®) nicht nur die Glucosekonzentration senkt, sondern auch das Gewicht drastisch senkt, scheint der Pandemie entscheidend entgegenzuwirken, stellte Dr. Georgos Schoretsanitis, Zürich, fest.

GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben aber auch einen Einfluss auf den Hypothalamus. Mit Ozempic® Behandelte berichten nicht nur von einer Reduktion des Appetits, sondern unter anderem auch VON einem fehlenden Durstgefühl. «Diese Substanzen haben eine drastische Wirkung», so der Referent.

Mit der grossflächigen Verwendung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten wurde aber auch über Nebenwirkungen und über einen möglichen Zusammenhang mit suizidalen Nebenwirkungen berichtet.

In ihrer Analyse der Pharmakovigilanz-Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fanden Dr. Schoretsanitis und sein Team heraus, dass die mit Semaglutid Behandelten als zweithäufigste Komedikation nach Antidiabetika Antidepressiva erhielten. Es stellte sich heraus, dass suizidale Gedanken unter Semaglutid signifikant öfter vorkamen als unter anderen gewichtsreduzierenden Substanzen. Dies wird auch bei bariatrischen Operationen beobachtet: Auch hier ist eine Vorgeschichte von Depression oder Angststörung ein Prädikator für Suizidgedanken nach dem Eingriff. Ozempic® scheint generell wirksam in der Suchtprävention zu sein, so zeigen erste klinische Studien vielversprechende Daten zur Wirksamkeit bei Alkoholsucht.

Statement von PD Dr. Georgios Schoretsanitis:
«Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind für Menschen mit Adipositas oft ein ‹game changer›. Mit der ­Gewichtsabnahme entsteht neue Motivation im Leben. Wir sollten unseren Patientinnen und Patienten diese hochwirksamen Medikamente nicht vorenthalten,
wenn die Indikation berechtigt ist. Als Fachpersonen in der Psychiatrie sollte uns unsere begleitende Rolle dabei bewusst sein. Wir müssen überprüfen, ob sich neue Symptome auftun oder sich bereits ­bestehende Psychopathologien verschlimmern. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist hier von grosser Bedeutung.»

Problematischer Medienkonsum bei ­Jugendlichen: Einblicke und Prävention

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza, Zürich, beleuchtete in ihrem Vortrag den problematischen Medienkonsum Jugendlicher und unterstrich die Bedeutung von Achtsamkeit und Resilienz. Aktuelle Daten aus dem Zukunftsrat U24 zeigen: Mentale Gesundheit und Medienregulation haben für junge Menschen höchste Priorität – ein deutlicher Appell für mehr Prävention.

Im Zentrum stand der Begriff Problematic Use of the Internet (PUI), der exzessive Online-Aktivitäten wie Gaming oder soziale Medien beschreibt, die zu psychischen und körperlichen Belastungen führen können. Trotz wachsender Relevanz fehlt eine einheitliche Definition – gängige Diagnosesysteme wie DSM-5 oder ICD-11 erfassen bislang nur Gaming-Störungen.

PUI kann vielfältige Folgen haben: Schlafprobleme, psychosomatische Beschwerden, Depressionen oder ADHS. Studien zeigen auch, dass Jugendliche mit internalisierenden Störungen besonders sensibel auf digitales Feedback reagieren. Auffällig: Während früher vor allem Mädchen betroffen waren, holen Jungen inzwischen auf. In der Schweiz berichten über 50 % der Jugendlichen von Schwierigkeiten, das Smartphone beiseitezulegen, aber nur wenige erkennen darin ein Problem.

Besonders kritisch: der Einfluss sozialer Medien auf das Körperbild – 9 % der betroffenen Jugendlichen entwickeln eine Essstörung. Gleichzeitig betonte Prof. Walitza auch positive Aspekte digitaler Medien wie soziale Vernetzung. Schutzfaktoren seien stabile Beziehungen und elterliche Medienkompetenz. Statt pauschaler Verbote empfiehlt sie offene Gespräche und gezielte Förderung digitaler Kompetenzen – auch bei Eltern. Erste Studien zeigen, dass Verhaltenstherapie, Sport und ggf. medikamentöse Begleitung bei Komorbiditäten wirksam sein können.

Abschliessend stellte Prof. Walitza das EU-Projekt BootStRaP vor, das mit über 8000 Jugendlichen eine App zur Früherkennung und Prävention entwickelt – mit Fokus auf Emotionsregulation und Impulskontrolle.

Update interventionelle Therapien


Interventionelle Behandlungsmethoden spielen vor allem bei therapieresistenter Depression (TRD) und schweren depressiven Episoden, die auch psychotische Merkmale aufweisen können, eine wichtige Rolle. In ihrem Vortrag stellte Prof. Dr. med. Annette Brühl, Basel, verschiedene Ansätze vor: Dazu zählen die Elektrokonvulsionstherapie (EKT), die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS), die tiefe Hirnstimulation (DBS), die Vagusnervstimulation (VNS) sowie die Behandlung mit (Es)ketamin.

Die EKT gilt mit Erfolgsraten von 70–90 % bei nicht-resistenter Depression und 50–70 % bei TRD als die effektivste Methode. Die Behandlung erfolgt unter Kurznarkose, wobei ein kontrollierter Krampfanfall ausgelöst wird. Kognitive Nebenwirkungen wie Gedächtnisstörungen treten häufig auf, bessern sich aber in der Regel innerhalb von sechs Wochen. Laut Prof. Brühl ist ein Therapieabbruch nicht sinnvoll, sie empfiehlt stattdessen ein Ausschleichen nach Behandlungsende.

Bei der rTMS werden magnetische Impulse zur Beeinflussung neuronaler Netzwerke eingesetzt. Je nach Protokoll wirkt sie hemmend oder aktivierend. Besonders das «Accelerated Protocol» mit mehreren Sitzungen pro Tag zeigt vielversprechende Ergebnisse – die optimale Dosierung wird aktuell erforscht.

VNS, ursprünglich zur Epilepsiebehandlung entwickelt, zeigt bei TRD nach zwölf Monaten eine Ansprechrate von rund 50 %. DBS befindet sich noch im experimentellen Stadium und es scheint, dass geeignete Zielregionen individuell unterschiedlich sind.

(Es)ketamin wirkt rasch antidepressiv – Ketamin i.v. bereits innerhalb von 24 Stunden, jedoch nur kurzfristig. Esketamin als Nasenspray ist zugelassen und erreicht in Studien höhere Remissionsraten als Quetiapin (27.1 % vs. 17.6 %).

Zum Schluss betonte Prof. Brühl die Notwendigkeit individualisierter Therapieansätze. Prognostische Marker wie Alter, Schweregrad oder Ansprechen auf frühere Behandlungen könnten künftig helfen, die passende Methode gezielter auszuwählen.

Update der Behandlungsempfehlungen zur Depression: Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe unipolarer depressiver Störungen


Die Behandlungsempfehlungen für die unipolare Depression werden von den Schweizerischen Gesellschaften für Angst und Depression (SGAD), für Biologische Psychiatrie (SGBP) sowie für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) auf Basis der neuesten Versionen internationaler Leitlinien aktualisiert. Bereits beim letztjährigen SGAD-Meeting berichtete Dr. med. Joe Hättenschwiler aus Zürich über den ersten Teil der aktualisierten Behandlungsempfehlungen für unipolare Depressionen: die Akutbehandlung depressiver Episoden. Am diesjährigen SGAD-Kongress stellte er den zweiten Teil dieser Empfehlungen vor – die Erhaltungstherapie und Rezidivprophylaxe.

Er erläuterte, dass depressive Störungen meist einen chronischen Verlauf nehmen: Nur 20–30 % bleiben singulär, während 70–80 % rezidivierend verlaufen. Nach ein bis zwei Jahren liegt das Rückfallrisiko bei 30–50 %. Eine verlängerte rezidivfreie Zeit senkt das individuelle Risiko.

Im Fokus standen Empfehlungen zur medikamentösen Erhaltungstherapie nach Remission sowie zu zugelassenen Präparaten in der Schweiz, darunter Antidepressiva, Lithium und Esketamin. Ergänzend wurden evidenzbasierte psychotherapeutische Verfahren sowie Kombinationstherapien angesprochen.

Für die Langzeittherapie (Rezidivprophylaxe) sind nur bestimmte Patienten mit Risikofaktoren geeignet. Duloxetin ist dafür zugelassen, weitere Substanzen wie Lithium oder Esketamin zeigen ebenfalls Wirksamkeit. Zentrale Aspekte sind die Frühintervention, regelmässige Verlaufskontrollen und die sorgfältige Diagnostik bei Rückfällen. Auch körperliche Aktivität hat sich unterstützend bewährt.

Besondere Aufmerksamkeit galt dem sogenannten Antidepressiva-Discontinuation-Syndrome (ADS). Das Absetzen von Antidepressiva sollte in der Regel langsam über 8–12 Wochen erfolgen – mit Ausnahme bestimmter Wirkstoffe oder bei starken Nebenwirkungen. Engmaschige Überwachung ist entscheidend, um Rückfälle oder Entzugssymptome rechtzeitig zu erkennen.

Dr. Hättenschwiler beendete seinen Vortrag mit den Key Messages zum Absetzen von Antidepressiva:

• Umfassende Aufklärung über Vor- und Nachteile, frühe Warnzeichen eines Rezidivs (↑)
• Das Absetzen von AD am Ende einer ET oder einer RP soll zur Vermeidung einer Rebound-Depression und von Absetzungssymptomen schrittweise erfolgen (↑↑)
• Das AD sollte über einen Zeitraum von mind. 8–12 Wochen ausgeschlichen werden (Ausnahmen Fluoxetin und Agomelatin (↑))
• Ist geplant, ein AD aufgrund von gefährlichen oder stark belastenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen abzusetzen, soll dies rasch oder abrupt erfolgen (↑↑)
• Nach Augmentations- oder Kombinationsbehandlung sollen die AD nicht gleichzeitig, sondern nacheinander ausgeschlichen werden (↑↑)
• Engmaschige Überwachung auf Absetzungssymptome und Rückfälle (↑↑)

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

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  • Vol. 15
  • Ausgabe 6
  • Juni 2025