- Der anaphylaktische Schock
Der folgende Fall bezieht sich auf eine nahezu tödliche Anaphylaxie mit 24-minütiger Asystolie bei einem 35-jährigen Mann mit Mastozytose nach einem Bienenstich, trotz 5-jähriger spezifischer Immuntherapie. Eine erfolgreiche kardio-pulmonale Reanimation wurde 32 Minuten lang durchgeführt.
Fallvignette
Ein 35-jähriger Mann arbeitet als Gärtner und ist gegenüber Insektenstichen entsprechend exponiert. Nach einem Bienenstich erlitt der Patient eine schwere anaphylaktische Reaktion mit Hypotonie und Bewusstseinsverlust (Reaktion des Grades IV) (1). Darauf wurde 2008 eine Immuntherapie mit Bienengift eingeleitet, die vom Patienten gut toleriert wurde. Eine Nachkontrolle fast fünf Jahre später ergab einen Tryptase-Wert von neu 20.5 µg/l sowie die Diagnose einer kutanen Mastozytose (TMEP). Da der Mann weiterhin als Gärtner arbeitete, stellte sich die Frage, ob er wirklich geschützt war.
Stichprovokation mit lebender Biene unter Intensiv-Überwachung (Inf, EKG, RR, O2)
Die Stichprovokation wurde unter Einhaltung aller erforderlichen Vorsichtsmassnahmen durchgeführt. Vier Minuten nach dem Stich entwickelte der Patient folgende Symptome: Flush, Dyspnoe, Erbrechen, Verwirrtheit; sofortige Gabe von 2 Amp (4mg) Clemastin (Tavegyl®), 250mg SoluMedrol®, 2 Adrenalininjektionen mittels Autoinjektor Epipen® a je 0.3 mg Adrenalin subkutan. Dennoch innert Minuten fortschreitend zu Bewusstlosigkeit, Herzkreislaufversagen, Asystolie während >20 Minuten. Total 6mg Adrenalin iv, 6000 ml PPL, 4-malige Defibrillation, mechanische CPR während 35 Minuten. Hämatokrit 1h nach Rea 56% trotz 8l Volumen (Zeichen der Hämokonzentration infolge des durch Histamin induzierten Capillary leak), SR, eigene Herzaktivität, 3 -Tage induziertes Hypothermie-Koma. Patient erwacht, initial delirös, zunehmende Erholung. Demissio 14 Tage nach der Stichprovokation, weitgehend ohne Residuen.
Api m 10 (Icarabin) – Sensibilisierung
Api m 10 (Icarabin) wurde als ein Hauptallergen von Honigbienengift (HBV) mit potenziell hoher Relevanz für die Diagnostik und Therapie von Giftallergien beschrieben. Icarabin könnte Grund für das Versagen der spezifischen Immuntherapie sein («Mismatch» auf molekularem Niveau zwischen Extrakt und Bienengift).
Therapie
Omalizumab (Xolair®) 300mg jede 4. Woche
Weiterhin SIT mit Bienengift ALK Alutard® 100’000 SQ-E
Aufdosierung mit BG Pharmalgen® wässrig 200 µg
nun total 300’000 SQ-E (total 300µg BG) alle 4 Wochen
Antihistaminikum (Xyzal®) 2/Tag (aktuell noch 1/Tag)
H2-Blocker (Zantic®) 300mg/d (gestoppt 2017)
Chromoglykate (Nalcrome®) 3 x 200mg/d
Follow Up
Der Patient arbeitet wieder als Gärtner. 2019 erneut ein Bienenstich. Ausser Angst ohne Befund. 2020 zwei Bienenstiche: keine Reaktion.
Fazit
Das Beispiel zeigt, dass bei einer Anaphylaxie mit Herz-Kreislauf-Stillstand eine verlängerte kardio-pulmonale Reanimation von bis zu 40 Minuten angemessen sein kann, um die Halbwertszeit des massiv freigesetzten Histamins zu überwinden. Das Scheitern der spezifischen Immuntherapie war möglicherweise auf eine Sensibilisierung gegenüber dem Allergen Api m 10 zurückzuführen, das in kommerziellen Bienengiftextrakten möglicherweise unterrepräsentiert ist.
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Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
◆ Anaphylaxie entwickelt sich rasch
◆ f(Tempo)= Gefährlichkeit.
◆ Adrenalin und Volumen sind vital
◆ Reanimieren lange (>30 Min.) um Halbwertszeit von Histamin
(20-30 Min) zu überdauern
◆ Serum-Tryptase kann Anaphylaxie spiegeln
1. Micaletto et al. CASE REPORT Honey bee venom re-challenge during specifc immunotherapy: prolonged cardio-pulmonary resuscitation allowed survival in a case of near fatal anaphylaxis Sara Micaletto1 et al. Allergy, Asthma & Clinical Immunology (2022) 18:44 https://doi.org/10.1186/s13223-022-00687-x
der informierte @rzt
- Vol. 13
- Ausgabe 2
- Februar 2023