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Aktuelles zur Gicht und Pseudogicht

Die Kristallarthropathien

Die Prävalenz der Hyperurikämie und der Gicht steigt in allen industrialisierten Ländern in den letzten Jahren stetig an. Eine Hyperurikämie führt nicht nur zur Urat-Ablagerung in Gelenken, gelenknahen Strukturen (z.B. Sehnenscheiden, Bursen) und seltener auch inneren Organen, sondern geht auch mit einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos, wahrscheinlich einer Verschlechterung der Nierenfunktion und möglicherweise auch einer Blutdruckerhöhung einher. In diesem Artikel werden die aktuellen Abklärungs- und Behandlungsmassnahmen zusammengestellt und auch die Differentialdiagnose der Pseudogicht erläutert.



Im Lauf der Evolution – beim Übergang vom Leben im Wasser zum Leben an Land – muss eine höhere Harnsäure Vorteile mit sich gebracht haben. Dementsprechend fehlt einigen höhergradigen Reptilien und allen Primaten das Enzym Uricase, das bei allen anderen Lebewesen die Harnsäure zu Allantoin abbaut. Gleichzeitig werden in unseren Nieren 90% der filtrierten Harnsäure rückresorbiert.
Veränderte Ernährungsgewohnheiten, steigende Lebenserwartung (abnehmende Nierenfunktion) und weitere Faktoren führen aber heute dazu, dass wir primär mit negativen Folgen einer Hyperurikämie konfrontiert sind. Als Hyperurikämie wird in den meisten Labors ein Harnsäurewert über 420 µmol/l definiert. Das Löslichkeitsprodukt liegt aber bei 360 µmol/l, d.h. bei höheren Werten beginnt die Harnsäure auszufallen. Deshalb wird bei der harnsäuresenkenden Behandlung ein Wert unter 360 µmol/l angepeilt.

Klinik und Diagnose

Die akute Gichtarthritis ist meist eine perakut auftretende Monarthritis (mit starken Schmerzen, Rötung und Schwellung), die bevorzugt an der unteren Extremität auftritt. Je typischer die Klinik, desto wahrscheinlicher ist die Diagnose. Allerdings müssen differentialdiagnostisch stets ein Infekt oder eine Pseudogicht (Chondrokalzinose) in Erwägung gezogen werden. Goldstandard für die sichere Diagnose bleibt weiterhin der mikroskopische Nachweis von Uratkristallen im Gelenkpunktat (Abb. 1.) (oder Gewebe) oder von Uratablagerungen im hochauflösenden Ultraschall (Abb. 2.) oder allenfalls Dual-Energy-CT (beide bildgebenden Methoden sind sehr spezifisch, erfordern aber eine gewisse Menge an Uratablagerung für den Nachweis, und können somit gerade im Frühstadium auch falsch negativ sein).
Die Bestimmung der Serumharnsäure ist im Anfall diagnostisch weniger hilfreich (sie kann sogar tiefer sein als ausserhalb eines Anfalles), hingegen ist sie wichtig für die Steuerung der harnsäuresenkenden Basistherapie. Erhöhte Entzündungszeichen (CRP, BSR) und eine Leukozytose passen gut zu einer akuten Gichtentzündung, sind aber natürlich nicht spezifisch dafür.

Behandlung

Behandlung der akuten Gicht

Nebst lokaler Kühlung möglichst rasch potente entzündungshemmende Medikamente, d.h. nicht-steroidale Antirheumatika (falls keine Kontraindikation besteht) oder Steroide systemisch oder (besser) intraartikulär (falls kein Infektverdacht besteht) oder Colchicin (in der CH allerdings nicht offiziell zugelassen). In besonderen Fällen kann ausnahmsweise in Zusammenarbeit mit einem Rheumatologen off-label ein Interleukin-1-Hemmer subkutan eingesetzt werden.

Basisbehandlung der Hyperurikämie

Nicht-medikamentöse Massnahmen (Lifestyle) sollen bei jedem Patienten empfohlen werden. Bezüglich Ernährung ist bei Übergewicht eine Reduktionsdiät sehr hilfreich (die Harnsäure und das Gichtrisiko steigen mit dem BMI linear an). Weiter bei allen Patienten Einschränkung des Konsums von tierischem Eiweiss zu Gunsten von mehr Milchproteinen und möglichst Verzicht auf fruktosehaltige Süssgetränke, Fruchtsäfte und Bier. Zum allgemeinen Management eines Patienten mit Hyperurikämie gehört auch das Beachten der meist assoziierten kardiovaskulären Risikofaktoren.
Eine medikamentöse (d.h. harnsäuresenkende) Basisbehandlung soll je nach Situation schon nach dem ersten Gichtanfall erwogen werden, ist aber sicher indiziert bei mehreren Anfällen pro Jahr, bei gleichzeitiger Niereninsuffizienz oder wenn bereits Tophi bestehen oder Urat-Nierensteine. Die Behandlung wird nach Abklingen des akuten Schubes eingeleitet und soll zu einer zuverlässigen Senkung der Harnsäure < 360 µmol/l (beim Vorliegen von Tophi, bereits Gelenkdestruktionen oder häufigen Attacken < 300 µmol/l) führen. Dementsprechend wird die Dosierung schrittweise gesteigert und die Harnsäure regelmässig überprüft bis zum Erreichen des Zielwertes («treat to target»). Zu beachten (und dem Patienten zu erklären!) sind die Tatsachen, dass es einerseits beim Beginn der Harnsäuresenkung nochmals zu akuten Gichtanfällen kommen kann (deshalb entweder begleitende Anfallsprophylaxe mit niedrig dosiert NSAR, Steroiden, z.B. 5 mg Spiricort, oder 0,5 mg Colchicin für die ersten Wochen oder zumindest Reservemedikamente für die Anfallsbehandlung verschreiben!) und dass andererseits auch bei korrekter Basisbehandlung eine vollständige Anfallsfreiheit erst nach vielen Monaten erwartet werden kann. Das Risiko von Nebenwirkungen ist geringer, wenn die Harnsäuresenker einschleichend dosiert und schrittweise erhöht werden («start low and go slow»). Medikamente der ersten Wahl bleiben die Xanthinoxidase-Hemmer Allopurinol oder Febuxostat. Letzteres ist in der CH nur kassenzulässig, wenn unter Allopurinol Nebenwirkungen auftreten, eine Kontraindikation dafür besteht oder die Wirkung ungenügend ist. Bei normaler Nierenfunktion wird eine Startdosis von 100 mg Allopurinol empfohlen mit schrittweiser Dosissteigerung um 100 mg z.B. alle 4 Wochen bis Erreichen des Harnsäure-Zielwertes. Falls erforderlich kann Allopurinol ohne Probleme bis auf 600 mg/Tag dosiert werden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Startdosis der Kreatinin-Clearance angepasst werden. Oft erfolgt bei diesen Patienten aus Angst vor Nebenwirkungen keine oder nur eine ungenügende Harnsäuresenkung; aber sowohl die klinische Erfahrung wie auch zunehmend die wissenschaftlichen Daten zeigen, dass durch eine adäquate Harnsäuresenkung nicht selten die Nierenfunktion besser wird bzw. sich die Progression der Niereninsuffizienz verlangsamt.
Führt Allopurinol zu Nebenwirkungen oder ist die Wirkung ungenügend, kann Febuxostat eingesetzt werden, ebenfalls einschleichend dosiert mit vorerst 40 mg/d, dann Steigerung auf 80 mg/d. Im Gegensatz zu Allopurinol ist bei Niereninsuffizienz keine Dosisanpassung notwendig. Hingegen soll Febuxostat bei Patienten mit ischämischer Herzkrankheit vorsichtig eingesetzt werden.
Eine dritte Möglichkeit ist die Gabe von Urikosurika (nur bei normaler Nierenfunktion!), entweder Probenecid (cave Interaktionen) oder Lesinurad (nur in Kombination mit Allopurinol).
Wie bei allen medikamentösen Langzeitbehandlungen sind für eine möglichst optimale Compliance und Therapieadhärenz eine gute Information des Patienten ebenso entscheidend wie regelmässige Kontrollen. Idealerweise kennt der Gichtpatient seinen Harnsäurewert (und den Zielwert) ebenso wie jeder Diabetiker sein HbA1C.

Calciumpyrophosphat-Ablagerungs-Erkrankung («Chondrokalzinose», «Pseudogicht»)

Mit zunehmendem Alter steigt die Prävalenz von Ablagerungen von Calcium-Pyrophosphat-Kristallen im hyalinen und faserigen Knorpel (sogenannte Chondrokalzinose). Die genauen Ursachen und Mechanismen dieser sog. primären Chondrokalzinose sind weiterhin unbekannt. Epidemiologisch sind Frauen etwas häufiger betroffen; beschrieben sind auch familiäre Häufungen. Bereits bei jüngeren Patienten (d.h. vor 50-jährig) kann eine Ablagerung von Calciumpyrophosphat-Kristallen auftreten bei bestimmten Stoffwechselerkrankungen (z.B. Hämochromatose, Hypomagnesiämie, Hyperparathyreoidismus – sog. sekundäre Chondrokalzinose).

Klinik und Diagnose

Diese Kristallablagerungserkrankung gilt auch als «Chamäleon» der Rheumatologie, da sie sich ganz verschiedenartig äussern kann:

  • asymptomatischer Röntgenbefund («Chondrokalzinose»)
  • akute Arthritis («Pseudogicht») (Abb. 3.)
  • progrediente Arthrose an Gelenken, die nicht primär von Arthrose befallen werden (typisch: Handwurzel, MCP, Schulter, Knie, Hüfte); Meniskusläsionen
  • rasch progrediente destruktive Arthropathie (v.a. Hüftgelenk, Schultergelenk)
  • chronisch verlaufende Oligo-Polyarthritis («Pseudo-rheumatoide Arthritis»)
  • Polymyalgie-artig
  • Crowned-dens-Syndrom («Pseudomeningitis» zufolge Kalkeinlagerungen in den atlantoaxialen Bändern)

Nebst dem jeweiligen klinischen Bild gehört zur Diagnose auch hier der mikroskopische Nachweis von Calciumpyrophosphatkristallen in der Gelenkflüssigkeit oder der pathognomonischen Knorpel-Verkalkungen im konventionellen Röntgen (Abb. 4.), hochauflösenden Ultraschall (oder Computertomogramm beim Crowned-dens).
Beim Auftreten einer Chondrokalzinose vor 50-jährig soll eine sekundäre Form erwogen und nach den entsprechenden Grunderkrankungen gesucht werden.

Behandlung

Für die Behandlung der akuten Arthritis («Pseudogicht») gelten dieselben Prinzipien wie bei der Gichtarthritis. Eine eigentliche Basistherapie (oder Kausalbehandlung) steht hingegen nicht zur Verfügung. Bei häufigen Attacken kann Colchicin versucht werden oder allenfalls eine Magnesium-Supplementation. Bei mehr chronisch verlaufender Oligo- bis Polyarthritis soll eine Basisbehandlung mit Methotrexat versucht werden.

Dr. med. Andreas Krebs

Rheuma- und Osteoporose-Zentrum Kloten
Kalchengasse 7
8302 Kloten

andreaskrebs@hin.ch

Der Autor hat in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Goldstandard der Diagnose bleibt der mikroskopische Kristallnachweis. Moderne Bildgebung kann helfen, da sehr spezifisch, allerdings nur beschränkt sensitiv
  • Harnsäure-senkende Basistherapie mit Allopurinol bzw. (bei Nebenwirkungen oder Kontraindikation) mit Febuxostat. Einschleichend beginnen und konsequente, schrittweise Dosissteigerung bis Harnsäure-Zielwert von 360µmol/l bzw. 300µmol/l erreicht ist (treat-to-target)
  • Nicht-medikamentöse Massnahmen und Co-Morbiditäten nicht vergessen
  • Häufige Ursache einer akuten Monarthritis beim alten Patienten ist die Chondrokalzinose. Ein konventionelles Röntgenbild hilft oft diagnostisch weiter.

Beim Autor

der informierte @rzt

  • Vol. 10
  • Ausgabe 3
  • März 2020