- Ein Höhenweg im Angesicht der Walliser Viertausender
Meine Kindheitserinnerungen an Montana und Crans sind einerseits geprägt durch Junggesellenferien, wie mein Vater und ich die Bergwochen nannten, die wir nur zu zweit verbracht haben. Wir mieteten eine kleine Wohnung im Zentrum des damals noch kleinen Montanas und machten die Umgebung auf vielen Touren unsicher. Einem Ritual gleich setzten wir am ersten Tag eine währschafte Gerstensuppe auf, die wir die Woche über laufend «verlängerten», sodass diese immer gehaltvoller wurde und jeden Besuch über unsere vermeintlich besonderen Kochkünste staunen liess. Auf den umliegenden Wiesen weideten noch Kühe, die von strickenden Frauen in ihrer schwarzen Arbeitstracht gehütet wurden, eine der langen Holznadeln unter den Arm geklemmt.
Weniger erfreulich sind meine Erinnerungen aus jener Zeit an Abfallhalden, die sich in den Tobeln häuften, an Bäche, die schäumten und stanken. Eine Abwasserreinigungsanlage gab es damals nicht. Bald einmal mochten wir diesen Ort des explodierenden Massentourismus wegen nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch Vieles zum Guten gewendet, wenn auch manche Bausünden nicht mehr gutzumachen sind. Crans-Montana hat sich zu einer attraktiven Feriendestination entwickelt, die vieles bietet, auch für den Bergwanderer, der Natur und Stille sucht.
Eine Wanderung, bei der man die herrliche Aussicht auf die Walliser Alpen besonders gut geniessen kann, erwartet uns auf dem Höhenweg von Cry d’Er über Les Violettes zu den Weiden von Colombire. Wir benutzen die Luftseilbahn von Crans nach Cry d’Er hinauf. Dort öffnet sich der Blick auch gegen Nordwesten in das Tal von Tseuzier mit seinem Stausee, eingebettet zwischen dem Wildhorn- und Wildstrubelmassiv (Abb. 1).
Wir folgen vorerst ein kurzes Stück dem von Bella Lui herunterziehenden Grat, bevor wir uns östlicher der Hangschulter von Les Violettes zuwenden. Wir durchwandern eine Landschaft, die durch Schiefer- und Kalkgestein geprägt wird, deren Schichtung sichtbar Rutschungen begünstigt. Die Spuren eines mächtigen prähistorischen Bergsturzes finden sich noch heute südlich der Varneralp. Dessen Ausläufer bildeten nicht nur die fruchtbaren Rebhügel um Sierre, sondern auch die Schutthügel in der Rhoneebene, die bis nach Grône reichen. Auf dem nährstoffreiche Boden zwischen Cry d’Er und Les Violettes gedeiht eine reiche Alpenflora. Kurz vor Les Violettes helfen komfortable Metalltreppen bei der Überwindung einer Steilstufe.
Etwas verloren und trendig aufgemacht steht die Cabane des Violettes des Schweizer Alpenclubs neben den gleichnamigen, von Montana herkommenden und zur Plaine Morte hinaufführenden Seilbahnen. Vor dem Bestehen dieser Transportmittel bildete diese Unterkunft zusammen mit der Wildstrubelhütte auf der Berner Seite eine wichtige Basis für Bergtouren rund um den Glacier de la Plaine Morte. Wir geniessen die herrliche Aussicht bei einem Kaffee auf der Hüttenterrasse. Im Osten überragt das Bietschhorn das Lötschental, gefolgt unter anderen vom Bortelhorn und dem Monte Leone über dem Simplongebiet. Über den Tälern von Saas und Zermatt erheben sich Fletschhorn, Lagginhorn und Weissmies sowie die Mischabelgruppe. Im Süden leuchten die Viertausender um die Val d’Anniviers herüber, das Bis-, Weiss-, Zinalrot- und Obergabelhorn sowie die Dent Blanche. Und schon befinden wir uns bei den Bergipfeln um Arolla, weiter westlich überragt vom Grand Combin. Ganz im Westen erstrahlt dass Massiv rund um den Mont Blanc, an dem man nochmals seine geographischen Kenntnisse prüfen kann.
Anschliessend tauchen wir zwischen Tubang und Mont Bonvin in eine steinige Welt ein, die einen krassen Kontrast zu den zuvor durchwanderten Blumenwiesen bietet (Abb. 2).
Aber auch hier vermögen an unerwarteten Stellen Pflanzen zu überleben. Der Einstieg in das Tal der Bovèrèche ist etwas luftig und erfordert Vorsicht sowie Trittsicherheit. Auf der gegenüberliegenden Talseite verlassen wir die Einöde wieder und gelangen erneut auf blumenreiche Alpwiesen, die vom Petit Mont Bonvin bis zu den Lärchenwäldern hinunterreichen. Wir wenden uns bei der Alp von Les Granzettes nach Westen und steigen an der Hütte von Les Taules vorbei zur Bovèrèche ab. Dieser folgen wir am Ostufer talwärts bis zur nächsten Brücke. Wir bleiben weiterhin auf dieser Bachseite und wählen die nicht markierte Pfadspur, die unterhalb des nach Prabaron führenden Karrenwegs abgeht. Dieser kaum mehr begangene Pfad folgt einer ehemaligen Bisse, die trotz Fassung in Röhren und Verankerung durch Betonfundamente einer Hangrutschung zum Opfer gefallen ist. Auch diese Passage erfordert wieder Trittsicherheit in unwegsamem Gelände, kann aber über den am jenseitigen Ufer der Bovèrèche beginnenden Weg nach Ploumachit leicht umgangen werden. Unsere Pfadspur führt durch stillen Lärchenwald und unberührte Weiden zu einem Wasserreservoir hinunter. Hier beginnt ein Strässchen, über das wir das Restaurant von Ploumachit erreichen. Von dort aus kann man während der Sommersaison mit öffentlichen Bussen nach Montana und Crans zurückkehren. Wer noch nicht müde ist, der steigt Richtung Süden wieder in die Schlucht der Bovèrèche ab und erreicht so die Strasse von Aminona nach Montana. An dieser findet sich etwa einen Kilometer westlich bei den Häusern von Les Barzettes eine Bushaltestelle (Abb. 3).
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