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Wie tief sollte der Blutdruck beim Diabetiker sein?
Frage
Wie stark sollte der Blutdruck bei Patienten mit Hypertonie und Typ-2-Diabetes gesenkt werden?
Hintergrund
Hypertoniker mit einem Typ-2-Diabetes als Komorbidität haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die ESC-Leitlinien von 2024 empfehlen für diese Population, ein Blutdruckziel < 130 mmHg systolisch anzustreben (Klasse IA). Die Studienlage dazu ist bis dato nicht ganz eindeutig. In der SPRINT-Studie hat eine intensivierte Therapie bei Hypertonikern auf systolische Werte < 120 mmHg gegenüber der Standardbehandlung (< 140 mmHg) die Rate kardiovaskulärer Ereignisse und Gesamtmortalität signifikant gesenkt, jedoch waren Diabetiker von der Studie ausgeschlossen (2). In der ACCORD-Studie hat eine Blutdrucksenkung auf < 120 mmHg keinen signifikanten Vorteil für die teilnehmenden Diabetiker erbracht (3). Allerdings hat diese Studie sowohl blutzucker- als auch blutdrucksenkende Interventionen getestet und hatte keine ausreichende statistische Power, den unabhängigen Effekt der strengeren Blutdruckeinstellung zu zeigen.
Studienort
Die Blood Pressure Control Target in Diabetes (BPROAD)-Studie ist eine multizentrische, randomisierte Studie aus 145 Studienzentren in China (1).
Studiendesign und Methode
Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert entweder eine intensive Blutdrucksenkung (systolischer Zielwert < 120 mmHg) oder eine Standardbehandlung (Zielwert < 140 mmHg). Der Blutdruck wurde in den ersten 3 Monaten monatlich und danach alle 3 Monate kontrolliert (als Praxisblutdruckmessung).
Ein- und Ausschlusskriterien
Eingeschlossen wurden Personen im Alter ≥ 50 Jahren mit Diabetes mellitus Typ 2, erhöhtem kardiovaskulären Risiko und einem systolischen Blutdruck ≥ 130 mmHg unter antihypertensiver Therapie oder ≥ 140 mmHg ohne Blutdruckmedikation.
Outcome
Als primärer Endpunkt wurde der Komposit aus kardiovaskulären Ereignissen, einschliesslich nicht tödlicher Myokardinfarkte, nicht tödlicher Schlaganfälle, behandelter oder hospitalisierter Herzinsuffizienz und kardiovaskulärer Tod über 5 Jahre erfasst.
Ergebnisse
Eingeschlossen wurden 12 821 Probanden. Die Baseline-Charakteristika beider Gruppen waren ausgeglichen: Im Median waren die Teilnehmenden knapp 64 Jahre alt und hatten einen mittleren Blutdruck von 140/76 mmHg. 45 % waren Frauen. 22.5 % hatten nach eigenen Angaben eine kardiovaskuläre Vorerkrankung. Auch weitere Risikofaktoren waren vergleichbar wie BMI (im Median 26.7), Raucherstatus, HbA1c, Cholesterin, Nierenfunktion und Dauer der Diabeteserkrankung. Nach 1 Jahr lag der mittlere Blutdruck unter intensiver Behandlung bei 121.6 mmHg und bei 133.2 mmHg in der Standardgruppe. Während des mittleren Follow-ups von 4.2 Jahren trat bei 393 Personen (1.65 % pro Jahr) in der Intensiv- und bei 492 Personen (2.09 % pro Jahr) in der Standardgruppe ein Ereignis des primären Endpunkts auf. Damit hat die intensivierte Strategie das relative Risiko für den primären Endpunkt um 21 % gesenkt (Hazard Ratio, HR, 0.79; 95 %-KI 0.69 bis 0.90; p < 0.001). Signifikant niedriger war auch das Risiko für eine beginnende Nierenschädigung im Sinne einer Albuminurie. Allerdings traten in der intensiv behandelten Gruppe signifikant häufiger Fälle symptomatischer Hypotonie (8 [0.1 %] vs.
1 [< 0.1 %], p = 0.05) und Hyperkaliämie auf (> 5.5 mmol/l: 177 [2.8 %] vs. 125 [2.0 %], p = 0.003).
Kommentar
• Die BPROAD-Studie liefert Evidenz, dass Typ-2-Diabetiker vergleichbar mit Hypertonikern ohne Diabetes prognostisch von einer intensivierten Blutdrucksenkung profitieren.
• Der mittlere systolische Blutdruck lag nach 1 Jahr unter intensiver Behandlung bei 121.6 mmHg, nur etwa 60 % in dieser Gruppe erreichten das angestrebte Blutdruckziel von < 120 mmHg. Angesichts der unter diesem Blutdruckresultat trotzdem erzielten signifikanten Risikoreduktion scheint eine weitere Anpassung des Zielblutdrucks auf < 120 mmHg, wie von den Autoren der Studie zur Diskussion gestellt, aktuell nicht erforderlich. Auch gilt zu berücksichtigen, dass die Studie ausschliesslich in China durchgeführt wurde und die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere ethnische Gruppen unklar ist.
• Somit bestätigt die Studie die Leitlinien der ESC 2024 zum Management der Hypertonie bei Diabetikern, die einen systolischen Zielblutdruck von 120–129 mmHg empfehlen. Speziell während des Beginns der intensivierten Blutdruckintervention sollten die Patienten auf das Vorliegen von Hypotonien und Hyperkaliämien überwacht werden.
Dr. med. Andrea Rosemann
Literatur
1. Bi Y, Li M, Liu Y, et al. BPROAD Research Group. Intensive Blood-Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2024 Nov 16. doi: 10.1056/NEJMoa2412006
2. Research Group; Lewis CE, Fine LJ, Beddhu S, Cheung AK, Cushman WC, Cutler JA, Evans GW, Johnson KC, Kitzman DW, Oparil S, Rahman M, Reboussin DM, Rocco MV, Sink KM, Snyder JK, Whelton PK, Williamson JD, Wright JT Jr, Ambrosius WT. Final Report of a Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control. N Engl J Med. 2021 May 20;384(20):1921-1930. doi: 10.1056/NEJMoa1901281. PMID: 34010531; PMCID: PMC9907774.
3. ACCORD Study Group; Cushman WC, Evans GW, Byington RP, Goff DC Jr, Grimm RH Jr, Cutler JA, Simons-Morton DG, Basile JN, Corson MA, Probstfield JL, Katz L, Peterson KA, Friedewald WT, Buse JB, Bigger JT, Gerstein HC, Ismail-Beigi F. Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med. 2010 Apr 29;362(17):1575-85. doi: 10.1056/NEJMoa1001286. Epub 2010 Mar 14. PMID: 20228401; PMCID: PMC4123215.
Schmerzmanagement bei Patienten nach Wirbelsäulenoperationen: Fortgeschrittene Strategien und zukünftige Wege
Eine wirksame postoperative Schmerzbehandlung ist in der Wirbelsäulenchirurgie nach wie vor eine grosse klinische Herausforderung. Schlecht kontrollierte Schmerzen betreffen bis zu 50 Prozent der Patienten und führen zu einer verzögerten Mobilisierung, einem verlängerten Krankenhausaufenthalt sowie einem erhöhten Risiko für chronische postoperative Schmerzen. In einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit wurden aktuelle und neue Strategien zur Behandlung postoperativer Wirbelsäulenschmerzen zusammengefasst. Dabei wurde die Entwicklung von opioidzentrierten Paradigmen hin zu individualisierten, multimodalen Ansätzen verfolgt. Die multimodale Analgesie (MMA) ist zum Eckpfeiler der heutigen Behandlung geworden.
Kombination aus Pharmakologie, Regionalanästhesie und nicht-medikamentösen Verfahren
Die multimodale Analgesie kombiniert pharmakologische Wirkstoffe wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Paracetamol und Gabapentinoide mit regionalen Anästhesietechniken, einschließlich der Blockade der Erector-spinae-Ebene und der Anwendung von liposomalem Bupivacain. Ergänzende nicht-pharmakologische Maßnahmen wie Frühmobilisierung, kognitive Verhaltenstherapie und achtsamkeitsbasierte Interventionen optimieren die Genesung zusätzlich und berücksichtigen die biopsychosozialen Dimensionen von Schmerzen. Bei Patienten mit therapierefraktären Schmerzen zeigen Neuromodulationstechniken wie die Stimulation des Rückenmarks und der peripheren Nerven vielversprechende Ergebnisse.
KI, Biomarker und personalisierte Schmerzprotokolle
Fortschritte in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), Entdeckung von Biomarkern und Nanotechnologie ermöglichen personalisierte Schmerzprotokolle durch vorausschauende Modellierung und gezielte Medikamentenverabreichung. Verbesserte Genesungsprotokolle nach Operationen, die viele dieser Strategien integrieren, reduzieren nachweislich den Opioidverbrauch, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und die Komplikationsrate. Dennoch bleiben die Variabilität bei der Umsetzung und die Notwendigkeit individualisierter Protokolle zentrale Herausforderungen. Zukünftige Entwicklungen umfassen KI-gesteuerte Analysen, regenerative Therapien und erweiterte Forschung zu langfristigen funktionellen Ergebnissen.
Schlussfolgerung
Diese Übersichtsarbeit bietet einen evidenzbasierten Rahmen für die Schmerzkontrolle nach Wirbelsäulenoperationen und betont die Integration multimodaler und innovativer Ansätze, die auf unterschiedliche Patientengruppen zugeschnitten sind.
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen