- Tachykardien
Das Elektrokardiogramm – bereits 1903 durch den holländischen Physiologen Willem Einthoven erfunden – ist aus dem klinischen Alltag nicht mehr weg zu denken. Es ist einfach verfügbar, nicht invasiv und erlaubt eine rasche Diagnose von wichtigen unmittelbar behandlungsbedürftigen kardiologischen Erkrankungen. Es kann einen im klinischen Alltag durchaus vor Herausforderungen stellen, nicht immer ist die Unterscheidung zwischen Artefakt und Pathologie einfach und die Differentialdiagnose mancher EKG-Veränderungen breit. Im Folgenden möchten wir auf die EKG-Charakteristika von tachykarden Herzrhythmusstörungen eingehen.
Bei der Analyse von tachykarden Rhythmusstörungen (Herzfrequenz > 100/min) lohnt sich eine Einteilung anhand von Regelmässigkeit und Dauer der QRS-Komplexe (siehe Tabl. 1). Dies lässt eine Eingrenzung der möglichen Differentialdiagnosen zu und erlaubt das Festlegen der initialen Therapiestrategie, auch wenn die definitive Diagnose nicht immer ohne elektrophysiologische Untersuchung gestellt werden kann.
Schmalkomplextachykardien
Findet sich ein schmaler QRS-Komplex bedeutet dies, dass die Erregungsleitung unterhalb des AV-Knotens über das normale Erregungsleitungssystem (His-Bündel, Tawara-Schenkel und Purkinje-Fasern) geleitet wird. Die Tachykardie entsteht somit immer im Vorhof oder AV-Knoten. Am leichtesten lässt sich dabei das Vorhofflimmern von den anderen Arrhythmien abgrenzen, die QRS-Komplexe sind dabei absolut arrhythmisch und P-Wellen fehlen gänzlich.
Bei den Schmalkomplextachykardien mit regelmässigen QRS-Komplexen empfehlen wir einerseits nach sichtbaren P-Wellen zu suchen und andererseits das Frequenzverhalten zu analysieren. Während eine Sinustachykardie und manche ektope atriale Tachykardien frequenzvariabel sind, also zum Beispiel atem- oder belastungsabhängig schneller oder langsamer werden, besteht bei einer Reentry-Tachykardie (AVNRT, AVRT) meist eine relativ starre Herzfrequenz (typischerweise um 140-200/min). Entsprechend berichten die Patienten meist auch über einen abrupten Beginn der Symptomatik.
AV-Knoten-Reentry-Tachykardie: In Abbildung 1 zeigen sich beim genauen Hinschauen in den meisten Ableitungen P-Wellen direkt nach dem QRS-Komplex (Pfeile). Es handelt sich um das typische Bild einer AV-Knoten-Reentrytachykardie.
Die P-Wellen entstehen durch die kreisende Erregung im AV-Knoten mit retrograder Erregung der Vorhöfe. Da die mechanische Vorhofkontraktion zeitlich nicht mehr mit der Trikuspidalklappenöffnung synchronisiert ist, können hier Pulsationen in den Halsvenen auftreten («Frog sign»).
Vorhofflattern: Beim Vorhofflattern handelt es sich ebenfalls um eine regelmässige Tachykardie im Vorhof (typische Vorhoffrequenz 220-300/min). Jedoch werden diese Vorhoferregungen häufig in wechselnden Abständen auf die Ventrikel weitergeleitet, so dass die QRS-Komplexe unregelmässig auftreten können. Vom Vorhofflimmern kann man dies dadurch differenzieren, dass hier P-Wellen sichtbar sind (typischerweise Sägezahnmuster in den Ableitungen II, III und aVF). Das typische Vorhofflattern entsteht durch einen Reentry-Kreislauf im rechten Vorhof (durch cavotrikuspidalen Isthmus), siehe Abbildung 2.
Therapie: Primär sollte bei regelmässigen Schmalkomplextachykardien ein vagales Manöver (Valsalva-Manöver oder Carotismassage) durchgeführt werden. Führt dies nicht zum Erfolg, ist das Medikament der Wahl zur Diagnostik und Therapie Adenosin. Die rasche intravenöse Applikation von 6 mg (bei fehlendem Ansprechen 12 oder maximal 18 mg) führt zu einer Verzögerung oder vollständigen Blockierung der Reizleitung im AV-Knoten über wenige Sekunden. AV-Knoten abhängige Reentrytachykardien (AVNRT oder AVRT) können dadurch häufig terminiert werden. Die anschliessende Therapie der Wahl ist in diesem Fall eine elektrophysiologische Untersuchung mit Ablation der zusätzlichen Leitungsbahn.
Handelt es sich um eine AV-Knoten unabhängige Tachykardie (Vorhofflattern, atriale Tachykardie, ventrikuläre Tachykardie) hat Adenosin meist keinen Einfluss darauf und kann diese nicht terminieren. Aufgrund der kurzzeitigen AV-Blockierung lassen sich aber allfällige P-Wellen besser beurteilen («demaskieren»). Wichtigste Kontraindikation für Adenosin ist neben der hämodynamischen Instabilität ein bekanntes Asthma bronchiale. Gewisse atriale Tachykardien terminieren jedoch unter Adenosin.
Breitkomplextachykardien
Im Gegensatz zu Schmalkomplextachykardien können Breitkomplextachykardien ihren Ursprung im gesamten Herzen haben. Die Wichtigste, meist unmittelbar behandlungsbedürftige und zugleich häufigste Differentialdiagnose ist hier sicherlich die ventrikuläre Tachykardie.
Jedoch kann jede supraventrikuläre Tachykardie mit einem breiten QRS-Komplex einhergehen, wenn das ventrikuläre Myokard neben dem normalen Reizleitungssystem auch über eine akzessorische Bahn erregt wird oder die Reizleitung unterhalb des AV-Knotens zusätzlich beeinträchtigt ist. Letzteres ist der Fall bei vorbestehendem Schenkelblock oder Auftreten von Aberranz (dies bedeutet eine intermittierende Blockierung im Reizleitungssystem bedingt durch unterschiedliche Refraktärzeiten der Leitungsstrukturen also z.B. das Auftreten eines frequenzabhängigen Rechts- oder Linksschenkelblockes).
Hilfreich ist hier, wann immer möglich, der Vergleich mit einem Vor-EKG im supraventrikulären Rhythmus. Besteht eine unveränderte QRS-Morphologie, schliesst dies eine ventrikuläre Tachykardie aus. Des Weiteren wurden diverse Algorithmen entwickelt, welche anhand von vordefinierten EKG-Kriterien in der Differenzierung zwischen ventrikulär und supraventrikulär helfen sollen. Diese vermögen aber alle nicht die Beurteilung im klinischen Kontext zu ersetzen, da keiner eine genügende Sensitivität und Spezifität aufweist. Einer der ersten und in der Praxis häufig verwendeten Algorithmen basiert auf den Brugada-Kriterien (vgl. Tab. 2). Trifft eines der genannten Kriterien zu, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit eines ventrikulären Ursprungs der Tachykardien.
Vorbestehender Schenkelblock: In Abbildung 3 zeigt sich ein tachykardes Vorhofflimmern bei gleichzeitig bestehendem Linksschenkelblock. Der Linksschenkelblock (LSB) lässt sich im EKG erkennen am breiten QRS-Komplex mit typischerweise überdrehter Linksachse verbunden mit negativen QRS-Komplexen in V1/V2 und positiven QRS-Komplexen V5/V6.
Ein erstmalig dokumentierter LSB ist immer abklärungsbedürftig, um eine zugrundeliegende Erkrankung nicht zu verpassen. Bei unserem 63-jährigen Patienten (Abb. 3 und 4) ist der Schenkelbock auf die dilatative Kardiomyopathie zurück zu führen, was bei dieser Grunderkrankung häufige Folge ist. Weitere häufige Ursachen sind eine koronare Herzkrankheit oder Hypertrophie des linken Ventrikels.
Kammertachykardie (Abb 5): Zur Differentialdiagnose dieser regelmässigen Breitkomplextachykardie sind die erwähnten Brugada-Kriterien (siehe Tab. 2) hilfreich.
Abklärung: Die weitere Abklärung inkl. Koronarangiographie zeigte keine strukturelle Kardiopathie oder zugrundeliegende kardiologische Erkrankung. Anhand des EKGs vermuten wir eine benigne Kammertachykardie aus dem linksventrikulären Ausflusstrakt.
Therapie: Diese wäre einer elektrophysiologischen Untersuchung und Ablation zugänglich, alternativ kann hier medikamentös ein Klasse 1c-Antiarrhythmikum (z.B. Flecainid) eingesetzt werden.
Jede Tachykardie − selbst die meist gut tolerierten supraventrikulären Reentrytachykardien − ist potentiell kreislaufrelevant. Dafür gefährdet sind insbesondere Patienten mit vorbestehender systolischer oder diastolischer Herzinsuffizienz, da durch die Rhythmusstörung häufig die ventrikuläre Füllung durch eine synchronisierte atriale Kontraktion wegfällt. Die abschliessende Beurteilung des EKGs und Festlegen der Therapie erfordert Erfahrung und häufig auch einen Moment Zeit. Bestehen Zeichen einer hämodynamischen Instabilität, dann ist die Therapie aller Tachykardien die elektrische Kardioversion.
Kardiologie Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16
gabi.hilfiker@bluewin.ch
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Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.
- Die Eingrenzung der Differentialdiagnosen von Tachykardien gelingt durch die Einteilung in Regelmässigkeit und QRS-Dauer, nach
Möglichkeit soll immer mit einem Vor-EKG verglichen werden. - Bei regelmässigen Schmalkomplextachykardien besteht die erste Massnahme in einem vagalen Manöver, führt dies nicht zum Erfolg,
ist die intravenöse Gabe von Adenosin die Methode der Wahl zur
Diagnostik und Therapie. - Wichtigste – weil potentiell gefährlichste – Differentialdiagnose von Breitkomplextachykardien ist die ventrikuläre Tachykardie. Jedoch kann jede supraventrikuläre Tachykardie mit einem breiten QRS-
Komplex einhergehen, sofern eine Aberranz besteht. Hilfreich zur
Differenzierung sind zum Beispiel die Brugada-Kriterien.
der informierte @rzt
- Vol. 9
- Ausgabe 7
- Juli 2019