- Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen
Die Schweizerische Kopfwehgesellschaft SKG hat kürzlich die 10., vollständig überarbeitete Auflage ihrer Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen herausgegeben und diese mit einem praktischen Kopfschmerzalgorithmus für den Hausarzt ergänzt. Sie beruhen auf wissenschaftlicher Evidenz und/oder auf der klinischen Erfahrung der Autoren und sind unter www.headache.ch aufgeschaltet. Ziel der Behandlung von primären Kopfschmerzen ist die Verbesserung der Lebensqualität.
Die 25 Seiten umfassende Empfehlung berücksichtigt neben der Erfassung von Warnsignalen die Möglichkeiten der Akutbehandlung und Langzeitprophylaxe von Migräne, Cluster-Kopfschmerz, episodischem und chronischem Spannungs-typ-Kopfschmerz sowie Medikamentengebrauchs-Kopfschmerz. Weiter sind eigene Abschnitte dem Themenkreis Schwangerschaft, Menstruation, Kontrazeption und Menopause gewidmet, den Kopfschmerzen beim Kind, der Neuralgie und den chirurgischen und interventionellen Therapien. Dr. med. Andreas Gantenbein schreibt in der Einleitung: «Unser Leitfaden unterstützt den behandelnden Arzt in seiner praktischen täglichen Arbeit mit Kopfschmerzpatienten bewährterweise in einer Form, die übersichtlich ist und zeitsparend konsultiert werden kann».
Primäre (idiopathische) Kopfschmerzen liegen vor, wenn keine zugrundeliegende, andere Leiden bekannt sind und keine organische Läsion fassbar ist; sie haben eine ausgeprägte Eigengesetzlichkeit und folgen einem bestimmten Zeitmuster. Die wichtigsten primären Kopfschmerzen sind Migräne, Cluster-Kopfschmerzen und Spannungstyp-Kopfschmerzen. Die Diagnose wird nach den aktuellen Kriterien der International Headache Society («International Classification of Headache Disorders», 3rd edition, ICHD-3; www.ihs-headache.org) gestellt. Sekundäre (symptomatische) Kopfschmerzen treten im Rahmen eines anderen Grundleidens, das gesucht und behandelt werden muss, auf.
Warnzeichen sollen aktiv gesucht werden und bei entsprechenden Hinweisen weiterführend diagnostiziert werden: neurologische Ausfälle, systemische Zeichen (Fieber, Meningismus), allgemeine internistische Zeichen, Bewusstseinsstörungen, Alter > 50 Jahre, ungewöhnliche Intensität und Dauer der Schmerzen, rasch einsetzender stärkster Kopfschmerz (Donnerschlag-Kopfschmerz), progrediente Schmerzen, Therapieresistenz.
Allgemeine Aspekte. Die Diagnose soll auch nach Einsetzen der Therapie, insbesondere bei Therapieresistenz, überprüft werden. Die Behandlung erfolgt in erster Linie durch den Hausarzt mit Überweisung an den Kopfschmerzspezialisten bei Therapieresistenz. Cave Medikamentenübergebrauch, insbesondere unkontrollierte Selbstmedikation mit Schmerzmitteln. Modulatoren der Kopfschmerzprobleme erfassen, wie Menstruation, Hormone, Wetter, festgefahrene Situationen usw. Haltung des Patienten beachten und Eigenverantwortung unterstützen. Noxen kontrollieren (Alkohol, Koffein, Nikotin, etc.), innere Ökonomie überprüfen (Freizeit, Tagesrhythmus, Selbstbestimmung, Stressmanagement, etc.). Kopfwehkalender führen (möglichst schon 1 Monat vor Behandlungsbeginn). Festlegung der Behandlungsstrategie: Anfallsbehandlung oder Intervalltherapie versus Langzeitprophylaxe oder beides.
Migräneattacken von geringer Intensität und ohne Behinderung im Alltag. Hier können NSAR und andere Analgetika genügen. Prinzipiell sind alle anwendbar, vorzugsweise als «rapid» oder Granulatform.
Migräneattacken mit mittlerer und hoher Schmerzintensität und Behinderung im Alltag. Die Behandlung erfolgt vorwiegend mit Triptanen. Diese wirken spezifisch bei Migräne, haben die grösste Wirksamkeit und sollten früh eingesetzt werden, jedoch bei Migräne mit Aura nicht in der Auraphase. Zur Auswahl stehen Almotriptan Tbl. 12.5 mg, Eletriptan Tbl. 40/80 mg, Frovatriptan Tbl. 2.5 mg, Naratriptan Tbl. 2.5 mg, Rizatriptan Tbl. 5/10 mg oder Lingualtbl. 5/10 mg, Sumatriptan s.c. 6mg oder Tbl. 50 mg oder Nasalspray 10-20 mg sowie Zolmitriptan Tbl. 2.5 mg oder Lingualtbl. 2.5 mg oder Nasalspray 2.5/5 mg. Opioide und Tranquilizer sollten aufgrund ihres hohen Suchtpotentials nicht zur Behandlung der Migräneattacken eingesetzt werden. Im Notfall können Acetylsalicylat, Diclofenac, Metamizol oder Sumatriptan parenteral verabreicht werden oder Zolmitriptan nasal.
Migräne Langzeitprophylaxe. Sinnvoll, wenn mehr als 3 Anfälle im Monat (> 5 Tage), sehr schwere oder lang andauernde Anfälle, protrahierte oder gehäufte Auren, Unverträglichkeit von Akuttherapeutika, bei Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz, bei ausgeprägter Beeinträchtigung der Lebensqualität und bei Patientenwunsch. Nicht-medikamentöse Zusatztherapien sind wichtig. Neu findet sich für die Migräne und für Cluster-Kopfschmerzen zunehmende Evidenz einer Wirksamkeit von transdermaler Elektrostimulation, transkranieller Gleichstrom- und Magnetstimulation. Bei der Langzeitprophylaxe mit Medikamenten haben Komorbiditäten einen Einfluss auf die Medikamentenwahl. Zudem können erwünschte Nebenwirkungen gezielt eingesetzt werden. Bei der Prophylaxe mit Lamotrigin und Topiramat ist auf Interaktionen mit hormonalen Kontrazeptiva zu achten! Topiramat und Valproat sind teratogen und dürfen nur unter sicherer Antikonzeption eingesetzt werden! An Medikamentenklassen stehen Antidepressiva, Antikonvulsiva, Betablocker und Antihypertensiva zur Verfügung sowie Kalziumantagonisten, natürliche Substanzen u.a. Neu sind die mit Limitationen versehenen CGPR-Antikörper zu erwähnen, wie Erenumab, und Galcanezumab. Fremanezumab ist in der Schweiz noch nicht zugelassen.
Bei der Attackenbehandlung von Cluster-Kopfschmerzen kommen neben Maskeninhalation von 100% O2 Sumatriptan und Zolmitriptan zum Einsatz. Ein Prednisonstoss kann die Episoden verkürzen.
Chronische Spannungstyp-Kopfschmerzen. Hier steht die Langzeitprophylaxe im Vordergrund mit täglichen Entspannungsübungen, Ausdauertraining und Biofeedback-Therapie. Als Medikamente am besten in einem multidisziplinären Behandlungsprogramm kommen Amitriptylin, Mirtazapin oder Venlaflaxin zum Einsatz.
Chronische Migräne & Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerzen (MÜKS). Bei regelmässiger Einnahme von Akutmedikamenten besteht die Gefahr eines chronischen Kopfschmerzes durch Übergebrauch. Deshalb soll eine Obergrenze von maximal 10 Einnahmetagen pro Monat berücksichtigt werden. Die wichtigste Massnahme: vollständiger Entzug der Akutmedikamente für mindestens 4 Wochen.
Schwangerschaft. Bei der Behandlung von Kopfschmerzen in der Schwangerschaft steht die Unschädlichkeit der Behandlung im Vordergrund. In schweren Fällen können Paracetamol zur Akutbehandlung und Magnesium zur Prophylaxe eingesetzt werden.
Die Empfehlungen werden abgerundet durch Ratschläge zum Management von Kontrazeption, Menopause und Hormonersatz bei Migräne, Kopfschmerzen bei Kindern, Neuralgie sowie Informationen zu chirurgischen und interventionellen Therapien bei primären Kopfschmerzen. Eine Vorstellung der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft fehlt ebenso wenig wie eine Zusammenstellung der 10 Schlüsselfragen zur Kopfschmerz-Diagnostik und der erwähnte wirklich praxisnahe Abklärungs-Algorithmus. Ein rundum gelungener Leitfaden, der in jede Praxis gehört.
Quelle: Therapieempfehlungen für primäre Kopfschmerzen inkl. Kopfschmerzalgorithmus für den Hausarzt der Schweizerische Kopfwehgesellschaft SKG 10. Auflage, 2019.
https://headache.ch/download/Content_attachments/FileBaseDoc/SKG_Therapieempfehlungen_2019_DE_12_3-seitig_WEB.pdf
Facharzt FMF Innere Medizin und Gastroenterologie
Neuhausstrasse 18
8044 Zürich
Schulthess_hk@swissonline.ch