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Überlastungsbeschwerden an der ­unteren Extremität im Sport

Überlastungsbeschwerden an der unteren Extremität sind im sportmedizinischen Alltag ein häufiger Konsultationsgrund. Für eine korrekte und zielführende Diagnose sind eine eingehende Anamnese und sorgfältige klinische Untersuchung unerlässlich. Die Indikation für eine Bildgebung basiert in den meisten Fällen hierauf. Zur erfolgreichen Therapie gehört nicht nur eine lokale Behandlung, sondern auch die Suche und Korrektur von zugrundeliegenden Ursachen. Folgende Ausführungen sollten als hilfreiche Konzepte aus dem praktischen Alltag in der Sportmedizin verstanden werden, mit jeweiligen Referenzen in Bezug auf die wissenschaftlichen Grundlagen.



Overuse injuries to the lower extremities are a frequent reason for visits to the sports medicine department. A thorough medical history and careful clinical examination are essential for a correct diagnosis. The indication for imaging is based on clinical findings in most cases. Successful therapy involves not only local treatment, but also the search for and correction of underlying causes. The following statements should be considered as helpful concepts from everyday practice in sports medicine with references to the scientific background.
Keywords: Schmerzen Bewegungsapparat untere Extremität, Overuse Injury

Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese

Im Allgemeinen wird unter einer Überlastungsverletzung oder engl. Overuse Injury eine symptomatische Veränderung am Bewegungsapparat verstanden, welche durch ein repetitives Mikrotrauma zustande kommt. Nicht selten treten auch akute Verletzungen auf dem Boden einer vorbestehenden Überlastungsproblematik auf. Das Spektrum umfasst eine Reizung des noziceptiven Systems ohne strukturell erkennbare Veränderungen bis hin zu ossären Stressreaktionen oder Sehnenrupturen. Overuse Injuries sind z. B. im Laufsport mit einer Inzidenz von 20–80 % (1) relativ häufig.

Pathophysiologisch wird ein Ungleichgewicht zwischen der tatsächlichen erbrachten Belastung im Sport und der Anpassungsfähigkeit des Bewegungsapparates angenommen. Zur Veranschaulichung kann hierzu das Bild einer klassischen Waage herangezogen werden, was sich auch im Gespräch mit Patientinnen und Sportlern bewährt (Abb. 1). Als wichtigste Faktoren lassen sich hier nicht nur die Trainingsbelastung, sondern auch die nötige Erholungszeit zwischen den einzelnen Belastungen, sowie ernährungsbedingte Faktoren als globale Parameter definieren. Bei Personen, welche den Sport nicht als Beruf ausüben, sind auch weitere berufliche und soziale Stressoren einzubeziehen. Extrinsische Faktoren, welche nur bedingt veränderbar sind, wie die Beschaffenheit der Trainingsoberfläche, das Schuhwerk oder generell die Umweltbedingungen (Hitze, Kälte), spielen eine wichtige Rolle. Intrinsische Faktoren beinhalten muskuläre Dysbalancen bzw. Verkürzungen sowie statische oder dynamische Instabilitäten der Fuss- und Beinachsen. Weiterhin sind auch individuelle Faktoren wie Alter, Konstitution, genetische und endokrine Faktoren zu nennen. Die Gewichtung der extrinsischen und intrinsischen Faktoren ist je nach Sportart und Altersklasse und Konstitution unter Umständen verschieden. Die Evidenzlage ist bei vielen Arbeiten in Bezug auf die oben genannten einzelnen Faktoren nicht sehr konsistent. Gezeigt werden konnte z.B., dass bei Überlastungen im Laufsport nebst der gelaufenen Distanz auch der Body-Mass-Index und frühere Verletzungen wichtige Parameter darstellen (2). Gewisse Daten sprechen dafür, dass Überlastungsverletzungen im Individualsport etwas häufiger sind als in Teamsportarten (3).

Diagnose

Bei Überlastungsproblemen ist wie bei allen klinischen Fachrichtungen die Erhebung einer sorgfältigen und detaillierten Anamnese besonders wichtig, wobei oben genannte Faktoren einbezogen werden sollten. Eine zentrale Rolle nimmt die Frage nach den spezifischen Trainingsgewohnheiten ein. Zu erfragen sind hier nebst dem wöchentlich durchgeführten Trainingsprogramm auch die Veränderungen in den Trainingsgewohnheiten, welche oft 2–3 Monate der eigentlichen Vorstellung wegen Beschwerden vorangehen können. Viele Patientinnen und Patienten sind sich dieser Veränderungen oftmals gar nicht bewusst. Auch Empfehlungen von erfahrenen Trainern und Trainerinnen oder einem Online-Coaching dürfen wohlwollend hinterfragt werden. Mitgebrachte Trainingsaufzeichnungen von Smartdevices können hierfür wertvolle Informationen liefern. Die Daten sind oft aber sehr umfangreich, was eine schnelle und effiziente Auswertung in der Sprechstunde erschwert.

In der klinischen Untersuchung ist erfahrungsgemäss nicht nur die detaillierte lokale Untersuchung der betroffenen Gelenksregion wichtig, sondern auch ein Assessment der benachbarten Gelenke und der zugehörigen muskulären und tendinösen Strukturen. Funktionelle Aspekte wie muskuläre Dysbalancen (Verkürzung, Kraftdefizit Agonist-Antagonist) sowie auch dynamische bzw. funktionelle Instabilitäten der Fuss- und Beinlängsachsen sollten gezielt gesucht werden. Aus praktischer Sicht ist hier die Definition einer Norm meist schwierig.

Unter einer funktionellen Instabilität versteht man im Allgemeinen ein Abweichen von der idealen Bewegungslinie bei statisch in der Norm liegenden Achsenparametern. Hier sind oft Videoanalysen hilfreich, welche auch mit der Anpassung von therapeutisch vorgesehenen orthopädischen Einlagen kombiniert werden können. Für viele Krankheitsbilder, insbesondere im Laufsport, liegt allerdings eine limitierte bis moderate Evidenzlage in Bezug auf direkt messbare biomechanische Faktoren vor (4). Weiterhin spielen gewisse anatomische Regionen und spezifische Faktoren eine Rolle, weshalb nachstehend einige der wichtigen Krankheitsbilder kurz zusammengefasst werden.

Die Indikation für eine radiologische Bildgebung ist abhängig von den anamnestischen und klinischen Befunden. Bildgebung der Wahl ist bei den meisten Fragestellungen das MRI. Viele Sehnenstrukturen können bei entsprechender Expertise aber auch sonographisch gut beurteilt werden. Ergeben sich aufgrund der klinischen Präsentation keine Hinweise für eine relevante strukturelle Pathologie, kann auch ein pragmatisches Vorgehen über die Anpassung des Trainings und die Physiotherapie gewählt werden mit der Option einer späteren Bildgebung im Verlauf, falls sich die Symptomatik nicht nachhaltig bessert.

Spezifische Krankheitsbilder

Ossäre Stressreaktionen

Leitsymptom bei ossären Stressreaktionen sind belastungsabhängige, oft lokale, gelegentlich aber diffuse Schmerzen mit variabler Ausprägung (Aktivitäts- bis Ruheschmerz) und eine lokale ossäre Druckdolenz. Gelegentlich erfolgt allerdings auch die Erstvorstellung mit einer bereits etablierten Fraktur ohne adäquates Trauma.

Ossäre Stressreaktionen können je nach Lokalisation in eine niedrige oder hohe Risikogruppe eingeteilt werden. Läsionen in der niedrigen Risikogruppe befinden sich meist auf der Kompressionsseite der ossären Achse und haben entsprechend der aktuellen Konsensus-Einteilung (5) eine gute und meist komplikationslose Heilungstendenz. Im Gegensatz dazu sind Läsionen mit hohem Risiko oft an der Spannungsseite des Knochens lokalisiert und bergen das Risiko für eine Progression zur kompletten Fraktur und unter Umständen einer verzögerten Knochenheilung. In diese Gruppe gehören Stressreaktionen am Schenkelhals, an der anterioren Corticalis der Tibia sowie im Fussbereich am Os naviculare oder an den Metatarsalien (meist II oder V). Das mediale Tibia-Kanten-Syndrom stellt eine Kontinuität dar zwischen strukturell unauffälligen Situationen bis hin zur kortikalen Stressfraktur.

Die Diagnostik der Wahl für ossäre Stressreaktionen ist die MRI-Untersuchung, da insbesondere auch in frühen Stadien die Röntgenaufnahmen keine Veränderungen zeigen. Wichtig sind auch Überlegungen im Hinblick auf die ossäre Qualität. Hier ist ein Screening bezüglich eines relativen Energiedefizitsyndromes sowie ggf. zusätzliche Laboruntersuchungen (Vitamin D, entzündliche oder metabolische Ursache) oder eine DEXA-Messung hilfreich.

Insbesondere Verletzungen der niedrigen Risikogruppe können konservativ behandelt werden. Je nach klinischem Zustand und Lokalisation ist hier eine Stockentlastung und allenfalls Ruhigstellung indiziert für 4-6 Wochen. In der hohen Risikogruppe ist oft eine interdisziplinäre Absprache sinnvoll. Für die Wiederaufnahme von sportlichen Aktivitäten gibt es keinen klaren Konsensus. Wichtige Faktoren sind ein schmerzfreier Zustand im Alltag, beim Belastungsaufbau in der Physiotherapie und bei der direkten Palpation (5).

Tendinopathien

Überlastungsreaktionen an Sehnen zeigen meist ein Kontinuum mit degenerativen Veränderungen, beginnend bei einer anfangs noch reaktiven und reversiblen Tendinopathie bis hin zum schweren Umbau der Sehnensubstanz mit Rupturen. Als Beispiel sei hierfür die Tendinopathie des Lig. patellae erwähnt, welche auch Jumpers’ Knee genannt wird. Diagnostisch ist hier ein fokaler Schmerz mit oft palpabler Verdickung, welcher beim Springen, Abbremsen oder bei Richtungswechseln verspürt wird. Die Druckschmerzhaftigkeit bei der Palpation ist nicht immer zuverlässig. Besser geeignet sind direkte Provokationsmanöver (Springen). Zur Diagnose von Problemen am Streckapparat am Knie kann mit guter Aussagekraft eine Ultraschalluntersuchung herangezogen werden (6). Zum zusätzlichen Ausschluss einer artikulären Problematik ist jedoch die MR-Untersuchung die Methode der Wahl. Asymptomatische Veränderungen im Bereich der Patellasehnen sind allerdings relativ häufig bei Sprung­sportarten.

Auch bei Achillodynien kann die Diagnose meist klinisch gestellt werden. Häufigste Manifestation sind hier progrediente Schmerzen im mittleren Abschnitt der Sehne, welche bei Aktivitäten und oft auch als Morgensteifigkeit beobachtet werden. Es kann je nach Ausprägung eine spindelförmige Auftreibung palpiert werden. Der Schweregrad der Veränderungen in der Bildgebung korreliert hier nicht immer mit den Symptomen. Auch bei asymptomatischen Individuen können in bis zu 35 % der Fälle abnorme Befunde in der Bildgebung vorliegen (7).

Die Behandlung von Sehnenpathologien über die Physiotherapie folgt dem Prinzip progressive Belastungssteigerung (Loading) mit isometrischen Übungen über konzentrische und exzentrische Belastung bis hin zu dynamischen und reaktiven Elementen. Lokale Massnahmen können eine fokussierte Stosswellenbehandlung oder ggf. ACP-Infiltrationen darstellen (8).

Funktionelle Überlastungsprobleme

Das Runners Knee oder iliotibiales Bandsyndrom zeigt sich durch eine Schmerzhaftigkeit am anterolateralen Knie und kommt entsprechend der Namensgebung häufig im Laufsport vor. Charakteristisch sind laterale Knieschmerzen, welche sich beim Joggen und seltener auch beim Radfahren nach einer definierten Belastungsdauer manifestieren, gelegentlich auch mit einem Pseudoblockadegefühl. Längere Abwärtsstrecken oder ein unebener Untergrund sind meist mit mehr Problemen verbunden. Die Pathogenese ist komplex und beinhaltet nebst der mechanischen Reizung des Tractus iliotibialis an der lateralen Femurkondyle verschiedene Elemente der gesamten kinetischen Kette. Wichtige Faktoren sind hierbei die tibiale Innenrotation, eine Valgisation im Knie oder auch Instabilität der Rückfussachse. Bei den meisten Patienten zeigt sich eine Insuffizienz der Hüftabduktoren (9).

Zur lokalen Behandlung setzt man manualtherapeutische Massnahmen ein, ergänzt durch Selbstmassage (Black-Roll) oder Stosswellentherapie. Eine Bildgebung ist in den meisten Fällen nicht notwendig. Bei therapierefraktären Verläufen sollte aber eine MRI-Untersuchung des Knies erwogen werden, insbesondere auch mit der Frage nach einer allfälligen lateralen Gelenkspathologie, welche sich ähnlich manifestieren kann.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. David Pfisterer

Oberarzt Sportmedizin
Schulthess Klinik Zürich
Lengghalde 6
8008 Zürich

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Überlastungsbeschwerden beim Sport an der unteren Extremität sind meist multifaktoriell bedingt und umfassen sowohl funktionelle als auch strukturelle Veränderungen am Bewegungsapparat.
  • Der Weg zur Diagnose führt in vielen Fällen über eine detaillierte Anamnese und eine sorgfältige klinische Untersuchung.
  • Insbesondere bei ossären Stressreaktionen ist das MRI die Bildgebung der Wahl.
  • Die Behandlung sollte nebst lokalen Massnahmen immer auch ein ganzheitliches Assessment der gesamten kinetischen Kette, der sportartspezifischen Trainingsplanung und individuelle Faktoren beinhalten.

1. Incidence and determinants of lower extremity running injuries in long distance runners: a systematic review. Van Gent RN, Siem D, van Middelkoop M, van Os AG, Bierma Zeinstra SMA, Koes BW, et al. Br J Sports Med. 2007;41:469–80.
2. A step towards understanding the mechanisms of running-related injuries. Laurent Malisoux , Rasmus Oestergaard Nielsen, Axel Urhausen , Daniel Theisen. J Sci Med Sport. 2015 Sep;18(5):523-8.
3. Prevalence of overuse injuries in athletes from individual and team sports: A systematic review with meta-analysis and GRADE recommendations. Franco MF, Madaleno FO, de Paula TMN, Ferreira TV, Pinto RZ, Resende RA. Braz J Phys Th 2021 Sep-Oct;25(5):500-513.
4. Running-related biomechanical risk factors for overuse injuries in distance runners: A systematic review considering injury specificity and the potentials for future research. Willwacher S, Kurz M, Robbin J, Thelen M, Hamill J, Kelly L, Mai P. Sports Med. 2022 Aug;52(8):1863-1877.
5. International Delphi consensus on bone stress injuries in athletes. Tim Hoenig, Karsten Hollander, Kristin L Popp, Michael Fredericson, Emily A Kraus,Stuart J Warden, Adam S Tenforde, Br J Sports Med 2025 Jan 2;59(2):78-90.
6. Diagnostic accuracy of ultrasonography in the assessment of anterior knee pain. Basha MAA, Eldib DB, Aly SA, Azmy TM, Mahmoud NEM, Ghandour TM, Aly T, Mostafa S, Elaidy AM, Algazzar HY. Insights Imaging. 2020 Oct 1;11(1):107.
7. Achilles Tendinopathy: Evaluation, Rehabilitation, and Prevention. von Rickenbach, Kristian J. MD, MS1,2; Borgstrom, Haylee MD1,2,3; Tenforde, Adam MD1,2; Borg-Stein, Joanne MD1,2; McInnis, Kelly C. D. Current Sports Medicine Reports 20(6):p 327-334, June 2021.
8. Platelet-rich therapies for musculoskeletal so tissue injuries(Review)Moraes VY, Lenza M, Tamaoki MJ, Faloppa F, Belloti JC. Cochrane Database Syst Rev. 2014.
9. Lower extremity kinematics during running and hip abductor strength in iliotibial band syndrome: A systematic review and meta-analysis. Foch E, Brindle RA, Pohl MB. Gait Posture. 2023 Mar;101:73-81.

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  • Vol. 15
  • Ausgabe 6
  • Juni 2025