- Wer sich bewegt lebt besser – und länger
Die Unsterblichkeit ist ein Menschheitstraum. Die Sehnsucht, dem Altern zu entkommen, hat inzwischen einen eigenen Wirtschaftszweig hervorgebracht: Mit longevity (Langlebigkeit) lässt sich viel Geld verdienen. Zum Beispiel ist der US-amerikanische Unternehmer Bryan Johnson in den Medien präsent, weil er im Rahmen seines «Project Blueprint» mit 100 Pillen am Tag, speziellen Fitnessübungen, Vorsorgeuntersuchungen und sogar Blutplasma seines Sohnes den Leuten schmackhaft macht, dass sie mit derartigen Massnahmen länger leben werden.
In diesem Zusammenhang stellt sich die seit langem umstrittene Frage, wie hoch der Anteil der Genetik an der individuellen Lebenserwartung ist. Die aktuelle Antwort lautet: 10–30 % (3, 4). Eine neue Studie basierend auf der UK Biobank (n = 492 567) fand 17 % des Sterberisikos mit äusseren Faktoren in Verbindung, während weniger als 2 % auf Gene zurückzuführen waren (5). Das ist eine gute Nachricht, weil wir damit die Möglichkeit haben, unsere Lebensqualität und Lebenserwartung selber zu beeinflussen.
2019 wurde gezeigt, dass leichte körperliche Aktivität wie Spazieren eine lineare Korrelation mit der Lebenserwartung hat. Bei 325 Minuten täglich ergibt sich eine ca. 50 % geringere frühzeitige Sterblichkeit (6). Wer sich noch länger bewegt, hat keinen zusätzlichen Vorteil mehr. Sowohl akute als auch chronische körperliche Aktivität vermindern die epigenetische Altersbeschleunigung (7).
Die Kombination von Vitamin D (2000 IU/d), Omega-3-Fettsäuren (1 g/d) und SEHP (simple home exercise program) für 3 Jahre ergab eine 39 %-ige Verminderung der frühzeitigen Gebrechlichkeit (und eine 61 %-ige Verminderung der Krebserkrankungen). Mit den modernen Biomarkern für den Alterungsprozess (PhenoAge, GrimAge, GrimAge2, DunedinPACE) konnte mit dieser Dreierkombination eine Verminderung des Alterns um 3–4 Monate in 3 Jahren berechnet werden (8).
Epigenetische Faktoren haben ein enormes Potential. Bekannt sind die von der Harvard University bezeichneten fünf Lebensstilfaktoren: nicht rauchen, ein normaler BMI (18.5–24.9 kg/m²), mindestens 30 Minuten tägliche Bewegung, moderater Alkoholkonsum und eine gesunde Ernährung mit einem Qualitätsscore über 40 %. Jeder einzelne dieser Faktoren verlängert das Leben, mit additivem Effekt der Kombination aller fünf.
Weniger bedeutend dürften einzelne Substanzen sein, obwohl auf dem Markt viele angeboten werden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Taurin in Tierstudien und beim Menschen zwar vielversprechend, aber eine doppelblinde Vergleichsstudie fehlt (9). Weitere diskutierte Substanzen sind Metformin, Rapamycin, Senolytika und GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA).
Doch zurück zur Bewegung als modifizierender Faktor für 30 chronische Erkrankungen, kognitive Fähigkeiten, mentale Gesundheit und Lebensqualität im Alter und möglicherweise wichtigster Faktor für Langlebigkeit. Eine kanadische Sportmedizinerin, die beim Internationalen Olympischen Komitee die Abteilung Gesundheit, Medizin und Wissenschaft leitet, hat sich unlängst für mehr Bewegung ausgesprochen (10). Auch die WHO fordert, dass ältere Menschen pro Woche 150 bis 300 Minuten in mässiger bis starker körperlicher Aktivität verbringen; ausserdem sollten sie nach Möglichkeit 2-mal wöchentlich eine Einheit Krafttraining und 3-mal wöchentlich Mehrkomponentenübungen mit Schwerpunkt Gleichgewicht absolvieren.
Die Schlussfolgerung für uns Ärztinnen und Ärzte ist klar: Wir sollten unseren Patienten Bewegung verordnen, und wir sollten sie auch selbst praktizieren. Denn wer sich bewegt, lebt besser – und länger.
Chefarzt emeritus Rheumaklinik Triemli
8800 Thalwil
marwebdr@gmail.com
1. Veerman L. et al. Physical activity and life expectancy: a life-table analysis. Br J Sports Med 2024:bjsports-2024-108125.
2. Cacciatore S. et al. Physical performance is associated with long-term survival in adults 80 years and older: Results from the ilSIRENTE study. J Am Geriatr Soc 2024;72:2585-2589.
3. López-Otín C. et al. The hallmarks of aging. Cell 2013;153(6):1194-1217.
4. Passarino G. et al. Human longevity: Genetics or Lifestyle? It takes two to tango. Immun Ageing 2016;13:12.
5. Austin Argentieri M. et al. Integrating the environmental and genetic architectures of aging and mortality. Nat Med 2025. doi: 10.1038/s41591-024-03483-9.
6. Ekelund U. et al. Dose-response associations between accelerometry measured physical activity and sedentary time and all cause mortality: systematic review and harmonised meta-analysis. BMJ 2019;366:l4570
7. Voisin S. et al. Exercise training and DNA methylation in humans. Acta Physiol (Oxf) 2015;213(1):39-59.
8. Bischoff-Ferrari H.A. et al. Individual and additive effects of vitamin D, omega-3 and exercise on DNA methylation clocks of biological aging in older adults from the DO-HEALTH trial. Nat Aging 2025;5(3):376-385.
9. Singh P. et al. Taurine deficiency as a driver of aging. Science 2023 Jun 9;380(6649):eabn9257.
10. Thornton J.S. et al. Move more, age well: prescribing physical activity for older adults. CMAJ 2025;197(3):E59-E67.
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- Mai 2025