Fortbildung

Management der Hämostase in der Schwangerschaft – eine Herausforderung

Schwere postpartale Blutungen und thromboembolische Ereignisse stellen weltweit führende Todesursachen bei Schwangeren dar. Die aktuelle Evidenzlage für eine Nutzen-Risiko-Abwägung der Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft bleibt unbefriedigend. Im Rahmen eines Seminars der Schweizerischen Akademie für Perinatale Pharmakologie (SAPP) wurden praktische Empfehlungen diskutiert und vorgestellt, um die Validierung off-label-Verschreibungen in Schwangerschaft und Stillzeit zu unterstützen. Schwangerschaftsbedingte physiologische Veränderungen führen zu einem prothrombotischen Zustand, wodurch die Diagnose und das Management thromboembolischer Ereignisse erschwert werden. Die Wahl der Antikoagulanzien hängt von individuellen Risikofaktoren ab: während Heparine als sicher gelten, sind Vitamin-K-Antagonisten und direkte orale Antikoagulanzien wegen plazentarer Übertrittsrisiken kontraindiziert.



Severe postpartum haemorrhage and thromboembolic events are leading causes of death in pregnant women worldwide. The current evidence base for a risk-benefit assessment of thrombosis prophylaxis in pregnancy remains unsatisfactory. As part of a seminar organized by the Swiss Academy of Perinatal Pharmacology (SAPP), practical recommendations were discussed and presented to support the validation of off-label prescriptions in pregnancy and breastfeeding. Pregnancy-related physiological changes lead to a prothrombotic state, which complicates the diagnosis and management of thromboembolic events. The choice of anticoagulants depends on individual risk factors: while heparins are considered safe, vitamin K antagonists and direct oral anticoagulants are contraindicated due to placental crossover risks.

Keywords: Thromboseprophylaxe, Schwangerschaft, Antikoagulanzien, Perinatale Pharmakologie

Schwere postpartale Blutungen sind weltweit die Todesursache Nummer 1 von schwangeren Frauen, gefolgt von thromboembolischen Ereignissen während der Schwangerschaft. Die Datenlage für eine adäquate Nutzen-Risiko-Abwägung zu einer allfälligen Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse ist unbefriedigend.

Aktuelle Empfehlungen wurden am Seminar der Schweizerischen Akademie für Perinatale Pharmakologie (SAPP) am Kantonsspital Winterthur im interprofessionellen Rahmen diskutiert und werden hier vorgestellt. Sie sollen praktische Werkzeuge in die Hand geben zur herausfordernden Validierung von off-label-Verschreibungen in der Schwangerschaft und Stillzeit.

Hämostatische Veränderungen während der Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft treten in fast allen Organen physiologische Veränderungen auf, von welchen auch das Herz­Kreislauf­-System betroffen ist. Das Blutvolumen steigt kontinuierlich um 1–1,5 Liter an. Obwohl die Erythropoetin­produktion um das 2-bis 3-fache gesteigert wird und die Erythrozytenmasse zunimmt, sinken insgesamt das Hämoglobin und der Hämatokrit. Die Gesamtleukozytenzahl erreicht ein Maximum im zweiten und dritten Trimenon. Auch das hämostatische Gleichgewicht wird durch die Schwangerschaft beeinflusst (Abb. 1). Prokoagulatorische Faktoren steigen an, während gleichzeitig eine Inhibition der antikoagulatorischen Faktoren erfolgt, um die Frau während der Geburt vor übermässigem Blutverlust zu schützen. Teilweise steigen die Werte von Markern für thromboembolische Ereignisse so stark an wie bei einem thromboembolischen Ereignis, ohne dass ein entsprechendes klinisches Erscheinungsbild vorhanden wäre. Man wird daher auch keinesfalls eine Therapie starten allein aufgrund der Screening-Parameter.

Auch Veränderungen in der Gefäss­wand, die sich z. B. durch das Eindringen des Trophoblasten in die Dezidua ergeben können, begünstigen die Entstehung von Thromben.

Und schliesslich wird aufgrund der vasodilatatorischen Effekte der Schwangerschaftshormone und der mechanischen Gefässkompression durch den wachsenden Fetus sowie gegebenenfalls Immobilität die Strömungsgeschwindigkeit beeinflusst.

Insgesamt resultieren diese Veränderungen während der Schwangerschaft in einem gerinnungsfördernden Zustand und führen unter anderem zusammen mit einer Stase prä-­ und postpartal zu einer signifikanten Erhöhung des Thromboserisikos (Tab. 1).


Die physiologischen Veränderungen während der Schwangerschaft können die Diagnose eines thromboembolischen Ereignisses anhand von Laborwerten respektive Markern erschweren, weil teilweise die gleichen Marker schwangerschaftsbedingt physiologisch wie auch pathologisch bei einer Thrombose erhöht oder erniedrigt sind (Tab. 1). Klinische Symptome und bildgebende Verfahren (Duplexsonographie, bei Ver­dacht auf Lungenembolie allenfalls CT) müssen daher zur Sicherung einer Diagnose beigezogen werden (Abb. 1).

Thromboseprophylaxe ante- und/oder postpartal?

Ob während der Schwangerschaft eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden soll, ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Zur Risikoabschätzung für thromboembolische Ereignisse während der Schwangerschaft ist eine gründliche Anamnese ausschlaggebend. Grundsätzlich treten Thrombosen bei Männern leicht häufiger auf als bei Frauen, aber in der Schwangerschaft oder unter hormonellen Kontrazeptiva ist das Risiko fünf Mal höher und postpartal sogar fünfzehn Mal höher als bei nicht-schwangeren Frauen. Umgekehrt verursachen Antikoagulanzien auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen, wie zum Beispiel Blutungen. Eine vorangegangene tiefe Venenthrombose ist ein wichtiger Risikofaktor für weitere thromboembolische Ereignisse. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Frage nach der Ursache. Handelte es sich um eine provozierte Thrombose, zum Beispiel aufgrund eines operativen Eingriffs oder durch längere Immobilisation, wird man in der Regel nur während des Wochenbetts eine Prophylaxe verordnen. Trat die Thrombose jedoch ohne erklärbaren Hintergrund auf oder bestehen weitere Risikofaktoren (Tab. 2), wird man eher bereits während der Schwangerschaft eine Prophylaxe empfehlen.

Zurzeit existieren international keine einheitlichen Empfehlungen und es stehen zur Beurteilung primär Beobachtungsstudien oder randomisierte Studien mit sehr kleinen Fallzahlen zur Verfügung. Eine Prophylaxe ist dann indiziert, wenn der protektive Effekt das mögliche Risiko übersteigt, das heisst, wenn das VTE-Risiko höher als 1–5 % eingeschätzt wird.

Durch das höher werdende Durchschnittsalter der Schwangeren nehmen auch Komorbiditäten zu und diese können indirekt das Risiko für tiefe Venenthrombosen erhöhen. Ebenso weisen Frauen mit einem BMI von über 30 oder Frauen nach hormoneller Stimulation in der Reproduktionsmedizin ein höheres Risiko auf.

Besonders schwierig ist diese Entscheidung, wenn die Frau schon blutet und eigentlich eine Indikation für eine Prophylaxe hätte. In diesen Fällen ist man auch aus psychologischen Gründen zurückhaltend mit einer Antikoagulation. Meistens wird man nach Ende der Blutung drei Tage warten, bis man die Prophylaxe wieder aufnehmen wird (keine Evidenz vorhanden; Erfahrungswert). Unter therapeutischen Dosierungen wird man bei einer plazentaren Blutung zumindest auf prophylaktische Dosierungen zurückgehen oder unter Umständen vollständig pausieren.

Auch für die Prophylaxe im Wochenbett ist die Datenlage nicht eindeutig. Klar ist, dass beispielsweise nach einer Sektio das Risiko für eine tiefe Venenthrombose im Vergleich zu einer Spontangeburt fast vierfach erhöht ist. Ob eine Prophylaxe von zwei bis drei Tagen reicht, oder ob es mindestens zehn Tage sein sollen oder sogar noch länger, ist nach wie vor unklar. Man darf hoffen, dass eine am Universitätsspital Genf bald anlaufende Multizenter-­Studie Klarheit schafft.

Pharmazeutische Aspekte der Antikoagulanzien in der Schwangerschaft

Unfraktionierte Heparine (UFH)

Unfraktionierte Heparine passieren die Plazenta aufgrund ihres hohen Molekulargewichtes nicht und haben somit keine embryo­- oder fetotoxischen Effekte. Ebenso wenig treten sie in die Muttermilch über. Sie werden praktisch nicht über die Nieren ausgeschieden und können deshalb auch ohne Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz angewendet werden. Wegen der kurzen Halbwertszeit (ca. 1,5 Stunden) sind sie gut steuerbar und gelten daher als das sicherste Standardtherapeutikum bei drohender Geburt. Beim Einsetzen der Geburtswehen werden die UFH gestoppt (ausser bei Status nach akuter tiefer Venenthrombose in den letzten vier Wochen). Es sollten mindestens vier Stunden vergehen bis zu einer Sektio oder Periduralanästhesie, um das Blutungsrisiko möglichst tief zu halten.

Eine Langzeitanwendung v. a. in hohen Dosen ist problematisch wegen des Knochendichteverlusts. Selten, aber gefährlich sind Heparin-­induzierte Thrombopenien.

Niedermolekulare Heparine (NMH)

Niedermolekulare Heparine sind heute die first-line-Medikamente zur Prophylaxe und Therapie der tiefen Venenthrombose während der Schwangerschaft. Auch sie sind nicht plazentagängig und treten nicht in die Muttermilch über. Allerdings wer­den sie stärker renal ausgeschieden und erfordern eine Dosisanpassung bei schwerer Niereninsuffizienz (abhängig von der Indikation). Die Halbwertszeiten sind im Vergleich zu den UFH länger, weshalb man peripartal oft auf die besser steuerbaren UFH umstellt. Am häufigsten wird in der Schweiz Dalteparin eingesetzt (Tab. 3). Die Compliance in der Schwangerschaft ist gut, sofern man die Frauen gut darüber aufklärt, dass das Kind nicht mit dem Medikament in Kontakt kommt. Thrombosen stellen eine bekannte Erkrankung dar, vor welcher Frauen sich oftmals fürchten, und daher ist die Akzeptanz der täglichen Spritze meist hoch.

Bei Kontraindikationen für Heparine können auch die synthetischen Alternativen Fondaparinux oder Danaparoid eingesetzt werden. Trotz der Plazentagängigkeit wurden noch nie embryo-­oder fetotoxische Effekte beschrieben, allerdings ist man aufgrund der langen Halbwertszeiten von 17 bzw. 25 Stunden zurückhaltend mit diesen Wirkstoffen und wird peripartal nach Möglichkeit auf ein niedermolekulares Heparin umstellen. Für die Stillzeit liegen kaum Daten vor; die beiden Wirkstoffe gelten aber unter anderem aufgrund pharmakokinetischer Überlegungen als sicher.

Vitamin-K-Antagonisten

Die Vitamin­-K­-Antagonisten passieren die Plazenta und eine Einnahme in der Schwangerschaft geht mit einem erhöhten Risiko für Spontanaborte und Fehlbildungen einher (sogenannte Warfarin­-Embryopathie in 4–7 % der in der 6.–9. SSW exponierten Schwangerschaften und möglicherweise auch zentralnervöse Schädigungen bei Fortführen der Therapie im zweiten und dritten Trimenon). Frauen mit dauerhafter Antikoagulation im gebärfähigen Alter sollen deshalb engmaschig überwacht werden, damit bei Bedarf rechtzeitig eine Therapieumstellung vor­genommen werden kann (man beachte die langen Halbwertszeiten: Phenprocoumon und Acenocoumarol sechs Tage). Spätestens vor der 6. SSW sollten die Vitamin-­K-­Antagonisten abgesetzt worden sein. Muss aus zwingenden Gründen nach der 13. SSW die Therapie wieder aufgenommen werden, soll vor der Geburt auf niedermolekulare Heparine mit einer zweimal täglichen Applikation umgestellt werden. Wenn immer möglich, wird man die Vitamin­-K­-Antagonisten während der Schwangerschaft und Stillzeit vermeiden. Allerdings gibt es seltene Fälle respektive Indikationen, in welchen für eine optimale mütterliche Therapie kaum darauf verzichtet werden kann (zum Beispiel Antikoagulation bei künstlichen Herzklappen).

Stillen unter Vitamin­-K­-Antagonisten ist möglich, sofern der Säugling konsequent eine Vitamin-­K­-Supplementation erhält.

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)

Die Substanzen Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban und Dabigatran passieren die Plazenta und treten in die Muttermilch über. Es sind noch ungenügende Daten vorhanden über Effekte auf den Fetus oder das Neugeborene nach mütterlicher Einnahme. Daher dürfen diese Wirkstoffe während der Schwangerschaft und Stillzeit nicht eingesetzt werden.

Nach wie vor fehlen national harmonisierte Empfehlungen zur off-­label­-Anwendung von dringend notwendigen Wirkstoffen in der Schwangerschaft. Das wichtigste und ursprüngliche Anliegen der SAPP ist die Verbesserung der Sicherheit von medikamentösen Therapien bei Schwangeren und Stillenden. Dies soll unter anderem durch den interprofessionellen Austausch und das Aufbereiten der vorhandenen Literatur und der Expertenerfahrung erreicht werden, um dadurch für die Ärzte- und Apothekerschaft fundierte Entscheidungsgrundlagen für die Rezeptausstellung und -validierung zur Verfügung zu stellen.

Referentinnen
Dr. phil. Andrea Burch
eidg. dipl. Apothekerin, FPH klinische Pharmazie,
Leiterin Spitalpharmazie, Universitätsspital Zürich und Co-Präsidentin SAPP

Dr. med. Leila Sultan-Beyer
Chefärztin Geburtshilfe, Kantonsspital Winterthur

Korrespondenzadressen
Dr. sc. nat. Barbara Lardi-Studler

Geschäftsstelle SAPP
Prof. em. Dr. pharm. Ursula von Mandach

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG
Zweitabdruck aus pharmaJournal 02/25

Dr. sc. nat. Barbara Lardi-Studler

Seeblickstrasse 11
8610 Uster

barbara.lardi@gmail.com

Prof. em. Dr. pharm.Ursula von Mandach

Universitätsspital Zürich
Postfach 125
8091 Zürich

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Die Autorinnen haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

Literatur bei den Referentinnen