Ultraschallserie

Gestörte Fruchtwasserzirkulation

Polyhydramnion bei Einlingsschwangerschaften – ein Symptom, viele Ursachen

Das Polyhydramnion ist eine häufig gestellte Diagnose in der Schwangerschaft. Es beschreibt eine übermässige Frucht-wassermenge und tritt in ca. 2% aller Schwangerschaften auf. Die Ursachen können vielfältig sein und gehen des Öfteren mit einem erhöhten Risiko für die Mutter oder den Fetus einher. Die diagnostischen Abklärungen bei einem Polyhydramnion nach 20 Schwangerschaftswochen sollten ein Diabetesscreening, eine detaillierte fetale Ultraschalldiagnostik mit Echokardiografie zum Ausschluss von Fehlbildungen, sowie eine TORCH-Serologie beinhalten.



Physiologie und Pathophysiologie

Während der Frühschwangerschaft wird das Fruchtwasser vermutlich aus drei Quellen gebildet: vom Amnionepithel, durch Ultrafiltration des mütterlichen Plasmas und durch Sekretion der embryonalen Oberfläche. Ab dem II. Trimenon wird das Fruchtwasser zum einen überwiegend durch den Urin des Fetus und zum anderen durch die Sekretion der fetalen Lunge gebildet. Zudem beginnt der Fetus das Fruchtwasser zu schlucken und führt es seinem eigenen Kreislauf wieder zu. Ist dieser Regelkreislauf durch eine verminderte Aufnahme oder eine übermässige Ausscheidung gestört, kann ein Polyhydramnion entstehen. Die Menge des Fruchtwassers hat eine relativ grosse Bandbreite und verändert sich abhängig vom Gestationsalter. Sie misst zu Beginn mit Schwangerschaftswochen (SSW) um 25 ml, um 20 SSW ca. 400 ml und hat ihren Peak um 28 SSW mit 800  ml, um dann gegen Ende der Schwangerschaft wieder auf 400 ml abzunehmen.

Messmethoden

Die gängigsten Methoden zur Bestimmung der Fruchtwassermenge sind die 4 Quadranten-Messung ( Abb. 1) mit einem oberen Normwert von 25 einerseits und die Messung des tiefsten Fruchtwasserdepots (Abb. 2) mit dem jeweils grössten vertikalen Ausmass andererseits, wobei ein Wert über 8 einem Polyhydramnion entspricht. In einer Übersichtsarbeit, in der randomisierte Studien über den Vergleich zwischen Fruchtwasserindex und tiefstem Fruchtwasserdepot analysiert wurden, konnte gezeigt werden, dass die Messung des Fruchtwasserindex mehr vermeintliche Fälle mit einem Oligohydramnion identifizierte (1).
Dies hatte zur Folge, dass signifikant häufiger Interventionen wie Geburtseinleitung und Kaiserschnitt erfolgten, wodurch das fetale Outcome hierdurch allerdings nicht verbessert werden konnte.
Erfahrene Untersucher nehmen nicht selten eine subjektive Schätzung vor, jedoch ist eine Reproduzierbarkeit durch andere Unter-sucher oder im Verlauf erschwert.

Verlauf und Outcome

In 50-60% tritt ein Polyhydramnion idiopathisch auf (3). Auch wenn in vielen Fällen keine Ursache gefunden werden kann, ist ein Polyhydramnion grundsätzlich ein Risikofaktor für einen ungünstigen perinatalen Verlauf, beispielsweise einen niedrigen Apgar Score oder pH-Wert (4). Auch transiente isolierte Polyhydramnions, die in der 28.-32. SSW sonographisch entdeckt wurden, sind ein unabhängiger Risikofaktor für geburtshilfliche Interventionen während der Geburt (5).
Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Fruchtwassermenge und dem Outcome der Schwangerschaft. Je ausgeprägter, desto signifikanter ist der Zusammenhang mit angeborenen Fehlbildungen, Aneuploidien, einem schlechteren Outcome durch Frühgeburtlichkeit und perinataler Mortalität (6).

Diagnostik

Nach der Feststellung eines Polyhydramnion sollte eine umfassende Diagnostik erfolgen (Tab. 1), da etwa in einem Drittel der Fälle eine mütterliche oder fetale Ursache zugrunde liegt (Abb. 3). Diese sollte neben einem differenzierten Organscreening den Ausschluss eines Gestationsdiabetes und serologische Untersuchungen zum Ausschluss spezifischer Infektionen umfassen (7).
Letztere erfolgt durch die Bestimmung einer TORCH Serologie (Toxoplasmose, Röteln, Cytomegalie, Herpes Simplex, Syphillis, Varizella Zoster, Parvovirus B19), wobei hier die Cytomegalie und die Parvovirus B 19-Infektion die häufigsten Auslöser sind (8).
Fetale Ursachen die zu einer gestörten Fruchtwasserzirkulation führen sind vielfältig: Neben den intrauterinen Infektionen, kommen auch fetale Anämien mit immunologischem Hydrops, Chromosomenstörungen, neuromuskuläre Erkrankungen und verschiedene strukturelle Fehlbildungen in Betracht (Tab. 2). Vor allem wenn eine Kombination von Polyhydramnion und fetaler Wachstumsretardierung vorliegt sollte eine fetale Fehlbildung ausgeschlossen und eine Karyotypisierung angeboten werden.
Vorteilhaft und hilfreich für die detaillierte Ultraschalldiagnostik ist die häufig sehr gute Darstellbarkeit bei gutem Ultraschallfenster (Abb. 4).

Risiken und Therapie

Ein Polyhydramnion kann im Verlauf der Schwangerschaft relevante Komplikationen verursachen. Neben Raumforderungs- und Atembeschwerden kommt es häufiger zu Frühgeburtsbestrebungen, bedingt durch eine vorzeitige Zervixverkürzung und Kontraktionen. Infolgedessen ist auch das Risiko für einen frühzeitigen Blasensprung sowie einen Nabelschnurvorfall erhöht. Nicht selten findet sich aufgrund des Bewegungsspielraumes eine fetale Lageanomalie, welche wiederum ein Geburtsrisiko darstellen kann. Ausserdem steigt durch den erhöhten Binnendruck das Risiko einer vorzeitigen Plazentalösung. Peripartal kann es aufgrund der übermässigen uterinen Dehnung gehäuft zu atonen Blutungen und zu Fruchtwasserembolien kommen.
Konservative Therapiemassnahmen bei drohender Frühgeburtlichkeit umfassen die Tokolyse bei vorzeitiger Wehentätigkeit zur Durchführung einer Lungenreifungsinduktion bei drohender Frühgeburtlichkeit, die Sanierung des Vaginalmilieus Im Falle einer Dysbiose und die vaginale Applikation von Progesteron. Bei ausgeprägten Raumforderungsbeschwerden kann eine Entlastungspunktion zur Prolongation der Schwangerschaft durchgeführt werden. Risiken hierbei sind die Auslösung eines vorzeitigen Blasensprungs und von vorzeitigen Wehen. Ein seltenes Risiko hierbei ist die vorzeitige Plazentalösung, welche nach sehr raschem intrauterinen Druckabfall erfolgen kann (9).

Dr. med. Carolin Blume

Chefärztin Geburtshilfe Kantonsspital Graubünden
Frauenklinik Fontana
Departement Gynäkologie und Geburtshilfe
Lürlibadstrasse 118
7000 Chur

carolin.blume@ksgr.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.

  • Die Diagnosestellung eines Polyhydramnions erfolgt per Ultraschall mit und nach dem Organscreening mit 20 SSW.
  • Eine Quantifizierung der Fruchtwassermenge ist sinnvoll zur Verlaufsbeurteilung und zur Risikoeinschätzung.
  • Mögliche Ursachen sollten abgeklärt werden: ein Gestationsdiabetes, eine Infektion oder eine fetale Fehlbidlung kommen in insgesamt ca. einem Drittel aller Fälle vor.
  • Die Therapie erfolgt symptombezogen und umfasst konservative Massnahmen zur Symptomkontrolle sowie die Entlastungspunktion zur Reduktion des Fruchtwassers.

1. Nabhan AF, Abdelmoula YA (2009) Amniotic fluid index versus single deepest vertical pocket: a meta–analysis of randomized controlled trials. Int J Gynaecol Obstet 104:184–188
2. Brace R. Physiology of Amniotic Fluid Volume Regulation
Clinical Obstetrics and Gynecology: June 1997 – Volume 40 – Issue 2 – p 280-289
3. Magann EF, Chauhan SP, Doherty DA et al. A review of idiopathic hydramnios and pregnancy outcomes. Obstet Gynecol Surv 2007; 62: 795–802
4. Biggio JR Jr,Wenstrom KD et al. Hydramnios prediction of adverse perinatal outcome. Obstet Gynecol 1999; 94: 773–777
5. Berezowsky A, Ashwal E, Hiersch L, Yogev Y, Amir Aviram; Ultraschall in Med 2019; 40: 749–756
6. Pri-Paz S, Khalek N et al: Maximal amniotic fluid index as a prognostic factor in pregnancies complicated by polyhydramniosUltrasound Obstet Gynecol 2012; 39: 648–653
7. Kollmann M, Voetsch J, Koidl C, Schest E, Haeusler M, Lang U, Klaritsch P: Etiology and Perinatal Outcome of Polyhydramnios; Ultraschall in Med 2014; 35: 350–356
8. Kishore J, Misra R, Paisal A et al. Adverse reproductive outcome induced
a. by Parvovirus B19 and TORCH infections in women with high-risk
b. pregnancy. J Infect Dev Ctries 2011; 5: 868–873
9. Dickinson JE, Tjioe YY, Jude E, et al. Amnioreduction in the management of polyhydramnios complicating singleton pregnancies. Am J Obstet Gynecol; 2014;211:434.e1-7.

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  • Vol. 10
  • Ausgabe 2
  • April 2020