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Colchizin – wenig wirksam in der Sekundärprävention!

Entzündung ist ein integraler Bestandteil der Pathophysiologie der Arteriosklerose und des akuten Koronarsyndroms. Colchizin
hat anti-inflammatorische Wirkung und damit einen potenziellen Nutzen in der Sekundärprävention. Die grosse CLEAR-Studie
findet jedoch keinen Nutzen von niedrig dosiertem Colchizin in der Nachbehandlung nach einem akutem Koronarsyndrom. Diese
Befunde werden durch zwei grosse negative Studien in der Sekundärprävention nach Schlaganfall unterstützt.



Hintergrund

Die wichtige Rolle der Inflammation bei der Entstehung der Arteriosklerose und insbesondere der Pathophysiologie des akuten Koronarsyndroms ist bekannt. Die ausgedehnte klinische Prüfung anti-inflammatorischer Interventionen blieb jedoch bis jetzt frustrierend negativ. So hat die anti-inflammatorische Wirkung von Canakinumab, ein Interleukin-1β-Inhibitor, zwar die koronaren Ereignisse reduziert, aber gleichzeitig zu mehr tödlichen Infektionen geführt. Colchizin entwickelt seine anti-inflammatorische Wirkung durch die Hemmung der Neutrophilen und von Interleukin-1 sowie Interleukin-6. Eine Studie in der Nachbehandlung des Myokardinfarkts (COLCOT-Studie) (1) und eine Studie beim chronischen Koronarsyndrom (LODOCO-2-Studie) (2) fanden Colchizin zur Verhinderung von kardiovaskulären Ereignissen hilfreich. Aufgrund dieser Studien hat das FDA Colchizin für die Sekundärprävention zugelassen. Laut Empfehlung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie soll Colchizin für die Sekundärprävention erwogen werden.

CLEAR-Studie: Kein Nutzen bei Patientennach Myokardinfarkt

Die Patienten in der grossen multizentrischen, multinationalen CLEAR-Studie wurden früh nach durchgemachtem Myokardinfarkt zu niedrig dosiertem Colchizin (0.5mg/Tag) (n=3528) oder zu Placebo (n=3534) randomisiert und über drei Jahre nachverfolgt (3). Der primäre Wirkungsendpunkt bestand aus einer Kombination von kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und ungeplanter koronarer Revaskularisation. Sicherheitsendpunkte waren nicht-kardiovaskulärer Tod und Infektionen. Colchizin senkte das CRP (median -1.28 mg/dl) als Hinweis auf seine anti-inflammatorische Wirkung. Trotzdem trat der primäre Endpunkt in beiden Gruppen gleich häufig auf (9.1% vs. 9.3% = ns). In keinem der einzelnen Endpunkte zeigte sich eine Tendenz zu einem Nutzen von Colchizin. Colchizin erhöhte jedoch auch nicht die nicht-kardiovaskulären Todesfälle. Hingegen verursachte Colchizin vermehrt Diarrhoe (10.6% vs. 6.6%; p<001).

Vergleich zu früheren Studien

Wie sind diese negativen Resultate der CLEAR Studie angesichts der positiven Befunde von COLCOT und LODOCO-2 zu verstehen? Einfach zu erklären sind die Unterschiede nicht, aber vielleicht handelt es sich um ein «Regression-to-the-Mean» Phänomen. Dieses Phänomen bezeichnet die Beobachtung, dass deutliche positive oder negative Resultate in kleinen Studien in genügend grossen Studien nicht mehr nachgewiesen werden können. In der CLEAR-Studie traten 649 Endpunktereignisse auf. In der COLCOT-Studie mit 301 Endpunktereignissen waren die Unterschiede zwar signifikant, aber gering (1). Die LODOCO-2-Studie entstand durch das Zusammenführen einer australischen und einer holländischen Studie (2). Mit 451 Endpunktereignissen war die Studie recht gross. Bemerkenswert ist aber, dass sich in der holländischen Studie kein Nutzen von Colchizin fand, während Colchizin in der kleinen australischen Studie einen Vorteil für Colchizin ergab. Aufgrund ihrer Grösse ist die CLEAR-Studie als die stärkste und definitivere Evidenz zu betrachten.

Keinen Nutzen von Colchizin nach Schlaganfall

Zwei grosse Studien prüften den Wert von Colchizin in der Sekundärprävention nach Schlaganfall. Die CHANCE-3-Studie untersuchte bei 8345 Patienten, ob Colchizin über drei Monate nach Schlaganfall die Schlaganfallrate und die kardiovaskulären Ereignisse reduzierte (4). Die Studie fand keinen Hinweis auf einen Nutzen von Colchizin während dieser kurzen Nachbeobachtungszeit. Die CONVINCE Studie verfolgte 3154 Patienten nach Schlaganfall über 34 Monate und fand ebenfalls keinen Hinweis auf einen Nutzen von Colchizin beim Verhindern von kardiovaskulären Ereignissen (5).

Neueste Meta-Analysen

Soeben sind in zwei Meta-Analysen die Resultate der CLEAR-Studie in Relation zu bisherigen Studien gesetzt worden. Eine erste Meta-Analyse von d’ Entremont et al. schloss neun Studien ein (6). Die zweite Meta-Analyse von Samuel et al. untersuchte sechs Studien mit einer Nachbeobachtungszeit von >12 Monaten (7). Interessanterweise haben beide Meta-Analysen auch die kleine LODOCO Studie (8), welche durch ihre überwältigend positiven Resultate die weiteren Studien inspiriert hatte, eingeschlossen. Dies, obwohl die Studie erstens nicht Placebo kontrolliert war und zweitens Patienten, welche das Colchizin nicht vertrugen, im Lauf der Studie durch neue Patienten ersetzt wurden. Auffallend ist zudem, dass in der Meta-Analyse von Samuel (7) die COPS-Studie (9), die einen neutralen Effekt von Colchizin berichtete, durch das Weglassen von einigen Komponenten des primären Endpunkts nun als hochsignifikant positive Studie in die Meta-Analyse eingeflossen ist. Zudem wurde für die Meta-Analyse von Samuel (7) eine statistische Methode verwendet, welche die kleinen Studien überbewertet (10).

Trotz dieser Colchizin begünstigenden Anlage der Meta-Analysen findet sich nur ein geringer Nutzen für Colchizin bei der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit. Die kardiovaskuläre Mortalität wird nicht verbessert. Über zwei Jahre kommt es zu einer absoluten Risikoreduktion für einen Myokardinfarkt von 0.67% (NNT 149) und zu 1% (NNT100) weniger koronarer Revaskularisationen (6).

Nebenwirkung und Sicherheit von Colchizin

Als häufigste Nebenwirkung von Colchizin wird in den Studien, welche dies gemessen haben, von gastro-intestinalen Symptomen und Diarrhoe (~10%) berichtet. Die Meta-Analyse von d’Entremont fand ein 0,55% erhöhtes absolutes Risiko für eine Hospitalisation wegen gastro-intestinalen Nebenwirkungen (NNH 181) (6). Andere gefürchtete Sicherheitsprobleme, wie häufigere Pneumonien, nicht-kardiovaskuläre Todesfälle oder Karzinomleiden, wurden nicht festgestellt.

Schlussfolgerung

Die Resultate der grossen, sorgfältig durchgeführten CLEAR-Studie und der beiden Studien bei Schlaganfallpatienten haben (leider) Colchizin als anti-inflammatorische Therapie in der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit und des Schlaganfalls entzaubert. Colchizin hat keinen klinisch bedeutenden Nutzen in der Sekundärprävention. Das Suchen nach besseren anti-inflammatorischen Medikamenten geht weiter (10).

Prof. Dr. med. Franz R. Eberli

Stadtspital Zürich Triemli
Klinik für Kardiologie
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich

franz.eberli@triemli.zuerich.ch

1. W COLCOT Trial. New Engl J Med 2019;381:2497-505
2. LODOCO 2 Trial. New Engl J Med 2020;383:1838-47
3. CLEAR Trial. New Engl J Med 2025;392:633-42
4. CHANCE-3 Trial. BMJ 2024;385:e079061
5. CONVINCE Trial. Lancet 2024;404:125-33
6. MA d’Entremont et al. Eur Heart J 2025;46:2564-2575
7. M Samuel et al. Eur Heart J 2025:46:2552-2563
8. LODOCO Trial JACC 2013;61:404-410
9. COPS Trial. Circulation 2020;142:1890–1900
10. Pocock Sj et Mendieta G. Eur Heart J 2025;46:2576-2578

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  • Vol. 15
  • Ausgabe 3
  • Juli 2025