Editorial

Gefässe, Ernährung und ein königlicher Kongress



Der Blick auf das einzelne Gefäss ist wichtig, doch ebenso entscheidend ist das Verständnis für das Ganze. Arterielle und venöse Erkrankungen stehen in enger Beziehung zueinander, auch wenn sie im klinischen Alltag häufig getrennt betrachtet werden. Der vorliegende Artikel zu PAVK und CVI in diesem Heft zeigt, dass ihre Pathophysiologien, Risikofaktoren und klinischen Verläufe eng miteinander verflochten sind – und dass eine integrative Sichtweise neue Perspektiven in Diagnostik und Therapie eröffnet.

Ein zweites Thema dieser Ausgabe ist die Ernährung, ein altbekannter, aber immer noch unterschätzter Risikofaktor. Obwohl die Evidenz eindeutig ist, werden Ernährungsmuster im klinischen Alltag nach wie vor zu wenig strukturiert erfasst und therapeutisch genutzt. Dabei ist bekannt, dass eine mediterrane, ballaststoffreiche und pflanzenbetonte Ernährung die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse deutlich reduzieren kann. Der Artikel ruft dazu auf, Ernährungstherapie nicht als Zusatz, sondern als integralen Bestandteil der kardiologischen Betreuung zu begreifen.
Abgerundet wird dieses Heft durch eine Beilage mit den wichtigsten Neuigkeiten vom diesjährigen ESC-Kongress 2025 in Madrid, einem Ereignis, das in mehrfacher Hinsicht Massstäbe setzte. Über 33 000 Teilnehmende, mehr als 190 präsentierte Studien, davon über 40 «Hotline»-Sessions und gleich mehrere neue Leitlinien markieren die aussergewöhnliche Dynamik der europäischen und globalen Kardiologie.

Anlässlich des 75-jährigen Bestehens der ESC hatte Prof. Thomas Lüscher, der amtierende Präsident, die besondere Ehre, Seine Majestät König Felipe VI. von Spanien zu empfangen. In seiner Ansprache betonte der König die weltweite Verantwortung der kardio­vaskulären Medizin und würdigte den grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Dialog als Schlüssel zum Fortschritt. Dieses Symbol der Wertschätzung für die Herz-Kreislauf-Forschung prägte den Kongress ebenso wie die hohe internationale Beteiligung – und auch die Schweiz war stark vertreten: sowohl mit zahlreichen Besucherinnen und Besuchern als auch mit einer beeindruckenden Zahl an angenommenen Abstracts, Präsentationen und oderationen.

Ein weiterer Höhepunkt war die Vorstellung der neuen ESC-Guidelines, unter anderem zu Myokarditis und Perikarditis, Herz-Klappenerkrankungen (ESC/EACTS), kardiovaskulären Erkrankungen und Schwangerschaft, sowie das Focused Update zu Dyslipidämien. Diese Dokumente bringen wesentliche inhaltliche Fortschritte, insbesondere bei der Integration moderner Bildgebung, multi­modaler Diagnostik und der Präzisierung klinischer Entscheidungsalgorithmen.

Inhaltlich dominierten Trendthemen, die über die reine Therapie hinausreichen – etwa neue Daten zu Baxdrostat bei resistenter Hypertonie, Vericiguat bei HFrEF, die Bedeutung optimaler Kaliumspiegel zur Reduktion ventrikulärer Arrhythmien und eine grosse Meta-Analyse, die einen Zusammenhang zwischen der Gürtelrose-Impfung und einem niedrigeren Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall zeigte.

Darüber hinaus wurden Studien präsentiert, die die Rolle von künstlicher Intelligenz in der Kardiologie hervorheben, darunter erste Ergebnisse zur KI-gestützten Prognose bei Myokarditis und Amyloidose. Diese Entwicklungen unterstreichen, wie stark sich Prävention, Diagnostik und Therapie zunehmend vernetzen – und wie eng klinische Praxis, Datenwissenschaft und translationaler Fortschritt inzwischen verflochten sind.

Der ESC 2025 war damit nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein gesellschaftliches Ereignis, das eindrucksvoll zeigte, wie lebendig, international und innovationsgetrieben die Kardiologie heute ist – und wie wichtig es bleibt, Forschung, Leitlinien und
Praxis in einem kontinuierlichen Dialog zu verbinden.

Viel Freude bei der Lektüre – mit herzlichen Grüssen

Prof. Dr. Dr. med. Christoph Gräni

PhD, FESC, FACC, FSCCT, FSCMR
Leiter kardiale Bildgebung
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse 18
3010 Bern

christoph.graeni@insel.ch

info@herz+gefäss

  • Vol. 15
  • Ausgabe 4
  • Oktober 2025