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ISCHEMIA Trial

Stellungnahme der 5 Universitätskliniken für Kardiologie der Schweiz sowie der SGK

Es kommt sehr selten vor, dass eine wissenschaftliche Studie eine Stellungnahme der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie zu Folge hat. Dies zeigt die Tragweite der Resultate des ISCHEMIA Trial (International Study of Comparative Health Effectiveness With Medical and Invasive Approaches) im Alltag!



Der ISCHEMIA Trial ist eine relevante, grosse, qualitativ hochstehende und durch eine angesehene akademische Gruppe durchgeführte, am AHA Kongress vorgestellte, jedoch noch nicht publizierte Studie, die durch die National Institutes of Health in den USA unterstützt wurde.

Studiendesign: Strategie-Trial

Sie vergleicht zwei sich nicht gegenseitig ausschliessende Behandlungsstrategien:

  • Die invasive Strategie bestehend aus medikamentöser Therapie, Herzkatheteruntersuchung (durchgeführt bei 98% aller Patienten) sowie Revaskularisation (80% aller Patienten) falls möglich mittels PCI/Stent (74% der Patienten) oder ACB-Operation (26% der Patienten)
  • Die konservative Strategie, bestehend aus medikamentöser Therapie und Möglichkeit des Cross-Over im Fall eines Therapieversagens (28% Cross-Over innerhalb von 3.3 Jahren).

Studien-Population

Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (chronisches Koronarsyndrom – CCS), mindestens moderater Ischämie und verblindet durchgeführter CT-Angiographie der Koronargefässe zwecks Ausschluss einer Hauptstamm-Stenose und Nachweis mindestens einer signifikanten Koronarstenose. Welche Patienten wurden ausgeschlossen? Patienten mit medikamentös unkontrollierter Angina-Pectoris-Symptomatik, Herzinfarkt (i.e. akutes Koronarsyndrom (ACS)), eingeschränkter Pumpfunktion, schwerer Herzinsuffizienz, schwerer Niereninsuffizienz, PCI oder ACB-Operation während des vorangegangenen Jahres.

Ergebnisse

Zwei Präsentationen, welche am AHA Kongress erstmals präsentiert wurden, sind relevant

  • Die klinischen Outcome Ergebnisse des primären Endpunkts sowie der sekundären Endpunkte
  • Die Ergebnisse der Lebensqualitäts-Analyse (QoL), Angina- Pectoris-Häufigkeit und physischen Belastbarkeit.

Zusammenfassung der klinischen Outcome-Resultate über 3.3 Jahre mediane Verlaufskontrolle:

1. Kein signifikanter Unterschied der Strategien (invasiv 13.3% versus konservativ 15.5%, HR = 0.93, CI 0.80-1.08, p = 0.34) hinsichtlich des primären Endpunkts (kardiovaskulären Tod, Myokardinfarkt, Hospitalisation für instabile Angina Pectoris oder Herzinsuffizienz oder überlebten plötzlichen Herztod).
2. Kein signifikanter Unterschied der Strategien (invasiv 11.7% versus konservativ 13.9%, HR = 0.90, CI 0.77-1.06, p = 0.21) hinsichtlich des sekundären Endpunkts kardialer Tod und Herzinfarkt.
3. Der Endpunkt Herzinfarkt zeigte eine zeitabhängige Variabilität
a. Höhere peri-prozedurale Herzinfarktrate invasiv
b. Geringere spontane Herzinfarktrate invasiv
Daher kreuzen die Kaplan-Meier-Ereigniskurven nach 2 Jahren für den Endpunkt Herzinfarkt und den primären Endpunkt und driften auseinander zugunsten der invasiven Therapie. Die Prognose von spontanen Myokardinfarkten ist langfristig schlechter als diejenige von periprozeduralen Myokardinfarkten.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Lebensqualitäts-Analyse (QoL), Angina Pectoris Häufigkeit und Einschränkung in physischen Aktivitäten
1. Überlegenheit der invasiven gegenüber der konservativen Strategie hinsichtlich aller gemessenen Parameter (Lebensqualität, Häufigkeit Angina Pectoris und physische Belastbarkeit)
2. Der Effekt war unmittelbar nach Revaskularisation erkenntlich und unverändert erhalten während des Langzeitverlaufs
3. Wahrscheinlichkeit für Verschwinden der Angina in Abhängigkeit von der Häufigkeit zu Studienbeginn
a. Invasiv 45%
b. Konservativ 15%
Absolute Risikoreduktion 30% entsprechend einer Number Needed to Treat von 3 (d.h. 3 Patienten werden behandelt, um bei einem die Angina komplett zum Verschwinden zu bringen, für eine medizinische Intervention sehr wirksam)
4. Geringere Einnahme anti-anginöser Medikamente in der invasiven Gruppe

Interpretation

1. ISCHEMIA zeigt, dass Patienten mit symptomatischer, stabiler koronarer Herzkrankheit, die den Einschlusskriterien entsprechen, einen grossen therapeutischen Nutzen hinsichtlich Lebensqualität, Freiheit von Angina Pectoris und physischer Belastbarkeit zugunsten der invasiven Strategie aufweisen. Daher ist die invasive Strategie eine sehr wertvolle Therapie in der Behandlung von symptomatischen, sonst gesunden und aktiven Patienten.
2. ISCHEMIA unterstreicht die hohe Wirksamkeit der medikamentösen Therapie, die bei allen Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung als Basistherapie etabliert sein sollte –
vor allem lipidsenkende Medikamente und Thrombozytenaggregationshemmer.
3. ISCHEMIA zeigt, dass Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit, die den Einschlusskriterien entsprechen, keinen nachweisbaren Nutzen hinsichtlich ischämischer Ereignisse (Tod, Herzinfarkt) während der Verlaufskontrolle über 3,5 Jahre mit einer invasiven Strategie aufweisen.
4. Der Verlauf der Ereigniskurve (bimodale Distribution) der Herzinfarkte erfordert jedoch den Langzeit-Verlauf zu untersuchen, um zu bestimmen, ob die Unterschiede hinsichtlich spontaner Myokardinfarkte sich weiter zugunsten der invasiven Gruppe fortsetzen werden.
5. Die Studienresultate beziehen sich ausschliesslich auf Patienten, welche in die Studie eingeschlossen wurden und dürfen nicht auf andere Populationen übertragen werden. Patienten mit Herzinfarkt (> 50% aller behandelten Patienten an Tertiärzentren in der Schweiz) profitieren von einem hohen prognostischen Nutzen (Tod und Myokardinfarkt) von einer rasch durchgeführten invasiven Abklärung (Klasse I Indikation). Ebenso sollten stark symptomatische Patienten, solche mit eingeschränkter Pumpleistung des Herzmuskels und Patienten mit Hauptstamm-Stenosen revaskularisiert werden.

Leitlinien-Relevanz

  • Die Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie übernimmt die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie nach Vernehmlassung und offizieller Präsentation am Jahreskongress der SGK. Leitlinien zur myokardialen Revaskularisation wurden 2018 publiziert und Leitlinien zum Thema chronisches koronares Syndrom (CCS) im Jahr 2019.
  • Die Ergebnisse des ISCHEMIA Trials unterstützen die Empfehlungen der aktuellen Leitlinien. Initial wird die Implementierung einer medikamentösen Therapie empfohlen mit der Durchführung von nicht-invasiven Tests bzw. CT Angiographie. Eine invasive Strategie wird empfohlen im Fall von persistierenden Beschwerden, Symptomverschlechterung unter medikamentöser Therapie, Hochrisiko-Konstellationen sowie Medikamentenunverträglichkeit.
  • Im Fall einer invasiven Strategie wird der Nachweis einer relevanten Ischämie bei Patienten mit Symptomen empfohlen.
  • Leitlinien Updates benötigen einen etwa 2-jährigen Review-Prozess und der ISCHEMIA trial wird einfliessen.
  • Aktuell ist der ISCHEMIA Trial noch nicht zur Publikation eingereicht und Leitlinien berufen sich auf publizierte, «peer reviewed» Daten.

Fazit

ISCHEMIA ist eine wichtige Studie, die den Nutzen der Revaskularisation in der Symptomkontrolle von Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit eindrücklich dokumentiert (Lebensqualität). Des Weiteren zeigt ISCHEMIA, dass die medikamentöse Therapie wichtigste Grundlage für alle betroffenen Patienten ist, und dass die Revaskularisation keinen zusätzlichen Nutzen auf die Lebenserwartung hat. Die Studienresultate sind im Einklang mit den aktuellen Leitlinienempfehlungen sowie den Empfehlungen für die Behandlungspraxis in der Schweiz.

Diese Stellungnahme wurde verfasst von:
Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie (SGK)
Swiss Working Group Interventional Cardiology der SGK
Universitätsspital Basel (USB)
Inselspital, Universitätsspital Bern (Inselspital)
Hôpitaux universitaires Genève (HUG)
Centre hospitalier universitaires vaudois (CHUV)
UniversitätsSpital Zürich (USZ)

Vertreter SGK
Prof. Dr. med. Giovanni Pedrazzini, Präsident SGK
Dr. med. Daniel Weilemann, Präsident Swiss Working Group Interventional Cardiology

Vertreter Universitätsspitäler
Prof. Dr. med. François Mach, médecin-chef de service,
Service de cardiologie, HUG
Prof. Dr. med. Olivier Muller, médecin-chef de service,
Service de cardiologie, CHUV
Prof. Dr. med. Stefan Osswald, Chefarzt, Kardiologie, USB
Prof. Dr. med. Frank Ruschitzka, Klinikdirektor, Universitäres Herzzentrum Zürich, USZ
Prof. Dr. med. Stephan Windecker, Direktor und Chefarzt,
Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital

Ansprechperson für weitere Auskünfte:

Prof. Dr. med. Giovanni Pedrazzini, giovanni.pedrazzini@cardiocentro.org

info@herz+gefäss

  • Vol. 10
  • Ausgabe 1
  • Februar 2020