- Aktuelle Diskussion: Covid-19 Triage Intensivmedizinplätze
Die Oncosuisse hat dazu der SAMW, wie bereits vor einem Jahr, einen Brief geschrieben und die Triagekriterien zur erneuten Diskussion empfohlen im Hinblick auf die a priori ungünstige Triage-Situation vieler Krebspatienten. Und dies hat folgende Gründe:
1. Die Prognoseabschätzung für Krebspatienten für nicht onkologisch erfahrenen Medizinalpersonen ist besonders schwierig, da sie einerseits durch die bedrohliche Grundkrankheit bereits eingefärbt ist und die meisten Patienten in der zweiten Lebenshälfte stehen. Andererseits ist der prognoserelevante Fortschritt in der Onkologie-Hämatologie so rasant, dass dies von vielen Kolleginnen noch nicht perzipiert wird.
2. Kurativ intendierte Therapien von Krebspatienten können auch intensivmedizinische Behandlungen einschliessen, die weder planbar noch elektiv, aber für den Behandlungserfolg ausschlaggebend sind. Derzeit gibt es viele Patienten, die bereits mit solchen Therapien behandelt werden, die keinen Unterbruch erlauben und daher auch eine mögliche IPS-Behandlung einschliessen.
3. Das Immunsystem vieler Krebspatienten ist krankheits- und/oder therapiebedingt nicht in der Lage, auch durch korrekte mehrfache Impfung eine genügende Schutzwirkung aufzubauen. Damit sind diese Patienten ohne ausreichenden Schutz und doppelt gefährdet für schwere Infektionen, einerseits bereits durch die Krankheit und Therapie, andererseits neu auch durch die Pandemie. Sie sind somit besonders auf die «Impf»-Solidarität durch die Allgemeinheit angewiesen.
4. Während normalerweise Patienten einige Tage auf der IPS gepflegt werden müssen, sind ungeimpfte und eher jüngere Covid-19 Patienten, welche beatmungspflichtig und ECMO-pflichtig werden, häufig 6 – 8 Wochen auf einen Platz auf der IPS angewiesen, der zudem besonders gut ausgebildetes Personal verlangt. Ein solcher Patient belegt somit einen IPS-Platz, der für mehrere andere Patienten genutzt werden könnte bei besonders hoher Beanspruchung des Personals.
5. Die Versehrtheit der Gesellschaft mit weltweit über 5 Millionen Todesfällen von Covid-19 Erkrankten und viel weiterem Leid ist gegenüber der geringen Versehrtheit durch ein generelles Impfprogramm mit einer hochwirksamen und sicheren Impfung abzuwägen. Die Unversehrtheit des Körpers und Lebens sehr vieler Menschen wird der Unversehrheit einer kleineren Minderheit von Impfverweigerern hintenangestellt. Hier wird das Gebot der Verhältnissmässigkeit missachtet. Es ist dabei klar, dass wir unter Impfverweigerern nur Personen verstehen, welche ohne nachvollziehbare medizinische Gründe eine Impfung ablehnen.
Bei Auftreten einer krassen Mangelsituation an IPS-Plätzen sollte die selbstgewählte Ablehnung der seit einem Jahr allen Bürgern angebotenen freiwilligen und kostenfreien Mehrfachimpfung mit dem damit auch freiwillig eingegangenen Risiko einer lebensbedrohlichen Covid-Infektion ein legitimer neuer Diskussionspunkt für die geltenden Triagekriterien sein. Ein apriori Ausschluss, dass der freiwillig selbstgewählte Impfstatus zu keinem Zeitpunkt ein Kriterium sein darf, erachtet die Oncosuisse aus den erwähnten Gründen als problematisch und in einer aussergewöhnlichen Notlage wie der aktuell akzellerierten Pandemiesituation als nicht abschliessend. Die normativen Wertegrundlagen einer freien Gesellschaft wie Freiheit, Gerechtigkeit, Verantwortung, Wahrheit, Solidarität und der Schutz des Lebens geben mit diese a priori Position der SAMW der Freiheit mehr Gewicht als der Verantwortung Einzelner und dem Schutz des Lebens vieler.
Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
thomas.cerny@kssg.ch
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