- Ausgewählte Studien aus der Hämato-Onkologie
Mit diesem Journal Watch möchte ich vier Arbeiten hervorheben, die sich mit dem Einsatz von Machine Learning in der malignen Hämatologie und Onkologie beschäftigen. Es eröffnen sich uns hier viele neue Möglichkeiten, die es sinnvoll zu nutzen gilt.
Deep Learning erkennt akute myeloische Leukämie
Die akute myeloische Leukämie (AML) ist definiert als eine Infiltration des Knochenmarks, des Blutes oder eines anderen Gewebes mit blastären Zellen in einer Anzahl von > 20 %. Diese Zellen können der myeloischen Reihe zugeordnet werden. Das Nucleophosmin-1-Gen kodiert für ein Protein, dessen mutierte Form anders gelagert ist und für den Proliferationsvorteil der Leukämiezellen verantwortlich ist. NPM1-mutierte AML gehört zu den prognostisch günstigen Leukämien, weshalb eine rasche Identifikation dieser Mutation für Therapieentscheidungen hilfreich ist.
Zur Identifikation der Mutation werden gentechnische Methoden angewandt. Mittels quantitativer PCR kann NPM1 auch zur Diagnostik residueller Krankheit nach der Behandlung hinzugezogen werden.
In der vorliegenden Studie wurden Knochenmarksproben mit einem Machine-Learning-Algorithmus untersucht und das Vorhandensein einer NPM1-Mutation anhand morphologischer Eigenschaften vorausgesagt.
Die Vorhersage einer NPM1-Mutation war mit bisher nicht bekannten Mustern von kondensiertem Chromatin und perinukleärer Aufhellung in den Blasten assoziiert, während prominente Nukleoli mit einem normalen NPM1-Status verbunden waren.
Die Machine-Learning-gestützte Bildverarbeitung zeigte eine hohe area under the receiver operating characteristic (AUROC) von 0.9699 bei der Vorhersage einer NPM1-Mutation.
Quelle
Eckardt, JN., Middeke, J.M., Riechert, S. et al. Deep learning detects acute myeloid leukemia and predicts NPM1 mutation status from bone marrow smears. Leukemia 36, 111–118 (2022). https://doi.org/10.1038/s41375-021-01408-w
Klinische Entscheidungsfindung mit Künstlicher Intelligenz
Bekannterweise sind klinische Entscheidungen in der Krebsmedizin nicht einfach. Multimodale Daten (Radiologie, Pathologie, Klinik) müssen integriert werden und mit der Expertise mehrerer Domänen verwoben werden. Die Autoren dieser Studie setzten autonome Artificial-Intelligence (AI)-Agenten auf Basis von GPT-4 ein, um mithilfe multimodaler präzisionsonkologischer Verfahren personalisierte Entscheidungsprozesse zu unterstützen (künstliches Tumorboard). Das System verwendete Daten zur Mikrosatelliten-Instabilität, KRAS- und BRAF-Mutationen aus histopathologischen Präparaten, MedSAM für die radiologische Bildanalyse und webbasierte Suchalgorithmen wie OncoKB, PubMed und Google. Angewendet auf 20 komplexe Patientenfälle waren die AI-Agenten in der Lage, in 87.5 % der Fälle die richtigen Methoden anzuwenden, in 91 % der Fälle die richtige klinische Schlussfolgerung zu ziehen und in 75.5 % der Fälle die entsprechenden onkologischen Leitlinien heranzuziehen.
Im Vergleich zur alleinigen Anwendung von GPT-4 verbesserten die AI-Agenten die Entscheidungspräzision von 30.3 % auf 87.2 %. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Integration von Large Language Models mit präzisen onkologischen Ergebnissen und Suchalgorithmen die Möglichkeiten von AI-getriebenen Onkologie-Supportsystemen erheblich verbessert.
Quelle
Ferber, D., El Nahhas, O.S.M., Wölflein, G. et al. Development and validation of an autonomous artificial intelligence agent for clinical decision-making in oncology. Nat Cancer (2025). https://doi.org/10.1038/s43018-025-00991-6
Vorhersage des Gesamtüberlebens mit Machine Learning
Bei myeloproliferativen Neoplasien, insbesondere bei fortgeschrittener Myelofibrose, ist die allogene Stammzelltransplantation der einzige kurative Ansatz. Eine optimale Planung der Therapie im Krankheitsverlauf ist essenziell. Futilität ist definiert als eine Schwelle, unter welcher auf eine Therapie verzichtet werden soll, um wenig erfolgreiche Therapien zu vermeiden. Die prognostische Klassifikation von Patienten bleibt schwierig. In diesem Projekt wurden Daten von 5183 Patienten, die zwischen 2005 und 2020 behandelt wurden, eingeschlossen.
Es wurden verschiedene Machine-Learning-Modelle getestet, um das Gesamtüberleben vorherzusagen. Die Kohorte wurde in ein Trainings- und ein Validations-Dataset aufgeteilt. Das beste Modell war ein Random-Survival-Forest-Modell unter Verwendung von zehn Variablen: Alter, Komorbiditätsindex, Allgemeinzustand, Blasten im Blut, Hämoglobin, Leukozyten, Thrombozyten, Art des Stammzellspenders, Intensität der Vorbereitungschemotherapie und Art der Graft-versus-Host-Krankheitsprophylaxe.
Die Güte der Vorhersage wurde mit Cox-Regressionsmodellen und anderen Machine-Learning-Modellen verglichen. Aufgrund statistischer Kriterien war das Random Survival Forest-Modell das beste und identifizierte 25 % der Patienten einer Hochrisikogruppe mit einer Mortalität von ca. 40 % ein Jahr nach der Behandlung. Das Modell ist über eine Webanwendung abrufbar (https://gemfin.click/ebmt).
Quelle
Hernández-Boluda JC, Mosquera-Orgueira A, Gras L, et al. Use of machine learning techniques to predict poor survival after hematopoietic cell transplantation for myelofibrosis. Blood. 2025 Jun 26;145(26):3139-3152. doi: 10.1182/blood.2024027287.
KI erkennt altersabhängige Risikomuster bei AML
Patienten mit akuter myeloischer Leukämie werden anhand genetischer Veränderungen gemäss den Kriterien des European Leukemia Net (ELN) in unterschiedliche Risikogruppen eingeteilt. Für diese Einteilung werden ausschliesslich genetische Veränderungen berücksichtigt, nicht jedoch andere Charakteristika wie das Alter.
In diese Studie wurden Daten von 3062 Patienten mit AML, darunter Erwachsene und Kinder mehrerer Kohorten, einbezogen. Jüngere Patienten wiesen überwiegend Mutationen in Signalpfaden auf, während bei älteren Patienten, wie bekannt, Mutationen in epigenetischen Regulatoren, Spliceosom-Genen sowie in TP53 nachgewiesen wurden. Mithilfe von Machine-Learning-Modellen wurde das Erreichen einer kompletten Remission und das Überleben nach zwei Jahren vorhergesagt. Die Fläche unter der Prädiktionskurve betrug 0.801 bzw. 0.791 für die beiden Behandlungsergebnisse. Die Autoren verwendeten eine Technik, um den Beitrag aller Variablen für verschiedene Altersgruppen (Säuglinge, Kinder, junge Erwachsene, Erwachsene, ältere Personen und alte Menschen) zu definieren.
Der grösste Beitrag kam von Veränderungen in NPM1, CEBPA, inv(16) und t(8;21) mit günstigem Risiko sowie von Veränderungen in TP53, RUNX1, ASXL1, del(5q), -7 und -17 mit ungünstigem Risiko. Die FLT3-ITD-Mutation hatte eine unklarere Rolle, da sie mit gutem Ansprechen, aber ungünstigem Überleben assoziiert war. Das Alter modifizierte die Wertigkeit genetischer Veränderungen. Mutationen in Genen, die üblicherweise im höheren Alter auftreten (TP53, ASXL1 oder del(5q)), waren prognostisch noch ungünstiger, wenn sie bei jungen Patienten identifiziert wurden.
Quelle
Eckardt JN, Hahn W, Ries RE, et al. Age-stratified machine learning identifies divergent prognostic significance of molecular alterations in AML. Hemasphere. 2025 May 7;9(5):e70132. doi: 10.1002/hem3.70132
Klinik für Hämatologie
Hämatologische Diagnostik Labormedizin
Universitätsspital Basel und Blutspendezentrum beider Basel SRK
Petersgraben 4
4031 Basel
jakob.passweg@usb.ch