- Kongressausgabe ASCO / EHA 2025
Hier finden Sie das PDF der ASCO/EHA-Kongresszeitung
Editorial ASCO
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
kaum ist der ASCO 2025 vorbei, beginnt wie jedes Jahr das Sortieren und Einordnen der Flut an Daten, Diskussionen und Eindrücken. Auch in diesem Jahr war der Kongress ein Spiegelbild der modernen Onkologie: voller Aufbruchsstimmung, teils revolutionären Therapieansätzen – aber zugleich durchzogen von Zweifeln, wo Daten noch nicht die Versprechen einlösen.
Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich die Grenzen zwischen lokal begrenzter und metastasierter Erkrankung weiter verwischen. Molekulare Tests, Liquid Biopsies und immer präzisere Therapien rücken mehr und mehr ins Zentrum unserer Arbeit. Gleichzeitig gibt es auch dieses Jahr Ergebnisse, die uns ernüchtern und uns mahnen, nicht jeder vermeintlichen Innovation vorschnell zu folgen.
Was mich persönlich nachdenklich stimmt: Die Schweiz ist bei vielen grossen internationalen Studien nicht so präsent, wie es ihrem Potential entspräche. Mehrere Kolleginnen und Kollegen sprechen das in ihren Interviews offen an. Sicher tragen dazu auch die begrenzte finanzielle
Unterstützung durch staatliche Stellen sowie die zwar berechtigte, aber teils sehr rigide Beurteilung durch Swissmedic bei. Hier muss Abhilfe geschaffen werden, wenn wir nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken wollen. Natürlich liegt es auch an uns allen, unsere Expertise und hervorragende Infrastruktur noch aktiver einzubringen, damit wir wissenschaftlich und klinisch nicht zu Zuschauern degradiert werden.
Die vorliegenden Interviews in dieser Kongressausgabe von info@ONCO-SUISSE geben Ihnen persönliche Einblicke, Highlights, aber auch kritische Stimmen. Sie zeigen die ganze Spannweite des ASCO – von bahnbrechenden Resultaten bis zu Momenten der Ernüchterung. Und sie laden ein, gemeinsam weiterzudenken: Welche dieser neuen Erkenntnisse werden tatsächlich unsere Praxis verändern? Und welche noch nicht? Und was sind die nächsten Fragen, die wir angehen müssen?
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre dieser Ausgabe – und viele anregende Diskussionen im Kollegenkreis. Denn der ASCO hat erneut bewiesen: Die Zukunft der Onkologie entsteht nicht allein in Daten, sondern vor allem im Dialog darüber.
Herzliche Grüsse
Prof. Dr. med. Roger von Moos
Editorial EHA
Bahnbrechende Therapieansätze prägen die Zukunft der Hämatologie
Der diesjährige 30. EHA-Kongress fand vom 12. bis 15. Juni in Mailand statt und markierte ein bedeutendes Jubiläum unserer wissenschaftlichen Gemeinschaft. Erneut war die Möglichkeit einer hybriden Teilnahme gegeben, wodurch ein Grossteil der Hämatologen/-innen sowohl virtuell als auch vor Ort an den hochkarätigen Präsentationen teilnehmen konnte. Die Vortragsräume waren durchweg gut gefüllt und lebhafte Diskussionen prägten das wissenschaftliche Programm. Die wissenschaftliche Qualität erreichte auch in diesem Jahr wieder ein beeindruckendes Niveau, wobei sich der Kongress ganz im Zeichen neuer bahnbrechender Therapieansätze präsentierte.
Besonders hervorzuheben sind erneut die wegweisenden Fortschritte in der personalisierten Medizin und der Immuntherapie. Wir erlauben uns, einige besonders relevante Höhepunkte aus dem Bereich der malignen Hämatologie hervorzuheben:
Innovative Ansätze bei malignen Neoplasien
Die Entwicklung neuer Immune Checkpoint Ziele steht im Zentrum aktueller Forschungsbemühungen. Besonders vielversprechend erscheinen präklinische Daten zu SLAMF6-Blockade bei AML, die starke T-Zellantworten auslösen könnte, ohne dass Stammzellen geschädigt werden. Dieser Ansatz könnte eine neue Ära der immuntherapeutischen Behandlung bei AML einläuten.
Immuntoxine, CAR-T, Bispezifische Antikörper und neue Kombinationsstrategien
Beeindruckend waren auch die Ergebnisse der Phase-III-Studie POLARGO, in der das Sterberisiko durch Polatuzumab Vedotin kombiniert mit R-GemOx bei rezidiviertem/refraktärem DLBCL um 40% gesenkt werden konnte. Diese Kombination könnte sich als neue Standardtherapie für diese Patientengruppe etablieren und konkurrenziert mit der STARGLO Studie, die Glofitamab kombiniert mit GemOx als neuen möglichen Standard etabliert hat.Im Bereich der innovativen Immuntherapien zeigten sich Fortschritte durch die Kombination von zwei bispezifischen Antikörpern. Die Phase-2-Studie mit Talquetamab plus Teclistamab bei rezidiviertem/refraktärem Myelom (RedirecTT-1) erreichte eine Gesamtsprechrate von etwa 79%, insbesondere bei extramedullärer Erkrankung. Diese Daten unterstreichen das Potenzial bispezifischer Antikörper in der Myelomtherapie.
Revolutionär erscheint die neue duale CD19/CD20 CAR-T-Therapie (JNJ-4496), deren erste Daten eine 100%ige Gesamtansprechrate (ORR), 80%ige Komplettremissionsrate (CR) bei gleichzeitig geringen toxischen Ereignissen zeigen. Diese Entwicklung könnte die CAR-T-Therapie auf ein neues Niveau heben.
Durchbrüche bei seltenen und myeloproliferativen Neoplasien
Besonders erwähnenswert ist die grösste Kohortenstudie mit mehr als 300 Patienten, die eine differenzierte Risikoeinteilung mit MPL-Mutation bei essentieller Thrombozythämie etablierte. Diese Erkenntnisse werden die Therapieentscheidungen bei ET-Patienten grundlegend verändern.
Der First-in-class Antikörper INCA33989, der ausschliesslich an mutiertes Calreticulin bindet, zeigte in der Phase-1-Studie vielversprechende Aktivität bei Resistenz oder Intoleranz gegen andere ET-Therapien bei gleichzeitig guter Verträglichkeit. Diese zielgerichtete Therapie eröffnet neue Perspektiven für MPN-Patienten.
Fortschritte in der AML-Behandlung
Die Entwicklung oraler Therapien macht bedeutende Fortschritte. Die Phase-1/2-Studie mit oralem Decitabine plus Venetoclax zeigte Wirksamkeit, die mit herkömmlichen intravenösen Regimen vergleichbar ist. Dies könnte die Lebensqualität unserer AML-Patienten erheblich verbessern.
Vielversprechend sind auch die Kombinationsdaten von Menin-Inhibitoren mit Azacitidin /Venetoclax und 7+3, die positive frühe Signale zeigen und einen neuen therapeutischen Ansatz bei bestimmten AML-Subtypen darstellen könnten.
Transplantation und unterstützende Therapie
Im Bereich der allogenen Stammzelltransplantation konnte gezeigt werden, dass Post-transplant Cyclophosphamid plus Cyclosporin bei Graft-versus-Host-Reaktion Methotrexat bei nicht verwandten Spendern übertrifft. Diese Erkenntnisse werden die Standardprotokolle in der Transplantationsmedizin beeinflussen.
Besonders praxisrelevant ist die Entwicklung einer einfachen 10-Minuten-Frailty-Skala für HCT-Patienten, die Morbidität und Überleben vorhersagt und direkte Anwendung im Klinikalltag ermöglicht.
Künstliche Intelligenz und digitale Gesundheit
Der Kongress widmete sich auch intensiv dem Einsatz künstlicher Intelligenz in der Hämatologie. Präsentationen zu Ghost-Cytometry bei CML und der MyMPNVoice-App für MPN-Patienten zeigten das Potenzial digitaler Technologien auf. Ghost-Cytometry ermöglicht dabei eine Zelltrennung basierend auf der Morphologie des Zytoplasmas, welches mit einem einfarbigen Fluorophor markiert ist – ein innovativer Ansatz zur Verbesserung der Diagnostik.
Gleichzeitig wurde die Betonung der Patienteneinbindung und Mitbestimmung in der Forschung als wesentlicher Baustein für eine patienten-orientierte Medizin hervorgehoben.
Ausblick
Der 30. EHA-Kongress in Mailand hat eindrücklich gezeigt, dass wir uns an einem Wendepunkt in der hämatologischen Therapie befinden. Die präsentierten bahnbrechenden Ansätze – von neuen Immune Checkpoint Zielen über innovative CAR-T-Therapien bis hin zu oralen Behandlungsoptionen – werden unser therapeutisches Vorgehen in den kommenden Jahren grundlegend verändern.
Wir hoffen, mit diesen aus unserer Sicht äusserst relevanten Entwicklungen Ihr Interesse am EHA-Kongress und somit auch am vorliegenden Heft geweckt zu haben. Zudem wünschen wir Ihnen viel Freude bei der Lektüre und sind überzeugt, dass viele Kolleginnen und Kollegen bereits gespannt auf den nächsten EHA-Kongress 2026 blicken.
Mit freundlichen Grüssen
Prof. Dr. med. Christoph Renner