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Hilfe zur Selbsthilfe für unterstützende Nahestehende

Krebs trifft die ganze Familie

In der Schweiz erkrankten zwischen 2017 und 2021 jährlich durchschnittlich etwa 47 000 Menschen an Krebs. Laut Schätzungen leben ungefähr 450 000 Menschen mit einer Krebserkrankung. Krebsbetroffene werden von ihrem sozialen Umfeld in vielfältiger Weise unterstützt. Dieses aber erfährt selber kaum Unterstützung von Fachpersonen. Wie kann das verbessert werden?



Das Umfeld von Krebsbetroffenen

Die Familie, Freunde, Angehörige und Zugehörige bilden ein soziales Netzwerk für Krebsbetroffene und sind eine wichtige Stütze während aller Phasen eines Krebskontinuums. Blutsverwandte und nicht blutsverwandte Personen leisten über einen längeren Zeitraum unterschiedliche und kontinuierliche Aufgaben, die oft unbezahlt sind. In diesem Artikel verwenden wir den Begriff «unterstützende Nahestehende», weil diese sich nicht zwingend als pflegende Personen wahrnehmen und ihre Unterstützung selbstverständlich, altruistisch oder aus emotioneller Verbundenheit leisten (siehe Definition unterstützende Nahestehende und Abb. 1).

Unterstützende Nahestehende

Desjardins et al. (2019) definieren unterstützende Nahestehende als Personen, die unentgeltlich nicht-professionelle Pflege von Krebsbetroffenen übernehmen. Diese Personen erbringen in jeder Phase des Krebskontinuums Leistungen, welche körperliche, emotionale, finanzielle, soziale und spirituelle Unterstützung abdecken. Das Krebskontinuum beginnt mit dem Verdacht auf Krebs und dauert bis zum Lebensende an. Unterstützende Personen können Lebensgefährten, Familienangehörige, Freunde, Nachbarn, Kolleg/-innen und/oder andere nahestehende Personen sein. Sie spielen eine zentrale Rolle und sind wichtige Partner/-innen bei der multiprofessionellen Versorgung von Krebsbetroffenen. Es können mehrere Personen/Nahestehende unterschiedliche Leistungen übernehmen und so gemeinsam ein Netzwerk bilden, um Krebsbetroffene zu unterstützen.

Hilfe, wo sie gebraucht wird

Unterstützende Nahestehende übernehmen vielfältige Aufgaben, bei welchen Krebsbetroffene Unterstützung brauchen. Dazu gehören Fahrten zu medizinischen Behandlungen oder Kontrollen, Hilfestellungen im Umgang mit unerwünschten Medikamentenwirkungen, das gemeinsame Tragen der Krebserkrankung, die Übernahme von Aufgaben im häuslichen Bereich, die Betreuung von Kindern oder von pflegebedürftigen Angehörigen und noch vieles mehr. Weiter übernehmen sie teilweise auch medizinaltechnische Interventionen, wie die Verabreichung von enteraler oder parenteraler Ernährung, Pflege von venösen sowie anderen Zugängen und Ableitungen oder die Wundpflege (Frambes et al., 2018). Unterstützende Nahestehende sind eine wertvolle Hilfe bei der Kommunikation, der Information zu Therapien und deren Nebenwirkungen oder bei der Überbringung von schlechten Nachrichten. Sie können somit auch in Entscheidungen involviert sein und das Symptommanagement zu Hause unterstützen (Darley et al., 2021; Keller, 2024). Unser Gesundheitssystem profitiert von unterstützenden Nahestehenden, welche für ihre Leistungen nicht bezahlt werden.

Belastungen und Herausforderungen

Gesundheitsfachpersonen begleiten und unterstützen aktiv Krebsbetroffene, während unterstützende Nahestehende nicht gleich standardisiert begleitet und unterstützt werden. Es ist bekannt, dass unterstützende Nahestehende Angstzustände, Müdigkeit, Depressionen, Schlafstörungen oder Beziehungsprobleme erleben, was sich auf ihre physische, psychische und soziale Gesundheit auswirken kann (Frambes et al., 2018). Mangelhafte Informationen und ungenaues Wissen zu Krebstherapien und deren Auswirkungen auf die physische Gesundheit und Lebensqualität der Krebsbetroffenen kann belastend sein und verunsichern (Keller, 2024). Eine aktuelle Querschnittsstudie zeigt, dass die Belastung von betreuenden Angehörigen zunimmt, wenn sich der Zustand des Krebsbetroffenen verschlechtert (Li et al., 2024). Laut dieser Studie verstärkt mangelnde Selbstwirksamkeit in Bezug auf die Unterstützung der Krebsbetroffenen die Belastung von unterstützenden Nahestehenden und reduziert deren Lebensqualität. Selbstwirksamkeit kann mit verständlichen und umfassenden Informationen zum Umgang mit Symptomen und der Krebserkrankung gefördert werden ((NCI), 2024).

Hilfe zur Selbsthilfe

Eine hilfreiche Struktur zur Selbstpflege kann das Symptom Navi Programm geben. Dieses Programm wurde zur Förderung des Selbstmanagements von Symptomen für Krebsbetroffene entwickelt (Bana et al., 2019). Es beinhaltet drei Elemente:
1. 37 Symptom Navi Flyer mit evidenzbasierten Empfehlungen zum Selbstmanagement,
2. Halbstrukturierte Edukationsgespräche zur Förderung des Selbstmanagements,
3. Standardisierte Schulungen zur Anwendung vom Programm.

Zwei der 37 Symptom Navi Flyer wurden speziell für unterstützende Nahestehende entwickelt und auf deren Herausforderungen ausgerichtet:
• Der Flyer «Zu mir Sorge tragen» unterstützt Nahestehende, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und diese ernst zu nehmen.
• Der Flyer «Bei Schmerzen unterstützen» nimmt die spezielle Rolle von Angehörigen auf, wenn die krebsbetroffene Person unter Schmerzen leidet.

Beide Flyer für unterstützende Nahestehende sind wie alle anderen Flyer nach dem Ampelsystem strukturiert. Das Ampelsystem erlaubt eine einfache Einschätzung zur Intensität eines Symptoms oder Problems auf drei Niveaus: leicht (grün), mittel (gelb) und stark (rot). Diese Vereinfachung erlaubt den Betroffenen Selbstmanagement anzuwenden. Wobei bei starken Symptomen im roten Bereich immer das Behandlungsteam kontaktiert werden soll (Abb. 3).

Alle Symptom Navi Flyer sind für unterstützende Nahestehende ein Hilfsmittel, um Symptome bei Krebserkrankungen und -therapien zu verstehen und einschätzen zu können. Pro Niveau sind evidenzbasierte Empfehlungen aufgeführt, was Krebsbetroffene tun können, um das Symptom zu lindern. Diese Informationen fördern das Wissen der unterstützenden Nahestehenden in einfacher Sprache und können Sicherheit geben, wann der Kontakt zum Behandlungsteam angezeigt ist. Einzelne Flyer sind auf der Webseite frei zugänglich (VFSM, 2024).

Unterstützung durch Coaching

Krebsbetroffene und unterstützende Nahestehende bilden eine Einheit und beeinflussen sich gegenseitig. Es ist wichtig, sie als Einheit wahrzunehmen, die Unterstützung durch Nahestehende explizit anzuerkennen und die Kommunikation mit ihnen strukturiert anzugehen (Keller, 2024). Verständliche Informationen zur konkreten Situation und zu den Unterstützungsleistungen, welche Nahestehende erbringen, müssen zur Verfügung gestellt werden (Darley et al., 2021; Northouse et al., 2012). Pflegefachpersonen können Nahestehende coachen, damit sie zu sich Sorge tragen und Krebsbetroffene auch über einen längeren Zeitraum begleiten können (Fischer & Seibaek, 2021). Strukturierte Edukation und Förderung des Selbstmanagements von unterstützenden Nahestehenden und von Krebsbetroffenen kann deren Belastungen reduzieren (Li et al., 2024) und die Lebensqualität verbessern (Keller, 2024). Der Einbezug von Nahestehenden muss immer mit dem Einverständnis der krebsbetroffenen Person erfolgen (Stiefel et al., 2024). Edukationsgespräche mit einem Coaching-Ansatz fördern die Selbstwirksamkeit und das Selbstmanagement der Personen (Bana et al., 2020). Die wahrgenommene Selbstwirksamkeit (ich bin überzeugt, dass ich es kann) beeinflusst das Verhalten zum Selbstmanagement (das tatsächliche Umsetzen des geplanten Verhaltens). Es ist eine pflegerische Aufgabe, Krebsbetroffene und deren unterstützende Nahestehende beim Selbstmanagement zu unterstützen und ihnen beizustehen (Bana & Jahn, 2024). Die Broschüre «Ich begleite eine an Krebs erkrankte Person» der Krebsliga Schweiz kann als ergänzendes Hilfsmittel auf der Webseite der Krebsliga heruntergeladen werden.

Schlussfolgerungen

Nahestehende Personen von Krebsbetroffenen leisten ohne Entgelt viel Unterstützungsarbeit über lange Zeitperioden. Sie erleben dabei Belastungen, welche ihre Gesundheit gefährden können. In diesen Situationen müssen sie unterstützt werden. Eine standardisierte Erfassung mit Hilfe vom TASK-Schema erlaubt bei Bedarf ein frühzeitiges Einschalten von professioneller Unterstützung. Weiter sind die zwei Flyer für unterstützende Nahestehende vom Symptom Navi Programm ein geeignetes Hilfsmittel für das Selbstmanagement von unterstützenden Nahestehenden.

Marika Bana, PhD RN MAS Onkologische Pflege 1
Monika Heger, MScN (cand) 2
Ursula Gehbauer Tichler, Dr. phil 3

1 assoziierte Professorin Fachhochschule Gesundheit Freiburg, HES-SO, marika.bana@hefr.ch
2 MAS Onkologische Pflege, Pflegeexpertin Medizinbereich Tumor, Inselspital Bern, monika.heger@insel.ch
3 Geschäftsführerin Schweizerischer Verein zur Förderung des Selbstmanagements, ursula.gehbauer@symptomnavi.ch

Kontakt bei Fragen zum Symptom Navi Programm und Flyer:  marika.bana@hefr.ch

Dies ist eine Zweitpublikation. Die Originalversion wurde in der Fachzeitschrift Onkologiepflege Ausgabe 01/2025 publiziert.

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  • Ausgabe 5
  • Oktober 2025