- Neue Therapieansätze für Gliome mit IDH1/2 Mutation
Am Media Round Table von SERVIER (Suisse) S.A. gab Prof. Dr. Michael Weller vom Universitätsspital Zürich einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen bei diffusen Gliomen niedrigen Grades. Im Fokus standen die molekulare Klassifikation, neue Erkenntnisse zur Tumorbiologie – insbesondere bei IDH-mutierten Gliomen – sowie die Rolle innovativer zielgerichteter Therapien wie Vorasidenib im Kontext der INDIGO-Studie.
Aktuelles zu «Low-Grade»- Gliomen: von der Epidemiologie über die Diagnostik bis hin zu neuen Erkenntnissen

«Diffuse Gliome des adulten Typs sind die häufigste Form von primären Hirntumoren. 7.4 % (0.29 pro 100 000) sind Oligodendrogliome und 11.2 % (0.44 pro 100 000) sind Astrozytome. Etwa 18.6 % der diffusen Gliome weisen eine IDH-Mutation auf. Pro Jahr werden 60 bis 70 mIDH-Gliome neu diagnostiziert», so der Referent.
Die molekulare Klassifikation von Gliomen bei Erwachsenen unterscheidet gemäss den Leitlinien der European Association of Neuro-Oncology (EANO) Oligodendrogliom, IDH-mutiert und 1p/19q-Ko-Deletion, Astrozytom, IDH-mutiert, WHO-Grad 2 oder 3, Astrozytom, IDH-mutiert, WHO-Grad 4, Glioblastom, IDH-Wildtyp, WHO-Grad 4, H3-G34-mutiertes diffuses hemisphärisches Gliom, WHO-Grad 4 sowie diffuses Mittellinien-Gliom H3K27M-mutiert, WHO-Grad 4.
Mechanismus der Onkogenese bei mIDH-Gliomen
IDH1 und IDH2 sind homodimere Enzyme, die die Umwandlung von Isocitrat in α-Ketoglutarat (α-KG) katalysieren und dabei reduziertes NADPH aus NADP+ produzieren. Mutationen in den entsprechenden Genen wurden bei einer Vielzahl von Krebsarten beim Menschen gefunden, am häufigsten bei Gliomen, akuter myeloischer Leukämie (AML), Chondrosarkomen und intrahepatischen Cholangiokarzinomen. Das mutierte Protein verliert seine normale enzymatische Aktivität, erhält jedoch die Fähigkeit, das mIDH-Onkoprotein zu produzieren. Dadurch wird der Spiegel von Ketoglutarat vermindert und 2-HG (2-Hydroxyglutarat) angereichert. 2-HG hemmt eine Vielzahl von α-Ketoglutarat-abhängigen Dioxygenasen. Es kommt zu einer epigenetischen Fehlregulation, Blockierung der zellulären Differenzierung und pathologischen Selbsterneuerung stammzellartiger Vorläuferzellen. Dies führt zu einer gestörten Reparatur von ss- und ds-DNA. Darüber hinaus kommt es zur Hochregulation des PI3K/mTOR-Signalwegs. 2-HG trägt zur immunsuppressiven Mikroumgebung von Gliomen bei.
Die Patienten sehen sich zahlreichen Symptomen gegenüber, die ihre Lebensqualität und die ihrer Angehörigen beeinträchtigen
Dazu gehören Kopfschmerzen, Sehstörungen, kognitive Dysfunktionen (Persönlichkeitsveränderungen, Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses), epileptische Anfälle, sensorische Störungen, Schwäche, Dysphasie, räumliche Wahrnehmungsstörungen und Müdigkeit. Die Komplexität des Krankheitsverlaufs, der Symptome und der Behandlungen wirkt sich emotional auf die Patienten, ihre Betreuungspersonen und ihre Familien aus.
Ein typischer Krankheitsverlauf beginnt damit, dass sich der Patient mit Symptomen vorstellt oder ein Zufallsbefund erfolgt. Es folgt eine MRT, bei der inoperable Patienten, Patienten, bei denen nur eine minimalinvasive Biopsie möglich ist, und Patienten, bei denen eine Operation (Resektion + Biopsie) möglich ist, unterschieden werden. Nach der molekularen Testung und der Histologie erfolgt eine postoperative Risikobewertung und die Entscheidung über die Therapie. Es wird zwischen «Watch and Wait» und RT + CT mit Überwachung und Nachsorge entschieden. Falls es zur Progression kommt, besteht die Therapiewahl zwischen einer zweiten Operation, RT + CT, einer klinischen Studie, einer zielgerichteten Therapie oder einer palliativen Versorgung.
Vorasidenib ist ein oraler Inhibitor der mutierten IDH1- und IDH2-Enzyme
Vorasidenib wurde speziell für eine gute Gängigkeit ins Gehirn entwickelt. Es reduzierte den 2-HG-Spiegel im Tumor um über 90 % bei einem resezierten, nicht kontrastmittelanreichernden diffusen Gliom Grad 2/3.Die Reduktion des 2-HG-Spiegels war mit einer niedrigeren Tumorzellproliferation, der Umkehr der mit IDH1/2-Mutationen assoziierten Genexpressionsprogramme, einem erhöhten Level an 5-Hydroxy-Methylcytosin in der DNA und einer Zunahme der tumorinfiltrierenden Lymphozyten assoziiert.
INDIGO (INvestigating vorasiDenIb in GliOma)
INDIGO war eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie, die ein Crossover nach Krankheitsprogression ermöglichte. Die Studienpopulation war ≥ 12 Jahre alt und wies ein IDH1/2-mutiertes Grad-2-Oligodendrogliom oder Astrozytom gemäss WHO-Klassifikation 2016 auf. Die Patienten waren lediglich durch eine Operation vorbehandelt. Sie wurden im 28-Tage-Zyklus oral mit 40 mg/Tag Vorasidenib (N = 158) oder Placebo (N = 163) behandelt. Das Entblinden und Crossover (n = 331) wurde durch eine zentral bestätigte radiografische Krankheitsprogression ermöglicht.
Der primäre Endpunkt war das PFS: die Zeit von der Randomisierung bis zur ersten bildgebend nachgewiesenen Krankheitsprogression (beurteilt durch das BIRC) oder der Tod aufgrund jeglicher Ursache.
Ein wichtiger sekundärer Endpunkt war die TTNI (Time to Next Intervention). Dies ist die Zeit von der Randomisierung bis zum Beginn der ersten nachfolgenden Krebstherapie oder Tod aufgrund jeglicher Ursache.
Das Resultat für den primären Endpunkt (PFS) ist in der Abb. 1 dargestellt (Mellinghoff IK, et al., N Engl J Med. 2023; 389: 589–601). Die Behandlung mit Vorasidenib hatte keinen Einfluss auf die HRQoL (FACT-Br-Bewertung), und die Neurokognition blieb erhalten. Explorative Analysen bei Patienten mit ≥ 1 Anfall in der Baseline- und Behandlungsphase ergaben für Placebo: 4 Anfälle pro Monat, für Vorasidenib: 1.5 Anfälle pro Monat.
Vorasidenib hat ein günstiges Sicherheitsprofil
Eine Behandlungsunterbrechung aufgrund therapiebedingter Nebenwirkungen (TEAE) war unter Vorasidenib in 29.9 % (n = 50) der Fälle erforderlich, unter Placebo in 22.7 % (n = 37).
Eine Dosisreduktion aufgrund von TEAEs erfolgte unter Vorasidenib bei 10.8 % (n = 18) der Patienten, unter Placebo bei 3.1 % (n = 5). Ein Behandlungsabbruch aufgrund von TEAEs musste unter Vorasidenib bei 3.6 % (n = 6) der Patienten vorgenommen werden, unter Placebo bei 1.2 % (n = 2). Es gab keine tödlichen TEAEs.
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