Fortbildung

Orale Tumortherapie: Patientensicherheit, Adhärenz und Qualitätssicherung

Orale Tumortherapien sind nicht neu. Bereits Ende der 1940er- und Anfang der 1950er- Jahre kamen Antifolate, Thiopurine, sowie alkylierende Substanzen in oraler Form zum Einsatz und Tamoxifen seit den 1960er-Jahren (1). Jedoch steigt weltweit die Zahl der zugelassenen oralen Tumortherapien erheblich. In der Schweiz sind derzeit weit über 100 solcher Medikamente, einschliesslich Generika, zugelassen. Diese Entwicklung hat zu einem Wandel der Behandlungsparadigmen geführt: von der meist parenteralen Verabreichung der Medikamente in Spitälern und Ambulatorien hin zur Selbstverabreichung der Tumortherapien durch die Patientinnen und Patienten zu Hause oder im Pflegezentrum. Die Wirksamkeit, Sicherheit und Adhärenz oraler Tumortherapien hängen wesentlich davon ab, wie gut Patienten ihre Therapie verstehen und wie gut sie z. B. mit unerwünschten Wirkungen umgehen können, sowie von ihrer Fähigkeit, die Therapie selbst zu verabreichen.



Oral tumor therapies are not new. Antifolates, thiopurines, and alkylating agents in oral form were already in use in the late 1940s and early 1950s, and tamoxifen has been in use since the 1960s (1). However, the number of approved oral tumor therapies is increasing significantly worldwide. In Switzerland, well over 100 such drugs, including generics, are currently approved. This development has led to a shift in the treatment paradigm, from the mostly parenteral administration of drugs in hospitals and outpatient clinics to self-administration of tumor therapies by patients at home or in care centers. The efficacy, safety and adherence of oral tumor therapy can be significantly influenced by patients’ understanding of the therapy, how well they can manage e.g. side effects, and their ability to administer it themselves.
Keywords: orale Tumortherapie, Adhärenz, Sicherheit, Selfmanagement, Verein Orale Tumortherapie

Einleitung

Peroral eingenommene Medikamente mit zytotoxischen, antihormonellen, immunmodulierenden und zielgerichteten Wirkmechanismen sind heute wichtige Bestandteile in der Therapie diverser Tumorkrankheiten.

Seit Jahren wird mangelnde Adhärenz von Patientinnen und Patienten in wissenschaftlichen Arbeiten als wesentliches Sicherheitsproblem bei oralen Tumortherapeutika erkannt.

Für eine optimale Adhärenz zum Behandlungsplan benötigen die Patientinnen und Patienten ausreichend Informationen zu den Präparaten u.a. bezüglich Galenik, Einnahmemodus sowie erwünschten und unerwünschten Wirkungen. Oftmals sind auch Angehörige und ambulante Pflegefachpersonen in die Betreuung involviert. Sie benötigen ebenfalls sehr gute, verständliche Informationen und Kenntnisse rund um die Anwendung der oralen Tumortherapeutika (2).

Folgendes ist bekannt

Faktoren, welche die Therapie-Adhärenz beeinflussen können:
• Falsche Vorstellungen der Patientinnen und Patienten über die orale Tumortherapie.
• Motivation der Patientin/des Patienten zur Durchführung der Therapie.
• Ängste und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Behandlung.
• Komplexe Dosierungsschemata, insbesondere in Bezug auf den Zeitpunkt der Dosis und zur Nahrungsaufnahme.
• «Polypharmazie» und Komorbiditäten (mögliche Inkompatibilitäten).
• Auftreten von unerwünschten Wirkungen.
• Sozioökonomische Faktoren inkl. einer zunehmenden älteren Bevölkerung.
• Gesundheitskompetenz (z.B. Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen von Packungsbeilagen).
• Erhöhte Eigenverantwortung bei häuslicher Pflege oder in
Pflegeeinrichtungen.
• Hohe Preise der Medikamente (z.B. weggeworfene Medikamente, keine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung).

Mögliche Folgen einer unzureichenden Adhärenz

• Geringere Wirksamkeit der Therapie.
• Verkürzte Überlebenszeit; Fortschreiten der Krankheit.
• Verstärkte und/oder zunehmende unerwünschte Wirkungen und Toxizitäten.
• Häufigere Besuche in der Notaufnahme und Spitaleinweisungen.
• Beeinträchtigte Kommunikation mit dem Behandlungsteam
• Reduzierte Lebensqualität.

PROJEKT: Verein Orale Tumortherapie

Zielsetzung des Vereins Orale Tumortherapie

Bereits 2010 wurde die Projektgruppe «Adhärenz und Sicherheit bei Oraler Tumortherapie» lanciert. Im Jahr 2022 wurde ein unabhängiger, multidisziplinärer Verein gegründet, für den die Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO) und die Onkologiepflege Schweiz (OPS) das Patronat übernommen haben.

Die Hauptziele des Vereins sind:
• Förderung und Verbesserung der Adhärenz bei der Einnahme oraler Tumormedikamente.
• Förderung gemeinsamer Entscheidungsfindung.
• Erhöhung der Sicherheit und Verträglichkeit bei der Einnahme von oralen Tumormedikamenten (Management der unerwünschten Wirkungen).
• Verbesserung der individuellen Information und Beratung der Patientinnen und Patienten.
• Entwicklung der Selbstmanagementfähigkeiten der Patientinnen und Patienten.

Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Erstellung von Patienten-Informationsblättern. Angesichts der oft begrenzten Zeit, die Behandlungsteams für Gespräche mit den Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht, sind leicht/klar verständliche Informationen zu den verordneten Medikamenten ein wichtiges Instrument/Hilfsmittel, um das Verständnis zu fördern.

Es ist bekannt, dass viele Patientinnen und Patienten und deren Betreuende die Beipackzettel nicht oder nur unzureichend lesen. Die häufigsten Schwierigkeiten liegen im Nichtverstehen des medizinischen Fachjargons, der Liste möglicher unerwünschter Wirkungen sowie der kleinen Schriftgrösse der Packungsbeilagen.

Durch die Merkblätter können die Patientinnen und Patienten orale Tumortherapeutika gemäss Verordnung korrekt und sicher einnehmen und unterscheiden, welche unerwünschte Wirkungen sie selbst korrekt behandeln können und welche der Aufmerksamkeit des Behandlungsteams bedürfen.

Polypharmazie ist ein bekanntes Problem. Durch das Beifügen eines Fotos des Medikaments und der Packung kann der Patient die Tumortherapie erkennen und von seinen anderen Medikamenten unterscheiden. Die Merkblätter dienen als Ergänzung und nicht als Ersatz für die Patienteninformationen in den Packungsbeilagen.

Medikamenten-Merkblätter

Über 100 Merkblätter mit Informationen zu den in der Schweiz verfügbaren oralen Tumortherapeutika sind auf der Website (www.oraletumortherapie.ch; www.anticancereuxoraux.ch; www.terapieoraliinoncologia.ch) in deutscher, französischer und italienischer Sprache kostenlos verfügbar.
Die gedruckte Information besteht aus einer zweiseitigen A4-Seite mit einem Bild des verschriebenen Medikaments.
Diese Merkblätter zum Ausdrucken können im persönlichen Beratungsgespräch bei der Medikamentenabgabe, ob in der Klinik, Praxis oder Apotheke, an die Patientinnen oder den Patienten und betreuende Personen ausgehändigt werden, um die Adhärenz und Sicherheit bei der Einnahme der entsprechenden oralen Tumortherapie gezielt zu fördern. (Beispiel eines Merkblatts, siehe Abb. 1).

Gegenwärtiges Projekt – Durchführung einer Nutzerumfrage

Zu Beginn des Projekts im Jahr 2012 wurde eine Patientenbefragung durchgeführt, um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten, die die Merkblätter nutzen, besser zu verstehen.

Um den Stellenwert der Merkblätter nach Ansicht der Patientinnen und Patienten nochmals zu untersuchen, wird dieses Jahr eine zweite Qualitätssicherungsstudie in Zusammenarbeit mit Prof. David Schwappach, Universität Bern, Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) durchgeführt. Patientinnen und Patienten mit einer oralen Tumortherapie werden befragt. Diese Umfrage soll helfen, die Medikamenten-Merkblätter inhaltlich, sprachlich und visuell zu optimieren.

Copyright
Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Mark Haefner

Verein Orale Tumortherapie
Speerstrasse 22
8038 Zürich

info@oraletumortherapie.ch

Anita Margulies, BSN

Fachexpertin Onkologiepflege
Verein Orale Tumortherapie
Speerstrasse 22
8038 Zürich

Die Autorenschaft hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

  • Um eine optimale Adhärenz und Sicherheit der Therapien zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass die Patientinnen und Patienten die Informationen über die Tumortherapie verstehen.
  • Ein erstes Informationsgespräch mit dem Onkologen/der Onkologin sowie der Pflegefachperson oder der Apothekerin/dem Apotheker unterstützt das Verständnis der Inhalte des Medikamenten-Merkblattes.
  • Die Merkblätter sind in leicht verständlicher Sprache verfasst und enthalten die wichtigsten Informationen für das Selbstmanagement.
  • Bei allfälliger Polypharmazie lässt sich das orale Tumortherapeutikum leicht anhand des Bildes auf dem Merkblatt identifizieren.
  • Für medizinisches Fachpersonal sind die Merkblätter kostenlos und unkompliziert abrufbar.
  • Um den Stellenwert der Merkblätter aus Sicht der Patientinnen und Patienten zu überprüfen, wird derzeit eine Nutzerumfrage durchgeführt.

1. DeVita VT et al. A History of Cancer Chemotherapy. Cancer Res 2008; 68: (21). November 1, 2008.
2. Stäuble C et al. Apothekerinnen und Apotheker können die Adhärenz und Sicherheit gezielt fördern. pharmaJournal 12.2024; 12-13.

Zum weiterlesen (Auswahl – 2022-2025)
– Di Nitto, M et al. Self-care behaviors in patients with cancer treated with oral anticancer agents: a systematic review. Supportive Care in Cancer 2022; Vol. 30, , 8465–8483
– Waseem H et al. Interventions to Support Adherence to Oral Anticancer Medications: Systematic Review and Meta-Analysis. Onocology Nursing Forum 2022; July Vol. 49, NO. 4
– McGrady M et al. Barriers to medication adherence among adolescents and young adults with cancer. Pediatr Blood Cancer 2023 March; 70(3): e30186.
– Masiero M et al. Adherence to oral anticancer treatments: network and sentiment analysis exploring perceived internal and external determinants in patients with metastatic breast cancer. Supportive Care in Cancer 2024; 32:458.
– Hester A et al. What are the needs in oral antitumor therapy? An analysis of patients’ and practitioners’ preferences. Front. Oncol. 2024; 14:1388087.
– Cuba L et al. Implications for medication safety and adherence in dermato-oncology: The AMBORA care program for oral antitumor therapeutics. J Dtsch Dermatol Ges 2025; Jul 17. doi: 10.1111/ddg.15809.
– Chen Y et al. „These Drugs Are Going to Save Our Lives“ A Mixed Methods Study on the Role of Medication Perceptions in Adherence to Oral Anticancer Agents Among Patients With Gastrointestinal Tract Cancer. Psychooncology 2025; Jul;34(7):e70213.
– Angus F et al. The effect of healthcare professional‑implemented interventionson adherence to oral targeted therapy in patients with cancer: a systematic review and meta‑analysis. Supportive Care in Cancer 2025; 33:110.