- Geschlechterspezifische Medizin – ein Grundpfeiler der personalisierten Behandlung
In der Rhythmologie sind Unterschiede zwischen Männern und Frauen zahlreich beschrieben: So sind beispielsweise bei Frauen alle Überleitungszeiten kürzer als bei Männern, mit Ausnahme der ventrikulären Repolarisation (QT-Intervall), die bei Frauen länger dauert. Dies macht sie anfälliger für Nebenwirkungen von QT-verlängernden Medikamenten und erhöht für sie das damit einhergehende Arrhythmierisiko (2). Zudem weiss man, dass das Triggern einer supraventrikulären Tachykardie bei Frauen von Hormonen beeinflusst wird. So erhöht sich das Risiko beispielsweise je nach Phase im Menstruationszyklus sowie abhängig davon, ob die Frau prä- oder postmenopausal ist (3). Aber auch über die supraventrikulären Tachykardien hinaus gibt es spannende, mitunter auch klinisch relevante Unterschiede: So führen Testosteroneffekte sowie eine unterschiedliche Ausprägung bestimmter kardialer Ionenkanäle bei Männern zu deutlich mehr plötzlichen Herztoden beim Brugada-Syndrom als bei Frauen (4). Diese Beispiele beziehen sich alle auf das biologische Geschlecht und somit auf sex, Unterschiede in Bezug auf gender existieren jedoch ebenfalls: Diese sind bekanntlich dafür verantwortlich, dass Frauen in der Kardiologie grundsätzlich später diagnostiziert werden und im Vergleich zu Männern weniger Zugang zu invasiven Therapien erhalten (5).
Derartige Geschlechterunterschiede werden in der Gendermedizin aktuell breit erforscht, und zwar weit über die Rhythmologie und Kardiologie hinaus (6). Aktuelle Herausforderungen für die Disziplin bestehen noch in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in gewissen medizinischen Kreisen, die die Gendermedizin für ein vorübergehendes Phänomen halten. Besonders die ältere Generation von Ärztinnen und Ärzten ist teilweise kritisch gestimmt – und das nicht zu Unrecht: In den Jahrzehnten nach der Frauengesundheitsbewegung der 1960er-Jahre wurde breit propagiert, dass Frauen und Männer gleichgestellt und gleichbehandelt werden sollten. Nun folgt eine Disziplin, die eine Ungleichbehandlung propagiert und sie sogar als notwendig für den medizinischen Fortschritt unterstreicht. Hinzu kommt, dass in der Öffentlichkeit Gendermedizin häufig fälschlicherweise mit Frauenmedizin gleichgesetzt wird. Dies ist auf den Ursprung der Disziplin zurückzuführen und mitverantwortlich dafür, dass sich aktuell mehrheitlich Frauen für das Gebiet starkmachen. Wie wir am oben genannten Beispiel mit dem Brugada-Syndrom sowie im Artikel von Quironi et al. gesehen haben, beziehen sich die bekannten Unterschiede jedoch merklich auf alle Geschlechter.
Die durch die geschlechterspezifische Medizin gewonnene Perspektive ermöglicht eine präzisere, individuellere Medizin und birgt das Potenzial, das Verständnis von Krankheiten künftig auf vielfältige Weise positiv zu verändern.
Inselspital, Universitätsspital Bern
Universitätsklinik für Kardiologie
Freiburgstrasse 20
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ruben.fuentes@insel.ch
Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. Regitz-Zagrosek V. Gendermedizin in der klinischen Praxis: Für Innere Medizin und Neurologie. Berlin, Heidelberg: Springer, 2023.
2. Gowd BMP, Thompson PD. Effect of Female Sex on Cardiac Arrhythmias. Cardiology in Review 2012;20:297.
3. Ehdaie A, Cingolani E, Shehata M et al. Sex Differences in Cardiac Arrhythmias. Circulation: Arrhythmia and Electrophysiology 2018;11:e005680.
4. Shimizu W, Matsuo K, Kokubo Y et al. Sex Hormone and Gender Difference—Role of Testosterone on Male Predominance in Brugada Syndrome. Journal of Cardiovascular Electrophysiology 2007;18:415–21.
5. Bogaev RC. Gender Disparities Across the Spectrum of Advanced Cardiac Therapies: Real or Imagined? Curr Cardiol Rep 2016;18:108.
6. Baggio G, Corsini A, Floreani A et al. Gender medicine: a task for the third millennium. Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (CCLM) 2013;51:713–27.
PRAXIS
- Vol. 114
- Ausgabe 6
- Juni 2025