- Müdigkeit, Leistungsdefizit und Schnarchen als frühe Symptome einer systemischen Erkrankung
Anamnese
Ein 68-jähriger Patient klagte über seit zwei Wochen bestehende allgemeine Müdigkeit und Schwäche, die seine Alltagsaktivitäten beeinträchtigten. Zusätzlich berichtete er von einer verminderten Schlafqualität, die durch Schnarchen und nächtliches Erwachen geprägt war. Vor einem Monat hatte er eine Infektion der oberen Atemwege durchgemacht, die symptomatisch abgeklungen war. Zudem wurde wenige Wochen zuvor eine kurative Operation aufgrund eines Prostatakarzinoms durchgeführt. Weitere Beschwerden wie B-Symptomatik, Dyspnoe oder Angina pectoris wurden verneint. Eine Vormedikation lag nicht vor.
Befunde mit Status und Labordiagnostik
Die körperliche Untersuchung zeigte stabile Vitalparameter und einen unauffälligen klinischen Status. Das Blutbild sowie die Nieren-, Leber- und Schilddrüsenwerte lagen im Normbereich. Mangelzustände wie ein Vitamin-B12- oder Eisenmangel liessen sich nicht nachweisen. Die zur Beurteilung chronisch entzündlicher Prozesse durchgeführte Serumeiweisselektrophorese zeigte keine entsprechenden Hinweise. Der Laktat-Dehydrogenase-Wert (LDH) war unauffällig und zeigte als unspezifischer Marker keine Hinweise auf einen systemischen Krankheitsprozess. Zudem war das prostataspezifische Antigen nicht erhöht, wodurch ein Tumorrezidiv unwahrscheinlich erschien.
Kurze Anamnese mit Betonung des jetzigen Leidens
Der Patient berichtete über eine seit zwei Wochen bestehende körperliche Schwäche und Müdigkeit. Zudem klagte er über eine schlechte Schlafqualität mit häufigem nächtlichem Erwachen.
Differenzialdiagnostische Überlegungen
Das Leitsymptom war eine seit zwei Wochen bestehende allgemeine Müdigkeit und Schwäche, begleitet von einer gestörten Schlafqualität mit häufigem nächtlichem Erwachen und Schnarchen. Wir stellten folgende differenzialdiagnostischen Überlegungen (Tab. 1) an:
– Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom (OSAS)
– Prolongierte Infektkonstellation
– Postoperatives Fatigue-Syndrom
– Hypogonadismus – möglicher Testosteronmangel nach radikaler Prostatektomie
– Depressive Grundverstimmung nach Tumordiagnose
Weitere Abklärungsschritte und Verlauf
Erste klinische Verlaufskontrolle: Zum Zeitpunkt der Untersuchung zeigte sich die Symptomatik unverändert. Die Screeninguntersuchung auf eine schlafbezogene Atemstörung wies auf ein OSAS hin, weshalb eine fachärztliche Abklärung einschliesslich Schlaflabordiagnostik veranlasst wurde. Zwei Monate später stellte sich der Patient notfallmässig mit neu aufgetretener Dyspnoe vor. Die sofortige Diagnostik zeigte nun ein erhöhtes D-Dimer (802 ng/ml, Referenzwert: 0–500 ng/ml) und NT-proBNP (2302 ng/l, Referenzwert: 0–300 ng/l), während der high sensitive Troponinwert negativ blieb (Referenzwert: < 0.01 ng/ml). Dies deutete auf eine kardiale Belastung hin, während der negative Troponinwert gegen eine akute myokardiale Ischämie sprach. Eine Computertomographie (CT) des Thorax zeigte keine Hinweise auf eine Lungenembolie, dokumentierte jedoch bronchiolitische Veränderungen. Die erhöhte NT-proBNP-Konzentration deutete auf eine mögliche Herzinsuffizienz hin. Die Echokardiographie zeigte eine normale linksventrikuläre Funktion (65 %), eine diastolische Dysfunktion mit leichter Erhöhung des rechtsventrikulären systolischen Druckes (RVSP 44 mmHg, Referenzwert: 15–30 mmHg). Es fanden sich keine Klappenvitien oder Auffälligkeiten im Elektrokardiogramm (EKG). Es wurde eine Therapie mit einem Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer (ACE-Hemmer) und Schleifendiuretikum eingeleitet. Zur Klärung der Ätiologie der Herzinsuffizienz wurde eine kardiale Bildgebung veranlasst. Parallel dazu erfolgte eine pneumologische Untersuchung zur Abklärung der bronchiolitischen Veränderungen.
Kardiale Bildgebung
Zur weiteren Einordnung der Herzinsuffizienz zeigte die Kardio-MRT (Magnetresonanztomographie) Fibrosen und erhöhte T1-Mapping-Zeiten, was den Verdacht auf eine Amyloidose nahelegte. Auf Grundlage dieses Befundes wurden weiterführende Untersuchungen zur Abklärung einer Transthyretin-assoziierten Amyloidose (ATTR-Amyloidose) eingeleitet, da diese die häufigste Form der Amyloidose mit kardialer Beteiligung ist. Im pneumologischen Untersuchungsbefund zeigte sich als Nebenbefund eine leicht eingeschränkte Diffusionskapazität, die am ehesten im Zusammenhang mit der kardialen Dekompensation stand und keine Hinweise auf eine primär pneumologische Erkrankung lieferte. Die kardiologische Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) wurde durchgeführt, um potenzielle Anreicherungen von Tracern im Myokard zu identifizieren. Die Untersuchung zeigte jedoch nur diskrete Tracer-Akkumulationen, was eine ATTR-Amyloidose als Grunderkrankung weniger wahrscheinlich machte. Ein Perugini-Score von eins, der unter anderem zur Differenzierung der Amyloidoseformen verwendet wird, stützte diese Annahme (Abb. 1).
Im Rahmen der Differenzialdiagnose kardialer Speicherkrankheiten wurde nun die Amyloid-Leichtketten-Amyloidose (AL-Amyloidose) als naheliegendste Diagnose in Betracht gezogen. Die Serumeiweisselektrophorese mit Immunfixation zeigte laut labormedizinischer Beurteilung zunächst keine Hinweise auf eine monoklonale Erkrankung (Tab. 2).
Trotz unauffälligen Analysekommentars wies die Immunelektrophorese auffällige Veränderungen auf, die im klinischen Kontext verdächtig erschienen, sodass umgehend eine hämatoonkologische Abklärung erfolgte. Eine spätere wiederholte Immunelektrophorese bestätigte schliesslich das Vorliegen einer Non-IgM monoklonalen Gammopathie vom Typ IgG Lambda mit einem Wert von 4.8 g/l (Referenzbereich: 7–16 g/l) (Tab. 3).
Die nachfolgende Abklärung beinhaltete die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum und Urin. Es wurde eine Erhöhung der freien Leichtkette Lambda auf 299.0 mg/l (Referenz: 5.7–26.3 mg/l) festgestellt, während der Kappa-/Lambda-Quotient mit 0.02 (Referenz: 6–1.65) pathologisch war. Im Urin wurden Bence-Jones-Proteine des Typs Lambda nachgewiesen. Eine Positronen-Emissions- Tomographie (PET-CT) zeigte keine Hinweise auf einen lymphoproliferativen Prozess. Die Knochenmarkpunktion ergab ein Smouldering Plasmazelllymphom mit 30 % Infiltration. Die zytogenetische Analyse zeigte (6; 14) (p21; q32) del13q14, gain 4p16 ohne TP53/17p-Deletion, was auf ein Standardrisiko hindeutete.
Im weiteren Verlauf verschlechterte sich die Symptomatik zunehmend, begleitet von Gewichtsverlust, Diarrhöen, Hypotonien und Tachykardien bei Belastung. Das EKG zeigte eine Niedervoltage und verzögerte R-Progression. Kardiale Biomarker bestätigten eine fortschreitende Dekompensation (NT-proBNP 14.856 ng/l, Referenz: 0–300 ng/l). Positives Troponin deutete auf ein ischämisches Geschehen hin (Troponin 50 ng/l, Referenz: 0–30 ng/l), wobei invasive Verfahren keine behandlungsbedürftigen Befunde zeigten. Die Durchblutungsstörung wurde als Teil der Grunderkrankung eingeordnet.
Die hämatologischen Untersuchungen zeigten eine fortschreitende Anämie mit einem Hämoglobinwert von 10.4 g/dl (Referenz: 13–17.5 g/dl). Die Leukozyten- und Thrombozytenzahlen waren normal, die Nierenfunktion unverändert. Ein Anstieg der alkalischen Phosphatase und LDH wurde festgestellt. Es traten spontane Hauteinblutungen auf, möglicherweise durch Amyloidablagerungen in den Kapillaren oder einen Mangel an Faktor X, dessen Auftreten im fortgeschrittenen Stadium häufig ist (1) (Abb. 2 und Abb. 3).
Weiteres diagnostisches Vorgehen und Verlauf
Der Nachweis der freien Leichtketten, erforderlich für die onkologische Therapie, konnte mehrfach nicht erbracht werden. Die Bauchfettanalyse zeigte nur minimalen Amyloidnachweis, eine Typisierung war nicht möglich. Auch Knochenmark- und Hautbiopsien sowie Nachfärbungen der Gastro-/Koloskopiebiopsien von 2023 lieferten keinen spezifischen Nachweis von Amyloid. Diese Problematik verzögerte die Einleitung einer Therapie, welche auf Verdacht nicht möglich war und zu einem erheblichen Zeitverlust führte.
Diagnosestellung
16.09.2024: Der Patient wurde im weiteren Verlauf notfallmässig wegen des Verdachts auf eine perforierte Sigmadivertikulitis operiert. Während der laparoskopischen Exploration konnte ausgedehnt AL-Amyloid in der Bauchfettanalyse nachgewiesen werden, was zur Diagnose einer AL-Amyloidose im Rahmen des Smouldering Plasmazelllymphoms führte.
Zum Zeitpunkt der Diagnose war die Erkrankung weit fortgeschritten. Der postoperative Verlauf war komplikationsreich, und der Patient verstarb kurz darauf. Die geplante hämatoonkologische Therapie konnte nicht mehr eingeleitet werden.
Kommentar
Der Fall beschreibt den Verlauf eines 68-jährigen Patienten, der zunächst seit kurzem Zeitraum unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Schwäche und Schlafstörungen zeigte. Initial lagen laborchemisch, klinisch und anamnestisch keine Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung vor. Erst das Auftreten spezifischer Symptome wie Dyspnoe mehrere Wochen später führte zu weiterführenden Untersuchungen und schliesslich zur Diagnose einer Speichererkrankung. Zunächst wurde eine ATTR-Amyloidose vermutet, letztlich bestätigte sich jedoch eine AL-Amyloidose im Rahmen eines Smouldering Plasmazellmyeloms. Die verzögerte Diagnose der hämatoonkologischen Erkrankung und der späte Nachweis von Amyloid, der für die Therapieeinleitung erforderlich war, wirkten sich nachteilig auf die Prognose aus.
Die Abb. 4 veranschaulicht den Abklärungsprozess bei Verdacht auf Amyloidose. Eine Immunfixation bestimmt, ob die Diagnose einer AL- oder ATTR-Amyloidose weiter untersucht wird. Bei einem auffälligen Befund, der auf eine hämatoonkologische Erkrankung hindeutet, ist eine Gewebeprobe zum Nachweis von Amyloid erforderlich. Ein negativer Befund deutet auf eine ATTR-Amyloidose hin, deren Diagnose mittels Skelettszintigraphie erfolgt (2).
Der aggressive Verlauf einer AL-Amyloidose macht eine frühzeitige Diagnosestellung essenziell. Ein effektives Therapiekonzept besteht in der Kombination aus hoch dosiertem intravenösem Melphalan und autologer Stammzelltransplantation. Ziel ist eine zügige Reduktion der zirkulierenden Leichtkettenfragmente, um weitere Amyloidablagerungen zu verhindern (2, 3).
Limitationen:
Frühzeitige Berücksichtigung einer hämatoonkologischen Erkrankung
Die frühzeitige Erwägung einer hämatoonkologischen Erkrankung hätte eventuell trotz fehlender klinischer und laborchemischer Hinweise, der kurzen Beschwerdedauer und der breiten Differenzialdiagnosen möglicherweise eine schnellere Diagnose und dadurch verbesserte Prognose ermöglicht.
Verzögerung durch die konventionelle Eiweisselektrophorese
Die Diagnosestellung wurde durch den anfänglichen Einsatz der konventionellen Eiweisselektrophorese im Rahmen eines allgemeinen Screeningverfahrens verzögert, da kleine Paraproteine, die bei dieser Methode übersehen werden können, nicht identifiziert wurden. Eine frühzeitige Durchführung der Eiweisselektrophorese mit Immunfixation hätte potenziell eine schnellere Diagnose erlaubt.
Engmaschige klinische Überwachung und wiederholte Laborkontrolle
Eine engmaschigere klinische Überwachung, insbesondere bei älteren Patienten mit unklarer Diagnose, hätte möglicherweise eine frühere Erfassung von klinischen Symptomen und laborchemischen Veränderungen ermöglicht. Es wäre besser gewesen, die Immunelektrophorese – bei persistierender Symptomatik – zu einem früheren Zeitpunkt zu wiederholen.
Bildgebende Verfahren und Priorisierung der ATTR-Amyloidose
Die Priorisierung der ATTR-Amyloidose aufgrund ihrer höheren Prävalenz war nachvollziehbar, jedoch hätte eine parallele Untersuchung auf AL-Amyloidose eine frühere Diagnose der zugrunde liegenden hämatoonkologischen Erkrankung ermöglichen können.
Luzia Maria Gruber, Peter Kurz
Ärztezentrum Stäfa, Stäfa
Abkürzung
ACE-Hemmer Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer
AL-Amyloidose Amyloid-Leichtketten-Amyloidose
ATTR Transthyretin-Amyloidose
CT Computertomographie
EKG Elektrokardiogramm
IgG Immunglobulin G
LDH Laktatdehydrogenase
MRT Magnetresonanztomographie
NT-proBNP N-terminales pro B-type natriuretic peptide
OSAS Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
PET-CT Positronen-Emissions-Tomographie-Computertomographie
RVSP Rechtsventrikulärer systolischer Druck
SPECT Single-Photon-Emissions-Computertomographie
Historie
Manuskript eingegangen: 06.01.2025
Angenommen nach Revision: 18.03.2025
Ärztezentrum Stäfa
Häldelistrasse 9
8712 Stäfa
peter.kurz@aerztezentren.ch
Die Autorenschaft hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
• Daran denken: Es ist wichtig, bei unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit und allgemeiner Schwäche auch ohne eindeutige Befunde, fehlender «red flags» und Vorliegen plausibler Differenzialdiagnosen eine hämatoonkologische Erkrankung oder Amyloidose in Betracht
zu ziehen.
• In solchen Fällen sollte ein direktes Screening durch Immunfixationselektrophorese erfolgen, da die konventionelle Eiweisselektrophorese kleinere Paraproteine möglicherweise nicht erfasst. Bei weiterhin bestehendem Verdacht ist zusätzlich die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum und Urin notwendig (4, 5).
• Bei anhaltenden Beschwerden trotz unauffälliger Erstbefunde ist eine erneute Laborkontrolle wie die Wiederholung der Immunelektrophorese wichtig, um frühe pathologische Veränderungen zu erkennen.
• Die frühe Therapieeinleitung bei AL-Amyloidose ist entscheidend für den Therapieerfolg und erfolgt durch die Behandlung der Grunderkrankung.
1. Fotiou D, Tsiara A, Dimopoulos M, et al. Thrombotic and bleeding complications in patients with AL amyloidosis. Br J Haematol. 2024;204(5):1816-24. doi: 10.1111/bjh.19331.
2. Schwotzer R, Djerbi N, Vetter F. Neues zur Diagnostik und Therapie der AL-Amyloidose. Schweiz Z Onkol. 2022;2:6-12
3. Palladini G, Milani P, Merlini G. How I treat AL amyloidosis. Blood. 2021;139(19):2918-2929. doi:10.1182/blood.2020008737
4. Silva M, Figueiredo A, Santos I, et al. Light-chain multiple myeloma: A diagnostic challenge. Cureus. 2021;13(10):e19131. doi: 10.7759/cureus.19131.
5. Vaxman A, et al. When to suspect a diagnosis of amyloidosis. Acta Haematol. 2020;143(4):304-11. doi:10.1159/000506617
PRAXIS
- Vol. 114
- Ausgabe 6
- Juni 2025