Einführung

Schattenseiten des Sonnenvitamins



Vitamin D gilt seit Jahrzehnten als essenziell für die Gesundheit von Knochen, Muskeln und dem Immunsystem. Streng genommen ist es jedoch kein Vitamin, sondern eine Hormonvorstufe, die in der Haut aus 7-Dehydrocholesterol unter Einwirkung von UVB-Strahlung synthetisiert wird. In der Leber wird Vitamin D (Cholecalciferol, D3) zu Calcidiol (25[OH]D) umgewandelt, das in den Nieren weiter zu Calcitriol (1.25[OH]₂D) metabolisiert wird – der biologisch aktiven Form. Calcitriol wirkt als Hormon, indem es an Vitamin-D-Rezeptoren in verschiedenen Zellen bindet. Unter anderem fördert es die Aufnahme von Kalzium und Phosphat im Darm (1).

Ein Vitamin-D-Mangel ist weltweit verbreitet, insbesondere in Regionen mit wenig Sonnenlichteinwirkung, bei älteren Menschen oder bei Personen mit dunkler Hautfarbe. In der Schweiz zeigen Studien, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung, insbesondere in den Wintermonaten, niedrige Vitamin-D-Spiegel aufweist (2).

Die Schweizer Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 800 IE Vitamin D für Erwachsene, insbesondere für Personen mit erhöhtem Mangelrisiko. Eine Supplementation kann einerseits sinnvoll sein, wenn die natürliche Synthese durch Sonnenlicht nicht ausreicht – besonders in den Wintermonaten oder bei Risikogruppen wie älteren Menschen, Personen mit Osteoporose oder chronischen Erkrankungen.

Andererseits bergen hoch dosierte Vitamin-D-Supplementationen auch Risiken. In dem Artikel von Knechtle et al. in dieser Ausgabe verdeutlichen zwei eindrückliche Fallberichte die möglichen Folgen: Eine 39-jährige Patientin mit Multipler Sklerose und ihr Partner entwickelten eine Hyperkalzämie infolge langjähriger, extrem hoher Vitamin-D-Zufuhr. Während die Patientin schwer symptomatisch wurde und hospitalisiert werden musste, blieb ihr Partner weitgehend beschwerdefrei – trotz vergleichbar hoher Serumwerte. Die zugrunde liegenden Mechanismen dieser individuellen Unterschiede werden im Artikel ebenfalls diskutiert. Auffällig war in beiden Fällen ein supprimierter Parathormonspiegel sowie persistierend hohe 25(OH)D-Werte, die selbst Monate nach Absetzen der Supplementation nachweisbar blieben.

Besonders besorgniserregend ist, dass derartige Intoxikationen häufig durch Selbstmedikation entstehen – oft in der falschen Annahme, hohe Dosen seien besonders gesund («Mehr ist besser»). Einige alternativmedizinische und komplementärmedizinische Ansätze – darunter die orthomolekulare Medizin – empfehlen hoch dosierte Vitamin-D-Gaben, mit diffusen und nicht evidenzbasierten Versprechungen, dass dies diverse gesundheitliche Vorteile biete. Da über ein Viertel der Schweizer Bevölkerung komplementärmedizinische Methoden in Anspruch nimmt (3), hat dies eine erhebliche Relevanz, die uns vielleicht im klinischen Alltag nicht bewusst ist, da ohne direktes Nachfragen solche Supplementationen gar nicht angegeben werden. Eine gezielte ärztliche Anamnese und Aufklärung über potenzielle Risiken sind daher angezeigt.

Diese Fälle unterstreichen die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit Vitamin-D-Supplementation. Während ein Mangel nachweislich gesundheitliche Probleme verursachen kann, sollte eine unkontrollierte Hochdosistherapie unbedingt vermieden werden. Klare Leitlinien und eine evidenzbasierte Beratung sind entscheidend, um das Gleichgewicht zwischen Nutzen und Risiko zu wahren (4).

PD Dr. med. Judith Everts-Graber

FMH Rheumatologie & Allgemeine Innere Medizin
Leiterin Osteoimmunologie
Klinik für Rheumatologie und Immunologie
Inselspital Bern

ORCID: https://orcid.org/0000-0002-8792-8199

judith.everts@hin.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. F. Sassi, C. Tamone, and P. D’Amelio, Vitamin D: Nutrient, hormone, and immunomodulator, 2018. doi: 10.3390/nu10111656.
2. A. Religi et al., Estimation of exposure durations for vitamin D production and sunburn risk in Switzerland (Journal of Exposure Science & Environmental Epidemiology, (2019), 29, 6, (742-752), 10.1038/s41370-019-0137-2),” 2019. doi: 10.1038/s41370-019-0143-4.
3. Klein SD, Frei-Erb M, Wolf U. Usage of complementary medicine across Switzerland. Swiss Med Wkly [Internet]. 2012 Aug. 12 [cited 2025 Apr. 14];142(3334):w13666. Available from: https://smw.ch/index.php/smw/article/view/1570.
4. R. Bouillon, D. Manousaki, C. Rosen, K. Trajanoska, F. Rivadeneira, and J. B. Richards, The health effects of vitamin D supplementation: evidence from human studies, 2022. doi: 10.1038/s41574-021-00593-z.