Aus einer Mücke einen «Tiger» gemacht …

Die Sommerferien sind nun zu Ende. Viele Daheimgebliebene haben sich im eher kühlen und nassen Juli aus Protest gegen einen wärmenden Pulli eine Erkältung geholt. Andere kommen aus dem heissen Süden und erkranken zuweilen nach der Rückkehr. So ist es auch mir ergangen.

Meine Reise durch Sardinien war atemberaubend schön. Sonne, Wind und Meer mit perfekt klarem Wasser und unendlichen Stränden. Die sardische Küche ist einfach köstlich mit typischen Spezialitäten wie im Restaurant «Sa Domu Sarda Pula» mit «Culurgiones al Pomodoro» und «Seadas» zum Dessert, einer süss-salzigen Verführung aus Käse und Honig.

Aber eigentlich wollte ich Ihnen einen kulinarischen Reisebericht ersparen. Am letzten wunderbaren Abend im «Ortoristorante» in Santa Margherita di Pula, entdeckte ich SIE – (nach kühlendem «Vermentino» und abschliessendem «Mirto»).

DIE asiatische TIGERMÜCKE zwischen der Sprinkleranlage und meinem Wadenbein hin und her tigernd, bis mich das kleine Ding (im Sträflingsanzug) voll erwischt hat. Den Sonnenuntergang habe ich trotzdem genossen, abgesehen von Kratzeffekten am Unterschenkel überstand ich die Reise unbeschadet. Nach blumig-geschöntem Reisebericht an die Zurückgebliebenen freute ich mich wieder auf meinen Praxisalltag.

Getaktet mit ersten kurzweiligen Konsultationen von gebräunten Reiserückkehrern fragte mich eine langjährige Patientin, ob es mir wirklich gut gehe – was sich nach Ferien eher irritierend anhörte. Schnell setzten Schüttelfrost, hohes Fieber, massive Glieder- und Kopfschmerzen ein. Kurzerhand hat mich meine jüngste Praxisärztin mit der Bemerkung «Ich wollte schon immer mal eine Chikungunya diagnostizieren», nach Hause geschickt. In meinem Zustand dauerte es eine Weile, bis ich bei Google die etwas weit hergeholte Verdachtsdiagnose fehlerfrei eingeben konnte: Inkubationszeit und Klinik (entschuldigt liebe Rheumatiker/-innen: jetzt weiss ich, wie Arthritis sich anfühlt!), Chikungunya-Virus-IgG mit 1.9 (< 1.0) erhöht, Anti-SARS-CoV-2 IgG (Spike-Protein) 3338.5 BAU/ml (< 7.1), CRP 200; Thorax-Röntgen: Pneumonie rechts thorakal. Ja, was denn jetzt?

Kurzum: es geht mir heute wieder blendend, habe sogar eine Ausrede an die Redaktion, wieso mein Editorial so spät eingetroffen ist, und freue mich wieder gesund und leistungsfähig zu sein.

Was gelernt?
→ Auch Ärztinnen und Ärzte können erkranken
→ Erkrankte Reiserückkehrer nach Souvenirs fragen
→ Der Klimawandel bringt neue Gesundheitsrisiken mit sich
→ Flöhe und Läuse kann’s geben
→ Geriebener Pecorino mit frischem Basilikum eignet sich hervorragend zu Culurgiones al Pomodoro. Buon Appetito!

Link Tigermücken:
SRF News – Chikungunya-Virus in Europa aufgetaucht:
www.srf.ch/news/schweiz/uebertragung-durch-tigermuecke-chikungunya-virus-in-europa-aufgetaucht-ein-ueberblick

Dr. med.Manfred Wicki

Willisau

m.wicki@hin.ch

Journal Watch von unseren Experten

Modifiziertes Opioid verliert Suchtpotenzial

Der Ersatz eines Sauerstoffatoms im E-Ring der Morphin-Grundstruktur durch eine Methylengruppe soll zum Ausbleiben von Nebenwirkungen wie Atemdepression und Sucht bei gleichzeitiger Beibehaltung der schmerzstillenden Funktion führen. Dies stellen Dr. Sato Akijama und seine Forschungsgruppe von der University of California in Berkeley fest.

Morphin ist ein starker Agonist am µ-Opioidrezeptor (MOR) und ein potentes Analgetikum. Es zeigt jedoch mehrere Nebenwirkungen, darunter Atemdepression und Sucht.

Abkömmlinge von Morphin und verwandten schmerzlindernden Opioiden werden seit fast zwei Jahrhunderten untersucht. Allerdings konzentrieren sich die meisten Derivate auf Veränderungen in der Peripherie dieser Strukturen. Die Forscher um Dr. Akijama haben nun eine 15-stufige Synthese eines Morphin-Abkömmlings entwickelt, bei der ein Sauerstoffatom im E-Ring durch eine Methylengruppe (CH₂) ersetzt wurde. Dieser einzelne Austausch führte zu deutlichen Veränderungen im biologischen Profil der resultierenden Verbindung, einschliesslich einer verringerten Atemdepression und eines fehlenden Nachweises konditionierter Platzpräferenz bei Mäusen. Veränderungen am Kernatom des Opioidantagonisten Nalorphin zeigten ebenfalls Aktivitäten, die sich von denen der Elternverbindung unterscheiden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Abkömmlinge von Opioiden, die auf Modifikationen an Kernatomen beruhen, zu neuartigen Analgetika führen können, die möglicherweise vorteilhaftere Eigenschaften besitzen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Literatur
Akijama S et al. Total synthesis and biological activity of « carabamorphine » : O-to-CH2 replacement in the E-ring of the morphine core structure. PNAS 2025 ; 122 : e2425438122

Impfung als neue Form der kardiovaskulären Prävention: eine klinische Konsensuserklärung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie

Der nachfolgende hochaktuelle ESC-Artikel (1) ist für die kommende Herbst-/Wintersaison sehr lesenswert und sollte in der Hausarzt- und Facharztpraxis berücksichtigt und umgesetzt werden, um die Morbidität und Mortalität unserer vor allem älteren Patienten zu reduzieren. So kann z. B. eine Influenza-Impfung kardiovaskuläre Ereignisse wie einen akuten Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall verhindern und die Morbidität sowie Mortalität deutlich senken. Eine Prävention ist sowohl bei Patienten mit einer chronischen Erkrankung als auch bei Personen ≥ 65 Jahre zu empfehlen. Diese Massnahmen sind einfach, effizient und kosteneffektiv.

Impfungen werden daher zunehmend als wirksame Präventionsmassnahme nicht nur gegen bestimmte Infektionen, sondern auch zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Hochrisikopatienten anerkannt. Insbesondere gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen Influenza, SARS-CoV-2, das Respiratorische Synzytial-Virus, Herpes zoster, andere Virusinfektionen sowie gegen Pneumokokken die Häufigkeit schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse bei geimpften Personen deutlich reduzieren.

Diese klinische Konsensuserklärung untersucht die vorhandene Literatur und die gesammelten Erkenntnisse und bietet praktische klinische Empfehlungen zum Zeitpunkt der Impfung und zur Zielgruppe, wobei insbesondere komplexe klinische Szenarien mit Schwerpunkt auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen behandelt werden. Sie enthält Leitlinien für die Impfung gefährdeter Bevölkerungsgruppen wie immunsupprimierte Personen, Patienten mit angeborenen Herzfehlern und Schwangere sowie Informationen zur Sicherheit und zu möglichen Komplikationen des Verfahrens.

Dr. med. Urs Dürst

Literatur
Heidecker B. et al., Vaccination as a new form of cardiovascular prevention: a European Society of Cardiology clinical consensus statement, European Heart Journal (2025) 00, 1–14 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaf384

Résultats de l’étude RATIONALE 306

Le carcinome épidermoïde avancé ou métastatique de l’œsophage est associé à un pronostic défavorable. L’immunothérapie prend une importance croissante dans le traitement de première ligne de ce groupe de patients (1, 2).

L’étude RATIONALE-306 a examiné le bénéfice du tislelizumab, un inhibiteur de PD-1, en combinaison avec une chimiothérapie à base de sels de platine. Un avantage significatif en termes de survie a été observé pour le traitement de première ligne avec tislelizumab plus chimiothérapie par rapport au placebo plus chimiothérapie chez les patients atteints d’ESCC avancé, à la fois lors de l’analyse primaire (2) et après un suivi minimal de trois ans (3). Lors du suivi à trois ans, les résultats de la survie globale (OS) ont montré un HR stratifié de 0,70 pour l’ensemble des patients de la population ITT. Chez les patients ayant un score TAP PD-L1 tumoral ≥ 10 % ou ≥ 5 %, les HR étaient respectivement de 0,70 et 0,62 (3).

À l’occasion du congrès ESMO-GI 2025, le Prof. David Tougeron, de Poitiers (France), et ses collègues issus de 18 institutions internationales ont présenté les données de RATIONALE-306 dans le sous-groupe des patients avec un score TAP PD-L1 tumoral ≥ 5 %, comme retenu par l’Agence européenne des médicaments (EMA) pour l’autorisation (4).

RATIONALE-306 (NCT03783442) est une étude internationale de phase 3, randomisée et en double aveugle, portant sur l’évaluation de l’efficacité et de la sécurité du tislelizumab plus chimiothérapie par rapport au placebo plus chimiothérapie en tant que traitement de première ligne du carcinome épidermoïde œsophagien (ESCC) métastatique ou inopérable. Des patients atteints d’un ESCC localement avancé non résécable ou métastatique, sans traitement systémique préalable pour une maladie avancée, avec un score de performance ECOG 0 ou 1 et une maladie mesurable ou évaluable selon RECIST v1.1, ont été traités par tislelizumab 200 mg i.v. toutes les 3 semaines (Q3W) plus chimiothérapie (platine + fluoropyrimidine ou platine + paclitaxel dans un rapport 1:1) contre placebo i.v. Q3W plus chimiothérapie (platine + fluoropyrimidine ou platine + paclitaxel), en traitement d’entretien jusqu’à toxicité inacceptable ou progression de la maladie.

Le critère principal était la survie globale (OS) dans la population ITT. Les critères secondaires comprenaient l’OS dans le sous-groupe avec un score TAP PD-L1 ≥ 10 %, la survie sans progression (PFS), le taux de réponse objective (ORR), la durée de réponse (DoR), la qualité de vie liée à la santé (HRQoL) ainsi que la sécurité. L’analyse post hoc incluait l’analyse en sous-groupes des patients avec un score TAP PD-L1 tumoral ≥ 5 %.

Facteurs de stratification :
• Région géographique (Asie [hors Japon] vs Japon vs reste du monde)
• Traitement curatif antérieur (oui vs non)
• Chimiothérapie choisie par l’investigateur (platine + fluoropyrimidine)

Les patients ont été inclus dans l’étude indépendamment de leur expression du PD-L1 au moment du screening. Les échantillons ont été colorés avec le test VENTANA PD-L1 (SP263) (Roche) et l’expression a été évaluée selon le score TAP. À des fins exploratoires, les mêmes échantillons colorés ont été évalués par des pathologistes au laboratoire central selon le score CPS.

Disposition des patients et caractéristiques initiales

Parmi les 649 patients randomisés (tislelizumab plus chimiothérapie n = 326 ; placebo plus chimiothérapie n = 323), 358 (55,2 %) présentaient un score TAP PD-L1 tumoral ≥ 5 % (tislelizumab plus chimiothérapie n = 172 ; placebo plus chimiothérapie n = 186) (Tab. 1). Les caractéristiques de base des patients ayant un score TAP ≥ 5 % correspondaient à celles de la population ITT. À la date de coupure des données (22 août 2024), la durée minimale de suivi de l’étude était de 45,2 mois (plage : 0,4–63,6). Dans le bras tislelizumab plus chimiothérapie, 106 patients (61,6 %) ont reçu une thérapie systémique post-traitement, contre 126 (67,7 %) dans le bras placebo plus chimiothérapie. Parmi eux, 27 (25,5 %) contre 44 (34,9 %) ont reçu une immunothérapie systémique.

Efficacité

KDes améliorations cliniquement significatives de l’OS (Fig. 1A) et de la PFS évaluée par l’investigateur (Fig. 1B) ont été observées avec tislelizumab plus chimiothérapie par rapport au placebo plus chimiothérapie. Un taux de réponse objective (ORR) plus élevé ainsi qu’une durée de réponse (DoR) prolongée ont également été constatés dans le groupe tislelizumab plus chimiothérapie (Tab. 2). Le bénéfice en termes d’OS a été observé dans tous les sous-groupes prédéfinis (Tab. 3).

Score TAP PD-L1 vs score CPS – Concordance

Les seuils TAP ≥ 5 % et CPS ≥ 5 ont montré une concordance globale de 84 %, ce qui représente un accord substantiel (Fig. 2).

Sécurité et tolérance

Des effets indésirables liés au traitement (TRAEs) ont été observés chez la majorité des patients dans les deux groupes, avec des taux similaires tous grades confondus. Une incidence plus élevée d’effets indésirables TRAEs de grade ≥ 3 ainsi que d’effets indésirables graves a été constatée dans le groupe tislelizumab plus chimiothérapie (Tab. 4).

Les TRAEs de grade ≥ 3 survenant chez ≥ 10 % des patients dans le groupe tislelizumab plus chimiothérapie comparé au groupe placebo plus chimiothérapie comprenaient :
• neutropénie (35,1 % vs 31,9 %)
• leucopénie (12,3 % vs 17,8 %)
• anémie (13,5 % vs 11,4 %)

Les TRAEs ayant conduit au décès (2,9 % vs 1,6 %) et les événements indésirables liés au traitement (TEAEs) ayant conduit à un arrêt de traitement (34,5 % vs 23,2 %) ont été plus fréquents dans le groupe tislelizumab plus chimiothérapie que dans le groupe placebo plus chimiothérapie.

Des effets indésirables immunomédiés (imAEs) ont été rapportés dans les deux groupes. L’incidence des imAEs de grade ≥ 3 était plus élevée dans le groupe tislelizumab plus chimiothérapie (8,8 % vs 2,2 %) (Tab. 4).

Conclusions

La survie globale médiane de 19,1 mois sous tislelizumab plus chimiothérapie chez les patients présentant un score TAP PD-L1 tumoral ≥ 5 % établit une nouvelle référence d’efficacité dans ce groupe de patients atteints d’un carcinome épidermoïde avancé/métastatique de l’œsophage, avec un profil de sécurité acceptable. Les bénéfices en matière d’efficacité et de tolérance sont restés cohérents avec les résultats de l’analyse primaire et du suivi à 3 ans, sans nouveau signal de sécurité.

Ces données soutiennent l’intégration de cette association thérapeutique dans la prise de décision clinique – y compris dans le cadre de l’approche thérapeutique en Suisse.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Kato K, et al. Nivolumab plus chemotherapy or ipilimumab versus chemotherapy in patients with advanced esophageal squamous cell carcinoma (CheckMate 648): 29-month follow-up from a randomized, open-label, phase III tria. l Cancer Med. 2024;13:e7235.
2. Xu J, et al. Tislelizumab plus chemotherapy versus placebo plus chemotherapy as first-line treatment for advanced or metastatic oesophageal squamous cell carcinoma (RATIONALE-306): a global, randomised, placebo-controlled, phase 3 study. Lancet Oncol. 2023;24:483-495.
3. Yoon HH, et al. First-Line Tislelizumab Plus Chemotherapy Shows OS Benefit in PD-L1+ ESCC Subgroups. J Clin Oncol. 2024;42(Suppl 16):4032.
4. European Medicine Agency. Tevimbra 100mg concentrate for solution for infusion. Summary of product characteristics. https//www.ema.europa.eu/en/documents/product .information/Levimbra-epar-product-information_en.pdf. Assessed December 19,2 024.

Journal Watch von unseren Experten

Wie tief sollte der Blutdruck beim Diabetiker sein?

Frage
Wie stark sollte der Blutdruck bei ­Patienten mit Hypertonie und Typ-2-­Diabetes gesenkt werden?

Hintergrund
Hypertoniker mit einem Typ-2-Diabetes als Komorbidität haben ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Die ESC-Leitlinien von 2024 empfehlen für diese Population, ein Blutdruckziel < 130 mmHg systolisch anzustreben (Klasse IA). Die Studienlage dazu ist bis dato nicht ganz eindeutig. In der SPRINT-Studie hat eine intensivierte Therapie bei Hypertonikern auf systolische Werte < 120 mmHg gegenüber der Standardbehandlung (< 140 mmHg) die Rate kardiovaskulärer Ereignisse und Gesamtmortalität signifikant gesenkt, jedoch waren Diabetiker von der Studie ausgeschlossen (2). In der ACCORD-Studie hat eine Blutdrucksenkung auf < 120 mmHg keinen signifikanten Vorteil für die teilnehmenden Diabetiker erbracht (3). Allerdings hat diese Studie sowohl blutzucker- als auch blutdrucksenkende Interventionen getestet und hatte keine ausreichende statistische Power, den unabhängigen Effekt der strengeren Blutdruckeinstellung zu zeigen.

Studienort
Die Blood Pressure Control Target in Diabetes (BPROAD)-Studie ist eine multizentrische, randomisierte Studie aus 145 Studienzentren in China (1).

Studiendesign und Methode
Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert entweder eine intensive Blutdrucksenkung (systolischer Zielwert < 120 mmHg) oder eine Standardbehandlung (Zielwert < 140 mmHg). Der Blutdruck wurde in den ersten 3 Monaten monatlich und danach alle 3 Monate kontrolliert (als Praxisblutdruck­messung).

Ein- und Ausschlusskriterien
Eingeschlossen wurden Personen im Alter ≥ 50 Jahren mit Diabetes mellitus Typ 2, erhöhtem kardiovaskulären Risiko und einem systolischen Blutdruck ≥ 130 mmHg unter antihypertensiver Therapie oder ≥ 140 mmHg ohne Blutdruckmedikation.

Outcome
Als primärer Endpunkt wurde der Komposit aus kardiovaskulären Ereignissen, einschliesslich nicht tödlicher Myokardinfarkte, nicht tödlicher Schlaganfälle, behandelter oder hospitalisierter Herzinsuffizienz und kardiovaskulärer Tod über 5 Jahre erfasst.

Ergebnisse
Eingeschlossen wurden 12 821 Probanden. Die Baseline-Charakteristika beider Gruppen waren ausgeglichen: Im Median waren die Teilnehmenden knapp 64 Jahre alt und hatten einen mittleren Blutdruck von 140/76 mmHg. 45 % waren Frauen. 22.5 % hatten nach eigenen Angaben eine kardiovaskuläre Vorerkrankung. Auch weitere Risikofaktoren waren vergleichbar wie BMI (im Median 26.7), Raucherstatus, HbA1c, Cholesterin, Nierenfunktion und Dauer der Diabeteserkrankung. Nach 1 Jahr lag der mittlere Blutdruck unter intensiver Behandlung bei 121.6 mmHg und bei 133.2 mmHg in der Standardgruppe. Während des mittleren Follow-ups von 4.2 Jahren trat bei 393 Personen (1.65 % pro Jahr) in der Intensiv- und bei 492 Personen (2.09 % pro Jahr) in der Standardgruppe ein Ereignis des primären Endpunkts auf. Damit hat die intensivierte Strategie das relative Risiko für den primären Endpunkt um 21 % gesenkt (Hazard Ratio, HR, 0.79; 95 %-KI 0.69 bis 0.90; p < 0.001). ­Signifikant niedriger war auch das Risiko für eine beginnende Nierenschädigung im Sinne einer Albuminurie. Allerdings traten in der intensiv behandelten ­Gruppe signifikant häufiger Fälle symptomatischer Hypotonie (8 [0.1 %] vs.
1 [< 0.1 %], p = 0.05) und Hyperkaliämie auf (> 5.5 mmol/l: 177 [2.8 %] vs. 125 [2.0 %], p = 0.003).

Kommentar
• Die BPROAD-Studie liefert Evidenz, dass Typ-2-Diabetiker vergleichbar mit Hypertonikern ohne Diabetes prognostisch von einer intensivierten Blutdrucksenkung profitieren.
• Der mittlere systolische Blutdruck lag nach 1 Jahr unter intensiver Behandlung bei 121.6 mmHg, nur etwa 60 % in dieser Gruppe erreichten das angestrebte Blutdruckziel von < 120 mmHg. Angesichts der unter diesem Blutdruckresultat trotzdem erzielten signifikanten Risikoreduktion scheint eine weitere Anpassung des Zielblutdrucks auf < 120 mmHg, wie von den Autoren der Studie zur Diskussion gestellt, aktuell nicht erforderlich. Auch gilt zu berücksichtigen, dass die Studie ausschliesslich in China durchgeführt wurde und die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere ethnische Gruppen unklar ist.
• Somit bestätigt die Studie die Leitlinien der ESC 2024 zum Management der Hypertonie bei Diabetikern, die einen systolischen Zielblutdruck von 120–129 mmHg empfehlen. Speziell während des Beginns der intensivierten Blutdruckintervention sollten die Patienten auf das Vorliegen von Hypotonien und Hyperkaliämien überwacht werden.

Dr. med. Andrea Rosemann

Literatur
1. Bi Y, Li M, Liu Y, et al. BPROAD Research Group. Intensive Blood-Pressure Control in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2024 Nov 16. doi: 10.1056/NEJMoa2412006
2. Research Group; Lewis CE, Fine LJ, Beddhu S, Cheung AK, Cushman WC, Cutler JA, Evans GW, Johnson KC, Kitzman DW, Oparil S, Rahman M, Reboussin DM, Rocco MV, Sink KM, Snyder JK, Whelton PK, Williamson JD, Wright JT Jr, Ambrosius WT. Final Report of a Trial of Intensive versus Standard Blood-Pressure Control. N Engl J Med. 2021 May 20;384(20):1921-1930. doi: 10.1056/NEJMoa1901281. PMID: 34010531; PMCID: PMC9907774.
3. ACCORD Study Group; Cushman WC, Evans GW, Byington RP, Goff DC Jr, Grimm RH Jr, Cutler JA, Simons-Morton DG, Basile JN, Corson MA, Probstfield JL, Katz L, Peterson KA, Friedewald WT, Buse JB, Bigger JT, Gerstein HC, Ismail-Beigi F. Effects of intensive blood-pressure control in type 2 diabetes mellitus. N Engl J Med. 2010 Apr 29;362(17):1575-85. doi: 10.1056/NEJMoa1001286. Epub 2010 Mar 14. PMID: 20228401; PMCID: PMC4123215.

Schmerzmanagement bei Patienten nach Wirbelsäulenoperationen: Fortgeschrittene Strategien und zukünftige Wege

Eine wirksame postoperative Schmerzbehandlung ist in der Wirbelsäulenchirurgie nach wie vor eine grosse klinische Herausforderung. Schlecht kontrollierte Schmerzen betreffen bis zu 50 Prozent der Patienten und führen zu einer verzögerten Mobilisierung, einem verlängerten Krankenhausaufenthalt sowie einem erhöhten Risiko für chronische postoperative Schmerzen. In einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit wurden aktuelle und neue Strategien zur Behandlung postoperativer Wirbelsäulenschmerzen zusammengefasst. Dabei wurde die Entwicklung von opioidzentrierten Paradigmen hin zu individualisierten, multimodalen Ansätzen verfolgt. Die multimodale Analgesie (MMA) ist zum Eckpfeiler der heutigen Behandlung geworden.

Kombination aus Pharmakologie, Regionalanästhesie und nicht-medikamentösen Verfahren
Die multimodale Analgesie kombiniert pharmakologische Wirkstoffe wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Paracetamol und Gabapentinoide mit regionalen Anästhesietechniken, einschließlich der Blockade der Erector-spinae-Ebene und der Anwendung von liposomalem Bupivacain. Ergänzende nicht-pharmakologische Maßnahmen wie Frühmobilisierung, kognitive Verhaltenstherapie und achtsamkeitsbasierte Interventionen optimieren die Genesung zusätzlich und berücksichtigen die biopsychosozialen Dimensionen von Schmerzen. Bei Patienten mit therapierefraktären Schmerzen zeigen Neuromodulationstechniken wie die Stimulation des Rückenmarks und der peripheren Nerven vielversprechende Ergebnisse.

KI, Biomarker und personalisierte Schmerzprotokolle
Fortschritte in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI), Entdeckung von Biomarkern und Nanotechnologie ermöglichen personalisierte Schmerzprotokolle durch vorausschauende Modellierung und gezielte Medikamentenverabreichung. Verbesserte Genesungsprotokolle nach Operationen, die viele dieser Strategien integrieren, reduzieren nachweislich den Opioidverbrauch, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und die Komplikationsrate. Dennoch bleiben die Variabilität bei der Umsetzung und die Notwendigkeit individualisierter Protokolle zentrale Herausforderungen. Zukünftige Entwicklungen umfassen KI-gesteuerte Analysen, regenerative Therapien und erweiterte Forschung zu langfristigen funktionellen Ergebnissen.

Schlussfolgerung
Diese Übersichtsarbeit bietet einen evidenzbasierten Rahmen für die Schmerzkontrolle nach Wirbelsäulenoperationen und betont die Integration multimodaler und innovativer Ansätze, die auf unterschiedliche Patientengruppen zugeschnitten sind.

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

Long COVID – der letzte Akt

Liebe Kolleginnen und Kollegen

In den letzten fünf Jahren scheint Long COVID ähnlich einer klassischen Tragödie fünf Akte durchlaufen zu haben. Exposition: Kaum war die Pandemie medizinisch und politisch einigermassen verdaut, wurden erste Fälle von Fatigue im Zusammenhang mit zurückliegendem SARS-CoV2-Infekt beschrieben. Komplikation/Verzögerung: Die Fälle häuften sich, es wurden engagierte Spezialsprechstunden eingerichtet und verzweifelt nach objektivierbaren Diagnosekriterien oder Therapieoptionen gesucht. Der Höhepunkt wurde erreicht durch die mediale Berichterstattung über hoffnungslose Fälle und den zunehmend lauter werdenden Vorwürfen, die Schulmedizin würde die leidenden Patienten zu wenig ernst nehmen und die Forschung würde zu wenig schnell vorangetrieben. Der Akt der Verzögerung wurde geprägt durch wenige neue Erkenntnisse und parallel dazu durch einen neuen, lukrativen Markt für allerlei teilweise invasive und kostspielige Therapieangebote, die nur wenig Erfolg zeigten. Das Misstrauen gegenüber der Ärzteschaft und eine Art Glaubenskonflikt standen im Vordergrund. Es bleiben die Medien als jammernder Chor, welcher die Ereignisse kommentiert und moralisch einschätzt bzw. anprangert. Glücklicherweise ist es rund um das Thema Long COVID ruhiger geworden, nun ist es dringend an der Zeit für den letzten Aufzug, die Auflösung.

Die Sonderstellung von Long COVID verflüchtigt sich und entsprechend werden auch die Spezialsprechstunden aufgehoben. Für viele Kolleginnen und Kollegen war die Mitarbeit in einer solchen Spezialsprechstunde sehr kräftezehrend und erschöpfend. Aus meiner Sicht bietet sich jetzt die Chance, das Krankheitsbild für die verbleibenden Patienten neu zu ordnen und den Symptomkomplex wieder so zu denken, wie wir es mit allen anderen Beschwerden auch machen. Mit dem Erheben einer sorgfältigen Anamnese, einer internistischen Untersuchung und dem Evaluieren von Differenzialdiagnosen. Dieser wichtige Prozess wurde in der Vergangenheit doch häufig durch die vorgefasste Meinung oder subjektive Einschätzung «ich habe Long COVID» beschnitten. Zusätzliche ­Fra­gen zur Anamneseerhebung wurden mit Argwohn quittiert und die Leidensgeschichten zweifelsfrei und stereotyp geschildert. Meine Routinefrage nach Schlafgewohnheiten, Bildschirmzeit, emotionaler Belastung etc. wurde oftmals mit einem spöttischen Lächeln quittiert. Es war schwierig, die Patienten sorgfältig internistisch zu erfassen und unmöglich ganzheitlich in einem Bio-Psycho-Sozialen System einzuordnen. Der Einbezug der Aspekte Psyche und soziale Situation wurde von betroffenen Patienten gerne kategorisch abgelehnt. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum hinsichtlich Long COVID die Patienten nicht ganzheitlich erfasst werden durften und die psychotherapeutische oder psychiatrische Mitbetreuung auf so heftige Ablehnung gestossen ist.

Ich hoffe sehr, dass mit der Auflösung des Sonderlabels Long COVID wieder ein offener, umsichtiger Umgang mit den ME/CFS-Patienten möglich sein wird. Dass wieder ganzheitlich in einem Bio-Psycho-Sozialen Modell gedacht und bei einem chronischen Verlauf auch immer wieder von Neuem neurologische und internistische Differenzialdiagnosen durchgedacht werden. Ich zweifle nicht an der Existenz von ME/CFS, aber es wäre in der Tat eine Katastrophe, wenn eine möglicherweise therapierbare Ursache der Beschwerden nicht gesucht und das Potenzial einer ganzheitlichen Betreuung im psychosozialen Kontext nicht ausgeschöpft würden.

Herzliche Grüsse

Dr. med.Vera Stucki-Häusler

Aerzteverlag medinfo AG
Dr. med. Vera Stucki-Häusler
Seestrasse 141
8703 Erlenbach

stucki@medinfo-verlag.ch

Aus der «SAKK» wird das «Swiss Cancer Institute»: mehr als nur ein neuer Name

Vor genau 60 Jahren wurde 1965 nach US-amerikanischem Vorbild des National Cancer Institutes (NCI) die «Schweizerische Chemotherapie Gruppe» gegründet.

Das Ziel war die Durchführung von multizentrischen Studien in der Schweiz für Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen, wobei eine «Einschränkung der individuellen Entscheidungsfreiheit zu Gunsten des gemeinsamen Ziels und im Interesse der Auswertbarkeit einer Studie» gefordert wurde. Im Jahre 1971 wurde der Name in «Schweizerische Arbeitsgruppe für klinische Krebsforschung (SAKK)» geändert und kurz darauf erhielt die SAKK als nicht-gewinnorientierte Organisation ab 1974 eine finanzielle Unterstützung durch den Bund. Von Beginn weg wurde gemäss dem schweizerischen föderalistischen Prinzip ein dezentraler Ansatz gewählt, um möglichst alle Regionen der Schweiz zu beteiligen. Die SAKK ist mittlerweile auf 22 Mitglieder angewachsen und deckt geographisch die ganze Schweiz ab. Neben sämtlichen universitären Kliniken sind auch alle grossen Kantonsspitäler sowie wichtige Privatkliniken eingebunden.

Während längerer Zeit bereits wurde der Name «SAKK» als sperrig und ausserhalb eines kleinen Kreises von Eingeweihten als wenig verständlich wahrgenommen. Insbesondere der Einbezug der französisch- und italienischsprachigen Schweiz sowie die öffentliche Sichtbarkeit wurden durch diesen Namen erschwert. In den vergangenen vier Jahren hat die Organisation einen bedeutenden kulturellen Wandel durchlaufen mit neuen Strukturen und neuem Selbstverständnis. Eine Namensänderung drängte sich auf und an der Halbjahresversammlung in Interlaken wurde diese am 21.5.2025 von der Generalversammlung verabschiedet. Aus der «SAKK» wurde per 1.7.2025 das «Swiss Cancer Institute»! Um dem zentralen Forschungsgedanken Rechnung zu tragen, wurde der Name zusammen mit dem Claim «Clinical research for a cure tomorrow» verknüpft. Das Swiss Cancer Institute soll die nationale Stellung im Bereich der klinischen Krebsforschung erhalten und ausbauen und allen Krebsbetroffenen der Schweiz Zugang zu Innovation verschaffen sowie klinische Krebsforscher aus allen Sparten vernetzen und unterstützen. Wichtige Initiativen wurden in den vergangenen Monaten durch das Swiss Cancer Institute gestartet, um dieses Ziel zu erreichen. Namentlich wurden die internen Prozesse merklich vereinfacht, es wurde die Möglichkeit zur erleichterten Durchführung von gradlinigen akademischen Studien geschaffen und die Unterstützung beim Fundraising zur Studienfinanzierung wird deutlich verstärkt.

Der Übergang in das neue Jahrzehnt in der Geschichte der Organisation beginnt somit nicht nur mit einem neuen Namen, sondern auch mit vielversprechenden Innovationen zum Wohle der Krebsbetroffenen und der klinischen Krebsforscher.

Herzlich Willkommen «Swiss Cancer Institute»!

Prof. Dr. med. Richard Cathomas

Onkologie/Hämatologie
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170
7000 Chur

richard.cathomas@ksgr.ch