Das Ende des «Medico-Ökozän»?

«Die Verschlechterung des Gesundheitswesens ist krass» (Basler Zeitung 2023); «Wir stehen am Rande des Zusammenbruchs» (Sonntagszeitung 2023); «Bis das System irgendwann kollabiert» (NZZ 2022) …

Solche oder ähnliche Schlagzeilen ist man seit Jahren gewohnt und sie entlocken der Leserin und dem Leser vielleicht noch ein Kopfnicken und einen beiläufigen Kommentar. Nun wird aber ein neues Szenario angemahnt: «Unterversorgung mit Ansage» (SaeZ Nr.7.2023). In ihrem Leitartikel analysiert die FMH-Präsidentin Yvonne Gilli präzis die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen und kommt zum Schluss: die Aussichten sind düster, eine schnelle Lösung der Probleme ist nicht realistisch. Nur, ganz so neu ist diese Erkenntnis nicht. Schon 2014 hat die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihrem Positionspapier: «Medizin und Ökonomie – wie weiter?» in fast prophetischer Weise auf die Gefahren hingewiesen, welche durch eine fehlgeleitete Ökonomisierung und zunehmende Kommerzialisierung der Medizin entstehen. So sind etwa Qualitätseinbussen durch fehlgeleitete Effizienzsteigerung oder Interessenkonflikte, in denen sich Ärztinnen und Ärzte gegenüber den medizinischen Institutionen befinden, Folgen dieses Systems. Eine andere, nicht weniger üble Auswirkung ist die Unterwanderung der Beziehung zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient. Diese wirkungsvolle und therapeutisch wertvolle Verbindung wird durch betriebswirtschaftliche Prozesse, standardisierte und maximierte Arbeitsabläufe zunehmend erodiert. Die Zeit, welche für die ärztliche Konsultation zur Verfügung steht, wird vermehrt reglementiert, reduziert, kontrolliert und «optimiert». Die Patientinnen und Patienten reklamieren zu Recht, dass die Ärztin/der Arzt sich immer weniger Zeit für sie nehmen können. So werden die Patientinnen und Patienten ihrer Persönlichkeit beraubt, sie sind zu Leistungsempfängern degradiert worden und ihre Krankheit verkommt im Gesundheitsmarkt zur Ware.

Der Arztberuf als freier Berufsstand, mit seinem Berufsethos, dem «medical professionalism» als eigentlichem Nucleus, welcher die sinngebende ärztliche Tätigkeit induziert, hat einen schweren Stand und fristet innerhalb der «ökonomisierten Medizin» ein Schattendasein. Als Ausdruck der Geringschätzung des «medical professionalism» in diesem System sei an die Semantik von Ärztin/Arzt zu Leistungserbringern erinnert, welche vor mehr als 20 Jahren den Paradigmenwechsel einleitete. Zudem wird der Beruf der Ärztin/des Arztes «deprofessionalisiert»: die ärztliche Zuständigkeit und die Selbständigkeit nehmen ab, das ärztliche Handeln hängt immer mehr von anderen Mitspielern wie beispielsweise den Juristen, den Versicherern, den Ethikern und Managern ab. Aber auch innerhalb der Medizin besteht die Gefahr, dass die vermehrte Spezialisierung und Fragmentierung selbst zu Abhängigkeiten führt, da sich nicht mehr alle an die Richtlinien des eigenen Berufsethos halten. Das Berufsbild erodiert und verliert so an Attraktivität.

Scheint sich langsam die Epoche der fehlgeleiteten Ökonomisierung, das «Medico-Ökozän», wie man es nennen könnte, selbst zu erledigen?

Wäre es nicht an der Zeit, dass sich die Stakeholder des Gesundheitswesens einmal ihre eigenen Positionen und Standpunkte überdenken?

Ist es so falsch, als ersten Schritt der notwendigen Kulturänderung das Genuine der ärztlichen Tätigkeit – die Arzt-Patientenbeziehung – ins Zentrum der Diskussion zu setzen?

Ist es so falsch, dafür den Patientinnen und Patienten (nicht den Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern) und den Ärztinnen und Ärzten die notwendige Zeit zur Verfügung zu stellen? Zeit, die nicht kleinkrämerisch tarifiert und rationiert wird, sondern so, dass sie effektiv zur Genesung der Kranken beitragen kann?

Bewahren uns nicht ein aufmerksames Zuhören, eine zielgerichtete Anamnese, eine professionell durchgeführte klinische Untersuchung und ein vertrauliches ärztliches Gespräch vor unnötigen medizinischen Untersuchungen und Prozeduren, welche um einiges kostenintensiver sind?

«Der Standpunkt einer Kultur ist immer der Standpunkt ihrer Mitmenschlichkeit» (Adalbert Stifter).
Die Ärzte dürfen nicht in der Rolle der Betroffenen verharren. Als Partner im Gesundheitswesen ist ihre Rolle als Akteure gefragt!

Dr. med. Christian Häuptle

Dr. med. Christian Häuptle

Otmarweg 8, 9200 Gossau

haeuptle@hin.ch

18. Cardio Update 2023

Auch dieses Jahr berichten wir über einige Highlights des alljährlichen, zweitägigen, ausgezeichneten Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Berlin respektive Mainz. In diversen Vorträgen wurden am 24. und 25. Februar beziehungsweise am 17. und 18. März die neuesten relevanten Fachpublikationen aus dem Jahre 2022 von Experten besprochen und gewertet.

Hot Topic Kardioonkologie

Eine der drei Hot Topic Sessions war die Kardioonkologie. In einem sehr schönen Referat hat Prof. Dr. T. Rassaf aus Essen die erste ESC Leitlinie Kardioonkologie 2022 dargestellt (1, 2, 3). Die Bedeutung dieser Disziplin hat deutlich zugenommen, sind doch Herzkreislauferkrankungen und Krebsleiden die häufigsten Todesursachen in Europa, und hat die Überlebensrate nach Krebserkrankung in den letzten Jahren stark zugenommen. Ziel der neuen Guideline ist es, Therapieansätze zu personalisieren, um die Tumortherapie-bedingte kardiovaskuläre (cv) Toxizität zu minimieren und sowohl die Krebs- als auch die cv-Ergebnisse zu verbessern. Die Leitlinie bietet Hilfe für die Definition, Diagnose, Behandlung und Prävention von onkologisch bedingter cv-Toxizität und das Management von cv-Erkrankungen, die direkt oder indirekt durch Krebs verursacht werden. Durch die deutlich bessere Langzeitprognose moderner onkologischer Therapien ist es entscheidend, potentielle kardiotoxische Nebenwirkungen früh zu identifizieren und korrekt zu behandeln.
Neben den toxischen Kardiomyopathien mit Entwicklung einer Herzinsuffizienz müssen Arrhythmien und QT-Verlängerungen, arterielle und venöse Thromboembolien, Klappenvitien, Perikard-erkrankungen, koronare und arterielle Gefässerkrankungen und die Hypertonie als Folge onkologischer Therapien früh erkannt und behandelt werden.
Es gibt drei resp. vier Phasen der Mitbetreuung in der Kardioonkologie (Abb. 1). In der ersten Phase vor der onkologischen Therapie bedarf es einer Standortbestimmung des individuellen Risikos. Dieses ist Patienten und Therapie assoziiert. Zur Risikoevaluation hat man den HFA-IC-OS Risc Score eingeführt (Abb. 2). Patienten können mittels guter Anamnese (inkl. kardiovaskulär und onkologisch), einer gründlichen klinischen Untersuchung, einem 12-Abl. EKG, einer Echokardiographie (2D-EF, 3D-EF, LV Vol., GLS) und Biomarkern (hs-Tn, NT-pro BNP) identifiziert und in Risikokategorien klassifiziert werden. Bei hohem resp. sehr hohem Risiko muss der Patient vor einer kardiotoxischen Krebstherapie kardiologisch beurteilt werden (Klasse I).
Während einer onkologischen Therapie bedarf es erneuter kardiologischer Kontrollen, um kardiotoxische Komplikationen rasch zu erkennen und zu behandeln. Je nach onkologischer Therapie (Anthrazykline, HER-2, ICI u.a.) gibt es sehr hilfreiche Kontroll-Tabellen. Eine Chemotherapie kann zur Freisetzung kardialer Biomarker führen. Eine Erhöhung des hs-Troponins ist mit einer LV-Dysfunktion assoziiert.

Erste Daten zum GLS (global longitudinal strain) in der Echokardiographie zeigen, dass ein isoliert reduzierter GLS vor Therapiebeginn und ein Abfall unter onkologischer Therapie von 15% mit einem erhöhten Risiko für eine spätere Kardiotoxiziät assoziiert ist. So ist eine frühzeitige Erfassung einer subklinischen LV-Dysfunktion möglich und mittels einer Therapie mit ACE-H./BB/SGLT2-H. kann ein späterer EF-Abfall verhindert werden. Diese Medikamente wirken kardioprotektiv (IIa). Es kommt auch zu einer verringerten Troponinfreisetzung.
Die modernen Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI), welche die Immunabwehr aktivieren und u.a. bei Lungenkrebs und Melanom eingesetzt werden, verursachen bei 9,7% der Patienten kardiale Events im 1. Jahr. 1-2% der Patienten erleiden eine autoimmun bedingte Myokarditis mit sehr unterschiedlicher Symptomatik und deutlich erhöhter Mortalität innerhalb der ersten 6 Wochen. Weitere kardiale Schädigungen sind: Perikarditis, Arrhythmien, ACS, Takotsubo, LV-Dysfunktion und eine beschleunigte Atherosklerose. Daher sind kontinuierliche, langfristige kardiologische Kontrollen notwendig. Auch andere Organsysteme sind betroffen – Haut, Colitis, Pneumonitis, Hepatitis, Nephritis, Myositis u.a.
Deshalb wird ein spezielles Monitoring (Biomarker, EKG, TTE) unter ICI-Therapie empfohlen.
Auch nach einer onkologischen Therapie muss nach einem Jahr und im Langzeitverlauf der Patient resp. die Patientin auch kardiologisch regelmässig kontrolliert werden, um potentielle kardiovaskuläre Schädigungen zu erkennen und zu behandeln. Die Häufigkeit der kardialen Kontrollen richtet sich auch hier nach dem basalen kardiovaskulären Risiko und der spezifischen onkologischen Therapie und deren Nebenwirkungen – HFA-IC-OS Risc Score. Auch bei jungen Erwachsenen, welche als Kind erfolgreich onkologisch therapiert wurden, sind regelmässige kardiologische Verlaufskontrollen sehr wichtig. Bei einer Anthrazyklin-Behandlung und einer thorakalen Bestrahlung als Kind besteht ein besonders hohes Risiko von fast 50%. Auch Jahre nach einer Bestrahlung der linken Brust bei einem Mamma-Ca oder einem thorakalen Morbus Hodgkin besteht ein erhöhtes koronares Risiko.
Eine gute, enge und andauernde Zusammenarbeit zwischen Onkologen, Kardiologen und weiteren involvierten Ärzten ist bei diesen Risiko-Patienten essentiell.

Fazit für Klinik und Praxis:

  • Die onkologische Kardiologie ist ein integraler Bestandteil der Behandlung von Krebspatienten.
  • Die neue ESC-Leitlinie bietet dezidierte Empfehlungen für die Diagnose und Behandlung von betroffenen Patienten.
  • Komplikationen durch Krebsimmuntherapien werden die Kardioonkologie in Zukunft massgeblich beeinflussen.
  • Die Stratifizierung des Toxizitätsrisikos vor Therapiebeginn ist wichtig; engmaschige Überwachung bei hohem Risiko und multidisziplinäre Diskussionen bezüglich des weiteren Managements sind entscheidend.

Literatur:
1. Lyon AR et al., 2022 ESC Guidelines on cardio-oncology entwickelt in Zusammenarbeit mit der European Hematology Association (EHA), der European Society for Therapeutic Radiology and Oncology (ESTRO) und der International Cardio-Oncology Society (IC-OS). Eur H J. 2022 doi/10.1093/eurheartj/ehac244
2. L. Michel et al., ESC -Leitlinien 2022; Onkologische Kardiologie; Herz 2023; 48:15-22
3. L. Michel, T. Rassaf, Kardiologische Langzeitfolgen nach Malignombehandlung; Cardiovasc 2022; 22(4): 50-54

Hot Topic Das perioperative Konsil

In einem weiteren Hot Topic Vortrag wurde die neue ESC-Guideline (1) über die nicht kardiale Chirurgie (NKC) von Prof. Dr. Dr. S. Schirmer aus Kaiserslauten sehr schön und umfassend dargestellt. Die neue Leitlinie hat das Ziel peri- und postoperative Komplikationen zu reduzieren und eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu bewirken. Es wird eine schrittweise Bewertung des Patienten, die klinischen Risikofaktoren und Untersuchungsergebnisse mit der geschätzten Belastung des geplanten chirurgischen Eingriffs und den mit dem Absetzen von Medikamenten verbundenen Risiken empfohlen. Die kardiologischen Abklärungsmöglichkeiten werden klar bewertet. Ebenso die verschiedenen Risikoreduktionsstrategien und das Management der perioperativen kardiovaskulären Komplikationen. 50% der Patienten älter als 45 Jahre haben mindestens zwei kardiovaskuläre Risikofaktoren.
Ein neues und sehr wichtiges Kapitel ist der richtige Einsatz von Biomarkern (hs-CTnT/I und NT-pro-BNP) vor, während und nach einer Operation bei einer cv Erkrankung oder cv Risikopatienten. Ein perioperativer Infarkt muss rasch erkannt und richtig behandelt werden. Bei CHK- resp. PAVK-Patienten kommt es in bis zu 15% zu einem Infarkt. In solchen Situationen hs-Troponin präoperativ, nach 24 und 48 Stunden. Die Biomarker werden neben den peri- und post-operativen Komplikationen auch bei einem mittleren bis hohem Risiko und bei jüngeren Patienten mit cv Risiko bestimmt. Bei einer bekannten cv Erkrankung werden serielle Troponin Bestimmungen bei einem Intermediär- oder Hochrisikoeingriff empfohlen. Ein erhöhtes postoperatives Troponin ist mit der 30 Tage Sterblichkeit assoziiert. Dabei muss eine Anämie und ein Infarkt ausgeschlossen und eine spezifische Therapie eingeleitet werden.
Bei Risikopatienten welche nicht belastbar sind (<2 Stockwerke), wird bei einem Intermedärem- resp. Hochrisiko-Eingriff prä­operativ ein Echo (TTE) gefordert, ebenso bei pos. Biomarkern oder bei einem Herz-Geräusch bei Symptomen oder einer cv Erkrankung (1,2,3).
Das präoperative Risiko bezüglich cv Morbidität und Mortalität besteht aus dem individuellen Patientenrisiko (Alter, cv Risikofaktoren, cv Erkrankungen, Komorbiditäten), dem Eingriffsrisiko (drei Gruppen) und der Dringlichkeit. Es bedarf keiner kardialen Massnahmen bei einem Niedrigrisikoeingriff (Zähne, Augen, Brust, Meniskus, TUR-Prostata u.a.) (Abb. 3). Auch nicht bei einem jüngeren gesunden Patienten (<65J.) ohne cv Risiko und einem mittleren Risikoeingriff wie z.B. einer Hüft-TP. Es bedarf nicht routinemässig einem EKG oder Biomarker bei Niedrigrisiko- Patienten oder Niedrigrisikoeingriffen. Auch keine routinemässigen TTE oder Belastungsuntersuchungen.

Ein weiterer wichtiger Abschnitt ist das richtige Vorgehen bei einer antithrombotischen Therapie. Hier gibt es sehr schöne und sehr praktische graphische Abbildungen. Da ein chirurgischer Eingriff häufig nach einer PCI, nach einem Infarkt oder einem hohen ischämischen Risiko durchgeführt werden muss, ist der Umgang mit einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung wichtig. Auch das Blutungsrisiko des Eingriffs ist dabei zu berücksichtigen. Es gibt auch ein sehr schönes Schema zur NOAK-Pausierung gemäss EHRA. Kein bridging in niedrigem/moderatem Thromboembolierisiko.
Der neue Einsatz eines Betablockers zur Prävention eines VHFLi wird nicht empfohlen. Bei einem SGLT2-H. sollte dieser 3 Tage vor einer Operation pausiert werden. Der ACE-H./ARB sollte am Tag der Operation bei einer Hypertonie weggelassen werden, ebenso das Diuretikum. Betablocker und Statine werden belassen.
Spezifische kardiovaskuläre Erkrankungen bei einem NKC werden in der Leitlinie beleuchtet. So die Hypertonie, die koronare Herzkrankheit, die Herzinsuffizienz, die verschiedenen Vitien, Arrhythmien wie VHFLi, Devices, Gefässerkrankungen, onkologische- und VAD-Patienten. Empfehlungen zu peri- und post-operativen Komplikationen finden sich in der umfassenden Leitlinie. CHK: Bei schlecht belastbarem Patienten und Verdacht auf eine CHK resp. ausgeprägtem Risikoprofil wird vor einem Hochrisikoeingriff ein Stressimaging empfohlen (I). In Abhängigkeit von der ischämischen Myokardmasse, refraktärer Symptomatik und Koronarbefund, Myokardrevaskularisation vor NKC erwägen (IIbB).
Diese Guideline ist entscheidend; sind doch ca. 50 % aller perioperativen Todesfälle (4,2 Mio/Jahr weltweit) kardiovaskulär. Ziel ist es, diese signifikant zu vermindern und Komplikationen rasch und richtig zu behandeln. Es bedarf einer sehr guten Zusammenarbeit verschiedener involvierter Fachrichtungen.

Fazit für Klinik und Praxis:

  • Präoperative Risikobeurteilung (Alter, Symptome, Anamnese, Belastbarkeit). Es bedarf dann je nach Risikopatient ein EKG, Biomarker und evt. eine TTE vor einem Eingriff mit inter-mediärem oder hohem Risiko.
  • Das Risiko muss reduziert werden: Modifizierung der Risikofaktoren, Ausschluss einer Anämie, Therapie von speziellen cv Erkrankungen nach Guidelines. Einsatz oder Pause kardialer Medikamente je nach Risiko; Durchführung einer notwendigen Thromboseprophylaxe.
  • Perioperative Komplikationen müssen erkannt und rasch behandelt werden – hs Troponin Anstieg, ACS, Anämie, Herzinsuffizienz und Apoplexie (3).

Literatur:
1. Halvorsen S et al, 2022 ESC Guidelines on cardiovascular assessment and management of patients undergoing non-cardiac surgery. Eur Heart J 2022;43:3826-3924.
2. Mehilli J. Winhard M., ESC Leitlinie 2022 zum kardiovaskulären Assessment und Managment von Patienten, die sich einer nicht kardiologischen Operation unterziehen; Herz 2023; 48:31-38
3. Mehilli et al., The ten commandments, EHJ 2023;44:336-337

Prävention und stabile CHK; Hypertonie und Niereninsuffizienz

Hier einige wichtige Aussagen zu den beiden Vorträgen von Prof. Dres U. Lauf aus Leipzig und F. Mahfoud aus Homburg/Saar: Kardiovaskuläre Risikofaktoren im Kindesalter erhöhen die Sterblichkeit im mittleren Lebensalter. Nach einem schwedischen Zwillingsregister korrelieren kardiometabolische Erkrankungen mit einer Demenz.
Die DANCAVAS-Studie aus Dänemark prüfte das Konzept eines kardio-vaskulären Screenings mit klinischer Untersuchung, EKG, ABI, Echo, Koronar-/Gefäss-CT ohne Kontrast bei bei 46’611 älteren Männern zwischen 65-74 Jahren. Der verstärkte Einsatz einer Statin- und Aspirin-Therapie bei Patienten mit subklinischen Herzkreislauferkrankungen
erklärt wahrscheinlich die Vorteile in der Untergruppe im Alter von 65-69 Jahren (HR 0,89). Leider fehlen Screening-Daten in der weiblichen Population und bei etwas jüngeren Personen. Insgesamt konnte aber die Sterblichkeit in der Gesamtpopulation nicht signifikant gesenkt werden. In der POST-PCI Studie aus Südkorea ergab ein routinemässiger Stresstest bei 1708 Patienten ohne Symptome (30% Ergo, Scinti, Stressecho) 1 Jahr nach der Intervention keine Verbesserung der klinischen Endpunkte nach zwei Jahren. Es kam aber zu mehr Reangiographien und mehr Revaskularisationen. Es gibt somit bisher keine überzeugenden Beweise für Screening-
Programme.
Rauchen bleibt leider immer noch der Gesundheitsrisikofaktor Nummer 1 in DL (35,5%). Das Rauchen hat leider nicht abgenommen; bei den 14-17 Jährigen hat sich der Anteil im letzten Jahr sogar auf 16% verdoppelt. Verbote funktionieren in Neuseeland. Dieser Risikofaktor sollte immer wieder angesprochen werden. E-Zigaretten sollten nicht zur Entwöhnung gebraucht werden.
Ein regelmässiges Nachsalzen ist mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert.
Nahrungsergänzungsmittel wie Fischöl, Zimt, Knoblauch, gelber Ingwer (Kukuma), pflanzliche Sterole und roter Reis sind ungeeignet für eine LDL-Senkung dies im Gegensatz zur Gabe von 5 mg Rosuvastatin. Dies konnte in der SPORT-Studie gezeigt werden.
Der Goldstandard bei der schweren Adipositas bleibt die bariatrische Chirurgie mit anhaltend positiven Effekten. Es gibt keinen Wirksamkeitsbeleg für ein Intervallfasten und für eine Ernährungs-beratung. Semaglutid ist in hoher Dosis ähnlich wirksam wie eine Magenplastik. Eine Schlafrestriktion erhöht die Enegiezufuhr und die abdominelle Fettablagerung ohne Auswirkung auf den Energieverbrauch.
Beim Diabetes mellitus gibt es immer bessere Daten für die SGLT2-Hemmer und für die GLP1-RA betreffend Nephro- und Kardio-Protektion. Auch die Kombinationstherapie ergibt ein vermindertes kardiovaskuläres Risiko. Für Metformin gibt es keine Endpunktdaten.
20% der Bevölkerung haben ein erhöhtes Lpa (>125nmol/l). Dieses wirkt proinflammatorisch und möglicherweise prothrombotisch und ist ein wichtiger Risikomarker für atherosklerotische Ereignisse und für die Aortenklappenstenose. Die Wirkung ist linear ab 75nmol/l. 90% dieses Wertes ist genetisch festgelegt. Es gibt aber Faktoren, welche den Wert etwas variieren: eine Erhöhung gibt es bei einer SS, Entzündung, Hypothyreose, chron. Niereninsuffizienz und beim nephrot. Syndrom. Eine Senkung findet man bei einer Hyperthyreose, bei Östrogengabe und bei einer Lebererkrankung u.a.. Bei einer Aortenklappenstenose im frühen Alter sollte man immer das Lpa bestimmen, wie auch bei einer vorzeitigen und rasch progredienten Atherosklerose. In Zukunft wird es spezifische RNA basierte Therapien geben. Die ESC empfiehlt Lpa einmal im Leben zu bestimmen – dabei sollten die erwähnten Variationsfaktoren beachtet werden. «Lipoprotein(a) erklärt häufig ein residuales lipidbezogenes Risiko bei Personen mit niedrigem oder nur moderat erhöhtem LDL-Cholesterin. Die aktuelle Therapie besteht in der Behandlung aller kardiovaskulären Risikofaktoren und einer Senkung des lipid-bezogenen Risikos durch eine optimale LDL-Senkung».
Lipidtherapie: Drei Studien mit IVUS und OCT haben mit einem Statin und PCSK9 -H. gezeigt, dass ein LDL <1,0mmol/l zu einer Plaque-Stabilisierung führt. Für Fibrate gibt es erneut keinen Wirksamkeitsbeleg. Bei der Bempedoinsäure ist die Endpunktstudie CLEAR-Outcomes positiv. Die Bempedoinsäure verursacht als Prodrug, welches in der Leber in die aktive Form überführt wird, keine Muskelbeschwerden. Bei fast 14’000 Statin intoleranten Patientinnen und Patienten mit einem LDL >2,6mmol/l und einer cv Vorerkrankung oder einem hohen cv Risiko war die Behandlung mit einem geringeren Risiko von -13% im Vergleich zu Placebo für schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (Tod durch cv Ursachen, nicht tödlicher Myokardinfarkt, nicht tödlicher Schlaganfall oder koronare Revaskularisation) verbunden. Das LDL wurde nach 6 Monaten um 21%, das hs-CRP um 22% gesenkt. Als NW ist ein Anstieg der Harnsäure mit Gichtanfällen, ein Anstieg von Kreatinin, Leberenzymen und mehr Gallensteine zu beobachten. Wir haben somit bei einer wirklichen Statinintoleranz, cave Nocebo-Effekt, einen alternativen Behandlungsansatz. Eine Kombination mit Ezetrol wird von Experten empfohlen mit einer LDL-Senkung von 45%.
Die Bedeutung der Grippeimpfung wurde in der IAMI- Studie nochmals klar dargelegt. Bei Patienten mit einem Myokardinfarkt in der Grippesaison wurde innert 72 Stunden geimpften Patienten die Sterblichkeit, der Reinfarkt und die Stentthrombose um 41% deutlich gesenkt.
Zum Thema Hypertonie: Die Fixkombinationen sollten heute Standard sein – bessere Adhärenz, stärkere BD-Senkung durch frühe Kombination und weniger Nebenwirkungen. Leider wurden diese 2020 in DL nur in 11 % der Fälle eingesetzt. Zu beachten ist, dass Paracetamol den BD um ca. 5mmHg systolisch erhöht und mit einer schlechten Prognose assoziiert ist. Vor allem in verschiedenen Brausetabletten und OC-Medikamenten, welche frei erhältlich sind, hat es viel Natrium, welches diese negativen Effekte hat. In einer aktuellen Studie konnte kein Unterschied von HCT und Chlorthalidon auf kardiovaskuläre Endpunkte nachgewiesen werden. Somit sind die beiden Diuretika vergleichbar und gut für Fixkombinationen. Die Fototoxizität sollte bei HCT nur bei massiver Sonnenexposition und Gabe von Amiodaron beachtet werden. Die nächtliche Gabe von Antihypertensiva war der morgendlichen Gabe nicht überlegen aber auch nicht schädlich (TIME Studie). Cave Adhärenz bei abendlicher Einnahme.
In der Schwangerschaft sollte auch eine milde Hypertonie (140-159/90-109mmHg) behandelt werden. Als Medikamente kommen in Frage: Metoprolol, Labetalol, Nifedipin und Alpha-Methyl-Dopa. Cave ACEH/ARB – diese sollten schon vor der SS abgesetzt werden.
Zum Thema Niereninsuffizienz: Empagliflozin reduziert bei CKD das Risiko für einen Erkrankungsprogress und kardiovaskuläre Todesfälle in der EMPA-Kidney Studie um 28% über 2,5 Jahre. In einer grossen Metaanalyse von 13 Studien bei 90’409 Patienten konnte die Progression der Niereninsuffizienz um 37%, der cv Tod und die HI Hospitalisation um 23% gesenkt werden. Der cv Tod um 14%., das akute Nierenversagen um 23%. Dies mit oder ohne Diabetes mellitus. Die Genese der NI hat keinen Einfluss auf den protektiven Effekt. Eine Etablierung einer Therapie mit einem ACE-H./ARB und einem SGLT2-H. bei CKD führt zu einer Lebenszeitverlängerung von 7,4 Jahren. ACE-H./ARB können auch bei einer chron. Niereninsuffizienz im Stadium IV/V weitergegeben werden. Die nephroprotektiven Effekte von Dapagliflozin und Eplerenon sind additiv.

Literatur: auf Anfrage

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Zwölf Jahre Aerzteverlag medinfo AG

Nach zweijähriger Corona-Pause, der auch das 10-Jahres-Jubiläum zum Opfer fiel, konnte die Tradition wieder aufgenommen werden: Der medinfo-Abend im Circus Conelli, zu dem der Ärzteverlag medinfo AG Jahr für Jahr die Chefredaktoren, Herausgeber und Autoren seiner fünf Fortbildungszeitschriften einlädt – und im geselligen Kreis im Cantinetta Antinori ausklingen lässt.

Einmal mehr war das Jahresende damit Anlass für Verlegerin Eleonore E. Droux, sich für die Unterstützung und Treue über all diese Jahre, seit sie den Verlag gründete, zu bedanken:

Bei den Chefredaktoren und Herausgebern unserer Fortbildungszeitschriften «der informierte arzt», «info@onco-suisse», «info@herz+gefäss», «info@gynäkologie» und «la gazette médicale», die die Themen der Beiträge definieren, sie organisieren und bei einigen Ideen selbst zur Feder greifen, beim jeweiligen Advisory-Board versammelter Kollegen und bei den vielen vielen weiteren Autoren, die Ausgabe für Ausgabe mit Leben füllen.

«info@onco-suisse» – das offizielle Organ der ONCOSUISSE
Ein besonderes Jahr war 2022 bei medinfo für «info@onkologie», die mit dem eingestellten Schweizer Krebsbulletin zur «info@onco-suisse» fusionierte. Damit wurde sie zusätzlich das offizielle Organ der ONCOSUISSE und Publikationsplattform aller beteiligten Gesellschaften.

Prof. Reto Krapf jetzt bei medinfo
Auch eine – an anderer Stelle – nicht geglückte Fusion brachte weiteren Rückenwind: «Prof. Reto Krapf verlässt nach 30 Jahren den EMH-Verlag und kommt zu uns», konnte Eleonore Droux am Latenight-Dinner kurz und bündig verkünden. «Besonders freue ich mich, dass Reto Krapf seine Expertise auch als Medizinischer Direktor in unsere Redaktion einbringen wird, und seinen Journal Watch in neuer Form in unseren Fachzeitschriften fortsetzen wird!»

Vom Start weg war Eleonore Droux überzeugt, in ihren medinfo-Titeln die Leserbedürfnisse nicht redaktionell, sondern aus erster Hand von Ärzten selbst bestimmen und umsetzen zu lassen. Gynäkologie-Herausgeberin der ersten Stunde und Freundin KD Dr. Stephanie von Orelli brachte es in ihrer Laudatio auf den Punkt: «Du hast mit Deiner genialen Kommunikationsgabe eine so illustre Schar wie uns hier zusammengebracht, um besondere Hefte zu kreieren, die man nicht wegwirft – Danke vielmals!»
Dem Dank schloss sich Geriater Prof. Reto W. Kressig gerne an, der augenzwinkernd «bereits 2008 von Ellen Droux gekapert» wurde. Die von ihr geschaffene so familiäre Atmosphäre sei hoch orchestriert – und immer wieder finde sie neue hochkarätige Unterstützer, «während sie die altverdienten weiter mitnimmt».
Unter grossem Applaus konnte die Verlegerin versichern, dass medinfo auch weiterhin nicht stehen bleibt und am besonderen Konzept und seiner durch die vielen Kollegen gesicherten Qualität festhält: «Wir bleiben unserer Philosophie treu, Fortbildung und Redaktion von Inseraten und PR klar zu trennen!»

Wir möchten uns bei Ihnen allen, liebe Chefredaktoren, Herausgeber und Autoren, herzlich für die so vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken und hoffen, auch für unsere Leser, dass Sie uns auch 2023 weiterhin tatkräftig unterstützen werden!

Eleonore E. Droux
Verlegerin & Geschäftsinhaberin

                  

 

Cholesterin Senkung im Alter – wohin und mit welcher Evidenz?

Auf Grund eines ausgezeichneten Vortrages anlässlich der Frühjahrstagung 2022 der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie von Prof. Dr. U. Laufs vom Universitätsklinikum Leipzig kann folgende Aussage zu diesem in der Praxis sehr relevantem Thema gemacht werden: Eine effektive LDL-Senkung <<1,4 mmol/l hat deutliche positive Auswirkungen auf die Gefäss-Plaques, insbesondere in den Koronarien. Nach einer aktuellen Arbeit im JAMA bei Infarktpatienten von L. Räber et al. aus Bern nimmt bei einem LDL von 0,6mmol/l das Atherom-Volumen und der Lipidkern deutlich ab und die Dicke der fibrösen Kappe signifikant zu. Dies führt zu einer Hemmung der Atherogenese und zu einer signifikanten Plaques Stabilisierung. Der absolute klinische Benefit hängt vom individuellen kardio-vaskulären Risiko ab. Dieses ist ja im Alter deutlich erhöht. So konnte in der CTT-Meta-Analyse in 28 Studien unabhängig vom Alter pro 1mmol/l LDL-Senkung das Risiko für kardiovaskuläre Events (Infarkte) um 24%/Jahr gesenkt werden. Dieses Ergebnis wurde auch in einer grossen Metaanalyse mit 21’492 Patienten >75 Jahre bestätigt; es bestand kein Unterschied im Vergleich zu jüngeren Patienten. Auch in einer «Primär-Prävention» bei Patienten ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankungen im mittleren Alter von 81 Jahren zeigte sich in einer retrospektiven Kohorten Untersuchung eine deutliche Senkung der Gesamt- und der kardio-vaskulären Mortalität.

Der Unterbruch einer Statintherapie war bei 75-jährigen atherosklerotischen Patienten mit einer Risikoerhöhung von 33% behaftet. Somit zeigt sich, dass mit einer Statintherapie auch im hohen Alter akute kardiovaskuläre Ereignisse, insbesondere Myokardinfarkte, deutlich reduziert werden können. Es bleibt eine ärztliche individuelle Abwägung bei der Verschreibung von Statinen im Alter. Nicht jeder alte Patient/Patientin bedarf einer diesbezüglichen Behandlung resp. Prävention. Bei fitten, biologisch jüngeren Patienten ist eine solche Therapie aber nach einer individuellen Abwägung auch im hohen Alter gerechtfertigt.

Durch eine unabhängig vom Alter favorisierte Kombinations­therapie mit einem potenten langwirkendem Statin (Rosuva-, Atorvastatin) und Ezetimib kommt es zu einer 65%-igen LDL-Senkung. Dabei bewährt sich wegen der Adhärenz wie in der Hypertonie­behandlung eine Kombinationstablette. Eine weitere Möglichkeit ist bei einer Statinunverträglichkeit die alleinige Einnahme der Bempedoinsäure zusammen mit Ezetimib – LDL -45%. Alle drei Präparate zusammen bewirken eine LDL Senkung von 70%. Durch die Kombination Statin u. Ezetimib u. einem PCSK9-Hemmer kann das LDL nach Katzmann und Laufs um 85% gesenkt werden. Die LDL-Zielwerte richten sich nach dem individuellen Risiko und den klaren Angaben in den ESC Guidelines. «The lower, the better.»

Natürlich sollten auch die restlichen kardiovaskulären Risikofaktoren beachtet und mit den gleichen Abwägungen gut behandelt werden. Betreffend Hypertonie im Alter bewährt sich gemäss ESC ein Home BD-Monitoring mit einem BD-Ziel bei guter Verträglichkeit von 130-139/70-79 mmHg. Davon können nach einer Substudie von SPRINT auch «frailty patients» profitieren (HR 0,68).

 

Dr. med. Urs Dürst, Forch
u.n.duerst@ggaweb.ch

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Spätdumping nach Bariatrischem Eingriff

Das Spätdumping ist eine häufige Komplikation im Langzeitverlauf nach Magenoperationen, speziell nach bariatrischem Eingriff wie beim Roux-Y-Bypass oder bei der Sleeve-Gastrektomie. Die (neuroglykämischen) Symp­tome fallen unterschiedlich aus und können missinterpretiert werden. Die Diagnostik dazu ist entscheidend. Die Therapie basiert heute auf diätetischen Massnahmen, der Pharmakotherapie und in seltenen Fällen der chirurgischen oder endoskopischen Reintervention. Trotz dem multimodalen therapeutischen Ansatz stellt die Spätdumpingproblematik in der haus – oder spezialärztlichen Praxis eine
Herausforderung dar.

Dumping syndrome is a common and frequent complication after gastric surgery, especially after bariatric surgery as Roux-Y-Gastric Bypass or Sleeve-Resection. The (neuroglycemic) symptoms in dumping are multiple and so different and should be suspected so physician awareness is important. Diagnostic tests afford time and may be repeated. Treatment should be primary a diet approach, followed by medication therapy and when this option fails then surgical reintervention can be considered. In spite of different therapeutical options dumping syndrome remains a challenging problem in the follow up after bariatric procedures.

Key Words: Bariatrische Chirurgie, Proximaler Magenbypass, Dumpings Syndrom, postprandiale Hypoglykämie, Neuroglykopenie, Somatostatine,
GLP-1 Analoga, Magenbanding

Fallvignette

Anlässlich der 2-Jahres-Kontrolle an unserem Adipositaszentrum nach Magenbypassanlage bei III-Adipositas (BMI präoperativ von 46 kg/m2, aktueller BMI 28 kg/m2), klagt eine 34-jährige Patientin, Nichtdiabetikerin, seit etwas mehr als einem halben Jahr über Übelkeit, Zittern, Schwitzen und «schwache» Beine. Dies tritt typischerweise wie sie angibt etwa 2 Stunden postprandial auf,
ca. 1 mal die Woche, und unabhängig was sie einnimmt. Sie isst dabei recht schnell, hat beruflichen Stress und wenig Zeit über Mittag. Sie muss sich oft nach dem Essen ein paar Minuten hinlegen. Sie nimmt dann unterwegs Traubenzucker oder Knäckers mit und kann so die Situation bei der Arbeit im Verkauf besser überbrücken. Gelegentlich muss sie wegen Erschöpfung nach Hause und macht sich berechtigterweise auch Sorgen um ihre Arbeitsstelle. Zudem stellt sie wieder eine Gewichtszunahme von 8 kg fest was sie irritiert. Die repetitiven Bestimmungen des Blutzuckers zeigen teils normale Werte, teils Werte aber unter 3.5 mmol/l. Ein halbes Jahr postinterventionell als sie damals wieder «normal» essen konnte gab sie klassische Frühdumpingprobleme mit Übelkeit und Schwindel und hypotonen Blutdruckwerten an, die aber unter Anleitung unserer Ernährungsberatung und erfolgreicher Änderung des Ess- und Trinkverhaltens deutlich besserten. Mit der Diagnose eines sog. Spätdumpings wird sie nun wiederum engmaschig durch unsere Ernährungsberatung betreut und die Kohlenhydratzufuhr optimiert. Flüssige KH-Zufuhr wie Süssgetränke, Red Bull oder alkoholische Getränke werden verneint, eher schon Süssspeisen und Snacks. Bei geringer Wirkung dieser Massnahmen erfolgt eine medikamentöse Unterstützung, doch wegen fehlender Medikamenten Compliance haben wir uns schliesslich entschieden, laparoskopisch ein Minimizer-Band im Bereich der Anastomose zu implantieren. In der Zwischenzeit, 6 Monate postoperativ, haben die Beschwerden deutlich gebessert, treten auch nicht mehr regelmässig auf und ihr Gewicht konnte sie ebenso stabilisieren. Der Langzeitverlauf auch nach operativer Korrektur bleibt aber abzuwarten.

Einleitung

Trotz den auf dem Markt angepriesenen GLP1-Analoga ist die bariatrische Chirurgie heute noch immer die wirksamste Therapie für eine nachhaltige Reduktion des Gewichtes bei morbider Adipositas. Wie eine grosse noch nicht publizierte retrospektive Kohortenstudie mit über 25’000 analysierten Patienten aus einem nationalen Register (BAG) vom Zeitraum 2012 -2018 zeigt, wird in der Schweiz zu fast 80 % als Eingriffsmethode der proximale Magenbypass (PMB) favorisiert, zu knapp 20 % noch die Magen-Sleeve-Resektion (1).
Mit der weltweiten Zunahme bariatrischer Eingriffe beobachten wir analog zur medikamentösen Therapie auch bedeutende Nebenwirkungen und Komplikationen sowohl im Früh- wie im Langzeitverlauf. Ein relevantes Problem ist die postprandiale Hypoglykämie mit unterschiedlichen Symptomen was allgemein als Dumping Syndrom (DS) bezeichnet wird (2). Wir kennen aber auch postprandiale Hypoglykämien bei Bypasspatienten die symptomfrei bleiben wie auch bei Nichtoperierten (Abb. 1). Wir unterscheiden dabei zwei Arten von Dumping, ein Früh- und ein Spätdumping. Wegen der Magenverkleinerung und dem direkten Anschluss des proximalen Jejunums mit u.a. Ausschluss der duodenalen Passage kommt es zur raschen Entleerung relevanter Nahrungsportionen v.a. Kohlenhydrate in den Dünndarm. Beim Frühdumping kommt es dadurch 30-60 Minuten nach dem Essen zu einem Shift von Flüssigkeits­volumen in das Darmlumen sowie dem Auslösen gastrointestinaler Hormone was zu lästigen vasomotorischen und gastro-intestinalen Symptomen führt. Das Spätdumping erfolgt dagegen 2-3 Stunden später postprandial, vorwiegend nach Einnahme niedrigwertiger Kohlenhydrate und folgender meist inkretingesteuerter Hypoglykämie. In der Literatur ist der Begriff Spätdumping oft ungleich definiert, aber man ist sich einig, dass es den gleichen pathophysiologischen Hintergrund hat wie das Nichtinsulinoma Pankreatogene Hypoglykämische Syndrom (NIPHS) und die Neisidioblastose. Als pathologischer Wert wird ein BZ von<2.8mol/l definiert.
Früh- wie Spätdumping kann nach allen Formen einer Ösophagus- oder Magenresektion auftreten, speziell nach totaler Ösophagektomie und nach Roux-Y-Magenbypass. Wegen der hohen Anzahl operierter Adipositaspatienten nimmt der PMB mit seinen Komplikationen eine grosse Bedeutung in der hausärztlichen und Adipositas­sprechstunde ein, zumal oft fehl- oder unterdiagnostiziert, werden die Folgen davon trotz hohem Leidensdruck gelegentlich unterschätzt.
Diese Übersichtsarbeit zeigt die Problematik auf unter Analyse der aktuellen Datenlage aber auch aus der eigenen Erfahrung heraus nach über 25 Jahren bariatrischer Chirurgie.

Ursache

Gemäss neuester Literatur sind diese Insulin/Inkretin-Dysregulationen oft multifaktoriell und nicht eindeutig pathophysiologisch geklärt. Unklar auch weshalb die Hypoglykämie nach Magen­bypass meistens mehr als ein Jahr postoperativ auftreten kann. Man schätzt die Häufigkeit bei 10-15 % oder mehr, zumal die Dunkelziffer höher liegt (3). Nur knapp 0,34 % der operierten Bypasspatienten in der Schweiz müssen gemäss der zitierten Kohortenstudie aus dem KS Aarau deswegen hospitalisiert werden (1).
Die Hypoglykämie ist meist charakterisiert durch eine unproportionale Insulinantwort nach Nahrungsaufnahme bei Magenoperierten, eine Art Insulinübersensitivität v.a nach starker Gewichtsreduktion sowie eine Inselzelldysfunktion nach Bypassanlage. Durch die Passage der Nahrung direkt vom Magenpouch in den proximalen Dünndarm unter Umgehung des Duodenums (Abb. 2) bewirkt der Bypass einen starken glykämischen Effekt mit der Folge überschiessender Inkretin-Sekretion, z.B. bis 10-fach erhöhter GLP-Sekretion. Zudem scheint, dass nach Bypassanlage die B-Zell-Suppression trotz Hyperinsulinämie reduziert ist (4).

Diagnostik

Eine akkurate Anamnese ist essentiell zumal differentialdiagnostisch immer auch andere Formen der Hypoglykämie in Frage kommen. Wie war die Mahlzeit vor Auftreten der Symptome, wie schnell wurde gegessen, was dabei getrunken? In welchem zeitlichen Abstand zur Mahlzeit traten die Symptome auf? Welche Medikamente werden regelmässig eingenommen?
Aber: viele Patienten nach Magenbypass klagen über Herzklopfen, Schwächegefühl, Schwindel. Dabei kann es sich wohl um Dumping-Symptome handeln allerdings ohne nachweisbare Hypoglykämie.
Treten die Beschwerden bei schwerer körperlicher Tätigkeit auf, in nüchternem Zustand (Fastentest!) oder nachts muss zwingend nach anderen Ursachen der Hypoglykämie gesucht werden, z.B. Nichtinselzelltumore, Insulinome, eine schwere Malnutrition etc.
Die Whipple-Kriterien für ein DS (Neuroglykopenische Symptome, messbarer tiefer BZ, Symptombesserung nach Kohlenhydrateinnahme) sind von zentraler Bedeutung (5). Die Symptome können mild oder eben sehr schwer sein und sind daher gefährlich: Kopfweh, Schwitzen, Schwäche, Verwirrung, Palpitationen, Sprachstörungen, Angstzustände, Tremor bis zum Bewusstseinsverlust.
Ein kontinuierliches Glukose-Monitoring kann hilfreich sein, wird aber bei uns nicht routinemässig und nur bei komplexen Fällen durchgeführt. Es gibt auch Fehlwerte, z.B. nachts, wenn der Patient auf dem Sensor liegt. Eine kapilläre BZ-Messung zum Zeitpunkt des Symptombeginns und entsprechend instruierten Patienten genügt in den meisten Fällen.
Ein verlängerter Mahlzeitentest mit Bestimmung von Glucose, Insulin und C-Peptid kann hilfreich sein; in speziellen Fällen bestimmen wir auch das Proinsulin, das GLP-1 und das Glucagon. Ein oraler Glukosebelastungstest ist problematisch bei Magenoperierten und sollte wegen den zu erwartenden schweren Nebenwirkungen nicht mehr durchgeführt werden.

Therapie

Als erste Massnahme nach Diagnose einer postprandialen Hypoglykämie bedarf es einer exakten Ess- und Trinkanalyse durch den Hausarzt oder die Ernährungsberaterinnen des Adipositaszentrums. Mittels Esstagebuch soll Portionengrösse, Nahrungszusammensetzung und Art und Zeitpunkt der aufgetretenen hypoglykämischen Symptome erfasst werden. Als Diätempfehlung macht dabei ein Verzicht auf Kohlenhydrate wenig Sinn. Vielmehr sollen einfache KH durch komplexe, hochwertige oder Fructose ersetzt werden; diese in kleineren Portionen eingenommen und am besten in Kombination mit Proteinen und essentiellem Fett (6).
Langsames und gutes Kauen der Nahrung, Trinken und Essen dabei strikt trennen gehört ebenso zu den Eckpfeilern der Essumstellung. Eine engmaschige Begleitung durch die Ernährungsberatung in dieser Phase ist selbstverständlich. Zeitgleich muss auch die Supplementation der Vitamine und anderer Nährstoffe monitorisiert werden, um eine Mikro- oder Makromalnutrition auszuschliessen.
Koffein und Alkohol sollte wenn möglich vermieden werden da es den hepatisch induzierten Glukoseabbau hemmen kann.
Wichtig ist der Einbezug von Angehörigen und Arbeitskollegen/Arbeitsgeber, damit alle die Alarmsymptome kennen um möglichst vor Eintreten gefährdender Symptome und Folgen entsprechend präventive Massnahmen zu ergreifen, z.B. Fahrverbot als Lastwagenchaffeur.
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit parallel zur Diätumstellung ergibt sich durch Medikamente. Acarbose, durch Hemmung der intestinalen Alpha-Glucosidase, bewirkt eine verlangsamte Resorption der Glucose. Um Nebenwirkungen wie abdominale Krämpfe und Gasretention so niedrig wie möglich zu halten soll dieses eintitriert werden, beginnend z.B. mit einer Dosierung von 25 mg p.os. Somatostatinanaloga wie Octreotid, subcutan verabreicht, hemmen die Insulin- und GLP1-Sekretion. Die initiale Dosis beträgt hier etwa 50 Microgramm s.c. vor dem Essen (7), später Steigerung bis 100 Microgramm gefolgt von einem Langzeitsomatostatin i.m. verabreicht. Nebst den hohen Kosten haben Somatostatine als Nebenwirkung Durchfall, QT-Intervallverlängerung und Risiko einer Cholecystolithiasis.
Neuerdings werden vermehrt auch GLP1-Agonisten eingesetzt, meist Liraglutide, dies wurde bereits in einer Studie von 2013 empfohlen, evidenzbasierte Daten sind aber noch Inhalt laufender Studien (8).
Chirurgische Eingriffe gelten auch heute als letzte Option bei refraktärer medikamentöser Therapie oder bei Malcompliance. Bezüglich Rückwandlungen des Bypasses in die ursprüngliche Form zurück sind Einzelfälle beschrieben ebenso wie das aggressivere Vorgehen der distalen, sog. Linkspankreatektomie zur vermeintlichen Kontrolle der Hyperinsulinämie. Wegen der hohen Komplikationsrate wie auch der Rezidivrate (trotz ausgedehnter Parenchymresektion) können solche Eingriffe nicht empfohlen werden.
In unserem Adipositaszentrum favorisieren wir dagegen seit 7 Jahren eine sog. Magenoutletrestriktion, d.h. der Übergang vom kleinen Magenpouch in den Dünndarm wird durch ein laparoskopisch platziertes einfaches Magenband (Abb. 3) vorsichtig eingeengt (9). Im Gegensatz zur transoralen endoskopischen Anastomosenraffung mit der Gefahr der erneuten Dilatation bleibt das Band stabil an Weite. Sämtliche Verfahren ob endoskopisch oder laparoskopisch haben aber ihre Risiken wie Magenperforation, zu enge Naht mit Dysphagie, Refluxbeschwerden, Magenbandmigration und das Dumpingrezidiv.

Dr. med. Alessandro Wildisen

Chefarzt Viszeralchirurgie LUKS Sursee
Co-Leiter Adipositaszentrum Zentralschweiz Standort Sursee
Spitalstrasse 38
6210 Sursee

Der Autor hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Nach proximalem Magenbypass kann auch Jahre nach der Operation durch eine überschiessende Insulin/Inkretin-Sekretion als Reaktion auf die hohe Glucosezufuhr im proximalen Darm eine schwere Hypogly­kämie resultieren mit neuroglykämischen Symptomen und so Kompromittierung der Lebensqualität trotz zufriedenstellender Gewichts­­abnahme. Diese Symptome müssen ernst genommen werden, benötigen eine umfängliche Abklärung und Therapie. Letztere besteht aus drei Säulen: Ernährungsberatung mit Änderung der Essgewohnheit, Vorstellung am Adipositaszentrum/Endokrinologen und Evaluation einer medikamentösen Therapie, bei Persistenz der Symptome Erwägung einer restriktiven Chirurgie mit Anastomoseneinengung (gastric outlet restriction).

 

Literatur:
1. Wildisen A., Schütz P., Rate of cardiovascular events and safety outcomes seven years following gastric bypass versus sleeve gastrectomy, Division of Endocrinology, Diabetes and Metabolism; University Department of Med-icine, Kantons­spital Aarau, Aarau, Switzerland, publication in evaluation
3. Malik S.Recognition and Management of hyperinsulinemic hypoglycemia after bariatric surgery.Obes Res Clin Pract 2016;10(1):1-14
2. Banerjee A. The role of dumping syndrome in weight loss after gastric bypass surgery.Surg Endosc 2013;27:1573-1578
4. Dirkson C. No islet cell hyperfunction but altered gut-islet regulationand post­prandial hypoglycemia in glucose tolerant patients 3 years after gastric Bypass surgery. Obes Surg 2016;26(9):2263-2267
5. Salehi M. Hypoglycemia after Gastric Bypass Surgery Current Concepts and Controversies. J Clin Endocrinol Metab 2018; 103(8):2815-2826

6. Stano S. Effect of mealsize and texture on gastric pouchemptying and
glucagonlike peptide 1 after gastric bypass surgery. Surg Obes Relat Dis
2017 ;13(12):1975-1983
7. Myint KS.Prolonged successful therapy for hyperinsulinaemic hypoglycemia
after gastric bypass: the pathophysiological role of GLP-+ and its response to
a somatostatine analogue. Eur J Endocrinol. 2012; 166(5):951-955
8. Abrahamsson N. GLP-1-analogs as treatment of postprandial hypoglycemia
following gastric bypass surgery: a potential new indication?. Eur J Endocrinol 2013; 169(6):885-889
9. Z’graggen K. Severe recurrent hypoglycemia after gastric bypass surgery 2008;18(8):981-988