Chronische Herzinsuffizienz in der Hausarztpraxis

Die Herzinsuffizienz (HI) bleibt ein sehr wichtiges Thema der Medizin. Trotz einer gut etablierten medikamentösen vierer ­Therapie bleiben die HI-Hospitalisationsrate und die kardiovaskuläre (cv) Mortalität weiterhin hoch – 1 von 7 Patient*innen (14,3%) über 24 Monate erleidet ein kardiales Event (1). Weltweit gibt es ca. 64 Millionen Patient*innen mit einer HI; davon hat ca. die Hälfte eine EF >40%. Dieser Anteil wächst markant. Die Prävalenz in der Schweiz beträgt 1,45% und nimmt mit dem Alter deutlich zu, das mediane Alter beträgt 75 Jahre. Bei Patient*innen älter als 65 Jahre ist die HI die häufigste Hospitalisationsursache mit einer deutlich erhöhten Mortalität von 30% im ersten Jahr. Jeder dritte Betroffene wird innerhalb von 90 Tagen nach Entlassung abermals hospitalisiert.

Heart failure (HI) remains a very important medical issue. Despite well-established four-drug therapy, HI hospitalisation rates and cardiovascular (cv) mortality remain high – 1 in 7 patients (14.3%) over 24 months experience a cardiac event (1). There are approximately 64 million patients with HI worldwide, half of whom have an EF >40%. This proportion is growing rapidly. The prevalence in Switzerland is 1,45% and increases significantly with age; the median age is 75 years. In patients older than 65 years, HI is the most frequent cause of hospitalisation with a significantly increased mortality of 30% in the first year. Every third patient is hospitalised again within 90 days after discharge.
Key Words: Heart failure, ejection fraction, quadruple therapy

Definition und Entwicklung der Herzinsuffizienz

Die Herzinsuffizienz ist ein Syndrom und die gemeinsame Endstrecke verschiedener kardialer Erkrankungen. Sie hat zunehmend klinische und gesundheitsökonomische Bedeutung, da die Mortalität vieler kardialer Erkrankungen abnimmt, dadurch jedoch der chronische Verlauf und damit die Prävalenz der HI ansteigt. Die Definition lautet: «Eine strukturelle oder funktionelle Abnormalität des Herzens, welche zu einem erhöhten intrakardialen Füllungsdruck und/oder einer verminderten Pumpleistung in Ruhe oder bei Belastung führt.» Wichtig ist hierbei, dass sich die HI nicht allein durch die verminderte Pumpleistung definiert (klassische HI mit reduzierter Ejektionsfraktion – HFrEF) sondern auch über einen Zustand mit erhöhtem Füllungsdruck des Herzens (wie beispielsweise auch bei der HI mit erhaltener Ejektionsfraktion – HFpEF).

Die Entwicklung der HI wird in Stadien eingeteilt, vom Vorliegen spezifischer Risikofaktoren bis zum Vollbild des Syndroms. Die Risikofaktoren einer HI sind: Inaktiver Lebensstil, Adipositas, Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Nikotinabusus, KHK, exzessiver Alkoholkonsum, kardiotoxische Medikamente, thorakale Bestrahlung. Diese führen dann über die Jahre zu einer strukturellen Störung mit systolischer und/oder diastolischer Dysfunktion, LV-Hypertrophie, LV-Dilatation, Vitien und erhöhtem Füllungsdruck mit erhöhten Biomarkern. In der Folge leidet der Patient an Symptomen wie Anstrengungsdyspnoe, verminderter Belastbarkeit mit verlängerter Erholung, Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe, Bendopnoe, Schwäche, Müdigkeit und Gewichtsanstieg. Man findet dann die typischen Zeichen mit Halsvenenstauung, Ödemen, verlagertem Herzspitzenstoss/3.Herzton bei HFrEF oder ein intensiver Spitzenstoss/4.Herzton bei der HFpEF.

Klassifizierung der Herzinsuffizienz anhand der Ejektionsfraktion Die Bestimmung der Biomarker, ein abnormes Ruhe-EKG und evt. ein Thorax-Röntgen sind häufig die ersten Abklärungen beim Hausarzt. Es folgt eine kardiologische Beurteilung mit Echokardiographie. So kann dann die HI anhand der Ejektionsfraktion (EF) in eine der drei Formen eingeteilt werden (2):

  • HI mit reduzierter EF (HFrEF) mit LV-EF ≤40%
  • HI mit leicht reduzierter EF (HFmrEF) mit LV-EF von 41-49%
  • HI mit erhaltener EF (HFpEF) mit LV-EF ≥ 50%

Der Pathomechanismus einer HI mit reduzierter EF unterscheidet sich grundsätzlich von demjenigen einer HI mit erhaltener EF. Dies erklärt die unterschiedliche prognostische Beeinflussbarkeit durch Medikamente bei diesen Formen der Herzschwäche. Während bei der HFrEF (und auch bei der HFmrEF) eine myokardiale Schädigung zu einer verminderten Pumpleistung führt, kommt es bei der HFpEF durch Risikofaktoren und Komorbiditäten zu einer systemischen Entzündung und einer endothelialen Dysfunktion. Folge sind eine Hypertrophie und Fibrose, was wiederum zu einer eingeschränkten Relaxation des linken Ventrikels und zu einem erhöhten linksventrikulären Füllungsdruck führt.

Eine zusätzliche Form ist die HI mit verbesserter EF unter Therapie (>40%): «HFimpEF». Hier sollte die Herzinsuffizienz-Medikation nicht reduziert werden, da es sonst gemäss TRED-HF Studie in 44% der Patienten zu einer erneuten Verschlechterung der HI kommt (3).
Zur Klärung der Ätiologie der HI müssen gegebenenfalls weiterführende Untersuchungen (z.B. Koronar-CT, Koronarangiographie, Herz-MRI etc.) durchgeführt werden. Differentialdiagnostisch wird grundsätzlich zwischen ischämischer und nicht ischämischer Kardiomyopathie unterschieden. Die ischämische Form ist die häufigste Ätiologie der HI mit reduzierter EF. Bei den nicht ischämischen Ursachen muss differentialdiagnostisch u.a. an eine genetische Form (Kardiomyopathien), eine Myokarditis, Speichererkrankungen (z.B. Amyloidose, Hämochromatose, M. Fabry etc.), Klappenvitien, eine hypertensive Herzkrankheit, eine Arrhythmie (z.B. Tachykardiomyopathie), eine toxische Ursache, ein High Output Failure (Thyreotoxikose, Anämie etc.) oder eine autoimmun-entzündliche Form (z.B. die Sarkoidose) gedacht werden. Bei einer HI mit erhaltener EF (HFpEF) sind häufig mehrere Komorbiditäten wie Adipositas, Hypertonie, Diabetes, KHK, Vorhofflimmern, OSAS, chron. Niereninsuffizienz u.a. vorhanden. Je mehr Komorbiditäten desto höher die Morbidität und Mortalität. Ein Screening sowie deren gezielte Behandlung wird empfohlen (2).

Diabetes mellitus (DM) Typ 2 stellt eine wichtige Komorbidität der HI dar, die massgeblich die Prognose der Patient*innen determiniert. So haben 20-40% der HI-Patient*innen einen DM. Umgekehrt sollte man bei jedem Diabetiker auch an die HI denken und gezielt nach den Symptomen fragen. Somit beinhaltet das frühe Labor-Screening ein HbA1c und bei Symptomen einer HI beim Diabetiker ein NT-pro-BNP (4).

Die vier Säulen der medikamentösen Herzinsuffizienz-Therapie

Die Ziele einer HI-Therapie sind: Verbesserung des Überlebens, Verhinderung der HI-Hospitalisationen, Behandlung und Prävention der Symptome, Verbesserung der Lebensqualität und der körperlichen Leistungsfähigkeit. Die vier medikamentösen Pfeiler der HI-Therapie bei einer HFrEF sind in Abbildung 1 ersichtlich.

Aufgrund der heutigen ESC-Leitlinie sollten bei einer akuten HI nach der Dekongestion mit Schleifendiuretika und evt. zusätzlicher Gabe von Azetazolamid i.v. (5) folgende vier Medikamente zur Reduktion der Mortalität rasch und möglichst gleichzeitig eingesetzt werden:

  • Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Hemmer (ARNI) oder ACE-Hemmer (ACE-H.) = RAAS-Hemmer
  • Beta-Blocker (BB)
  • SGLT2-Hemmer (SGLT2-H.)
  • Mineralocorticoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA)

Die Datenlage dieser vier Medikamente ist so überzeugend, dass für alle eine IA Indikation (=Indiziert, Daten aus mehreren randomisierte Studien) besteht (2). Selbstverständlich muss die Dosierung der Klinik, dem Blutdruck, der Herzfrequenz, der Nierenfunktion und dem Kaliumspiegel angepasst werden. Die Dosissteigerung richtet sich ebenfalls nach diesen Parametern. Diese vier Medikamente sollten innerhalb von vier Wochen eingesetzt werden. Die Titration zur Zieldosis erfolgt erst nach Initiierung aller vier Medikamente. Entscheidend für den prognostischen Benefit bezüglich Rehospitalisationsrate und Überleben ist die Implementierung in kurzer Zeit (2). Wichtig ist auch, nach Erreichen der Euvolämie die Schleifendiuretika (Furosemid oder Torasemid) zu reduzieren, damit die anderen Wirkstoffe in der Dosierung gesteigert werden können. Die Diuretika verbessern die Prognose nicht.

In den Guidelines werden die ACE-H. (IA) immer noch vor den ARNI (IB = indiziert, Daten aus einer randomisierten Studie) erwähnt (2). ARNI haben als Ersatz für den ACE-H. bei persistierenden Symptomen eine klare Empfehlung (IB). Ein Mortalitätsbenefit wurde nach initialem Beginn mit einem RAAS-H. gezeigt (6). Allerdings kann auch ein direkter Beginn mit ARNI gemäss Leitlinien erwogen werden (IIb/B). Dieser führt zu einer signifikanten Mortalitätsreduktion und zeigt eine signifikante Senkung des kombinierten Endpunktes kardiovaskulärer Tod oder Herzinsuffizienz-Hospitalisation durch Sacubitril/Valsartan gegenüber Enalapril (6, 7). Bei einem Wechsel von einem ACE-H. zu Entresto® muss eine 36-stündige Pause eingehalten werden. Dabei muss die Dosis vorsichtig auftitriert werden. Bei Verordnung eines ARNI ist die Limitatio des BAG zu beachten: NYHA II-IV, EF ≤40% und Vorbehandlung mit einem RAAS-Hemmer. Angiotensin-Rezeptor-Blocker (ARB) haben ihre Berechtigung bei einer ACE-H. Intoleranz. Die Datenlage ist eingeschränkt (IB, CHARM Trial).

Die Analyse dreier Studien (EMPHASIS-HF, PARADIGM-HF, DAPA-HF) zeigte, dass eine Therapie mit den «fantastic four»: ARNI, BB, MRA, SGLT2-H. einen signifikant besseren ereignisfreien Verlauf (bez. cv Tod und Herzinsuffizienz-Hospitalisationen) ergibt als eine konventionelle Doppel-Therapie mit einem ACE-H./ARB und einem BB. Es ergab sich ein Gewinn von 8,3 ereignisfreien Jahren bei einer Therapie bei 55-Jährigen, resp. von 6,3 Jahren bei 65-Jährigen (8).

Ambulante Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz

Nach der Hospitalisation obliegt die Langzeit-Therapie dem Hausarzt und dem niedergelassenen Kardiologen*in oder einer ambulanten kardiologischen Sprechstunde. In schwierigen Fällen wird der Patient*in in einer spezialisierten Herzinsuffizienz-Ambulanz betreut. Eine erste Kontrolle nach Rekompensation sollte innert 7-14 Tagen nach Spitalentlassung beim Hausarzt/Hausärztin stattfinden (IA Empfehlung) um die Verträglichkeit der Therapie zu beurteilen, den Volumenstatus/Gewichtsverlauf zu überprüfen und die Diuretika anzupassen (2). Neben einer klinischen Kontrolle bedarf es einer Laborkontrolle (u.a. Elektrolyte, Kreatinin/eGFR, Transaminasen, Hämoglobin, Eisenstatus) und eines weiteren Ruhe-EKGs.

Je nach Klinik und Komplexität des Falles ist auch der betreuende Kardiolog*in bereits bei der ersten Kontrolle involviert. Sicher aber sollte nach ca. vier Wochen eine kardiologische Untersuchung stattfinden. Wenn möglich sollten bei der HFrEF die Medikamente ARNI, BB und MRA in der Dosis noch weiter gesteigert werden. Die Gabe eines SGLT2-H. (Empagliflozin oder Dapagliflozin) erfolgt in einer Dosis von 10mg. Dieses Medikament hat praktisch keinen Einfluss auf den Ausgangs-BD. Hingegen können ARNI und die MRA (Spironolacton, Eplerenon) den BD senken. Eplerenon hat einen deutlichen Prognosevorteil bei einer HFrEF bei koronarer Herzkrankheit. Bei einem Serumkalium >5.5mmol/l ist der Einsatz nicht – respektive nur zusammen mit einem Kaliumbinder (z.B. Patiromer) empfohlen (9). Regelmässige Kalium- und Kreatininkontrollen sind wichtig.

Der BB reduziert den plötzlichen Herztod (SCD). Es gibt folgende Möglichkeiten: Metoprolol Succinat 12,5 – max. 200mg 1x tgl., Bisoprolol 1,25 – 10mg 1x tgl., Carvedilol 3,125 – 25mg 2x tgl. oder Nebivolol 1,25 – 10mg 1x tgl. Die Ziel-HF im SR liegt bei einer HI bei <70/min. Ivabradin, ein If-Kanal-Blocker, ist zu erwägen, falls diese Ziel-HF mit dem BB (evt. auch wegen NW) nicht erreicht wird (IIa) (2).
Wenn möglich sollten die Zieldosen der vier Medikamente je nach Patient*in innerhalb von vier bis acht Wochen erreicht werden.
SGLT2-H. sind lediglich in einer Dosis empfohlen und müssen nicht auftitriert werden. Der genaue Wirkmechanismus ist nicht bekannt, durch die diuretische Wirkung allein wird der prognostische Benefit nicht erklärt. Diese Medikamentenklasse senkt aber u.a. das Renin-Angiotensin-Aldosteron, den Sympathikotonus, den oxidativen Stress und die Entzündungsreaktion (10).

Bei einer EF <40% (HFrEF) haben Empa- und Dapagliflozin eine Klasse IA Indikation (2). Dies mit oder ohne DM Typ 2. Empagliflozin reduzierte in der EMPEROR-Reduced-Studie den cv-Tod oder die Hospitalisation wegen HI um 25% mit einer NNT von 19 (11). In der DAPA-HF-Studie zeigten sich vergleichbare Resultate – RRR 26%, NNT 21 (1). Ein SGLT2-H. kann zur Behandlung der HI bis zu einer minimalen GFR von ≥20-25ml/min/1.73m2 eingesetzt werden. Die SGLT2-H. sind nach mehreren chron. Niereninsuffizienzstudien nephroprotektiv.

Pausiert werden sollten die SGLT2-H. vor einer Operation oder bei fehlender Nahrungsaufnahme. Dies aufgrund einer möglichen Ketoazidose, was zwar selten aber potenziell letal wäre. Aus dem gleichen Grund ist bei einer HI und einem DM Typ 1 ein SGLT2-Hemmer kontraindiziert. Das Problem der Genitalinfekte durch SGLT2-H. ist bei der Behandlung der HI viel geringer als beim DM Typ 2. Ein weiterer Vorteil: es gibt weniger Hyperkaliämien bei der gleichzeitigen Gabe von MRAs und SGLT2-H. (Vgl.: www.heart-failure.ch: Pocketcard der Swiss Heart Failure Working Group der SGK.)


Bei der HFmrEF mit einer EF von 41-49% haben die Medikamente ARNI, BB, MRA «nur» eine IIbC-Indikation (= können erwogen werden, Expertenmeinung), da sich die Empfehlung in diesem EF-Bereich aus Subgruppenanalysen ableitet. Die HFmrEF ist aber vom Pathomechanismus und dem Therapieansprechen der HFrEF ähnlicher als der HFpEF. Der SGLT2-H. Empagliflozin hat gemäss Studienlage (EMPEROR-Preserved) (12) auch bei Patienten mit HI mit LV-EF ≥40% (umfasst HFmrEF und HFpEF) einen prognostischen Benefit bezüglich cv Tod und Zeit bis zur ersten Herzinsuffizienz-Hospitalisation gezeigt. Der prognostische Benefit ist bereits in den ersten 3 Wochen zu sehen. Es profitieren alle Subgruppen. Die Lebensqualität wird verbessert. Die DELIVER Studie (13) mit Dapagliflozin konnte die Indikation auch für diesen SGLT2-H. bei einer EF ≥40% bestätigen, so dass von einem Klasseneffekt auszugehen ist. Ausschlaggebend für den Unterschied war in beiden Studien eine signifikante Reduktion von HI-bedingten Klinikeinweisungen.
Bei einer HFpEF zeigten die SGLT2-H. in den genannten Studien ebenfalls einen statistisch signifikanten Benefit. In beiden Studien senken sie das relative Risiko für einen kardiovaskulären Tod oder eine Hospitalisation wegen HI um 20%. In einer Metaanalyse, welche am ESC-Kongress 2022 in Barcelona vorgestellt wurde, konnte in fünf Studien über das gesamte Spektrum der EF eine Risikoreduktion von 23% (NNT von 25) bezüglich cv Tod oder eine Hospitalisation wegen HI erzielt werden (14). So bekommt der SGLT2-H. hier bald auch in den ESC-Leitlinien eine entsprechende Indikation bei Patient* innen mit HFmrEF und HFpEF.

SGLT2-H. werden von den Experten schon heute über das gesamte Spektrum der Ejektionsfraktion der HI (HFrEF, HFmrEF, HFpEF) empfohlen. Auch in der Schweiz ist eine Erweiterung der Indikation für Herzinsuffizienzen mit EF >40% in absehbarer Zeit zu erwarten. Aktuell bedarf die Verschreibung gemäss SL-Liste des BAG noch «einer EF≤40%» (15).

Erneute Dekompensation/Verschlechterung der Herzinsuffizienz

Bei einer Dekompensation sollte der Patient*in sofort an einen Kardiologen*in oder an die Klinik überwiesen werden. Jede Dekompensation verschlechtert die Gesamtprognose. Neben einer Optimierung der bisherigen Therapie erfolgt eine Suche und gegebenenfalls Behandlung neuer Ursachen der Dekompensation. Neu stellt der lösliche Guanylatcyclase Stimulator Vericiguat bei einer HI Hospitalisation eine erfolgreiche medikamentöse Therapieoption bei HFrEF-Patient*innen mit schlechter werdender HI trotz optimaler Therapie mit ARNI, BB, MRA und SGLT2-H. dar (IIbB) (2). Patienten mit sehr hohem NT-pro-BNP sollten aber vor Gabe von Vericiguat stabilisiert werden, da sonst die kardiovaskuläre Mortalität und das Risiko für eine erneute Hospitalisation erhöht sind.

Weitere Empfehlungen und Therapieoptionen

Weiterführende interventionelle (z.B. PCI oder CABG bei ischämischer Kardiomyopathie, PVI eines VHFLi bei HI (IIa), Mitra-Clip (16) bei einer signifikanten funktionellen Mitralklappeninsuffizienz etc.) oder Device-basierte Therapien (z.B. ICD oder CRT-D bei entsprechender Indikation) richten sich nach der zugrundeliegenden kardialen Erkrankung und/oder individuellen Konstellationen.

Essentiell sind bei chronischer HI die regelmässigen Verlaufskontrollen (IA) beim Hausarzt/Hausärztin und beim behandelnden Kardiologen*in. Da die HI häufig eine Multisystemerkrankung ist, müssen bei Bedarf evt. weitere Spezialisten in die Behandlung miteinbezogen werden: z.B. Psychiater bei Depression, Nephrologe bei begleitender schwerer Niereninsuffizienz, Diabetologe bei unbefriedigender metabolischer Stoffwechsellage. Auch wiederholte Patient*innen Schulungen sind für den Therapieerfolg sehr hilfreich (2). Bei der HI ist die Prävalenz eines Eisenmangels mit >50% sehr hoch; dies unabhängig vom Hämoglobin. Ein Eisenmangel (definiert als Ferritin <100ug/ml oder Ferritin 100-299ug/ml und Transferrin-sättigung <20%) sollte gesucht (IC Empfehlung) und intravenös mit Eisencarboxymaltose substituiert werden, um die Hospitalisationsrate zu senken und die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität zu verbessern (IIa A) (2, 17). Eine perorale Eisensubstitution ist wegen einer Eisenresorptionsstörung bei HI nicht sinnvoll.

Wichtig ist auch eine gezielte Sport- und Bewegungstherapie zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität und Verminderung der HI-Hospitalisationen (IA Empfehlung). Bei schweren Fällen einer HI, Gebrechlichkeit oder Komorbiditäten (z.B. eine HI mit Depression) soll gemäss Expertenmeinung eine kardiale Rehabilitation erwogen werden (IIa C) (2).

Eine Grippe- (gem. CH-Impfplan bei allen HI Patienten) und Pneumokokken-Impfung (gemäss CH- Impfplan ab NYHA Stadium III-IV) sollte durch den Hausarzt/Hausärztin bei diesen Patient*innen durchgeführt werden. Damit können schwere Verläufe und HI-Hospitalisationen signifikant vermindert werden (IIa B) (2).

Auch das Telemonitoring (entweder «nicht-invasiver Daten» wie Gewicht, BD, HF, Symptome oder «invasiver Daten» von implantierten Devices zur Messung des pulmonal arteriellen Drucks) erlangt bei der Früherkennung einer Dekompensation einer HFrEF zunehmend an Bedeutung. So profitieren gewisse Patient*innen mit einer Reduktion der Sterblichkeit, der HI-Hospitalisation und einer Verbesserung der Lebensqualität (IIbB) (2).

Eine Kontrolle findet bei stabilen Verhältnissen alle 6-12 Monate beim Kardiolog*in statt. Entscheidend bleibt für den Patient*in die gute und enge Zusammenarbeit zwischen seinem Hausarzt/Hausärztin und seinem Kardiolog*in, der Klinik und weiteren Spezialist* innen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Victor Dürst

Herzpraxis Zollikon
Zollikerstrasse 79
8702 Zollikon

dipl. Arzt Sandro Marcaccini

Herzpraxis Zollikon
Zollikerstrasse 79
8702 Zollikon

Dr. med. Urs N. Dürst

Zelglistrasse 17
8127 Forch

u.n.duerst@ggaweb.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die heutige HI-Therapie bei einer HFrEF umfasst nach Leitlinien eine initiale Vierfachtherapie; Beginn in niedriger Dosis: ARNI/ACE-H./ARB, Beta-Blocker, SGLT2-H., MRA.
◆ Diese vier Medikamente sollten innerhalb von vier Wochen eingesetzt werden. Die Titration zur Zieldosis erfolgt erst nach Initiierung aller vier Medikamente. ARNI sind dem ACE-H. gemäss Studienlage überlegen.
◆ Ein SGLT2-Hemmer sollte unabhängig von der LV-EF und bei jeder Form der Herzinsuffizienz eingesetzt werden. Er ist kardio- und
nephroprotektiv. Es besteht ein deutlicher früh einsetzender positiver Effekt bezgl. HI-Hospitalisation.
◆ Diuretika haben eine Klasse IC Indikation bei einer Stauung, wobei vorzugsweise ein Schleifendiuretikum wie Torasemid eingesetzt
werden soll. Beim Erreichen der Euvolämie muss das Diuretikum reduziert oder evtl. gestoppt werden.
◆ Jeder 3. Patient*in mit einem Diabetes mellitus hat eine HI. 30-40% der HI-Patient*innen haben einen Diabetes. Daher ist ein frühes Screening entscheidend.
◆ Ein Eisenmangel muss gesucht und behandelt werden. Grippe-
und Pneumokokken-Impfung verhindern HI-Hospitalisationen und
verbessern die Prognose.

1. McMurray JJV. et al., DAPA-HF, NEJM 2019;381 (21):1995-2008
2. McDonagh TA. et al., Heart Failure Guidelines ESC 2021; EHJ 2021;42 (36): 3599-3726
3. Halliday BP. et al., TRED-HF, Lancet 2019;393, 10166: 61-73
4. Schütt K. et al., Positionspapier Herzinsuffizienz und Diabetes; Diabetologie 2022;17:277-288
5. Mullens W. et al., ADVOR, NEJM 2022;387:1185-1195
6. Schweizer Expertenpapier zur Verwendung von Sacubitril/Valsartan (Entresto®) in der Praxis, aktualisierte Version 2022, EMH Media
7. Packer M. et al., PARADIGM-HF, Circulation 2015;131:54-61
8. Vaduganathan M. et al., Lancet 2020;396 (10244):121-128
9. Eur J Int Med 2022; https://doi.org/10.1016/j.ejim.2021.12.027
10. European J of Heart Fail, Volume: 23, Issue: 8, Pages: 1250-1255, 26 June 2021
11. Packer M. et al., EMPEROR Reduced, NEJM 2020;383 (15): 1413-1424
12. Anker St D. et al., Emperor Preserved, NEJM 2021; 385:1451-1461
13. Solomon S. et al, DELIVER, 27. August 2022; doi.org/ 10.1056/NEJMoa2206286
14. Vaduganathan M., Metaanalyse, anlässlich ESC Barcelona, August 2022
15. Spezialitätenliste Bundesamt für Gesundheit (BAG)
16. Stone G.W. et al., COAPT, N Engl J Med 2018; 379:2307-2318
17. Ponikowski P. et al., CONFIRM-HF, ESC Heart Failure 2014;1:52–58

Neue Behandlungsmöglichkeiten bei Vorhofflimmern: Elektroporation mit pulsed-field Ablation

Bereits seit über 20 Jahren existiert die interventionelle Behandlung von Vorhofflimmern mittels Pulmonalvenenisolation (PVI) auf Basis der Beobachtungen von Prof. Haïssaguerre et al in 1998 (1). Seither wird die PVI immer häufiger durchgeführt mit über die Jahre zunehmender Effektivität, Effizienz und Sicherheit der Ablation. In ihrer Grundform hat sich die Prozedur über die Jahre jedoch kaum verändert: Mittels thermischer Energie werden die Pulmonalvenen elektrisch isoliert (2). Die Radio­frequenzablation erhitzt das Gewebe und die Kryoablation entzieht dem Gewebe Wärme. Beide Modalitäten führen dadurch zu einem thermischen Schaden des Myokards mit vergleichbarer Effektivität und Sicherheit (3). Obwohl die Komplikationsrate sehr gering ist, kann es jedoch aufgrund der thermischen Energien bei beiden Modalitäten zu Schäden an umliegenden Strukturen kommen, insbesondere des Oesophagus und des Nervus phrenikus. Im Idealfall benötigen wir daher eine Energieform, welche effektiv die Pulmonalvenen isolieren kann und gleichzeitig die umliegenden Strukturen nicht verletzt. In diesem Artikel möchten wir auf eine neue, primär nicht-thermische Modalität der Ablation eingehen, welche diese Anforderungen erfüllen könnte: Die Elektroporation mittels pulsed-field Ablation.

Interventional treatment of atrial fibrillation by pulmonary vein isolation (PVI) has existed for more than 20 years based on the observations of Prof. Haïssaguerre et al in 1998 (1). Since then, PVI has been performed with increasing frequency with increasing effectiveness, efficiency, and safety of ablation over the years. However, in its basic form, the procedure has changed little over the years: Thermal energy is used to electrically isolate the pulmonary veins (2). Radiofrequency ablation heats the tissue, and cryoablation extracts heat from the tissue. Both modalities thereby result in thermal damage to the myocardium with comparable efficacy and safety (3). However, although the complication rate is very low, damage to surrounding structures, particularly the esophagus and phrenic nerve, may occur due to the thermal energies in both modalities. Ideally, therefore, we need a form of energy that can effectively isolate the pulmonary veins while not injuring surrounding structures. In this article, we would like to discuss a new, primarily nonthermal modality of ablation that may meet these requirements: Electroporation by pulsed-field ablation.
Key Words: atrial fibrillation, pulmonary vein isolation, radiofrequency ablation, cryoablation

Prinzip der Elektroporation mit pulsed-field Ablation

Die Elektroporation via pulsed-field Ablation ist im Gegensatz zu primär thermalen Ablationsformen, wie der Radiofrequenz- oder Kryoablation, in der verwendeten Stärke eine nicht-thermale Alternative. Bei der Elektroporation kommt es durch den Aufbau eines Hochenergiefelds zu Veränderungen an den Zellmembranen, sogenannten Nano-Poren, die die Zellintegrität und –viabilität stören (4). Dieses Hochenergiefeld wird über mehrere Impulse, welche einzeln nur wenige Nanosekunden dauern und in Paketen gruppiert werden, abgegeben. Dabei können die Impulse je nach Katheter monophasisch oder biphasisch abgegeben werden. Konzeptionell handelt es sich dabei um die gleiche Energieform wie bei einem Gleichstromschock.

Elektroporation wird bereits seit Dekaden in anderen Disziplinen, insbesondere der Grundlagenforschung, eingesetzt (5). Dort wird die Elektroporation verwendet um die Zellmembranen temporär durchlässig zu machen und dadurch Moleküle in lebende Zellen zu transportieren. Erst später kam es zur klinischen Anwendung der Elektroporation in der Onkologie, um Chemotherapeutika effektiver in Zellen zu transportieren und in der weiteren Entwicklung diese Zellen direkt mittels Elektroporation abzutöten (6). Diese unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten der Elektroporation beruhen auf zwei Grundprinzipien: 1. Während eine niedrigere Feldstärke zu einer reversiblen Elektroporation führt mit Erholung der Zellmembran, führt eine höhere Feldstärke über einem gewissen Schwellenwert zu einer irreversiblen Elektroporation und einem dauerhaften Zelltod. 2. Der Schwellenwert für die irreversible Elektroporation ist je nach Gewebetyp unterschiedlich. Dieser unterschiedliche Schwellenwert je nach Gewebetyp ist vor allem in der kardiologischen Anwendung essentiell. Myokardzellen haben einen viel tieferen Schwellenwert, sind also viel sensibler, als Nervenzellen oder Endothelzellen. Abbildung 1 zeigt das Konzept der reversiblen und irreversiblen Elektroporation und Abbildung 2 zeigt die unterschiedlichen Schwellenwerte je nach Zelltyp. Aufgrund dieser beiden Grundkonzepte bietet Elektroporation zwei Versprechen: Einerseits eine dauerhafte Ablation im Bereich der irreversiblen Feldstärke und andererseits eine sicherere Ablation ohne Kollateralschaden des Nervus phrenikus oder des Oesophagus aufgrund des fehlenden oder nur sehr geringen thermalen Effekts sowie der höheren Schwellenwerte für diese Gewebe.

Erste Daten der PVI mit pulsed-field Ablation

Präklinische Experimente im Tiermodell konnten die Machbarkeit von dauerhafter PVI mittels pulsed-field Ablation zeigen bei hervorragender Sicherheit (7 – 9). Trotz mehrfacher Impulsabgabe direkt auf den entsprechenden Strukturen zeigten sich keine Pulmonalvenenstenosen, Verletzungen des Oesophagus oder dauerhaften Paresen des Nervus phrenikus. Basierend auf diesen vielversprechenden Daten folgten klinische Studien mit den ersten publizierten Daten in 2018 (10). In der ersten Studie wurden 22 Patienten mit Vorhofflimmern mittels pulsed-field Ablation behandelt. Es konnten dabei alle Pulmonalvenen erfolgreich isoliert werden ohne Komplikationen akut oder nach einem Monat. Daraufhin wurden im Jahr 2019 zwei weitere Studien publiziert, die IMPULSE und die PEFCAT Studien (11). Zusammen wurden in diesen beiden Studien 81 Patienten mit pulsed-field Ablation behandelt. Während der Studiendurchführung wurde die Impulsabgabe von einem monophasischen zu einem biphasischen Impuls mit höherer Stärke optimiert. Dies hat den Vorteil, dass Patienten weniger tief sediert werden mussten, da monophasische Impulse zu starken Skelettmuskelkontraktionen führen. In diesen Studien erfolgte in allen Patienten nach 3 Monaten eine erneute elektrophysiologische Untersuchung mit Mapping des linken Vorhofs. Hierin zeigten sich in der ersten, monophasischen Impulsform nur 16% der Pulmonalvenen dauerhaft isoliert, mit der optimierten biphasischen Impulsform jedoch 100%. Es zeigten sich keine Verletzungen des Oesophagus in den Patienten, die anschliessend im Rahmen der Studie endoskopiert (29 Patienten) wurden und/oder ein MRI (8 Patienten) erhielten. Diese vielversprechenden Ergebnisse konnten in weiteren Studien, auch mit anderen pulsed-field Ablationssystemen sowohl in ­Patienten mit paroxysmalem als auch persistierendem Vorhofflimmern reproduziert werden (12, 13).

Aktuelle Anwendung und Daten

In Europa ist aktuell ein pulsed-field Ablationssystem zugelassen und wird in grossen Zentren für Elektrophysiologie bereits routinemässig angewandt. Aus dieser klinischen Anwendung heraus wurden vor kurzem die Ergebnisse des MANIFEST-PF Registers publiziert (14). Darin wurden 1’758 Patienten in 24 europäischen Zentren mit pulsed-field Ablation behandelt. In 99.9% konnten die Pulmonalvenen akut isoliert werden mit 0% oesophagealen Komplikationen, 0% Pulmonalvenenstenosen und 0% dauerhaften Nervus phrenikus Paralysen. In 0.5% kam es zu transienten Paresen des Nervus phrenikus mit Erholung in allen Patienten innerhalb von einem Tag. Die durchschnittliche Eingriffsdauer lag mit 65 Minuten in einem ähnlichen Bereich wie wir sie von der Radiofrequenz- und Kryoablation kennen. Am ESC Kongress dieses Jahres wurden auch erste Daten des Registers vorgestellt mit 1 Jahres Erfolgs­raten, welche vergleichbar zu der Radiofrequenz- und Kryoablation waren. Somit zeigt sich in den bisher publizierten Daten ein sehr gutes Sicherheitsprofil der pulsed-field Ablation bei zu thermalen Energien vergleichbarer Langzeit-Effektivität und Eingriffsdauer.

Ausblick

Aktuell werden mehrere, grosse randomisierte Studien, welche verschiedene pulsed-field Ablationssysteme mit Radiofrequenz- und Kryoablation in Patienten mit Vorhofflimmern vergleichen, durchgeführt. Abbildung 3 zeigt ausgewählte pulsed-field Ablationskatheter von verschiedenen Herstellern und unterschiedlichen Designs. Erwähnenswert ist die «Single Shot Champion» Studie (NCT05534581), welche pulsed-field Ablation mit Cryoballon-Ablation in Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern vergleicht und in der Schweiz am Inselspital Bern und Universitätsspital Basel durchgeführt wird. Aufgrund der Vielzahl der aktuell laufenden Studien, gehen wir davon aus, dass wir in den nächsten Jahren Daten von mehreren tausend Patienten aus randomisierten Studien zu verschiedenen pulsed-field Ablationssystemen erhalten werden. Dies wird dazu führen, dass weitere pulsed-field Ablationssysteme mit verschiedenen Katheterdesigns für Patienten mit Vorhofflimmern zugelassen werden.

Zusätzlich werden zurzeit auch kleinere Studien bei Patienten mit ventrikulären Arrhythmien durchgeführt. Für ventrikuläre Arrhythmien gibt es jedoch noch keine offiziell zugelassenen ­Systeme.

Zusammenfassung

Die Elektroporation mittels pulsed-field Ablation ist eine nicht-thermale Energieform zur PVI bei Patienten mit Vorhofflimmern. Die bisher vorliegenden Daten zeigen ein sehr gutes Sicherheitsprofil bei vergleichbarer Effektivität zu Radiofrequenz- und Kryoablation. Aktuell ist ein pulsed-field Ablationssystem in Europa zugelassen und es werden mehrere, grosse randomisierte Studien durchgeführt, welche unterschiedliche pulsed-field Ablationssysteme untersuchen.

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PD Dr. med. Philipp Krisai

Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Basel, Cardiovascular Research
Institute Basel, Universitätsspital Basel

Prof. Dr. med. Michael Kühne

Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Basel, Cardiovascular Research
Institute Basel, Universitätsspital Basel

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

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Nicht-variköse gastrointestinale Blutungen

Die gastrointestinale Blutung ist ein häufiges Krankheitsbild, welches sich in unterschiedlichen Verläufen und Gefahren für unsere Patienten präsentieren kann. Dies erfordert ein differenziertes und der Situation angepasstes Vorgehen in der Praxis. Viele der Blutungen sind selbstlimitierend, andere verlaufen fulminant und müssen umgehend therapiert werden. Sowohl die Epidemiologie als auch die Diagnostik und Therapie von gastrointestinalen Blutungen haben sich in den letzten Jahrzehnten stetig verändert. Aufgrund der technischen Weiterentwicklung der Endoskopie und der interventionellen Radiologie gelingt es heute meist, die Blutungsquelle zu lokalisieren und auch zu stillen. Ein chirurgisches Vorgehen bleibt seltenen Problemfällen vorbehalten.

Gastrointestinal bleeding is a common clinical picture that can present itself in different courses and dangers for our patients. This requires a differentiated approach in practice, adapted to the situation. Many of the hemorrhages are self-limiting, others are fulminant and must be treated immediately. The epidemiology as well as the diagnosis and therapy of gastrointestinal bleeding have changed steadily over the last decades. Due to the technical advancement of endoscopy and interventional radiology, it is nowadays usually possible to localize the source of bleeding and also to stop it. Surgical intervention is reserved for rare problem cases.
Key Words: Gastrointestinale Blutung, peptisches Ulcus, Divertikelblutung, Risikostratifizierung, Antikoagulation

Gastrointestinale Blutungen sind mit einer Inzidenz von 50-100 pro 100’000 Personen (1–3) sehr häufig. Das klinische Spektrum reicht von der nur laborchemisch fassbaren Anämie bis hin zur fulminanten Blutung mit vitaler Bedrohung. Es werden prinzipiell die obere und untere gastrointestinale Blutung unterschieden, wobei die Blutungsquelle der oberen GI-Blutung proximal, die der unteren GI-Blutung distal des Treitz-Bandes (Flexura duodenojejunalis) lokalisiert ist. Die Letalität ist mit 3-14% für obere GI-Blutungen hoch und stark abhängig vom Alter und den Komorbiditäten (3). Untere GI-Blutungen verlaufen seltener (< 4%) letal (4).

Obere gastrointestinale Blutung (nicht-varikös)

Die allermeisten Blutungen (70-90%) sind im oberen Gastrointestinaltrakt lokalisiert. Klinische Zeichen sind das Erbrechen von Frischblut (Hämatemesis) sowie Teerstuhl (Meläna). Letzterer kommt durch die Zersetzung von Hämoglobin in schwarzes Hämatinchlorid durch die Magensäure zustande. Im Falle einer schweren Blutung kann aufgrund einer raschen Darmpassage auch Frischblut ab Ano (Hämatochezie) auftreten. Die wesentlichen Blutungsquellen sind in Tab. 1 aufgelistet (1).

Die häufigste Blutungsursache sind peptische Ulcera. Diese werden je nach Blutungsaktivität anhand der Forrest-Klassifikation eingeteilt, womit sich das Re-Blutungsrisiko sowie die Mortalität abschätzen lässt. Bei Forrest Ia-, Ib- und IIa-Ulcerationen (beinhalten noch aktive Blutungen oder einen sichtbaren Gefässstumpf) sollte aufgrund des hohen Risikos für eine erneute Blutung immer eine endoskopische Intervention erfolgen (5). Die Mehrheit der peptischen Ulcera sind mit Helicobacter Pylori (welcher stets gesucht werden sollte) oder nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) assoziiert. Seltenere Ursachen für peptische Ulcera beinhalten das Gastrinom, Nikotinabusus, Malignome oder die Therapie mit einem selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitor (SSRI).
Zur individuellen Risikoabschätzung kann der Glasgow-Blatchford Score (Tab. 2) bei vermuteter nicht-variköser oberer GI-Blutung verwendet werden, welcher von 0-23 Punkten reicht. Je höher der Score, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine endoskopische Intervention notwendig wird. Patienten mit einem Score von 0-1 Punkt benötigen mit einer > 99% Wahrscheinlichkeit keine endoskopische Intervention und somit auch nicht unbedingt eine stationäre Aufnahme (5).

Bei Verdacht auf obere GI-Blutung wird der rasche Start mit einem Protonenpumpeninhibitor (PPI) 80mg i.v. als Bolus, gefolgt von 40mg 2x täglich empfohlen. Eine kontinuierliche Infusion hat keinen Vorteil gegenüber der 2x täglichen Gabe. Mindestens die ersten 72 Stunden sollte die PPI-Gabe intravenös erfolgen. Zur besseren endoskopischen Beurteilung kann 30-120 Minuten vor der oberen Endoskopie 250mg Erythromycin i.v. verabreicht werden, was als starker Motilin-Agonist zu einer rascheren Magenentleerung führt. Dadurch kann die Re-Endoskopierate aufgrund der besseren Übersicht reduziert werden, das klinische Outcome an sich wird aber nicht verändert (7). Von einer Magensondeneinlage mit Lavage bei vermuteter oberer GI-Blutung wird abgeraten (8). Die Gastroskopie sollte möglichst innert den ersten 24h nach Patientenpräsentation erfolgen. Eine dringliche Gastroskopie innert 12h ist jedoch nicht mit einem besseren Outcome assoziiert, eine notfallmässige Gastroskopie innert 6h ist sogar mit einem schlechteren Outcome vergesellschaftet (5). Eine vorgängige gute umfassende Diagnostik und Stabilisierung des Patienten sind daher essenziell.

Untere gastrointestinale Blutung

Die Blutung im unteren Gastrointestinaltrakt ist deutlich seltener, dafür oft schwieriger zu stoppen. Klinisches Zeichen ist die Hämatochezie oder (je nach Blutungslokalisation) auch Teerstuhl. Die häufigsten Blutungsquellen sind in Tab. 3 aufgelistet.

Bei Verdacht auf eine untere GI-Blutung erfolgt als primäre Diagnostik in den meisten Fällen eine Koloskopie. Bei stabiler klinischer Situation (z.B. okkultes Blut im Stuhl) und niedrigem Risikoprofil kann die Koloskopie durchaus ambulant erfolgen. Ansonsten sollte die Koloskopie möglichst innert 24h im stationären Setting durchgeführt werden, jedoch erst nach adäquater Vorbereitung. Sollte der Patient die Abführmittel nicht trinken können, kann eine Nasogastralsonde zur Applikation verwendet werden. Bei instabiler Situation sollte primär eine Gastroskopie zum Ausschluss einer schweren oberen GI-Blutung erfolgen. Bei den meisten Patienten mit einer akuten unteren GI-Blutung stoppt die Blutung ohne Intervention. Blutungen aufgrund von Divertikel, Angiektasien oder nach Polypektomie haben die grösste Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen endoskopischen Blutstillung.

Unklare Blutungsquelle

Bei 5-10% der Patienten mit einer GI-Blutung wird mit den Standardendoskopien (Gastro- und Koloskopie) keine Blutungsquelle gefunden (6), was als obskure Blutung bezeichnet wird. Ist dies der Fall, liegt die Blutungsquelle zu 75% im Dünndarm. Am häufigsten kommen da bei älteren Patienten Angiodysplasien vor, seltener auch Malignome oder NSAR-assoziierte Ulzerationen. Bei jüngeren Patienten (< 40 Jahre) handelt es sich häufiger um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Meckel-Divertikel oder Dieulafoy-Läsionen (kaum sichtbare submukosale Gefässe). Bei obskurer Blutung und hämodynamisch stabilen Patienten ist die Kapselendoskopie diagnostisches Mittel der Wahl. Dazu wird nach abführenden Massnahmen eine Videokapsel mit Wasser geschluckt. Dessen Bilder werden dann an einen Datenrekorder, welcher mitgetragen wird, übermittelt. Die Bilder können schliesslich in Form eines Videos am Computer ausgewertet werden. Die Kapsel wird auf natürlichem Wege ausgeschieden und wird nicht zur Datenanalyse benötigt. Die wichtigste Kontraindikation hierfür ist eine Stenose im Gastrointestinaltrakt, da die Kapsel dort potenziell steckenbleiben könnte. Eine CT-Angiographie sollte im Falle einer hämodynamisch relevanten Blutung der Kapselendoskopie zugunsten einer rascheren Beurteilung bevorzugt werden.

Erstbeurteilung

Bei der initialen Patientenbeurteilung im Rahmen einer vermuteten gastrointestinalen Blutung ist die Frage nach der hämodynamischen Relevanz essenziell. Die Tachykardie ist dabei oftmals das erste Zeichen der Hypovolämie.

Bei stabiler Situation mit normwertigen Vitalparametern sollten mögliche Risikofaktoren (insbesondere Vorerkrankungen und frühere GI-Blutungen) bzw. die Medikamenteneinnahme (NSAR, SSRI, Antikoagulation, Thrombozytenaggregationshemmer) genau erfragt werden. Laborchemisch interessiert nebst dem Hämatogramm und dem Gerinnungsstatus auch der Harnstoff, welcher durch die Verdauung der Blut-Proteine bei oberer GI-Blutung typischerweise ohne konkomitantem Kreatininanstieg erhöht ist. Man spricht von einer Harnstoff-Kreatinin Dissoziation. Daher ist der Harnstoff ebenfalls Teil des Glasgow-Blatchford Scores. Das Hämoglobinlevel kann bei raschem Blutverlust initial noch normal bleiben, da es einige Stunden dauert, bis der Verlust durch zuströmende extravasale Flüssigkeit zu einem Hämoglobinabfall führt.

Bei instabiler Situation steht die Kreislaufstabilisierung im Vordergrund. Dazu gehört die Flüssigkeitsgabe nach Installation von 2 venösen Zugängen (mind. 18G), die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten im Falle eines Hämoglobins von < 70g/l bzw. < 80g/l bei bekannter kardiovaskulärer Erkrankung, eventuell auch Fresh Frozen Plasma (FFP) und die Korrektur der Gerinnung. Bei Risikosituationen wie Hämatemesis, Enzephalopathie oder Vigilanzminderung erfolgt aufgrund des hohen Aspirationsrisikos die Notfallendoskopie in der Regel erst nach endotrachealer Intubation.

Interventionelle Therapie

Nebst der Endoskopie steht die Angiographie oder allenfalls eine chirurgische Intervention zur Blutstillung zur Verfügung. Endoskopische Methoden beinhalten die Adrenalininjektion, thermische Koagulation (bipolare Koagulation, Argon Plasma Coagulation), topische Applikation chemischer Hämostatika (z.B. Hemospray®, Nexpowder®, PuraStat®) sowie die mechanische Blutstillung mittels Clip, Loop oder Gummiband. Bei Patienten mit einer aktiven Blutung, die nicht für eine Endoskopie stabilisiert werden können, kann eine CT-Angiographie zwecks Lokalisation der Blutungsquelle erfolgen. Diese kann jedoch bei zu langsamem Blutfluss (< 0.3ml/min) negativ ausfallen. Kann eine Blutungsquelle dargestellt werden, stellt die Blutstillung via Angiographie mit superselektiver Embolisation der zuführenden Arterie eine Alternative zur Endoskopie dar. Aufgrund des Risikos einer Ischämie von 1-4% sollte diese Methode aber für Patienten mit fulminanter Blutung reserviert bleiben. Insbesondere bei der unteren GI-Blutung stellt die Angiographie eine Alternative dar, da in der Notfallsituation keine Zeit für eine Darmreinigung bleibt. Die chirurgische Intervention muss im Falle einer persistierenden Blutung trotz endoskopischer bzw. angiographischer Blutstillung in Erwägung gezogen werden. Eine Second-look-Endoskopie kann bei Hochrisikopatienten evaluiert werden, wird jedoch nicht generell empfohlen (5,9).

Antikoagulation

Es ist bekannt, dass unter Warfarin ein deutlich (> 4x) höheres Risiko für eine gastrointestinale Blutung besteht als unter direkten oralen Antikoagulantien (DOAK) (10). Weiter haben in den letzten Jahren mehrere Studien gezeigt, dass innerhalb der DOAK-Gruppe Apixaban das beste Sicherheitsprofil bezüglich gastrointestinalen Blutungen hat (11–13). Daher sollte im Falle einer Blutung unter etablierter DOAK-Therapie der Substanzwechsel auf Apixaban erwogen werden. Die periinterventionelle Pausierung der Thrombozytenaggregationshemmung und/oder Antikoagulation ist sowohl vom Risikograd der Intervention wie auch vom Thromboembolierisiko abhängig. Im Zweifelsfall sollte hier mit dem behandelnden Gastroenterologen Kontakt aufgenommen werden. Bei Interventionen mit niedrigem Risiko (z.B. diagnostische Endoskopie auch mit Biopsieentnahme) können diese Medikamente grundsätzlich weiter eingenommen werden. Der ideale Zeitpunkt des postinterventionellen Wiederbeginns der Antikoagulation ist aufgrund fehlender Evidenz nicht abschliessend definiert. Er ist sowohl stark vom thromboembolischen Risiko wie auch vom Blutungsrisiko der Intervention abhängig. Ist die Blutung kontrolliert, sollte die Antikoagulation bei hohem thromboembolischen Risiko innert 2-3 Tagen, ansonsten innert 7 Tagen wiederbegonnen werden. Bei erhöhtem Re-Blutungsrisiko stellt die vorübergehende Umstellung auf ein Heparin eine gute Option dar.

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Dr. med. Chantal Hasler

Abteilung für Gastroenterologie / Hepatologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

chantal.hasler@luks.ch

Dr. med. Stephan Baumeler

Abteilung für Gastroenterologie / Hepatologie
Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die häufigste Ursache einer oberen gastrointestinalen Blutung ist das peptische Ulcus
◆ Hämatochezie tritt nicht nur bei der unteren, sondern auch bei der massiven oberen GI-Blutung auf
◆ Mittels Glasgow-Blatchford Score kann die Notwendigkeit einer
Endoskopie bzw. einer stationären Aufnahme bei vermuteter
GI-Blutung abgeschätzt werden
◆ Nach stattgehabter Blutung unter DOAK kann der Substanzwechsel auf Apixaban evaluiert werden

 

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Die Spinalkanalstenose

Die Spinalkanalstenose ist einer der häufigsten Pathologien in der spinalen Chirurgie. Die Prävalenz bei über 60-Jährigen ist 14%. Grundsätzlich ist sie die Folge eines komplexen degenerativen Prozesses, der am häufigsten das Segment L4/5 betrifft. Klinisch manifestieren sich Schmerzen in Rücken und Beinen, welche beim Laufen oder im Stehen schlimmer werden und im Sitzen typischerweise bessern. Die klinische Untersuchung ist unspezifisch, weshalb schlussendlich nur die MRT eine Diagnose ermöglicht. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist die Claudicatio intermittens im Rahmen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Patienten mit einer milden Klinik können zunächst konservativ behandelt werden. Therapieresistente Formen oder Patienten mit neurologischen Defiziten sollten operiert werden. Selbst über 80-jährige Patienten können von einer Operation profitieren, weshalb auch hier eine Operation sorgfältig evaluiert werden sollte. Auch im längerfristigen Verlauf zeigen sich nach einer Operation gute Ergebnisse.

Spinal stenosis is one of the most common pathologies in spinal surgery. The prevalence in over 60-year-olds is 14%. Basically, it is the result of a complex degenerative process that most often affects the L4/5 segment. Clinically, it manifests as pain in the back and legs, which worsens with walking or standing and typically improves with sitting. Clinical examination is nonspecific. Ultimately, only MRI allows diagnosis. An important differential diagnosis is intermittent claudication in the setting of peripheral arterial occlusive disease. Patients with mild symptoms can initially be treated conservatively. Refractory cases or patients with neurological deficits should be operated. Even patients over 80 years of age may benefit from surgery, which is why surgery should be carefully evaluated here as well. Good results are also seen in the longer term after surgery.
Key Words: lumbar spinal stenosis, spinal claudication, spinal decompression

Einführung

Die Spinalkanalstenose ist eine der am häufigsten diagnostizierten spinalen Pathologien, welche die Lebensqualität schwer beeinträchtigen kann. Bei über 60-Jährigen ist die Prävalenz für eine absolute
Spinalkanalstenose 14%, wobei nicht alle symptomatisch werden (1). Die klinische Erstbeschreibung der Spinalkanalstenose erfolgte durch den niederländischen Neurochirurgen Henk Verbiest im Jahre 1954 (2). Auch wenn es grundsätzlich eine progressive degenerative Pathologie darstellt, ist eine primär konservative Behandlung möglich (3). Die chirurgischen Möglichkeiten haben sich seit der Erstbeschreibung durch Verbiest deutlich verbessert. Aktuell zeigen sie, bei richtiger Indikation, einen klaren Vorteil gegenüber der konservativen Therapie (4, 5).

Ätiologie/Pathogenese

Die Spinalkanalstenose ist eine typische Folge eines degenerativen Prozesses. Zusätzlich gibt es aber auch den kongenital engen Spinalkanal. Diese Patienten haben eine Tendenz bereits in jüngerem Alter eine symptomatische Spinalkanalstenose zu entwickeln.
Die Pathogenese ist im Detail beschrieben worden (6). Grundsätzlich entsteht die Stenose fokal auf Höhe des intervertebralen Bereichs durch einen komplexen degenerativen Prozess. Durch eine Bandscheibendegeneration mit Bandscheibenhöhenminderungen und Bandscheibenprotrusion, wie auch durch eine Spondylose mit entsprechender Spondylophytenbildung, kommt es zu einer ventralen Einengung des Spinalkanals. Durch Facettengelenksarthrosen mit deren Hypertrophie und einer Hypertrophie des Ligamentum Flavums kommt es zusätzlich zu einer dorsalen Einengung des Spinalkanals. Manchmal kommt auch eine Spondylolisthese hinzu. Die am häufigsten betroffenen Segmente sind L4/5, L3/4, L5/S1 und L1/2 in absteigender Häufigkeit. Die Schmerzen entstehen zum einen durch die direkte Kompression der Nerven, aber auch durch eine Ischämie, welche wiederum durch venöse Stauung und einer verminderten arteriellen Durchblutung verursacht wird. Durch das Gehen wird zusätzlich der Sauerstoffbedarf in den spinalen Nerven erhöht, was schlussendlich durch die ungenügende Blutzufuhr zu einer Exazerbation der Symptome führt.

Klinische Präsentation

Die häufigste klinische Manifestation der Spinalkanalstenose ist die intermittierende neurogene Claudicatio. Sie beinhaltet Rückenschmerzen, Beinschmerzen und Schwäche in den Beinen, welche sich beim Laufen oder im Stehen verstärken. Die Beinschmerzen sind häufig stärker als die Rückenschmerzen. Typischerweise treten die Symptome weniger beim Fahrradfahren auf (7). In Ruhe und insbesondere im Sitzen oder Vornüberbeugen verbessern sich die Beschwerden. Dies wird mit dem Durchmesser des Spinalkanals erklärt, welcher sich bei Flexion vergrössert und in der Extension eher verkleinert (8).

Evaluation und Diagnose

Klinische Untersuchung

In der klinischen Untersuchung zeigt sich häufig ein Normal­befund. Dies schliesst Reflexe, Kraft und Sensibilität mit ein. Der Lasègue-Test zeigt sich ebenfalls häufig negativ. Dies im Gegensatz zu Diskushernien, wo der Lasègue-Test üblicherweise positiv ist. Auch dies kann dadurch erklärt werden, dass durch den LasègueTest die Lendenlordose aufgehoben wird und somit der Spinalkanal erweitert wird. Zum Ausschluss einer Cauda-equina- Symptomatik sollte die perianale Sensibilität und der Sphinktertonus getestet werden. Bei tatsächlichem Verdacht schliesst sich hier eine Restharnbestimmung an. Die peripheren Pulse sollten abgetastet werden, um wichtige Differenzialdiagnosen wie die Claudicatio intermittens ebenfalls zu berücksichtigen.

Bildgebung

Mittels konventioneller Röntgenbilder, welche die Wirbelsäule häufig als einzige Bildgebung unter Belastung zeigen, können Skoliosen und Instabilitäten, wie Spondylolisthesen, besser dargestellt werden. Zudem können anatomische Anomalien, wie eine Lumbalisation von S1 oder Sakralisation von L5, sichtbar gemacht werden.

Für die Diagnose einer Spinalkanalstenose sollte schlussendlich jedoch eine MRT erfolgen. Damit können die nervalen Strukturen in Relation zu den umgebenden anatomischen Strukturen wie die Bandscheibe, Facettengelenke und Ligamentum flavum dargestellt werden (Abb. 1).

Differentialdiagnosen wie Diskushernien, Facettengelenkszysten und epidurale Lipomatosen können damit gut differenziert werden.
Wenn eine MRT nicht möglich ist, kann eine Myelo-CT nützlich sein, um den Subarachnoidalraum und die entsprechenden neuralen Strukturen darzustellen.

Es gibt grundsätzlich eine grosse Anzahl quantitativer Parameter zur Bestimmung einer Spinalkanalstenose. Dazu gehören zum Beispiel die absolute Querschnittfläche des Duralsacks auf Höhe der Stenose, der anteroposteriore Durchmesser im Stenosenbereich oder die Kompression der Fläche des Duralsacks in Prozent vom normalen midsagittalen Durchmesser. Alle radiologischen Parameter korrelieren grundsätzlich schlecht mit Symptomen und werden im Alltag deshalb eher weniger verwendet (9). Auch qualitative Parameter korrelieren nur begrenzt mit der klinischen Relevanz. Sie werden jedoch zur besseren Beschreibung einer Stenose teilweise exzellenter Interreader-Reliabilität verwendet (10). Die Klassifikation nach Schizas et al. zum Beispiel beschreibt die Spinalkanalstenose anhand des Verhältnisses von Nervenwurzeln zum Liquorsaum. Es konnte gezeigt werden, dass Patienten mit aufgehobenem Liquorsaum um die Nervenwurzeln einen konservativen Behandlungsversuch eher aufgeben mussten als Patienten, welche noch einen Liquorsaum hatten (11).

Es gibt aber grundsätzlich keinen zuverlässigen quantitativen oder qualitativen Parameter, welcher die klinische Relevanz einer Spinalkanalstenose widerspiegelt. Jede Stenose sollte also nur im Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik beurteilt werden.

Neurophysiologie

Eine neurophysiologische Untersuchung wird häufig angewendet, wenn kein klares radiologisches Korrelat zu den Symptomen besteht. Differenzialdiagnosen, wie das Vorliegen einer Polyneuropathie, können differenziert werden. Wenn jedoch beide Krankheitsentitäten vorhanden sind, ist jedoch auch eine neurophysiologische Untersuchung schwierig zu interpretieren (12).

Differenzialdiagnosen

Die wahrscheinlich wichtigste Differenzialdiagnose ist die vaskulär bedingte Claudicatio intermittens. Die Schmerzen treten dort eher in den Waden, beziehungsweise peripherer in den Beinen auf und lumbogluteale Schmerzen sind eher atypisch. Zudem bessern sich die Beschwerden im Stehen, wohingegen ein Vornüberbeugen keine Auswirkung hat. In der Untersuchung ist, wie bereits erwähnt, das Ertasten von abgeschwächten peripheren Pulsen richtungsweisend. Andere Differenzialdiagnosen sind die Polyneuropathie, die Hüftarthropathie oder die Meralgia parästhetica.

Behandlung

Spinalkanalstenosen können konservativ und operativ behandelt werden. Die konservative Therapie spielt vor allem bei milder Ausprägung eine Rolle. Bei therapierefraktären Symptomen oder Auftreten von neurologischen Defiziten sollte, wenn möglich, eine Operation angestrebt werden. In der bisher grössten teilrandomisierten Studie (SPORT) zeigt sich ein klarer Vorteil der Operation gegenüber der konservativen Therapie bei 4 Jahren und etwas abgeschwächt auch noch 8 Jahre postoperativ (4, 5). Auch Patienten, die älter als 80 Jahre sind, profitieren sehr wohl von einer Operation und haben nicht zwingend mehr Komplikationen als jüngere Patienten (13).

Konservativ

Die konservative Therapie beinhaltet Veränderung des Lebensstils mit regelmässigem Körpertraining, Stärkung der Rumpfmuskulatur, Einhalten einer balancierten Diät und Aufrechterhalten des idealen Körpergewichts. Es gibt jedoch keine klinischen Studien, welche dies unterstützen. Wenn einmal Symptome auftreten, ist es aufgrund der einschränkenden Schmerzen häufig zu spät, um signifikante Modifikationen des Lebensstils zu erreichen. Ebenso hat die Wirkung von Physiotherapie und Chiropraktik eine insuffiziente Evidenz (14).

Eine andere wichtige Option der konservativen Behandlung sind epidurale Infiltrationen mit Kortison und lokalen Anästhetika. Hier ist die Evidenz einer Wirkung für bis zu 6 Monaten gezeigt worden (14). Eine neuere Meta-Analyse zeigt auch eine Wirkung bis zu 12 Monaten (15). Trotzdem ist es so, dass der natürliche Verlauf einer Spinalkanalstenose bei mindestens 50% aller Patienten progredient ist und daher eine Operation durch diese Massnahmen oft nur hinausgeschoben wird (14).

Chirurgisch

Wie bereits erwähnt ist die Indikation für eine operative Behandlung eine Therapieresistenz, sowie neurologische Defizite. Zu den operativen Möglichkeiten gehören die Dekompression mit oder ohne Fusion. Die Fusion wird bei einer degenerativen Listhese evaluiert. Grundsätzlich ist der Zusatz einer Fusion jedoch selbst bei einer Listhese umstritten (16-18). Sollte jedoch zusätzlich eine foraminale Stenose vorhanden sein, kann eine Fusion kaum umgangen werden. Patienten, welche fusioniert werden, haben grundsätzlich kein schlechteres Outcome, als solche, welche nur dekomprimiert werden (17). Zu berücksichtigen ist jedoch die relativ hohe Reoperationsrate von bis zu 30% in beiden Techniken (16). Bei der Fusion ist vor allem die Anschlusssegmentdegeneration das Problem (19) und bei der Dekompression die Notwendigkeit zur nachträglichen Fusion (16-18). Trotz dieser Problematik muss betont werden, dass das Outcome nach einer Operation selbst nach 8 Jahren gegenüber der konservativen Therapie einen Vorteil zeigt (4).

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Dr. med. José Miguel Spirig

Leitender Arzt
Universitäres Wirbelsäulenzentrum Zürich
Universitätsklinik Balgrist
Forchstrasse 340
8008 Zürich

Prof. Dr. med. Mazda Farshad

Medizinischer Spitaldirektor und Chefarzt Orthopädie
Universitäres Wirbelsäulenzentrum Zürich
Universitätsklinik Balgrist
Forchstrasse 340
8008 Zürich

Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Die Spinalkanalstenose manifestiert sich typischerweise durch Schmerzen ausstrahlend vom Rücken in die Beine, welche sich beim Laufen verstärken und sich im Sitzen oder Vornüberbeugen bessern.
◆ Zur klinischen Differenzierung von einer Claudicatio intermittens
sollen die peripheren Pulse ertastet werden.
◆ Die Bildgebung der Wahl für die Spinalkanalstenose ist eine MRT der Lendenwirbelsäule. Bei Kontraindikationen kann eine Myelo-CT als Ersatz dienen.
◆ Bei milden Formen kann eine konservative Therapie versucht,
jedoch bei neurologischen Defiziten oder Therapieresistenz soll eine Operation durchgeführt werden.
◆ Die operative Behandlung zeigt auch im langfristigen Verlauf gute Ergebnisse.

 

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Update zur Therapie des idiopathischen Parkinsonsyndroms

Das idiopathische Parkinsonsyndrom (iPS) zählt zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Als wesentlicher Pathomechanismus ist die Degeneration dopaminerger Neurone in der Substantia nigra zu sehen, welche zu einer Bradykinese, Rigor und/oder einem Ruhetremor und zahlreichen nicht-motorischen Symptomen führen kann. Die Verbesserung der Lebensqualität steht im Vordergrund der Behandlung. Für das fortgeschrittene Krankheitsstadium stellen invasive Therapien wie die tiefe Hirnstimulation und kontinuierliche Pumpentherapien etablierte und evidenzbasierte Optionen dar. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Therapie des iPS mit Fokus auf den aktuellen Therapiestand, zukünftige orale und invasive Behandlungsmöglichkeiten sowie auf potenzielle neuroprotektive Ansätze.

Parkinson’s disease (PD) is one of the most common neurodegenerative diseases. The main pathomechanism is the degeneration of doperminergic neurons in the substantia nigra. It can lead to bradykinesia, rigidity, resting tremor, and numerous non-motor symptoms. Treatment is focused on improving the patient’s quality of life. For the advanced stages of the disease, invasive therapies such as deep brain stimulation and continuous pump treatment, are established and evidence-based options. This article deals with the therapy of PD with a focus on the current therapy, future oral and invasive treatment options, and potential neuroprotective approaches.
Key Words: parkinson’s disease, deep brain stimulation, continuous pump treatment, neuroprotective approaches

Die Parkinson-Krankheit (auch Morbus Parkinson oder idiopathisches Parkinson-Syndrom, iPS, genannt) ist mit einer Prävalenz von 100-200/100’000 Einwohnern die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Sie ist auf die Degeneration dopaminerger Neurone in der Substantia nigra zurückzuführen. Gemäss aktueller Diagnosekriterien wird für die Diagnose u.a. eine Bradykinese und entweder Rigor und/oder Ruhetremor (4-6 Hz) gefordert (1).

Neben motorischen Symptomen können auch zahlreiche nicht-motorische Symptome auftreten, welche für die Patienten meist sehr störend und somit wesentliche Determinanten der Lebensqualität sind (Tab. 1). Nach mehrjähriger Behandlung kommt es bei nahezu allen Patienten zu motorischen und teilweise auch nicht-motorischen Wirkfluktuationen (z.B. Verschlechterung der Stimmung oder der Kognition im Off Zustand) und Dyskinesien.

Aktueller Therapiestand – orale Medikation

Die derzeitige Therapie zielt auf eine symptomatische Behandlung ab und sollte dann begonnen werden, wenn Alltagseinschränkungen auftreten. Nach mehr als 50 Jahren ist Levodopa nach wie vor die wirksamste Therapie des iPS. Typischerweise verspüren ­Patienten mit einem iPS hierdurch eine wesentliche Verbesserung ihrer motorischen Symptome, wobei zur Besserung des Tremors oft höhere Dosierungen notwendig sind. Ein positives Ansprechen auf L-Dopa (>30% UPDRS III) unterstützt die Diagnose eines iPS, wohingegen ein fehlendes Ansprechen an ein atypisches Parkinson-Syndrom denken lassen sollte.

Lange wurde spekuliert, ob L-Dopa neurotoxisch wirken könnte. Zudem wurde zur Vermeidung von Dyskinesien und Wirkfluktuationen als Spätkomplikationen eine Behandlung mit L-Dopa insbesondere bei jüngeren Patienten so lange wie möglich hinausgezögert und Dopaminagonisten (DA) bevorzugt eingesetzt. Neuere Studien konnten diese Zweifel entkräften und zeigen, dass sich eine frühere Behandlung mit L-Dopa nicht negativ auf den Krankheitsverlauf auswirkt und das Auftreten der Spätkomplikationen in erster Linie mit der Erkrankungsdauer selbst und weniger mit der Dauer der L-Dopa-Therapie zusammenhängt. Zudem ist L-Dopa den DA in Bezug auf die Verbesserung der Lebensqualität überlegen (2, 3). Als weiteren Vorteil von L-Dopa gegenüber DA ist auch das günstigere Risikoprofil mit weniger Nebenwirkungen wie Halluzinationen, Impulskontrollstörungen und Schlafstörung zu nennen.

Kommt es im fortgeschrittenen Stadium zur Entwicklung motorischer Fluktuationen, sind eine Verkürzung der Einnahmeintervalle, eine Verlängerung der L-Dopa-Wirkdauer durch eine Hemmung des Dopaminabbaus mittels MAO-B- und COMT-Hemmer oder die Zugabe eines langwirksamen DA möglich. Zur Behandlung von Dyskinesien wird eine Reduktion der L-Dopa-Dosis u./o. eine Add-on-Therapie mit Amantadin erwogen.

Bei der Auswahl der verschiedenen Substanzklassen gilt es, die unterschiedlichen Effektstärken im Hinblick auf die Wirkung, die Nebenwirkungen, das Alter des Patienten, Komorbiditäten und das psychosoziale Anforderungsprofil zu berücksichtigen.

Kürzlich zugelassene orale Medikamente

Mit Opicapon (Ongentys) wurde in der Schweiz 2018 ein weiterer COMT-Hemmer für die Zusatzbehandlung von «End of dose» Fluktuationen, bei denen unter Levodopa/Kombinationen keine Stabilisierung erreicht werden kann, zugelassen. Hiermit kann die OFF-Zeit um durchschnittlich zwei Stunden reduziert werden. Im Vergleich zu den bisherigen COMT-Hemmern (Tolcapon und Entacapon) wirkt Opicapon nicht lebertoxisch und muss wegen seiner hohen Bindungsaffinität nur einmal täglich eingenommen werden. Um Nebenwirkungen wie Dyskinesien, Obstipation, Mundtrockenheit sowie Ein- und Durchschlafstörungen zu vermeiden, hat es sich bewährt, die L-Dopa-Dosis zu Beginn der Behandlung um 25-30% zu reduzieren (4).

In Deutschland ist seit Mai 2022 das erste inhalative L-Dopa-Medikament (Inbrija) zur akuten Behandlung von OFF-Symptomen bei PD zugelassen. In den klinischen Studien zeigte sich bereits nach zehn Minuten eine Symptomverbesserung im Vergleich zu Placebo mit einem statistisch signifikanten Wirkungsmaximum nach 30 min., d.h. um ca. 15 min. früher als nach oraler Einnahme (5).

Invasive Therapien des fortgeschrittenen iPS

Lassen sich motorische Fluktuationen und Dyskinesien trotz optimierter oraler Therapie nicht kontrollieren, sollten invasive Therapien wie die tiefe Hirnstimulation (THS), meist in den Nucleus subthalamicus, oder eine kontinuierliche, durch Pumpen unterstützte Infusionsbehandlung in Betracht gezogen werden. Für die Pumpentherapie stehen ein gastroduodenal, über eine perkutane endoskopische Jejunostomie (PEJ-Sonde) verabreichtes Levodopa/Carbidopa-Gel (LCIG) oder subkutan appliziertes Apomorphin zur Verfügung.

Durch die kontinuierliche Verabreichung bzw. möglichst konstante Medikamentenspiegel im Blut können Zeiten reduzierter Wirksamkeit signifikant reduziert und Dyskinesien gemildert werden. Die Patienten sollten ebenso wie die Angehörigen in die Therapie­entscheidung mit einbezogen werden und über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Therapieoptionen informiert sein.

Eine Pumpentherapie kommt v.a. für Patienten in Frage, bei denen eine THS kontraindiziert ist, z.B. bei älteren Patienten mit leichter oder moderater Demenz, psychiatrischen Komorbiditäten oder Kontraindikation für einen neurochirurgischen Eingriff. Nicht angezeigt ist die Infusionstherapie bei Medikamenten-resistentem Tremor und Impulskontrollstörung. Entscheidend für die Wahl zwischen den beiden Pumpsystemen sind mögliche Nebenwirkungen und praktisch-klinische Aspekte: Die für die L-Dopa-Pumpe notwendige Anlage einer PEJ ist mit einem Risiko lokaler Komplikationen wie einer Peritonitis oder Stomainfektionen sowie Problemen mit der Sonde (z.B. Dislokation) verbunden. Seltener kommt es aufgrund der hohen L-Dopa-Dosierungen zu einer Polyneuropathie.

Apomorphin, ein Dopaminagonist, der neben der kontinuierlichen Injektionsform auch als s.c. Injektion (Pen) zur Behandlung einzelner Off-Phasen zum Einsatz kommt, hat den Vorteil, dass er im Vergleich zu Duodopa und THS als am wenigsten invasiv erachtet werden kann. Eine kürzlich publizierte Studie konnte zudem zeigen, dass eine kontinuierliche nächtliche Apomorphin-Infusion zusätzlich die Schlafqualität von iPS-Patienten signifikant verbessern kann (6). Als häufigste Nebenwirkungen der s.c. Apomorphin-Infusion sind eine lokale Noduli-Bildung und Hautirritationen zu nennen, welche bei nahezu allen Patienten vorkommen, aber selten zum Therapieabbruch führen (7).

Zukünftige neue Applikationsformen von L-Dopa und Apomorphin

Die Wirkung einer subkutanen Applikation von L-Dopa (in Form von Foslevodopa/Foscarbidopa) wurde in einer Phase-III-Studie untersucht und die Zulassung beantragt (NCT04380142). Aufgrund der s.c. Verabreichung ist keine Anlage einer PEJ-Sonde notwendig. Gleichzeitig sind im Vergleich zur Apomorphininfusion weniger systemische Komplikationen wie Nausea, Tagesmüdigkeit, periphere Ödeme, orthostatische Dysregulation, Halluzinationen und Impulskontrollstörungen zu erwarten. Ein limitierender Faktor könnten Hautreaktionen sein (8).

Als neue Applikationsform wurde ein Apomorphin-Film für eine sublinguale Applikation (Kynmobi) entwickelt, welche eine wichtige Alternative für die Behandlung von Off-Phasen darstellt und in Europa derzeit in einer Phase-III-Studie getestet wird. Innerhalb von 15 Min. wird eine systemische Wirkung erreicht. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen zählen oropharyngeale Reaktionen (9).

Neues zu THS (tiefe Hirnstimulation)

Die Daten der 2013 veröffentlichten EARLY-STIM-Studie haben gezeigt, dass eine THS bei iPS-Patienten im Vergleich mit der bestmöglichen medikamentösen Behandlung bereits in einem früheren Krankheitsstadium zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität führt (10, 11). Dies eröffnete die Möglichkeit eine THS nicht als Ultima Ratio, sondern viel mehr als Therapiealternative bei Patienten mit beginnenden motorischen Fluktuationen und Dyskinesien anzusehen, d.h. zu einem früheren Zeitpunkt in Bezug auf den Krankheitsverlauf.

Zur Optimierung der Stimulationsparameter haben sich in den letzten Jahren neue vielversprechende Entwicklungen ergeben. Durch den Einsatz direktionaler Elektroden besteht mittels «Steering» die Möglichkeit, die Stimulation räumlich exzentrisch auszurichten, um somit das therapeutische Fenster unter Reduktion stimulationsbedingter Nebenwirkungen zu vergrössern (12). In der Vergangenheit bedurfte es oft wiederholter Sitzungen zur Programmierung der THS zur Optimierung der Stimulationsparameter. Mittlerweile stehen bildgebende und elektrophysiologische Ansätze zur Verfügung, die eine raschere Bestimmung der optimalen Stimulationskonfiguration erlauben und den Aufwand zur Austestung der Stimulation reduzieren (13). Eine sogenannte «adaptive» oder «closed-loop»-Technik, d.h. die Registrierung eines krankheitsspezifischen elektrophysiologischen Biomarkers (Betawellen-Aktivität) mit daran gekoppelter bedarfsadaptierter Stimulation, stellt seit Längerem eine Zukunftsperspektive zur Verbesserung der Effizienz der THS dar. Erste THS-Systeme verfügen bereits über eine Sensing-Technologie, die es erlaubt Betaaktivität aufzuzeichnen. Deren Technologie könnte in Zukunft im Rahmen von adaptiven oder «closed-loop» THS-Systemen zum Einsatz kommen (14).

Potenziell neuroprotektive Ansätze

Ein immer besseres Verständnis der molekularen Grundlagen des iPS könnte den Weg für neue, kausale Behandlungsmöglichkeiten bereiten. Derzeit befinden sich mehrere vielversprechende, potenziell krankheitsmodifizierende Therapieansätze in der z.T. fortgeschrittenen klinischen Testung:

  • Glucagon-like Peptide 1 (GLP1)-Rezeptoragonisten: Eine Insulinresistenz ist mit einem erhöhten iPS Risiko vergesellschaftet. Der neuroprotektive Effekt von GLP1-Agonisten, die bereits beim Diabetes zugelassen sind, wurde bereits im Tiermodell gezeigt und scheint sich in ersten Studien zu bestätigen. Die vielversprechendste, in der klinischen Testung befindende Substanz ist der GLP-1-Agonist Exenatide (15).
  • Immunisierungstrategien: Aktive und passive Immunisierungsstrategien zielen darauf ab, die pathologische Aggregation von α-Synuclein zu verhindern.
  • c-ABL-Kinase-Inhibitoren: Einzelne Substanzen dieser Kategorie sind bereits für die Behandlung der CLL zugelassen. Beim iPS kommt es ebenfalls zu einer Überaktivität dieser Kinase. Durch ein Herunterregulieren der Kinaseaktivität soll der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden (16).
  • Glucocerebrosidase: Mutationen im GBA stellen einen starken Risikofaktor für ein iPS dar. Aktuelle Therapieansätze zielen auf eine Steigerung der Glucocerebrosidase-Aktivität ab (17).
  • LRRK2: Eine Mutation im LRRK2-Gen kann zu einem monogenetisch vererbten Parkinson-Syndrom führen. Aktuelle Therapieansätze versuchen die pathologisch veränderte Aktivität (meist Gain-of-Function) dieser Kinase zu modifizieren (18).

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Marie-Christine Arends

Klinik für Neurologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

Dr. med. Florian Brugger

Klinik für Neurologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

PD Dr. med. Georg Kägi

Klinik für Neurologie, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St. Gallen

◆ Das iPS zählt zu den häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen. Die Diagnose wird klinisch anhand Vorliegens einer Bradykinesie, Rigor und/oder Ruhetremor gestellt.
◆ L-Dopa ist nach wie vor die wirksamste orale Parkinsontherapie.
Der frühzeitige Einsatz ist sicher und dem Einsatz von DA überlegen.
◆ Es stehen viele weitere symptomatische orale Therapiemöglichkeiten zu Verfügung. Neue Formulierungen von L-Dopa und Apomorphin sind derzeit in Entwicklung.
◆ Im fortgeschrittenen Stadium stellen kontinuierliche Pumpsysteme oder die THS gute Alternativen zur oralen Behandlung dar.
◆ Neue Erkenntnisse über die Entstehungsmechanismen der Erkrankung wecken die Hoffnung auf die Entwicklung krankheitsmodifizierender Therapien.

 

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Was ist die «Honeymoon-Phase» beim Typ 1 Diabetes?

Bei einem 33-jährigen Patienten wurde vor rund einem Jahr die Diagnose eines Typ 1 Diabetes mellitus gestellt. Die initiale Symptomatik waren ungewollter Gewichtsverlust von 10kg, Polyurie und -dipsie im Rahmen einer prolongierten Zahnentzündung. Es kam zu einer diabetischen Ketoazidose, welche eine Hospitalisation notwendig machte. Dabei zeigten sich erhöhte Diabetes-spezifische Antikörper (Anti-GAD/ IA2/ ZnT-8). Das initiale HbA1c betrug 12%. Der BMI des Patienten war 25.8 kg/m2. Die Familienanamnese ergab einen Typ 1 Diabetes mellitus beim Grossvater väterlicherseits. Der Patient erhielt bei Erstdiagnose des Diabetes Lantus 24E täglich, sowie Novorapid zu den Mahlzeiten (kumulativ ca 21E täglich). Im Verlauf stellten wir das Basisinsulin auf das länger wirksame Tresiba um. Die Blutzuckermessungen erfolgten initial mit einem konventionellen Blutzucker-Messystem (kapillär).

Wichtiges aus der persönlichen Anamnese

Weitere Erkrankungen sind bislang nicht bekannt.

Verlauf

Der Patient wurde auf ein kontinuierliches Blutzucker-Monitoring umgestellt. Nach Erstdiagnose besserte sich das HbA1c rasch auf minimal 6.9%. Aufgrund der guten Blutzuckereinstellung
sistierte der Patient selbständig das Essensinsulin (Novorapid). Bei der erneuten Verlaufskontrolle zeigte sich jedoch ein Anstieg der Blutzuckerwerte nach dem Abendessen sowie ein HbA1c von 7.7%.

Fragestellungen

Wie ist der Verlauf bei einem neu diagnostizierten Typ 1 Diabetes mellitus?
Welche Anpassungen bezüglich der Therapie sind notwendig?

Schlussfolgerungen

Der Patient hat initial nach Diagnosestellung des Typ 1 Diabetes mellitus eine «Honeymoon-Phase» durchlaufen. Diese Erholung tritt typischerweise ein, wenn sich unter der Insulintherapie die noch erhaltenen Beta-Zellen erholen und vorübergehend wieder Insulin produzieren/sezernieren können. Die «Honeymoon-Phase» kann Monate bis Jahre dauern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Diabetes verschwunden ist, da der Autoimmunprozess die verbleibenden Beta-Zellen über die Zeit zerstört. Somit muss die Insulintherapie bei Fortschreiten der Erkrankung wieder ausgebaut werden.

Vorgeschlagene Massnahmen und Therapie

  • Wir haben dem Patienten empfohlen, das Mahlzeiteninsulin (zumindest fürs Abendessen) wieder zu injizieren. Dies ist insbesondere wichtig, da eine gute Blutzuckereinstellung die noch verbleibenden Beta-Zellen schützt.
  • Zudem sollte im Verlauf mit dem Patienten die Möglichkeit einer Insulinpumpentherapie besprochen werden.
PD Dr. med. Claudia Cavelti-Weder

Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich

Prof. Dr. med.Roger Lehmann

UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich

Roger.Lehmann@usz.ch

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.